Komplex N°9 2016

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oder effiziente Frequenz. Sie bringt die richtigen Leute zur richtigen Zeit an den richtigen Ort. Gleichzeitig tendieren unsere Städte dazu, die Emissionen massiv zu beschränken. Wir bewegen uns stetig auf eine nahezu emis­sionsfreie Realität zu: Es gibt mehr und mehr Elek­troautos, die fast lautlos fahren, die Produktion wird immer leiser und umweltneutral, die Energiegewinnung geschieht geräuschlos und ebenfalls sauber. Damit öffnet sich vor allem ein Fenster: Funktionen können, da sie sich gegenseitig nicht mehr behindern, sondern im besten Fall sogar befruchten, neu gemischt werden. Die noch aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts stammende Idee der totalen Trennung von Funktionen wird infrage gestellt.

Mischnutzungskomplexen etablieren. Diese Areal­ überbauungen bringen neue Funktionen, die in der Agglomeration von gestern weit auseinanderlagen, auf andere Weise zusammen als in den analogen Kernstädten, wo sie keinen Sinn gehabt oder keinen Platz gefunden hätten. Damit stellen sich Fragen wie: Muss sich ein Logistikzentrum auf Gewerbe und Logistik beschränken, oder kann es auch Schulen, Mikro-Apartments, eine Uhrenmanufaktur und eine temporäre Kunsthalle beherbergen? Kann die Produktion Teil einer Mehrnutzungsidee sein? Wie sieht aktives Wohnen im Alter aus? Die Möglichkeiten sind unbegrenzt – solange wir deren Umsetzung nicht verbieten. Modell Zauberwürfel

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Die neue Stadt entsteht

Dies alles hat grosse Auswirkungen auf unsere Städte. Gleichzeitig bieten die Veränderungen aber auch viele Chancen, insbesondere für die Art Zwischenstädte wie das Limmattal bei Zürich, den Vorortgürtel westlich von Lausanne oder die Stadtregion südöstlich von Basel. Hier entsteht eine Art neue Stadt, die gerade die Vorteile der Digitalisierung stark nutzen kann. Denn wenn Adressen in Zukunft neu definiert werden, indem Orte und Des­tinationen geschaffen werden, die mittels Smartphones einfach erreicht und erkannt werden können, verschwinden zumindest teilweise Unorte und Gesichtslosigkeiten. Eine Vielzahl von Offerten erreicht so genau ihr Zielpublikum oder ihre Interessenten. Ein neuer Mix aus Angeboten mit einer digital unterstützten Verfügbarkeit entsteht. Dies kann – eine Modernisierung der Nutzungsbestimmungen vorausgesetzt – zu neuartigen Kombinationen von Inhalten, Qualitäten und Orten in Zwischenstädten führen. Was Zwischenstädte beziehungsweise Agglomerationsräume plötzlich zu flexiblen und veränderungs­ offenen Varianten von Stadt macht. Wir sollten Zwischenstädte darum nicht als Agglomerationsbrei oder zu gross geratene Dörfer sehen, sondern als eine Form von neuer Stadt. In dieser Stadt ist viel mehr möglich als in unseren immer rigider werdenden und durchorganisierten Kernstädten mit einer übermässigen Anzahl von Bestimmungen und Verboten – auch Denkverboten. In dieser neuen Stadt könnten sich dann auch – und das ist die zweite grosse Folge der digitalen Urbanisierung – neuartige Formen von

Man kann sich diese neuen Möglichkeiten wie einen Rubik’s Cube vorstellen, aber nicht im Ori­ ginalzustand mit hübsch geordneten Farbseiten, sondern im Arbeitszustand mit den vielen Farbquadraten, die irgendwie nicht zusammenzupassen scheinen. Dieser Zauberwürfel der neuen MixedUse-Projekte symbolisiert überraschend vielfältige und neuartige Nutzungen, von denen sich viele immer wieder ändern. Denn Änderungen in Nutzungsarten und Programmen werden in Zukunft normal sein. Das Ergebins: eine Ansammlung von Zwischennutzungen als Dauerzustand. Vor allem aber können viele Nutzungen nicht vorausgesagt und -geplant werden. Daher müssen Themen wie Nutzungsmix oder Zonierung zwingend neu diskutiert werden: Was ist ein guter Nutzungsmix? Was bedeutet eine Mischnutzung in Zukunft? Kann etwa eine emissionsfreie Produktion mit anderen Funktionen unmittelbar verbunden werden? Werden sich neuartige Einkaufsformen durchsetzen? Können Zwischennutzungen institutionalisiert werden? Was ist in Zukunft eigentlich eine Adresse: ein Strassenname oder eine App? Ein weiterer wichtiger Aspekt wird die Folge der massiven Digitalisierung sein: das Verschwinden der Technologie. Dies klingt auf den ersten Blick paradox, hält doch die Technologie überall Einzug in unser Leben. Doch damit entzieht sich die Technologie eben auch unserem direkten Blickfeld. Sie wird unsichtbar. Sensoren steuern unsere Städte, das Internet der Dinge verbindet Produktionsplattformen miteinander, und wir als Konsumenten, Bürger und Arbeitnehmer werden zu einfachen Datenpunkten.


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