Komplex 2022

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DAS MAGAZIN DER HALTER AG Nr. 15/2022


Ich erinnere mich noch gut an die Bilderserie «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder», die an der Wand in meinem Primarschulzimmer hing. Das ist inzwischen über 50 Jahre her, und die Tatsache, dass mir die Darstellungen bis heute so ­präsent sind, muss wohl in der Faszination der Bilder liegen. Ich war gefangen im Vergleichen der Abbildungen, von der Suche nach neuen Elementen, aber auch nach den verbliebenen Zeugen aus vergangener Zeit. Wir lebten in Uitikon, einer ­Zürcher Ortschaft, die sich in den Siebzigerjahren rasch vom Bauern­dorf zur Agglomerationsgemeinde wandelte. So konnte ich durchaus Parallelen erkennen und glaube heute retrospektiv, mich an einen gewissen Zwiespalt, sogar an Melancholie zu erinnern. Eine Wertung lag mir als Elfjährigem damals jedoch fern. Gleich in mehreren Beiträgen schauen wir in diesem «Komplex» auf jene Zeit zurück: im Essay von Hubertus Adam (S. 42), in dem vier der beschriebenen Illustrationen abgebildet sind, sowie in den Artikeln zu den Erneuerungsprojekten Hotel International in Oerlikon (S. 12) und Einkaufszentrum Metropol in Wetzikon (S. 120). Aus der Distanz eines halben Jahrhunderts stellen wir fest, dass sich damals eine Zeitenwende zugetragen hat. Nach dem stürmischen, fast grenzenlos erscheinenden Wachstum der Fünfziger- und Sechzigerjahre war Ernüchterung eingekehrt. Die 68er-Unruhen, der Rückzug der Amerikaner aus dem Vietnamkrieg, die Erdölkrise als Folge des Jom-Kippur-Kriegs und die Aufgabe des Goldstandards mit fixen Wechselkursen waren Ereignisse, die die Welt nachhaltig veränderten. Der Club of Rome verkündete die «Grenzen des Wachstums». Den wenigsten war damals wohl die Bedeutung der Geschehnisse bewusst. Mir eingeprägt ha­ben sich jedenfalls die autofreien Sonntage, ein Dollar-­Wechselkurs von 4,30 Franken und die Sorgenfalten meines Vaters, wenn er über die Entwicklung unseres Bauunternehmens sprach. Stehen wir heute an einer ähnlichen Zeitenwende? Parallelen scheinen vorhanden, was das Erreichen der Grenzen des Wachstums, die Energiekrise, gesellschaftliche Spannungen, macht­ politische Umbrüche oder die überbordende Geldpolitik anbelangt. Wir werden es wohl schon bald sehen. Der Blick zurück hat in unserem Magazin Tradition. Er ist in verschiedener Hinsicht erhellend. So erkennen wir zuweilen, 2

Editorial


dass viele vermeintlich neue Theorien und Konzepte schon früher in ähnlicher Form gedacht und realisiert wurden. Oder man ­entdeckt Qualitäten in Projekten, die zu ihrer Zeit oder von nachfolgenden Generationen als Bausünden abgetan wurden. Das Studium der Geschichte ist sowohl Inspiration als auch An­­ stoss, den aktuellen oder eigenen Ideen mit einer gewissen Skepsis und Demut zu begegnen und diese an historischen Erfahrungen zu testen. Der Mensch ändert sich in seinem Wesen kaum, in zunehmend ­beschleunigtem Mass ändern sich jedoch die technologischen Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen. Wie wir diese als Chancen in unserer Industrie nutzen, um altbekannten oder (scheinbar) neuen Herausforderungen zu begegnen, ist ein weiterer Themen­schwerpunkt dieser Ausgabe. Die Beiträge unserer neuen Rubrik Operations & Lifecycle (ab S. 98) zeigen Wege aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und einen effizienteren und nachhaltigeren Ressourceneinsatz auf. Mit Prozesslandschaften sowie neuen Arbeits- und Geschäftsmodellen beschäftigen sich dagegen die Beiträge der Rubrik Engineering & Production (ab S. 144). Besonderen Raum nehmen in diesem «Komplex» auch Begegnungen mit interessanten Menschen ein: Im Interview mit dem Archi­ tekten und Städteplaner Markus Schaefer zur «Industrious City» werden sich wandelnde Arbeitsformen in einer urbanisierten Welt vertieft (S. 110). Der Unternehmer Mark Imhof stellt uns Luucy vor, ein Start-up, mit dem er eine virtuelle Plattform geschaffen hat, in der räumliche Entwicklungen erlebbar gemacht ­werden und die helfen wird, gesellschaft­liche Herausforderungen zu diskutieren und auszuhandeln (S. 136). Eine ganz andere Sicht vermittelt uns die Künstlerin Sophie Bouvier Ausländer, die im Gespräch die Herleitung ihrer Kunst-und-Bau-Arbeit «Ursinae» für den BäreTower in Ostermundigen erläutert (S. 80). Mit Freude und einigem Stolz dürfen wir Ihnen die 15. Ausgabe unserer Magazinreihe «Komplex» vorlegen – ein wiederum vielfältiges und inspirierendes Heft. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre. Balz Halter Verwaltungsratspräsident Halter AG 3

Komplex Nr. 15/2022


www.halter.ch

Nr. 7 — 2014

k o M P l e X

2014

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k o M P l e X K O M P L E X

2015

K O M P L E X

nr. 8 — 201 5

dAs MAgAZin dEr hALtEr Ag

Nr. 9 — 201 6

25.04.11 16:22

K O M P L E X

K O M P L E X

2016

15 Jahre Komplex

Das MagaziN DEr haLtEr ag

2012

Nr. 9 — 2016

2009

BauEN iM BEstaND — DigitaLE urBaNität uND DiE NEuE staDt — MEhrwErtaBgaBE DEr LiMMat tOwEr iN DiEtiKON — aLEXaNDEr tschäPPät iM iNtErviEw — aMBassaDOr hOusE

2011

hAus dEr rELigiOnEn — ZEntruM EurOPAPLAtZ — hybridE häusEr MALL Of switZErLAnd — Ein hOchhAus für dAs ZwicKy-ArEAL — wOhnEn Mit sErvicEs

2008

www.halter.ch

nr. 8 — 2015

NR. 4

Das MagaziN Der halter ag

2011

Das Magazin von Halter Unternehmungen

Nr. 7 — 2014

NR. 4

KOMPLEX

Das hochhaus harD turM Park iN zürich-west – urbaNität iM liMMattal osterMuNDigeN ist überall – lebeN, wohNeN uND arbeiteN iM jahr 2024 – geNosseNschaftsbauteN

KOMPLEX

15 JAHRE KOMPLEX

2010

2011

Die Zentrumsüberbauung parkside 26

Von der Brache zum Wohnquartier 38 Stadtentwicklung Architektur

Das erste Hotel von Alfredo Häberli 52

mivune steuert die Haustechnik 76 Technologie Immobilien

Generalunternehmen im Wandel 98 Finanzen

2013


Nr. 13/2020

www.halter.ch

NR. 10 — 2017

K O M P L E X

5 NR. 10 — 2017

DAS MAGAZIN DER HALTER AG

NR. 11 — 2018

DAS TRANSITLAGER VON BJARKE INGELS — BETREIBERVERANTWORTUNG — 3D -VISUALISIERUNG UND BIM HOTELINVESTMENTS — JACQUELINE DE QUATTRO IM INTERVIEW — STADTPARKS — DAS MODELL DER GESAMTLEISTUNG

K O M P L E X K O M P L E X

NR. 11 — 2018

DAS MAGAZIN DER HALTER AG

MALL OF SWITZERLAND — DIGITALES 3D-STADTMODELL LIMMATSTADT — 100 JAHRE HALTER DAS GESAMTLEISTERMODELL — MOBILITÄT UND STADTENTWICKLUNG — DIGITALER ARCHITEKTURWETTBEWERB

K O M P L E X

2017 2018 2019

2020 2021 2022

Unsere Titelbilder von 2008 bis 2022. Jedes Heft kann online auf www.komplex-magazin.ch bestellt werden.

Komplex Nr. 15/2022


→ S. 2 Editorial

→ S. 4 15 Jahre Komplex

→ S. 7 Journal

Architektur & Design → S. 12 Verjüngungskur mit Vorlauf

→ S. 24 Der schiefe Turm von Basel

→ S. 42 Essay: Das Wachstum und seine Grenzen – Ein Rückblick auf die Architektur der Siebzigerjahre

→ S. 56 Die Landschaft bewohnen

→ S. 64 Smartes Klötzchenrücken

Gesellschaft & Umwelt → S. 72 Kolumne: Die Last der Einsprachenflut

→ S. 76 Die politische Stimme in Bern

→ S. 80 Interview: «Künstler erforschen die ganze Zeit Fragestellungen rund um ihre Arbeit»

→ S. 92 New Work in der alten Post

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Inhalt


Bewegung an der Aare

Ohne grosse Nebengeräusche wurde Ende 2021 die Nutzungsplanung für das Attisholz-Areal (Bild) durch den Regierungsrat des Kantons Solothurn genehmigt und von der Gemeinde Riedholz verabschiedet. Damit ist die wichtigste planerische Grundlage für die weitere Transformation des Areals rechtskräftig. Parallel dazu konnte der erste Studienauftrag gestartet werden, der das Kernareal mit einem Perimeter von rund 70 000 Quadratmetern umfasst. Sechs nationale und internationale Landschaftsarchitektur­büros erarbeiteten Vorschläge für dessen Frei- und Stadtraum­ gestaltung. Die Aufgabenstellung beinhaltete die Kernfrage, wie auf dem Attisholz-Areal eine zukunftsfähige und wandelbare Grundlage für die Entwicklung des Lebensraums für Bewohnende, Unternehmen und Besuchende geschaffen werden kann. Mit dem Büro DnD Landschafts­ planung aus Wien wurde ein sehr qualitätsvoller und vielversprechender Beitrag einstimmig zur weiteren Bearbeitung empfohlen. Somit sind die Weichen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Areals gestellt. Auch in diesem Sommer gibt es wieder ein abwechslungsreiches Kultur- und Freizeitprogramm in der einzigartigen Atmosphäre des stillgelegten Industriestandorts. Unter anderem locken das Streetfood-Weekend, das Techno-Festival Mission, ein Konzert von Krokus-Legende Marc Storace & Friends sowie Live-Übertragungen der WM-Spiele der Schweizer Nati in der Kies­ofen­ halle. Damit ist das Attisholz mehr denn je einen Ausflug wert. → www.attisholz-areal.ch

Arbeiten 2.0

Vor einem Jahr eröffnete mit The Branch im JED in der früheren NZZ-Druckerei an der Zürcherstrasse in Schlieren ein Co-Working Space für die Bau- und Immobilienbranche. Seitdem bietet das Branch Collab moderne Arbeitsplätze für Einzelpersonen sowie Gruppenbüros für Teams, eine Work Lounge, verschiedene Sitzungszimmer und zwei Big Rooms, die auch als Schulungsräume genutzt werden können. Das Angebot ist so begehrt, dass bereits im April dieses Jahres weitere Flächen eröffnet werden konnten. Diese umfassen neben zehn Zweier- und Viererbüros auch dreissig Free-Flow-Arbeitsplätze. Eine grosszügige Work Lounge mit Verpflegungsmöglichkeiten ergänzt das Angebot ebenso wie Meeting-Boxen für spontane Besprechungen und Phone Booths für ungestörtes Telefonieren. → www.thebranch.ch

Der grosse Plan

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Im Dezember 2021 erschien die zweite Ausgabe der renommierten Zürcher Kulturzeitschrift «Du» zum Thema Städtebau. Die Nummer wurde in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Bau­ kultur Schweiz erarbeitet und befasst sich mit der grossmassstäblichen Planung von Städten, die über administrative Grenzen in den funk­ tionalen Raum hineinreicht und damit die Stadt in Beziehung zu ihrem Umland setzt. Seit Anfang 2020 engagiert sich Balz Halter als Vizepräsident der neu gegründeten Stiftung. Die Organisation setzt sich für die Förderung und Stärkung einer hohen Baukultur in der Schweiz ein und möchte das Bewusstsein und den Dialog über den Wert einer qualitäts­vollen Planung stärken. → www.du-magazin.com, www.stiftung-baukultur-schweiz.ch


Für das Leben

Das belgische Start-up Nobi wurde gegründet, um den Alltag von hilfsbedürftigen Menschen ein­facher und sicherer zu machen. Die Idee seiner Neuentwicklung liegt in einer intelligenten Sturzerkennung, die in einer Leuchte integriert ist (Bild links). Sie kann im häuslichen Umfeld oder in Alters- und Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommen. Ihr Design ist ansprechend, aber bewusst zurückhaltend, damit nicht der Eindruck einer Überwachung entsteht. Die Leuchte kann aber noch mehr. Sie ist mit einer Lichtsteuerung und künstlicher Intelligenz ausgestattet, die sich die Bewegungsmuster im Tagesablauf merkt. So kann sie beispielsweise nachts automatisch Licht anmachen, wenn eine Person aus dem Bett aufsteht, oder Alarm melden, wenn gewohnte Tätigkeiten nicht eingehalten werden. Aus den gewonnenen Daten lassen sich auch Rückschlüsse auf den allgemeinen Gesundheitszustand von Nutzerinnen und Nutzern ableiten und entsprechende Betreuungs- und Pflegemassnahmen treffen. Mit dem Ziel einer internationalen Expansion hat das Unternehmen Anfang 2022 eine erfolgreiche Finanzierungsrunde abgeschlossen. Insgesamt konnte Nobi 13 Millionen Euro bei verschiedenen europäischen Fonds und Investmentgesellschaften akquirieren. Balz Halter ist Unterstützer erster Stunde und sitzt im Verwaltungsrat. → www.nobi.life

Nomen est omen

Die Halter AG konnte sich ein neues, grosses Entwicklungsprojekt sichern. Mit dem Kauf von zwei Büro- und Gewerbehochhäusern aus dem Jahr 1992 im aargauischen Lupfig (Bild Mitte) ist der Weg frei für eine Sanierung und Neu­ posi­tionierung unter dem Namen Futurama. Damit ein moderner, zukunftsweisender Standort an der Schnittstelle zwischen produzierendem Gewerbe, Lehr- und Forschungseinrichtungen sowie Gastronomie und Freizeit entstehen kann, soll die markante Architektur der Gebäude durch gezielte Interventionen aufgewertet werden. Die angestrebte Revitalisierung in direkter Nachbarschaft zum Green Datacenter setzt auf das Entwicklungs- und Synergie­ potenzial des Gewerbegebiets von Lupfig, einem Cluster des Hightech-Standorts Aargau.

Digital und smart

Durch die Digitalisierung und Vernetzung sowie die veränderten Bedürfnisse im Immobilienmarkt entstehen neue Aktionsräume im Gebäudebetrieb. Die Tend AG folgt diesem Trend und unterstützt zu­kunftsweisende Projekte im spannenden Umfeld der Tansformation. Mit dem gesamtheitlichen digitalen Betrieb von Immobilien werden neu­artige Nutzungs- und Anwendungsmöglichkeiten für hochwertige Kunden­ erlebnisse geschaffen. Modulare Bausteine in Kombination mit schlanken, neu gedachten Prozessen und Organisationen bilden dabei die Basis für einen kosten­effizienten und transparenten Betrieb. Sein Aufbau erfolgt stark kollaborativ in einem offenen Öko­ system von Partnern mit passenden Lösungen aus verschiedenen Domänen: für eine voraus­ schauende Konzeption in der Planungsphase, ihre konsequente Umsetzung und einen etablierten Betrieb. Gerade befinden sich verschiedene von der Tend AG begleitete Leuchtturmprojekte in der Realisierung. → www.tend.ch Journal


Zusammen entwickeln, gemeinsam umsetzen

Im Jahr 2017 gründete Halter die Entwicklungsgenossenschaft «Wir sind Stadtgarten» mit dem Ziel, Mieter­genossenschaften als Partner für die Planung und Umsetzung von Neu- und Umbauten in der ganzen Schweiz zu initiieren. 2021 konnten die Wohnungen der Genos­sen­ schaft Huebergass in Bern bezogen werden. Das Objekt wird nun mit punktueller Unterstützung eigenständig betrieben. Auch für 2022 gibt es Neuigkeiten: Neben der Lancierung der «Wir sind Stadtgarten»-Website wurde die Genossenschaft Rüüssegg gegründet. Mit ihrem neuen Projekt Seetalplatz in Emmen soll bezahlbarer, gemeinnütziger Wohnraum in der Region Luzern entstehen. Geplant ist eine breite Mischung verschiedener Wohnformen und ein lebendiger Ort mit sozialer Vielfalt. Dazu gehören Standardwohnungen, Mikro­apartments und rund 300 Wohnungen nach dem Genossenschafts­ modell. → www.wir-sind-stadtgarten.ch

Per Knopfdruck

MOVEment bietet ein überraschend cleveres Raumkonzept mit automatisch verschiebbaren Möbelmodulen für unterschiedliche Wohnsitua­ tionen (Bild rechts). Seit der Markteinführung steigt die Nachfrage Jahr für Jahr. So konnten 2021 zwei Projekte in Sion und Zürich mit rund 100 MOVEment-Wohnungen realisiert werden. Damit sind schweizweit inzwischen bereits 170 Wohnungen an vier Standorten in Betrieb. Zusätzlich befinden sich derzeit rund 55 Einheiten in Produktion, die ab 2022 an vier neuen Standorten zum Einsatz kommen. Weitere Planungen reichen bis ins Jahr 2024. Dann sollen 135 Einheiten in Halter-Projekten an sechs Standorten eingebaut werden. Um verschiedene Nutzergruppen anzusprechen, wird laufend an der technischen Weiterentwicklung und am Design des Produkts gearbeitet. Das Team um Geschäftsführer Alex Valsecchi entwickelt derzeit das Konzept MOVEment light, das sich speziell an die Bedürfnisse von Studierenden richtet. Das trifft auch auf Interesse aus dem Ausland: Derzeit laufen ­intensive Gespräche mit Unternehmen und Vertriebspartnern für das Lizenzgeschäft von MOVEment im gesamten europäischen Raum. → www.move-ment.ch

Das Portfolio der Zukunft

Moderne Immobilien zu managen, erfordert nicht nur ein Umdenken der Betreiber, sondern auch den Einsatz neuer Technologien. Die Building­ Cloud ist ein solches digitales Hilfsmittel. Als Daten- und Services-Integrationswerkzeug bietet sie eine Live-Sicht auf das Immobilienportfolio und damit auf jede einzelne Liegenschaft. Durch ihren Einsatz erhalten sowohl Immobilieneigentümer als auch Portfoliound Asset Manager volle Transparenz und Kontrolle über ein Portfolio, was eine kontinuierliche Performance-Steigerung m ­ öglich macht. Mit der BuildingCloud können die Themen Energie und CO2 sowie Bewirtschaftung, Erträge und Betriebskosten überwacht und optimiert werden. Das Tool wurde in den letzten eineinhalb Jahren im Halter-Ökosystem mit internen Arbeitsgruppen entwickelt und anlässlich der IMMO22 einem breiten Publikum vor­gestellt. → www.tend.ch

Komplex Nr. 15/2022


Vom Wein zum Wohnen

Auch die Halter-Niederlassung in Lausanne konnte 2021 erfolgreich akquirieren. Mit der Weinkellerei Schenk SA im waadtländischen Rolle entschied sich ein alteingesessenes Unternehmen für Halter als Entwicklungspartner. Zusammen will man das Projekt Cité du Vin (Bild) realisieren. Geplant ist zum einen der Neubau der Weinkellerei in direkter Nachbarschaft zum heutigen Standort. Zum anderen soll auf der frei werdenden Parzelle ein innova­ tives, lebenswertes Quartier für die Gemeinde ent­stehen. Mit der neuen Weinkellerei will man Massstäbe hinsichtlich Produktionstechnik, Ökologie und Gestaltung setzen: Die Cité du Vin soll – nach dem berühmten Vorbild von Bordeaux – zum Anziehungspunkt in der Westschweiz werden und Weinliebhabern die Region und ihre Produkte näherbringen. Dabei spielt die Nachhaltigkeit eine besondere Rolle. So wird beim Projekt etwa auf fossile Brennstoffe verzichtet. Stattdessen sollen 2500 Photovoltaikmodule Sonnenenergie in Strom umwandeln. Ausserdem will man das Wasser des Genfersees zum Kühlen und Heizen nutzen, und auch die gesamte Wärme, die in den Produktionsanlagen von Schenk entsteht, soll in das Energiesystem des Viertels eingespeist werden. Verläuft alles nach Plan, wird die neue Anlage im Herbst 2024 in Betrieb gehen können. → www.schenk-wine.ch

Expertise und Erfahrung

Per 1. Mai 2022 wechselte der ausgewiesene Immobilienspezialist Kurt Ernst Baumann zur Halter AG. Als Leiter Entwicklung und Mitglied der Geschäftsleitung wird er zukünftig die Geschäftseinheit Entwicklungen unterstützen. In den letzten Jahren ist das gesellschaft­ liche Bedürfnis nach preisgünstigem Wohnraum immer dringlicher geworden. In diesem Kontext baut auch die Halter AG kontinuierlich ihre Aktivitäten im genossenschaftlichen Wohnungsbau aus. Kurt Ernst Baumann wird in seiner neuen Position die schweizweite Verantwortung für die Bauherrenfunktion in den Projekten der von Halter gegründeten Entwicklungsgenossenschaft «Wir sind Stadtgarten» übernehmen. → www.wir-sind-stadtgarten.ch

Eine Region macht sich stark

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Der Raum entlang der Limmat ist eine abwechslungsreiche Stadtregion mit viel Potenzial. Die Standortförderung Limmatstadt hat es sich zum Ziel gemacht, diese brachliegende Kraft zu entfalten und den Limmattaler Städten und Gemeinden durch ein gemeinsames Selbstverständnis nicht nur mehr Gewicht, sondern auch mehr Anziehungskraft zu verleihen. Ihr neuer Auftritt «Limmatstadt. Raum für mehr.» soll das Wir-Gefühl stärken. Durch ihn entsteht eine Bühne, auf der sich die Region präsentieren kann — mit all ihrer Vielfalt, Dynamik und Innovationskraft. Das Motto zieht sich durch die gesamte Kommunikation der Standortförderung Limmatstadt. Zudem posi­ tionieren sich seit Anfang 2022 mehrere Limmattaler Gemeinden und Städte sowie die Zürcher Planungsgruppe Limmattal (ZPL) mit entsprechenden Logos als Teil der ganzen Region – als Journal Teil vom «Raum für mehr.». → www.limmatstadt.ch


Operations & Lifecycle → S. 98 Mehr Struktur im Label-Wald

→ S. 102 Kolumne: Open API oder von Lego lernen

→ S. 106 Für weniger Emissionen im Gebäudepark

Entwicklung & Städtebau → S. 110 Interview: «Effizienz ist das Gegenteil von Resilienz»

→ S. 120 Befreiungsschlag mit Freitreppe

→ S. 128 Was verstehen Sie unter dem Begriff Place­making, und was sind dessen erfolg­ versprechende Elemente und Prozesse?

→ S. 136 Nur noch kurz die Welt verändern

Engineering & Production → S. 144 Netto Null ist Fleissarbeit

→ S. 148 Ein Schulhaus in Rekordzeit

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→ S. 158 Kolumne: Intergrated Project Delivery über alles?

→ S. 162 Die Rollen neu verteilen

→ S. 168 Hier können alle nur gewinnen

→ S. 174 Die Halter-Gruppe auf einen Blick 11

→ S. 176 Impressum Komplex Nr. 15/2022


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VERJÜNGUNGSKUR MIT VORLAUF Text: Deborah Fehlmann Visualisierungen: Züst Gübeli Gambetti AG Fotos: Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich, Michael Wolgensinger, Wolf-Bender’s Erben

In den 1970er-Jahren war das Hotel International der schickste Ort in Zürichs Norden. Hier traf man sich an der Check Point Bar, im Snack-Restaurant Marmite oder im Hallenbad mit Sauna und Liegehalle. Nach der Umbenennung zum Swissôtel kam der Renovationsstau – und schliesslich Corona. Dem Konkurs folgte eine Zwischennutzung. Nun steht die Revitalisierung an. Mit Kleinstwohnungen, einem «Stadtbalkon» und einer hippen Hotel­ kette soll sich der Betonkoloss ab 2024 zum urbanen Biotop ­mausern. Vom erstaunlichen Wandel eines jungen Baudenkmals. 13

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In der Lobby des ehemaligen Swissôtels türmen sich Matratzen und Nachttische. Möbelpacker karren palettenweise Stehleuchten und Stühle nach draussen, wo unter dem langen Dach der Vorfahrt schon der Laster wartet. Darüber ragt der leer geräumte Hotelturm 85 Meter hoch in den Himmel. Direkt am Bahnhof liegend, ist er für viele Einheimische und Bahnreisende wohl das Wahrzeichen Oerlikons schlechthin. Nach gut 50 Jahren ohne umfassende Sanierung hat er seinen ursprünglichen Glanz allerdings ein­gebüsst. Die markante Tragstruktur und die Fassadenbänder aus gestrichenem Beton sind verwittert, die Alufenster stumpf, und im Sockelbereich wurde über die Jahre mit Not­ treppenhäusern und Lüftungs­kanälen gebastelt. Der bauliche Zustand war ein Grund, warum die Credit Suisse im Auftrag des Immobilienfonds, der das Gebäude seit 2012 besitzt, seine Umbau- und Entwicklungsper­ spektiven bereits 2018 durch die Halter AG ausloten liess. Der andere waren die sinkenden Belegungszahlen des Hotels. Die Corona-­ Pandemie schuf 2020 Tatsachen: Das Swissôtel ging Konkurs, und die Credit Suisse musste schneller als geplant handeln. Bunte Aufkleber und Schilder in den Treppenhäusern erinnern noch an die Zwischennutzung mit Co-Living und Pop-up-Hotel, die Anfang 2021 hier einzogen, um einen Leerstand während der Planungszeit zu vermeiden. Nun gehen die Lichter im Turm zum ersten Mal seit seiner Eröffnung als Hotel International 1971 für längere Zeit aus. Gut zweieinhalb Jahre werden die Umbauund Sanierungsarbeiten unter der Leitung von Halter Renovationen dauern. Im Spätsommer 2024 sollen die ersten Räume wieder bezogen werden – allerdings nicht nur von Hotel­ gästen, sondern auch von permanenten Bewohnerinnen und Bewohnern. Internationale Monokultur «Das Hochhaus ist ein idealer Stadtbaustein für diese zentrale Lage», findet Architekt Roman Züst, der mit seinem Büro Züst Gübeli Gambetti die Revitalisierung plant. Er ­verweist damit auf die für die Nachkriegszeit typische Gebäudeform mit grossflächigem Sockel und Turm darauf. Die niederen Sockelbauten vermitteln dabei in der Regel mit öffentlichen Nutzungen zum Stadtraum, die Wohn- oder Bürotürme sorgen für bauliche Dichte und die gewünschte Fernwirkung. Verwandte Zürcher Beispiele sind etwa das Geschäftshaus zur Palme von Häfeli Moser 14

Steiger aus dem Jahr 1964 oder die 1967 ­fertiggestellte Überbauung Zum Bauhof von ­Werner Gantenbein. «Mit der bisherigen Hotelnutzung hatten wir hier aber eher eine Monokultur», sagt Roman Züst. Tatsächlich richtete das Hotel sein Angebot von Beginn an vollständig auf Gäste aus der Ferne aus und blieb dem Quartier trotz Gastronomie und Läden im ­Erdgeschoss weitgehend fremd. Das Interna­ tional warb nicht nur mit seiner zentralen Lage zwischen Stadtzentrum und Flughafen, sondern war vom weltumspannenden Reise­ verkehr geradezu inspiriert. In der Lobby fanden sich zwei Bankfilialen, ein Gross­ kiosk, eine Autovermietung und ein hauseigenes Swiss­air-Reisebüro. Das erstaunt wenig, steckten doch hinter der Bauherrschaft Hotel Interna­tional AG nebst dem Zürcher Bau­ unternehmer Karl Steiner die Schweizerische Volksbank (1993 von der heutigen Credit Suisse aufgekauft), die Schweizerische Bankgesellschaft (1998 mit dem Schweizerischen Bankverein zur UBS fusioniert) und die Swissair.1 Das erste Obergeschoss bot Kongresssäle und Banketträume mit der neusten technischen Ausstattung. Neben ihrem Konferenz- oder Urlaubsprogramm konnten die internationalen Gäste in der Ladenstrasse im Erdgeschoss Schmuck und Schuhe kaufen oder sich frisieren lassen. Für das kulinarische Wohl sorgten die Bar Check Point und das Snack-Restaurant ­Marmite. Die 23 Turm-Etagen fassten 348 Hotelzimmer, ein Panorama-Restaurant mit ­Tanzbar und – in der aluminiumverkleideten Krone – ein Hallenbad mit Sauna und Liegehalle.2 Wandelbare Schottenstruktur Auch konstruktiv war das Grosshotel auf dem neusten Stand der Technik. Karl Steiners Generalunternehmung plante es in Zusammen­ arbeit mit dem Architekten Fred Widmer und leitete auch den Bau. Vom zweigeschossigen Sockelbau abgehoben, ruht der Turm auf einem Tisch aus geschosshohen Betonträgern, die zum Bahnhof hin kühn in den ­Strassenraum ragen. Für die Zimmergeschosse darüber kam das sogenannte Allbetonsystem des schwedischen Bauunternehmens Skanska zum Einsatz. Statisch handelt es sich dabei um eine Schottenbauweise mit betonierten Innenwänden und Decken. Die Verwendung von ­raumgrossen, wiederverwendbaren Schalungen verkürzt aber die Bauzeit gegenüber einem Architektur & Design



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Architektur & Design


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Grundriss 2. Obergeschoss : Das Dach des Sockelgeschosses wird zum Grundriss Stadtbalkon mit 2. Obergeschoss Pergola und Café. 31.01.2022

F a ltw a n d

N

Umbau und Umnutzun 0 2 5 : Trotz 10 neuer Innenraumgestaltung 20 Erdgeschos Grundriss Erdgeschoss bleiben dieGrundriss weitläufige Hotellobby, die Gewerberäume und das Restaurant nutzungsmässig unverändert. 31.01.2022

Umbau und Umnutzung Hotelhochhaus, Zürich

R o llto r


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Grundriss 14.— 20. Obergeschoss : Die denkmalgeschützte Tragstruktur wird bei der Umnutzung möglichst geschont. Zwei Hotelzimmer werden jeweils zu einer Kleinwohnung.

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konventionell geschalten Betonbau deutlich. Für den Rohbau eines Normalgeschosses mit Hotelzimmern entlang der Fassaden, zwei Längskorridoren und einer Erschliessungszone dazwischen benötigten die Bauarbeiter in Oerlikon bloss acht Tage.3 Die Kehrseite der Medaille: Die Struktur ist rigide, und Grundrissveränderungen sind aufwendig. Erste Ideen der Architekten, die unbelichtete Mittelzone zugunsten ­grösserer Raumtiefen aufzuheben, erübrigten sich ohnehin rasch. Als «hervorragender Zeuge der Nachkriegsmoderne mit schweizweiter Ausstrahlung»4 steht das Gebäude seit 2021 unter kommunalem Denkmalschutz. Besonders schützenswert befand die Denkmalpflege nebst der Fassade die dreibündigen Turmgrundrisse, die nebenbei gesagt typisch für Bürohochhäuser, nicht aber für Wohnbauten aus der gleichen Zeit sind.5 Wie also soll sich dieser starre Betonriese von einer Monokultur in ein vielfältiges Biotop verwandeln? «Die Struktur kann viel», sagt Roman Züst und erklärt das Projekt: Bis ins zwölfte Obergeschoss wird der Turm auch künftig Hotelzimmer beherbergen. Dort erfordern die neuen Badezimmer und der Ersatz der Haustechnik nur kleine Eingriffe in die Tragstruktur. Im oberen Teil des Turms nehmen gut 38 Quadratmeter grosse Zweizimmerwohnungen je zwei Hotel­ zimmerbreiten ein. Zur Verbindung von Wohnund Schlafbereich sind hier zusätzlich Wanddurchbrüche notwendig. Die Hotelzimmer an den Schmalseiten des Turms werden aufgeteilt und den grösseren Eckwohnungen zugeschlagen. Noch kompakter wohnen die künftigen ­Mieterinnen und Mieter des 21. und 22. Obergeschosses. Die als Minilofts betitelten Kleinstwohnungen dort entsprechen der Grösse eines Hotelzimmers. Sie zeichnen sich aber durch mehr Raumhöhe im Wohnbereich und einen über Eingang und Badezimmer liegenden ­«Kofferraum» aus, der sich mit einer Leiter erklettern lässt. Manch einer wird den ­Stauraum vielleicht als Schlafkajüte nutzen – ­wer weiss. Treffen sollen sich die Bewohner dieser Klein- und Kleinstwohnungen in den gemeinsamen Waschsalons im Zentrum jedes Stockwerks. Über das oberste Geschoss und die zweistöckige Krone schliesslich werden sich sechs sogenannte Townhouses mit je vier Zimmern erstrecken. Sie besitzen Zugang zur Dachterrasse und haben damit als einzige

Grundriss 25. Obergeschoss : Unterhalb der Gebäudekrone, im Bauch der fensterlosen Technikzentrale, liegen die Eingangsbereiche der dreistöckigen Townhouses.

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Wohnungen im 23 Stockwerke zählenden Turm einen privaten Aussenraum – noch dazu mit atemberaubender Weitsicht. Bunte Gemeinschaft Vor allem soll sich das Haus aber mehr mit der Stadt verbinden. Eine breite Wendeltreppe wird die Öffentlichkeit künftig vom Bahnhof her auf den «Stadtbalkon» locken, wie Architekten und Bauherrschaft die Terrasse auf dem Dach des zweigeschossigen Sockelbaus nennen. Dort können sich dann Bewohnerinnen, Bewohner und Hotelgäste genauso wie Nachbarn unter einer neuen Pergola zu Kaffee und Apéro ­treffen. «Die Zugänglichkeit ist uns wichtig», betont Jessica Lindauer. Als Fondsmanagerin bei der Credit Suisse ist sie verantwortlich für den Immobilienfonds, dem die Liegenschaft gehört. «An einem so prominenten Ort muss man die Öffentlichkeit ein­beziehen.» Für ein einladenderes und vor allem jüngeres Gesicht des Hotelbereichs soll die knallige Hotelmarke Mama Shelter aus F ­ rankreich sorgen, die wie Swissôtel zur Accor-Gruppe gehört. Die Zusage von Mama Shelter Ende 2021 freute Jessica Lindauer besonders: «Wohnungen und Hotel sprechen ein ähnliches Publikum an – junge und junggebliebene, urbane Menschen, die viel reisen und gerne Zeit ausserhalb ihrer eigenen vier Wände verbringen.» Sie hofft, dass das Haus leben und sich wie zu Zeiten der Zwischennutzung eine Community bilden wird. Auch deshalb werden die Kon­ ferenz- und Banketträume zugunsten von frei nutzbaren Aufenthalts­räumen und Co-Working Spaces reduziert. Räumliche Umschichtung Bis das neue Leben in den Turm einziehen kann, gibt es noch viel zu tun. «Allein die Schadstoffsanierung dauert fünf bis sechs Monate», sagt Alexander Delev, Mitglied der Geschäftsleitung bei Halter Renovationen. Auch die Koordination der Haustechnik sei anspruchsvoll. In den Untergeschossen kommt einiges an Installationen hinzu, unter ­anderem für die neuen Fussbodenheizungen in den Wohnungen. Weil die heutigen Normen im Sockelbereich und den Untergeschossen statische Verstärkungen zur Erdbebensicherheit verlangen, muss die gesamte Elektro­ verteilung verlegt werden. Während es unten enger wird, leert sich das 1,70 Meter hohe Zwischengeschoss unter dem früheren Panorama-Restaurant. Die Minilofts 22

gewinnen dadurch Überhöhe und Kofferraum. Auch in der Technikzentrale unter der Krone, wo sich bisher Kanäle des Wellness­bereichs kreuzten, gibt es Platz. Hier enden die Aufzüge, und künftig befinden sich im Bauch des unbefensterten Geschosses die Eingänge und Essbereiche der Townhouses. Tageslicht wird über Deckendurchbrüche aus dem oberen Geschoss hinabfallen. Weitaus sanfter als im Inneren gehen die Bauarbeiten an der geschützten Fassade ­vonstatten. Die vorfabrizierten Betonbrüstungen werden innen gedämmt, aussen gewaschen und erhalten einen neuen Anstrich im originalen Farbton. Die Fenster aus dem Erstellungsjahr wurden in den Neunzigerjahren energetisch ertüchtigt. Die Begutachtung durch einen Fensterspezialisten und die Denkmalpflege ergab, dass sie sich vor Ort instand stellen lassen. «Aus denkmalpflegerischer Sicht hätten wir die Fenster ersetzen dürfen», erklärt Alexander Delev, «aber so ist es ökolo­­gischer.» Was dem Hochhaus noch fehlt, ist ein neuer Name. Vielleicht bietet sich ja eine Rück­ besinnung auf die Ursprünge an. Mit dem auf Arbeitsnomaden ausgerichteten Hotel Mama Shelter unten, Minilofts für Globetrotter darüber und Townhouses für Empty Nesters zuoberst würde «International» doch eigentlich gut passen. 1 2 3 4

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Steiner (Hrsg.), Hotel International, Zürich 1972, S. 4 Ebd., S. 15 ff. Ebd., S. 11 ff. Stadt Zürich, Amt für Städtebau, Fachbereich Inventarisation und Denkmalpflege (Hrsg.), Abklärung der Schutzwürdigkeit. Schulstrasse 44, Hofwiesenstrasse 360, Hotel International (heute Swissôtel), 27. April 2020, S. 50 Ebd., S. 37

Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG Roman Züst, Michel Gübeli und Andrea Gambetti waren bereits erfahrene Architekten, als sie 2010 ihr gemeinsames Büro in Zürich gründeten. So liessen grosse Aufträge nicht lange auf sich warten: Zu ihren Frühwerken gehören der Umund Weiterbau des Hero-Areals in Lenzburg (2015–2017), die Erweiterung des Google Headquarters (2013) und das neue Büro- und Seminargebäude HCP der ETH (2015), beide in Zürich. Heute beschäftigt die Firma gut 70 Mitarbeitende. Sie arbeitet vom Produktdesign bis zum Städtebau in allen Massstäben und bietet auch Planungs- und Beratungsleistungen an. Neben der Revitalisierung des Hochhauses in Oerlikon planen Züst Gübeli Gambetti derzeit mehrere Wohn- und Gewerbeüberbauungen im Raum Zürich. → www.z2g.ch

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S. 12 – Das Hochhaus zeigt die für die Nachkriegszeit typische Gebäudeform mit grossflächigem Sockel und Turm darauf. Nun soll es revitalisiert werden. S. 15 – Statt Hallenbad und Wellness bietet die Hochhauskrone künftig originellen Wohnraum. Die dreigeschossigen Townhouses haben die beste Aussicht und als einzige ­Wohnungen im Turm auch einen privaten Aussenraum (oben). Die heute verwaiste Dachterrasse des Sockelbaus soll dank einem Café und einer neuen Pergola zum belebten Stadt­ balkon werden (unten). S c h le u s e

S. 16/17 – In seinen Anfangsjahren – hier Fotos von 1972/73 – gab sich das Hotel International seinem Namen entsprechend weltgewandt. Unterkunft und Gastronomie trafen den Geschmack der internationalen Kundschaft, Konferenzräume und Erholungsangebot entsprachen dem Stand der Technik. Umbau Umnutzung S.und 18/19 – Hotelhochhaus, WährendZürich das

Äussere über die Jahre weitgehend 2 5 10 sich 20 blieb, 0wandelte der Innenausbau des 31.01.2022 Hotels stets mit den aktuellen Trends, wie historische Aufnahmen aus dem Jahr 1984 zeigen. unverändert Schnitt B-B

Schnitt : Grössere Eingriffe in die geschützte Struktur finden in den obersten Geschossen und der Krone statt. Dort ermöglichen Deckenabbrüche den Einbau von überhohen Minilofts und Townhouses.

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S. 23 – Eine breite Wendeltreppe gegenüber dem Bahnhof soll nicht nur Hotelgäste, Bewohnerinnen und Bewohner, sondern auch die Öffentlichkeit auf den Stadtbalkon einladen.

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DER SCHIEFE TURM 24 VON BASEL Text: Christine Marie Halter-Oppelt Fotos: Lucas Peters

Der Blick aus der Ferne zeigt ganz klar: Die Stadt Basel hat mit dem Claraturm einen neuen Solitär in ihrer Hochhauslandschaft hinzugewonnen. Mit 30 Geschossen und fast 100 Metern Höhe ist er zwar ein wenig kleiner als der Messeturm in nächster Nähe, doch nicht zuletzt seine braun eloxierte Aluminium­ fassade gibt ihm eine besondere Präsenz. Auch die abgeschrägte Form, die sich wie ein Keil gegen den Himmel stemmt, drückt Stärke und Charakter aus. Wer sich dem von Morger Partner Architekten entworfenen Riesen nähert, der wird feststellen, dass er auch in seinem architektonischen Kontext besteht. Das höchste Wohnhochhaus von Basel ruht auf einem Eckgrundstück zwischen Clarastrasse und Riehenring und schliesst mit seinem fünf­geschossigen Annex den bestehenden Blockrand ab. Im August 2018 wurde Halter von der Balintra AG damit beauftragt, dieses komplexe Gebäude zu bauen. Die Projektgeschichte reichte bis ins Jahr 2007 zurück, in dem ein Wettbewerb die ersten Ideen definiert hatte. Rund elf Jahre später, nach langwierigen Planungsarbeiten und vielen Hürden, konnten die Bagger endlich auffahren und die bestehenden Gebäude abbrechen. Auch die Ausführungszeit blieb mit Herausforderungen ver­ bunden – Corona war nur eine davon. Trotz allem erfolgte die Übergabe an die Bauherrschaft termingerecht. Im Dezember 2020 konnten 60 Wohnungen im Annex, davon 35 mit MOVEment-­ Technologie, fertig­gestellt werden. Ende Oktober 2021 folgten 225 Mietwohnungen im Hochhaus sowie die sanierte Liegenschaft ­Clarastrasse 57 mit weiteren 19 Mietwohnungen. Seitdem wirkt der Claraturm gerade auch bei Nacht wie eine feste Burg im Stadtgewimmel. → Weitere Projektinformationen und Pläne unter «Claraturm» auf www.komplex-magazin.ch Architektur & Design




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S. 25 – Über den Rhein hinweg fällt der Blick auf die Kleinbasler Häuserzeilen, deren Ursprünge weit in die Jahr­ hunderte zurückreichen. Dahinter ragt der Claraturm, das neuste Basler Hochhaus, wie ein schwarzer Monolith in den Himmel. S. 26 – Die Mittlere Brücke verbindet Grossbasel mit Kleinbasel. Sie geht in die Greifengasse über, die wiederum auf die Clarastrasse mündet, an deren Ende der vom Architekturbüro Morger Partner entworfene Claraturm steht. S. 27 – Entlang der geschäftigen Clarastrasse liegen Läden, Banken, Restaurants und ein Hotel. An der Ecke zum Riehenring ragt der Claraturm in den Himmel, gleich vis-à-vis schimmert die metallverblendete Messehalle der Architekten Herzog & de Meuron. S. 28/29 – Der Haupteingang des Claraturms grenzt direkt an den Riehenring. Sein grosszügiges Foyer mit Lichtinstallation wurde mit Natursteinplatten aus italienischem Travertin belegt. Die Betonwände tragen eine subtile Farblasur. S. 30 – Über eine Wendeltreppe gelangen die Mieter vom sechsten Obergeschoss aus zum Pool. Er wurde auf dem Flachdach des Annexes installiert und ist 12 mal 4,50 Meter gross. S. 31 – Blick in den neuen Innenhof, der an die Liegenschaft Clarastrasse 57 grenzt. Ein grüner Garten mit Sitzbänken und Pergola soll zum friedlichen Rückzugsort werden. Für Velos gibt es einen überdachten Unterstand. S. 32 – Braun eloxierte, vorgefertigte Fassadenelemente markieren die klaren architektonischen Linien der Hochhausfassade. Die abgeschrägte Form des Wohnturms erzeugt dynamische Wirkung. Die Lamellenstoren verändern durch ihre Stellung beständig sein Erscheinungsbild. S. 33 – In einer der oberen Wohnungen grenzt der unverkennbare braune Innenfassadenabschluss direkt an das Eichenlangriemenparkett an. Die Kücheninsel wurde unmittelbar vor die bodentiefe Fensterfront gesetzt, in die doppelflügelige, französische Fenster eingebaut sind.

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S. 34/35 – Gegenüber den Fenstern stehen vorgefertigte, schräge Betonpfeiler, die das Tragwerk des Hochhauses offen­ baren. Auch die Metallseile auf der Aussenseite, die die Storen beidseitig führen, sind ein charakteristisches Bauteil. Dank einer Dreifachisolierverglasung ist ins­ besondere in den oberen Geschossen kein Strassenlärm zu hören. S. 36 – Das Fluchttreppenhaus ist funktional – mit verzinkten Metallstaketengeländern und vorgefertigten Betontreppen­ elementen. Bei einem möglichen Brandfall sichert die Rauch­ druckanlage den vertikalen Fluchtweg rauchfrei ab. Dieser technische Brandschutz ist ein massgeblicher Faktor für die Inbetriebnahme eines Hochhauses. S. 37 – Breite Korridore erschliessen sechs bis neun Wohnungen pro Geschoss. Sie sind mit dezenten hellen Kunst­ steinböden sowie mit der gleichen Lasur an den Betonwänden ausgestattet, wie sie auch im Foyer zum Einsatz kam. Der weiss umrahmte Deckenbereich sowie spezielle Einbauleuchten wirken freundlich und einladend. S. 38 – Beim Claraturm wurden die Haustechnikanlagen nicht nur in den Untergeschossen, sondern auch im dreissigsten Obergeschoss angeordnet. Sie umfassen Monoblöcke, sichtbare Leitungsführungen sowie eine Fassadenbefahranlage mit Hebebühne. Aufgrund der speziellen Form des Hochhauses ist für die verschiedenen Fassadenebenen während der Wartung und Reinigung ein Teleskop nötig. S. 39 – Vom 105 Meter hohen Messeturm aus blickt man an der Halle 2 vorbei über den Bau von Herzog & de Meuron auf den Claraturm. Das Büro von Morger Partner setzt mit seinem Wohnhochhaus einen markanten Gegenpol zur Messearchitektur. S. 40 – Die sanierte siebengeschossige Liegenschaft Clara­ strasse 57 von Diener & Diener Architekten aus den 1980er-Jahren gewinnt mit dem Claraturm ein neues Gegenüber. Von der Clarastrasse aus gesehen verbinden sich beide Gebäude zu einem Stück Stadtarchitektur.

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DAS WACHSTUM 42 UND SEINE GRENZEN EIN RÜCKBLICK AUF DIE ARCHITEKTUR DER SIEBZIGERJAHRE Text: Hubertus Adam

Jörg Müllers Mappenwerk «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder» (1973) – hier vier der sieben Tafeln – veranschaulicht die Veränderung eines fiktiven Ortes zwischen 1953 und 1972. © «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder»

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Die Jahre um 1970 bilden eine epochale Zäsur und lassen sich als Zeit eines fundamentalen Wandels werten – das in gesellschaftlicher, sozialer, politischer und schliesslich auch in architektonischer Hinsicht. Die wichtigen Heroen der modernen Architektur waren in den vorausgegangenen fünf Jahren verstorben: Le Corbusier 1965, Walter Gropius und Mies van der Rohe 1969, Richard Neutra 1970; insofern ereignete sich auch ein Generationenwechsel. Verschiedene Daten markieren den Abschied von der Idee der kontinuierlichen Innovation, Expansion und Progression: die Studierendenproteste von 1968, der Bericht des Club of Rome über die «Grenzen des Wachstums» von 1972, die Ölkrise des Jahres 1973 und schliesslich das Europäische Denkmalschutzjahr 1975. In der Zeitschrift «Das Werk» veröffentlichte Lucius Burckhardt 1973 seine «Kritik der sechziger Jahre», in der es heisst: «Die sechziger Jahre brachten die Krise der unbekümmerten Architektur, die jede Aufgabe von Grund auf einer demonstrativen Lösung zuführte. […] Die frischfrohe Architektur auf der tabula rasa […] zeigte erste Zeichen des selbstverschuldeten Niedergangs.»1 Illustriert war der Beitrag unter anderem mit Abbildungen aus dem im gleichen Jahr erschienenen Mappenwerk «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder» des Illustrators Jörg Müller.2 Die sieben grossformatigen Klapp­tafeln, durch die Verwendung im Unterricht auch ausserhalb der Schweiz weit verbreitet, zeigen die sich zwischen 1953 und 1972 ereignende Veränderung einer fiktiven Ortschaft des Schweizer Mittellands mit dem sprechenden Namen Güllen, der zuvor von Dürrenmatt für den Schauplatz von «Der Besuch der alten Dame» verwendet worden war. Auch wenn Müller seine Illus­ trationsfolge nicht polemisch verstanden wissen wollte, erfolgte die Rezeption doch vor dem Hintergrund einer dekadenzkritischen Gesamtwahrnehmung. Müller hatte im Untertitel des Werks zwar von der Veränderung der Landschaft gesprochen, wahrgenommen aber wurde deren Zerstörung. Mit dem sogenannten Lehrcanapé, das zwischen 1970 und 1973 bestand, erprobte Burckhardt an der ETH Zürich eine unhierarchisch-experimentelle Form des Lernens und stellte das Bild des Architekten und seine Rolle in der Gesellschaft zur Diskussion. Radikaler traten die deutschen Gastdozenten Jörg Janssen, Hans-Otto Schulte und Hermann Zinn auf, die gemeinsam mit ihren Studierenden die Wohnungsbautätigkeit der Generalunternehmung Ernst Göhner AG analysierten.3 Der marxistische Ansatz wurde 1 2 3

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Lucius Burckhardt, Kritik der sechziger Jahre, in: Das Werk 60, 12/1973, S. 1588–1600, hier S. 1588. Jörg Müller, Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder Die Veränderung der Landschaft, Aarau 1973. Architektenkollektiv an der ETH Zürich (Hrsg.), «Göhnerswil» – Wohnungsbau im Kapitalismus, Zürich 1972.

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abgestraft, die Dozenten mussten 1971 die Hochschule verlassen. Das führte zu weiterem Unmut an der Architekturabteilung. ­Entschärft werden konnte die Krise ein Jahr später durch die Berufung von Aldo Rossi als neuem Gastdozenten. Der Mailänder Architekt war bekennender Eurokommunist und genoss damit Glaubwürdigkeit unter den aufbegehrenden Studierenden, er wandte sich aber von der soziologischen Herangehensweise ab und kanalisierte die Energie in die Zeichensäle, indem er Archi­ tektur als autonome Praxis verstand – so wie es auch die Tessiner Kollegen ungefähr zeitgleich versuchten. Rossi wurde gleichsam zu einem Gründungsvater einer neuen Schweizer Architektur, die seither das Bild helvetischen Bauens bestimmt. ­Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die sowohl bei Burckhardt als auch bei Rossi studierten, stehen beispielhaft für diese Traditions­­linie. Utopien und Visionen

Von der Umbruchsituation in der Schweizer Architektur um 1968 zeugen aber auch eine Reihe weiterer zeitgenössischer Positionen und Tendenzen, die heute eher vergessen werden. Zu nennen in diesem Zusammenhang sind zum Beispiel die in der französischen Schweiz und im benachbarten Frankreich tätigen Organiker Pascal Häusermann und Daniel Grataloup, die sich mit Maisons Bulles beschäftigten, also blasenförmigen Häusern aus armiertem Spritz­ beton. 1968 schuf Häusermann gemeinsam mit seiner Frau Claude Costy sein eigenes Atelierhaus La Ruine in Minzier nahe Genf: eine Architekturplastik, Wohnhöhle und Aussichtsplattform zugleich. Ein Jahr zuvor war in Raon l’Étape das Hotel L’Eau vive entstanden – jedes der Hotelzimmer besteht aus einer Bubble, die grösste von diesen dient als Rezeption und Café. 1966 hatte sich Häusermann der Groupe International d’Architecture Pro­ spective (GIAP) angeschlossen, einem lockeren Zusammenschluss, der zwischen 1965 und 1970 bestand. Neben Yona Friedman, Ionel Schein und Michel Ragon zählte zu den Mitgliedern auch der deutsch-schweizerische Künstler und Architekt Walter Jonas, der seit den frühen Sechzigerjahren an der Intrapolis arbeitete, einer Stadt aus Trichterhäusern. Individualität und Kollektivität neu auszutarieren, war einer der zentralen Gedanken der Zeit, und es ist auffällig, dass gerade Feriensiedlungen hierfür ein beliebtes Experimentierfeld bildeten. Mit diesen beschäftigte sich ausgiebig der ebenfalls mit GIAP verbundene Zürcher Architekt Justus Dahinden; er entwarf in den späten Sechzigerjahren verschiedene – zumeist unrealisierte – Gemeinschaftssiedlungen, die er in diversen Zeitschriften und Büchern veröffentlichte. Die der Pop-Ästhetik 44

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verpflichtete Freizeitstadt Kiryat Ono bei Tel Aviv blieb ebenso Projekt wie die aus kuppelförmigen Hügeln bestehende Radio City. Doch gelang es Dahinden immerhin, einige seiner kleinmass­ stäblicheren Visionen umzusetzen. Dazu zählen das Trigon-­ Dorf im Zürcher Doldertal (1966–69), dessen variable Grundmodule dreieckige Raumzellen von 50 Quadratmetern bilden, aber auch die Münchner Grossdiskothek Schwabylon (1970–74), die sich indes als Fehlinvestition erwies und kurze Zeit später abge­ rissen wurde. Schon zuvor hatte er in München zusammen mit dem Bildhauer Bruno Weber das Tantris (1971) errichtet, das dank Eckart Witzigmann und seiner Nouvelle Cuisine den Rahmen für eine kulinarische Revolution bot. Einer Hoteliersfamilie entstammend, war es vielleicht kein Wunder, dass Dahinden sich immer wieder mit Hotel- und Freizeitarchitekturen befasste, darunter auch das Hotel Twannberg über dem Bielersee (1980). Mit dem Thema der Gruppierung von Wohnzellen setzte sich zu dieser Zeit auch der Schweizer Architekt André M. Studer aus­ einander. 1967/68 war er mit der Projektierung der Ferienwohnanlage Paradiesli nahe dem luzernischen Dorf Altwis befasst. Diverse Skizzen zeigen Studers Suche nach geeigneten Typen für aufgeständerte Wohnzellen, um den Hang nicht vollständig zuzubauen. Die Ausführung war zunächst in Beton, dann in glas­ faserverstärktem Kunststoff vorgesehen. Dabei holte sich Studer Rat bei dem auf Schalen- und Kunststoffbauten spezialisierten Ingenieur Heinz Isler. 1968/69 griff er für den Wettbewerb einer ETH-Studentensiedlung auf dem Zürcher Hönggerberg die Idee ­aufgeständerter Typenhäuser auf, diesmal in Form von Pilztypen mit zentraler Stütze und zwischen zwei Erschliessungstürmen ein­gehängten Hauselementen. Studer verstand seinen Entwurf als «bau-biologisches Geflecht» und hob die «offene Wechselbe­ ziehung zwischen Individuum + Gruppe» hervor.4 Ökologische und soziologische Überlegungen sollten mithin zeittypisch in das Projekt einfliessen. Mit seinen Ideen stand Studer nicht allein. Kunststoffhäuser waren seit den Fünfzigerjahren ein aktuelles Thema. Neue Werkstoffe beflügelten Experimente, die aber selten zu mehr denn zu Prototypen führten. Der Basler Architekt Angelo S. Casoni präsentierte 1969 auf der Mustermesse Basel und dann 1971 auf der Internationalen Kunststoffausstellung ika 71 im deutschen Lüdenscheid sein Konzept Rondo. An Versorgungsschächten auf­ gehängt, sollten die Raumzellen zu baumartigen Strukturen vereint werden, ähnlich wie es sich auch Häusermann und Grataloup vorstellten; fast durch Zufall hat eines der Rondo-Häuser von Casoni in einem Gewerbegebiet von Freiburg im Breisgau überlebt.

Das Ferienhotel Twann­berg (1980) von Justus ­­ Dahinden basiert auf einer hexagonalen Grundstruktur. Das Rot der Fenster, Fas­saden und Dachspitzen kontrastiert mit dem Grau der Dächer und Rauputzflächen. © Hubertus Adam 4

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Zitate aus dem Baubeschrieb von André M. Studer; Nachlass Studer, gta-Archiv, ETH Zürich.

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Justus Dahindens Kompendium «Stadtstrukturen für morgen» (1971) vereint visionäre und utopische Siedlungsmodelle. Darunter findet sich auch sein eigenes Projekt Radio City – kreisförmige Wohnhügel mit Terrassenhäusern auf der ­Kalotten-Aussenseite und Gemeinschaftseinrichtungen im Inneren. © «Stadtstrukturen für morgen»

Mit dem Projekt der kegelstumpfförmigen Freizeitstadt – hier der Schnitt – in Kiryat Ono östlich von Tel Aviv entwickelte Justus Dahinden seine Idee der Radio City weiter. Der Hügel für 3000 Einwohnerinnen und Einwohner sollte im Inneren Gemeinschaftseinrichtungen enthalten; Luftkissen schliessen die Innenwelt nach oben hin ab. Für die in die Tragstruktur eingeschobenen Raumzellen sah der Architekt kunststoffgeschäumte Sandwichschalen vor. © «Stadtstrukturen für morgen»

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1971 veröffentlichte Justus Dahinden «Stadt­strukturen für morgen». Die Um­schlag­ illustration zeigt das Projekt Pneumacosm der österreichischen Architekturgruppe Haus-Rucker-Co. © «Stadtstrukturen für morgen»

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Casonis Prototpyen repräsentieren den Versuch, individuelle Raumzellen kommerziell fruchtbar zu machen; doch auch in den Avantgarde-Zirkeln Wiens beschäftigte man sich zu dieser Zeit mit dem Thema. In den aktionistischen Künstler-Architekten-­ Gruppen, die um 1968 in Wien entstanden, faszinierten ins­ besondere ­pneumatische Konstruktionen, also aufblasbare und begehbare Gebilde. Als Pioniere fungierten Haus-Rucker-Co, denen dann Coop H ­ immelblau nachfolgte. Mit der Aktion Restless Sphere traten Coop Himmelblau 1971 auch in Basel auf und rollten in einer vier Meter hohen pneumatischen Plastikkugel durch die Basler Innenstadt. Im gleichen Jahr erschien auch Justus Dahindens Publikation «Stadtstrukturen für morgen», die nicht nur eigene Entwürfe wie die Stadtvision Radio City und die israelische Freizeitstadt Kiryat Ono enthält, sondern auch einen umfassenden Überblick über zeitgenössische internationale Stadt- und Siedlungsutopien gibt. Von den Idealentwürfen früherer Zeiten grenzten diese sich – so der Klappentext – durch konzeptionelle Vielfalt, den Bezug zum Sozialen und die Möglichkeiten zukünftiger Entwicklungen ab. Das Panorama ist äusserst vielgestaltig, es umfasst die Raumstadt von Yona Friedman ebenso wie Projekte von Archigram, die Visionen der japanischen Metabolisten und gestapelte Kunststoffzellen von Wolfgang Döring, aber auch die Maisons Bulles von Jean-Louis Chanéac oder Costy / Häusermann sowie «Zellkonglomerate» von Joe Colombo und Haus-Rucker-Co; auch die pneuma­ tischen Wohnstrukturen von Coop Himmelblau sind vertreten. Einzelzellen zum einen, Grosswohnkomplexe zum anderen: 1970/71 plante André M. Studer für einen Konstanzer Investor eine Wohnanlage für 1500 Personen an der Konstanzer Bucht. Dabei ballte sich die Baumasse zu einem einzigen gigantischen Gebäudekomplex, der wie ein aufgeschnittener Trichter wirkte, sich in die Höhe staffelte und von einem Panorama-Café bekrönt werden sollte. Neben Wohnungen und Ferien­apartments waren Ladenpassagen mit Geschäften und Restaurants, Ausstellungsräume und ein Wellenbad vorgesehen. Die Investoren sprachen von einer «Stadt unter einem Dach». Die Anlage ist als Megastruktur ein charak­teristisches Produkt ihrer Zeit und erinnert entfernt an die Intrapolis-­ Visionen von Walter Jonas. Schwierigkeiten mit der Finanzierung verzögerten die Weiter­entwicklung des Projekts, das schliesslich durch die baugesetz­liche Begrenzung auf maximal sechs Geschosse am Bodenseeufer definitiv zu Fall gebracht wurde. Das Konstanzer Projekt von André M. Studer oszilliert gleichsam zwischen den Zeiten: Einerseits kann man es als spätes Produkt des Bauwirtschaftsfunktionalismus der Spätmoderne ver­stehen, andererseits schlagen sich in der Gesamtform, in den Komplex Nr. 15/2022


Wohnungskonzepten und in der Integration diverser Gemeinschafts­ einrichtungen zukunftsweisende Ideen nieder. Bauen als Umweltzerstörung

«Gefährlichkeit der Utopien» heisst ein Kapitel in dem auch ­ausserhalb der Schweiz viel beachteten und 1973 erschienenen Buch «Bauen als Umweltzerstörung» des Schweizer Architekten Rolf Keller. Die Publikation 5 erschien im gleichen Jahr wie ­Müllers «Presslufthammer» und argumentiert ebenfalls primär visuell, auch wenn Keller das Bildmaterial mit Legenden, Notizen und kurzen Texten versah. Hätten sich über Jahrhunderte Indi­ vidualismus und Ordnung in Balance befunden, so seien jetzt Chaos und Monotonie zu den herrschenden Prinzipien geworden: Chaos als Resultat eines egoistischen Pluralismus, Monotonie als Folge einer allumfassenden Normierung – Fratze und Gesichtsverlust. Indem er auf Fotos von zersiedelten Stadtlandschaften die Funktionen von Gebäuden markiert, macht Keller deutlich, dass diese sich baulich nicht mehr ablesen lassen; Bilder von Grosswohnsiedlungen oder Autobahnkreuzen werden mit Städtenamen ­versehen, um die globale Uniformität zu brandmarken. Dabei bedient sich Keller durchaus souverän und suggestiv verschiedener Topoi und Stereotypen der Moderne­kritik, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Anwendung gelangten: In dekadenzkritischer Absicht arbeitet er mit Vorher-nachher-Bildvergleichen, strapaziert das Narrativ einer Pathogenese der Moderne («Bilder einer Krankheit»)6 – und kon­trastiert utopische Entwürfe ­anonymisierter Architekten (Kenzo Tange, Justus Dahinden, Fritz Haller, Walter Jonas) mit Fotos von deren privaten Wohn­ häusern, um das Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis zu veranschaulichen.7 Nicht nur der Bund Schweizer Architekten (BSA) lobte das «unverzerrte Bild unserer Umwelt», wie ein am Ende des Buchs abgedruckter Brief des Zentralvorstands beweist,8 sondern auch in der nationalen wie internationalen Presse wurde das Werk, das offensichtlich zur rechten Zeit kam, stark beachtet und im Allgemeinen überaus positiv besprochen;9 das in Deutschland erscheinende Magazin «Der Spiegel» widmete dem Pamphlet eine umfangreiche Rezension.10 Einwenden liesse sich allerdings, dass Kellers Publikation zwar eine Diagnose der aktuellen Situation des Bauens leistete, Fragen der Therapie aber nicht berührte. 5 6 7 8 9 10

Rolf Keller, Bauen als Umweltzerstörung. Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart, Zürich 1973. Ebd., S. 82. Ebd., S. 173. Ebd., S. 191. Siehe «Bauen als Umweltzerstörung» im Spiegel der Presse, in: SIA 92, 10/1974, S. 1028–1031. Bilder einer Krankheit, in: Der Spiegel, 17/1974.

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Architektur & Design – Essay

Rolf Kellers «Bauen als Umweltzerstörung» (1973) vereint schweizerische und internationale Beispiele. Keller publizierte auch ein ikonisches Foto von der Sprengung der Hochhaussiedlung Pruitt-Igoe in St. Louis. © «Bauen als Umweltzerstörung»


1970/71 plante André M. Studer ein Grossprojekt in Kon­stanz. Sahen die ersten Entwürfe noch zwei Volumina vor, so konzentrierte der Architekt die Baumasse schliesslich zu einem Gebäudekomplex, der wie ein aufgeschnittener Trichter wirkt. Neben Wohnungen und Ferienapartments waren Ladenpassagen mit Geschäften und Restaurants, Ausstellungsräume und ein Wellenbad vorgesehen – die Investoren sprachen von einer «Stadt unter einem Dach». © Nachlass Studer, gta Archiv, D-Arch, ETH Zürich

Die zerstörte Umwelt und verbaute Landschaft visualisierte Rolf Keller im Buch «Bauen als Umweltzerstörung» (1973) unter anderem anhand des aargauischen Neu-Spreitenbach. Der Bau der Satellitenstadt stoppte später infolge der Ölkrise. © «Bauen als Umweltzerstörung»

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Der pittoreske Charakter von Seldwyla resultiert aus dem Verzicht auf Typengrundrisse. Die Häuser sind varianten­reich aneinandergebaut, dazwischen ergeben sich Gassen und öffentliche Plätze. © Archiv Hubertus Adam

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Unter Leitung Rolf Kellers entstand die Siedlung Seldwyla bei Zumikon. Das Eingangsportal ist eine Spolie der 1962 nach Protesten abgerissenen Zürcher Fleischhalle. © Hubertus Adam

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Das gebaute Manifest Kellers selbst ist die Siedlung Seldwyla in Zumikon bei Zürich. Seldwyla war zur Zeit ihrer Entstehung ­heftig umstritten, vor allem wegen ihrer pittoresken und damit vorgeblich unlauteren Gestalt. 1967 hatte Keller mit Berufskolleginnen und -kollegen eine Genossenschaft gegründet, um eine gemeinsame Modellsiedlung zu bauen – als Alternative zu den Grossüberbauungen der Spät­ moderne. Nach sechsjähriger Suche erwarb man 1972 eine knapp zwei Hektar messende Parzelle in Zumikon. Die geplante Ausnützung von 0,5 musste jedoch auf 0,35 reduziert werden; zwischen 1975 und 1982 entstanden schliesslich in drei Bauetappen 31 Häuser. In einer Verkaufsbroschüre aus dem Jahr 1974 liest man von gemeinsamer Baugesinnung und individuellen Hauspersönlichkeiten: Anders als die hinsichtlich der Verbindung von Privat- und Miteigentum (Clubraum, Schwimmbad, Dorfplatz, Tiefgarage), der relativen Homogenität der aus einem kulturaffinen Milieu der Mittelklasse stammenden Bewohnerschaft und der Lage ausserhalb der Stadt durchaus vergleichbare Siedlung Halen von Atelier 5 (1959–61) basierte Seldwyla nicht auf Typengrundrissen. ­Vielmehr wurde jedes Haus einzeln geplant (was eine vom Kauf­ interesse abhängige Etappierung erzwang), wobei Höhe, Dach­ neigung, Farbe und Materialien von Keller festgelegt waren. Von ihm selbst stammen 18 Häuser, von Rudolf und Esther Guyer zwei, von Max Lechner sechs, von Manuel Pauli drei und von Fritz Schwarz zwei. Seldwyla, heute auch als erstes postmodernes Bauprojekt der Schweiz verstanden, folgte dem Gedanken des verdichteten, aber kleinteiligen Einfamilienreihenhausbaus und sollte damit einen dritten Weg zwischen Grosssiedlung und suburban zersiedeltem Einfamilienhausquartier, zwischen Monotonie und Chaos ­weisen; Keller sprach von einer Alternative zu den Siedungsformen der Nachkriegszeit: Block, Villa und Reihenhaus. Die ­Formensprache der weiss verputzten, Holz und Beton vereinenden Gebäude liess mediterrane und corbusianische ebenso wie mexi­ kanische Bauten assoziieren und sollte doch – die Integration von Elementen abgerissener Häuser vermittelnd – überdies auf Schweizer Traditionen rekurrieren, wenngleich es sich letztlich um ein synthetisches Heimatkonstrukt handelte. Seldwyla fand ein kontroverses Echo in der Tagespresse, wurde aber auch in Architekturpublikationen ausgiebig diskutiert. Auffällig ist, dass die Fachöffentlichkeit dem Experiment im besten Fall skeptisch, im Allgemeinen aber ablehnend gegenüberstand. Lediglich dem Soziologen Lucius Burckhardt gelang es, das Projekt im Rahmen eines Aufsatzes in dem Buch «Für eine andere Architektur» in eine andere Traditionslinie einzuordnen, die Komplex Nr. 15/2022


von der englischen Gartenstadt über die Siedlung Halen von ­Atelier 5 bis hin zu den alternativen «künstlichen Dörfern» der Siebzigerjahre führte.11 Zu konzedieren ist auch, dass die Siedlung ursprünglich «moderner» hätte aussehen sollen. Die ersten Entwürfe für das Baugrundstück zeigen Häuser mit Flachdächern, was aber wie die grössere Verdichtung mit der lokal gültigen Baugesetzgebung nicht kompatibel war. Grosssiedlungen und Wirtschaftskrise

Die Ölkrise von 1973 war eigentlich eine globale Wirtschaftskrise und hatte in der Schweiz Auswirkungen insbesondere auf das Baugeschehen. Die Bauwirtschaft kollabierte in der Mitte des Jahrzehnts. Das betraf nicht zuletzt auch die grossen Wohnungsbauträger. Exemplarisch lässt sich das auch am Beispiel des Baugiganten Ernst Göhner AG nachweisen, der zwischen 1965 und 1980 9000 Wohneinheiten im Schweizer Mittelland realisierte, zum grössten Teil in der Agglomeration von Zürich. Mit vorgefertigten Elementen avancierte Göhner zum Pionier des Plattenbaus in der Schweiz, der in den zuvor errichteten Grosssiedlungen noch keine wesentliche Rolle gespielt hatte. Eine seiner – mit 450 Wohneinheiten eher kleinen – Siedlungen ist die ­Webermühle in Neuenhof bei Baden. Die Wohnanlage, entworfen vom renom­ mierten Architekturbüro Steiger und Partner aus Zürich, besteht aus vier kreuzförmig zueinander stehenden Zeilen von 30 bis 150 Meter Länge, die sich bis zu 13 Geschosse aufgipfeln und auf einen zentralen Platz ausgerichtet sind. 1974 waren lediglich zwei Zeilen fertiggestellt, aufgrund des Kollapses der Bau­ branche konnte die Gesamtfertigstellung erst 1982 erfolgen. Damit zählt die Webermühle zu den spätesten Göhner-Siedlungen; der Patron war schon 1971 gestorben. Mithin erlebte er auch die medienwirksamen Attacken auf seine Siedlungen nicht mehr: nicht die «Göhnerswil»-Publikation des ETH-Autorenkollektivs von 1972, aber auch nicht den im gleichen Jahr gestarteten Film «Die grünen Kinder» von Kurt Gloor, der die Auswirkungen einer normierten Schlafstadt, genauer gesagt der Göhner-Siedlung ­Sunnebüel in Volketswil, thematisiert und in der bitteren ­Feststellung kul­miniert: «So produziert diese Gesellschaft fortwährend beschädigte Menschen für eine Gesellschaft, die beschädigte Menschen braucht.»12 Studien haben allerdings ergeben, dass die Lebenszufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner in den besagten Siedlungen 11 12

Lucius Burckhardt, Künstliche Dörfer, in: Michael Andritzky / Lucius Burckhardt / Ot Hoffmann, Für eine andere Architektur, Frankfurt am Main 1981, S. 161–165. Vgl. Werner Jehle, Die grünen Kinder – zu einem Dokumentarfilm von Kurt Gloor, in: Das Werk 59, 4/1972, S. 229/230.

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Die ab 1973 von Peter Steiger realisierte Webermühle in ­Neuenhof bei Baden war eine der späteren Siedlungen der Ernst G ­ öhner AG. Nach der energetischen Sanierung haben die Gebäude einen weissen Anstrich erhalten. © Hubertus Adam


Die Realisierung der 1970 von Hans Marti und Hans Kast ent­ worfenen Siedlung Telli in Aarau verzögerte sich aufgrund der Ölkrise bis 1991. © Hubertus Adam

seit je relativ hoch ist, nicht zuletzt aufgrund gut geschnit­ tener Wohnungen und dank der Vorfertigung vergleichsweise niedriger Mieten. Gerade die Webermühle profitiert von der Lage im Landschaftsraum der Limmatschleife bei Wettingen – ein Plus, das allerdings nicht alle Göhner-Siedlungen aufweisen. Wie viele der Siedlungen aus der Zeit wurde die Webermühle inzwischen saniert. Dabei ist die ursprüngliche Färbung der Betonplatten in einem für die Siebzigerjahre typischen gedeckten Orange verloren gegangen. Auch die Siedlung Telli in Aarau 13 mit ihren insgesamt 1258 Wohneinheiten ist eine der späten Umsetzungen von Grosssied­lungen in der Schweiz. Den Wettbewerb für die vier langgestreckten, parallel ausgerichteten und leicht geknickten Wohnzeilen hatten 1970 Hans Marti und Hans Kast gewonnen. 1974 standen erst zwei der abgetreppten und bis zu 15 Geschosse erreichenden Baukörper; die Wirtschaftskrise brachte auch hier das Projekt zum Erliegen, sodass sich die Gesamtfertigstellung bis ins Jahr 1991 verzögerte. Die Gestaltung der Wohnungsgrundrisse wurde weitgehend durch die von der Bauunternehmung Horta AG bestimmten Einrichtungselemente vorgegeben, sodass den Architekten wenig Spielraum zur Modifizierung blieb. Das führte auch zu einer baugleichen Ausführung der als Nachzügler nach 25 Jahren realisierten vierten Zeile. Mit der Telli in gewisser Weise verwandt zeigt sich die Siedlung Liebrüti in Kaiseraugst, die zwischen 1972 und 1978 realisiert wurde. Sie besteht aus sechs ebenfalls abgetreppten Wohnzeilen in orthogonaler Anordnung. Grosszügige Freiflächen, Funktionstrennung, verkehrliche Entflechtung und Präfabrikation sind auch hier die bestimmenden Merkmale. Als damals grösste Wohnüberbauung der Stadt entstand 1975/76 am Westrand von Zürich die Siedlung Grünau mit insgesamt 455 Wohneinheiten.14 Hauptprojektverfasser waren die Architekten Heinrich Kunz und Oskar Götti, die den Wettbewerb des Jahres 1970 gewonnen hatten. Der grösste Teil des Areals bestand aus einer städtischen Baulandreserve, dazu kamen Flächen der ­Familie Halter. Das Gemeinschaftsprojekt von vier Wohngenossenschaften, einer städtischen Stiftung und der Generalunter­ nehmung Halter & Co. (heute Halter AG), die ein Drittel der Wohnungen realisierte, gliedert sich in zwei 250 Meter lange, mehrfach geknickte Wohnzeilen, die deutlich von der Siedlung Le Lignon bei Genf (1962–71) inspiriert sind, und ein Turmhochhaus als vertikale Dominante. Auch die Grünau stiess seinerzeit vielfach auf Kritik – wegen ihrer durch verschiedene Verkehrs­13 14

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Felix Fuchs / Michael Hanak, Die Wohnsiedlung Telli in Aarau: Eine 25-jährige Grossüberbauung im planerischen und städtebaulichen Kontext, in: Aarauer Neujahrsblätter 72/1998, S. 131–160. Vgl. Gesamtüberbauung Grünau Zürich-Altstetten, in: Wohnen 49, 10/1974, S. 262–264; 455 Wohnungen in der Grünau Zürich-Altstetten, in: Wohnen 52, 3/1977, S. 43; Halter 1918–2018, Zürich 2018, S. 67–70.

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Die Betonfertigelemente der Siedlung Webermühle waren zeittypisch orange und braun eingefärbt. Diese markante Fassaden­optik ging nach der Sanierung verloren. © Hubertus Adam

Die Siedlung Telli in Aarau besteht aus langgestreckten, abgetreppten und leicht geknickten Wohnzeilen. Für die Atmos­phäre der Satellitenstadt im Nordosten von Aarau cha­rakteristisch sind die ausgedehnten Freiräume, die sich bis zum Aareufer erstrecken. © Hubertus Adam

Ein Wohnhochhaus bildet die vertikale Dominante der Sied­ lung Grünau am westlichen Zürcher Stadtrand. Ins­gesamt umfasst die Grünau 455 Wohneinheiten, eingebettet in eine parkartig gestaltete Landschaft. Die Fertigstellung erfolgte 1975/76. © Hubertus Adam

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Zum Wohnhochhaus treten in der Grünau zwei längliche, geknickte Wohnzeilen. © Hubertus Adam

bauwerke bedingten Insellage, der schlechten Erschliessung und der zunächst fehlenden sozialen Infrastruktur. Auffällig ist, dass eine nachwachsende Generation – und dies nicht nur in der Schweiz – dem Phänomen Plattenbau inzwischen differenzierter begegnet als die Kritiker zur Zeit der Ent­ stehung.15 Dies korreliert mit einem wachsenden Interesse am Brutalismus, das sich nicht zuletzt durch die Gefährdung vieler Bauten aus dieser Zeit speist.16 Man erkennt aber auch Vorbild­ liches in den Bauten, das heute, wo viele der damaligen Fragen wieder aktuell sind, erneut Anregungen geben kann. Und letztlich fasziniert es rückblickend, dass man bis in die Siebzigerjahre hinein noch wirklich gross denken und planen konnte. Selbst wenn einige der Utopien heute naiv anmuten mögen oder überholt wirken: Ein Rückblick in die Zeit der frühen Siebzigerjahre lohnt allemal. Erschreckend, dass auch der Report «Die Grenzen des Wachstums», der vor genau 50 Jahren erschienen ist, kaum etwas von seiner Aktualität verloren hat. 15 16

Vgl. Fabian Furter / Patrick Schoeck-Ritschard, Göhner Wohnen. Wachstumseuphorie und Plattenbau, Baden 2013. Vgl. Oliver Elser / Philip Kurz / Peter Cachola Schmal (Hrsg.), SOS Brutalism – A Global Survey, Zürich 2017; auch online unter www.sosbrutalism.org

Hubertus Adam (57), in Hannover geboren, ist freiberuflicher Kunst- und Architekturhistoriker sowie Architekturkritiker und Kurator. 1996/97 war er Redakteur der «Bauwelt» in Berlin, 1998 bis 2012 der «archithese» in Zürich. 2010 bis 2015 war er Direktor des S AM Schweizerischen Architekturmuseums in Basel. Adam veröffentlichte zahlreiche Publikationen zur zeitgenössischen Architektur, über die Architektur des 20. Jahrhunderts, zur Kunst und Bildhauerei um 1900, zur Designgeschichte, zur Landschaftsarchitektur, zum Bühnenbild und zum Thema Denkmal. Er ist als Juror sowie als Referent, Moderator und Gastkritiker für diverse internationale Institutionen und Hochschulen tätig. 2004 erhielt er den Swiss Art Award für den Sektor Kunst- und Architekturvermittlung. 55

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DIE LANDSCHAFT BEWOHNEN Text: Héloïse Gailing Visualisierungen: Raumgleiter AG

An der Côte, wie das westliche Ufer des Genfersees gerne genannt wird, ist Baugrund rar und die Nachfrage gross. Nur manchmal tun sich Lücken auf, wie durch die Teilung eines grossen Villengrundstücks in Nyon. Mit der Domaine du Lac entsteht hier bis Sommer 2023 ein von Halter entwickeltes ­Wohnbauprojekt inmitten eines grünen Parks. Die drei Häuser mit 49 Wohnungen wurden von den Architekturbüros Bonnard Wœffray und Lacroix Chessex geplant. Ihr Entwurf versucht den Schulterschluss von Architektur und Natur. 57

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Das Grundstück mit Seeblick, auf dem das Projekt Domaine du Lac realisiert wird, liegt oberhalb des Strandes von Nyon und in nächster Nähe zum Stadtzentrum. Früher gehörte es zu einem zwei Hektar grossen Park mit einem alten Herrenhaus in seiner Mitte. Die Villa samt Nebengebäuden war Anfang des 20. Jahrhunderts als Feriendomizil für eine vermögende Genfer Familie erbaut worden. Heute ist sie denkmalgeschützt und mit der Note 3 im kantonalen Inventar verzeichnet. Im Frühling 2021 wurde der umliegende Park in zwei gleich grosse, ineinander verzahnte Grundstücke aufgeteilt. Die unsichtbar verlaufende Grenze respektiert den Stand der historischen Gebäude und die alten Bäume. Jede Parzelle ist eigenständig und steht doch im engen Bezug zum Nachbargrundstück. Die neue Wohnanlage wird damit nicht um die Villa herumgebaut, alle Häuser stehen in ihrem eigenen Garten. Das Ensemble aus unterschiedlich grossen Volumen ist das Ergebnis intensiver Über­ legungen zur Nutzung des freien Grundstücks sowie einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden. Die organisch geformten Gebäude sind nur drei Stockwerke hoch – Erdgeschoss, erstes Obergeschoss, Attikageschoss – und passen sich damit der benachbarten Villa und den alten Laubbaumund Kieferngruppen an. Rund um die geplanten Häuser wird ein vom Büro Monnier Architecture du Paysage entworfener Park für die zukünftigen Eigentümer der 49 Wohnungen angelegt. Die Terrassen im Erdgeschoss sind leicht erhöht, damit eine klare Trennung zwischen privat und öffentlich entsteht. Mit der Natur im Dialog Der grosse, gemeinschaftlich genutzte Park greift den ländlichen Charakter des ehemaligen Villenanwesens auf. Er wird so gestaltet, dass sich Blumenwiesen und Baumgruppen abwechseln – um Sichtschutz zwischen den neuen Gebäuden zu schaffen, aber auch damit die Wohnanlage von der Villa im Westen getrennt ist. Diese indirekte Grenze erzeugt eine gewisse Intimität und hält gleichzeitig die visuelle Kontinuität zwischen den beiden Grundstücken aufrecht. An anderer Stelle akzentuieren Bäume unbebaute Bereiche oder sie verstärken die Struktur des Geländes, etwa indem sie die Eingänge der Gebäude markieren. Der alte Baumbestand wurde, wo immer möglich, erhalten. Im Norden betont eine Neuanpflanzung die Erschliessung der 58

Liegenschaft und den Beginn eines Wegs, der entlang der Ostgrenze verläuft. Diese Achse verbindet das Grundstück über die ­Pro­menade du Mont Blanc auch mit dem Genfer­see. Weil die Zufahrt zu den beiden nörd­ lichen Gebäuden unmittelbar vom Chemin de la ­Croisette erfolgt, ist der Park verkehrs­ frei und bewahrt seine friedliche und kontem­ plative Atmosphäre. Die Keller und Parkplätze im Untergeschoss liegen direkt unter den einzelnen Gebäuden. Das südliche, am nächsten zum See gelegene Haus verfügt über eine eigene Tiefgaragen­ einfahrt von der Promenade du Mont Blanc aus. Diese unterirdische Trennung wurde gemacht, um die eingewachsene Natur zu erhalten und eine Freifläche zu schaffen. Dennoch stellen die Arbeiten im Untergrund eine Gefährdung für den alten Baumbestand des Grundstücks dar. Darum wurden bereits während des Aushubs im Sommer 2021 besondere Vor­ kehrungen für dessen Schutz getroffen. Jedes der drei Gebäude des Projekts Domaine du Lac ist nach seinem landschaft­ lichen Kontext benannt. Am nördlichen Rand des Grundstücks steht das Haus Jura im Dialog mit der Bergkette und der untergehenden Sonne; in der Mitte richtet sich das Haus Parc an seine unmittelbare Umgebung; im Süden ist das Haus Lac dem Panorama des Genfersees zugewandt. Das Ensemble erzeugt ein heterogenes und doch harmonisches Gesamtbild, das aus einem pa­rallelen Entwurfsprozess zweier Architekturbüros mit prägnanter Signatur hervorging: Die Walliser Bonnard Wœffray entwarfen die Häuser Jura und Parc, Lacroix Chessex aus Genf konzipierten das Haus Lac. Schon für die ersten Studien im Jahr 2018 arbeitete Halter eng mit den beiden Büros zusammen. Um das beste Ergebnis zu erzielen, wurden ihre Ideen gesammelt und gegenübergestellt. Nachdem die Grundrisse und einige allgemeine Attribute wie der markante Ausdruck der umlaufenden Betonbalkone definiert worden waren, ent­warfen die Architekten drei verschiedene Gebäude, jedes mit eigenem Charakter. Architektonische Gemeinsamkeiten Im Norden des Grundstücks funktioniert das Haus Jura wie ein hybrider Riegel, der an den Enden, wo die Treppenhäuser liegen, breiter wird. Er nimmt eine Vielzahl von Woh­nungen auf: von einseitig orientierten 2,5-­Zimmer-Einheiten bis hin zu durchgesteckten 4,5-Zimmer-Einheiten. Alle Wohnungen sind um grosszügige Wohnzimmer herum Architektur & Design



angeordnet, die mit raumhohen Verglasungen in tiefe, fast überdimensionale Terrassen übergehen. Eine leichte Fassade aus eloxierten, an einer nicht tragenden Holzstruktur befestigten Aluminiumpaneelen erzeugt Schrägen und Verschiebungen, die aus dem inneren Volumen resultieren und variable Aussenräume schaffen. An den Ecken nehmen Konsolstützen aus Betonfertigteilen die Spannweiten der grossen Balkone auf. An einigen Stellen werden sie durch Träger und Metallstützen, die in den Trennwänden der Balkone verborgen sind, unterstützt. So entsteht ein geometrisches Spiel, welches durch ein vertikales Metallgeländer, das sich wie ein Filter um die Balkone legt, in Schach gehalten wird. Das Profil der breiten Stäbe, die auf den ersten 75 Zentimetern abgekantet sind, schützt im unteren Bereich vor fremden Blicken, oben gibt es die Sicht frei. Das benachbarte Haus Parc trägt die gleichen architektonischen Merkmale, jedoch ist sein Grundriss um ein einziges zentrales Treppenhaus herum verdichtet. Die Wohnungen hier profitieren von einer doppelten oder dreifachen Ausrichtung, was die Wirkung der Umgebung auf den Innenraum verstärkt. Im Süden bildet das Haus Lac einen weichen Übergang zum Genfersee. Seine geschwungene Form öffnet sich zur Landschaft und entfaltet – diesmal nur zur Seeseite hin – Balkone, die ebenso grosszügig sind wie die der Nachbargebäude. Ihre Abstufung erzeugt eine ­Vervielfachung der Fassadenlinie. Der Grundriss ist symmetrisch und funktional auf­ gebaut, mit zwei Treppenhäusern, die je drei Wohnungen erschliessen. Die Einheiten in der Mitte des Gebäudes sind durchgesteckt, während sich jene an den Enden zu drei Seiten hin orientieren. Die Geometrie des Hauses ermöglicht, dass alle Wohnungen Blick auf den Genfersee haben. Auch aus ihrer Tiefe, wo sich die Zimmer eher zum Park hin orientieren, gibt es Durchblicke auf das Panorama. Die tragende Fassade besteht aus vorgefertigten Betonelementen. Ihre grün gefärbten und polierten Platten nehmen Bezug auf die um­­ liegende Natur. Dazwischen befinden sich ­Eck­elemente, die aus weissem Zement gefertigt werden. Dieses Spiel mit Farben und Materialien erzeugt eine gewisse Vertikalität, die den starken horizontalen Linien der Balkone mit ihren schmalen Deckenrandsteinen leicht entgegenwirkt. Um die durchgängige horizontale Anmutung der auskragenden Balkone nicht zu stören, 60

wird besonders darauf geachtet, dass auf den Dächern keine technischen Anlagen, Mono­blöcke oder Aufzugschächte überstehen. Dafür sind die begrünten Flächen komplett mit Photovoltaikmodulen bedeckt. Zusätzlich werden ­Erdwärmesonden zum Heizen und Kühlen installiert. Gemäss der gewünschten engen Beziehung zwischen Innen- und Aussenraum sind die Wohnungen mit einem einfachen umweltfreundlichen Klimasystem ausgestattet: Die Luft wird in den Nassräumen abgesaugt und durch das Öffnen der Fenster erneuert. Wohnen im Kontext Das Bewohnen der Landschaft, ob direkt oder indirekt, ist ein wiederkehrendes Motiv in der Baukultur und bleibt oftmals eine Phantasie. Die Realität zeigt, dass es sehr komplex ist, Bauarbeiten in der Nähe von alten Bäumen durchzuführen. Manchmal wird dabei der Garten gar zu einem eigenen Projekt. Bei der Entwicklung Domaine du Lac hatten die Geschichte des Anwesens und die Rücksicht auf seinen eingewachsenen Park direkten Einfluss auf die Architektur: Die Freiflächen zwischen den Bäumen gaben den Gebäuden ihre Form. Zusätzlich wirkte sich das Panorama auf die Gestaltung der Grundrisse aus, die eine räumliche und visuelle Kontinuität zwischen innen und aussen suchen. Dennoch tendieren die Häuser nicht dazu, mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Sie stehen für sich allein. Aus dieser Distanz heraus können die Bewohner von ihren Terrassen mit der (fast) unberührten Natur in Kontakt treten. → www.domainedulac.ch

Monnier Architecture du Paysage SA Maxime Monnier gründete sein Büro Monnier Architecture du Paysage (MAP) im Jahr 2013 in Lausanne. Seitdem arbeitet MAP an einer Vielzahl von Projekten in verschiedenen Massstäben. Das Büro hat die öffentlichen Räume mehrerer Schulen und Wohnviertel sowie die Entwicklung Cœur de Cité in Martigny mit Halter realisiert. Derzeit leitet MAP unter anderem die Neugestaltung der Aussenräume für die Orien­ tierungsschule Sécheron im Rahmen des Projekts Cool City und entwickelt die öffentlichen Räume von Montbrillant rund um den Genfer Bahnhof Cornavin. → www.map-paysage.com

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Grundriss 2. Obergeschoss : Die Attikawohnungen verfügen über die grössten Balkone, die sich wie ein Kranz um die Gebäude legen.

Grundriss Erdgeschoss : Die Umrisse der drei Häuser Jura, Parc und Lac ergaben sich aus den Freiflächen zwischen den Baumgruppen.


Bonnard Wœffray Architectes Seit über dreissig Jahren entwerfen Geneviève Bonnard und Denis Wœffray mit ihrem Büro in Monthey einzigartige und ikonische Gebäude. Mit grosser technischer Raffinesse bei der Gestaltung von Metall und Beton erforschen sie in ihrer kühnen Architektur die Wirkung von Farbe und Geometrie. Ihre Arbeiten umfassen sowohl Mehrfamilien- und Einfami­lien­ häuser als auch zahlreiche Bildungseinrichtungen wie die Primarschule von Conthey, deren schwarze Fassade mitten im Gewerbegebiet eine innere Landschaft aus bunten Innenhöfen umhüllt, oder soziale Einrichtungen wie das Zentrum für Erwachsene in Schwierigkeiten in Saxon, dessen Wellblechverblendung Bezug auf landwirtschaftliche Nutz­gebäude der Rhone-Ebene nimmt. → www.bwarch.ch

Lacroix Chessex SA Das 2005 von Hiéronyme Lacroix und Simon Chessex in Genf gegründete Büro arbeitet in verschiedenen Massstäben sowohl an bestehenden Gebäuden, zum Beispiel der Beton­erweiterung einer Privatvilla in Gland oder der beeindruckenden Aufstockung eines Wohnblocks in der Rue de Lausanne in Genf, als auch an Neubauten, wie dem Studentenhaus, das den Eingang zum Bahnhof Genf markiert. Ihre regelmässig preisgekrönte Stadtarchitektur erforscht den konstruktiven oder ästhetischen Einsatz verschiedener Materialien. Das Ergebnis ihrer Arbeit sind durchdachte und überzeugende Objekte mit dynamischen Linien und einem einheitlichen Ausdruck. → www.lacroixchessex.ch

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S. 56 — Die Wohnüberbauung Domaine du Lac liegt in Nyon in nächster Nähe zum Genfersee. Ihre drei Gebäude Lac, Parc und Jura sollen im Sommer 2023 fertiggestellt werden. Sie stehen auf einem Grundstück, das einst Teil eines alten Villenanwesens war. S. 59 — Das Haus Lac befindet sich auf der Südseite der Parzelle. Von hier aus haben die Bewohner einen unverbaubaren P ­ anoramablick (oben). Über deckenhohe Fenster gehen die Wohnungen in tiefe Balkone über. Beim Innenausbau kam viel Holz zum Einsatz (unten). S. 63 — Die Balkone der Häuser Parc und Jura tragen Geländer, die auf den ersten 75 Zentimetern abgekanntet sind und so als Sichtschutz dienen. Die Storen sind in den Boden eingelassen (oben). Um die neuen Gebäude herum liegt ein Park, der gemeinschaftlich genutzt wird. Die alten Bäume geniessen besonderen Schutz (unten).

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Längsschnitt: Die Gebäude stehen auf leicht abschüssigem Gelände. Das Haus Lac hat seine eigene seeseitige Erschliessung.

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SMARTES 64 KLÖTZCHENRÜCKEN Text: Christine Marie Halter-Oppelt Fotos: Robert Hausmann / Eiffage Suisse AG

Als hätte ein Riese sechs Bausteine mit einem Fingerstubs in den Hang hineingeschoben, so erscheinen die neuen Gebäude für studentisches Wohnen an der Route de la Fonderie in F ­ ribourg. Ihre Entstehung hat jedoch nichts mit einer märchenhaften Begebenheit zu tun, sondern eher mit einer intelligenten Planung. Das Büro KPA Architekten realisierte für die Anlage­ stiftung Apartis anstatt zweier ursprünglich angedachter Riegel entlang der Hangkante des Butte de Pérolles einzelne quer ­stehende Volumina. Durch diesen Schachzug konnte die bestehende Topografie erhalten bleiben, noch dazu bietet das abschüssige Gelände für fünf achtstöckige Häuser mit insgesamt 413 Zimmern die Vorlage für eine Erschliessung von zwei Seiten: auf Strassenniveau an der Route de la Fonderie über einen ­zweistöckigen Sockel mit blauer, grüner, gelber, orange- oder pinkfarbener Polycarbonatfront; vom Hang her auf der Rückseite der mit gewellten Faserzementplatten verkleideten Gebäude durch einen Kiesweg, der auf dem grünen Grat verläuft. Das sechste Haus hebt sich mit seinem polygonalen Grundriss und der dunkleren, verputzten Fassade deutlich von den anderen ab. Hier befinden sich denn auch 28 Wohnungen unterschied­ licher Grösse, die für junge Erwachsene gedacht sind. Mit der Übergabe durch Halter Entwicklungen im Frühjahr 2021 wurde dem sich seit einigen Jahren in Transformation begriffenen, ­ehemaligen Industriequartier in nächster Nähe zu Fachhoch­ schulen und Universität ein lebendiges Gebäude-Ensemble hin­zu­ gefügt. Angelehnt an den Wissenschaftsstandort ist La Fonderie im Minergie-Standard errichtet und wurde mit dem Label Site 2000 watts ausgezeichnet. → Weitere Projektinformationen und Pläne unter «Postindustrieller Strukturwandel» auf www.komplex-magazin.ch

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S. 65 – Im Frühjahr 2021 wird noch mit Hochdruck an der Umgebung gearbeitet, doch die sechs von Eiffage Suisse erstellten Häuser der Anlagestiftung für studentisches Wohnen Apartis sind schon fast fertig. Fünf von ihnen haben zur Strasse hin gerichtete Eingänge mit bunten Poly­carbonatfronten in Blau, Grün, Gelb, Orange und Pink. Im zweistöckigen Sockel befinden sich Fahrradkeller, Wasch­küchen und Abstellzonen. S. 66/67 – Die mit gewellten Faserzementplatten verschalten Wohnhäuser der Überbauung La Fonderie sind achtgeschossig und können auch auf ihrer Rückseite über einen Kiesweg auf dem Butte de Pérolles betreten werden. Von hier aus hat man einen phantastischen Blick auf das Quartier. Direkt auf der anderen Strassenseite werden die einstigen Indus­ triehallen vom Club Fri-Son und der Kulturinitiative ­Fonderie 11 genutzt. Dahinter ragt ein 17-geschossiger Wohnturm in die Höhe, der einst ein Futtersilo war.

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S. 68 – Die Treppenhäuser sind schlicht gehalten. Von hier aus gelangt man in die Wohnungen mit drei bis vier Zimmern und Gemeinschaftsräumen wie Küche, Wohnzimmer und Bad oder in Studios, von denen einige behindertengerecht ausgestattet sind. S. 69 – Die Überbauung steht entlang der Route de la Fonderie und wird durch die markanten Fassadenfarben im Eingangs­bereich gegliedert. Im Hintergrund sieht man eine Tankstelle, die sich schon vor dem Bau hier befand. Ihr Shop ist in der Längsseite des orangefarbenen Hauses untergebracht. S. 70 – Am westlichen Ende der Parzelle steht, durch die Tankstelle vom restlichen Teil der Anlage abgetrennt, ein Gebäude mit 28 Wohnungen, die an junge Erwachsene ver­ mietet werden. Sein polygonaler Grundriss unterscheidet sich von dem der Nachbarbauten, die Höhe ist die gleiche.

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DIE LAST DER 72 EINSPRACHENFLUT Text: Toni Bucher Illustration: Dominique Wyss

Das ausgeklügelte Baubewilligungsverfahren mit Einbezug von Anwohnenden und Verbänden ist eine Errungenschaft, auf die wir in der Schweiz stolz sind. Einsprachen gegen ein Baugesuch und Beschwerden gegen eine Baubewilligung sind aber heute so sicher wie das Amen in der Kirche. Leider wird das Einspra­ cherecht oft für persönliche Zwecke missbraucht, wie wir dies beim Projekt Pilatus Arena in Kriens nun auch wieder erleben. Die Pilatus Arena, ein wegweisendes Projekt für den Sport und die Zentralschweiz, ist ein hervorragendes Beispiel für die enge Zusammenarbeit von Privaten und öffentlicher Hand. Die Sportund Eventhalle mit Mantelnutzung wurde in den letzten Jahren äusserst sorgfältig geplant. Vorgesehen ist eine Arena mit 4000 Sitzplätzen. Zur Finanzierung werden 380 Wohnungen erstellt. Das Projekt von Helvetia Versicherungen und der H ­ alter AG ­entsteht auf einem Areal in der Stadt Kriens, das der Stadt Luzern gehört. In beiden Städten waren Volksabstimmungen nötig. In beiden Städten gab es Volksmehrheiten. Bund und Kanton Luzern unterstützen die Realisierung – auch mit finanziellen Beiträgen. Und trotzdem schaffen es Einzelpersonen, das Projekt unnötig zu verzögern und so die Sportvereine zu gefährden, für welche die rasche Realisierung überlebenswichtig ist. Bereits von Anfang an war uns, der Pilatus Arena AG, klar: Wir dürfen keine Fehler machen. Wir haben renommierte Fachleute ins Boot geholt, die uns mit ihrer Erfahrung unterstützten. Dazu gehörten der frühere Stadtrat und Baudirektor Kurt Bieder, der uns zeigte, wie wichtig der Einbezug der politischen Gremien und der Bevölkerung ist. Der ehemalige Stadt­architekt von Luzern, Jean-Pierre Deville, plante für uns den Architekturwettbewerb und sorgte dafür, dass das Projekt höchste Ansprüche an Städtebau und Architektur erfüllt. Bei allen Schritten bezogen wir die Städte Kriens und Luzern, den regionalen Entwicklungsträger LuzernPlus, den Bund und den Kanton Luzern ein. Die Anstrengungen wurden belohnt. Am 28. Februar 2016 sagte die Bevölkerung der Stadt Luzern an der Urne mit 64 Prozent deutlich «Ja» zum Kaufvertrag für das Grundstück im Mattenhof Gesellschaft & Umwelt – Kolumne


Kriens. Nun durfte mit der Planung begonnen werden. Uns wurde ein Wettbewerb im zweistufigen Verfahren empfohlen. Eine Jury aus hochrangigen Architektinnen und Architekten von nationaler Ausrichtung, der Stadt Kriens und der Stadt Luzern sowie aus­ gewiesenen Expertinnen und Experten erkor das Siegerprojekt. Bevölkerung, Nachbarn, Quartierverein, Fraktionen und weitere Interessierte wurden von uns umfassend und transparent informiert. Im Parlament der Stadt Kriens erhielt der Bebauungsplan breite Unterstützung aus allen Fraktionen. Alles war bereit, um die für den Sport so wichtige Infrastruktur jetzt zügig realisieren zu können. Aufgeheizte Stimmung

Trotz der breiten Unterstützung gründete ein namentlich bekannter Anwalt aus Kriens, der regelmässig Bauprojekte in der Region bekämpft, ein Referendumskomitee. So erzwang er eine Volksabstimmung. Damit hatten wir nach der sorgfältigen Planung und bei allem Wohlwollen aller politischen Parteien nicht gerechnet. Mit plakativen Argumenten und Unwahrheiten heizte der Anwalt die Stimmung auf: «Zu hoch», «überdimensioniert», «Das braucht ­Kriens nicht» waren Schlagworte im Referendumskampf. In Briefen und persönlichen Gesprächen haben wir den Dialog gesucht. Es war leider ein Kampf gegen Windmühlen. Dass es sich bei der Pilatus Arena um ein Vorhaben mit nationaler Ausstrahlung handelt, war dem Rekurrenten egal. Wir sahen uns gezwungen, das Projekt runterzufahren, die Planer abzuziehen und uns auf den Abstimmungskampf einzustellen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die sorgfältige und umfassende Planung bereits etwa drei Millionen Franken gekostet. Kosten von weiteren 600 000 Franken kamen durch den Planungsstopp dazu. Zudem waren wir im Abstimmungskampf genötigt, den Unwahrheiten und Verdrehungen des Referendumskomitees mit einer Aufklärungskampagne, Plakaten, Inseraten, Referaten und öffentlichen Diskussionen zu begegnen. Zum Glück unterstützte uns ein engagiertes, tatkräftiges Komitee mit Mitgliedern aus allen Parteien. Am 29. November 2020 hat dann die Bevölkerung entschieden. Eine Mehrheit befürwortete die Pilatus Arena, den Bebauungsplan und die Zonenplanänderung. Gross war die Freude bei den Pro­ jektverantwortlichen und beim Sport. Noch am Abstimmungssonntag versprach ein Vertreter des Referendumskomitees, man akzeptiere den Entscheid und werde in Zukunft nichts mehr gegen das Projekt unternehmen. Acht Monate Verzögerung hatte uns das Referendum gekostet. Deshalb waren wir froh um die faire Zusage der Gegner und starteten mit Hochdruck das Baubewilligungs­ verfahren. Das Baugesuch der Pilatus Arena konnten wir im 73

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Frühsommer 2021 einreichen. Nun warteten wir gespannt auf die Reaktionen zur öffentlichen Auflage. Auch hier zeigte sich, wie gut und breit abgestützt das Projekt war. Trotz der Grösse des Bauvorhabens gingen lediglich acht Einsprachen und zwei Stellungnahmen ein. Die Stellungnahmen und vier Einsprachen konnten innert der zwanzigtägigen Frist erledigt werden. Bei den verbliebenen vier Einsprachen suchten wir selbstverständlich den Dialog. Sehr erstaunt waren wir, dass der Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee nach sieben Jahren der umsichtigen Planung rügte, dass er nie in den Planungsprozess ein­bezogen worden sei. Tatsache ist, dass er im Rahmen von Vernehmlassungen, Mitwirkungen und politischen Prozessen mehrfach die Möglichkeit hatte, sich einzubringen. Dass der Schutzverband nun kurz vor Baustart noch einmal die Höhe des Wohnturms monierte, erschien uns willkürlich und ohne rechtliche Grund­ lagen. Die Bau- und Zonenordnung, welche die Höhe der Bauten ­vorgab, war längst in Kraft. Gespräche und neue Visualisierungen konnten schliesslich überzeugen. Man sah ein, dass der Standort für ein Hochhaus ideal ist, und zog die Einsprache zurück. Zum Schluss blieb nur noch eine offen. Hinter ihr steckte wieder der umtriebige Anwalt. Er erwies sich als schlechter ­Verlierer. Die Zusage seines Referendumskomitees, das Abstimmungsresultat zu akzeptieren, trat er mit Füssen. Eingereicht hatte er die Einsprache über eine Stiftung Archicultura, die sich nach eigenen Angaben der Orts- und Landschaftsbildpflege verschrieben hat. Die Stiftung war in der Vergangenheit mehrfach durch seltsame Aktionen aufgefallen. So bekämpfte sie das Kunsthaus in Zürich. Dieses musste um zwei Meter verschoben ­werden. Was das für einen Nutzen für die Öffentlichkeit brachte und was dieser Planungsmehraufwand die Öffentlichkeit kostete, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Es schien uns, dass Archicultura aber im Verlauf der Gespräche realisierte, in diesem Fall von einer Einzelperson für einen persönlichen, verbissenen Kampf instrumentalisiert und missbraucht worden zu sein. Der Anwalt war auch Mitglied des Komitees Allmend ohne Hochhäuser, welches die Sportarena Allmend bekämpft hatte. Und er stellt sich gegen ein knapp 35 Meter hohes Haus am Bundesplatz in Luzern, das seit mehr als 30 Jahren in Planung ist. Solche Einsprachen sind heute leider an der Tagesordnung. Sie werden «aus Prinzip» eingereicht, «aus Trotz» oder weil sich die Einsprecher finanzielle Vorteile versprechen. Ihr Ziel ist es, sorgfältig erarbeiteten Bauvorhaben Steine in den Weg zu legen und ihre Realisierung zu verzögern. Es ist mehr als fällig, dass die Politik diesem Tun Einhalt gebietet. Es verteuert den Wohnraum und macht den Rechtsstaat 74

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unglaubwürdig. Es kann nicht sein, dass eine Einzelperson mit Scheinargumenten beziehungsweise eine unglaubwürdige Organi­ sation ohne relevante Kostenfolge einfach nach Lust und Laune ein Projekt verzögern kann, obwohl die Rechtsgrundlagen klar eingehalten werden. Schon eine Kaution von 2000 Franken je Einsprache, die man bei Gutheissung zurückerhalten würde, wäre ein nützliches Mittel. Sie könnte die Flut von ungerechtfertigten Einsprachen reduzieren. Wohlgemerkt: Es geht hier in keinem Fall um Einsprachen, die berechtigt sind, falls sich ein Bauherr über gesetzliche Bestimmungen hinwegzusetzen versucht. Es geht um Einsprecher, die dies aus Prinzip, zum persönlichen Vorteil und wider besseres Wissen tun. Wir sind bereit, unseren Beitrag zur unabhängigen juristischen Klärung dieses unhaltbaren Zustands zu leisten. Wir werden nach Erteilung der Baubewilligung der Pilatus Arena und nach Abweisung der Einsprache den entstandenen Schaden berechnen und gegen die Einsprecher klagen. So kann ein Gericht in der Sache entscheiden. Dies, sollte Archicultura gegen den Entscheid der Stadt Kriens beim Kantonsgericht Beschwerde einreichen. Wenn die Schweiz dem Missbrauch der Einsprachemöglichkeiten Einhalt gebietet, profitieren alle. Die Bevölkerung profitiert von günstigerem Wohnraum. Investoren erhalten Rechts­ sicherheit und sind dazu bereit, auch künftig in der Schweiz Infrastruktur und Wohnraum zu realisieren. Die Steuerzahler müssen weniger Geld ausgeben für Verwaltungen, die unnötige ­Einsprachen be­­arbeiten müssen. Und die Nachbarinnen und Nachbarn von Bauvorhaben profitieren, weil allenfalls berechtigte Anliegen ernst genommen werden und nicht in der Einsprachenflut ­professioneller Nörgler und Einsprecher untergehen.

Toni Bucher (66), in Sempach geboren, durchlief die Aus­ bildungen zum Kaufmann und Immobilientreuhänder. Im Anschluss verbrachte er mehrere Jahre in den USA. Nach seiner Rückkehr war er unter anderem zwölf Jahre bei der SUVA in der Abteilung Immobilien beschäftigt. 1999 trat er der Eberli AG in Saarnen bei, war von 2002 bis 2015 CEO, wurde Miteigentümer und 2017 Verwaltungsratspräsident. Toni Bucher trug mit seiner Arbeit entscheidend zur Realisierung der Swissporarena in Luzern, der Hotels Frutt Lodge & Spa sowie Frutt Family Lodge auf der Melchsee-Frutt und des Grand Hotels Titlis Palace in Engelberg bei. Seit 2017 ist er als privater Investor mit verschiedenen Mandaten tätig. Die Entwicklung der Pilatus Arena in Kriens begleitet er als Verwaltungsratspräsident der gleich­ lautenden AG nun schon seit über sechs Jahren.

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DIE POLITISCHE STIMME IN BERN Text: Cristina Schaffner Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern Grafik: Bauenschweiz

Als Dachverband der Schweizer Bauwirtschaft vertritt ­Bauenschweiz die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Politik, Behörden und Öffentlichkeit. Um dieses Ziel noch ­besser zu erreichen, Positionen früher zu fassen und Branchen­ themen zu antizipieren, hat der Vorstand ein neues, zeitlich unbefristetes Instrument geschaffen. Miteinander vernetzte ­Fragestellungen und Themenbereiche der Schweizer Bauwirtschaft werden gemeinsam auf sogenannten Themenplattformen durch die Mitglieder bearbeitet. 77

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Bauenschweiz ist der Dachverband der Schweizer Bauwirtschaft mit rund 76 Mitglieds­ verbänden, aufgegliedert in die vier Stamm­gruppen Planung, Bauhauptgewerbe, Ausbau und Gebäudehülle sowie Produktion und Handel. Als Dachverband vertritt und fördert Bauenschweiz die Interessen der Mitglieder gegenüber Politik, Behörden und Öffentlichkeit. Dazu gehören insbesondere auch politische Stellungnahmen im Namen der Gesamtbauwirtschaft zu laufenden Vernehmlassungen und das Begleiten parlamentarischer Geschäfte auf nationaler Ebene. Neben der wirksamen Vertretung politischer Interessen sind auch die politische Meinungsbildung in den für die Bauwirtschaft rele­vanten Themen sowie das Monitoring und die Themenführerschaft in für die Bauwirtschaft zentralen politischen Geschäften die Kernaufgaben des Dachverbands. Darüber hinaus gewährleistet Bauenschweiz den Informationsaustausch unter den Teilbranchen und Mitgliedsverbänden und sorgt für eine in­­stitutionalisierte Vernetzung mit anderen Wirtschaftsorganisationen. Ausblick auf die politischen Dossiers 2022 Aufgrund der Covid-Situation blickt Bauenschweiz auf ein turbulentes Verbandsjahr zurück. Dennoch hat die Pandemie die Bauwirtschaft deutlich weniger hart getroffen als andere Branchen. Der vereinte Sektor hat die von Bund und Kantonen empfohlenen Abstandsund Hygieneregeln zum Schutz der Mitarbeitenden von Beginn an erfolgreich umgesetzt. Baustellen konnten deswegen durchgehend offen bleiben, ohne zu Corona-Hotspots zu werden. Damit erwies sich die Bauwirtschaft als ­elementarer Pfeiler in der Bewältigung der ­aktuellen Wirtschaftskrise. Mit bis zu 15 Prozent Wirtschaftsleistung und über 500 000 Fachkräften ist sie ein wichtiger Motor für den Schweizer Wirtschaftsstandort und seinen Arbeitsmarkt. Auch die politische Arbeit blieb nicht liegen. Im neuen Jahr fokussiert Bauenschweiz zusammen mit den Mitgliedsverbänden weiterhin auf die Harmonisierung des revidierten Beschaffungsrechts auf allen föderalen Stufen. Der Fokus weg vom Preis hin zu mehr Qualität, Innovation und Nachhaltigkeit ist ein echter Paradigmenwechsel, den es positiv mitzutragen gilt. Dazu bleibt Bauenschweiz im Dialog mit den Bauherren und plant eine eigene Publikation. Der Wandel in der Vergabekultur ist erst geschafft, wenn 78

Innovation und Qualität den Preiswettbewerb auf allen drei föderalen Ebenen bei den ­Ausschreibungen abgelöst hat und der Austausch der Beschaffungsstellen und Anbieter auf Augenhöhe und Vertrauen basiert. Weitere nationale politische Dossiers sind: 1. Sämtliche Themen rund um die Modernisierung des Gebäudeparks – Bauenschweiz erarbeitet aktuell etwa eine Vernehmlassungsantwort zum Thema Kreislaufwirtschaft und bringt sich bei der neuen Vorlage zum CO₂-Gesetz ein. 2. Die parlamentarische Debatte zum Bauvertragsrecht, die ab dem dritten Quartal vom Bundesrat ans Parlament verabschiedet wird – Bauenschweiz setzt sich seit Jahren gegen einen unverhältnismässigen Konsumentenschutz im Bauwesen ein; die Vernehmlassungsvorlage zeigte in die richtige Richtung. 3. Die Bundesratsvorlage zur Revision des Umweltschutzgesetzes, die unter anderem den Lärmschutz und die Siedlungsentwicklung besser aufeinander abstimmen will – Bauenschweiz unterstützt die Stossrichtung der Vorlage, die Rechtsund Planungssicherheit für ressourcen­ schonende Bauprojekte schafft. 4. Der Entscheid, ob der Landschaftsinitiative mit RPG 2 (Bauen ausserhalb der Bauzone) ein Gegenvorschlag gegenübergestellt wird – Bauen­schweiz würde dies begrüssen und setzt sich weiterhin für den Planungs- und Kompensationsansatz ein. Und schliesslich die Begleitung der «kleinen» Revision des Kartellrechts und die von Ständerat und Bauenschweiz-Präsident Hans Wicki eingereichte Motion zur Wahrung des Untersuchungsgrundsatzes. Früher Position beziehen und politische Themen antizipieren Bauenschweiz macht sich auch in Zukunft für ein Bündeln der Kräfte stark und vereinigt wo immer möglich die sehr unterschiedlichen und vielfältigen Akteure zu einer Stimme. In einer solch vielfältigen Branche ein Wir-­Gefühl zu entwickeln und gegen aussen wahr­genommen zu werden, ist eine Herkulesaufgabe. Doch der Aufwand lohnt sich. Einfluss setzt im Schweizer Politsystem Relevanz voraus. Mit starken, möglichst breit abgestützten Positionen und einem guten Netzwerk in V ­ erwaltung und Politik verschafft man sich Gehör und ist früh bei der Diskussion um Lösungen mit am Tisch. Dazu gehört, dass man gemeinsame Themen langfristig bewirtschaften und die Mitglieds­ verbände enger einbinden muss, um frühzeitig Gesellschaft & Umwelt


im Dialog mit Verwaltung und Politik einen Mehrwert zu bieten. Eine Standortbestimmung des neuen Geschäftsstellenteams und die ­Mitgliederumfrage in der Stammgruppe Produktion und Handel hat diesen Eindruck komplettiert: Die sachbezogene Diskussion von politischen Themen und Geschäften finde lediglich innerhalb der Stammgruppen statt. Es fehle an Gefässen, um wichtige politische Themenfelder innerhalb der Bauwirtschaft frühzeitig zu diskutieren und die Position von Bauenschweiz zu definieren. Der Antrag forderte die Einführung einer Matrix­ organisation mit ständigen thematischen Plattformen.

fundierte und breit abgestützte Positionen und Informationen, und der Dialog zu branchen­ relevanten Themen wird laufend geführt. Der Kick-off ist gelungen, die Arbeit steht noch an. Das Format Themenplattform ist damit ein neues Arbeitsinstrument für den Vorstand und die Geschäftsstelle von Bauenschweiz. → www.bauenschweiz.ch

Vorstand

Geschäftsstelle

Mitgliedsverbände

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Weitere

Stammgruppe Produktion und Handel

Stammgruppe Ausbau und Gebäudehülle

Stammgruppe Bauhauptgewerbe

Themenplattformen

Stammgruppe Planung

Zwei neue Themenplattformen Aufgrund dieser beiden Analysen hat sich der Vorstand von Bauenschweiz im letzten Jahr Fragen zur weiteren Arbeit gestellt – Was sind die zentralen Aufgabenstellungen der Bauwirtschaft? Welches sind gemeinsame ­Themen innerhalb von Bauenschweiz? Braucht es dazu eine Themenplattform? – und die Geschäftsstelle beauftragt, diese mit Vertretern aus allen Stammgruppen zu beantworten. Sie trafen sich unter der Leitung des Vorstands Markus Mettler zu drei Workshops und definierten fünf Fragestellungen für die Bauwirtschaft in den kommenden Jahren. Nach einer Priorisierung, dem Abgleich mit der aktuellen Arbeit von Bauenschweiz und dem nationalen Umfeld in Verwaltung und Politik entschied der Vorstand Ende 2021, folgende zwei Plattformen zu gründen: «Nachhaltiges Bauen und Bewirtschaften» – Positionsentwurf zum Thema Kreislaufwirtschaft und Modernisierung Gebäudepark mit dem Ziel Netto Null und Begleitung nationaler politischer ­Dossiers wie die Vernehmlassung zur Kreislaufwirtschaft oder die «Neuauflage» des CO₂-Gesetzes nach der Ablehnung durch die Stimmbevölkerung. «Leistungs- und Geschäftsmodelle über den ganzen Lebenszyklus» – ergebnisoffener, kontinuierlicher Diskurs zur Integration der Wertschöpfungsprozesse über Planung, Bau und Betrieb im Kontext Digitalisierung und Industrialisierung und zu den Anforderungen an die Zusammenarbeitskultur, auch in Bezug auf das revidierte öffentliche Beschaffungsrecht. Der Vorstand definiert die Mitglieder, formuliert die Zielsetzungen und Frage­ stellung und verabschiedet die entsprechenden Resultate und Standpunkte. So entstehen

Cristina Schaffner (39) ist seit April 2020 Direktorin von Bauenschweiz. Zuvor arbeitete sie zehn Jahre als Senior Consultant und Mitglied der Geschäftsleitung bei ­furrerhugi, einer inhabergeführten Kommunikationsagentur mit den Schwerpunkten Public Affairs und Public Relations. Sie hat einen Master of Arts in International Affairs and Governance der Universität St. Gallen.

S. 76 – Das Bundeshaus in Bern, eine der Wirkungsstätten von Bauenschweiz, dem Dachverband der Schweizer Bauwirtschaft. S. 79 – Die Themenplattformen stellen ein neues Arbeits­ instrument für den Vorstand und die Geschäftsstelle von Bauenschweiz dar (Grafik).

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«KÜNSTLER ERFORSCHEN DIE GANZE ZEIT FRAGESTELLUNGEN RUND UM IHRE ARBEIT» Text: Christine Marie Halter-Oppelt Fotos: Linus Bill

Mit dem BäreTower wurde dieses Frühjahr in Ostermundigen das höchste Wohnhochhaus der Schweiz und mit ihm eine neue, ­identitätsstiftende Mitte für die Gemeinde in nächster Nähe zu Bern eingeweiht. Um dem Ort mehr Ausstrahlung zu verleihen, initiierten Investoren und Entwickler ein Kunst-und-Bau-­ Projekt. Dafür ausgewählt wurde die Lausanner Künstlerin Sophie Bouvier Ausländer. Recherchen, Überlagerung und Abstraktion führten sie zu «Ursinae», einem farbigen Glasdach, das Tag und Nacht die Sternbilder des Grossen und Kleinen Bären zeigt. 81

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Die Werke von Sophie Bouvier Ausländer leben von ihrer Kontextualität und der Überlagerung verschiedener Themen. Für den von der ­Halter AG für die Investorin Helvetia Ver­ sicherungen entwickelten BäreTower schuf die Westschweizerin im Rahmen eines Kunst-undBau-Projekts eine Skulptur, die gleichzeitig eine Überdachung des Bärenplatzes ist. Wir besuchten die Künstlerin drei Monate vor Bezug der Liegenschaft in ihrem Atelier in Lau­sanne. Es befindet sich unweit der Innenstadt in einer alten Lagerhalle an den Bahngleisen. Über eine Laderampe gelangt man in einen grossen Raum mit verschiedenen Arbeitsbereichen. Hier gibt es Zeichen­tische, Regale mit Fundsachen wie Baumrinde oder Bienenwaben, Rollwagen mit Werkzeugen und Malutensilien, archivierte Kunstwerke. An den Wänden hängen fragile Gebilde aus Pappmaché. Ein kleines, beheizbares Büro ist in einem Container untergebracht, der auf Stelzen steht. Daneben liegt eine aus Euro­paletten gebaute Bühne mit Modellen anstehender Projekte. Skizzen, Materialproben und Pläne dokumentieren deren aktuellen Stand.

Komplex: An Ihrer Türklingel steht «Hotel Ausland». Warum? Sophie Bouvier Ausländer: So hiess die In­stallation für eine Soloausstellung, die ich 2014 im Musée d’art de Pully bei Lausanne hatte. Seitdem begleitet mich der Name. Er ist fast wie ein Brand geworden. Mein Nachname Ausländer ist sehr wichtig für mein Werk. Egal wohin ich gehe, ich bleibe immer Ausländer. Der Begriff Hotel klingt dazu wie ein Widerspruch. Die Schriftart, die ich damals wählte – nicht wegen ihrer Ästhetik, sondern wegen ihres Namens – heisst ­Helvetica. Das bringt noch eine weitere Irritation ins Spiel. Ich interessiere mich in meiner Arbeit sehr für Worte und Sprache. Noch dazu glaube ich, dass jeder Künstler ein Ausländer ist, der in einer vorüber­gehenden Situation arbeitet und temporäre Lösungen anbietet.

Wie haben Sie die letzten zwei Jahre erlebt? Die Pandemie hat meinen Alltag nicht gross verändert. Ich bin jeden Tag in mein Studio gegangen und habe gearbeitet. Unangenehm 82

fand ich nur den öffentlichen Druck. Es wurde erwartet, dass Künstler auf die gegenwärtige Situation reagieren. Dabei antworten wir doch immer auf Fragen der Zeit. Ich habe mich schliesslich mit meinem Körper beschäftigt. Es entstand eine Serie von paarweisen Organen aus Pappmaché: Augäpfel, Brüste, Lungenflügel, Nieren. Wir sind auf diese Organe angewiesen, dabei kennen wir sie gar nicht. Weil sie so geheimnisvoll sind, wollte ich sie aus dem Körper nehmen und sichtbar machen. Aus dieser Suche heraus entstand ein Künstlerbuch, eine Art Tagebuch. Es ist auf dem Papier der «Financial Times» gedruckt.

Warum? Ich lese die englische Zeitung jeden Tag und erfahre durch sie, was in der Welt passiert. Ihr Papier ist hellrosa, genau wie meine Haut. Diese Verschränkung hat mich interessiert. Denn wenn ich mit diesem Papier arbeite, dann ist es so, also würde ich über mich selbst in Relation zu unserer Welt ­sprechen. Es war sehr schwer, an das Papier heranzukommen. Es ist patentiert und wird speziell für die «Financial Times» her­ gestellt. Aber der Verlag in London fand mein Projekt interessant und hat mir einige Rollen in die Schweiz geschickt.

Was kann man in Ihrem Tagebuch lesen? Nur Wortfetzen. Ich habe Transferdrucke von den fotografierten Organen gemacht und mit Schrift kombiniert. Es sieht so aus, als hätte ich die Wörter in die Luft geworfen, und sie wären in Einzelteilen wieder auf dem Papier gelandet. Es geht darum, von unterschiedlichen Welten zu erzählen und Widersprüche aufzuzeigen. In der Mitte des Buches sind die beiden Lungenflügel abgebildet. Es war im letzten Sommer im Museo d’Arte Con­temporanea di Roma ausgestellt und wurde auch in einer Performance gezeigt.

Denken Sie lange über ein Werk nach, bevor Sie damit anfangen? Ich glaube, ich bin sehr spontan. Ich habe eine Idee, die mich begeistert, und mache mich an die Arbeit. Bei meinen Recherchen Gesellschaft & Umwelt – Interview



muss ich aber manchmal einsehen, dass meine Vorstellungen nicht realisierbar sind. Es kann dann sein, dass ich trotzdem weitermache und einen ganz anderen Weg nehme, als ich vorher dachte. Das ist sehr spannend.

Sie gehen gerne in die Tiefe? Das ist mein Charakter. Ich glaube, Künstler sind wie Detektive. Sie erforschen die ganze Zeit Fragestellungen rund um ihre Arbeit. Ich habe von 2013 bis 2019 in London an der Slade School of Fine Art einen Doktor gemacht. Mit dem Thema meiner Arbeit über zeitgenös­ sische Reliefs beschäftige ich mich bis heute.

Gibt es einen roten Faden in Ihrem Schaffen? Ich glaube, man kann meine Arbeit nicht labeln oder einer bestimmten Kategorie zuordnen. Jedoch sind viele meiner Werke sehr fragil und vergänglich. Das trifft besonders auf meine Studioarbeiten zu. Hier erlaube ich mir 84

zum Beispiel, säure­haltiges Papier zu benutzen. So kann es sein, dass meine Zeichnungen mit der Zeit verblassen. Oder ich bemale Landkarten, die eigentlich dafür gedacht sind, dass man sie zusammenfaltet und mit auf die Reise nimmt. Daneben entwickle ich tempo­ räre Arbeiten für den öffentlichen Raum, aber auch permanente, bleibende und solide Kunstwerke. Ich liebe diese grosse Bandbreite.

Dazu gehört auch das Thema Kunst und Bau. Das ist seit einigen Jahren ein ganz wichtiger Aspekt in meiner Arbeit. Für ein öffent­ liches Projekt muss ich mein Studio und meinen Alltag verlassen. Ich stelle Nachforschungen zur jeweiligen Geschichte an und setze sie in einen Kontext. Es ergeben sich Fragen, die mit einem bestimmten Ort verknüpft sind. Das bringt ganz neue Themen auf den Tisch, mit denen ich nicht konfrontiert wäre, wenn ich nur für Sammler, Galerien oder Kunstmessen produzieren würde. Gesellschaft & Umwelt – Interview


Wie kam es zum Projekt für das Hochhaus BäreTower? Ich wurde zusammen mit vier anderen Künst­lern zu einer Präsentation eingeladen. Jeder von uns musste sich mit einigen Arbeiten und ersten Ideen für den BäreTower vorstellen. Der Jury gefiel meine Herangehensweise an frühere Projekte und die Vielfalt, mit welcher ich Orte künstlerisch bespiele. Ich habe keine eindeutige Signatur – jedes Werk ist eine Überraschung. Ich analysiere einen Ort und seine Architektur und erarbeite ein Konzept, das ihre Seele ausdrückt.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Besuch auf der Baustelle? Das war im Juli letzten Jahres. Der BäreTower war im Rohbau, und es gab noch keine Lifte im Haus. Also mussten wir einen Aussenlift benutzen. Die Fahrt ging schrecklich lange. Ich habe Höhenangst und war sehr erleichtert, als wir endlich im 32. Stock angekommen waren. Von dort hat man einen wunderbaren Blick in die Ferne und auf die Stadt Bern. Man sieht das Berner Münster und das Bundeshaus. Der Bärenplatz am Fuss des Hochhauses erscheint ganz klein. Als unsere Gruppe dann wieder unten war, zog plötzlich ein Sturm auf. Es regnete wie aus Giesskannen, und wir suchten nach einem Unterstand. Da kam mir die Idee, ein Dach zu bauen, irgendetwas, was den Platz bedeckt.

Der BäreTower wird mit 100 Metern bald das höchste Wohnhochhaus der Schweiz sein. Ich weiss. Das Berner Münster ist nur 60 Zentimeter höher. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz in Bern, dass kein Gebäude höher sein darf. Dies sowie der Sichtbezug waren Gründe, warum ich mich von Anfang an mit dem Münster beschäftigt habe. Ich kannte es schon vorher, doch im Rahmen des Projekts habe ich es wiederentdeckt. Besonders beeindruckend fand ich die Struktur des Mittelschiffgewölbes und die bleiverglasten Fenster. Meine Arbeit soll eine Art Echo dazu erzeugen.

Ihr Projekt trägt aber den Namen «Ursinae». 85

Was mich seit meiner ersten Fahrt mit dem Aufzug auf den BäreTower auch beschäftigte, war die Beziehung von Himmel und Erde. Und weil ich viel mit Landkarten arbeite, dachte ich mir, ich könnte doch mal eine ­Himmelskarte anschauen. Dort habe ich dann die Sternbilder Grosser Bär und Kleiner Bär entdeckt und gleich daneben den Bären­ hüter. Auf Französisch heisst diese Kon­ stellation Bouvier – mein Nachname. Das fand ich unglaublich. Es hatte fast etwas Schicksalhaftes. Darüber hinaus sagte mir jeder der Beteiligten, wie wichtig der Bär für das Projekt und für Bern ist. «Ursinae» ist der lateinische, wissenschaftliche Name des Sternbilds.

Wie haben Sie die verschiedenen Elemente dann in Ihren Entwurf eingebracht? Die symbolische Verbindung für alle Elemente ist der Gedanke an die Ewigkeit. So wie der BäreTower eine Art Gedankenstrich zwischen Himmel und Erde ist, wird auch «Ursinae» diese Verbindung symbolisieren – inspiriert ­einerseits von der bunten Farbpalette und dem Mittelschiffgewölbe des Berner Münsters, andererseits von der Sternenkonstellation, wie man sie zum Zeitpunkt des Bezugs der Wohnungen im BäreTower sieht. Aus diesen Ele­ menten entwickelte ich eine Art Gitter, das ich immer mehr reduziert habe, bis ich einen bestimmten Abstraktionsgrad erreicht hatte. Dennoch drückt der Umriss des Dachs mit seinen vielen Zacken ganz klar die Idee eines Sterns aus.

Wie ist das Dach technisch aufgebaut? Die Skulptur ist gut 100 Quadratmeter gross und hat 3,50 Meter hohe Stützen. Ihre ­Metallstruktur wird einen matt glitzernden, ­anthrazitfarbenen Lack tragen. In das Sicherheitsglas, das auf der Gitterstruktur liegt, sind zwölf verschiedenfarbige Folien integriert. So bleibt die Struktur von unten sichtbar, oben entsteht eine glatte Fläche. Sie hat ein minimales Gefälle, damit das Regenwasser ablaufen kann. Frisch ­gefallener Schnee wird einfach wegrutschen. Alle statischen Berechnungen wurden vom ­Thuner Ingenieurbüro Theiler gemacht. Komplex Nr. 15/2022



Hatten Sie auch Kontakt zu Burkard Meyer Architekten, die die Überbauung geplant haben? Als ich ausgewählt wurde, war meine erste Frage: Hat der Architekt für mich gestimmt? Zum Glück war es so. Denn wenn ein Architekt nicht glücklich mit dir und deinem Projekt ist, dann kommt es nicht gut. Auch wenn das Kunstwerk nicht direkt an das Gebäude anschliesst oder darauf referenziert, gibt es doch immer einen Dialog. Als ich mit meinem Entwurf kam, waren die Architekten sehr glücklich. Weil sie selbst einmal mit dem Gedanken gespielt hatten, ein Dach oder einen Unterstand auf dem Platz zu bauen. So kamen wir zum gleichen Resultat. Ich muss sagen, dass ich auch ihren Entwurf für den BäreTower faszinierend finde. Die Fassade aus Aluminium mit gelben Messingdetails reflektiert das Licht und sieht zu jeder Tageszeit anders aus. Der Turm ist wie ein Chamäleon.

Auch «Ursinae» wird auf die Umgebung abstrahlen. Ja. Je nachdem, wo die Sonne steht und wie das Wetter ist, werden mehr oder weniger helle, bunte Lichtpunkte auf den Boden geworfen. Ich wünsche mir, dass die Menschen, die dort leben oder vorbeikommen, von «Ursinae» angezogen werden. Dass sie mit der Skulptur in Kontakt treten, mit ihr spielen und Schutz unter ihr suchen, wenn es regnet oder wenn es heiss ist. Auf dem Bärenplatz können auch Märkte stattfinden. Das fände ich schön. Es ist mir sehr wichtig, dass sich unter «Ursinae» alltägliches Leben abspielen wird.

Meinen Sie, dass die Passanten Ihr Kunstwerk verstehen werden? Ich weiss nicht, aber es würde mich glücklich machen, wenn sie einen bleibenden Eindruck davon mitnehmen würden. Vielleicht könnte man eine kleine Tafel installieren, die das Werk erklärt. Ich finde auch eine Signatur wichtig. Anonyme Skulpturen im öffentlichen Raum werden oft vernachlässigt. Das ist dann sehr schade. Darum ist es uns wichtig, dass meine Skulptur nicht zum Vandalismus einlädt. Auf dem Bärenplatz werden auch noch ein Wassertisch und eine Steinbank installiert. 87

Wir haben sehr darauf geachtet, dass die verschiedenen Elemente auf dem Platz in einem guten Dialog zueinander sowie mit der Architektur stehen.

Wie können Sie sicherstellen, dass «Ursinae» als Kunst und nicht als Architektur gesehen wird? Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Konstruktion wird zwar der Sicherheit wegen von einem Statiker berechnet, aber ihr Wert liegt doch im künstlerischen Entwurf und in der konzeptionellen Herleitung. Ich arbeite zum Beispiel gerade an den fünf Stützen, auf denen das Dach liegen wird. Sie werden alle eine andere Ausrichtung haben. Ich spiele mit den Winkeln und den Positionen. Hier zählen ganz feine Details. Ich denke, man muss ein ausgefeiltes, dichtes Konzept haben, aber am Ende zu einer einfachen Form kommen. Etwas, was anzieht und lesbar ist. Wir sprechen auch immer von «Ursinae» und nie von einem Dach.

Wir oft gehen Sie nach Ostermundigen? Regelmässig. Auf der Baustelle treffe ich die Architekten oder den Bauleiter Agron Noshi. Er ist sehr hilfsbereit und unterstützt mich. Oft werde ich dabei auch von Friederike Schmid begleitet. Sie ist Kuratorin und Projektleiterin für Kunstprojekte aus L ­ enzburg und die zentrale Person bei diesem Kunst-­ und-Bau-Vorhaben. Friederike hat den ganzen Wettbewerb moderiert und fungiert auch jetzt noch als Vermittlerin bei Treffen mit der Bauherrschaft, den Behörden oder den Ingenieuren. Sie achtet darauf, dass trotz der Anforderungen an die Sicherheit und das Budget der Ausdruck und die künstlerische Kraft von «Ursinae» nicht gemindert werden. Dies ist zwar bereits mein siebtes Kunst-undBau-Projekt, aber die Bedingungen sind doch immer wieder anders.

«Ursinae» wird nicht nur den Bären­ platz zu einem markanten Stadt­ baustein machen, es ist auch Teil eines kommerziellen Immobilien­ projekts. Wie denken Sie darüber? Komplex Nr. 15/2022


Eine interessante Frage. Solche Aufträge bieten mir die Möglichkeit, mich mit meiner Kunst auszudrücken. Das ist erst einmal gross­artig. Ich versuche immer, mein Bestes zu geben, und habe hohe Ansprüche an meine eigene Arbeit. Dabei schaue ich mehr auf die Nutzer eines Ortes als darauf, wer das Werk finanziert oder für sein Image nutzt. In diesem Fall heisst die Investorin Helvetia. Mit einer Versicherung verbinde ich grund­ legende Dinge wie das Leben an sich, Sicherheit, bleibende Werte und lange zeitliche Perspektiven – daher auch das Thema Ewigkeit. Mit all dem kann ich mich gut identifizieren.

Wann ist ein Projekt gelungen? Das ist schwierig zu sagen. Vielleicht wenn zwei Teile wie mit einem Klick plötzlich zusammenpassen, wenn man die richtige Kombination gefunden hat, die perfekte Balance.

Spüren Sie manchmal auch Unsicherheiten?

Natürlich hoffe ich immer, dass meine Arbeiten ankommen. Aber ich kann und will nicht alle glücklich machen. Gerade Kunstwerke dürfen sich auch mal an der öffentlichen Meinung reiben. Doch eine Sache beschäftigt mich im öffentlichen Raum jedes Mal: die Dimension. Ich bin auf die Grösse und die Wirkung von «Ursinae» gespannt.

Sie haben vergangenen Dezember in Ihrem letzten Interview mit dem «Kunstbulletin» gesagt, dass Sie in Ihrer Kindheit mehr gelernt hätten als an der Universität. Ich habe über die Primarschule gesprochen. Ich benutze noch heute Techniken, die mir dort gezeigt wurden. Das sind sehr einfache Dinge, wie zum Beispiel das Schreiben mit einem Füllfederhalter. Ich liebe das Gefühl, wenn die flüssige Tinte auf das Papier läuft, bis heute. Ich mag es auch, mit dem Bleistift zu zeichnen oder Reliefs mit einer simplen Nadel in Papier zu stechen.


Die Kunstschule war für mich gut, um Leute kennenzulernen und ein Netzwerk aufzubauen.

Wo sind Sie aufgewachsen? Auf einem Bauernhof mitten in der Natur, nur etwa 20 Minuten von Lausanne entfernt. Wir waren umgeben von Wiesen und Wäldern, hatten Tiere und einen Garten voller Gemüse. Ich konnte barfuss spielen und bin mit dem Fahrrad in die Schule gefahren. Wenn etwas kaputtging, haben wir es selbst repariert, und ständig wurden irgendwelche Möbel oder Fensterläden gestrichen.

Wann wird «Ursinae» abgeschlossen sein? Die Übergabe der Wohnungen im BäreTower ist am 1. April 2022. Zu diesem Zeitpunkt wird man die Konstellation des Grossen Bären, des Kleinen Bären und des Bärenhüters am Nachthimmel von Ostermundigen sehen. Gleichzeitig kann man sie symbolisch im Werk «Ursinae» erkennen.

Was ist Ihnen von dieser Zeit am tiefsten in Erinnerung geblieben? Ein Gefühl von Wohlwollen und Güte. Alle waren freundlich miteinander.

Haben Sie selbst Kinder? Ja, ich habe drei Kinder – zwei Söhne und eine Tochter. Sie sind inzwischen erwachsen.

Über die Stellung von Künstlerinnen wird zurzeit viel gesprochen. Ich kann Ihnen diese Diskussion, die gerade für Künstlerinnen sehr wichtig ist, mit einer Anekdote verdeutlichen, die ich einmal erlebt habe. Ich wurde einem Museumsdirektor vor­gestellt und jemand sagte: «Sie hat schon drei Kinder.» Da streckte er mir die Hand entgegen und meinte: «Mein Beileid.» Das werde ich nie vergessen. Künstlerinnen haben es noch immer schwer.

Seit Ihrem Doktorat haben Sie ein zweites Atelier in London. Wann möchten Sie dorthin zurück? Ich plane schon seit Monaten, nach London zu reisen. Mein Galerist ist dort, und ich hatte im vergangenen Jahr eine Einzelausstellung. Aber wegen Corona war es bislang nicht möglich. Ich bin auch gerade sehr be­schäftigt. Ich habe drei grosse öffentliche Aufträge, die ich vollenden muss. 89

BäreTower, Ostermundigen Der BäreTower ist ein wichtiger Schritt in der städtebaulichen Entwicklung von Ostermundigen, einer Vorortgemeinde von Bern. Das Projekt sieht verschiedene öffentliche und private Nutzungen an einem verkehrsgünstigen Standort vor. Nach der Baubewilligung im Juli 2018 konnte die Halter AG als Entwicklerin die Helvetia Versicherungen als insti­ tutionelle Investorin gewinnen. Der Baustart erfolgte Ende 2018. Im Frühjahr 2022 wurden 152 Wohnungen und 3000 Qua­ dratmeter Gewerbe- und Dienstleistungsflächen vom Ver­ markter Tend AG an die Mieter übergeben. Das Lifestyle­-Hotel Harry’s Home mit 116 Zimmern und ein Panoramarestaurant runden das Angebot ab. → www.bäre-tower.ch

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S. 80 – Sophie Bouvier Ausländer vor einem Teil ihrer Installation «Mare Vostrum», die sie 2019 im Musée des beaux-arts du Locle ausstellte. S. 83 – Auf einer Bühne im Atelier der Künstlerin steht das Architekturmodell des BäreTower. An der Wand dahinter hängen Zeichnungen, Fotos, Farbproben und Materialmuster für das Kunst-und-Bau-Projekt «Ursinae». S. 84 – Die Skulptur «Ursinae», ein farbiges Glasdach, wird am Fuss des Hochhauses auf dem Bärenplatz zu stehen kommen und bunte Lichtpunkte auf den Boden werfen (links). Die Künst­lerin zeigt auf eine Himmelskarte mit den Sternbildern Grosser Bär, Kleiner Bär und Bärenhüter, die als Inspiration für ihr Werk dienten (rechts). S. 86 – Unter und neben dem auf Stelzen stehenden Büro­ container lagern grosse und kleine Werke von vergangenen Ausstellungen neben Leinwänden, Papierrollen und anderen Arbeitsmaterialien. An der Wand hängen zwei Brüste aus Pappmaché.

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S. 88 – Das Künstlerbuch, ein Unikat, entstand aus dem hellrosa Papier der britschen Tageszeitung «Financial Times». Mittels Transferdruck wurden die Motive auf die Seiten aufgebracht. In der Mitte sind zwei Lungenflügel – die Fotografie eines Pappmaché-Objekts – abgebildet. S. 89 – Die 52-jährige Künstlerin schaut aus der Tür ihres Ateliers, das in einer alten Lagerhalle an den Gleisen unweit des Stadtzentrums von Lausanne liegt. S. 90 – Die Pferdehaare sollen in einer Installation zum Einsatz kommen, die für die Eröffnung der neuen Lausanner Museen Photo Elysée und mudac im Juni 2022 entsteht. S. 91 – Im Atelier gibt es viel Platz für Regale mit Fund­ sachen, Rollwagen mit Werkzeugen, Malutensilien, Farben und Arbeitstische. Im Vordergrund links steht ein mit Büchern befüllter Paravent, der im Rahmen des Kunst-und-Bau-­ Projekts «Manières de faire des mondes» entstand. An der Wand stapeln sich bunte Globen, die aus dünnen Papierstreifen zusammengeklebt sind.

Gesellschaft & Umwelt – Interview



NEW WORK IN DER ALTEN POST

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Text: Sherin Kneifl Visualisierungen und Pläne: Integral design-build AG

Die Anforderungen ans Büro verändern sich rasant. Zeitgemässe Workplaces bieten nicht nur gut vernetzte Arbeitsplätze, sondern auch Zonen zum Rückzug sowie Möglichkeiten für den informellen Austausch und für Begegnungen. Die Integral ­design-build AG weiss um die Trends und setzt die neuen ­Anforderungen konsequent um. So entstand auch eine massgeschneiderte Bürolösung für die Bellevue Group in der alten Hauptpost in Zug. Gesellschaft & Umwelt


Es braucht keinen Blick in die Glaskugel, um vorauszusagen, dass sich unsere Art zu arbeiten nachhaltig verändert. Mit Corona kam das Homeoffice – und es wird uns auch weiterhin begleiten. Die Pandemie wirkt wie ein Brandbeschleuniger auf die Digitalisierung und hat nicht nur das mobile Arbeiten vor­ angetrieben, sondern auch die Anforderungen an Bürowelten auf den Kopf gestellt. Doch die Digitalisierung ist nur einer der sogenannten Megatrends, von denen das deutsche Zukunftsinstitut ganze zwölf für 2022 statuiert: Gendershift, Gesundheit, Globali­ sierung, Konnektivität, Individualisierung, Mobilität, New Work, Neo-Ökologie, Sicherheit, Urbanisierung, Silver Society, Wissenskultur. Hierbei handelt es sich um tief­greifende Prozesse des Wandels, die sich global und langfristig auf diverse Bereiche in Gesellschaft und Wirtschaft auswirken. Sie sind vielfach der Ausgangspunkt weit­ reichender Strategien in Unternehmen und bestimmen zweifellos mit, wie, wo und in welchem Umfeld wir arbeiten werden. Dass Unternehmer und CEOs diesbezüglich Überlegungen anstellen, ist nicht nur eine Frage der Firmenphilosophie, sondern auch eine notwendige Voraussetzung für ihren Erfolg. Unterstützung finden sie bei der Integral design-build AG, spezialisiert auf moderne Arbeitswelten wie Corporate Offices, Co-Working Spaces oder Flex Offices. Das 2020 gegründete Unternehmen, eine Schwesterfirma von Halter, bietet von der Analyse und strategischen Konzeption über den Innenausbau bis zum Umzug alles aus einer Hand. Stefanie Wandiger und Katja Wöhler, Projektleiterinnen bei Integral design-build, sind Expertinnen im Workplace-Design und Workplace-Management. Die beiden diplomierten Innenarchitektinnen mit Fokus auf neue Arbeitswelten bringen dank Jobsharing ihr geballtes Know-how in eine Stelle ein. Katja Wöhler übernimmt bei einem Projekt mehrheitlich den Part der Visionsentwicklung und ist intensiv in der Nutzeranalyse tätig. Stefanie Wandigers Aufgaben knüpfen daran an: Sie widmet sich seit zwölf Jahren der Konzeption und wird aktiv, wenn es um die ­Übersetzung der Bedürfnisse in den drei­ dimensionalen Raum geht. Die Zeiten ändern sich Leistungsfähige Büros sind heute klar auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Sie sind energie- und ressourceneffizient und 93

haben einen minimalen ökologischen Fussabdruck. Sie sollen aber auch Komfort und ­optimale Bedingungen für Gesundheit und Wohlbefinden der Nutzer bieten. Ebenso wichtig: die positive Wirkung auf Verhalten und Firmen­kultur. Solch ein Umfeld fördert die Kommunikation, optimiert und beschleunigt die Prozesse. Es motiviert, schafft Werte und Identifikation. Zudem lockt es die besten Talente an. Gerade in Start-ups ist auch der Abbau von traditionellen Statussymbolen (Stichwort «Teppich­etage») ein Aspekt. Sie gelten als angestaubt und haben in flachen Hierarchien, die nicht auf Rang basieren, keinen Platz mehr. Die Zeichen für Leistung sind subtiler geworden (Stichwort «stets die neuste Software»). Alles in allem ist das Büro eine Visitenkarte für das Unternehmen. Die genannten Faktoren führen zu mehr Mitarbeiterbindung, weniger Fehlzeiten und letztlich zu einem besseren Endergebnis und höherer Produktivität. «Heute, in der Realität von Homeoffice, wollen die Mitarbeitenden einen Grund haben, künftig wieder ins Büro zu gehen. Das führt einerseits zu dem Wunsch, dass sich die Räumlichkeiten ein wenig wie zuhause anfühlen sollen, andererseits gilt es, die angestauten technologischen und ergonomischen Defizite auszugleichen. Da die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben immer mehr verschwimmen, steigen auch die Erwartungen an den Arbeitsplatz. Post-Covid wird er mehr dem sozialen Austausch und der gemeinsamen kreativen Entwicklung dienen», sagt Stefanie Wandiger. Alles aus einer Hand Unternehmen wenden sich an Integral designbuild, weil sie einerseits umbauen und die bestehenden Räumlichkeiten zukunftsweisend nutzen wollen, anderseits den gesamten ­Projektprozess von der Flächenentwicklung bis zur Ausführung aus einer Hand haben möchten. So vermeiden sie unnötige Schnittstellen und haben einen einzigen Ansprechpartner. Bemerkbar macht sich das in einer kürzeren und kostenoptimierten Projektumsetzung. Das Workplace-Management fokussiert in der ersten Phase auf Strategie und Konzeption. In der zweiten Phase wird mittels Design-Build umgesetzt – von der Planung über das Engineering bis zur Realisierung – und bei Bedarf auch das ganze Umzugsmanagement übernommen. Im Kernauftrag wünschen sich die Kunden zum Beispiel eine Verbesserung der ZusammenKomplex Nr. 15/2022


arbeit zwischen den Angestellten, ein inspirierendes Arbeitsumfeld, das zu höherer Produktivität führt, aber auch dass sich die DNA der Unternehmung in der Architektur widerspiegelt und so das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeitenden zum Arbeitgeber gestärkt wird. «Momentan sind wir schwerpunktmässig für KMU tätig. Sie schätzen eine Betreuung mit starker Bodenhaftung», freut sich Stefanie Wandiger. «Wir arbeiten voller Leidenschaft im Sinne des Kunden. Nahbarkeit ist unsere Stärke und unser Markenzeichen. Weil wir sehr schnell und agil sind, werden aber auch immer mehr grosse Firmen auf uns aufmerksam», fügt Katja Wöhler an. Ein neuer Standort für die Bellevue Group Eines der gerade abgeschlossenen Projekte ist der neue Standort der Bellevue Private ­Markets AG in der alten Hauptpost in Zug. Das Post- und Telegrafengebäude entstand von 1899 bis 1902 als repräsentativer Solitär an prominenter Lage im Zentrum der Stadt. Das historische Haus wurde für die Umnutzung – hochwertige Büroflächen auf 1300 Quadratmetern und drei Stockwerken mit Gastronomie im Erdgeschoss – umfassend saniert, die Haustechnik erneuert und die Raumstruktur optimiert. Dabei mussten zahlreiche denkmalpflegerische Auflagen insbesondere bei der Gebäudehülle und im Treppenhaus berücksichtigt werden. Die prächtige Steinfassade blieb erhalten. Diese Parameter definierten den Auftrag genauso wie Zeitrahmen, Fläche, Arbeitsplatzstrategie oder Budget und wurden vorab in einer Due Diligence geprüft, die die baulichen und technischen Leitplanken identifizierte. Die Herausforderung bei der WorkplaceStrategie für die 460 Quadratmeter im zweiten Obergeschoss lag darin, die unterschied­ lichen Ansprüche der Angestellten und der Kundengruppen der Bank – die zehn grössten Investoren in der Schweiz – zu vereinen. Dieser Kulturkontrast brachte wichtige Überlegungen mit sich. Käme die Bank, deren ­Leitspruch «Excellence in Entrepreneurial Investment» lautet, optisch zu zurückhaltend daher, würde das die Vertrauensbildung mit den Kunden behindern. Ein zu hochtrabendes Auftreten hätte jedoch denselben Effekt. Elegant, aber nicht zu luxuriös Die Lösung lag laut Kerstin Schuller, die das Projekt bei Integral design-build leitete, im Kreieren einer sehr ruhigen, unaufdringlichen 94

Atmosphäre; das Ambiente sollte elegant, aber nicht luxuriös wirken. Ein weiterer Knackpunkt bestand darin, auf der relativ kleinen Fläche Grosszügigkeit zu vermitteln und doch geschlossene Räume für die vertrauliche Materie zu schaffen. Von Kundenseite kamen weitere konkrete Vorgaben. Gewünscht waren neun fix zugewiesene Arbeitsplätze mit einer Option auf bis zu neunzehn weitere. Daraus resultierte ein Mix aus festen Arbeitsplätzen, offenen und geschlossenen Besprechungszonen sowie Ad-hoc-Arbeitsplätzen für die Mit­ arbeiter anderer Niederlassungen, die nur gelegentlich dazukommen und sich an sogenannten Workbenches stationieren können. Die verwendete Farbpalette fokussiert auf Blautöne und greift damit das Erscheinungsbild der Bankengruppe auf. Das hochwertige wie schlichte Mobiliar für die insgesamt sechs Räume ist made in Europe. Zu weissen, höhenverstellbaren Tischen gesellen sich Drehstühle von Vitra. Nordische Sachlichkeit bringen Metallregale von Hay. Die Glasleuchten von Artemide haben dagegen eine deko­ rative Note. Wand­haken und eine geometrisch aufgebaute Garderobe, beides vom deutschen Hersteller Schönbuch, wirken als zurück­ haltender Blickfang. Zwei Sitzungszimmer dienen dem Austausch für bis zu vierzehn Personen. Glaswände mit Sichtschutz sowie farbige Vorhänge sorgen für Wohnlichkeit und Diskretion gleicher­ massen. Zum Einsatz kamen Stoffe von Création Baumann – mal hell, mal satt, mal blickdicht, mal transparent. Auch die Stehleuchte aus Granit und Metall von Normann Copenhagen trägt zur Stimmung bei. Identitätsstiftenden Charakter hat ein ausdrucksstarker Tisch in Trapezform – ein Entwurf von Arper – im grossen Sitzungszimmer. Sogar der Gang wird genutzt. Er ist mit Lounge Chairs und runden schlichten Beistelltischen aus Holz, beides von Zeitraum, ausgestattet. Damit dient er als Wartebereich oder Rückzugsort. Die warmen Holzakzente wiederholen sich in der Pausenzone, etwa bei den Sitzbänken oder den Hoch­ stühlen, wieder von Arper, die sich um schwarze Stehtische gruppieren. Mögliche Unordnung in diesem Bereich versteckt geschickt ein Kettenvorhang. Überall wurde Teppichboden verlegt, ausser im Gang, der mit Kautschuk ausgestattet ist. Gerad­ linig puristisch und doch angenehm ein­ ladend, erlaubt diese Umgebung der Bellevue Group seit April 2022 ein agiles Arbeiten. Gesellschaft & Umwelt


In drei Schritten zum Ziel Jedes Projekt wird selbstredend sehr individuell betrachtet. Alle beginnen jedoch mit denselben drei Fragen. Erstens: Warum? Die Ziele eines Aus- oder Umbaus werden gleich zu Beginn herausgearbeitet, Markttrends und Technologie mitüberlegt. Zweitens: Für wen? Diese Frage beschäftigt sich mit der Marke und der Kultur eines Unternehmens. Hier kommen Nutzergruppen, Prozesse und die Art der Zusammenarbeit und Kommunikation mit ins Spiel. Drittens: Wo? Neben der Standort- und Marktanalyse geben auch architektonische Rahmenbedingungen den Ausschlag. Auch um ein Konzept zu erstellen, gehen Stefanie Wandiger und Katja Wöhler drei­ stufig vor und bewegen sich von der Makrozur Mikrobetrachtung. Die erste Ebene, die sie berücksichtigen, ist jene der Mega­ trends, also der weltweiten Tiefenströmungen des Wandels, die sie in Ebene zwei in Entwicklungen und Einflüsse, die sich kurz- und mittelfristig auswirken, transformieren. Hierzu gehören zum Beispiel Post-Covid oder Future Skills, die in den nächsten fünf ­Jahren für das Berufsleben deutlich wichtiger 95

werden – und zwar über alle Branchen und Industriezweige hinweg –, wie auch analytisches Denken und Innovationskraft, Kreati­ vität oder aktives Lernen. Ebene drei ist der Kunde mit seinen jeweiligen Themen. Ein neues Arbeitsplatzkonzept kann unterschiedlich motiviert sein: Die angepeilten Ziele reichen von Kostenreduktion und Platz sparen über das Abbilden von Wachstum oder Schrumpfen bis hin zu mehr Attraktivität für neue Talente. Oft sollen mehrere davon erreicht werden. Darum sind Workplace-­ Konzepte facettenreich und vielseitig. «Wir schauen, welche Megatrends und Einflüsse überhaupt für das Unternehmen relevant sind. Es macht keinen Sinn, alles abzubilden. Erst dann erfolgt eine genaue Analyse der Firma: Welche Werte, welche Geschäftsphi­ losophie, welche Arbeitskultur verkörpert sie? Und: Wie können wir diese in funktionaler, emotionaler und sozialer Hinsicht erlebbar machen?», erläutert Stefanie Wandiger. Projektfindung mithilfe der Psychologie Zunächst kommt die funktionale Betrachtung, das heisst Anwesenheiten, Tätigkeiten und Komplex Nr. 15/2022


Abläufe werden mittels verschiedener Tools beleuchtet. Eines davon ist das semantische Differential. Dieses Verfahren wurde in der Psychologie entwickelt, um herauszufinden, welche Vorstellungen Personen mit bestimmten Begriffen, Sachverhalten oder Planungen verknüpfen. Das Expertinnen-Duo hat es konkret auf die Architektur umgemünzt. Weiterhin verwenden sie Fragebögen oder ­Personas – auch dieser Ausdruck kommt aus der Psychologie und meint die fiktiven Nutzer (Zielgruppe) eines Produkts. Es werden Antworten darauf gesucht, wie die Mitarbeitenden kollaborieren, welche Ansprüche sie innerhalb und ausserhalb ihres Arbeitsorts haben, welchen Grad an Vertraulichkeit ihre Be­ schäftigung hat, wie laut sie sind, wie sensibel sie sind, wie digital sie unterwegs sind und vieles mehr. Daraus lässt sich unter anderem ersehen, welche Raummodule nötig sind. Solche tätigkeitsbasierten Analysen geben Aufschluss über die Kundenbedürfnisse. Der Treiber für Veränderungen steckt jedoch in den Emotionen und in den Menschen hinter der Marke. «Da wir mit und für Menschen arbeiten, ist diese Verbindung die wichtigste», so Stefanie Wandiger. Zusammen mit ihrer Kollegin veranstaltet sie Workshops, macht Interviews und stellt Fragen. Sie zeichnet die Reaktionen auf und sucht das persönliche Gespräch. Zudem kommen neuro­ wissenschaft­liche und verhaltenspsychologische Methoden zum Einsatz – Tools, die die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung, der Psychologie und der Evolutionsbiologie mit empirischer Konsumforschung verknüpfen. Menschen treffen Entscheidungen und handeln vor allem aus emotionalen Gründen. ­Zen­trale Emotionssysteme im limbischen System geben Aufschluss darüber, welche Präferenzen Kunden oder Zielgruppen haben. Daraus leitet das Team von Integral design-build wissen­ schaftlich basierte Raumattribute ab und erstellt ein strategisches Look and Feel. So wird der Kunde auf die Reise zum angestrebten Ziel mitgenommen. Hierfür kreiert das Unternehmen neben stimmungsvollen Moodboards auch virtuell begehbare 3D-Räume für eine möglichst realitätsnahe Raumerfahrung. Erfolg ist messbar Mit dem sogenannten Key Performance Indicator (KPI) kann man die Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen messen. Dafür heran­ gezogen werden zum Beispiel eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, mehr Präsenz, 96

Leistungssteigerung oder weniger krankheitsbedingte Abwesenheiten. «Das Wichtigste für uns ist das positive Feedback der Kunden. Wir sind dann erfolgreich, wenn wir nicht nur das Richtige gebaut, sondern auch Kosten, Termine und den zu Beginn festgelegten Qualitätsanspruch eingehalten haben», so die Erfolgsdefinition der Mitarbeiterinnen von Integral design-build. Ein stetig wachsender Anteil in ihrem Portfolio entfällt auf die Zusammenarbeit mit Immobilienentwicklern und -vermarktern. In diesem Bereich kooperiert man intensiv mit Halter Entwicklungen, um künftige Nutzungsstrategien für Gebäude schon in der Planungsphase zu definieren. Durch eine speziell entwickelte, 3D-simulierte User Journey kann der Endkunde einen Raum weit vor Fertig­ stellung fast real erleben – eine wertvolle Grundlage für die Akquise und Vermarktung. Wo steht die Schweiz in Bezug auf die moderne Arbeitswelt? «Die nordeuropäischen Länder sind viel weiter, gerade was den ­Megatrend Health and Wellbeing betrifft. Und in Design- und Organisationsthemen ist man in den Benelux-Ländern Vorreiter. Die Schweiz ist eher langsam unterwegs. Man verhält sich vorsichtig, bewertet zuerst alle Risiken, bevor man agiert», sagt Katja Wöhler. ­Integral design-build will dies ändern – mit kundenorientierten Lösungen nach neusten Erkenntnissen und Arbeitswelten, die inspirieren.

Integral design-build AG Die auf den Innenausbau von Arbeitswelten spezialisierte Firma wurde 2016 als W21 Innenausbau AG gegründet. Die Neupositionierung erfolgte 2020, seitdem ist Integral design-build eine Schwesterfirma der Halter AG. Beheimatet im JED, dem Wissens- und Innovations-Hub in Schlieren, agiert der Dienstleister unter seinem CEO Markus Brunner und beschäftigt um die 30 Mitarbeitende. Schwerpunkt ist die Realisierung integrierter Lösungen für Arbeitswelten über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Dabei setzt das Unternehmen auf durchgängig digitale Prozesse, ein verlässliches Unternehmer- und Partnernetzwerk sowie die Fokussierung auf Kundenbedürfnisse im persönlichen Kontakt. → www.integralag.ch

S. 92 – Bei den Sitzungszimmern der Bellevue Group dominieren Blautöne in unterschiedlichen Nuancen. Am Besprechungstisch haben bis zu 16 Personen Platz. S. 95 – In der Pausenzone können Mitarbeitende der Bank auf Sitzbänken oder Barhockern Platz nehmen. Kettenvorhänge schirmen den Bereich ab.

Gesellschaft & Umwelt


Im Grundriss der Büro-Etage zwischen historischen Mauern sind mit verschiedenen Farben die unterschiedlichen Nutzungszonen gekennzeichnet.

Arbeiten

Arbeiten

Rückzug Küche alternatives Arbeiten

Begegnung 2

zentraler Hub Kollaboration Arbeiten

Besprechung

BAUVORHABEN:

Mieterausbau 2.OG Postplatz 1, 6300 Zug

AUFTRAGGEBER:

Bellevue Private Markets AG Seestrasse 16, 8700 Küsnacht PROJEKTNUMMER:

PLANUNGSPHASE:

Ausführung Ausführung Ausschreibung PLANNUMMER:

PLANTITEL:

GR02

Grundriss blank

PLANVERFASSER:

Integral design-build AG

Zürcherstrasse 39, 8952 Schlieren

PROJEKTKÜRZEL:

8082

NANO

MASSSTAB:

PLANGRÖSSE:

DATUM:

GEZEICHNET:

01.11.2021

SKE

REVIDIERT:

REVISION:

www.integralag.ch

C:\Users\SKE\buildagil\NANO_Bellevue Group - Dokumente\44_MAB_Modelle\05_CAD Modelle\ITG_ske_Adbodmer_Hauptpost Zug_2.pln

Die Bellevue Group belegt ein ganzes Geschoss mit 460 Quadratmetern. Im zentralen Erkerzimmer steht ein grosser, trapezförmiger Besprechungstisch.

GSPublisherVersion 57.73.95.1

Doppelbüros

Dreierbüro

Teeküche

Mix Bürozone mit Workbench

Rückzug

DW

DW

DW

SWL

DW

2

DW

SWL

DW

Grundriss 2.OG

Begegnung

Abstellraum

SWL

Besprechung

Kollaboration / Stillraum

Besprechung

Alle Masse sind am Bau zu überprüfen. Unstimmigkeiten sind der Bauleitung unverzüglich mitzuteilen.

Sind Hinweise über Spezialpläne angegeben, so sind diese verbindlich.

Service

BAUVORHABEN:

Mieterausbau 2.OG Postplatz 1, 6300 Zug

AUFTRAGGEBER:

Bellevue Private Markets AG Seestrasse 16, 8700 Küsnacht

97

Komplex Nr. 15/2022

PLANUNGSPHASE:

Ausführung PLANNUMMER:

PLANTITEL:

GR02

Grundriss Komplex

PLANVERFASSER:

Integral design-build AG

Zürcherstrasse 39, 8952 Schlieren

C:\Users\SKE\buildagil\NANO_Bellevue Group - Dokumente\44_MAB_Modelle\05_CAD Modelle\ITG_ske_Adbodmer_Hauptpost Zug_2.pln GSPublisherVersion 126.72.95.1

www.integralag.ch

PROJEKTNUMMER:

PROJEKTKÜRZEL:

8082

NANO

MASSSTAB:

PLANGRÖSSE:

DATUM:

GEZEICHNET:

01.11.2021

SKE

REVIDIERT:

REVISION:


MEHR STRUKTUR IM LABEL-WALD

98

Text: Stefan Fahrländer Grafiken: Fahrländer Partner AG

Die Umsetzung der drei Säulen der Nachhaltigkeit hat durch internationale Vereinbarungen heute eine grössere Verbindlichkeit als noch vor ein paar Jahren. Neben der Entwicklung und Implementierung von strategischen Vorgaben sollte die eigentliche Messung von Nachhaltigkeit möglichst maschinell, ­effizient und flächendeckend für die ganze Schweiz erfolgen – ohne die bestehenden Systeme und Labels zu konkurrenzieren. Eine entsprechende Initiative der Branche läuft. Operations & Lifecycle


Die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO sind recht übersichtlich. In der Schweiz, ins­ besondere im Immobilienmarkt, haken wir gleich einige davon als erfüllt ab – und konzentrieren uns auf den Rest. Wir haben den Eindruck, unsere Aufgaben wären getan, und lehnen uns entspannt zurück. Aber: Halt! Auf dem Weg von der UNO zu uns wanderten die Ziele über die Schreibtische in Bern, und 163 Unterziele sind hinzugekommen. Das erzeugt in der Immobilienbranche, aber auch bei Banken und anderen Stakeholdern Ver­unsicherung, Ratlosigkeit und Hektik. Insbesondere der CO₂-Bereich ist betroffen. Hier ist der politische Druck gross und wird über den Regulator an die Akteure weitergegeben, etwa durch Reporting-Pflicht oder das Verbot fossil betriebener Heizungen. Daneben fordern die Gremien eine Berichterstattung, die Definition von Absenkpfaden oder Label-Pflicht. Nun kommt man langsam in die Gänge, es werden Konzepte geschrieben, man orientiert sich. Environmental Social Governance (ESG; zu dt. Umwelt, Soziales, Unternehmensführung), Labels, Rating-Systeme – man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Global ist die Vielfalt riesig, und auch in der Schweiz sind diverse Systeme und Labels bekannt und verbreitet. Die eine Antwort gibt es nicht. Welches ESG-System, welches Nachhaltigkeitsrating und welche Labels – wenn ­überhaupt – für einen Akteur infrage kommen, hängt von den Eigentümer- und Mieterstruk­ turen ab, auch hierzulande. Doch es gilt, die UNO-Ziele und die davon abgeleiteten nationalen Ziele beziehungsweise unterschriebenen und ratifizierten Vereinbarungen einzuhalten. Dies ist der wesentliche Unterschied zu den letzten vierzig Jahren, in denen die ökologische Nachhaltigkeit für viele Akteure noch eine Erscheinung der Hochkonjunktur war und die Meinung dazu oftmals mit dem Ölpreis schwankte. Der Trend zu ESG-Reportings Auch aufgrund der erhöhten Verbindlichkeit der Umsetzung von Nachhaltigkeitsthemen sind die Vorgaben nicht nur beim Staat, sondern auch in den Gremien der Banken, bei Eigentümern und Endinvestoren sowie Mietern angekommen und sollen umgesetzt werden. Es entstehen Vorgaben und damit Reporting-­Bedürfnisse zur gene­rellen Governance (G), aber auch zu den Säulen Ökologie (E) und soziale Nach­ haltigkeit (S). Die Ökonomie wird – vermeintlich – bereits durch das Finanz-Reporting 99

abgedeckt. Weitere Beispiele aus ESG-Reportings sind die Unabhängigkeit der Gremien und Gewalten­trennung, innerbetriebliche Genderfragen, der Umgang mit Zulieferern und Dienstleistern, die Herkunft von Rohstoffen und Zwischen­produkten oder Baumaterialien, die Kreislaufwirtschaft, ökologische Anforderungen an Mietflächen, Aspekte der mieterseitigen so­zia­len Nachhaltigkeit und vieles mehr (siehe Grafik S. 100 oben). Der neutrale Beobachter denkt sich manchmal: «Es gibt doch noch Moral, Ethik und Einsicht. Weshalb muss das alles derart teuer erfasst, festgehalten und kontrolliert ­werden? Wo findet denn da die Wertschöpfung statt?» Die reale Welt ist aber offenbar nicht so gut, wie wir sie gerne hätten. Labels, Standards, Systeme In den Überlegungen der Akteure der Immobi­ lienbranche spielen die drei Säulen der ­Nachhaltigkeit schon seit langem eine grosse Rolle. Meist sind sie allerdings monetär getrieben und werden in Schweizer Franken beziffert. Betreffend ökologischer Aspekte wurde und wird oft mit Lebenszykluskosten argumentiert – und ein «passender» Ölpreis eingesetzt. Daneben gab es aber schon immer Akteure, bei denen auch ethische und moralische Vorstellungen die Entscheide beeinflusst haben. Letztere dürften im Gesamtkontext eher eine untergeordnete Rolle s ­ pielen, sodass der Staat seine Forderungen auch mit Förderungen zu lenken beziehungsweise die Entwicklungen zu beschleunigen versucht. Es gibt schon seit längerer Zeit Labels, insbesondere ökologische, die die getrof­ fenen Massnahmen binär im Sinne von erfüllt oder nicht erfüllt messen. Weniger umfassend, hingegen in der Aussage differenzierter ist der Gebäudeenergieausweis der Kantone (GEAK), bei dem Energieeffizienz und CO₂-Ausstoss zu einer Note zwischen A und F führen. Für Neubauten besteht beispielsweise der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) und für Mehrfamilienhäuser und Bürobauten mit dem Swiss Sustainable Real Estate Index (SSREI) ein Beurteilungssystem über alle drei Säulen der Nachhaltigkeit hinweg. Wohl sämtliche Labels und Ratings weisen jedoch einige Nachteile auf. Diese sind: interne Kosten zur Datenbeschaffung und Bereitstellung; externe Kosten für Kontrollen und Zertifizierung; Beschränkung der Anwendbarkeit, zum Beispiel nur beim Neubau oder nur beim Wohnen; Binarität im Sinne Komplex Nr. 15/2022


Nachhaltigkeit (UNO Brundtland) Economy, Ecology, Social

Ecology

Social

Gefäss / Firma

Übergeordnete Strategien und Vorgaben zu ESG-Kriterien

Inputs zu allen drei Säulen der Nachhaltigkeit: Economy, Ecology, Social Einzelimmobilie

Makrolage – Zuordnung Messgrössen von FPRE, WP etc.

Maschinell generierte Tabellen, Abbildungen etc. als Teil der ESG-Berichterstattung

Benchmarks

maschinell interpretieren, vergleichbar machen, Lücken schliessen, beurteilen

Objekt – Verfügbares verwenden Labels, CO₂-Messzahlen, GEAK, Minergie, SSREI, CO₂-Modell für Abgleich, Eigenschaften aus Stammdaten, Mieterspiegeln etc.

Automatisierte Auslieferung des Ratings als Datenvektor und als XLS / PDF – Nachweis Inputs, Modellwerte, Grundlagen – Ampeln zur Befüllung und Glaubwürdigkeit

Mikrolage – Zuordnung Messgrössen von FPRE, WP etc. Befüllung von Rating-Systemen

Gefäss / Firma

Output – Berichterstattung

– Rating-System, Rating-­Prognose z.B. GEAK, Minergie, SSREI – Einordnung in Benchmarks

Operations & Lifecycle

Einzelimmobilie

Economy

Input – Daten sammeln

100

Mit den Nachhaltigkeitszielen der UNO entstehen auch für die Akteure auf dem Schweizer Immobilienmarkt Vorgaben und Reporting-Bedürfnisse.

ESG-Reporting Ecology, Social, Governance

Finanz-Reporting

Ein digitales, datengestütztes Nachhaltigkeitssystem liefert Tabellen und Abbildungen für ein umfassendes ESG-Reporting.

Regulator Gefäss / Firma Einzelimmobilie

UNO-Ziele Vorgaben für Banken, Versicherungen, Fonds, Asset Manager etc.


von erfüllt oder nicht erfüllt. Es gibt also gute Gründe, weshalb sich die Akteure im einen oder anderen Fall für oder gegen ein Label entscheiden. Das Label nützt ja an sich nichts, es ist lediglich ein Kommunikationsinstrument. Der Gewinn liegt im eigentlichen Standard, der auch ohne Zertifizierung als Orientierung im Sinne einer «best practice» dienen kann. Initiative für ein datengestütztes Nachhaltigkeitssystem Die Ausgangslage in vielen Immobilienport­ folios, ganz zu schweigen von den Hypothekarbüchern der Banken oder dem Datenstand der privaten Eigentümer, ist äusserst heterogen, und der Informationsstand erweist sich oftmals als bescheiden. Gleichwohl besteht der Wunsch nach einem flächendeckenden Benchmark für die rund zwei Millionen Hochbauten in der Schweiz. Man möchte wissen, wo wir bezüglich Nachhaltigkeit stehen, damit jeder den Handlungsbedarf bei seiner Immobilie erkennen und gegebenenfalls Massnahmen treffen kann. Auch wollen wir als Gesellschaft neben der Standortbestimmung ein Monitoring der Entwicklung im Zeitverlauf; dies auch seitens der Politik, die nicht nur fordert, sondern auch fördert und entsprechende Töpfe alimentieren will und muss. Schon lange ist bekannt, dass Labels für eine flächendeckende Zertifizierung nicht geeignet sind. Auch ist klar, dass ein landes­ weites System aus einer Brancheninitiative heraus entstehen muss. Nur so kommt die Schweiz bezüglich Nachhaltigkeit schnell vorwärts – auch unter Kostenaspekten. Eine vor einem Jahr gestartete Initiative der Immobilienbranche ist unter Beteiligung sämtlicher Stakeholder dabei, ein digitales, rein datengestütztes Nachhaltigkeitssystem einzuführen. Es soll Tabellen und Abbildungen für ein umfassendes ESG-Reporting von allen Arten von Hochbauten in der Schweiz automatisch generieren. Das System besteht aus einer Input-Schnittstelle, die durch sämtliche Management- und Kernbankensysteme sowie weitere Informationssysteme auch von «kleinen Privaten» befüllt werden kann. Sofern ein Standard eingehalten und dokumentiert ist oder falls ein Label vorliegt, kann und soll auch diese Information übermittelt werden. Die empfangenen Daten werden vollautomatisch interpretiert und harmonisiert, Datenlücken werden durch öffentlich verfügbare 101

Grössen sowie Modelle spezialisierter Firmen ergänzt. Es ist angesichts der Informationslage wenig realistisch – und wohl auch nicht sinnvoll – grosse Summen für die flächen­ deckende Erfassung von Daten und Indikatoren auszugeben, denn es muss rasch vorwärts­ gehen. Mit den komplettierten sowie harmonisierten Daten kann ein Nachhaltigkeitsrating für jede der drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales ermittelt, mit Benchmarks verglichen und mittels Schnittstelle zurückgeliefert werden (siehe Grafik S. 100 unten). In erster Linie wird so eine Standort­ bestimmung von Immobilien – im Sinne einer Schulnote und nicht auf zwölf Kommastellen genau – vorgenommen. Wollte man alles erfassen und zertifizieren, wären die Kosten immens, der Zeitverlust gross und der Nutzen letztlich bescheiden. Es ist notwendig und mit dem System in der Schweiz heute auch möglich, sämtliche Hochbauten inklusive Spezialbauten anhand der verfügbaren Informationen sowie einer Fülle von bereits ­flächendeckend vorliegenden Hilfsdaten und öffentlichen Registerdaten insbesondere zu Standortqualitäten, aber auch verfügbaren Energieträgern sowie anderen Benchmarks maschinell zu beurteilen und im Zeitverlauf zu monitoren. So lässt sich eine Einschätzung pro Immobilie und für ganze Immobilienportfolios ­vornehmen und mit der Gesamtheit vergleichen. Die Analyse kann beispielsweise ein ein­ zelnes Mehrfamilienhaus im Vergleich zum ­Portfolio oder auch zu allen Mehrfamilienhäusern der Schweiz betrachten. Mittels maschineller Auslese können auf diese Weise grosse Immobilienbestände triagiert werden, um die grössten Problemfälle zu identifi­ zieren. Sind die Defizite und Handlungsfelder erkannt, geht es darum, die notwendigen ­Vertiefungen vor­zunehmen, die Massnahmen zu planen und umzusetzen. Hier finden die Arbeit, Wertschöpfung und Verbesserung der Nachhaltigkeit statt, während die Messung der Maschine überlassen werden kann.

Stefan Fahrländer (51) studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern sowie angewandte Statistik an der ETH Zürich. 2006 folgte die Promotion. Er war unter anderem bei DIW Berlin und bei Wüest Partner in Zürich beschäftigt. Er ist Gründungsmitglied von Fahrländer Partner Raumentwicklung in Zürich mit Niederlassungen in Bern und ­Frankfurt am Main. → www.fpre.ch

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OPEN API ODER 102 VON LEGO LERNEN Text: Stefan Zanetti Illustration: Dominique Wyss

Digitalisierung – Sie können das Wort auch nicht mehr hören? Damit sind Sie nicht allein. An der Messe IMMO22 Anfang des ­Jahres in Zürich liessen sich unter anderem folgende Voten von Geschäftsführerinnen, Geschäftsführern und Geschäftsleitungsmitgliedern renommierter Immobilienunternehmen vernehmen: ­«Mindestens einmal pro Tag erhalte ich eine Mail von einem PropTech-Unternehmen, das mir vorschlägt zu kooperieren.» – «Ich habe gar keine Ahnung, was ich aus der Vielzahl digitaler Lösungen überhaupt noch auswählen soll.» – «Wir wollten eigentlich die Effizienz steigern, aber heute haben wir in unserem Haus noch mehr manuelle Schnittstellen als zuvor.» Die Digitalisierung ist, das darf man behaupten, nun auch in der Immobilienbranche voll angekommen – zwar mit einigen Jahren Verspätung, aber zweifellos präsent. Corona hat das Seine dazu beigetragen: Selbst die letzten Kollegen, die noch meinten, es würde sich für sie auch in den nächsten 50 Jahren nichts ver­ ändern, haben unterdessen gelernt, dass der Austausch zwischen Menschen und Unternehmen heute primär digital stattfindet. Gleichzeitig macht sich Müdigkeit breit: Wo ab Mitte des letzten Jahrzehnts noch ein regelrechter Hype rund um die Digitalisierung zelebriert wurde, tritt nun Ernüchterung ein. Für jeden Prozessschritt sind inzwischen gute Einzel­lösungen vorhanden. Viel verändert hat sich trotzdem nicht. Oder sind ­heutige Immobiliennutzer einfach zufriedener geworden? Liessen sich die Effizienzversprechen in der Immobilienentwicklung oder im Betrieb für die Eigentümer effektiv realisieren? Haben wir umfassende Transparenz über das Geschehen in Immobilien – beispielsweise über Verbräuche – erreicht? In den meisten ­Fällen leider nicht. Der Einzug digitaler Technologien in Branchen erfolgt typischerweise in einem Phasenmodell: Beim ersten Durchgang werden bestehende Prozesse und Geschäftsmodelle digital verbessert. Schon der Begriff Digitalisierung signalisiert, dass es sich dabei um eine Aktivität «an etwas» handelt; «etwas Bestehendes» Operations & Lifecycle – Kolumne


wird neu digital gemacht. So wie man eine bestehende Wohnung sanieren kann, digitalisiert man nun Prozesse, Unternehmen, die Kommunikation – mit wem auch immer. Das Resultat: Eine Wohnung bleibt eine Wohnung, auch wenn sie saniert ist; ein Prozess bleibt ein Prozess, auch wenn er jetzt digital verläuft. Mit der Digitalisierung lassen sich Effizienzgewinne innerhalb einer bestehenden Welt realisieren. Aber grundlegende Ineffizienzen in Industrie-Architekturen werden nicht beseitigt; und komplett neue Geschäftsmodelle entstehen schon gar nicht. In der stark fragmentierten Immobilienwirtschaft zeigt sich folglich: In Europa stehen über 3000 PropTech-Lösungen und ­mindestens ebenso viele etablierte Anbieter bereit, um Effizienz­ gewinne in einzelnen Fragmenten der Immobilienindustrie zu erzielen. Das hat uns unzählige Insellösungen in vielen einzelnen Silos gebracht, und statt weniger sind noch mehr Medien­ brüche entstanden. In der Bankenwelt hielt die Digitalisierung schon vor 20 Jahren Einzug

Kein Wunder, macht sich Frustration breit. Glücklicherweise befinden wir uns aber erst in Phase 1. Besserung ist in Sicht, und statt zu resignieren, lohnt sich an dieser Stelle ein Blick in andere Branchen. Beispielsweise in die Bankenwelt. Dort hat die Digitalisierung bereits vor 20 Jahren Einzug gehalten. Das kann man gut daran ablesen, dass wir es als Bankkunden schon lange gewohnt sind, mit Banken unsere Alltagsinteraktionen rein digital über eine Applikation, ein Portal oder einen Automaten abzuwickeln oder Dokumente und Saldi einzusehen. Mittlerweile ist es sogar so, dass wir extra dafür bezahlen müssen, wenn wir beispielsweise einen Kontoauszug auf Papier haben möchten. Auch bei den Banken ging es in der ersten Phase des Einzugs digitaler Technologien um Effizienzsteigerungen in bestehenden Prozessen innerhalb grosser Silos. Dann aber setzte Phase 2 ein: Open Banking war die logische Fortsetzung der Digitalisierung. Open Banking beschreibt eine Entwicklung, durch die ­vormals geschlossene Systemwelten innerhalb eines Bankinstituts geöffnet werden, damit interne Systeme automatisiert Daten mit Anwendungen anderer Anbieter austauschen können – natürlich unter Einhaltung aller Datenschutzregeln und mit dem Einverständnis der Kunden. Beispielsweise wurde es dadurch möglich, dass eine neue Klasse von Anbietern die Konsolidierung aller bei unterschiedlichen Banken lagernden Guthaben – also ein Gesamtvermögen – digital automatisiert darstellen kann. Möglich wird dies, wenn Software so gebaut wird, dass sie sich über allgemein akzeptierte Prinzipien einfach mit anderen 103

Komplex Nr. 15/2022


Anwendungen verknüpfen lässt. Verknüpfen heisst hier: Daten standardisiert und in Echtzeit austauschen und Prozesse in anderen Anwendungen anstossen. In der Software-Welt wird von ­sogenannten Application Programming Interfaces (APIs) gesprochen. Es geht dabei nicht einfach nur um den Download von Daten in Form von Excel oder CSV und das Hochladen derselben in ein anderes System «über Nacht», was noch allzu oft als «Schnittstelle» verstanden wird. Ziel in einer API-Welt ist es, dass einzelne Systeme direkt Prozesse in anderen Systemen ­anstossen können. Beispielsweise so, dass eine Mieterplattform aus der Schadensmeldung eines Bewohners direkt einen Auftrag in einem nachgelagerten System eines Bewirtschafters oder Handwerkers anlegen und Folgeprozesse auslösen kann, ohne dass ein Mitarbeitender des Bewirtschafters die Daten zwischen einzelnen Anwendungen hin- und herkopieren muss. Von der Digitalisierung zur «Legoisierung»

Vereinfacht kann man sich das so wie bei Lego vorstellen: Das Wichtigste an Legosteinen sind die Noppen. Wer Lego kauft, der weiss, dass er sich keine Gedanken machen muss, ob die Steine zusammenpassen. Gelb, Rot, Grün, Blau, gerade oder schräg – es ist komplett egal, wie ein Stein aussieht. Alles greift dank der wohlbekannten Noppen problemlos ineinander. APIs sind die Noppen der Software-Welt. Und um im Bild der «Legoisierung» zu bleiben: Sind die Noppen standardisiert, können die schönsten neuen Gebilde gebaut werden. Genau so sind mit der Open-Banking-Bewegung zum Nutzen der Kunden viele neue Geschäftsmodelle entstanden – wobei schon lange ineffiziente Geschäftsmodelle unter Druck gerieten. Nicht umsonst sagt die Schweizerische Bankiervereinigung: «Open Banking […] wird die Bankenbranche nachhaltig beeinflussen und verändern. Die Schweizerische Bankiervereinigung sieht darin grosses Potenzial für den Finanzplatz.» Der Bedarf an Open APIs und einer entsprechenden «Open Real Estate»-Bewegung ist offensichtlich. Die massiven Aufgaben im Nachhaltigkeitsbereich oder die Entwicklung hin zu einer Kreislaufwirtschaft kommen gar nicht ohne durchgängige Datenverfügbarkeit aus. Aber auch Nutzerinnen und Nutzer von ­Immobilien werden massiv davon profitieren, dass die verschiedenen technischen Systeme miteinander verbunden werden können. Und nicht zuletzt werden die anfangs erwähnten Fachleute aus der Immobilienwirtschaft weniger verloren sein, wenn sie wissen, dass ihre Systeme ineinandergreifen. Im Banking-Umfeld war die Entwicklung in Richtung offene Schnittstellen regulatorisch unterstützt, was die Wichtigkeit 104

Operations & Lifecycle – Kolumne


der Öffnung von geschlossenen Systemwelten sogar aus Sicht des Regulators zeigt. Beispielsweise hat die Payment Services Directive 2 (PSD2) massgeblich die Entwicklung zu Open APIs forciert, damit Nutzer ihre Kontodaten über unterschiedliche ­Systeme konsolidieren können. Im Immobilienumfeld ist ein solcher regulatorischer Druck nicht sichtbar, aber vielleicht auch nicht nötig. Was braucht es im Kern, um eine offene Software-Welt entstehen zu lassen? Eigentlich erstaunlich wenig. Was Open APIs sind, ist Software-Entwicklern längst bekannt. Es lässt sich mit ein paar Sätzen beschreiben. Auf der Fachseite der Anbieter haben wir also kein Verständnisproblem. Hingegen müssen auf der Bestellerseite Open APIs zum fixen Bestandteil jeder Ausschreibung werden, um die Immobilienbranche Schritt für Schritt in eine offenere Welt zu bewegen. Und falls die Bestellerkompetenz nicht vorhanden ist, lässt sie sich einkaufen oder gar ­zentral über Branchenorganisationen aufbereiten. Denn klar ist: Wird eine offene Schnittstellenorientierung zum wichtigsten Kriterium jeder Systembeschaffung, stellt sich die Welt der Anbieter automatisch darauf ein – oder sortiert sich selbst aus. Lassen Sie uns also nach sieben Jahren der Digitalisierung für die nächsten sieben Jahre das «Zeitalter der Legoisierung» in der Immobilienwirtschaft ausrufen! Damit es am Ende dieses Jahrzehnts normal sein wird, dass Immobilieneigentümer und -dienstleister einzelne Software-Bausteine nach ihren indivi­ duellen Präferenzen beschaffen und sie sich dank vorhandener ­Noppen in Form von APIs überhaupt keine Gedanken mehr machen müssen, ob diese Bausteine zu einem grossen, schönen Ganzen zusammengesteckt werden können.

Stefan Zanetti (50), Gründer und Verwaltungsratspräsident der Allthings Technologies AG, ist eine der prägenden Figuren der PropTech-Szene in Europa. Fasziniert von der Entwicklung neuer Dinge und Dienstleistungen, gründete er im Jahr 2013 Allthings, sein drittes ETH-Spin-off nach Synesix und Careware. Mit der inzwischen führenden ­Integrations- und Mietermanagementplattform für Immobilien­ eigentümer und Bestandshalter kombinierte er seine ­Begeisterung für Kundeninteraktionsdesign, Risiko- und Nach­haltigkeitsmanagement mit seiner Leidenschaft für neue Technologien und Software. → www.allthings.me

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106 FÜR WENIGER EMISSIONEN IM GEBÄUDEPARK Text: Christoph Zaborowski Screenshots: CO₂mpass

Der CO₂mpass ist eine Applikation, mit der energetische ­Massnahmen für ganze Portfolios von Rendite-­Immobilien sehr konkret und umsetzbar angegangen werden ­können. Bereits mit minimalem Dateninput sind Strategien ersichtlich, nach denen sich Sanierungen rasch planen lassen und angestrebte CO₂-Ziele schneller zu erreichen sind. Der Effekt dieser ­Massnahmen auf die Emissionen wird mittels CO₂-Absenkpfad dargestellt. Operations & Lifecyle


Am 21. November 2021 wurde von der Stimm­ bevölkerung des Kantons Zürich das Energie­ gesetz angenommen. Die Folge ist, dass bei Heizungsersatz nur noch in Ausnahme­ fällen neue Öl- oder Gasheizungen eingebaut werden dürfen. Im September des gleichen Jahres hatte bereits der Kanton Glarus ein Verbot neuer Öl- und Gasheizungen eingeführt, und auch in Basel-Stadt sowie in Neuchâtel gibt es schon länger vergleichbare Regelungen. Im Ausland ist auf Ebene der EU mit der Taxonomie ein klarer Fahrplan in Richtung CO₂-Freiheit auf der Gebäudeebene beschlossen worden. An sich sind weder CO₂ noch – etwas all­ gemeiner ausgedrückt – Environmental Social Governance (ESG; zu dt. Umwelt, Soziales, Unter­nehmensführung) neue Themen. Auch im in der Regel etwas langsameren Immobiliensektor war Nachhaltigkeit das Schlagwort der letzten Jahre. Allerdings konzentrierte sich die Diskussion primär auf Neubauten und spezialisierte Immobiliengefässe. Für den Bestand und damit die breite Masse der Gebäude und Investoren war die CO₂-Reduktion sehr lange ein untergeordnetes Thema. Angesichts dessen, dass immer noch mehr als die Hälfte des Bestands in der Schweiz ­fossil beheizt wird, liegt die CO₂-Freiheit des Gebäudeparks in weiter Ferne. Die Immobilien­eigentümer sind spätestens jetzt gezwungen, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mit dem CO₂-Absenkpfad lassen sich ehrgeizige Ziele formulieren Einige Immobilieninvestoren haben sich schon vor einigen Jahren ehrgeizige Ziele bezüglich ihres CO₂-Ausstosses gesetzt. Damit wurde der CO₂-Absenkpfad auf die Agenda gebracht. Dieser zeigt den Weg auf, wie der CO₂-­Ausstoss eines betrachteten Immobilienportfolios in den nächsten Jahren sinken soll. Die meisten Investoren gehen bei ihren Analysen nach dem GHG-­ Protokoll (Greenhouse Gas Protocol) vor. Dabei handelt es sich um einen interna­ tionalen Standard zur Messung des Ausstosses klima­schädlicher Emissionen. Das GHG-­Protokoll unterscheidet bei Anwendung im Immobilienbereich drei Kategorien: Scope-1-­Emissionen sind die direkten Emissionen, die im Rahmen des Betriebs der ­eigenen Gebäude vor Ort entstehen. Sie um­fassen primär die CO₂-Emmissionen der ­in­stallierten Öl- oder Gasheizung. Scope-2107

Emissionen enthalten darüber hinaus die ­indirekten Emissionen der eingekauften Energie wie Strom oder auch Fernwärme. Scope3-­Emissionen sind sehr umfassend und ­bezif­fern noch weitere indirekte Emissionen, die durch den Gebrauch eines Gebäudes entstehen, wie zum Beispiel den Mieter­ strom, aber auch Emissionen, die im Rahmen der Pendlermobilität oder durch die Verwaltung der Gebäude anfallen. Hier wird offensichtlich, dass die Erstellung eines Absenkpfads komplex sein kann. Will man ein komplett klimaneutrales Gebäude, so müsste man konsequenterweise Scope 3 als Massstab nehmen. Dafür wird aber die Verantwortung für Dinge übernommen, die man nur begrenzt beeinflussen kann. Auch sind der Messbarkeit der Mobilität und des Stromverbrauchs von Mietern Grenzen gesetzt, was eine korrekte Erhebung der Scope-3-Emissionen fast unmöglich macht. Für die Berechnung der Scope-2-Emissionen müssen sowohl der eigene Verbrauch für Strom und Fernwärme bekannt sein als auch das Ausmass der Emis­sionen, die bei der Stromerzeugung (also dem Strommix) oder bei der Erzeugung der Fernwärme anfallen. Dank diverser Studien gibt es Benchmarks und Kennzahlen für diese Angaben, ohne die eine Berechnung schwierig wäre. Die Scope-1-­ Emissionen sind einfach zu ermitteln, sofern der Verbrauch von Brennstoffen im Gebäude bekannt ist. Wurden im ersten Schritt – mehr oder ­weniger umfangreich und präzise – die Emis­ sionen gemessen, lassen sich in einem zweiten Schritt die Ziele oder eben der Absenk­ pfad formulieren. Ein Ziel wird in der Regel eher einfach und plakativ formuliert, zum Beispiel «CO₂-Neutralität bis 2040». Der Absenkpfad ist dann häufig eine Simulation, die aufzeigt, wie dieses Ziel in einem ­konkreten Immobilienportfolio erreicht werden kann. An dieser Stelle kommt die nächste Herausforderung: Auf welchen Annahmen sollte der simulierte Absenkpfad aufbauen? Welche Art von Massnahmen bietet sich an und soll zum Einsatz kommen? Der CO₂mpass als neuartige Planungshilfe Bei der Erstellung eines CO₂-Absenkpfads geht es letztlich um die tatsächliche Reduktion des CO₂-Ausstosses. Dafür s ­ tehen Immobilien­investoren konkrete Massnahmen zur Verfügung. Mithilfe der Applikation CO₂mpass lassen sich diese mit nur wenigen Eingabe­ daten für ganze Immobilienportfolios sehr Komplex Nr. 15/2022


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S. 108 – Screenshots aus der Applikation CO₂mpass: Effekt der vorgeschlagenen passiven Massahmen bei einem Mehr­familienhaus in Bern. Reduktion der CO₂-Emissionen von 36 Tonnen auf 21 Tonnen (Scope 2) pro Jahr (1). Effekt der vorgeschlagenen passiven und aktiven Massnahmen bei einem Mehrfamilienhaus in Bern. Reduktion der CO₂-­ Emis­sionen von 36 Tonnen auf 0 Tonnen (Scope 2) pro Jahr (2). CO₂-­Absenkpfad eines Beispiel-Portfolios je nach Mass­nahmen­paket im Vergleich zu den gesetzten Zielvorgaben (3). Konkrete Machbarkeit von alternativen Heizsystemen für das per Applikation analysierte Mehrfamilienhaus in Bern (4).

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konkret und vor allem r ­ ea­listisch ­planen. Auf diese Weise können Sanierungen rasch angegangen werden, und die angestrebten CO₂Ziele sind schneller erreichbar. Nicht zuletzt erhöhen viele dieser Massnahmen auch die Wirtschaftlichkeit der Immobilien. Passive Massnahmen Einige sehr naheliegende Massnahmen sind passiver Art. Sie stellen die allgemeine Ertüch­tigung des Gebäudes dar, die eine Reduktion des Verbrauchs von Energie zur Folge haben. Dies r ­ eduziert den CO₂-Ausstoss bereits ohne Heizungsersatz. Im Vordergrund stehen dabei Dinge wie Fassadensanierung, Fensterersatz, Dachsanierung oder Dämmung von Keller­decken. Es geht dabei nicht ­unbedingt darum, einen Minergie-Standard zu erreichen. Dies ist nicht bei jedem Gebäude wirtschaftlich und ästhetisch zielführend. Aber bei einem unsanierten Bau aus den 1980er-Jahren ist der Effekt eines «­normalen» Massnahmenpakets auf passiver Ebene häufig schon sehr beeindruckend. In der Applikation C ­ O₂mpass werden je nach gewähltem Szenario passive Massnahmen zur Reduktion des CO₂-­Ausstosses vorgeschlagen. Aktive Massnahme Wird eine bestehende Heizung aufgrund ihres Alters oder ihrer Leistung ersetzt, kann der entscheidende Schritt zur Reduktion der Emissionen durchgeführt werden. Je nach Standort und individueller Gegebenheit bieten sich unterschiedliche Varianten für diese aktive Massnahme an: Die gebräuchlichsten sind der Einbau von Wärmepumpen (Luft, Sole oder Wasser), Holzschnitzel- / ­Pellet­heizungen oder Fernwärme. Bei der Erstellung des Absenkpfads wird für ein ganzes Immobilienportfolio berechnet, was daraus resultiert, wenn sukzessive die Öl- und Gasheizungen durch Alternativen ersetzt sowie diverse passive Massnahmen durchgeführt werden. Dafür stehen verschiedene Applikationen auf dem Markt zur Verfügung. Die effektive Machbarkeit wird hier jedoch häufig nicht geprüft. Im Rahmen der Umsetzung stossen viele Immobilieninvestoren dann nicht selten auf Hindernisse, entweder infolge technischer Herausforderungen oder einer unzureichenden Wirtschaftlichkeit der simulierten Massnahmen. Auch hier unterstützt der CO₂mpass bei der Planung, indem nur grundsätzlich machbare Massnahmen vorgeschlagen werden. 109

Für ein pragmatisches und effizientes Vorgehen bei der CO₂-Reduktion Die Erfassung ihrer aktuellen Verbräuche und die Simulierung eines CO₂-Absenkpfads stellen für viele Investoren schon heute eine Selbstverständlichkeit dar. Grundsätzlich ist es sehr gut, wenn die Datenlage zu den ­bislang eher unbekannten Grössen des eigenen CO₂-Fuss­abdrucks besser wird und sich die Marktteilnehmer messbare Ziele setzen. Nicht zuletzt ist eine seriöse Dokumentation des eigenen CO₂-Ausstosses für gewisse Investoren heutzutage zwingend. Jedoch lässt sich leider häufig beobachten, dass es an der effektiven Umsetzung mangelt. Die Ressourcen, die in die Datenerhebungsprojekte gesteckt werden, fehlen auf der Seite der möglichen Massnahmen. Ferner treffen die simulierten Absenkpfade, wie bereits erläutert, auf praktische oder wirtschaftliche Hürden, die dazu führen, dass die Projekte verzögert oder gar sistiert werden. Erschwerend ist, dass gewisse Ziele gerade unter Scope 3 für den Immobilieneigentümer selbst gar nicht erreicht werden können. Projekte, die die Mieter zu einem anderen Handeln bewegen sollen – etwa indem die Fahrten von und zu den Gebäuden beschränkt werden –, können durchaus sinnvoll sein, fallen aber gegenüber den naheliegenden Dingen wie ­Heizungsersatz gepaart mit einigen passiven Massnahmen zurück. Pointiert ausgedrückt: Der Effekt hinsichtlich CO₂-Einsparungen durch den raschen und wirksamen Ersatz einer Heizung in Kombination mit einer Fassaden­sanierung liegt schnell bei über 70 Prozent. Spielt es dann eine grosse Rolle, ob der ermittelte Aus­ stoss ursprünglich einmal bei 40, 50 oder 60 Tonnen Kohlenstoffdioxid pro Jahr lag? Was heute zählt, sind der Schritt in die richtige Richtung, die Wahl der adäquaten Hilfsmittel und die tatsächlich getroffenen Massnahmen. Mit dem CO₂mpass können auch zukünftige Szenarien schnell und umkompliziert adaptiert werden.

Christoph Zaborowski (54) war bis 2014 Partner bei Wüest Partner und engagiert sich seither mit seiner eigenen Firma REFL Invest AG für Innovationen auf dem Immobilienmarkt. Als Verwaltungsrat der BS2 AG und der Mivune Schweiz AG war er massgeblich an der Entwicklung des CO₂mpass beteiligt. Christoph Zaborowski ist ferner Mitglied des Verwaltungsrats bei der Fundamenta Group Holding AG und sitzt in diversen Investmentkomitees. → www.reflinvest.com

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«EFFIZIENZ IST DAS GEGENTEIL VON RESILIENZ» Text: Hubertus Adam Fotos: Lukas Wassmann

Auf theoretischer wie praktischer Ebene beschäftigt sich das Zürcher Büro Hosoya Schaefer seit langem mit der Frage, wie die Produktion in der polyzentrischen Landschaft der Schweiz in die Städte zurückgeführt werden kann. Eine Antwort geben die Architekten in ihrem neuen Buch «The Industrious City» – die fleissige Stadt. Nach diesem Prinzip entsteht in St. Gallen der Co-Produktionsbetrieb Fabrik SG, den Halter gemeinsam mit Markus Schaefer projektiert hat. 111

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Zürich-Altstetten, Flüelastrasse. Das Büro Hosoya Schaefer, zuvor im eher etablierten Seefeld ansässig, ist vor einigen Jahren in den Westen der Stadt gezogen. Das ehemalige Industriegebäude von Brieger Verpackungen wirkt von aussen fast unscheinbar. Im Inneren beeindruckt es durch die Tragstruktur aus Beton, welche die Unterteilung der weitgehend offenen Flächen, die Raumhöhe und die grossartigen Ausblicke vorgibt. Der perfekte Ateliercharakter für ein Architekturbüro, das Raum für die theoretische Reflexion und nicht nur für die Praxis des Bauens benötigt.

Komplex: 2021 erschien bei Lars Müller Ihr jüngstes Buch «The Industrious City» – die deutsche Ausgabe heisst «Industrie.Stadt». Das Adjektiv industrious (fleissig) steht im Gegensatz zum herkömm­ lichen indus­trial. Produktion und Gewerbe, so das Postulat, können und müssen in die Städte zurückkehren. Warum und wann ist die Industrious City für Ihr Büro selbst zum Thema geworden? Markus Schaefer: Unsere Auseinandersetzung mit Fragen der industriellen Nutzung hat im engeren Sinne mit dem Tech Cluster Zug begonnen, einem Wettbewerb im Jahr 2013, zu dem wir eingeladen wurden, weil wir vorher raumplanerisch über die Verdichtungsgebiete des Kantons Zug nachgedacht hatten. Es ging um die Transformation und Weiterentwicklung des Produk­tionsareals von V-Zug. Der Wett­ bewerb war für uns interessant, weil er Fragen aufwarf – vom Baulichen, Städtebaulichen und Freiräumlichen bis hin zum Syste­mischen und Technologischen. Diese Kombination von Themen interessiert uns. Wir haben gewonnen, weil wir auf die Gesamtheit all dieser Fragen gute Antworten gefunden haben. Für V-Zug stand am Anfang der strategische Entscheid, auf dem Areal weiterhin produzieren zu wollen.

Die Produktion nicht auszulagern, war ein grundlegender strategischer Entscheid, der viel mit Resilienz zu tun hat, mit kurzen logistischen Wegen in einem sicheren wirtschaftlichen Umfeld. Zudem wurden andere Areale wie Suurstoffi oder Metalli bereits umgenutzt. Sie gehören heute zum Zug-Estates-­ Portfolio. Aus Sicht von V-Zug gibt es eine hohe technische Kompetenz vor Ort, die ganzen Logistikflüsse sind etabliert. Die Produktion am Standort beizubehalten, bedeutet aber, eine herkömmliche und eingeschossige Organisation aufzugeben. Man muss die Industrie verdichten und vertikalisieren, man muss den Output erhöhen und gleichzeitig neue Ansiedlungen ermöglichen, sodass sich Synergien zwischen verschiedenen Unternehmen ergeben. Und schliesslich geht es darum, das Gebiet zu öffnen. Wo vormals ein Zaun war, wird die Stadt das Areal durchfliessen. Wir begleiten das Projekt seit vielen Jahren mit einem Masterplan, der sehr prozessgetrieben ist, und einer Rochaden-Planung, die es erlaubt, die Produktion kontinuierlich fortzuführen, das Areal aber schritt­weise zu transformieren. Alle von uns vorgeschlagenen Elemente befinden sich in der Umsetzung. Im Tech Cluster Zug wurde ein effizientes Energiesystem implementiert, ein von uns geplanter Mobility Hub gebaut und vieles mehr.

V-Zug hätte die Produktion auch verlagern und das Areal verkaufen oder komplett neu entwickeln können. Warum ist das nicht geschehen?

Die Industrialisierung in der Schweiz erfolgte relativ früh – mit einer manufakturellen Protoindustrialisierung infolge der Nutzung von günstiger Wasser­ kraft im ausgehenden 18. Jahrhun­dert fernab der Städte. Hundert Jahre später entstanden dann die grossen urbanen Industrie-Areale wie in Zürich, Baden oder Winter­thur. Wiederum hundert Jahre später ereignete sich das, was wir heute post­industriellen Struktur­ wandel nennen – aus den zuvor her­ metisch abgeschlossenen Produk­ tionsarealen wurden Kon­versions­flächen. Doch diese Konversion erzeugte aufgrund immer gleicher Nutzungsmuster neue Monotonie.

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In der Tat. Es gab zwar in Zürich neben konventionellen Transformationen auch innovative Konzepte wie das von Kraftwerk 1. Doch weltweit und schliesslich auch hierzulande zeigte sich, dass man mit dem Verdrängen des Gewerbes zu weit gegangen war. SF Made in San Francisco oder vergleichbare Initiativen in London zeigten Alternativen auf. 2007 beschloss dann der Zürcher Stadtrat eine Strategie, die bestimmte Produktionen in der Stadt belässt. Die darauf folgende Revision der Bau- und Zonenordnung schrieb fest, verschiedene Areale in Oerlikon oder Altstetten nicht umzuzonen. Das forderte die Investoren zum Nachdenken auf, was zu machen wäre. Es gab Raum für neue Geschäftsmodelle, weil die Aufwertung der Flächen in diesen Arealen viel niedriger ausfällt als in solchen, die aufgezont werden und eine Mischnutzung ermöglichen. Gleichzeitig fand ein Sinneswandel bei der Bevölkerung statt: Das Interesse an einer lokalen, materiellen Produktion, an Authentizität, an einer Relokalisierung des manufakturellen Gewerbes – ob Designertaschen oder Craft Beer – stieg. Auch Ideen wie die Zirkularisierung setzen sich in der globa­ lisierten, urbanen und tertiarisierten 114

Bevölkerung durch. Damit finden Start-ups einen Nährboden, der funktioniert – weil es räumliche Angebote ebenso gibt wie einen urbanen Konsumentenmarkt. Die Start-ups sind heute durch die Digitalisierung befähigt, nicht nur lokal, sondern auch regional oder international zu agieren. Mit einer kleinen Firma und einem kleinen Showroom kann man durchaus einen internationalen Markt erschliessen.

Eines der Projekte, an denen Sie massgeblich beteiligt waren, ist das Gelände der SBB-Werkstätten in Zürich-Altstetten. Voraussetzung für die heutige Werkstadt Zürich, in der kleine Gewerbebetriebe primär für den Zürcher Markt produzieren, waren zwei Tatsachen: Einerseits wurde das Areal ebenfalls nicht umgezont, andererseits steht ein Grossteil der Bauten unter Denk­mal­schutz. Wie begann dieses Trans­ formationsprojekt? Entwicklung & Städtebau – Interview


Am Anfang stand 2014 ein Auftrag der Stadt – in diesem Fall spannten Städtebau, Stadt­ entwicklung und Stadtförderung zusammen –, das Areal der SBB-Werkstätten in die Zukunft zu denken und zu zeigen, was ohne Umzonung möglich wäre. Die Stadt war daran interessiert, weil man resilienter ist, wenn man auf vergleichsweise engem Raum Unterschiedliches anbietet. Aber auch die SBB haben sich gewandelt und sind an einer Diversifizierung des Portfolios interessiert. Letztlich geht es dabei auch um die Frage, ob man viel bauen will unter hohem Renditedruck oder wenig bei geringem Renditedruck. Wenn man wenig investiert, verdient man zwar auch weniger, aber man kann doch eine gute Rentabilität erzielen. Unser Argument war das Umfeld: Es gibt die ETH, die Fachhochschulen, den Trend zum Do-it-yourself, die Kreativ­ szene – das ist eine sehr potente Mischung. Von Anfang an hatte die Werkstadt Zürich genügend Mietinteressenten, was zeigt, dass das Projekt eine Nachfrage bedient, die vorhanden ist. Junge Menschen gründen heute nicht mehr unbedingt eine Internetagentur, sondern eine Agentur, die Kaffeemaschinen verkauft. Nutzungskonzept und Mischung funktionieren erstaunlich gut. Wir sind inzwischen nicht mehr an der Umsetzung beteiligt, für die KCAP, Denkstatt, IBV Hüsler, Studio Vulkan und weitere Planer verantwortlich zeichnen.

Man kann insgesamt eine Renaissance des Handwerks beobachten, natür­ lich auf anderer Ebene als früher. Vielleicht gibt es einen Trend zum Haptischen auch als Komplemen­ tärphänomen zur Digitalisie­ rung. Wie unterscheidet sich die neue urbane Industrie von der alten? Die Industrie, die jetzt in die Stadt zurückkehrt, ist viel kleinteiliger organisiert als früher. Die Industrie des 21. Jahrhunderts ist digitalisiert, vernetzt, polyzen­ trisch, innovationsnah und befähigt, einen tertiarisierten Markt mit Produkten zu bedienen, die in hohem Masse customized und nicht standardisiert sind. Nach der Phase der Grossindustrie kehren wir fast wieder zurück zur manufakturellen Produktion 115

des 18. Jahrhunderts. Man darf aber bei allen zweifelsohne positiven Aspekten auch seine Augen nicht vor den Problemen verschliessen: Mit den urbanen Manufakturen kommen auch deren systemische An­sprüche. Etwa die Logistik der Just-in-time-Produktion ohne Lagerflächen und mit permanenter Zulieferung über den öffent­lichen Raum. Ungelöst ist auch das Problem der nicht mehr organisierten Arbeiterschaft, eines digitalen Kreativ-­ Proletariats. Und schliesslich werden die permanenten Innovationen etwa an der ETH in Start-ups umgegossen, die vom Steuerzahler finanziert sind. Haben Firmen früher Pro­ bleme internalisiert, so werden sie jetzt externalisiert: Externalisierung von Verkehr und Logistik, von Innovation, von Arbeitsschutz und Arbeitsrecht. Wenn die Industrie neu in die Stadt kommt, brauchen wir eine Stadt, eine Gesellschaft, die den Dialog aufnimmt sowie mit diesen Problemen umgehen und sie lösen kann.

Wir leben in der Schweiz, einem Land mit relativ hohen Bodenwerten und vergleichsweise hohen Löhnen. Die klassische Schwerindustrie besteht weiter – nur nicht mehr hierzulande. Die neuen Ökono­ mien ersetzen ja nur in der Schweiz die alten. Chinesischer Stahl gelangt zu uns – die HipsterProdukte der Werkstadt Zürich gelangen aber nicht nach China. Ist die neue städtische Produktion nicht auch ein Luxusphänomen? In der Tat befinden wir uns an der Spitze eines globalen kapitalistischen Systems und sind darum fähig, Probleme auszulagern. In den neuen digitalisierten «Hüttenwerken» werden wir nie die Technologie produzieren können, die uns wirklich am Leben erhält, wie zum Beispiel iPhones oder Stahlträger. Hier entstehen Nischenprodukte – hochwertige Nischenprodukte wie Pharmazeutika aus Basel oder manufakturelle Nischenprodukte wie Freitag-Taschen und Turbinenbräu-Bier. Unser Glück ist, dass wir in diesen Bereichen noch genug Firmen haben, die Weltklasse sind. Jede Gegenwart ist immer eine Mischung von Ideen, die noch aus der Vergangenheit Komplex Nr. 15/2022


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stammen, und solchen, in denen sich bereits die Zukunft ankündigt. Die Idee, dass wir Produktion und Materialströme relokalisieren, ist eine der zukunftsträchtigen Strategien. V-Zug ist dafür mit seinen im Vergleich zu Konkurrenten wie Miele höheren Preisen ein gutes Beispiel – die Nachfrage besteht ­trotzdem. Wir müssen uns als Gesellschaft befähigen, bestimmte Materialflüsse lokal zu lösen und Produktion zu diversifizieren. Wir können nicht alles auslagern. Effizienz ist im Übrigen das Gegenteil von Resilienz. Wenn etwas optimiert funktioniert, gibt es keinen Spielraum mehr für Veränderung. Das ist ein fragiler Zustand. Eine gewisse In­effizienz werte ich aber durchaus als positiv.

Gemeinsam mit Halter planen Sie das Projekt Fabrik SG im Westen von St. Gallen. Es handelt sich diesmal nicht um eine (post)industrielle Trans­formation, sondern um ein bislang unbebautes Baufeld zwischen Kantons­strasse und Autobahn im Gewerbe­gebiet ASGO (Areal St. Gallen Ost–Gossau West), das sich seit den 1970er-­Jahren entwickelt hat und heute einen heterogenen Charakter besitzt. Können Sie kurz umreissen, worum es dort geht?

Stock­werk­eigentum auf den Markt bringt. Das heisst, man braucht keinen Investor, der eine Rendite einfordert, sondern kann direkt die einzelnen Firmen ansprechen. Die Flächenkosten für die Endnutzer liegen 40 Prozent tiefer, als wenn wir einen konven­tionellen Gewerbebau mit Investor entwickeln würden.

Funktioniert das Modell wie beim Stockwerkeigentum: individuelles Eigentum plus Miteigentum an den gemeinschaftlichen oder geteilten Räumen? Genauso ist es. Anlieferung, Infrastruktur­ achse, Empfang, Kantine, vielleicht ein Co-Working und andere öffentliche Einrichtungen sind gemeinschaftliches Eigentum, die eigentlichen Produktionsbereiche Eigentum der jeweiligen Firmen. Tragwerk und Logistik werden dabei möglichst flexibel und offen gehalten. Der spezifische Mieterausbau erlaubt es dank unterschiedlicher Module, die Flächen so zu konfigurieren, dass es für die individuellen Bedürfnisse stimmt. Inte­ressant ist für mich die Grundidee: Das Pro­blem des Immobilienmarktes, dass durch das Geld der Kapitalgeber die Mietpreise hochschiessen, lässt sich dadurch aushebeln, dass man ohne Beteiligung von Investoren mit dem Kapital der Endnutzer attraktive Angebote erstellen kann – und damit der Stadt die Möglichkeit gibt, interessante Firmen anzuziehen. Das ist fast schon subversiv.

Ziel der Wirtschaftsförderung der Stadt St. Gallen, die das Grundstück im Baurecht vergibt, ist ein Gewerbebau, der eini­ germassen hochwertige Arbeitsplätze im MEM-­ Bereich (Maschinen, Elektro, Metall) beinhalten muss. Wir haben ein Projekt entwickelt, in dem sich die Produktion vertikal stapeln lässt – mit sechs Meter hohen Räumen, die auch das Einziehen von Zwischendecken ermöglichen. Das Volumen gliedert sich in vier Module, die durch eine darunterliegende Garage und eine Logistikachse verbunden sind. Nach vorne zeigt sich eine städtische Körnung, nach hinten sind Richtung Autobahn Logistik- und erweiterbare Lagerrucksäcke angeordnet, sodass sich auch vertikal automatisiert produzieren lässt. Von Halter kam die ziemlich geniale Idee, dass man das Gebäude in einem Unterbaurecht als 118

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S. 110 – Markus Schaefer in seinem Büro. Der Stuhl ist ein erster Prototyp für das japanische Restaurant Anan in der Auto­stadt Wolfsburg. S. 113 – Im Regal stehen Modelle aktueller Projekte, darunter Bahnhofsplatz Herisau (Mitte rechts), Birkenhof Uzwil (unten links), Mobility Hub Zug Nord (unten rechts) und Tech Cluster Zug (vorne). S. 114 – In der 2021 erschienenen Publikation «The Indus­ trious City» setzen sich Hiromi Hosoya und Markus Schaefer mit der urbanen Industrie im digitalen Zeitalter auseinander.

Markus Schaefer (52) gründete 2003 gemeinsam mit Hiromi Hosoya das Büro Hosoya Schaefer Architects in Zürich. Neben einem Master in Architektur der Harvard University Graduate School of Design besitzt er einen Master in Neurobiologie der Universität Zürich. Fünf Jahre arbeitete er für Rem Koolhaas’ Büro OMA in Rotterdam und war Direktor und Mitgründer des Thinktank AMO. 2007 bis 2012 war er Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien, 2016/17 Gastprofessor in Moskau; 2018 unterrichtete er an der Harvard GSD. Die Verbindung von Wissenschaft, Praxis und Forschung prägt auch das Œuvre von Hosoya Schaefer Architects, das konkrete Bauten ebenso umfasst wie städtebauliche Projekte und theoretische Arbeiten. → www.hosoyaschaefer.com

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S. 116 – Auf einem Regal gruppieren sich verschiedene Volumenmodelle (oben). Impressionen aus dem Studio von Hosoya Schäfer, das im umgenutzten Gebäude von Brieger Verpackungen in Zürich-Altstetten liegt (unten). S. 117 – Aus dem mit Glaselementen abgetrennten Besprechungszimmer blickt man über die offenen Büroflächen direkt auf das Nachbargebäude. S. 118 – Der 52-jährige Architekt mit einem Modell des Regionalflugplatzes Samedan (Engadin Airport). Das Projekt befindet sich gerade in der Ausschreibungsplanung. S. 119 – Die Tragstruktur aus Beton ermöglicht weitgehend offene Flächen. Das grosse Modell links im Bild entstand im Rahmen des Beteiligungs­verfahrens Neugasse der SBB, dahinter steht ein Modell für die Architekturbiennale Venedig 2010.

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BEFREIUNGSSCHLAG MIT FREITREPPE

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Text: David Strohm Visualisierungen: Raumgleiter AG Historische Fotos: Wetzipedia

In Wetzikon entsteht eine neue Mitte. Aus dem in die Jahre gekommenen Einkaufszentrum Trompete wird nun das Zentrum ­Metropol mit einer ausgewogenen Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Detailhandel. Durch die städtebauliche Öffnung des ­Projekts und zusätzliche Freiflächen gelang Halter nach langer Blockade der Neubeginn. Entwurf und Nutzungsmix können als Modell für Zentrumsüberbauungen in anderen Klein- und ­Mittelzentren der Schweiz gelten. Entwicklung & Städtebau


Manchmal braucht es nicht viel, um in einer festgefahrenen Situation den sprichwört­ lichen Gordischen Knoten zu lösen: eine neue Vision, unkonventionelle Ideen und einen Wechsel bei den Beteiligten. Wenn dann eine überraschende Einigung unter bislang zerstrittenen Parteien erfolgt und ein mutiger Entscheid für einen Neubeginn getroffen wird, können alte Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Oft sind es mehrere Faktoren gleichzeitig, die die Wende möglich machen. Genauso zugetragen hat es sich in ­Wetzikon, dem Bezirkshauptort des Zürcher Oberlands. Hier machte einst ein Einkaufszentrum unter dem Namen Trompete von sich reden. Doch in den letzten Jahren wirkte der Komplex, als wäre er ein wenig aus der Zeit gefallen, als wehe hier noch der Geist des letzten Jahrhunderts. Planung und Bau aus den späten Jahren des Wirtschaftswunders zeugten von den Verheissungen des Konsums und der Moderne, die seinerzeit noch im breiten Volk verfingen. Man war stolz auf Grosses, das sich auch in der Nähe entfaltete. Bis der Putz blätterte und hier und da ein leeres Schaufenster gähnte. Das demodierte Shoppingcenter – gerade wäre es 50 Jahre alt geworden – zeigte deutlich: Hier muss dringend etwas geschehen. Vom «glänzenden Kristall» zu Leerständen und Einsprachen Dabei war der Beginn einst vielversprechend. Bis Ende der 1960er-Jahre prägte eine tra­ ditionsreiche Weberei die Mitte der Gemeinde Wetzikon. Als sie schliessen musste, begann die Suche nach einer neuen Nutzung. 1970 wurden schliesslich die alten Fabrikgebäude abgebrochen, und die Arbeiten für den Neubau eines Einkaufszentrums starteten. Klangvoll hiess es damals in einem Beitrag für die Lokalzeitung «Zürcher Oberländer»: «Das EKZ Trompete präsentiert sich wie ein glänzender Kristall aus unscheinbarem Gestein erwachsen.» Die Eröffnung der Trompete, wie der Bau wegen seines länglichen, trompetenähnlichen Grundrisses genannt wurde, fand im Jahr 1972 statt. Der damals noch neue Ladenmix aus Supermärkten, einem Restaurant sowie Detailhandel und Spezialgeschäften erwies sich schon bald als attraktiv. Zum Magnet avancierte das Warenhaus Epa. Wetzikon wurde erwachsen, «von der Gemeinde zur Stadt», wie der damalige Gemeinderat Max Honegger festhielt. Neue Läden und Gastronomie-Angebote 121

kamen, andere gingen. Das Zentrum florierte – fast dreissig Jahre lang. Um die Jahrtausendwende kam es zu einem Besitzerwechsel. Weil vieles nicht mehr der Zeit entsprach, stand für die Liegenschaft eine Auffrischung an. Vor allem die Fassade musste dringend erneuert werden. So wich die markante Wabenoptik über der Ladenfront an der Bahnhofstrasse einer schlichten Glasverkleidung. 2003, zum 30-Jahre-Jubiläum, ­verliess dann zuerst der Discounter Denner das Einkaufszentrum, zwei Jahre später schloss auch die Epa ihre Tore. Ein neuer Name sollte frischen Wind bringen: City Center Wetzikon (CCW) hiess das Einkaufszentrum nun. Doch auch damit blieb der Erfolg aus. 2012 übernam die CCW Wetzikon AG von Markus Bryner das Gebäude mit dem Ziel, das Einkaufszentrum zu sanieren, umzubauen und aufzuwerten. Zum ersten Mal tauchte der Name Metropol auf. Doch das Vorhaben geriet rasch ins Stocken. Ein stadtbekannter Unternehmer, dem mehrere Liegenschaften in der Nachbarschaft gehörten, rekurrierte gegen den Gestaltungsplan. Das Verfahren zog sich durch die Instanzen, bis nach fünf Jahren auch das Bundes­ gericht die Beschwerde gegen den privaten Gestaltungsplan Metropol ablehnte. Derweil blieb das Baugesuch sistiert und musste erneut geprüft werden. 2019 stoppte ein weiterer Rekurs gegen die Baubewilligung das Projekt. Das Hin und Her endete schliesslich mit dem Verkauf einer Parzelle an der Bahn­ hofstrasse durch den Rekurrenten an die ­Halter AG. Nachdem diese auch das auf Eis gelegte Projekt erwerben konnte, war der Weg definitiv frei. Neu am Start mit einem überarbeiteten Konzept In der Folge wurde das Projekt vom Büro ­meierpartner architekten auf Basis des Gestaltungsplans und einer Änderungseingabe überarbeitet. Das neue Zentrum Metropol sieht vor, das alte Shoppingcenter mit seinem aufgesetzten Wohnblock zu ersetzen und dem Geviert an zentraler Lage in Wetzikon ein neues Gesicht zu geben. Mit 26 Metern Höhe werden zwei seiner neun Wohntürme die ehemalige Liegenschaft etwas überragen. Aus der seinerzeit gedeckten Mall soll eine offene Stadtgasse entstehen, die den Bau­ körper in zwei Teile gliedert. Sie lädt zum «Lädele» und Flanieren ein, dient den Pas­ santen aber auch als Verbindung und Durchgang Komplex Nr. 15/2022



von der Bahnhofstrasse zur höher gelegenen Tödi­strasse. Eine breite Treppe zwischen den Gebäuden erinnert nicht zufällig an die berühmte Spanische Treppe in Rom. Sie soll in Zukunft, genauso wie das historische Vorbild, für Öffentlichkeit und Identität sorgen. ­Darüber hinaus macht sie die Topo­grafie ­Wetzikons sicht- und erlebbar und schafft eine Verbindung zwischen den beiden wich­ tigen Verkehrsachsen und zum Jörg-SchneiderPark. Die Zentrumsbebauung im Herzen Wetzikons setzt an dieser sehr gut erschlossenen und frequentierten Lage aber auch einen städtebaulichen Akzent und verbindet den Stadtraum mit den umliegenden Quartieren. Ein Marktplatz zum Entdecken Das langgezogene Areal zwischen Bahnhof- und Tödi­strasse umfasst eine Grundfläche von gut 9000 Quadratmetern. Durch die Neuentwicklung wird der Komplex im Endausbau über eine vermietbare Fläche von 18 300 Quadrat­ metern verfügen. Im Erdgeschoss entlang der Bahnhofstrasse ist eine Reihe von Ladengeschäften geplant, unter denen sich eine 6000 Quadratmeter grosse Tiefgarage erstreckt. Hier sind 210 Parkfelder für Autos und ­Motorräder vorgesehen, hinzu kommen 450 Abstellplätze für Velos. Auf den ersten beiden Geschossen, zu beiden Seiten der geschützten und doch offenen Stadtgasse, sollen Räumlichkeiten für Gewerbe, Arztpraxen, ein Fitness­center und ein Co-Working angesiedelt werden. Insgesamt ist für Dienstleistungen eine Fläche von 3000 Quadratmetern vorgesehen, für Läden und Gastronomie zusammen stehen knapp 5000 Quadratmeter zur Verfügung. Das Verkaufsangebot soll einen «Marktplatz» widerspiegeln, auf dem Lebensmittel, Non-­­ Food-Artikel sowie Sortimente für Gesundheit, Beauty und Mode entdeckt werden können, aber auch Platz für Bars, Cafés und Take-Aways ist. Dieser Mix mit vor allem kleineren Geschäften konzentriert sich mehrheitlich auf die Erdgeschossebene. Wohnangebote für Familien, Pendler und moderne Nomaden Die oberen Geschosse bleiben ganz der Wohnnutzung vorbehalten. Das breite Wohnungsangebot besteht aus insgesamt 149 Einheiten. Davon sind 114 Einheiten für konventionelle 2,5-, 3,5- und 4,5-Zimmer-Wohnungen vorgesehen. 35 neuartige, kleinere Apartments sollen auf der zweiten Büro- und 123

Verkaufsebene entstehen. Die 32 bis 42 Qua­ dratmeter grossen, kompakten Wohneinheiten werden mit der MOVEment-Technologie aus­ gestattet und sind für das wachsende Segment der Einpersonenhaushalte, Expats, modernen Nomaden und «Neo-Singles» sowie Wochenund Wochenend­aufenthalter gedacht. Mit elektronisch verschiebbaren Raummodulen, welche die Bewohner per Knopfdruck der Tageszeit und Wohnsituation anpassen können, bieten die MOVEment-Wohnungen Komfort, Flexibilität und Stauraum auf kleiner Grundfläche. Die Idee für MOVEment geht auf den österreichischen Architekten Angelo Roventa zurück. In den letzten Jahren konnte Halter das Micro-Living-Konzept zur Marktreife bringen und in der Schweiz etablieren. So wurden seit 2019 mehrere Hundert MOVEment-­ Wohnungen an verschiedenen städtischen Standorten realisiert. Für Wetzikon ist solch eine Wohnform noch neu. Doch dank der sehr guten Verkehrsanbindung der Gemeinde im Zürcher Oberland mit fast 27 000 Ein­ wohnerinnen und Einwohnern dürfte die Nachfrage gegeben sein, ist Andreas Campi, Geschäftsführer bei Halter Entwicklungen, überzeugt. Nur gerade 17 Minuten dauert die Fahrt vom Bahnhof Wetzikon zum Zürcher Hauptbahnhof. Tagsüber verkehrt die S-Bahn sogar im 15-Minuten-Takt. Zusammenarbeit mit Modellcharakter Die Baubewilligung für das Zentrum Metropol wurde im September 2021 rechtskräftig, der Baustart erfolgte im Januar 2022. Das Investitionsvolumen beläuft sich auf 138 Millionen Franken. Investorin ist die UBS, vertreten durch die Turintra AG. «Das Projekt Metropol in Wetzikon ist ein Parade­bei­ spiel für die gelungene Transformation und Umsetzung einer Zentrumsüberbauung. Wohnen, Arbeiten und Verweilen an einem Ort werden dieser Entwicklung einen zeitgemässen und nachhaltigen Platz sichern», sagt Martin Strub, Manager des grössten Immobilienfonds der Schweiz, dem UBS «Sima». Insgesamt drei Jahre sollen die Arbeiten am Zentrum Metropol dauern, die in zwei Etappen erfolgen werden. Mit der Fertigstellung der ersten Bauetappe wird für Ende 2023 gerechnet, die zweite soll im November 2025 beendet sein. «Dass das Projekt nun auf die Zielgerade geht, ist nur möglich geworden dank einer exem­ plarisch guten Zusammenarbeit zwischen den Behörden, dem Entwickler und allen weiteren Projektbeteiligten», meint Martin Strub Komplex Nr. 15/2022


meierpartner architekten ag Als «klassisches Architekturbüro» charakterisiert Matthias Reifler das 1978 gegründete Unternehmen mit Sitz in ­Wetzikon, dessen Geschäfte er zusammen mit seinem Partner Omid Arami leitet. Für die Überarbeitung des Projekts Zentrum Metropol kam das 26-köpfige Team infrage, weil es sowohl über das notwendige Know-how als auch über die Ressourcen für die Planung eines solchen Grossprojekts verfügt. Mit Halter Entwicklungen hat meierpartner archi­ tekten bereits zwei Grossprojekte realisiert. «Man kennt, schätzt und vertraut sich», sagt Matthias Reifler. Zu den Schwerpunkten von meierpartner gehören neben Wohnbauten auch Aufträge von Detailhändlern. Schweizweit bekannt ist das Büro durch seine Entwürfe für Multiplex-­ Kinos der beiden grossen Kino-Gruppen Blue Cinema / Kitag und Pathé. → ­www.meierpartner.swiss

Schnitt / Ansicht: Die grosszügige Freitreppe bildet einen Korridor zwischen den Gebäuden und nutzt die vorhandene Topografie.

weiter. Der UBS-Fondsmanager schreibt dem Ablauf sogar «Modellcharakter» zu. Ähnliche Erfahrungen hat auch Matthias Reifler von meierpartner architekten gemacht. Er lobt insbesondere die offene Kommuni­ kation seitens der Wetziker Behörden. «Sie haben das überarbeitete Projekt, das nicht mehr ein Einkaufszentrum, sondern ein ganzes Stadtquartier vorschlägt, seit der Vorstellung verstanden und unterstützt. Der für alle Seiten intensive Projektstart verlief angenehm und konstruktiv», sagt der Architekt. Er hält das Zentrum Metropol in mehrfacher Hinsicht für einen Glücksfall für die Gemeinde, besonders auch aus städtebaulicher Perspektive. Mit der Stadtgasse und der Freitreppe entstehe nicht einfach ein Neubau, sondern ein architektonisch und aussen­ räumlich attraktives Quartier mit einer zukunftsgerichteten, gemischten Nutzung.

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Entwicklung & Städtebau


Grundriss Erdgeschoss: Grosse und kleinere Detailhandelsflächen liegen sowohl an der Bahnhofstrasse als auch zu beiden Seiten der Stadtgasse.

Metropol, Bahnhofstr Bauherr

(LOGO) Turintra AG Bahnhofstrasse 45 8001 Zürich Architekt

meierpartner architekten meierpartner architekten ag kantonsschulstrasse 6 postfach 1224 8620 wetzikon t +41 44 933 05 05 f +41 44 933 05 06 info@meierpartner.swiss www.meierpartner.swiss

M03 Plantitel

Publikation - Gr Plannummer Architekt

7150 Dateiname Modell

Grundriss 4. Obergeschoss: Aus dem langgezogenen Gebäudekomplex wachsen neun Wohntürme mit 2,5- bis 4,5-Zimmer-Einheiten in die Höhe.

MET_GMNP_ARC_MEI_ARC_098-108

Metropol, Bahnhofstr Bauherr

(LOGO) Turintra AG Bahnhofstrasse 45 8001 Zürich Architekt

meierpartner architekten meierpartner architekten ag kantonsschulstrasse 6 postfach 1224 8620 wetzikon t +41 44 933 05 05 f +41 44 933 05 06 info@meierpartner.swiss www.meierpartner.swiss

M03 Plantitel

Publikation - Gr Plannummer Architekt

7152 Dateiname Modell

MET_GMNP_ARC_MEI_ARC_098-108

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S. 120 – Das ehemalige Einkaufszentrum Trompete an der Bahnhofstrasse 99 in Wetzikon wurde 1972 eröffnet. Schnell avancierte es zum Magnet für die ganze Region, wie das ein Jahr später entstandene Foto zeigt. S. 122 – Das geplante Zentrum Metropol nimmt die langgezogene Form seines Vorgängerbaus auf. Der Baukörper hat neun markante, aufgesetzte Wohntürme (oben). Eine breite Treppe wird dereinst die Verbindung von der Bahnhofstrasse zur höher gelegenen Tödistrasse und zum Jörg-SchneiderPark bilden. Auf dem Platz davor soll öffentliches Leben stattfinden (unten).

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S. 126 – Das Architekturmodell des Einkaufszentrums Trompete entstand 1970. Es zeigt die langgezogene, sich gen Süden verjüngende Form der Überbauung. Im Erdgeschoss zur Strasse hin und in einer überdachten Ladenpassage waren Geschäftsflächen untergebracht. Ein aufgesetzter Wohnblock hatte rundum laufende Balkone. S. 127 – Die leeren Farbrikgebäude der Weberei Wetzikon im Jahr 1969 (rechts oben). Das Grundstück an der Bahnhofstrasse nach dem Abriss der Weberei (rechts unten). Blick in die Baugrube mitten im Ort (links oben). Der südliche Gebäudteil des EKZ Trompete – hier im Rohbau – war abgestuft (links Mitte). Vor dem Shoppingcenter lag ein grosser Parkplatz (links unten).

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Was verstehen Sie unter dem Begriff Placemaking, und was sind dessen erfolgversprechende Elemente und Prozesse? 128

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Enrico Slongo (50) studierte Architektur an der ETH ­Lausanne. Dort begleitete er von 2007 bis 2011 als Assistent von Professor Andrea Bassi dessen Entwurfsatelier. Bis 2013 war er als Architekt bei Burckhardt + Partner AG in Basel und Rast Architekten AG in Bern tätig. 2013 schloss er das MAS in Raumplanung an der ETH Zürich ab. Von 2013 bis 2019 war er als Stadtbaumeister Amtsvorsteher der Stadt Langenthal, die 2019 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet wurde. Seit 2019 arbeitet er als Stadtarchitekt in Fribourg und steht dem Stadtplanungs- und Hochbauamt vor. Enrico Slongo ist seit 2020 Präsident der Stiftung Baukultur Schweiz. → www.stiftung-baukultur-schweiz.ch

Der Begriff Placemaking wird häufig im Zusammenhang mit Stadtplanung verstanden. Dabei steht die attraktive Gestaltung des Raums im Vordergrund. Zum einen ist der neu gestaltete Raum an die Bewohner und Besucher gerichtet. Dafür stehen ästhetische, physische sowie soziale Effekte im Vordergrund. Zum anderen sollen auch Investoren auf den Ort aufmerksam gemacht werden. Dafür stehen Standortqualität und Sozialkapital im Vordergrund. Placemaking wird aber auch als kollektiver Prozess zur Verbes­ serung der Nutzungsqualität eines Raums verstanden. Dafür sollen staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure vernetzt werden. Wie kann eine Behörde, etwa ein Stadtbauamt oder Stadtplanungsamt, Placemaking aktiv begleiten? Im Folgenden soll das Augenmerk auf die Prozesse im Zusammen­ hang mit privaten raumrelevanten Bauvorhaben gelegt werden. In der heutigen Situation der Raumentwicklung nach innen, wo die Erweiterung der Bauzonen nur mit Auszonungen an anderer Stelle möglich ist, müssen kleinere, mittlere und grosse Bauvorhaben mit ortsbildprägender Auswirkung entsprechende ­stadträumliche und architektonische Qualitäten aufweisen – Placemaking mit Qualität und als Teil hoher Baukultur. Dies ist schon früh mittels geeigneter Prozesse aufzuzeigen und in partizipativer, interdisziplinärer Auseinandersetzung zu ­diskutieren. Der Dialog muss von den Gemeindebehörden orches­ triert werden. Dabei steht ein erfolgversprechendes Element im Vordergrund: der Faktor Zeit. Placemaking verstanden als Vernetzung von Akteuren zur qualitätsvollen Schaffung eines neuen Raums muss zeitlich beschränkt und effizient sein. Die Prozesse haben einen Beginn und ein Ende. Danach muss der nächste Schritt erfolgen. Für die grossen Bauvorhaben haben sich mittlerweile in allen grösseren ­Schweizer Gemeinden verschiedene anerkannte Varianzverfahren 129

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zur Qualitätssicherung durchgesetzt. Hier kann das Beispiel des Kantons Bern genannt werden, der mit der Zone mit Planungspflicht ein Instrument kennt, das mittels anerkannten Varianz­ verfahrens direkt den Weg zur Baubewilligung frei macht. Auch für kleine und mittlere Bauvorhaben werden Qualitätskontrollen im interdisziplinären Dialog in Zukunft immer ­wichtiger, um in der ganzen Schweiz höhere Baukultur zu erreichen. Diese Diskussion kann aber nicht erst während der Bau­ bewilligungsphase geführt werden. Das ist zu spät! Es braucht schon in der Phase des Vorprojekts begleitende Verfahren. Das Workshop-Verfahren in Langenthal, nun auch etabliert als Atelier in Fribourg, ist ein Prozess, der dem Anliegen des begleiteten Verfahrens im Placemaking Rechnung tragen kann.

Thomas Sevcik (52) ist Mitgründer des NarrativstrategieSpezialisten arthesia in Zürich. Er gilt unter anderem als einer der Masterminds von Projekten wie Autostadt in Wolfsburg oder LabCampus am Flughafen München. Weitere Themengebiete umfassen die Ideenentwicklung für grosse Immobilienprojekte, Spezialzonen und urbane Distrikte sowie Positionierungsstrategien für Städte und Regionen. Er studierte Architektur an der TU Berlin und ist am ­Cen­tral Saint Martins College of Arts and Design in London tätig. → www.arthesia.com

Placemaking ist eigentlich ein paradoxer Begriff. Denn wieso muss ein Ort, ein Platz überhaupt gemacht werden, wenn dieser doch existiert? Und funktionieren Orte nicht einfach so, ­einfach aus sich heraus? Die Sache ist nicht ganz eindeutig. Denn beim Placemaking treffen zwei starke Entwicklungen der letzten Jahre frontal aufeinander. Die Urbanisierung hat viele Menschen zu eigentlichen Urban-Profis gemacht. Sie erwarten interessante Städte, dichtes kulturelles Leben und vor allem eine lebendige Umgebung. Gleichzeitig hat die Entwicklung von neuen Quartieren, ja ganzen Stadtteilen oder gar Städten (wieder) begonnen. Diese Neo-Quartiere müssen nun die gleichen Qualitäten wie etablierte Städte und Stadtteile haben. Hier kommt das Placemaking ins Spiel. Placemaking «macht» eben Urbanität, indem es gestalterische, gemeinschaftsbildende oder kulturelle Elemente zur gebauten Umgebung hinzufügt. Das können Quartier-Events sein oder kulturelle Räume und Ereignisse, aber auch gewisse 130

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Gestaltungselemente oder «Follies», also eigentlich überflüssige, aber bereichernde Objekte oder Situationen. Placemaking wird seit einigen Jahren vermehrt angewendet. Allerdings sehen viele Investoren und Entwickler Placemaking in erster Linie als Kostenfaktor, als notwendiges Übel sozusagen. Diese Sichtweise ist falsch. Placemaking ist ein Renditefaktor. Denn Immobilienentwickler verkaufen mittlerweile keine Flächen, sondern Produkte. Diese Produkte müssen attraktiv sein, um einen hohen Ertrag zu erzielen. Placemaking ist eine Investition in die Qualitätssteigerung des Produkts, das man vielleicht «neue urbane Quartiere» nennen könnte und das urbanes Leben für ein mittlerweile verwöhntes Publikum anbietet. Mit Placemaking wird ein neu bebautes Areal zum Quartier, ohne sind es nur überbaute Quadratmeter. Das Placemaking (nun auch öfter «Kuratierung» genannt) wird immer raffinierter, immer umfassender: «Coole» oder «hippe» Restaurants und Artspaces sind ebenso programmierbar wie scheinbar «spontane» Events. Künstlern werden kostenlose Ateliers angeboten, wenn sie im Gegenzug im Quartier agieren und damit zur ­«Coolness» beitragen. Das alles ist nun mit Placemaking möglich, und das alles steigert die Qualität, das Image und damit auch den Wert einer grossen Immobilien- / Quartierentwicklung.

Martin Rein-Cano (54) ist Landschaftsarchitekt und Gründer sowie Creative Director von Topotek 1. Dan Budik (47) ist Architekt und Managing Partner sowie Leiter der Architekturabteilung bei Topotek 1. Das Büro mit Sitz in Berlin und Zürich arbeitet in den Bereichen Landschaftsarchitektur, Architektur und Städtebau und versteht sich als Wanderer in den Grenzbereichen von Typologien und Massstäben. Die Hybridisierung von Themen und Disziplinen, die Übertragung und Rekontextualisierung von Entwurfselementen und die Inszenierung von szenografischen Abläufen sind bestimmende Strategien für die Arbeit von Topotek 1. → www.topotek1.de

Ausgehend von der Auffassung, dass Wandel städtisch ist und bei der Planung von Aussen- und Stadträumen Platz für Unerwartetes bleiben soll, satteln unsere Entwürfe auf vorhandene Qualitäten von Orten auf und suchen dabei eine feine Balance aus künst­lerischen, sozialen und kommerziellen Aspekten. Durch eine neue Programmierung von Orten können so ganz neue Qualitäten entstehen. Spontanität zu bewahren, ist ebenso wichtig wie eine «institutionelle Improvisation» durch eine Collage an 131

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Nutzungen, die neue Bedeutungen und Codierungen erzeugt. Ziel ist dabei ein Nebeneinander von Dingen, die nicht zusammen­ gehören. Um Innen- und Aussenräume zu attraktiven urbanen Treffpunkten zu verbinden, kann eine Prise «dosierte Unsicherheit» helfen, das Akzidentielle nicht zu ersticken. Bei unserem Entwurf für das Hauptquartier der Kuwait Foundation for the Advancement of Science beispielsweise schaffen wir entlang der benachbarten Uferpromenade einen Ort, der sorgfältig in seine Umgebung integriert ist und öffentlichen ­Charakter hat. Dieser einladende Aussenraum fügt sich nahtlos in die Corniche ein. Inspiriert vom schattigem Patio und der grünen Oase adaptiert der Entwurf traditionelle Strategien, um direktes Sonnenlicht zu minimieren – ohne die Vorteile der natürlichen Beleuchtung zu verlieren. Beim Konzerthaus Nürnberg ging es hingegen darum, einen Solitär zu entwickeln, der die Meistersinger-Halle zu einem Ensemble ergänzt und dabei ein räumliches und akustisches Erlebnis schafft. Die Präsenz des Neubaus stärkt die Identität des öffentlichen Raums: Das zentrale Foyer mit Verbindung zum Park wird von einer transparenten Haut umhüllt, die die Atmosphäre innen auch von aussen wahrnehmbar macht. Tagsüber spiegeln sich Bäume in der Fassade und nachts leuchtet der Konzertsaal. Im offenen Raum wird die Landschaft zum Bestandteil des Innenraum­erlebnisses. Die Gebäude werden durch Hohlräume in unterschiedlichen Formen und Grössen in Fassade, Dach und Innenraum perforiert, was zu schillernden «inneren Landschaften» führt, die sich beim Durchschreiten entfalten. Dies lässt die Grenzen von innen und aussen verschwimmen und das Gebäude mit seiner grünen Umgebung verschmelzen. Bei unserem Entwurf für das Schulhaus Champagne in Biel sind die Aussenräume ein essenzieller Bestandteil der Organisation. Der neue Schulcampus versteht sich als «flexible Lernlandschaft», in der sich zwischen den Gebäuden ein Platz für Sport und Spiel öffnet. Die Eingangshalle wird zu einer Erweiterung des Pausenplatzes, während drei doppelgeschossige Loggien im Obergeschoss Aussenräume mit Blick auf den Jura bieten. Balkone verbinden diese Loggien zu einem Freiraum zum Spielen und Lernen in intimer und geschützter Atmosphäre. 132

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Marcel Stoffel (58) ist Gründer und CEO des Swiss Council of Shopping Places, der grössten unabhängigen Schweizer Community für die Retail-, Handelsimmobilien- und Shopping­ center-Branche. Zudem berät er mit seiner im Januar 2011 gegründeten Einzelfirma stoffel.zuerich Unternehmen aus den gleichen Branchen mit Schwerpunkt auf die Strategie­ entwicklung, die Erarbeitung von Nutzungs- und Flächenkonzepten, die Vermarktung und Vermietung. → www.stoffel.zuerich

Für den Begriff Placemaking gibt es grundsätzlich keine allgemeingültige Definition. Im Deutschen taucht er vor allem im Bereich der Stadtplanung, bei Stadt- und Quartierentwicklungsprozessen und im Zuge des Community Building auf. Die eigentliche Absicht von Placemaking als Disziplin lässt sich jedoch wie folgt erklären: «Placemaking is turning a (public) space from a place you can’t wait to get through, to one you never want to leave.» Offensichtlich geht es darum, öffentliche und multifunktionale Orte mit einer hohen Aufenthalts- und Erlebnisqualität zu schaffen. Und was bedeutet dies für unsere Handelsimmobilien und Shopping­center? Beobachtet man die Entwicklung der Handels­ immobilien- und Shoppingcenter-Branche, wird die grosse ­Bedeutung von Placemaking rasch klar. Denn Shoppingcenter, Retail-Destinationen, Warenhäuser und Detailhandelsgeschäfte müssen in Zukunft mehr bieten als Produkteauslagen und Warenangebote, um gegen das Online-Shopping bestehen zu ­können. Verkaufsflächen müssen sich zu Erlebnisorten transformieren (from spaces to places), sie müssen sich immer mehr zu sozialen Treffpunkten mit positiver Atmosphäre und einer hohen Hospitality-Kompetenz wandeln. Das Schaffen von positiven Emotionen, Erlebnissen und Wohlfühlatmosphäre, gepaart mit der Gestaltung einer relevanten Marktleistung, wird zur wichtigsten Disziplin, wenn es darum geht, einen Ort mit einer hohen Anziehungskraft zu schaffen, wo Menschen gerne ihre Zeit verbringen und auch ihr Geld ausgeben. Die wichtigsten drei Zukunftstrends für die Handelsimmobilien- und Shopping-Places-Industrie, die durch Placemaking unterstützt werden, sind folgende: 1. Diversität – Marktplätze und Retail-Destinationen werden durch Angebote aus den Bereichen Freizeit, Co-Working, Unterhaltung, Wellness, Fitness, 133

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Medizin, Schönheit, Gesundheit und Gastronomie zu eigentlichen Mixed-Use-Destinationen. Services und Dienstleitungsangebote werden massiv zunehmen. 2. Flexibilität – Flexible Nutzungen, temporäre Vermietungen, flexible Mietverträge sowie flexible Vertragslaufzeiten statt Fixmiete, langjährige Mietverträge und Angebotseinheitsbrei. Moderne Marktplätze und lebendige Retail- und Freizeitdestinationen werden sich in Zukunft viel schneller an die sich verändernden Bedürfnisse, Wünsche und das Konsum- und Freizeitverhalten der Gesellschaft anpassen müssen. 3. Emotionalität – Erfolgreiche Retail-Destinationen und Marktplätze werden zu sozialen Treffpunkten, Begegnungszonen und spannenden Erlebnisdestinationen. Es entsteht ein Third Place, wo Menschen nicht nur ihr Geld ausgeben, sondern auch ihre Zeit verbringen. Ganz nach dem Motto «Spend Money on Experiences, not Things» entsteht ein Ort, der Emotionen weckt.

Andreas Campi (47) ist Dipl. Ing. FH, hat den Studiengang MSc Real Estate Management (CUREM) absolviert und fungiert seit 2008 als Mitglied bei RICS. Seit 2010 ist er bei der Halter AG tätig, zuerst als Projektleiter, dann als Leiter Entwicklung und seit 2020 als Geschäftsführer Entwicklungen. Er engagiert sich bei RICS als Prüfungsexperte und doziert beim CUREM an der Universität Zürich. Für die Legislatur 2021 bis 2024 wurde er als Wirtschaftsbeirat des Kantons Solothurn gewählt.

Die Projektentwicklung gilt als Königsdisziplin der Immobilien­ branche. Innerhalb dieser ist das Placemaking – die Schaffung eines guten Ortes – wohl die Kür. Jan Gehl, renommierter dänischer Architekt und Stadtplaner, äussert mit der pragmatischen Frage «Wie wollen wir eigentlich leben?» eine sehr vielschichtige städtebauliche Aufgabenstellung, welche die Interaktion des Menschen mit dem Freiraum und den Gebäuden in den Vordergrund rückt. Nach Gehl ist ein guter Ort wie eine gute Party: Die Menschen bleiben länger als nötig, weil sie sich wohlfühlen. Beim Placemaking geht es demnach im Kern darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir uns wohlfühlen. Doch damit dies gelingt, muss das klassische Vorgehen bei einer Entwicklungsaufgabe genauer betrachtet und hinterfragt werden. 134

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Vielfach wird mit Projektstart, nachdem die Analysen getätigt und der Initiierungsentscheid getroffen wurden, ein Projektwettbewerb oder Studienauftragsverfahren durchgeführt. Dies meist mit der löblichen Absicht, eine hohe Qualität sicher­ zustellen. Doch in wie vielen der unzähligen Wettbewerbsprogramme landauf, landab ist die Zielsetzung «Die Menschen sollen sich wohlfühlen» formuliert? Meist geht es darum, architektonische, technische und wirtschaftliche Kriterien gleichermassen zu erfüllen – bis hin zum Nachweis des Standorts für die ­Haustechnikzentrale. Je nach Zusammensetzung des Beurteilungsgremiums resultiert ein Projekt, das sich gefällig innerhalb dieser Aspekte einordnet und letztlich mehrheitsfähig erscheint. Ob der Mensch sich dann nach der baulichen Umsetzung wohlfühlt, wird (meist) dem Zufall überlassen. Mit unserem Generationenprojekt Attisholz-Areal sind wir einen neuen Weg gegangen. Im Zuge des Landerwerbs Ende 2016 haben wir das einst für die Öffentlichkeit geschlossene Areal sukzessive geöffnet. Gezielte bauliche Interventionen fokus­ sieren darauf, eine hohe Aufenthaltsqualität für die Menschen zu schaffen. Mittlerweile geniesst das Areal grosse Beliebtheit bei einer breiten Gästeschicht: Die Besucher fühlen sich wohl! Nachdem die durch Halter in enger und partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit der Gemeinde Riedholz und dem Kanton Solothurn erarbeitete Nutzungsplanung Ende 2021 durch den Regierungsrat festgesetzt wurde, ist die Planungssicherheit erreicht, und die ersten Projekte werden konkretisiert. Dies wurde ebenso unkonventionell wie auch innovativ gestartet. Mit dem Studienauftrag Freiraum erarbeiten sechs nationale und internationale Landschaftsarchitekturbüros Vorschläge für die Frei- und Stadtraumgestaltung des ca. 70 000 Quadratmeter umfassenden Kernareals. Im Programm wurde die Schaffung einer zukunftsfähigen und wandelbaren Grundlage für die Entwicklung eines Lebensraums für alle Nutzer (Bewohnende, Unternehmen, Besuchende) als Kernaufgabe formuliert. In den kommenden Jahren werden die ersten Um- und Neubauten auf dieser Basis realisiert. Die Zielsetzung ist klar: Die Menschen sollen sich auf dem Attisholz-Areal wohlfühlen. Placemaking Attisholz – Form Follows Life! 135

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NUR NOCH KURZ DIE WELT VERÄNDERN Text: Christine Marie Halter-Oppelt Fotos: Dan Cermak

Mit dem Start-up Luucy entstand 2019 eine offene, digitale und interaktive Plattform, die als neuartiges Instrument der Raum- und Immobilienentwicklung dienen soll. Zur Teilnahme und zum gegenseitigen Austausch sind gleichermassen Behörden, Planer, Entwickler und die Bevölkerung aufgerufen. Wir trafen den Gründer Mark Imhof im Co-Working Laboratorium Luzern, das er nicht nur mit ins Leben gerufen hat, sondern auch als Ort der Vermittlung seiner Ideen nutzt. 137

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Etwas versteckt in einem Hinterhof in der Luzerner Neustadt steht die alte Netzwerkzentrale der Elektrizitätswerke Luzern. Ein Flachdachbau aus den 1950er-Jahren. Vor dem Eingang ist ein Klingelschild mit der ­Aufschrift «Kommandozentrale Steghof» angebracht, daneben hängt der Briefkasten des Co-Workings Laboratorium Luzern und der Stiftung Stadtmodell Region Luzern, darunter stehen die Namen von einem Dutzend weiterer Firmen, die hier eingemietet sind. Aufmerksame Besucher erhaschen damit den ersten Hinweis auf die Geschichte und heutige Nutzung der Liegenschaft, die sich mit dem Öffnen der Tür als Wundertüte auf zwei Etagen entpuppt. Im plakativen Treppenhaus mit grünem Linoleumboden und rot gestrichenem Eisengeländer steht allerlei herum: Klapptische, eine Aluleiter und zwei Kartons voll mit grauen Filzpantoffeln. Wir haben einen Termin mit Mark Imhof, dem Geschäftsführer von Luucy, einem Start-up, das im Co-Working zuhause ist. Er steht schon auf dem oberen Treppenabsatz und begrüsst uns wie ein Hausherr. Das liegt nicht nur daran, dass er heute wegen der immer noch andauernden Corona-Schutzmassnahmen einer der wenigen Anwesenden ist. Er ist auch der Gründer von Laboratorium Luzern im ersten Stock, in dem wir uns jetzt befinden, und der Mitinitiator der Stiftung, die einst den grössten Teil der Fläche im Erdgeschoss belegte. Alles hängt hier irgendwie zusammen. Wie, das wollen wir heute von ihm erfahren. Von der Architektur zur Raumplanung Wir setzen uns an einen der Besprechungstische, und Mark Imhof fängt an zu erzählen. Der 53-jährige Architekt hat einen inte­ ressanten Lebenslauf. Hundert Prozent zu geben, das sei für ihn schon immer selbstverständlich gewesen, betont er gleich vorweg. Davon zeugen seine Mitgliedschaft in der Schweizer Volleyball-Junioren-Nationalmannschaft genauso wie die Bestnote 6, die er für seine Diplomarbeit am Zentralschweizerischen Technikum Luzern erhielt. Es folgte eine Offizierskarriere bei den Grenadieren. Nach seinem Studium arbeitete er einige Jahre für bekannte Architekten wie Hannes Ineichen (Luzern) oder Hans Hamel (­Rotterdam), nebenbei gründete er sein erstes eigenes Architekturbüro in Luzern. Doch sein Blick ging schon damals über den Tellerrand hinaus. Bald engagierte er sich im Heimatschutz und in der Denkmalpflege. Mit einer seiner 138

Firmen war er massgeblich am Ausbau des Schweizerischen Mobilfunknetzes beteiligt – sie existiert bis heute und beschäftige in Spitzenzeiten bis zu 600 Mitarbeitende. Hinzu kamen öffentliche Ämter, Beratungsmandate und Lehrtätigkeiten. Von 2001 bis 2016 leitete er mit zwei Partnern das Architekturbüro GKS in Luzern. «In dieser Zeit wurde mir bewusst, wie schwer es für Architekten ist, sinnvolle und attraktive Objekte zu realisieren, die nicht nur den ökonomischen Vorgaben entsprechen und bis zur Parzellengrenze wirken, sondern auch darüber hinaus einen wertvollen Beitrag für den Lebensraum, der als zusammenhängender funktionierender Organismus verstanden werden muss, leisten», meint Mark Imhof. Er fragte sich, «warum nicht einen neuen Ansatz zur mehrdimensionalen Raumentwicklung auf Basis der in der Schweiz bereits vor­ handenen digitalen Geo-Informationen entwickeln?», und gründete 2016 ein weiteres Unternehmen. Dieses firmiert heute unter IVO Innenentwicklung AG und nutzt die in den letzten Jahren gewonnene Methodenkompetenz für die Transformation von Siedlungsräumen und Innen­entwicklungsstrategien sowie die strategische Beratung von privatwirtschaftlichen Organisationen, Gemeinden und Behörden. Das digitale Werkzeug dazu – eine schnittstellenoffene, skalierbare Technologie für den digitalen Zwilling – wurde 2019 als Spin-off zum Start-up Luucy. Es ist Mark Imhofs vierzehnte Firma. Mit der Plattform, die Luucy bereitstellt, so meint der gebürtige Walliser, sei es in Zukunft möglich, Planungsprozesse transparent zu gestalten und damit ihre Akzeptanz zu erhöhen. Die Privatwirtschaft habe den Nutzen digitaler Hilfsmittel längst erkannt und sei sehr dynamisch unterwegs. Die Behörden würden allerdings vielerorts noch hinter­ herhinken, auch was die Gesetzgebung angehe. Das digitale 3D-Modell von Luucy könne ­komplexe Themen verständlich darstellen und eine Brücke zwischen allen am Planungsprozess Beteiligten bauen. Geo-Daten als Grundlage Dafür bringt Luucy sämtliche raumrelevanten und öffentlich verfügbaren Informationen der Schweiz auf einer Plattform zusammen. Als Basis dienen die vom Bundesamt für Landes­topo­ grafie (Swisstopo) erhobenen Daten der ­Landschaft mit allen Gebäuden. Diese werden durch die Arbeit am digitalen Modell und die Entwicklung & Städtebau




Integration von Simulations­tools und Datensätzen von Unternehmen aus der Privat­ wirtschaft ständig erweitert. Die neue Online-Plattform stellt ihren Nutzern und Abonnenten aber auch Modellierungswerkzeuge, baurechtliche Grundlagen, Daten der amt­lichen Vermessung, Karten und weitere hilfreiche Anwendungen auf Abruf bereit. Damit können zukünftige Bauprojekte in die bestehende Umgebung eingefügt, geprüft und justiert werden; mit den entsprechenden integrierten Tools von Drittfirmen lassen sich in dieser frühen Phase sogar die Investitionskosten berechnen. Für Behörden ­bietet sich mit Luucy die Möglichkeit, Zonenplanungen wie eine bevorstehende Ortsplanungsrevision zu visualisieren, indem potenzielle Bauvolumen mit Algorithmen flächendeckend über eine ganze Gemeinde oder Stadt gelegt werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse treten Investoren und Behörden in einen Diskurs, zugleich kann auch die Bevölkerung anschaulich über Vor­haben informiert werden. Risiken werden vorverlagert und minimiert, Kosten gespart. Die Gemeinden erarbeiten sich einen Standortvorteil, 141

Investoren können effizienter ent­wickeln und haben weniger Einsprachen. «Der Plattformgedanke und die tiefe Auseinandersetzung mit dem Lebensraum von morgen sind der rote Faden in meiner Arbeit. Wir stehen erst am Anfang eines neuen Verständnisses im Umgang mit den komplexen Themen der Lebensraumentwicklung», betont Mark Imhof. Dann steht er auf, geht zu einem der Schreibtische im hinteren Bereich und kommt mit einem kleinen Folder zurück. «Wiesenschwein» steht über dem Foto eines grasenden Hausschweins. Auch dieses Start-up ist im Laboratorium Luzern zuhause, er selbst sei Mitglied des Verwaltungsrats. Dank ausgeklügelter Technologie und künstlicher Intelligenz habe man in der Biosphäre Entlebuch den ersten Betrieb mit einem neuen Standard für tiergerechte Schweinehaltung mit viel Auslauf ­entwickelt. So hätten die Tiere ein besseres und gesünderes Leben als ihre konventionell gehaltenen Artgenossen. Von der Konversation angezogen, kommt ein anderer Anwesender, der bisher in einem kleinen Nebenzimmer gearbeitet hat, auf uns zu und legt eine Tafel Schokolade auf den Tisch. Florian Studer Komplex Nr. 15/2022


gründete Schöki, um gegen Armut und Kinder­ arbeit in der Schokoladenindustrie zu kämpfen. Dafür entwickelte er ein digitales Nach­ verfolgungssystem für Rohstoffe, das bis zum Kakaoproduzenten reichen und in Zukunft in der ganzen Branche zum Einsatz kommen soll. Die Idee der Zusammenarbeit und Kolla­ boration ist hier im Co-Working überall spürbar. In den einzelnen Firmen, die sich eingemietet haben, aber auch im ganzen Haus mit verschiedenen Arbeitsbereichen, Rückzugsorten und Ruhezonen im ersten Stock sowie weiteren Flächen im Erdgeschoss, die auch für Veranstaltungen genutzt werden. Mit Luucy über Stadtlandschaften fliegen Um zu zeigen, wie Luucy funktioniert, könnte Mark Imhof jetzt zu seinem Computer greifen. Stattdessen fordert er uns auf, ihm nach unten zu folgen. Er schiebt einen langen grauen Vorhang neben dem Eingang zur Seite. Vor uns öffnet sich ein grosser Raum, der ehemalige Kabelkeller, dessen Boden komplett mit bedruckten Platten ausgelegt ist. Darauf sieht man die Karte des Stadtmodells der Region Luzern, das von der gleichnamigen 142

Stiftung 2016 initiiert wurde und die Vorstufe zu einem gedruckten 3D-Modell war. Jetzt erklärt sich auch die Bedeutung der grossen Kartons mit den Pantoffeln. Sie dienten einst zum Schutz des Bodens, der nicht verkratzt werden sollte. Inzwischen hat sich die Vorsichtmassnahme jedoch überholt, da die Darstellung längst in die digitale Welt migriert wurde. Der Projektor, der diese an die Wand werfen soll, läuft bereits. Mark Imhof schliesst sein Laptop an, und vor uns erscheint eine Stadtlandschaft mit Häusern, Strassen und Bäumen. Alles ist sehr einfach und klar dargestellt – eine Mischung aus Architekturvisualisierung und Video Game. Wir beginnen über die Szenerie zu fliegen, machen einen Stopp in Urdorf-Nord, wo weisse Häuser den Bestand darstellen, während transparente Volumen in Planung befindliche Projekte abbilden. Mit einem Klick wechselt die Ansicht nach Celerina. Die Bündner Gemeinde nutzt Luucy, um die Neugestaltung ihrer Freiräume im Dorfkern zu visualisieren und mit der Bevölkerung zu teilen. Hier erscheinen die Fassaden der alten Engadiner Häuser wie echt. Ihre realitätsnahe, Entwicklung & Städtebau


fotografisch anmutende 3D-Darstellung wurde aus von der Firma Raumgleiter erhobenen Punktwolkendaten zusammengefügt. Ein anderes Beispiel für die Anwendungsmöglichkeiten von Luucy bietet sich in Hergiswil, wo die Software automatisiert und flächendeckend über jede einzelne Parzelle das zukünftige potenzielle, minimale oder maximale Bauvolumen darstellt. Auf gleiche Weise lässt sich auch ein digitaler Architekturwettbewerb in die Umgebung einfügen. Hier können unzählige Simulationsprogramme zum Einsatz kommen, etwa für die Erhebung des Verhältnisses von Fassade zu Fläche, der Energiebezugsfläche, der Lärm­belastung oder des Solarpotenzials. Selbst die unterirdische Infrastruktur ist sichtbar. «Luucy macht es möglich, nicht nur zukünftige Architekturen und Volumen abzubilden, sondern auch Ingenieurlösungen in der Planung weit nach vorne zu schieben, um die besten und nachhaltigsten Lösungen zu küren. Ein Game Changer!», sagt Mark Imhof. Zukunftsweisendes Geschäftsmodell Das haben inzwischen nicht nur Service-­Partner wie der bereits erwähnte Zürcher Visualisierungsspezialist Raumgleiter erkannt. Er hat den von ihm in den letzten Jahren generierten digitalen Zwilling der Limmatstadt in Luucy eingespeist. Auch Drittanbieter nutzen die Plattform für die Zusammenarbeit mit ihren Kunden, oder sie bieten den bestehenden Luucy-­ Abonnenten neu entwickelte Dienst­leistungen an. Anfang 2020 beteiligte sich die Halter AG an Luucy. Ihr CEO Markus ­Mettler zog in den Verwaltungsrat ein und unterstützt mit vier weiteren Investoren den Wachstumskurs des Start-ups. «Ich habe immer das Glück gehabt, dass ich mit meinen Ideen zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute begeistern konnte. Was wir mit Luucy machen, ist einzigartig in Europa. Darum wollen wir jetzt eine Dynamik aufbauen und so schnell wie möglich wachsen», sagt Mark Imhof, der sich inzwischen aus der Geschäftsleitung von IVO Innenentwicklung zurückgezogen hat, um all seine Energien für Luucy zu bündeln. Die ersten Schritte sind bereits gemacht: In Schlieren bei Zürich wurde ein weiterer Firmensitz im JED eröffnet, das Entwicklerteam im tschechischen Prag wird stetig ausgebaut, und auch im vietnamesischen Ho Chi Minh City wurden Software-Entwickler für das Unternehmen eingestellt. Damit will das Start-up nicht nur die 2172 Gemeinden der Schweiz bedienen, sondern in den gesamten 143

europäischen Raum expandieren. «Die Europäer teilen eine gemeinsame Kultur und das Verständnis für ein dialogorientiertes Miteinander. Dort, wo Gemeinschaften auf basis­demokratischer Grundlage ein erfülltes Leben führen möchten, werden wir mit unserer Opensource­-Philosophie landen», meint Mark Imhof. Wäre nur noch eine letzte Frage offen: Woher kommt eigentlich der Name Luucy? «Zum einen von Luzern und City», erklärt Mark Imhof. «Anderseits hat mich der Kinofilm «Lucy» von Luc Besson inspiriert, in dem die Haupt­ figur, eine Drogenkurierin, gespielt von ­Scarlett Johansson, die Welt mit jedem Tag ein Stück mehr durchschaut – bis sie schliesslich Einfluss nehmen kann.» → www.luucy.ch

S. 136 – In einer Ecke des Treppenhauses stehen zwei Kartons mit ausgedienten Filzpantoffeln. Sie waren einst zum Schutz der mit dem Stadtmodell der Region Luzern bedruckten Bodenfliesen gedacht. S. 137 – Das Co-Working im ersten Stock bietet Besprechungsboxen, Arbeitstische und eine Sitzecke mit gelbem Vitra-Sofa (links). Der grüne Linoleumboden stammt noch aus der Entstehungszeit des Gebäudes (rechts). S. 139 – Mark Imhof initiierte das Co-Working Laboratorium Luzern und sitzt in dessen Verwaltungsrat. Von hier aus treibt er auch sein Start-up Luucy voran. S. 140 – Im Veranstaltungsraum im Erdgeschoss kann das digitale 3D-Modell von Luucy an die Wand projiziert werden. Die Bodenfliesen erinnern an vergangene Zeiten. S. 141 – Der Architekt erklärt das Geschäftsmodell von Luucy (links). In einem kleinen Nebenraum des Co-Workings arbeitet Florian Studer, Gründer von Schöki (rechts). S. 142 – Viele grüne Pflanzen geben dem unkonventionellen Co-Working wohnlichen Charakter. S. 143 – Der 53-jährige Schweizer hatte schon immer viele Ideen. Die Luucy AG ist seine vierzehnte Firma.

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NETTO NULL IST FLEISSARBEIT

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Jahresenergieverbrauch pro m2 in kWh

250

200

150

100

50 1,46 Millionen Gebäude

1900

1925

1950

1975

erwartete Entwicklung 2000

2025

2050

Über 65 Prozent aller Gebäude in der Schweiz sind vor mehr als 30 Jahren gebaut oder letztmals massgeblich saniert worden. Auf dem Weg zur gesellschaftlich und politisch angestrebten Klimaneutralität sind diese fossilen «Dinosaurier» veritable Stolpersteine. Ihre energetische Sanierung ist dringend ­notwendig, denn sie ist der Schlüssel zu einem vollständig dekarbonisierten Gebäudepark. Die Schritte zur Netto-Null-­ Transformation sind mitunter mühsam, doch die Ergebnisse überzeugen. Engineering & Production

Tatsächliche und erwartete Entwicklung des spezifischen Energieverbrauchs von Wohngebäuden in der Schweiz von 1900 bis 2050.

Text: Marc Bätschmann Grafiken: Tend AG


Was haben das Beheizen einer 80-Quadrat­­­me­ter-­ Minergie-Wohnung mit Öl während eines Jahres, 7000 Kilometer mit einem Kleinwagen fahren, eine 3-Tages-Kreuzfahrt und zwei Flüge von Zürich nach London gemeinsam? Bei jedem dieser Vorgänge wird eine Tonne CO₂ ausgestossen. Auch wenn die Diskussion über den Einfluss von Kohlendioxid auf das Klima schon lange in unserem Alltag Einzug gehalten hat, das umweltbelastende Gas ist für viele noch immer wenig greif- und quantifizierbar. Doch mit dem wachsenden Bewusstsein der Gesellschaft wächst auch der Druck auf die Akteure. Ins­ besondere institutionelle Immobilieneigentümer sind aufgefordert, ihre Bestrebungen in Richtung eines klimaneutralen Gebäudeparks transparent zu machen. Der Grund: Ein knappes Viertel der Gesamtemissionen werden hierzulande durch den Gebäude­sektor verursacht. Diese Emissionen konnten bis 2019 zwar um 34 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 gesenkt werden, doch das indikative Ziel einer Reduktion um 40 Prozent wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht. Die Senkung bewirkten einfache Massnahmen wie beispielsweise der Ersatz von Fenstern oder der Austausch der Elektroheizung. Solche «low hanging fruit» sind nun grösstenteils geerntet, die weitere Reduktion wird anspruchsvoller. Aber sie muss umgehend in Angriff genommen werden, denn es geht nicht mehr um die Frage, ob der Gebäudepark zukünftig keine Emissionen mehr ausstossen darf, sondern wann der Gebäudepark vollständig dekarbonisiert sein wird. Ineffiziente, fossil versorgte Gebäude stehen im Fokus Neue, vor allem kleine Gebäude werden heute gesetzesbedingt energieeffizient erstellt und meistens erneuerbar versorgt. Auch grössere Neubauten müssen, zeitgemäss geplant, ausschliesslich über eine erneuerbare Energieversorgung verfügen und sogar Energie für die Mobilität produzieren. Über 65 Prozent aller Gebäude in der Schweiz sind jedoch vor mehr als 30 Jahren erbaut oder letztmals saniert worden. Mehr als 110 000 Gebäude mit mehr als sechs Wohnungen wurden gemäss ­Bundesamt für Statistik in der Nachkriegszeit bis 1990 erstellt. Das sind die typischen Mehr­familienhäuser, wie wir sie von den Rändern unserer Stadtkerne, den Agglomerationen, den Kleinzentren und sehr vielen Dörfern kennen. Aufgrund ihrer weiten ­Verbreitung spielen sie eine entscheidende 145

Rolle in der Dekarbonisierung des Gebäudeparks. Sie verbrauchen typischerweise ­drei- bis sechsmal mehr Wärme als Neubauten. Zudem werden diese Gebäude fast aus­ schliesslich mit fossiler Wärme versorgt, was gegenüber Neubauten mehr als zehnmal so hohe Treibhausgas-Emissionen erzeugt. Deshalb müssen bei einer Transformation des Gebäudeparks zu Netto Null diese ineffi­ zienten, fossil versorgten «Dinosaurier», die einen grossen Teil der Emissionen verursachen und deren Dekarbonisierung sich ­einfach skalieren lässt, im Fokus stehen. Energetische Sanierung in der Praxis Ein gelungenes Beispiel einer solchen energetischen Sanierung bietet das im Jahr 1975 ­in massiver Bauweise erstellte Doppelmehr­ fami­lienhaus mit 17 Wohneinheiten an der Ländischstrasse in Meilen (siehe Grafik S. 146). Es entspricht einem in der Schweiz weit verbreiteten Gebäudetypus, der heute – wie oben ­ausgeführt – einen bedeutenden Teil der CO2-Emissionen verursacht. Die Liegenschaft wurde 2016 im bewohnten Zustand mit einer Wärmepumpe, saisonal regenerierten Erdwärmesonden und einer Solaranlage ausgestattet. Damit erreichte man, dass das neue Energiesystem im Betrieb keine CO2-Emissionen mehr verursacht. Für die Bauherrschaft kam nach der energetischen Sanierung ein Anschluss ans Gasnetz nicht infrage. Jedoch wurde grossen Wert darauf gelegt, dass die Mieterinnen und Mieter des Doppelmehr­ familienhauses während der Umbauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben konnten. Ausserdem sollten die Mieten infolge der energetischen Sanierung nicht übermässig ansteigen. Die Sanierung des Mehrfamilienhauses gestaltete sich unscheinbar: Der Ausdruck des 47 Jahre alten Gebäudes blieb erhalten, und die sichtbaren Anpassungen fügen sich gut in die Umgebung ein. Die Auswertung der Mess­ daten der Betriebsjahre 2017 bis 2020 belegen, dass heute mit dem eingesetzten Strom die vier­fache Menge an Wärme (Heizen und Warmwasser) produziert wird. Mit der energetischen Sanierung von Fassade und Dach konnte eine Reduktion des Wärmeverbrauchs um 25 Prozent erreicht werden. Die Senkung des Stromverbrauchs für die Wärmeproduktion durch die Solaranlage lag bei 93 Prozent. Alle Massnahmen konnten im bewohnten Zustand durchgeführt werden und hatten nur eine geringfügige Mieterhöhung zur Folge. Das vorliegende ­Projektbeispiel zeigt also, dass sich eine Komplex Nr. 15/2022


Wirtschaftlichkeit und Komfort als Treiber Zwei der zentralen Ziele einer energetischen Sanierung sind die Steigerung der Wirtschaftlichkeit über den gesammten Lebenszyklus und die Reduktion des Investitionsrisikos. Eine ganzheit­liche Betrachtung des Gebäudes ist dabei zwingend, entsprechend wird ein inte­graler Sanierungsansatz unter Berücksichtigung des Standes einzelner Elemente in dessen Lebenszyklus gefordert. Die Elektrifizierung der Wärmeversorgung ist der grösste Schritt in der Dekarbonisierung. Der Ersatz fossiler Heizträger durch Wärmepumpen reduziert die Emissionen um den Faktor 5 bis 8. Mit der Optimierung der Gebäudehülle resultiert in der Summe meist ein Verbesserungsfaktor von über 10. Zweifels­ ohne sind die Investitionskosten für eine Umstellung auf erneuerbare Energieträger höher als ein Heizungsersatz mit fossiler Lösung. Dabei hat die Gebäudeeffizienz einen direkten Einfluss auf die Grösse der Heizung und entsprechend auf die Investitions-

Energetische Gebäudesanierung (ohne Zertifizierung)

– Baulich: Fassadendämmung, Dachsanierung, Kellerdeckendämmung – Technisch: CO2-freie Wärmeerzeugung nach dem 2SOL-Prinzip – Neue Wärmeverteilung in der Dämmebene an der Fassade

kosten. Während sich die Elektrifizierung der Wärmeversorgung entscheidend auf den Dekarbonisierungsgrad auswirkt, ist die richtige Abfolge der Sanierungsmassnahmen und eine entsprechende Abstimmung der Heizung auf die Hüllensanierung ausschlaggebend für eine optimale Wirtschaftlichkeit der Gesamt­sanierung. Eine energetische Sanierung bringt auch eine Komfortsteigerung mit sich. Eine optimierte Gebäudehülle verbessert oftmals spürbar das Raumklima. Dazu können Wärmepumpen mit bescheidenen Mehrinvestitionen auch zur Raumentwärmung im Sommer eingesetzt werden. Dieser Mehrkomfort kann dann eine Mietzins­ erhöhung rechtfertigen. In vier Schritten zu Netto Null Der Mehrwert einer energetischen Sanierung für Wohneigentümer und Mieter liegt auf der Hand, und die Grundlagen der Transformation sind vorhanden. Nun gilt es, mit adäquaten Mitteln den Weg zum Netto-Null-Gebäudepark zu ebnen. Der erste unerlässliche Schritt hierbei ist die Sensibilisierung der Bauherren

Gebäudeenergiesystem nach 2SOL (Auslegung)

– 3 × 360 m Erdwärmesonden (Doppel-U-Rohr) mit saisonaler Regeneration des Erdreichs – 160 m² Hybridkollektoren (28 kWp elek­ trisch, 87 kW thermisch, solar­ thermisch, ca. 60 % Regenerationsgrad)

– Wärmeabgabe über Radiatoren, ­Vorlauftemperatur auf 46°C (Auslegung) – Warmwasser über Frischwassertechnik, 50°C Zapftemperatur (Auslegung)

Doppelmehrfamilienhaus, Baujahr 1975, 17 Wohneinheiten, Energiebezugsfläche (EBF) ca. 2000 Quadratmeter

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Engineering & Production

Beispiel einer energetischen Sanierung mit verschiedenen Massnahmenpaketen für ein Doppelmehrfamilienhaus aus dem Jahr 1975.

Netto-Null-Transformation und Sozialverträglichkeit nicht ausschliessen müssen.


bezüglich der Relevanz der Lebenszyklus­ betrachtung. Die tiefen Betriebskosten von erneuerbaren Energien müssen mit der kon­ sequenten Anwendung der Lebenszyklusbetrachtung den höheren Investitionskosten gegengerechnet werden. Den Fokus einzig auf die Investitionskosten zu legen, ist also irreführend. Eine ökonomisch optimierte Sanierung zahlt sich über den Lebenszyklus betrachtet für den Eigentümer in den meisten Fällen aus. Einen weiteren Bonus erneuer­ barer Energien stellt die gesteigerte Investitionssicherheit dar, denn für die nächsten dreissig Jahre kalkulierbare Energiekosten senken das Investitionsrisiko. Als Zweites werden neue Zusammenarbeitsmodelle für effizientere und rentablere ­Projekte benötigt. Der bestehende, in einzelne Fachbereiche aufgeteilte Planungs- und Bauablauf ist nicht mehr zeitgemäss. Er wird dem Anspruch an ein modernes Gebäude nicht gerecht und lässt den Betrieb weitgehend ausser Acht. Das fällt bei Sanierungen noch stärker ins Gewicht als im Neubau. Das Werkgruppen-Modell, wie es von The Branch, dem Zusammenschluss gleichgesinnter Unternehmen, gelebt wird, ist als Alternative viel zielführender. Es ermöglicht einer projektspezifisch zusammengestellten Arbeitsgemeinschaft mit unterschiedlichen Kompetenzen, dem Bauherrn ein verbindliches und gesamtheitliches Angebot zu unterbreiten, ihn durch das ­Projekt zu begleiten und auch im Betrieb zur Verfügung zu stehen. Ein wesentliches Element ist hierbei der aktive und konstruktive Erfahrungsaustausch unter den ausführenden Unternehmen. Davon profitieren alle Teil­ nehmenden. Diese Erkenntnisse wurden auch mit den Arbeitsgruppen der Allianz 2SOL im Bereich gesamtheitliche Energieversorgung von Gebäuden gewonnen. Das dritte Mittel ist, sich die Digitalisierung zunutze zu machen. Sie ermöglicht eine einfache Datenerhebung mit darauf basierenden Entscheidungen über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Wichtig sind klare Ziele und eine strukturierte Datenpflege. Im Bestand können verfügbare Daten mit Benchmarking kombiniert werden, um Massnahmen zu entwickeln und Varianten zu bewerten. Im Bauprojekt gilt es, die Weichen richtig zu stellen, um im späteren Regelbetrieb Transparenz und schnell verfügbare Infor­ mationen aufzubereiten. Dabei wird mit BIM4FM der qualitative Mehrwert aus dem BIM-Bau­ projekt in den Betrieb überführt. Beides 147

ermöglicht dem Immobilieneigentümer ein Reporting mit einem schlanken Prozess. Er kann sich auf strategische Kontroll- und Interventions­tätigkeiten fokussieren, statt Datenfriedhöfe zu bewirtschaften. Das vierte und schliesslich letzte Werkzeug für die Netto-Null-Transformation sind neue Angebote der Industrie an die Bau­ herren. Für eine vereinfachte Umsetzung der Sanierung müssen neue Geschäftsmodelle ­entwickelt werden, die obiges vereinen und gleichwohl lukrativ für Eigentümer sowie Ausführende sind. Der Weg führt über die Industrialisierung der Prozesse und Produktion der Sanierung. Dazu gehören auch neue Betriebsmodelle, die dem Bauherrn ein «Rundum-sorglos-Paket» anbieten, die aber nicht erst nach der Anlagenerstellung starten, sondern bereits direkt in der Konzeptphase. Erneuerbare Energien sind grundsätzlich ­wartungsarm. Sie bedürfen jedoch einer längeren Einregulierungsphase aufgrund der grösseren Vernetztheit. Das heisst aber nicht, dass teure Service-Verträge nötig sind. Diese werden durch eine automatisierte, digitale Überwachung und einzelne Expertenstunden ersetzt. Aufgaben annehmen und umsetzen Mit den hier beschriebenen Mitteln ist es allen Marktteilnehmern möglich, die Dekarbonisierung des Schweizer Gebäudeparks entscheidend voranzubringen. Die Gebäude aus den 1950er- bis 1980er-Jahren sind dabei das Zünglein an der Waage. Ihre energetische Sanierung bedeutet viel Fleissarbeit. Doch wir verfügen längst über die notwendigen Technologien und wissen, wie wir aus wirtschaftlicher und auch aus sozialer Sicht vorgehen müssen. Worauf warten wir also?

Marc Bätschmann (39) hat als ausgebildeter Maschinenbauingenieur an der ETH Zürich fünf Jahre lang an nieder­ exergetischer Gebäudetechnik geforscht. Anschliessend entwickelte er in Industrie- und Spin-off-Firmen Produkte und Dienstleistungen für die Dekarbonisierung des Gebäudeparks. Als Geschäftsführer der Allianz 2SOL und Mit­ gründer des Netto-Null-Kollektivs arbeitet er an neuen Ansätzen und Geschäftsmodellen für die Gebäudemoder­ nisierung. Seit Juni 2021 berät er bei der Tend AG als Partner Liegenschafts- und Portfoliobesitzer in Energiekonzepten und Reduktionsstrategien von CO₂-Emissionen. → www.tend.ch

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EIN SCHULHAUS IN REKORDZEIT Text: Reto Westermann Fotos: Oliver Stern

Das Heilpädagogische Zentrum Innerschwyz (HZI) steht kurz vor der Übergabe eines neuen Schulhauses für zwölf Klassen. Ein Team unter Führung von Halter gewann 2018 den Gesamtleistungswettbewerb für die Erstellung des Gebäudes. Dank vor­ gefertigter Holzbauweise und Planung mit dem dreidimensionalen ­BIM-­Modell wird der Neubau termingerecht zum Schuljahres­ beginn im August 2022 bereit sein – gerade einmal 16 Monate nach dem Spatenstich. 149

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Grosses Baustellenkino gab es im November und Dezember 2021 im schwyzerischen Ibach für die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrerschaft des Heilpädagogischen Zentrums Innerschwyz (HZI) zu sehen: Innerhalb weniger Wochen wuchsen auf dem benachbarten Grundstück die fünf oberirdischen Geschosse ihres neuen Schulhauses rasant in die Höhe. Alle paar Stunden fuhr ein Sattelschlepper mit verleimten Holzträgern und -stützen, vorgefertigten Holzwänden sowie Betonplatten für die Geschossdecken vor. Insgesamt 15 Last­ wagenladungen umfasste das Material für ein einziges Stockwerk. Zusammengefügt wurden die Elemente vor Ort von den Zimmerleuten der Holzbaufirma Häring AG jeweils binnen Wochenfrist. Rund 450 Einzelteile hievte der Baustellenkran dafür in die Höhe. Bereits Monate zuvor waren die für den Neubau benötigten Bäume in den Schwyzer Wäldern gefällt, bei der Schilliger Holz AG in Küssnacht am Rigi zugeschnitten sowie getrocknet und anschliessend bei der Roth Burgdorf AG und der Häring AG in Eiken zu fertigen Bauteilen verarbeitet worden. Anschliessend traten sie die Rückreise in den Kanton Schwyz an. Parallel hoben Bauarbeiter ab April 2021 vor Ort die Baugrube aus und erstellten in Betonbauweise das Kellergeschoss sowie den Gebäudekern, sodass Anfang November alles für die Montage des Holzbaus bereit war. Verdoppelung der Schülerzahl Dem Projekt vorangegangen war 2018 ein zwei­ stufiger Gesamtleistungswettbewerb des ­Kantons Schwyz mit sechs Teilnehmenden in der Endrunde. Diesen konnte das Team mit Halter als Gesamtdienstleister und Projektentwickler, dem Büro Lussi + Partner Architekten aus Luzern, w+s Landschaftsarchitekten aus Solothurn sowie dem Holzbauunternehmen Häring AG für sich entscheiden. Die Ausführung in Holzbauweise und die möglichst ­weitgehende Verwendung von Holz aus dem Kanton Schwyz waren Vorgaben aus dem Wett­ bewerb, ebenso der besonders strenge Umweltstandard Minergie-A Eco. «In klassischer Massivbauweise wäre der enge Zeitplan für die Realisierung des Neubaus nicht machbar gewesen», sagt Raphael Näf, Gesamtprojektleiter bei Halter für das HZI. In der Tat war der Baufahrplan sportlich: Der Spatenstich erfolgte im April 2021, damit bereits 16 Monate später im Juli 2022 das fertige Gebäude an den Kanton Schwyz übergeben 150

werden kann und der Unterricht am 22. August in den neuen Räumen beginnnt. Während der kurzen Erstellungsdauer werden etwa 20 Millionen Franken verbaut und ein Gebäude­ volumen von rund 20 000 Kubikmetern sowie mehr als 6000 Quadratmetern Geschossfläche errichtet. Das HZI in Ibach ist eines von zwei heilpädagogischen Zentren im Kanton. Es betreut Kinder mit einer geistigen, körperlichen oder mehrfachen Behinderung und wird als Tagesschule geführt. Die bisherige Schulanlage genügte der Nachfrage schon länger nicht mehr. Die Schülerzahl hatte sich seit 1990 verdoppelt, und ein Grossteil des Unterrichts musste in Provisorien stattfinden. Im Jahr 2018 konnte der Kanton eine passende Parzelle in nächster Nähe zum bestehenden Schulgebäude kaufen. Im Neubau finden zehn Schul- und zwei Kindergartenklassen für total 60 bis 70 Schülerinnen und Schüler Platz. Neben den Schulzimmern umfasst das Raumprogramm auch eine Gymnastikhalle, eine Mensa, Räume für den Werkunterricht sowie die Schuladministration und Aussenflächen mit Spielund Pausenbereichen. Kompaktes Volumen für mehr Aussenraum Die Ausgangslage für den Neubau stellte hohe Anforderungen an die Planer: Gemessen an der Fläche des Grundstücks musste ein grosses Raumprogramm untergebracht werden; gleichzeitig sollte den Schülerinnen und Schülern genügend Aussenraum zur Verfügung stehen. Erschwerend hinzu kam die Lage an der viel befahrenen Gotthardstrasse. «Damit genügend Freifläche übrig bleibt, mussten wir volu­ metrisch das Maximum herausholen», sagt Architekt Daniele Savi, Mitinhaber bei Lussi + Partner. Die Architekten entwarfen einen sehr kompakten, rechteckigen Gebäudekörper mit einer Grundfläche von 900 Quadratmetern und vier Vollgeschossen sowie einem kleineren Dachgeschoss. Durch die um acht Meter von der Strasse zurückgesetzte Positionierung des Gebäudes konnte einerseits die Einwirkung des Verkehrslärms reduziert und andererseits rund um den Bau Platz für einen attraktiv gestalteten Aussenraum geschaffen werden. Möglich macht das kompakte Gebäudevolumen eine Grundrissorganisation, die mit einem Minimum an Erschliessungsfläche auskommt: Ein einziges Treppenhaus in der Gebäudemitte verbindet zusammen mit zwei Aufzügen alle Geschosse. An diesen zentralen Bereich docken Sanitäranlagen und weitere Nebenräume an. Engineering & Production




Rund um den Gebäudekern verläuft ein Korridor, von dem alle Räume erschlossen werden. Im Erdgeschoss empfängt eine nach Südwesten orientierte Vorhalle die Schülerinnen und Schüler. Hier können sie von der Witterung geschützt aus den Schulbussen aussteigen, die sie von und nach Ibach bringen. Neben dem Eingangsbereich bietet das Erdgeschoss Platz für die Mensa, den Empfang und zwei Kindergartenklassen. In allen vier Obergeschossen finden sich Schulzimmer und Therapieräume. Im ersten Stockwerk sind zudem Räume für die Lehrerschaft untergebracht und im dritten Ober­ geschoss die Gymnastikhalle, deren Luftraum bis ins vierte Obergeschoss reicht. Dieses bietet auch eine barrierefrei zugängliche Dachterrasse. Die Zimmer für den Werkunterricht sowie die Technikräume und eine kleine Abstellhalle für Autos sind im Untergeschoss angeordnet. Die Belichtung der Werkräume erfolgt über einen vorgelagerten Lichthof. Holzskelettbauweise und Decken mit Hybridkonstruktion Die fünf aus Holz bestehenden Obergeschosse wurden in Holzskelettbauweise mit Stützen und Trägern erstellt. Dank dieser Konstruktion können die Innenwände weitgehend frei positioniert und bei Bedarf auch verschoben werden. Die Basis des Skeletts bildet ein Rastermass von 3,58 Metern, das in enger Zusammenarbeit von Architekten und Holzbaufachleuten entstand. «Unser Ziel war es, eine Lösung zu finden, die sowohl eine intelligente Grundrisseinteilung ermöglicht als auch ökonomische Spannweiten bei den Decken», sagt Oliver Hasler, Projektleiter bei Häring. Für die Decken wählten die Holzfachleute eine Hybridkonstruktion aus vierzig Zentimeter hohen Holzträgern und einer darauf liegenden, ebenfalls vorgefertigten Betonplatte mit zehn Zentimetern Dicke. Diese wird vor Ort mit dem Kran auf die Träger gelegt und mit diesen kraftschlüssig verbunden. «So können die Decken die Horizon­ talkräfte aufnehmen und in den massiven Gebäudekern übertragen», sagt Oliver Hasler. Dadurch brauche es auch keine weiteren Aussteifungen. Die hybride Bauweise ermöglichte nicht nur einen raschen Baufortschritt, sondern spart auch Raumhöhe. So finden die Beleuchtung und abgehängte Elemente für die Schalldämmung in den Räumen zwischen den Trägern Platz. «Dadurch haben wir die baurechtlich mögliche 153

Gebäudehöhe optimal ausgenutzt und konnten ein Maximum an Stockwerken realisieren. Dies wiederum half dabei, den Fussabdruck des Gebäudes auf dem Grundstück zu verkleinern», sagt Simon Kellenberger, der das Projekt bei Lussi + Partner leitet. Die Stützen und Träger aus Holz bleiben auch im fertigen Gebäude sichtbar, ebenso das naturbelassene Holz an den Korridorwänden. Dieses kontrastiert mit einem roten Linoleum­ belag. Dieselbe Farbe haben auch die ­Boden­beläge in den Treppenhäusern. In den Garderobennischen vor den Schulzimmern ­wechselt die Farbe. Die eingelegten Flächen in unterschiedlichen Farbtönen dienen den Schülerinnen und Schülern als Orientie­ rungshilfe und zeigen ihnen, in welchem Stockwerk sie sich befinden. Jedes Geschoss hat deshalb seine eigene Farbe – so ist das Erdgeschoss beispielsweise mit rosaroten Garderobenbereichen gekennzeichnet und das vierte Obergeschoss mit blauen. «Nur Zahlen oder Buchstaben würden schlecht funk­ tionieren, da ein Teil der Kinder Mühe damit hat», sagt Architekt Simon Kellenberger. Die Schulzimmer hingegen sind zurückhaltender ausgestaltet. Hier dominieren Weiss sowie hellere und dunklere Grautöne. Für Farbe werden später die Möblierung und vor allem viele Zeichen- und Bastelarbeiten von Schülerinnen und Schülern sorgen. Holz als Baumaterial prägt nicht nur einen Teil der inneren Optik des Gebäudes, sondern auch die Fassaden. Diese bestehen aus Holzelementen mit einer Verkleidung aus grün geschlämmten Brettern – eine Form des Witterungsschutzes, die man von skandinavischen Holzhäusern kennt, dort aber meist in roter Farbe. Gegliedert wird die Gebäudeoberfläche durch ein regelmässiges Raster von grossen, fest verglasten Bereichen und daneben angeordneten, schmalen, opaken Lüftungsflügeln sowie horizontal verlaufenden Simsen aus hellem Blech. Als zusätz­ liches Gestaltungselement sind zwischen den Fensterbereichen Rauten angebracht. Diese erinnern an die Gestaltung traditioneller Holzbauten. Die schmalen Lüftungsflügel werden im Alltagsbetrieb wohl selten benötigt, da das Gebäude über eine Komfortlüftung verfügt. Diese ist mit einem 500 Meter langen Erdregister unter dem Gebäudesockel verbunden. So kann die Luft im Sommer vor­ gekühlt werden und die Räume angenehm temperieren. Im Winter wird die kalte Zuluft vorgewärmt, was Energie spart. Komplex Nr. 15/2022


Virtueller Rundgang durchs digitale Modell Die sehr kurze Zeitspanne für die Realisierung des Projekts erforderte nicht nur eine weitgehende Vorfertigung der Bauteile, ­sondern auch eine Digitalisierung der Planung. Dabei arbeiteten vor allem die ­Architekten, die Holzbauplaner und die Fachingenieure für die Gebäudetechnik mit Building Information Modeling (BIM). «Dank dem dreidimensionalen, digitalen Gebäudemodell konnten wir viele Dinge, die sonst üblicherweise erst auf der Baustelle detailliert gelöst werden, direkt am Com­ puter planen», sagt Gesamtprojektleiter Raphael Näf von Halter. So erfolgte beispielsweise die Planung der mehr als 600 Ausspa­ rungen für die Durchführung von Leitungen in den Holz­elementen. Hilfreich war das drei­ dimensionale Modell aber auch bei den Besprechungen mit der Bauherrschaft. Diese konnte sich mit einem speziellen Softwaretool am Computer direkt durch ein virtuelles Gebäude­ modell bewegen, das bereits alle Oberflächen in der geplanten Optik zeigte. «Dadurch war es möglich, rasch und frühzeitig wichtige Entscheide zu fällen, wie etwa die Farbgebung von Wänden und Böden zu bestimmen oder Materialien auszuwählen», erklärt Architekt Simon Kellenberger. Bereits am 5. Januar 2022 wurde das letzte Holzelement an der Gotthardstrasse in Ibach montiert. Im Innern gingen die Arbeiten für die Fertigstellung aber mit Hochdruck weiter, damit das neue Schulhaus pünktlich zum Sommerferienende bereitsteht. Der erste Rundgang durch die modernen Räume dürfte dann vor allem für die Schülerinnen und Schüler wieder grosses Kino werden.

Lussi + Partner AG Das Luzerner Architekturbüro wurde 2014 gegründet und beschäftigt gegen zwanzig Mitarbeitende. Zum Portfolio gehören Wohn-, Gewerbe-, Hotel- und Schulbauten in der ganzen Schweiz. Zu den bekannten Werken des Büros zählen unter anderem der Neubau des Hotels Frutt Lodge & Spa in Melchsee Frutt (2011), die Wohnüberbauung Suurstoffi in Rotkreuz (2012), der neue Hauptsitz der SBB in Bern-­ Wankdorf (2014) und die Sanierung der Hochschul- und Zentralbibliothek in Luzern (2019). → www.lussipartner.ch

S. 148 – Über den Sommer 2021 wurden Kellergeschoss, Tief­ garage und Erschliessungskern vor Ort betoniert, ab ­November erfolgte die Montage der vorgefertigten Holz­ elemente. Pro Woche konnte gut ein Geschoss fertig­gestellt werden.

S. 155 – Trotz zum Teil widriger Wetterverhältnisse konnten bis zum Jahresende 2021 alle fünf Geschosse im Rohbau fertiggestellt werden. Die Parzelle liegt an der viel befahrenen Gotthardstrasse in Ibach (oben).

S. 151 – Zuerst montierte man die Holzstützen und -träger sowie die Zwischenwände (oben). Danach wurde die Montage der ebenfalls vorgefertigten Betonplatten als Decken­ abschluss ausgeführt. Diese sind über vor Ort einzementierte Schrauben punktuell mit den darunter liegenden Holzträgern verbunden (unten).

w+s Landschaftsarchitekten AG Das Landschaftsarchitekturbüro aus Solothurn wurde 1983 gegründet. Zu den Kernkompetenzen des gut zehnköpfigen Teams, das bereits zahlreiche Preise gewonnen hat, gehören unter anderem die Freiraumplanung, die Gartenarchitektur und die Landschaftsplanung. Das Büro war beispielsweise an der Gestaltung des Bahnhofplatzes in Solothurn, der Erschliessung des Attisholz-Areals in Riedholz sowie des Bally-Parks in Schönenwerd beteiligt. → www.wslarch.ch

Häring AG Das Unternehmen mit Sitz im aargauischen Eiken wurde vor 140 Jahren im Sinne eines klassischen Holzbaubetriebs gegründet. Auch heute noch steht Holz als Baustoff im Zentrum der breit aufgestellten Firma, die von der Immobilienentwicklung über die Realisierung als Generalunter­ nehmer bis hin zur Sanierung bestehender Gebäude alle Bereiche des Bauens abdeckt. Neben vier Standorten in der Schweiz verfügt die Häring AG auch über Filialen in ­Singapur und China. → www.haring.ch

S. 157 – Visualisierung des fertigen Schulgebäudes mit seiner markanten Fassade aus grün geschlämmten Holzbrettern. Helle Rauten nehmen traditionelle Muster auf und wirken zugleich spielerisch (oben). Im Inneren sind sowohl der Betonkern als auch der Holzbau durch die sichtbaren Deckenträger sowie die mit Holz verkleideten Korridorwände präsent. Farbige Linoleumböden setzen Akzente (unten).

S. 152 – Die vertikale Verteilung der Elektroleitungen erfolgt direkt auf den Betonplatten. Darüber kommen später die Trittschalldämmung und der Unterlagsboden (oben). Montage der Dachhaut im Bereich der grossen Terrasse im fünften Obergeschoss (unten).

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Schnitt: Im Untergeschoss befinden sich Werkräume und Autoabstellplätze. Die Gymnastikhalle liegt neben dem betonierten Gebäudekern.


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Grundriss Erdgeschoss : Hier sind Empfang, Mensa und zwei Kindergartenklassen untergebracht. Im Aussenbereich gibt es Spiel- und Pausenflächen.

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Grundriss 3. Obergeschoss : Vor den Klassenzimmern liegt ein Korridor mit Garderobennischen. Highlight ist die Gymnastikhalle im 3. und 4. Obergeschoss.

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INTEGRATED 158 PROJECT DELIVERY ÜBER ALLES? Text: Diego Frey Illustration: Dominique Wyss

Die Bau- und Immobilienbranche sucht händeringend nach neuen Projektabwicklungsmodellen. Vom Konfliktpotenzial der herkömm­ lichen fragmentierten Modelle kann inzwischen jeder mindestens ein Lied singen. Bei den Beteiligten herrscht Konsens darüber, dass die Integration von Planung und Ausführung in einer frühen Phase etliche Vorteile mit sich bringt. In der Bestenliste neuer integrierter Ansätze der Projektabwicklung steht die Integrated Project Delivery (IPD) ganz weit oben. Doch vor einer Beurteilung dieses Verfahrens lohnt sich ein Blick auf die Entstehungs­geschichte von IPD hinsichtlich einer Adaption auf die hiesige Projektlandschaft. IPD wurde auf einer britischen Ölbohrinsel in der Nordsee geboren

Die Geburtsstunde von IPD liegt in den frühen 1990er-Jahren. Damals wollte das Mineralölunternehmen British Petroleum (BP) eine Bohrinsel in der Nordsee bauen. Als BP feststellte, dass es mit dem klassischen Beschaffungs- und Abwicklungsmodell massiv über seinem Budget lag, suchte es nach einem neuen Modell. BP war sich bewusst, dass es die Zusammenarbeit mit den ausführenden Unternehmen intensivieren müsste und dies einen radikalen Mentalitätswandel bedingen würde. Um die ambitionierten Kostenziele zu erreichen, wurde eine Projektallianz gegründet, die eine echte Kooperation zwischen allen Akteuren sicherstellen sollte. Durch ein Bonus-Malus-System und die Aufteilung sämtlicher Projektrisiken waren alle Beteiligten nun vertraglich mitein­ander verbunden. Zudem wurde die Vergütung der Unternehmer anhand des Projekterfolgs bemessen, was dazu führte, dass BP die angestrebten Kosten nochmals markant unterschreiten und zusätzlich die Realisierungsdauer um sechs Monate reduzieren konnte. In Australien und Neuseeland folgten weitere hochkomplexe Infrastrukturprojekte, bei denen das Modell eingesetzt wurde. Im Engineering & Production – Kolumne


Jahr 2007 lancierte das American Institute of Architects (AIA) IPD schliesslich in den USA und definierte seine zentralen Prinzipien, die auf Gleichberechtigung, Einstimmigkeit, solidarischer Haftung und einer gemeinsamen Projektkultur mit Werten wie Offenheit, Ehrlichkeit, Transparenz und Kooperationsbereitschaft beruhen. IPD steht so für ein Projektabwicklungsmodell, das die inte­ grierte Bestellung, Planung und Ausführung eines Bauwerks unter der gemeinsamen Verantwortung eines Projektteams im Sinne einer Allianz mit den wichtigsten am Projekt beteiligten Unternehmungen darstellt. Dabei ist die Vermeidung von Interessenkonflikten bei komplexen und risikobehafteten Grossprojekten das oberste Ziel. Zur Sicherstellung sieht IPD eine weitgehende finanzielle, fachliche und leitende Mitwirkung des Bauherrn im Projektteam vor. Gleichzeitig sind die Projektbeteiligten untereinander durch einen Mehrparteienvertrag, einen Allianz­ vertrag oder eine eigens für das Projekt gegründete einfache Gesellschaft zur Erreichung der Projektanforderungen und Zielkosten verpflichtet. Erwähnenswert ist dabei auch das Vergütungssystem. Dieses basiert auf einer reinen Personal- und Materialkostenbasis und einer Gewinnbeteiligung bei Zielerreichung und Kostenunterschreitung. Im Sinne des Solidaritätsprinzips gilt dabei die Logik, dass alle Projektbeteiligten gemeinsam gewinnen oder verlieren. Das Vergütungssystem von IPD-Projekten in Übersee sieht eine dreistufige Vergütung vor, die jeweils unter Vor­ behalt der Erreichung der gemeinsam definierten Projektziele steht: Zuerst werden die Lohn- und Materialkosten vergütet, in einem zweiten Schritt die Overhead-Kosten und zuletzt der Gewinn. Der schnelle Aufstieg zum Branchenliebling Mit der steigenden internationalen Bekanntheit des IPD-Modells und nicht zuletzt durch seine Anwendung in Europa wurde und wird das Modell unter Fachleuten in der Schweiz nun auch für weniger komplexe Projekte im Tief- und Hochbau diskutiert. Derzeit steigt die Anzahl von Veranstaltungen, an denen IPD und Projekte mit IPD-Charakter vorgestellt werden und Bildungs­ institutionen der Bau- und Immobilienbranche, Planer und Unternehmer ihre ersten Erfahrungen mit IPD schildern. Dabei wird IPD gerne als mögliches Allheilmittel dargestellt. Doch ist es das auch? Gegenwärtig gibt es in der Schweiz eine Handvoll Projekte, die mit gewissen IPD-Elementen und -Prinzipien geplant oder abgewickelt werden. Dabei zeigt sich jedoch, dass die Erstellung und vielmehr der Abschluss eines Mehr­parteien- oder Allianzvertrags oder die Gründung einer 159

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projektspezifischen, einfachen Gesellschaft eine grosse Herausforderung darstellen. So wurden bei den bisherigen Projekten aus Gründen der Komplexität und des immensen Initialaufwands weitgehend Zweiparteienverträge mit IPD-Charakter abgeschlossen. Beim Vergütungssystem werden hierzulande unterschiedliche ­Varianten gewählt. In der Regel werden den Unternehmern über die Lohn- und Materialkosten hinaus auch Overhead-Kosten vergütet, und es gibt sogar einen Vorabbezug von Gewinnanteilen. Dementsprechend reduziert sich der gemeinsame «Topf», aus welchem vor Gewinnverteilung allfällige Kostenüberschreitungen sowie Aufwendungen für Mängel und Schäden während der Gewährleistungsfrist zu decken sind. IPD eignet sich nicht für jeden Bauherrn

In der Schweiz werden jährlich etwa 33 Milliarden Franken im Hochbau investiert. An erster Stelle stehen dabei die Mehrfamilienhäuser mit einem Volumen von 14 Milliarden Franken. Auf Platz zwei liegen die Einfamilienhäuser mit einem Volumen von rund 4,5 Milliarden Franken. Die durchschnittliche Projekt­ grösse beträgt über sämtliche rund 21 000 Hochbauprojekte betrachtet etwa 1,6 Millionen Franken. Im Bereich Tiefbau sowie im Umbau sind die durchschnittlichen Projektgrössen mit 490 000 Franken beziehungsweise 125 000 Franken noch tiefer. ­Prominente Generationenprojekte wie Cargo Sous Terrain, eine weitere Röhre für den Gotthard-Strassentunnel oder der Neubau des Universitätsspitals Zürich haben Einmaligkeits­ charakter und sind zudem jahrelangen, auch politischen Unsicherheiten ausgesetzt. Die Mehrheit der Projekte hierzulande liegt also weit entfernt von solch hochpreisigen und hochkomplexen Grossprojekten, für die das IPD-Modell auf interna­ tionaler Bühne ursprünglich entwickelt wurde. Neben der Frage, ob ein Projekt für IPD geeignet ist, gilt es für jeden Bauherrn abzuwägen, ob er selbst überhaupt bereit und in der Lage ist, ein komplexes Vorhaben zu führen, und inwieweit dies auch seinen Interessen und Zielsetzungen entspricht. Der Wechsel von der Rolle des Bestellers zum Mitglied und Steuerer eines Projektteams setzt einerseits eine sehr hohe fach­ liche Kompetenz voraus – weil der Bauherr die Entscheide über die Art und Weise der Ausführung mitträgt und damit Mitver­ antwortung übernimmt –, andererseits fordert IPD auch ein beträchtliches zeitliches Engagement über den gesamten Projektverlauf hinweg. Die Projektbeteiligten sind durch die Vertragsmodalitäten incentiviert, die Zielkosten zu unterschreiten. Ist aber der «Topf» aufgebraucht, verbleiben mögliche restliche Kosten160

Engineering & Production – Kolumne


überschreitungen beim Bauherrn. Damit rückt auch die Frage ins Zentrum, wie die Zielkosten zu Projektbeginn definiert werden sollen. Da dies ohne Preiswettbewerb erfolgt, muss der Bauherr in der Lage sein, die Kosten zu beurteilen – entweder aus eigener Markterfahrung oder aufgrund der für ihn zugänglichen Benchmarks. Wertvolle Ansätze für eine gesamtheitliche Herangehensweise

Integrated Project Delivery kann heute als ein wichtiger Impulsgeber für die Neuorientierung der Projektabwicklungslandschaft in der Schweizer Bauindustrie gesehen werden. Das Projekt­ abwicklungsmodell bietet insbesondere hinsichtlich einer neuen Projektteamkultur und einer ganzheitlichen Herangehensweise wertvolle Ansätze. Die anspruchsvolle Vertragsstruktur und ein Vergütungs­ system, das die Partner erst mit einer grossen Zeitverzögerung am Gewinn teilhaben lässt, sollten bei einer Adaption auf ­durchschnittlich komplexe Projekte jedoch kritisch geprüft werden. Der Markt kennt bereits unternehmerische, integrierte Abwicklungsmodelle wie Design-Build, die eine ähnliche ganz­ heitliche und partnerschaftliche Herangehensweise ermöglichen, aber hinsichtlich marktorientierter Preisgestaltung und Risiko­management den Ansprüchen vieler Bauherren wohl eher gerecht werden dürften.

Diego Frey (40) stiess 2007 als Bauleiter zur Halter AG. Seit 2021 ist er Leiter Engineering und stellvertretender Geschäftsführer von Halter Gesamtleistungen. In den letzten Jahren absolvierte er die Bauleiterschule in Wetzikon, ein CAS in Projektmanagement an der ZHAW und einen MAS in Immobilienmanagement an der Hochschule Luzern. Zu seinen Schwerpunkten zählt der Aufbau und die Weiterentwicklung des internen Engineerings. Zudem ist er für den kontinuierlichen Ausbau von Halter Gesamtleistungen im Bereich Regionalisierung und Leistungsangebot mitverantwortlich. Als Vorstandsmitglied bei Bauen digital Schweiz leitet er eine Arbeitsgruppe zum Thema «Integrierte Projektabwicklung». Diego Frey engagiert sich zudem im Verein Branch Do Tank für die Überarbeitung der Prozesse in der Bau- und Immobilienbranche im Bereich von Design-Build.

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DIE ROLLEN NEU VERTEILEN

162 Text: Jürg Zulliger Fotos: Lucas Peters Grafik: Halter AG

Im klassischen Bauablauf erweisen sich die vielen Schnitt­ stellen und die oftmals unklaren Verantwortlichkeiten als häufige Fehlerquellen. Integrierte Abwicklungsmodelle mit mehr Kollaboration und Gliederung in Werkgruppen führen nachweislich zu besseren Resultaten und zu tieferen Kosten. Das Projekt CityGate in Basel zeigt auf, wie ausführende Unternehmen mit mehr Eigenverantwortung zu einem besseren Ergebnis beitragen. Engineering & Production


Die Fülle an Kursen und Lehrbüchern zum Themen­gebiet Management von Bauprojekten ist kaum zu überblicken. Und die daraus gewon­ nenen Erkenntnisse erfüllen die heutzutage sehr hohen Erwartungen nur selten. In vielen Ländern und auch in der Schweiz reift darum das Bedürfnis, die gängigen Abläufe und Verantwortlichkeiten zu hinterfragen. Viel­ versprechend ist der Ansatz Design-Build. Das Projektabwicklungsmodell baut auf die Kooperation und Beteiligung der ausführenden Unternehmer in einer frühen Phase der Planung, was zu wesentlich strafferen Zeitplänen führt, von unnötigem Ballast befreit und die Kommunikation optimiert. Bereits belegen zahlreiche Referenzprojekte in der Schweiz, darunter die Entwicklung CityGate in Basel, aber auch Vorhaben der öffentlichen Hand: Die Projekte laufen mit schlanker Struktur, ­kostengünstig und sehr effizient ab. Zugleich tragen integrierte Modelle entscheidend dazu bei, die Belastung und vor allem auch die Risiken für die Bauherrschaft zu reduzieren. Defizite beim klassischen Modell Im Gegensatz dazu führt der klassische Weg zu einem Bauprojekt über das übliche nicht integrierte Phasenmodell mit Vorprojekt,

Bauprojekt, Baubewilligung und so weiter. Kennzeichnend dafür ist die strikte Aufteilung in Planung und Ausführung. Je grösser das Projekt und je mehr Planer, Ingenieure, ausführende Unternehmen und Subunternehmer beteiligt sind, umso komplexer wird die Steuerung des Vorhabens. Hinzu kommt, dass un­zählige Schnittstellen zwischen Bauherrschaft, Planern, Architekten, Unternehmern und Lieferanten zu managen sind. In der Praxis sehen sich alle Beteiligten mit ineffizienten Abläufen, Missverständnissen sowie unklaren Zuständigkeiten konfrontiert. Deshalb werden Lücken oder Fehler in der Planung erst viel zu spät, quasi bei der Ausführung, erkannt. Und keiner fühlt sich dafür verantwortlich, wenn bei der Fertigstellung der eine oder andere Mangel ans Licht kommt. Die strenge Trennung von Planung und Ausführung und die Zweiteilung der Verantwortlichkeiten münden in das bestens bekannte «Schwarzer-Peter-Spiel». Die ausführenden Firmen weisen die Schuld von sich, weil sie nicht die Verantwortung für eine möglicherweise falsche Planung übernehmen wollen. Umgekehrt neigen auch die Planer dazu, die Ursache von Mängeln woanders zu suchen. Viele Bauherrschaften sind mit dieser Art


von Projektorganisation ebenso unzufrieden wie mit der Qualität der abgelieferten Werke. Allzu oft können die funktionalen Ziele nicht im vollen Umfang erfüllt werden, die Qualität lässt zu wünschen übrig, und zu guter Letzt gerät auch noch das Budget aus dem Lot. Die neue Rolle des Unternehmers Maik Neuhaus, Geschäftsführer Gesamtleis­ tungen bei der Halter AG, bringt das Dilemma auf den Punkt: «Das klassische Modell erschwert sowohl eine gute Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten als auch das Er­reichen wirtschaftlicher und qualitativ hoch­ wertiger Lösungen.» Beim Werkgruppenmodell hingegen entfällt der Schnitt zwischen ­Planung und Ausführung. Was in einer rein schematischen Darstellung unscheinbar wirkt, hat weitreichende Konsequenzen: Der aus­ führende Unternehmer ist nicht mehr der untergeordnete «Befehlsempfänger», der eins zu eins ausführt, was andere geplant haben. Im Gegenteil, die Rolle des Unternehmers mit profundem Fachwissen und viel Erfahrung wird deutlich aufgewertet. So wird der Unternehmer beim Design-Build­­Prozess bereits in einer frühen Phase in die

Ausarbeitung und Konzeption mitein­bezogen; seine Meinung, seine Vorschläge und seine Lösungsansätze haben von Anfang an Ge­wicht. Der Unternehmer und seine qualifizierten Fachleute bringen in einem umfassenden Sinn ihr Know-how und ihre Business-­Exzellenz ein und übernehmen – im Unterschied zum Planer – auch die volle Verantwortung für ihre Konzepte und Planungen. Diego Frey, Leiter Engineering bei Halter Gesamtleistungen, ergänzt: «Das Modell kommt im Gegenzug auch den Unternehmern zugute. Mit dem neuen Rollenverständnis können sie sich klar von anderen Mitbewerbern in der Branche ­abheben.» Die Aufwertung und die Verlagerung hin zu einer noch qualifizierteren Mitarbeit und Mitverantwortung wirkt noch dazu motivierend und erhöht die Identifikation mit der Arbeit. Die Werkgruppen In der Praxis haben sich die folgenden vier Werkgruppen etabliert: Werkgruppe 1 kümmert sich um die Bereiche rund um Rohbau, Fun­dation und Baugrube. Alle wesentlichen Funk­tionen, nämlich die Planung sowie die Aufgaben von Projektleiter und BIM-Verantwortlichem,

Auftraggeber Auftragnehmer

Gesamtleister

Werkgruppe

Werkgruppe

Planer

Planer

Unternehmer

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Planer

Unternehmer

Planer

Unternehmer

Werkgruppe

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Unternehmer

Schematische Darstellung der Beziehungen zwischen Bauherr, Gesamtleister, Planern und ausführenden Unternehmen beim Werkgruppenmodell.

Bauherr

Bauherren-Organisation


sind unter diesem Dach vereint. Durch die Werk­gruppe wird die ganze Leistung von der Planung und Konzeption bis zur Ausführung aus einer Hand erbracht. Werkgruppe 2 zeichnet verantwortlich für Planung und Ausführung der Gebäudehülle. Auch hier gilt, Planer oder allfällige Fachingenieure und die ausfüh­ renden Unternehmer arbeiten kollaborativ zusammen und tragen gemeinsam die Verantwortung. Werkgruppe 3 deckt den ganzen Bereich der Haustechnik wie Heizung, Lüftung, Klima, Sanitär, Elektro (HLKSE) ab. Planung, Projektleitung, Ausführung und BIM-Verantwortung sind unter dem Dach der Werkgruppe vereint. Werkgruppe 4 schliesslich übernimmt gemeinsam die Federführung für den gesamten Ausbau des Gebäudes. Eine gänzlich neue Vorgehensweise steht schon am Anfang der ersten Projektdefinitionen mit dem Aufsetzen eines Anforderungs­ katalogs: Beim Design-Build-Prozess geht es nicht darum, in einem kosten- und zeit­ intensiven Kraftakt sämtliche Pläne und Beschreibungen für das ganze Projekt detailliert auszuarbeiten. Im Kern konzentriert sich die Bauherrschaft darauf, die wesentlichen Anforderungen und Funktionen des zu erstellenden Gebäudes zu definieren. Das Ergebnis sagt etwas über die Nutzungen, über technische Anforderungen wie Klima- und Luftqualität, Schallschutz oder Komfort aus. Der Weg in der Ausschreibungsphase führt auch nicht über ein klassisches Devis und einen detaillierten Prozess mit Ausschreibungen und Offerten. Die Aufmerksamkeit richtet sich ganz darauf, sich über die wichtigsten Ziele klar zu werden. Das entlastet auch die Unternehmer beziehungsweise die Werkgruppen. Sie sind weniger der Versuchung ausgesetzt, sich gegen alle Eventualitäten abzusichern, Reserven zu bilden und einen schier endlosen Leistungskatalog zu erstellen. Mit neuer Verantwortung und neuem Selbstverständnis schlagen sie die aus ihrer Sicht bestmögliche Lösung vor – nicht mehr und nicht weniger. Haben sie zum Beispiel in anderen Vorhaben mit ambitiöser Gebäude­ technik gewisse Lösungen erfolgreich umgesetzt, werden sie dieses Know-how direkt einbringen. Was unnötig ist, wird weggelassen Für die Bauherrschaft reduziert dieses Verfahren den Aufwand und spart massiv Ressourcen sowie Kosten. «Wir haben in vielen verschiedenen Projekten gesehen, dass wir 165

in dieser Phase deutlich schneller und effizienter arbeiten können», sagt Maik Neuhaus. Gerade bei sehr grossen Projekten sind die Vorzüge offensichtlich, denn bei hochkomplexen Gebäuden und entsprechend hohen Bausummen von zum Beispiel 100 Millionen Franken fallen in einer ersten Phase nur für planerische Leistungen und Ausschreibungen Millionenbeträge an. Laut Maik Neuhaus ist es bei solchen Projekten nicht ungewöhnlich, dass der Investor für die Vorarbeiten und Ausschreibungen bis zu zehn Prozent der kompletten Bausumme vorschiessen muss. Bei rein funktionalen Ausschreibungen und der Fokussierung auf die wesentlichen Ziele entfällt der grösste Teil davon. Die Bauherrschaft und ihre Ingenieure und Planer können getrost darauf verzichten, zum Beispiel die Haustechnik bis ins letzte Detail durchzuplanen. Auf Grundlage der funktionalen Aus­ schreibung einigen sich die beteiligten Vertragspartner auf einen Zielpreis oder ein Kostendach. Dieser andere Ansatz und die kollabo­rative Philosophie machen sich bezahlt: Extras und Ausstattungen, die nicht wirklich nötig sind, werden von Anfang an weggelassen. Der ganze Ablauf ist effizienter, die Kommunikation und die Zuständigkeiten sind definiert. «Für uns ist nach vielen erfolgreichen Projekten klar, dass inte­ grierte Abwicklungs­modelle zu deutlich besseren Resultaten führen», betont Maik Neuhaus. Im Gegensatz dazu setzt das klassische, nicht integrierte Modell falsche Anreize. Generalunternehmer und -planer werben mit dem unverfänglichen Slogan, dass Termine und Kosten «garantiert» sind. Doch de facto hat das Modell zur Konsequenz, dass auf allen Stufen und in verschiedenen Phasen günstig offeriert wird mit dem Ziel, einen Auftrag zu akquirieren. Falls das Budget dann doch zu schmal angesetzt ist, ist es üblich, dass Mehrkosten und Nachträge geltend gemacht werden. Mehrwert und Effizienzsteigerung In eingespielten Werkgruppen weht ein anderer Wind. Das bestätigt auch Peter Pfiffner, Inhaber der Pfiffner AG, der an mehreren solchen Projekten erfolgreich beteiligt war: «Ich kann die von mir definierten optimalen Lösungen einbringen und in diesem Sinne auch vertreten. Wenn ich wirklich überzeugt bin, werde ich mit meiner ganzen Expertise dafür geradestehen.» Diese Haltung setzt aber auch einen entsprechenden Mindset Komplex Nr. 15/2022


voraus. Eine erste Herausforderung besteht darin, auf der Basis vergleichsweise dünner funktionaler Vorgaben Planungen an die Hand zu nehmen und Lösungen vorzuschlagen. Das bietet aber auch die Chance, einen Mehrwert einzubringen und die Effizienz wesentlich zu verbessern. Kurz, der Unternehmer beschränkt sich auf das, was funktional gefordert ist. Er ist sich seiner Sache sicher und kennt die vorgegebenen Ziele der Bauherrschaft. Alles, was dazu nicht wirklich nötig ist, wird nach dem Prinzip der Suffizienz weggelassen. Bei einer Vorgehensweise nach üblichem Schema planen stattdessen viele Planer – gerade auch im Bereich der Gebäudetechnik oder der Fassade – umfangreiche und mit Reserven versehene Leistungen in der Hoffnung, dass das Gesamt­ paket dann auch finanziert wird respektive ein nachgelagerter Unternehmer mit (zu) hohen Rabatten doch noch auf den Zielpreis kommt. Innerhalb einer Werkgruppe muss ein Unternehmer agil aufgestellt sein. Alle Beteiligten müssen gut Bescheid wissen, was sie machen, welche Chancen und Risiken mit der neuen Form der Zusammenarbeit verbunden sind. Denn die Werkgruppe trägt die ­Verantwortung dafür, dass das Bauwerk in der gewünschten Qualität fertiggestellt wird und im Betrieb die bestellten Funktionen und Werte erreicht. Peter Pfiffner weist noch auf einen anderen Punkt hin: Die Einbindung in eine Werkgruppe sei ein Wechsel in der Disziplin – etwa vom Stabhochsprung zum Hochsprung. Der Firmenchef fasst diesen Gedanken so zusammen: «Sowohl der Planer als auch der ausführende Unternehmer sollten die Innovations- und Suffizienzkompetenz im Haus haben, um langfristig einen strategischen Mehrwert zu generieren.» Wer sich rein auf die Ausführung beschränkt, hat ein etwas anderes Pflichtenheft. Doch gerade jetzt können Werkgruppen ihre Vorteile ausspielen. Denn bei immer mehr Vorhaben sowohl von institutionellen Investoren als auch von der öffentlichen Hand werden bei der Haus- und Energietechnik ein hoher Innovationsgrad vorausgesetzt. Meist geht es darum, Heizung, Kühlung, Lüftung oder auch gleich den ganzen Betrieb mit erneu­ erbaren Energien abzudecken. Der Gedanke der Suffizienz und langfristig tiefe Betriebskosten spielen dabei eine grosse Rolle. Fallbeispiel CityGate Zu den inzwischen zahlreichen Referenzprojekten in der Schweiz gehört die Überbauung 166

CityGate der Anlagestiftung Patrimonium. Das Areal liegt östlich des Bahnhofs Basel und umfasst Gewerbeflächen, 195 Mietwohnungen und ein neues Hotel mit 137 Zimmern. Das Vorhaben wurde im September 2020 vorzeitig an die Bauherrschaft übergeben – dies sogar mit Unterschreitungen der strengen Zeit- und Kostenvorgaben. Bei der Projektabwicklung waren die Bereiche Rohbau sowie Heizung, Lüftung, Klima, Sanitär, Elektro (HLKSE) von Anfang an als Werkgruppen definiert. Marcel Weber, verantwortlich für die Region Basel bei Halter Gesamtleistungen, sagt dazu: «Bei der Planung und Umsetzung von CityGate konnten die Werkgruppen die Vorteile des Modells klar ausspielen.» Laut Weber kamen sowohl im Rohbau mit vorfabrizierten Betonelementen als auch im Innenausbau, etwa durch Sanitärzellen, im hohen Mass Vorfertigungen zum Zug. Das beschleunigte die Abläufe und führte zu einer überzeugenden Qualität, weil die fertigen Teile unter optimalen Bedingungen im Werk vorproduziert wurden. Während die Planer mit einer konventionellen Denkweise wohl Fussbodenheizungen vorgeschlagen hätten, kamen bei den Neubauten in die Decken eingelegte Thermoaktive Bauteilsysteme zum Einsatz (TABS). Das brachte viele Vorzüge mit sich, unter anderem auch bessere Trocknungszeiten während der Bauphase. Neue Technologien in Kombination mit erneuerbarer Energie schaffen bei diesem Fallbeispiel einen grossen Mehrwert, und zwar hinsichtlich Kosten, Komfort und Nachhaltigkeit. Genau dies war laut Marcel Weber eines der hervorstechenden Merkmale von CityGate: Die Bauherrschaft profitierte in einem viel höheren Mass als sonst von überzeugenden Unternehmervorschlägen. Vorfabrikate im Rohbau schlug der Baumeister vor allem deshalb vor, weil er schon früh in das Projekt involviert war. Zugleich konnte die ganze Projektorganisation auf allen Seiten schlank und effizient gehalten werden. Unzählige Zwischenschritte mit Vorprojekt, detaillierten Ausschreibungen, Submissionen, Delegation von Aufgaben an einen Totalunternehmer bzw. an Subunternehmer, wie bei einer konventionellen Ausführung üblich, fielen ganz einfach weg. Schliesslich zeigt das Beispiel auch auf, dass sich das Werkgruppenmodell und die mehr und mehr digitalisierte Planung ideal ergänzen. Im Fall des Projekts CityGate erfolgten die Planungen konsequent digital, Engineering & Production


und alle Beteiligten hatten durchgängig sämtliche Pläne und Modelle jederzeit verfügbar. Der sogenannte digitale Zwilling trägt be­kan­ntlich entscheidend dazu bei, allfällige ­Fehler und Lücken in der Planung zu erkennen. Tatsächlich profitieren die Planer, die ausführenden Unternehmer, aber auch der Investor selbst. «Dank der Digitalisierung war es für die Bauherrschaft sehr unkom­ pliziert, ihr eigenes Qualitätsmanagement umzusetzen», sagt Marcel Weber. Eine weitere Schlussfolgerung: Die Medienbrüche von früher mit zig verschiedenen Planungsunter­ lagen, Mass- und Mengenangaben waren mit der klassischen Aufgabenteilung verbunden – hier die Planung, dort die General- oder Totalunternehmer, Sub- und ausführenden Unternehmer. Doch wenn dank der Digitalisierung die ganze Planung und alle relevanten Projektinformationen in allen Phasen verfügbar sind, drängt sich ohnehin ein grund­ legender Wechsel zu integrierten Modellen der Zusammenarbeit auf. Neue Anforderungen, neue Modelle Das Werkgruppenmodell bewährt sich in der Praxis in ganz unterschiedlichen Projekten. 167

Es eignet sich als Teil eines Gesamtleisteransatzes oder auch im Zusammenspiel mit einem TU-Modell. Die realisierten Projekte sind in jeder Hinsicht von hoher Qualität, und es etabliert sich eine neue Kultur der Zusammenarbeit und des Verantwortungsgefühls. In einem übergeordneten Kontext sind die frühere Einbindung der Unternehmer und die ent­ sprechende Festlegung der Produkte und Prozesse in der Bauausführung zwingende Vo­raussetzungen für die Optimierung des Ressourceneinsatzes über den ganzen Immobi­lien­ lebenszyklus hinweg sowie die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft. Unter dem Strich liegen die Kosten nicht höher, sondern im Gegenteil wesentlich tiefer, weil unnötiger Ballast und falsche Anreize entfallen. Die ganzen Vorinvestitionen für aufwendige Planungen, Vorbereitungen oder Ausschreibungen können um bis zu 70 Prozent reduziert werden.

S. 163 – Die neue Überbauung CityGate liegt östlich des Bahnhofs von Basel. Hier wurden Gewerbeflächen, 195 Mietwohnungen und ein Hotel mit 137 Zimmern realisiert. S. 167 – Trotz Zentrumsnähe profitieren die beiden Wohnbauten im Gellert-Quartier von einer grünen Umgebung.

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HIER KÖNNEN ALLE NUR GEWINNEN Text: Bettina Kunzer Visualisierungen: ZSC Lions AG Screenshots: Tend AG

Die Betriebsvorbereitung der Swiss Life Arena an zentraler Lage in Zürich-Altstetten läuft auf Hochtouren. Hier wollen die ZSC Lions mit ihren Fans in Zukunft ihre Siege ­feiern. Damit Mannschaft, Clubleitung, Besucher und Service-­ Unternehmen im neuen Gebäude von Anfang an das bestmögliche Nutzer­erlebnis haben, kommt ein digitaler Zwilling zum ­Einsatz. So wird die Überführung der Daten aus der Bauphase in den Betrieb sichergestellt, und die Betriebstauglichkeit und Wirtschaftlichkeit der Prozesse werden optimiert. 169

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Wer von Westen nach Zürich reist, für den ist die Swiss Life Arena kaum zu übersehen. ­Zwischen der Autobahnausfahrt und dem Bahnhof Altstetten liegend, präsentiert sie sich selbstbewusst als modernste Sport- und Event-­ Arena der Schweiz. Das von dem Architekturbüro Caruso St John entworfene Gebäude trägt eine Verkleidung aus Ortbetonelementen. Mit der Leichtigkeit eines Vorhangs schmiegen sie sich an der Ost- und Westseite in Wellen in die Räume zwischen den Strebepfeilern. Ihre relief­artige Anmutung und der textile Charakter lassen Assoziationen an ein Zirkus­ zelt aufkommen, das am Rande der Stadt zum Spektakel einlädt. Der «Zett» als Gebäudebetreiber Wenn in der neuen Heimat der ZSC Lions in diesem Herbst die ersten Pucks übers Eis fliegen und die Mannschaft, von den «Attacke»-­ Rufen ihrer treuen Fans angefeuert, zu Höchstleistungen aufläuft, wird der Betrieb des Stadions wie am Schnürchen laufen. 12 000 Sportbegeisterte finden in der 170 mal 110 Meter grossen Halle Platz. Eine Trainings­ halle mit rund 200 Sitzplätzen, Räume für Zusatznutzungen für 12 bis 1200 Personen, ein Clubrestaurant und ein Parkhaus im Untergeschoss ergänzen das Angebot. An den langen Seiten der nach ihrer Haupt­ sponsorin benannten Arena umspannen Arkaden die weitläufigen Verkehrsflächen zum Stadion. An ihrem südlichen Ende, wo die meisten Fans ankommen werden, öffnen sich diese zu monumentalen Treppen, die zu einer grossen, nach Süden ausgerichteten Terrasse führen. Von hier aus gelangen die Besuchenden ins Stadion. Im Inneren liegt die Arena, die mit ihrer steilen Zuschauertribüne künftig für die Atmosphäre eines «Hexenkessels» sorgen wird. Die Leidenschaft fürs Eishockey ist auch in den zahlreichen Räumen für Fremdvermietungen spürbar. So durfte zum Beispiel eine Hommage an die Goalie-Legende Ari ­Sulander in Form des buchbaren Konferenzraumes Sulo mit Sicht aufs Spielfeld nicht fehlen. Die multifunktionale Infrastruktur der Swiss Life Arena dient also nicht nur dem Kräftemessen der Schweizer Eishockeyclubs, sondern auch kulturellen Veranstaltungen, Events und Geschäftsanlässen. Das eröffnet dem Betreiber, der ZSC Lions AG, vielver­ sprechende wirtschaftliche Perspektiven. Dritt-Events zu vermarkten und durchzuführen, oblag allerdings im vorherigen Domizil der Hallenstadion AG. Nun wurde der «Zett» selbst 170

zum Gebäudebetreiber und sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, neben eines Sportclubs auch eine grosse Immobilie erfolgreich zu managen. Deshalb entschied sich die ZSC Lions AG, zur Entwicklung und Umsetzung der Betriebsstrategie mit dem Immobiliendienstleister Tend AG zusammenzuarbeiten. Präzises Betriebsmodell dank digitalem Zwilling Andres Stierli, Partner bei Tend, leitete die Betriebsvorbereitung. Die durchgängige ­Digitalisierung der Daten während aller ­Projektphasen sei ein wertvolles Werkzeug für eine optimale Planung und einen reibungs­ losen Regelbetrieb, ist er überzeugt. «Allerdings ist die Überführung der digitalen Datenkette eines Bauprojektes dieser Grössen­ ordnung von der Bau- in die Betriebsphase immer noch eine Herausforderung. In der Regel versiegt das Wissen über die Realisierungsphase, wenn das Projekt für die ausführenden Unternehmen abgeschlossen ist. Können die Daten jedoch aus der Erstellung in den Betrieb überführt werden, lässt sich eine wertvolle Brücke über das ‹Death Valley of Knowhow› schlagen», erklärt Andres Stierli. Obwohl die Planung und Realisierung der Swiss Life Arena nicht mit der BIM-Methode erfolgt war, standen hochwertige 3D-Modelle zur Verfügung. Sie bildeten die Basis für das von Tend entwickelte AIM-Modell (Asset Information Modeling; hier bezogen auf die Verwendung im Regelbetrieb). In dem digitalen Zwilling des Gebäudes sind die Daten sämtlicher Flächen, Volumen und Materialien erfasst, in 3D visualisiert und so weit ab­strahiert, dass die für den Betrieb relevanten Informationen ersichtlich sind. Aufgrund der hochwertigen und einfach verständlichen Daten konnten ein präzises Betriebsmodell entwickelt und praxisnahe Leistungspakete geschnürt werden. «Mit dem Datenmodell erhielten wir das digitale Werkzeug, um die komplexen Zusammenhänge einfach darzustellen und anwenderspezifisch zugänglich zu machen. Das ist im Regelbetrieb nicht nur für uns eine Erleichterung, sondern auch für die externen Dienstleister», bestätigt Bruno Vollmer, COO der ZSC Lions AG und Gesamtverantwortlicher für den Betrieb. Nach dem Prinzip «Make or Buy» Das Stadion zu betreiben, ist eine komplexe Aufgabe, die Bruno Vollmer in guten Händen Engineering & Production


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Screenshot der Raumdefinition mit allen betriebsrelevanten Eigenschaften. Mit einem Klick können die Informationen abgerufen werden.

AIM-Modell der Swiss Life Arena : Im digitalen Zwilling des Gebäudes sind rund 900 Räume abgebildet.



wissen will. «Deshalb galt es, das Auftragsvolumen bestmöglich auf die jeweiligen Kompetenzträger zu verteilen. Wir bedienen uns einer Mischlösung aus Fremd- und Eigenleistung. Die Kernaufgaben nahe am Eishockey und die Eventtechnik können und wollen wir selbst aufbauen. Commodity-Leistungen werden wir hingegen einkaufen. Das schafft grösstmögliche Flexibilität und Wirtschaftlichkeit», erklärt er. Der Eis­hockeyclub stellt somit den Head of Facility Management mit hoher Eventtechnik-Kompetenz sowie die eigene Eismeister-Crew. Die Reinigungsarbeiten und der technische Unterhalt werden durch externe Dienstleister erbracht. Dabei wurde eine Multi-Provider-Strategie verfolgt, um einerseits die Professionalität von Gross­ unternehmen und andererseits die lang­ jährigen Partnerschaften mit KMUs, denen die Unterstützung des Vereins eine Herzensan­ gelegenheit ist, zu ermöglichen. So konnten zehn Leistungspakete auf verschiedene, in ihrem Segment führende Anbieter und Partner verteilt werden. Daten und Kosten im Griff In der Submissionsphase musste es den Reinigungsunternehmen gelingen, die komplexe Gebäudestruktur mit ihren rund 900 Räumen – von der Sportarena, Trainingshalle, dem Gastro- und VIP-Bereich, den Garderoben und Nassbereichen über die Logen, Business Clubs und Büros der ZSC Lions bis zur Technik­­zen­trale, den Betriebsräumen und Putzkammern – zu verstehen. Im AIM-Modell sind die betriebsrelevanten Informationen wie Service-­Levels, Raumgruppen, Reinigungsgruppen und -inter­ valle erfasst. Jeder Raum ist mit seiner ­Materialisierung und dem Mengengerüst abgebildet. Ausserdem sind die Distanzen der Räume von­einander ersichtlich, sodass sich die Wegzeiten ermitteln lassen. Aufgrund der präzisen Ausschreibungsdaten konnten die externen Dienstleister für die zehn Service-­ Pakete qualitativ hochwertige und preislich attraktive Angebote e ­ inreichen, die es nun ermög­lichen, die Swiss Life Arena mit hoher Wirt­schaftlichkeit zu betreiben. Reibungsloser Regelbetrieb Die zentral dokumentierten Informationen des AIM-Modells stehen mit einer hohen Daten­ qualität zur Verfügung, sie können vielfältig weiterverwendet und erweitert werden. Durch die Anbindung an CAFM-Tools, die System­ landschaft des Gebäudebetreibers sowie 173

Führungs- und Abrechnungssysteme erhalten alle beteiligten Service-Partner jederzeit verfügbare Live-Daten und verlässliche Management-Cockpits, die Transparenz schaffen. In Zusammenarbeit mit allen Beteiligten lassen sich zum Beispiel die Service-Levels optimieren, indem sie auf die effektive Betriebs­organisation und bestehende Ressourcen abgestimmt werden. So sind während der Implementierung reibungslose Abläufe für einen effektiven Betrieb sichergestellt. Wenn das AIM-Modell im Regelbetrieb an­gekommen ist, erhalten die Daten wieder eine neue Relevanz. Mit der zunehmenden Praxis­ erfahrung können die Service-Levels weiter optimiert und im Modell mitgeführt werden. Diese stetige Anreicherung und Aktualisierung ermöglicht ein vorausschauendes Handeln, ähnlich dem «predictive maintenance» in der Industrie 4.0. Die Frage «Was wird wann passieren?» lässt sich anhand der historischen und in Echtzeit verfügbaren Daten leicht beantworten. Der Betreiber kann sämtliche Aktivitäten ressourcen- und kosten­ optimiert planen, ausführen und überwachen. So lassen sich zum Beispiel Raumkonfigura­ tionen mit Belegungsplanungen verknüpfen und nutzerorientiert automatisieren. Die Betriebssicherheit system- und eventrelevanter Anlagen wird deutlich erhöht. Des Weiteren lässt sich anhand von Drittwerten, zum Beispiel Wetterdaten, Wochentagen und Regel­ ereignissen wie ein hohes Publikumsaufkommen, schnell und verlässlich eruieren, wie viel Reinigungspersonal benötigt wird. Auf den Kundennutzen fokussiert Im Immobilienbetrieb steht das bestmögliche Nutzererlebnis bei tiefen Kosten immer im Mittelpunkt. Der Einsatz digitaler Modelle leistet zu diesem Wertversprechen einen ­entscheidenden Beitrag. Die ZSC Lions AG kann sich durch die intelligente Vernetzung der Anlagen und Systeme noch besser auf ihre Führungsaufgaben und strategischen Kontrollund Interventionstätigkeiten konzentrieren. Und wenn ihre Mannschaft genauso fokussiert bleibt, findet vielleicht das Finalspiel der nächsten Eishockey-Saison in der bestens organisierten Swiss Life Arena statt. S. 168 – Im Herbst 2022 soll die Swiss Life Arena eröffnet werden. Sie wird das neue Zuhause der Na­tio­nal-Le­agueMann­schaft ZSC Lions, der U20-Elit und der U17-Elit sein. S. 172 – Die steilen Ränge beginnen nahe dem Spielfeld (oben). In der neuen Arena können auch Corporate Events und kulturelle Veranstaltungen durchgeführt werden (unten).

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HALTER AG Mission Mit unseren Kunden identi­ fizieren wir Entwicklungs­ potenziale von Arealen, Grundstücken, Bauprojekten und Liegenschaften und setzen sie um: für einen effizienten Einsatz unserer Ressourcen. Personalbestand 332 Mitarbeitende Umsatz 2021 700–800 Mio. CHF Verwaltungsrat Balz Halter Präsident Roger Dettwiler Dr. Urs Ernst Dr. Nicolas Iynedjian Mitglieder Organisation Gruppe Markus Mettler CEO Thomas Bachmann Corporate Services Andrin Gantenbein (a.i.) Rechtsdienst Nik Grubenmann Kommunikation Alexandra Stamou Produkt- und Innovationsmanagement Business Development Als Grundlage für die ­Investitionen unserer Kunden und Partner identifizieren wir Trends und Mehr­wert­­ poten­ziale, entwickeln Nutzungsvisionen sowie Geschäftsmodelle und ­e­rstellen qualifizierte Business Cases. Organisation Ede I. Andràskay Leiter Business Development Schweiz Olivier Thomas Westschweiz Sacha Gräub Region Bern Raphael Strub Zentral- und Nordwestschweiz

Gesamtleistungen Das optimale Entwickeln, Planen und Realisieren ist unsere Kernkompetenz. Die Projekt- und Unter­ nehmensstrategien unserer Kunden stehen dabei im Zentrum und sind für uns richtungsweisend. Organisation Maik Neuhaus Geschäftsführer Diego Frey Engineering / Digital Planen und Bauen Marcel Weber Region Basel Theo Fahrni Region Bern Frédéric Boy Westschweiz Oliver Kern Region Zürich Adrian Roth Ostschweiz Philip Kiefer Zentralschweiz Renovationen Wir erkennen den Mehrwert durch die Erneuerung oder Umnutzung von Immobilien und realisieren eine kosten­ effiziente, wertbeständige und zukunftstaugliche Lösung. Organisation Anna von Sydow Geschäftsführerin

Entwicklungen Wir entwickeln und realisieren Immobilien markt­ konform und wertsteigernd. Dabei stehen die Investoren- und Nutzerbedürfnisse sowie ein nachhaltiger Städtebau im Vordergrund. Organisation Andreas Campi Geschäftsführer Kurt Ernst Baumann Entwicklungen Andreas Campi Herbert Zaugg Strategie und Coaching Mario Ercolani Baumanagement Ost Bertrand Borcard Baumanagement West Adressen Hauptsitz Schlieren Halter AG Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 434 24 00 Geschäftsstelle Basel Halter AG Freilager-Platz 4 CH–4142 Münchenstein T +41 61 404 46 40 Geschäftsstelle Bern Halter AG Europaplatz 1A CH–3008 Bern T +41 31 925 91 91

Daniel Handschin Entwicklung und Akquisition

Geschäftsstelle Luzern Halter AG Am Mattenhof 12 CH–6010 Kriens T +41 41 414 35 40

Roland Baron Alexander Delev Burim Mustafa Lars Steffen Ausführung

Geschäftsstelle Lausanne Halter SA Rue de Genève 17 CH–1003 Lausanne T +41 21 310 13 00

Andreas Wüthrich Bauservice

Geschäftsstelle St. Gallen Halter AG St. Leonhard-Strasse 49 CH–9000 St. Gallen T +41 71 242 44 10

Stefan Cavallaro Baudienstleistungen

www.halter.ch

TEND AG Mission Wir sichern Erträge, senken die Betriebskosten und reduzieren die CO₂-Emissionen. Damit realisieren ­wir für unsere Kunden wertvollere Immobilien. Personalbestand 40 Mitarbeitende Verwaltungsrat Markus Mettler Präsident Roger Dettwiler Alexandra Stamou Markus Streckeisen Mitglieder Organisation Jacques Hamers Managing Partner Marc Bätschmann Susanne Baumann Roman Egger Fabian Hammer Mareike Herbrik David Huber Philipp Schelbert Andres Stierli Partner Adressen Hauptsitz Schlieren Tend AG Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 434 24 24 Geschäftsstelle Basel Tend AG Freilager-Platz 4 CH–4142 Münchenstein T +41 61 404 46 47 Geschäftsstelle Bern Tend AG Europaplatz 1A CH–3008 Bern T +41 31 310 98 33 Geschäftsstelle Lausanne Tend SA Rue de Genève 17 CH–1003 Lausanne T +41 21 321 41 35 Geschäftsstelle Chiasso Tend SA c/o Acofin Via Luigi Pasteur 1 CH–6830 Chiasso T +41 91 921 80 80 www.tend.ch

Rolf Geiger Ostschweiz Alex Valsecchi Investitionsmanagement

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Die Halter-Gruppe auf einen Blick


RAUMGLEITER AG

WIR SIND STADTGARTEN

MOVEMENT SYSTEMS AG

Mission Wir verfolgen das Ziel, den zukünftigen realen Raum virtuell erlebbar zu machen. Dafür erzeugen wir digitale Zukunfts­bilder, die Menschen bei der Entscheidungsfindung nachhaltig unterstützen.

Mission Wir geben dem Lebensraum von Menschen mit dem Genossenschaftsmodell Form und Struktur und schaffen damit die Grundlage für dynamische Entwicklungen.

Mission MOVEment ist ein überraschend cleveres Raumkonzept. Mit verschiebbaren Modulen schafft es unterschiedliche Wohnsituationen – auf Tastendruck und ganz nach Lust und Laune.

Personalbestand 30 Mitarbeitende Verwaltungsrat Markus Mettler Präsident Heinz Beiner Roger Dettwiler Alexandra Stamou Mitglieder Organisation Matthias Knuser CEO Claude Büechi Robin Dittli Daniel Kapr Francine Rotzetter Matthias Ryntowt Managing Partner

Vorstand Rolf Geiger Präsident Raphael Strub Geschäftsführer Raphael Burkhalter Sandra Romagnolo Oliver Uebelhart Slavica Vranjkovic Mitglieder Adresse Wir sind Stadtgarten Europaplatz 1A CH–3008 Bern T +41 31 925 91 91 www.wir-sind-stadtgarten.ch

Personalbestand 2 Mitarbeitende Verwaltungsrat Markus Mettler Präsident Roger Dettwiler Mitglied Organisation Alex Valsecchi Geschäftsführer Ruben Goedhart Produktmanager Adresse MOVEment Systems AG Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 434 24 72 www.move-ment.ch

Adresse Raumgleiter AG Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 202 70 80 www.raumgleiter.com

Mission Wir bieten integrierte Lösungen für inspirierende Arbeitswelten über den gesamten Immobilienlebenszyklus hinweg. Dabei setzen wir auf durchgängig ­digitale Prozesse und fokus­sieren uns auf die Kundenbedürfnisse im persönlichen Kontakt. Personalbestand 30 Mitarbeitende Verwaltungsrat Markus Mettler Präsident Mario Ercolani Peter Pfiffner Mitglieder Organisation Markus Brunner CEO Michael Peter COO Rainer Schmitt CDO Adresse Integral design-build AG Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 438 28 00

THE BRANCH Mission The Branch steht für eine integrierte Immobilienwelt. Neue Prozesse in der ­­ Bau- und Immobilienbranche wechseln hier ihren Aggre­gatzustand von «Idee» zu «Tat».

www.integralag.ch

Organisation Sandra Romagnolo Geschäftsführerin Adresse The Branch Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 434 27 77 www.thebranch.ch

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INTEGRAL DESIGN-BUILD AG

Komplex Nr. 15/2022


KOMPLEX DAS MAGAZIN DER HALTER AG Nr. 15/2022

Heftkonzept und Redaktionsleitung Christine Marie Halter-Oppelt

Herausgeber und Redaktionsanschrift Halter AG Zürcherstrasse 39 CH–8952 Schlieren T +41 44 434 24 00 www.halter.ch

Mitarbeiter dieser Ausgabe Hubertus Adam, Marc Bätschmann, Linus Bill, Toni Bucher, Beatrice Catalani, Dan Cermak, Stefan Fahrländer, Deborah Fehlmann, Diego Frey, Héloïse Gailing, Nik Grubenmann, Robert Hausmann, Sherin Kneifl, Jan Paulich, Lucas Peters, Cristina Schaffner, Oliver Stern, David Strohm, Lukas Wassmann, Reto Westermann, Christoph Zaborowski, Stefan Zanetti, Jürg Zulliger

Online-Ausgabe www.komplex-magazin.ch

Gestaltungskonzept und Art Direction Studio Marie Lusa: Marie Lusa, Dominique Wyss

Übersetzung Supertext AG, Zürich Korrektorat Bettina Kunzer (deutschsprachige Ausgabe) Mario Giacchetta (französischsprachige Ausgabe) Umschlag Modell des BäreTower in Ostermundigen (Vorderseite), Detail aus dem Atelier von Sophie Bouvier Ausländer (Rückseite), Lausanne, Linus Bill Auflage 8200 Exemplare (deutschsprachige Ausgabe) 1000 Exemplare (französischsprachige Ausgabe) Lithografie und Druck Druckerei Odermatt AG, Dallenwil Hinweis Ein Nachdruck ist nur mit Genehmigung der Redaktion möglich. Die Nennung von Fotografen und Copyright-Inhaberinnen und -Inhabern erfolgt nach bestem Wissen. Bei unvollstän­ digen Angaben bitten wir um Nachricht. Das Magazin «Komplex» wurde im Projekt mit ClimatePartner CO₂-kompensiert, also klimaneutral gedruckt. www.swissclimate.ch Kompensations-Nr.: SC2022040601 Printed in Switzerland

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