Komplex N°9 2016

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Komplex: Was war im Jahr 2004 Ihre erste Amtshandlung als Stadtpräsident? Alexander Tschäppät: «Ich habe neue Bilder in meinem Büro aufgehängt – die eigenen.» Ist Ihre Karriere so verlaufen, wie Sie sich das vorgestellt haben? «Eine politische Karriere kann man nicht planen. Ich habe Glück gehabt, dass am Ende alles aufgegangen ist. Und vor allem, dass ich das machen konnte, was mir entspricht. Dafür bin ich dankbar.» Wer war Ihr wichtigster Begleiter? «Auf der einen Seite meine Partnerin. Sie hat mir den Rücken freigehalten und mich gestärkt. Aber auch mein heutiger Generalsekretär Peter Tschanz. Er steht seit zwölf Jahren an meiner Seite und kennt den Laden hier in- und auswendig.» Beschreiben Sie Bern in einem Satz. «Höchste Lebensqualität bei angenehmster Entschleunigung.» Was ist noch besonders an Bern? «Wir verfügen über viel Grünanteil und Wasser. Fünfzig Prozent der Fläche sind unverbaut. Bern bedeutet aber auch pure Urbanität und Lebensfreude. Wir haben eine Altstadt, die Weltkulturerbe ist, und können mit Stolz sagen, dass wir auch den anderen Quartieren stets Sorge getragen haben. In Bern gibt es wenige ausgeprägte Bausünden.» Wo liegt Ihr Lieblingsort? «Im Sommer ist es der Bundesplatz mit seinem wunderschönen Wasserspiel. Wenn ich die Kinder dort spielen sehe, schlägt mein Herz höher. Ausserdem geniesse ich die Ruhe und fantastische Natur im Schosshaldenwald, wo ich täglich mit meinen Hunden spazieren gehe.» Bern will und muss sich weiterentwickeln. Was ist aus städtebaulicher Sicht die grosse Herausforderung? «Wir müssen die Bevölkerung davon überzeugen, dass wir Wachstum brauchen. Immer mehr Gemeinden verweigern Einzonungen. Die meisten Leute wollen das Erreichte erhalten und am liebsten nicht mit anderen teilen. Aus diesem Grund müssen wir die Menschen wieder in die Städte holen. Dafür braucht es sehr viel Überzeugungskraft. Es ist nicht einfach, Mehrheiten für Neueinzonungen zu finden. Das kennen wir aus eigener Erfahrung.» Bern ist durch seine geografische Lage eingeschränkt. «Ja, es gibt klare Begrenzungen, wo gebaut werden kann und wo nicht. In der Altstadt haben

wir beispielsweise keinen Handlungsspielraum – alleine schon wegen der Zugehörigkeit zum Weltkulturerbe.» Wo sonst liegt denn das grösste Entwicklungspotenzial? «Wenn wir wachsen wollen, müssen wir einen Teil unserer Landreserven auflösen. Das ist aber heikel, weil die meisten Politiker das nicht wollen. Wir möchten versuchen, eine gute Mischung aus unbebauten und bebauten Flächen zu entwickeln. Das Wachstumspotenzial an den Rändern der Stadt im Osten und Westen ist vorhanden.» Wie gross ist die Gefahr einer Gentrifizierung, beispielsweise im Berner Lorraine-Quartier? «Klarer Fall – das gibt es auch bei uns. Die meisten Gegenden in Bern waren einst bescheidene Quartiere. Mit der Zeit wurden sie jedoch aufgewertet, und jetzt wollen plötzlich ganz viele Leute wieder in der Stadt leben. Sie drängen genau in diese Quartiere, wodurch der billige Wohnraum schwindet. So auch in der Lorraine. Der beste Schutz für den bestehenden Wohnraum ist die Schaffung von neuem Wohnraum.» Das Thema Bauen im Bestand hat in den letzten Jahren an Relevanz gewonnen. Wo liegen in Bern diesbezüglich Potenziale? «Wir sind eine alte Stadt. Die meisten Quartiere haben klare Strukturen und sind ausgewachsen. Dort gibt es wenig Veränderungsmöglichkeiten. Einzig ein paar ungenutzte Flächen wie die alte Kehrichtverbrennungsanlage, das WIFAG-Gelände oder Brachen im Gebiet Weyermannshaus-West und -Ost können noch entwickelt werden. Bern hat also kein unbegrenztes Wachstumspotenzial.» Und dennoch sind Landreserven vorhanden. «Ja. Und genau aus diesem Grund sehen wir die Einzonungen im Viererfeld, in Brünnen oder im Saali als unumgänglich an – besonders wenn man den Druck vom Wohnungsmarkt wegnehmen will.» Ziehen Sie Zwischennutzungen für mögliche Entwicklungen in Erwägung? «Zwischennutzungen sind nicht geeignet, um die Wohnungssituation langfristig zu entspannen. Hier sehe ich eher Potenzial für das Kulturleben, für die Kunst und allenfalls für experimentelles Wohnen. Andernorts wurden Zwischennutzungen bereits durchgeführt: im Zieglerspital mit der Asylantenunterkunft oder mit der Mischnutzung in der alten Feuerwehrkaserne. Das sind Nutzungen, die aus der Not entstanden sind; wir konnten auf bestehende


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