ATLAS Sonderedition

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DIE WELT BEWEGT: DAS MAGAZIN VON GEBRÃœDER WEISS

SONDERAUSGABE 2018

HOFFNUNGEN




Gute Überlebenschancen: Zwischen 2000 und 2015 hat sich die Zahl der Malaria-­Todesfälle welt­ weit halbiert, von 839.000 auf 438.000.

Effiziente Landwirtschaft: In den letzten 50 Jahren hat sich die globale Getreide­ produktion ­verdreifacht – auf fast gleich großer Fläche.

Frauen an die Arbeit: Im Jahr 2015 waren 50 Prozent mehr Frauen ­e rwerbstätig als noch im Jahr 2000.

Der Welthandel boomt: Die Summe der Exporte und Importe zwischen den ­Nationen macht ­h eute mehr als die Hälfte der weltweiten Produk­t ion aus. Reisen bildet: 1950 gab es laut Schätzungen der United ­Nations World ­Tourism Organization etwa 25 ­M illionen Touris­ten, 2016 waren es 1,2 Milliarden, fast 50-mal so viele.

Sicher in der Luft: 2000 passieren in der ­kommerziellen Luftfahrt noch 37 tödliche Unfälle, 2017 nur zehn. Flug­ zeugent­führungen gab es 2017 ­keine ­einzige, im Jahr 2000 immerhin 27.


Was darf ich hoffen? Die Nachrichtenlage mag bisweilen den Blick dafür ­ver­stellen, dass Hoffnung kein naiver Impuls ist, ­sondern eine Tugend. Und eine Tugend, so lehrt Aristoteles, fällt uns nicht einfach zu. Sie ist etwas, das wir durch die wieder­ holt gute Handlung erst einüben und langsam verfes­ tigen. Wer die Tugend dann erreicht hat, der findet leichter das rechte Maß zwischen dem Zuviel und dem Zu­wenig – und handelt (meistens) richtig. Und wer richtig handelt, hat mehr ­Erfolg und auch mehr Freude am Leben. So verhält es sich auch mit der Hoffnung: Wer Hoffnung will, muss Hoffen üben. Und die Auf­ merksamkeit auf Dinge richten, die Hoffnung wecken. Genau das macht dieser ATLAS . Wir haben aus allen 30 Ländern, in denen wir heute präsent sind, Geschichten zusammengetragen, die ­unseren Blick für das wahrhaft Hoffnungsvolle schär­ fen. Denn wer hofft, nimmt sich Freiheit: Freiheit, an den Gegebenheiten mitzuwirken, ihnen eine Form zu geben, das Beste zu erwarten. Hoffen Sie also, was Sie wollen. Aber hoffen Sie!

Herzlich, G   ebrüder Weiss


Die Welt bewegt:

wolfgang niessner »Ich bin lieber der, der vertraut«  6

K ANADA

jörg michel Highway zur Arktis  35

ARMENIEN

tigran petrosyan Schach im Blut – und auf dem Stundenplan  11

K ASACHSTAN

edda schlager Bereit für den Aufschwung  37

BOSNIEN UND HERZEGOWINA

rayna breuer  Aussöhnung über die Jugend  13

KROATIEN

rayna breuer Wer bleibt, wenn alle gehen?  15

marijan vrdoljak Rimac Automobili – Blitzstart aus der Garage  39 barbara bujacic Küstenkilometer, Start-ups und der ganz ­eigene Weg  41

CHINA

MAZEDONIEN

BULGARIEN

felix lee  China elektrisiert  19 gao zhen  »Elektromobilität ist für uns Alltag«  20

keno verseck »Als Unternehmer habe ich soziale ­Verantwortung«  43 MONTENEGRO

DEUTSCHLAND

andreas spaeth Ein dichtes Netz, hoch oben in der Luft  23 christian engel Konsequent am Kunden orientiert  25 GEORGIEN

nino haratischwili Georgien, ganz und gar  27 alexander kharlamov Zwischen Europa und Asien  29

martin kaluza Endlich im Warmen lernen  45 ÖSTERREICH

andreas uebele Schön und gut. 20 Fragen an Stefan Sagmeister  47 emanuel moosbrugger Es geht um die Vision  51 RUMÄNIEN

felix lee Eine exzellente Anlegestelle  31

miruna munteanu, bogdan alexander Der Lichtbringer  53 viorel leca Der Dynamik folgen  54

JAPAN

RUSSISCHE FÖDERATION

HONGKONG

martin fritz Wenn Menschen zu Helfern von Maschinen ­werden  33

wlada kolosowa Sprechen, sprechen und noch mal sprechen  57


SCHWEIZ

UKRAINE

peer teuwsen Ventil für den Volkszorn  59 miriam holzapfel Drüber und drunter  61

denis trubetskoy Anja hebt ab  85 UNGARN

alex raack Ein Stern, der deinen Namen trägt  63

martin fejér Zukunft aus der Puszta  87 stefano dal cin Fallende Grenzen, neue Ideen  89

SINGAPUR

USA

frederic spohr Stadt der Drohnen  67 SLOWAKEI

andreas spaeth Sieben Pisten für ein Drehkreuz  91 john mulrow Aller Anfang ist süß  93

kilian kirchgessner Kosice blüht auf  69

VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE

SLOWENIEN

imke borchers EXPO 2020 in Dubai  95

krsto lazarevic Die Geschichte der Frauen  73

VIETNAM

TAIWAN

frederic spohr Mithilfe des Volkes  97

SERBIEN

klaus bardenhagen Taiwans unermüdlicher Spiegelputzer  75 TSCHECHIEN

kilian kirchgessner Frischer Wind für ein archaisches Handwerk  77 imke borchers Die schicksalhafte Acht  79 TÜRKEI

philipp mattheis Grenzen überwinden  81 TURKMENISTAN

edda schlager Im Reich der goldenen Pferde  83

wolfram senger-weiss Den Spirit erhalten  98 Autorinnen und Autoren  102 Impressum  104


­»Ich bin lieber der, der vertraut« Nach fast 15 Jahren an der Spitze von Gebrüder Weiss geht Wolfgang Niessner Ende des ­Jahres in den planmäßigen Ruhestand. Für das Unternehmen war das eine sehr erfolgreiche Ära. Wie aber schaut der persönliche Rückblick des Top-Managers auf diese Zeit aus? Was hat sich erfüllt? Was bleibt noch zu tun? Ein Gespräch über Lebensphasen, Anfang und Ende.


HOFFNUNGEN 7

interview: Frank Haas Herr Niessner, was waren Ihre Hoffnungen, als Sie vor 15 Jahren den Vorstandsvorsitz von Gebrüder Weiss ­übernahmen? Dass es gut wird – sowohl für das Unternehmen als auch für mich persönlich. Die Ausgangslage war 2004 zwar ­tadellos, aber es war absehbar, dass bald einige Wolken am ­Ho­rizont aufziehen würden. Also, es war schon ein gewisser Druck vorhanden – verbunden mit der Hoffnung, das Unternehmen in die nächste Ära führen zu können. ­Wobei Hoffnung ein Begriff ist, der sehr in die Zukunft führt. Trotz aller strate­gischer bzw. visionärer Überlegungen, die dieser Job verlangt, muss man aber auch darauf schauen, dass man in der Gegenwart fest verankert ist und die Vergangenheit sowie die gewachsene Unternehmenskultur be­ rücksichtigt. Also war Ihre Amtszeit eigentlich nicht als Marathonlauf angelegt? Doch, schon. Aber auf diesen 42 Kilometern geht es darum, Kilometer für Kilometer zu bewältigen. Richtig ist, dass ich ein Ziel vor Augen hatte, nämlich das Unternehmen für neue Herausforderungen mit neuen Methoden und einem klaren Fokus auf Service Excellence fit zu machen. Dieses Ziel habe ich meinem Team klar kommuniziert, weil ich der Meinung bin, dass Mitarbeiter ein Recht darauf haben zu erfahren, was sie erwartet. Und das Ziel haben Sie erreicht? Aus meiner Sicht: ja. Und ich bin sogar im Ziel noch relativ frisch geblieben (lacht). Ehrlich: Meine Erwartungen wurden bei Weitem übertroffen. Aber so war das eigentlich immer. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich weniger mit Erwartungen als mit der konkreten Aufgabe beschäftige. Und mit Sicherheit habe ich viel Glück gehabt.

Wie haben Sie sich während dieser Jahre im Unternehmen persönlich entwickelt? Ich hatte das Privileg, mit sehr vielen interessanten Menschen zusammenarbeiten zu dürfen. Ich habe gelernt, meine Stärken und Schwächen noch besser einzuschätzen. Und ich habe die Bedeutung von Werten wie Loyalität und ­Commitment erfahren. Das Vertrauen, das mir zuteilwurde, war unglaublich groß – und ich hoffe, es nie enttäuscht zu haben. Sie haben immer wieder betont, wie wichtig Vertrauen für eine Unternehmenskultur ist. Wie gehen Sie damit um, wenn Vertrauen missbraucht wird? Ich bin enttäuscht, aber ich wundere mich nicht. Man muss im menschlichen Umgang mit Rückschlägen rechnen. Aber ich lasse mich davon nicht vom grundsätzlichen Weg ab­ bringen. In der Regel hake ich das ab und beginne ein neues ­Kapitel. Und wenn ich persönlich nicht zu sehr getroffen worden bin, kann ich auch schnell verzeihen. Als Sie 1999 zu Gebrüder Weiss kamen, galten Sie als »harter Hund«, der viel kontrolliert und seine Leute an Kennzahlen misst. Völlig richtig. Die Situation hat das damals so erfordert. Eine meiner ersten Aufgaben bei GW war es, den extrem wichtigen Standort Wien zu sanieren. Und das ging eben nicht ohne KPI s und professionelle Prozesse. Aber je mehr sich die Situation gebessert und je mehr ich mein Team kennen- und schätzen gelernt hatte, umso mehr konnte ich Vertrauen fassen und entsprechende Freiräume zulassen. Ich bin der Meinung, dass eine Führungskraft so flexibel sein muss, in unterschiedlichen Phasen unterschiedliche Werkzeuge einzusetzen. Dennoch: Unterm Strich bin ich lieber der, der vertraut, als der, der kontrolliert.


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Ein weiterer Eckpfeiler Ihrer Führungsarbeit ist Vereinfachung, moderner ausgedrückt: »Simplicity«. In einer ständig komplexer werdenden Welt liegt in Sim­plicity viel Kraft für ein Unternehmen. Aber ich gebe zu, dass sich in diesem Bereich meine Hoffnungen noch nicht ganz erfüllt haben. Nicht zuletzt deshalb, weil externe Einflüsse, insbesondere neue Regularien, das Geschäftsleben nicht gerade einfacher machen. Und scheitert Vereinfachung nicht immer auch an mangelndem Vertrauen? Ja. Und an lieb gewonnenen alten Prozessen, von denen man sich nicht trennen möchte. Setzen Sie privat auch auf Simplicity? Total. Ich versuche, alles Unangenehme zu delegieren (lacht)! Was ist unangenehm? Behördengänge? Handwerker ­beauftragen? Man muss wissen, dass ich privat eher den Sanguiniker in mir zulasse. Das bedeutet, dass ich mit Lieferanten oder Handwerkern sicher nicht der beinharte Verhandler bin. Ganz abgesehen davon, dass ich von diesen Dingen viel zu wenig verstehe, um mich darin wichtig zu machen. Ich mag einfach keine Leerkilometer. Wenn ich einen Fernseher brauche, gehe ich los und kaufe einen, ohne mich zuvor im Internet tagelang in die Materie einzulesen. Ich weiß, dass mir da auch hin und wieder Fehler unterlaufen, aber das nehme ich in Kauf. – Und das dürfen Sie jetzt bitte nicht als die Arroganz eines Menschen interpretieren, dem es wirtschaftlich gut geht. Es hat auch Zeiten gegeben, in denen es uns wirtschaftlich nicht so gut ging. Da war ich nicht anders. Aber Sie verstehen, warum manche Menschen das ­gänzlich anders handhaben und sich sehr wohl in diese Details vertiefen? Total. Schauen Sie, ich interessiere mich nicht sehr für ­Technik, ich bin ein elender Heimwerker. Selbstbaumöbel haben schlechte Erfahrungen mit mir gemacht (lacht). Und ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Gebrauchsanweisung gelesen. Aber ich kann sehr

­»An unseren ­diversen Formen der demokratischen Ent­ scheidungsfindung sollten wir schon festhalten.«

wohl verstehen und schätze es sogar außerordentlich, dass es andere Menschen mit anderen mentalen Modellen gibt. Diese Heterogenität ist wichtig – auch für ein Unter­nehmen. Wie erhalten Sie sich Ihre Entscheidungskraft? Entscheiden ist ein Aspekt von Führung, es ist Teil meines Jobs. Aber da gibt es kein Dogma. Ich bin überzeugter ­Pragmatiker – ohne dabei meine Prinzipien zu verraten. Hätten Sie vor 15 Jahren erwartet, dass sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ­einmal so entwickeln würden? Ich komme aus einer Zeit, in der man jedes Jahr mit drei oder vier Prozent Wirtschaftswachstum gerechnet hat. Es hat schon die eine oder andere Delle gegeben, aber dann kam die Krise 2008/2009. Diese Krise kam unvorhergesehen und hat gezeigt, dass Prognosen selten wirklich be­lastbar sind. Was Politik anbelangt, hätte ich einige Entwick­lungen ­ebenfalls nicht erwartet und ich bin in mancherlei Hinsicht enttäuscht, verärgert und besorgt. Andererseits muss man auch unangenehme Entscheidungen respektieren, da sie nun mal mehrheitlich zustande gekommen sind. Und an un­ seren ­diversen Formen der demokratischen Entscheidungs­ findung sollten wir schon festhalten, auch wenn sie mitunter und vor allem derzeit vielleicht komische Blüten treiben. Wie die Tatsache, dass viele Politiker nur noch über ­Kurz­nachrichten kommunizieren und sich über alle diplo­­ matischen Gepflogenheiten hinwegsetzen. Sie sind bekanntermaßen ein Social-Media-Gegner. Die positiven Aspekte dieser neuen Kommunikationsformen sehe ich schon. Aber die negativen, wie das öffentliche, aber anonyme Anprangern von Menschen oder das populistische Getöse, halte ich für so immens schädlich, dass ich für mich persönlich beschlossen habe, daran nicht teilzunehmen. Gesellschaftlich hoffe ich, dass diese Welt noch möglichst lange lebenswert bleibt und dass die Vernunft über diese kommunikativen Auswüchse siegt. Aber die Chancen stehen meiner Einschätzung nach nur bei 50:50. Leider. Es ist bitter zu sehen, wie sorglos und rücksichtslos wir teilweise miteinander umgehen. Der Trend zur Entsolidarisierung ist sehr unerfreulich. Sie haben drei Kinder und drei Enkelkinder. Welchen Rat möchten Sie ihnen mit auf den Weg geben? Dass man mutig sein soll, aber nicht übermütig. Dass man Selbstvertrauen haben soll, ohne überheblich zu sein. Pragmatismus ohne Opportunismus. Und Zielstrebigkeit ohne Verbissenheit. Dass man Respekt und Anstand nicht verlieren soll. Und dass nicht nur der Erfolg entscheidet, sondern dass auch die Lebensqualität zählt. Wenn Erfolg nur unter allergrößten Mühen und Opfern erkämpft wird, dann bin ich mir nicht sicher, ob sich das auszahlt. Persönlich habe ich


HOFFNUNGEN 9

»Ich ­  wollte im Beruf wie im Sport immer gewinnen, notfalls auch mit harten Methoden. Sieg – aber nicht um jeden Preis.«

zwar auch Opfer gebracht, dabei aber gewisse Grenzen nie überschritten. Wo wäre eine Grenze überschritten? Die Grenze wäre überschritten, wenn meine Familie zerbrechen würde. Oder wenn ich etwas Unanständiges tun würde, für das ich mich schäme. Ich wollte im Beruf wie im Sport ­immer gewinnen, notfalls auch mit harten Methoden. ­Sieg – aber nicht um jeden Preis. Niederlagen sind charakter­bildend und man kann daraus wichtige Lehren ziehen. Haben Sie eine Technik, sich auf negative Ereignisse oder Schicksalsschläge vorzubereiten? Als mein Vater gestorben ist, hat mich das völlig unvorbe­rei­ tet getroffen. Da war nur Trauer. Also nein, ich habe keine Technik. Interessante Frage. Hoffnung hat ja auch immer viel mit der eigenen Sichtweise zu tun. Wenn man sehen kann, dass das Glas halb voll ist, und so war es bei mir immer, dann kehrt man halt irgendwie in diese verän­derte Realität zurück. Mich auf einen Schicksalsschlag vor­zubereiten, der mich aus der Bahn werfen könnte, wür­de mich bereits vorab traurig machen und das mag ich nicht. Und es wäre mit meinem Gegenwartsbezug auch gar nicht vereinbar. An welchen Lebensabschnitt erinnern Sie sich am ­liebsten? Als Mann erlebt man zwischen 30 und 50 die schönste Zeit. Mit 30 ist man nicht mehr ganz so dumm, aber immer noch recht jugendlich. Mit 40 ist man ein gutes Stück reifer, auch wenn dann viele Männer noch mal das Spinnen an­ fangen und meinen, sie müssten sich ein auffälliges Motorrad kaufen. Wie hat sich diese Midlife-Crisis bei Ihnen geäußert? Ich glaube, die habe ich ausgelassen. Dafür hat auch meine Frau gesorgt. Nun kommt die Phase des beruflichen Ruhestands. Auch da haben manche Männer ihre Schwierigkeiten … Dem Ruhestand selbst sehe ich mit weniger Sentimentalität entgegen, als viele ­vielleicht annehmen. Was mich ärgert ist, dass die Zeit so schnell vergeht. Mir gefällt der Umstand

nicht so gut, 64 Jahre alt zu sein und zu wissen, dass im ­günstigsten Fall zwei Drittel meines Lebens vorbei sind – die ­besseren zwei Drittel. Wann haben Sie mit diesem Rechenspiel begonnen? Ich denke, das war mit 50. Und mit 60 habe ich es dann ­immer öfter angestellt. Also käme auch die Unsterblichkeit für Sie als Lebensmodell in Betracht? Sicher. Unsterblich im Ruhestand …? … im gut bezahlten Ruhestand (lacht)! Im Ernst: Ich habe in meinem Leben so unsagbar viel Glück gehabt, eine Über­ dosis quasi, mehr kann man eigentlich nicht erhoffen. Und dennoch: Wenn wir noch hundert Jahre dranhängen könnten, hätte ich nichts dagegen. Welches neue Vorhaben werden Sie in Ihrem Ruhestand angehen? Zunächst werde ich meine Erinnerungen zu Papier bringen. Ich habe nicht vor, diese zu veröffentlichen. Ich will das nur für mich tun. Von diesem Buch wird es nur ein einziges Exemplar geben. Und weiterhin bleibe ich dem Unternehmen ja als Aufsichtsrat erhalten. Und welche Empfehlungen geben Sie Ihren Nachfolgern? Keine. Sowohl Wolfram Senger-Weiss als auch Jürgen Bauer (Bauer rückt für den Bereich Landverkehr in den Vorstand nach, Anm. d. Red.) sind hoch kompetente Herren, die intern wie extern anerkannt sowie mit dem Geschäft und dem Unternehmen bestens vertraut sind. Außerdem hat jede Zeit ihre besonderen Herausforderungen und jede Führungskraft ihren eigenen Stil. Die Rezepte der Vergangenheit lösen nicht notwendigerweise die Probleme der Zukunft. Was wünschen Sie Gebrüder Weiss? Ich wünsche Gebrüder Weiss, dass es ein Unternehmen bleibt, das noch vielen Menschen Freude macht und das sich in diesem harten, teils unfairen Wettbewerb behaupten wird, damit dieser ganz besonderen Geschichte noch viele Kapitel hinzugefügt werden können.


Armenien

rund 270 km

Jerewan

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Nahrungsmittel und lebende Tiere Mineralische Erzeugnisse unedle Metalle und Erzeugnisse daraus

1 / 2 LANDESSPRACHE

Armenisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Mineralische Erzeugnisse Nahrungsmittel und lebende Tiere Maschinen und Anlagen

35,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

7,15 °C LANDFLÄCHE

29.743 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

7.792 km / 703 km AUSSENHANDELSQUOTE

76, 40 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitsreferendum 1991:  21. September TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Gata – süßes Gebäck, das vor allem anlässlich des ­Tiarn’ndaraj Fests am 14. Februar gebacken wird BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Franz Werfel: »Die vierzig Tage des Musa Dagh«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Armenischer Brandy, Aprikosen

Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Armine Bedevyan


HOFFNUNGEN: ARMENIEN 11

Die ganz großen Meister blicken von der Wand, die jungen und die alten Meister spielen an den Tischen.

Schach im ­Blut – und auf dem ­Stundenplan text:  Tigran Petrosyan Lesen, schreiben, rechnen, das lernen Kinder in der Grundschule. In Armenien kommt eine weitere Disziplin dazu: Die Kaukasusrepublik mit ihren drei Millionen Einwohnern hat 2011 als erstes Land weltweit Schach als Pflichtfach in den zweiten bis vierten Klassen eingeführt. Schach ist Nationalsport in Armenien und die Politik möchte das Können der zukünftigen Generationen nicht dem Zufall überlassen. »Als Kind war ich vom Schach enttäuscht, weil ich nicht so gut wie mein Bruder spielte, der Weltmeister war«, erinnert sich Mikayel Andriasjan. Andriasjan ist erst 27 Jahre alt und bereits Generalsekretär des Schachverbands. Die Leidenschaft für das Königsspiel hat ihn dann doch noch gepackt. Neben der Verbandsarbeit koordiniert er das Schulprogramm und die gesamte Arbeit der landeseigenen Schachakademie. Hier studieren Nachwuchsspieler im Alter von fünf bis 20 Jahren und trainieren ihr Können bei Nachwuchswettbewerben – ­ergänzend zum Unterricht in der Schule. Die Akademie betrei­ bt landesweit 53 Filialen in 53 Städten, die Aufnahmekrite­rien sind streng. Wegen der guten Erfahrungen mit dem Pflichtfach gäbe es Pläne zur Ausweitung, erzählt der Generalsekretär, ein Curriculum für die fünfte bis neunte Klasse werde derzeit getestet. Sogar Länder wie Weißrussland, Usbekistan und Kirgisistan hätten sich an Armenien gewandt: Sie wollten das armenische Schulschachprogramm in ihre Bildungsstruk­ turen übertragen, vermutlich nicht zuletzt wegen der Effekte, die über das Gewinnen von Medaillen hinausgehen.

­ ndriasjan verweist auf internationale Studien und meint: A »Wer Schach spielt, der nimmt keine Drogen.« Vorbild für viele armenische Schachspieler ist Tigran Petrosjan. Er war sowjetischer Schachgroßmeister, Weltmeister von 1963 bis 1969, stand auf Platz eins der Weltrang­ liste mit der Mannschaft der UdSSR und gewann ebenfalls mit dieser Mannschaft neunmal bei der Schacholympiade. ­Nebenbei promovierte er in Philosophie über Logik im Schachdenken und war zudem jahrelang Chefredakteur der sowjetischen Schachzeitschrift. Petrosjan, der bis heute verehrt wird wie ein Nationalheld, legte auch den ersten Stein des Schachhauses von J­ erewan 1967. Seit seinem Tod im Jahr 1984 trägt das Schachhaus im zentralen Park den Namen des Meisters, seine Büste steht auf dem Vorplatz. Im Flur des Gebäudes selbst spielen ­Seni­oren im regen Austausch über Strategien und Spielzüge. Nicht weit von dort stehen mehrere Bänke und Tische im Park. Es ist ein lebendiger Ort, denn hier, unter den Bäu­ men, sitzen zahlreiche Jerewaner über die schwarz-­weißen Bretter gebeugt und spielen Schach. Und zwar wirklich alle: Kinder, Frauen und Männer, Alte und Junge. Sie bestreiten Partien gegeneinander oder analysieren berühmte histo­ rische Spiele. Das Denken der großen Schachmeister verbindet sie alle. Die Menschen hier sind überzeugt: »Wer Schach spielt, hat die bessere Zukunft.« Und die beginnt schon in der Grundschule.


Bosnien und Herzegowina

rund 301 km

Sarajevo

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Rohstoffe Maschinen chemische Erzeugnisse

1/30 LANDESSPRACHE

Bosnisch, Kroatisch, Serbisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Nahrungsmittel chemische Erzeugnisse Erdöl

42,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

9,85 °C LANDFLÄCHE

51 .129 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

22.926 km / 1.027 km AUSSENHANDELSQUOTE

88,20 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitsreferendum 1992:  1. März Ausrufung der Volksrepublik 1943:  25. November TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Besauski Lonac – Eintopf aus Fleisch und Gemüse BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Ivo Andric: »Die Brücke über die Drina« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Balkan Beats


HOFFNUNGEN:  BOSNIEN HERZEGOWINA 13

Aussöhnung über die Jugend

Der Jugendaustausch des RYCO bringt junge Menschen auf dem West­balkan mit Gleichaltrigen aus einem Nachbarland zusammen.

text:  Rayna Breuer Mit Austauschprogrammen haben Deutschland und Frankreich nach den blutigen Kriegen gute Erfahrungen gemacht. Ein Vorbild für Serbien, Montenegro, Bos­nien und Herzegowina, Albanien, Kosovo und die Republik ­Mazedonien: Das Jugendwerk des Westbalkans wurde geschaffen. Vor dem ehemaligen Hotel Colombo steht eine Gruppe junger Menschen und hört den Erzählungen einer Reiseführerin zu. In dem Gebäude fand vor etwa 150 Jahren eine ganz besondere Party statt: Anlass war die Fertigstellung des Zug­ abschnitts Thessaloniki – Skopje. Die 14 Reisenden stammen aus dem Kosovo, Albanien, Bosnien und Herzegowina, ­Serbien, Mazedonien, Montenegro und Kroatien. Sie sind zum ersten Mal hier in Thessaloniki. Die zweitgrößte Stadt des Landes ist die Metropole der nordgriechischen Region »Mazedonien«. Seit Langem sorgt dieser Name mit der gleichnamigen Nachbarrepublik für Streit. Für die meisten aus der Reisegruppe ist es auch das erste Mal, dass sie jemanden aus einem Nachbarland kennenlernen. DIE ZUKUNFT GEMEINSAM GESTALTEN

»Es ist wichtig, dass wir uns hier in der Region vernetzen, denn die Jugend, die sich nicht untereinander kennt, hat viele Vorurteile. Wenn man sich einmal kennenlernt, fallen diese Vorurteile schnell«, sagt Azem Kurtic aus Bosnien und Herzegowina, der an diesem von der Deutschen Welle und dem Regional Youth Cooperation Office, kurz RYCO , organisierten Austausch teilnimmt. RYCO soll ähnliche Dienste leisten wie vor ihm das deutsch-französische oder das deutsch-polnische Jugendwerk: Vernetzung und Kennenlernen. RYCO wurde im Rahmen des sogenannten »Berlin-­ Prozesses« gegründet, der zum Ziel hat, die Westbalkan-­ Staaten an die EU heranzuführen. Circa 35 Projekte fördert RYCO in der Region – von sportlichen Begegnungen über

Kunstprojekte bis hin zu überregionalen Schultreffen. Nikola Ristic, der beim RYCO für die Kommunikation zuständig ist, schildert am Rande der Stadtführung in Thessaloniki: »Wer vom Westbalkan stammt und zum Beispiel aus Serbien kommt, ist mit den Gegebenheiten in Albanien nicht wirklich vertraut. Und daher rühren unsere Stereotype. Du beginnst, die Realität nur anhand deiner eigenen, subjektiven Informationen zu interpretieren«, sagt Nikola Ristic. ADMINISTRATIVE HÜRDEN

Doch so sehr viele junge Menschen Interesse und Neugier an dem Nachbarn zeigen, gibt es immer noch Stolpersteine: »Es ist nicht nur eine Frage der finanziellen Möglichkeiten der Jugendlichen zu reisen, es gibt auch administrative Hürden. Zum Beispiel erkennt Bosnien und Herzegowina das Kosovo nicht an. Wenn du als Kosovare nach Sarajevo reisen möchtest, brauchst du ein Visum.« Und andersherum auch. Azem Kurtic aus Bosnien und Herzegowina war das letzte Mal vor knapp zehn Jahren im Kosovo. Damals war noch kein Visum nötig. Heute muss er nach Skopje oder Zagreb zum nächsten kosovarischen Konsulat reisen, um ein Visum beantragen zu können. Und auch die Infrastruktur auf dem Balkan ist nicht unbedingt förderlich für die Begegnungen: »Um nach Thessaloniki zu kommen, muss ich von Sara­je­ vo nach Belgrad mit dem Bus fahren, von dort aus nach ­Skopje und schließlich mit einem dritten Bus nach Thessa­ loniki. Das kostet mich 28 Stunden. Und fliegen ist nicht ein­ facher: Ich muss von Sarajevo zunächst nach Belgrad oder von Sarajevo nach Wien fliegen und dann nach Thessaloniki. Es ist alles zu kompliziert«, berichtet Azem Kurtic. Der Austausch der Jugendlichen und der Ausbau der Infrastruktur stehen deshalb ganz oben auf der Prioritätenliste der jährlich stattfindenden EU -Westbalkan-Konferenz. Den warmen Worten sind jedoch noch nicht viele Taten gefolgt. Aber es gibt Hoffnung: Die historische Bahnstrecke zwischen Thessa­ loniki und Skopje wird seit 2014 wieder bedient.


B   ulgarien

rund 330 km

Kazanlak, Musachevo, Varna

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Nahrungsmittel chemische Erzeugnisse Nichteisenmetalle

3 /118 LANDESSPRACHE

Bulgarisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

chemische Erzeugnisse Erdöl Maschinen

42,7 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

10,55 °C LANDFLÄCHE

111.002 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

19.512 km / 4 .029 km AUSSENHANDELSQUOTE

124,10 %

NATIONALFEIERTAG

Friede von San Stefano 1878:  3. März TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Shopska-Salat – gemischter Salat aus Tomaten, ­ Gurken, Paprika, Zwiebeln, Petersilie, Salz, ­Zitronensaft oder Essig, Öl und Salzlakenkäse BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Anton Donchev: »Time of Parting«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Rosenöl, bulgarischer Joghurt  Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Marieta Grigorova


HOFFNUNGEN: BULGARIEN 15

Oma Milka ist auf die ehrenamtliche Versorgung durch junge Ärzte wie Sheip Panev angewiesen.

Wer bleibt, wenn alle gehen? text:  Rayna Breuer Wer in Bulgarien Medizin studiert, hat in der Regel nicht vor, in Bulgarien zu bleiben. Auch Sheip Panev packt seinen Arztkoffer, aber statt nach Westeuropa zu fahren, geht er zu den alten Menschen in die kleinen Dörfer. Das Stethoskop ist eingepackt, der weiße Kittel auch. Am frühen Sonntagmorgen, wenn die Geschäfte noch geschlossen sind und die Sonne tief am Horizont steht, beginnt Sheip Panevs Arbeitstag. Er steigt in sein Auto und wird etwa eine Stunde später in einem kleinen Dorf im Nordwesten Bulgariens sein. Der junge Mediziner ist im letzten Jahr seines Studiums, bald ist seine Abschlussprüfung, danach will er seinen Facharzt in Augenheilkunde machen. Regel­mäßig fährt er mit anderen Ärzten aus dem Sofioter Kranken­haus Aleksandrovska in die abgelegensten Orte in Bulgarien. EINE HOFFNUNG DER ALTEN

Oma Milka hat Bluthochdruck. Vielleicht sind die Seifenopern Schuld, die sie täglich guckt, sagt sie. »Einige nehmen mich mit und andere sind ganz schlecht, das nervt.« Abschalten? Kommt nicht infrage. Wahrscheinlich liegt es aber an den Medikamenten, die sie nicht richtig einnimmt. Sheip Panev schaut sie eindringlich an: »Sie müssen täglich die Me­di­­ kamente nehmen, das ist sehr wichtig. Und immer morgens,

nicht erst spät am Tag.« Am heutigen Sonntag ist er in ein kleines Dorf, etwa 100 Kilometer nordwestlich von Sofia, gereist. Dort versorgt er die wenigen alten Menschen, die noch geblieben sind. Der Nordwesten des Landes ist eine der ärmsten Regionen in der EU. Junge Menschen gibt es hier höchstens am Wochenende, sonst haben Hunde und Hühner das Sagen. In diese Dörfer kommt einmal im Monat ein Arzt – mit Glück. In den Wintermonaten – je nach Witterung. »Meiner Tochter sage ich immer: Wenn mir was passiert – bis ich dich angerufen hab und du aus Sofia hierhergekommen bist, kannst du mich eigentlich direkt begraben. Wir haben hier keinen Arzt. Wie oft habe ich gebetet, dass wir einen finden, der wenigstens zwei, drei Mal pro Woche kommt. Im Dorf lebt nur eine Hebamme, die ihre Mutter pflegt. Wenn ich Beinschmerzen habe, gehe ich zu ihr, damit sie mir eine Spritze geben kann«, beklagt sich Oma Milka. Solche Zustände wollte Sheip Panev nicht länger hin­ nehmen. Er musste handeln. Deswegen ist er hier – freiwillig und ehrenamtlich. »Wir müssen den Menschen hier ­helfen, weil der Staat das offensichtlich nicht leisten kann. In jeder Oma sehe ich meine Oma und es wird mir warm ums Herz. Diese Menschen hier schätzen unsere Arbeit und es befriedigt mich, wenn ich etwas Gutes tun kann, wenn ich nützlich bin.« Außerdem sammelt er hier praktische ­Erfahrung.


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HOFFNUNGEN: BULGARIEN 17

Aussterbende Dörfer: Bulgarien ist eines der weltweit am stärksten von Überalterung und Abwanderung betroffenen Länder.

DER FREIE PERSONENVERKEHR IN DER EU – EIN SEGEN FÜR DIE EINEN, EIN FLUCH FÜR DIE ­A NDEREN

Viele von Panevs Studienfreunden sehen das anders: Sie zieht es weniger in die kleinen Dörfer Bulgariens, sondern vielmehr nach Westeuropa. Die Bezahlung, die Arbeits­ bedingungen und Aufstiegsmöglichkeiten sind in Ländern wie Österreich, Deutschland oder Schweden weit besser als in der Heimat. Sheip Panev aber wird bleiben. »Man lebt nur einmal und jeder trifft seine Entscheidung. Ich kann meine Kollegen nicht verurteilen, dass sie gehen. In Bul­ga­ rien ist es schwieriger für junge Ärzte. Und auch ich könnte mir schon vorstellen, nach Deutschland zu gehen, aber nur um mich zu spezialisieren. Ich fühle mich den Menschen in Bulgarien gegenüber verpflichtet. Ich will die Menschen hier behandeln. Das ist meine Mission. Denn wenn alle ­gehen, wer bleibt dann am Ende übrig?« Ärzte wie Sheip Panev sind überlebensnotwendig in diesen Regionen. »Die Öffnung der Grenzen, die wir zunächst begrüßt haben, brachte auch negative Konsequenzen mit sich. Wir haben mittlerweile das Problem, dass unsere Ärzte abwandern«, sagt die vormals stellvertretende Vorsitzende des bulgarischen Ärzteverbandes Galinka Pavlova. Aber in Zukunft könnten immer mehr bulgarische Patienten aufgrund der mangelnden ärztlichen Versorgung nach West­ europa gehen, um sich dort behandeln zu lassen. Das könnte die Gesundheitssysteme in Westeuropa stark belasten. ­Daran müsse man heute schon denken, bevor man sich ­billige ­Arbeitskräfte aus Bulgarien holt. SOZIALE DIENSTLEISTUNGEN – FEHLANZEIGE

Die freiwillige Arbeit der Ärzte ist für die Nichtregierungs­ organisation »Projekt Nordwest« ein Segen. Seit drei Jahren arbeitet Jana Rupeva mit den Ärzten zusammen und ­kümmert sich um die vergessenen Menschen in der Region. Der Bedarf ist groß. »Neben unserer Tätigkeit mit den alten Menschen versuchen wir, Jugendliche mit geistiger Behin­ derung, die ihr ganzes Leben in einem Heim gelebt haben, in die Gesellschaft zu integrieren. Wir müssen denen ganz einfache Sachen beibringen: Wie gehe ich aus dem Heim auf die Straße, wie fahre ich mit dem Zug, wie lese ich die Uhr«, sagt Jana Rupeva von »Projekt Nordwest«. In den entfernten Regionen gibt es kein funk­tio­nierendes System für soziale Dienstleistungen. Sie hat eine Werkstatt für die Menschen mit Behinderung gebaut – a ­ usschließlich mit Spenden. Vom Staat bekommt sie nichts. Außerdem plant sie eine Tafelküche, in der die Menschen mit Behinderung für die alten Menschen das Essen zubereiten und liefern ­werden –

dafür hat sie bereits 90 Prozent der erforderlichen Summe gesammelt. Die meisten Fördermittel kommen von öster­­ reichischen Spendern. »Die alten Menschen können es kaum fassen, dass jemand etwas für sie macht, dass sich jemand überhaupt um sie kümmert. Sie sind unheimlich dankbar, dass sie dadurch ein menschenwürdiges Leben im hohen Alter führen können«, sagt Jana Rupeva. Heute Nachmittag findet im Nachbardorf das Sommerfest statt. Zusammen mit anderen älteren Damen singt Oma Milka auf der Bühne traditionelle bulgarische Lieder. Die Knie machen nicht mehr mit, aber Hauptsache die Stimme ist da. Um die Knie muss sich Sheip Panev bei seiner nächsten Visite kümmern.

Freizügigkeit innerhalb der EU Als Arzt von Bulgarien nach Frankreich, als Tourismus-­ Exper­tin von Österreich nach Spanien: Nicht nur der Trans­port von Kapital und Waren ist innerhalb der Mit­­glied­ staaten der Europäischen Union ungehindert möglich. Auch der freie Personenverkehr spielt für den EU -­Binnen­ markt eine entscheidende Rolle. Er erlaubt den Staats­ angehörigen der EU -Mitgliedstaaten in jedem anderen Mitgliedstaat die Teilnahme am Wirtschaftsleben: ­Bür­­­­gerinnen und Bürger der Europäischen Union können innerhalb der Union frei arbeiten, studieren, wohnen und einkaufen. Für einen einfachen Aufenthalt in einem anderen Mit­­­ gliedstaat von bis zu drei Monaten ist innerhalb der Union lediglich ein gültiger Personalausweis oder Reisepass nötig. Für ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten müssen bestimmte weitere Voraussetzungen erfüllt sein, beispielsweise ein Ausbildungs- oder ein Arbeitsplatz. Aber auch Selbstständige oder Erbringer von Dienst­leis­ tungen können unkompliziert von einem EU -Land in ein a ­ nderes ziehen. Auch der Nachzug von Familienange­ hörigen ist möglich. Es ist vor allem die Aussicht auf ein höheres Lohnniveau, das Arbeitskräfte von einem EU -Land in ein anderes zieht. So können Zuwanderer etwa den Fachkräftemangel aus­ gleichen, der vor allem in westeuropäischen Mitglied­staaten besteht. Zugleich wird die Wanderungsbereitschaft aber durch soziale und kulturelle Faktoren sowie durch Sprach­ probleme und bürokratische Schwierigkeiten bei der An­er­ kennung von Qualifikationen gehemmt.


C   hina

rund 3.940 km

Changchun, Chengdu, Chongqing, Dalian, Guangzhou, ­Nanjing, ­Ningbo, Peking, Qingdao, Schanghai, Shenzhen, ­Tianjin, ­Urumqi, ­Wuhan, Xiamen, Xi’an, Zhanjiang

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Elektronik Textilien und Bekleidung Elektrotechnik

17/475 LANDESSPRACHE

Chinesisch (Putonghua)

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Rohstoffe Erdöl

37,4 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

6,95 °C LANDFLÄCHE

9.596.961 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

4.106.387 km / 67.212 km AUSSENHANDELSQUOTE

37 %

NATIONALFEIERTAG

Aufstand von Wuchang 1911:  1. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Baozi – warmer Hefekloß mit Hackfleischfüllung BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Yu Huan: »Brüder« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Karaoke, Glückskekse


HOFFNUNGEN: CHINA 19

China ­elektrisiert text:  Felix Lee Subventionen und rigide Gesetze erzwingen in China einen überraschend schnellen Wandel bei der Elek­tro­ mobilität. Die internationalen Autobauer sehen sich ­gezwungen, auf diesen Druck zu reagieren. Normalerweise gibt die Technik-Messe CES in Las Vegas den Ton an für Neues aus der Unterhaltungselektronik, neue Spielekonsolen etwa. Doch seit einigen Jahren ist die größte Fachmesse für Unterhaltungselektronik auch zur Bühne für selbstfahrende und elektrische Autos geworden. In diesem Jahr sorgte eine Firma für besonders großes Auf­ sehen: Byton. Das chinesische Start-up präsentierte erstmals einen Prototypen seines Elektro-SUV s. Was die Konkurrenz besonders verunsicherte: Im Top-Management, in der Technik­sowie der Designabteilung sitzen ehemalige BMW -Manager. Auch Entwickler von Tesla, Apple und Google hat das chinesische Unternehmen zu sich geholt. »Design und Fahrzeugkonzept machen wir in München, Elektronik und autonomes Fahren im Silicon Valley, Einkauf, Lieferkette und Produk­ tion sind in China«, beschreibt Mitgründer und Chef Carsten Breitfeld sein Unternehmen. Rund 45.000 Dollar soll der Byton-SUV kosten – er wäre damit günstiger als vergleichbare Fahrzeuge aus Deutschland oder den USA . Das Auto soll zunächst ab 2019 in China verkauft werden, von 2020 an weltweit. »In China ist eine sehr große Mittelklasse unterwegs, die so viel Geld für ein Auto ausgeben will und kann«, sagt Breitfeld. Hinzu komme, dass mithilfe massiver staatlicher Förderung China zum wichtigsten Markt für Elektroautos aufgestiegen sei. Dabei fristete vor Kurzem auch in China der Markt für Elektroautos ein Nischendasein. Seit Jahren ist es zwar ­erklärter Wille der chinesischen Regierung, den Anteil bat­ teriebetriebener Fahrzeuge zu erhöhen. Doch den meisten Chinesen war eine hohe PS -Zahl wichtiger als niedrige ­Abgaswerte. VW , Daimler und die anderen Autobauer sahen wenig Anlass, ihre Fahrzeugpalette umzustellen, solange sich ihre benzingetriebenen Gefährte weiter gut verkauften. Nun erhöht die chinesische Regierung erneut den Druck. Anfang des Jahres ließ sie den Bau von 553 Automodellen verbieten. Begründung: Die Fahrzeuge schluckten zu viel

Benzin. In den Monaten zuvor hatte die chinesische Regierung bereits eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die zum Ziel haben, den Anteil von Elektro- und Hybridautos im Land deutlich zu erhöhen. Zehntausende Ladestationen werden landesweit errichtet, neue Regeln verabschiedet, die den Kauf von Elektroautos begünstigen. Die Strategie scheint aufzugehen. Bei der Elektromobilität liegt die Volksrepublik vorn, mehr als die Hälfte des Weltmarktes fällt derzeit auf China. 2017 fanden über 777.000 Autos mit neuer Antriebsform einen chinesischen Käufer, ein Zuwachs von 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch das reicht der Führung in Peking offenbar nicht. Sie will, dass bis 2020 landesweit mindestens fünf Millionen reine Elektroautos auf Chinas Straßen fahren. Um diese ­Entwicklung zu beschleunigen, greift sie auch zu drastischen Mitteln. Ab dem kommenden Jahr soll eine Produktionsquote für Elektroautos gelten: Fast jedes vierte in China her­ gestellte Auto muss dann mit einem Elektromotor betrieben werden. Erfüllt ein Hersteller diese Vorgabe nicht, muss er Punkte von erfolgreicheren Anbietern kaufen. Während man in anderen Ländern noch eifrig diskutiert, ob die Politik über das Ende des Verbrennungsmotors entscheiden muss, werden in China Fakten geschaffen. Das Riesenreich hat einen Vorteil: seine Marktmacht. Das Land ist seit Jahren der größte und am schnellsten wachsende Automarkt der Welt. Es besitzt so den Einfluss, eigene Stan­ dards durchzusetzen. Und die Führung weiß das zu nutzen: Wer am chinesischen Wachstumsmarkt teilhaben will, muss nicht nur in China herstellen, sondern auch mit chinesischen Zulieferern kooperieren. Bei der Batterietechnologie etwa: Zwar sind Batterien von chinesischen Fabrikanten durchaus konkurrenzfähig, weltweit führend sind jedoch die von japanischen und ­süd­koreanischen Herstellern. Als China vor einem Jahr neue Subventionsregeln einführte, erfüllten dennoch nur zwei chinesische Anbieter das Größenkriterium: BYD und CATL aus der südwestchinesischen Stadt Ningde. Zu den Kunden zählen nun Peugeot und BMW. So funktioniert der Markt: Die Regierung in Peking gibt das Tempo vor, die internationalen Anbieter müssen mitziehen.


20

­»Elektromobilität ist für uns Alltag« interview:  Felix Lee Dass sich ausgerechnet China zum Vorreiter der Elektromobilität gemausert hat, ist einem Zufall ­geschuldet, sagt Gao Zhen. Er ist Chauffeur und fährt seine Gäste mit einer Elektrolimousine durch die Stadt. Herr Gao, wie läuft Ihr Geschäft so? Ganz okay. Warum diese Frage? Sie sind Chauffeur eines gehobenen Fahrdienstes. Ihre Klientel war bislang große Limousinen mit s­ tarken ­Motoren gewohnt. Nun fahren Sie ein Auto mit Elektromotor. Törnt das Ihre Kunden nicht ab? Ich glaube nicht. Unsere Fahrgäste wollen bequem und sicher zum Ziel kommen. Und das kann ich mit meinem Elektro­ auto auch gewährleisten. Manchmal sind meine ­Gäste mit mir sogar schneller als in einem herkömmlichen Benziner. Auf einigen Autobahnen dürfen bei Stau Elektroautos auf der Seitenspur fahren. Wir haben also Vorfahrt. Es gibt in Peking eine Szene, die es cool findet, in einem Elektro­ auto gefahren zu werden. Sie fragen über eine spe­zielle App gezielt nach meinem Dienst. Wie fährt es sich mit so einer Elektrolimousine?

Mit einem Elektromotor ist der Chauffeur Gao Zhen in Peking auf der Überholspur unterwegs.

Zugegeben: Am Anfang hatte ich meine Probleme. Der ­Motor zieht natürlich nicht so wie bei einem Audi 100 oder einem Mercedes der S-Klasse. Inzwischen aber habe ich mich daran gewöhnt. Der Elektromotor ist dafür sehr viel leiser. Wie in einem Raumschiff. Mir gefällt das. Und das lästige Aufladen? Das ist mittlerweile kein Thema mehr. Im Gegenteil: Ein ­Parkplatz zu finden ist in Peking ein Riesenproblem. Zwei Mil­­lionen Autos gab es vor fünf Jahren noch in der Stadt. Nun hat sich die Zahl mehr als verdreifacht. In der Innenstadt findet sich für Benziner kaum ein Parkplatz mehr. Für uns Elektro-­Autofahrer hingegen hat die Stadtregie­rung spezielle Parkplätze mit Aufladestationen geschaffen. Und die sind meistens noch frei. Das dürfte sich natürlich schon bald ändern, wenn mehr Elektroautos auf der Straße fahren. Aber Batterien müssen viel häufiger aufgeladen w ­ erden als beim Benziner getankt werden muss. Das stimmt. Aber für uns Pekinger gehört Elektromobilität schon seit geraumer Zeit zum Alltag. Wir fahren schon seit Jahren Scooter und Mopeds mit Elektroantrieb. Diese Dinger sind zwar nicht besonders schnell und schaffen ­vielleicht 50, bessere Modelle auch mal 80 Studenkilometer. Für den Weg zur Arbeit aber ist das meistens ausreichend. Aufge­laden werden die abnehmbaren Akkus zu Hause über Nacht an einer Steckdose oder im Büro. Wir sind das Auf­ laden also gewohnt. Wie hat es ausgerechnet China zum Vorreiter der Elektro­ mobilität geschafft? Das ist einem Zufall geschuldet. Nach der wirtschaftlichen Öffnung in den Achtziger- und Neunzigerjahren konnten sich die meisten Chinesen noch keine eigenen Autos leisten. Bevor die in anderen asiatischen Metropolen, wie etwa ­Bangkok, Taipeh oder Manila, weitverbreiteten Mopeds auch auf chinesische Großstädte überschwappen konnten, verhängte die chinesische Regierung ein Verbot auf benzin­ betriebene Zweiräder. Harleys oder Yamahas sind in Peking quasi nicht zu sehen. Nummernschilder für Benziner werden in Peking nur im Losverfahren vergeben. Genau, die Chance ein Nummernschild zu bekommen, liegt derzeit bei eins zu 80.000. Es ist quasi unmöglich, sich in ­Peking noch ein Auto mit Benzinmotor anzuschaffen, so­ fern man nicht ein Nummernschild von einem Verwandten ­über­tragen bekommen hat. Die werden inzwischen aber gehütet wie Goldbarren. Zulassungen für Elektroautos hin­ gegen gibt es sofort.


HOFFNUNGEN: CHINA 21


Deutschland

rund 867 km

Aldingen, Düsseldorf, Esslingen, Frankfurt, Hamburg, Kirchheim unter Teck, Lindau, Loßburg, Lüdenscheid, Memmingen, München, Nürnberg, Passau, Stuttgart, Wernau

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kfz und Kfz-Teile Maschinen chemische Erzeugnisse

16/836 LANDESSPRACHE

Deutsch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Kfz und Kfz-Teile Datenverarbeitungsgeräte elektrische und optische ­Erzeugnisse

47,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

8,50 °C LANDFLÄCHE

357.409 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

645.000 km / 33.332 km AUSSENHANDELSQUOTE

84,40 %

NATIONALFEIERTAG

Tag der Deutschen Einheit:  3. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Currywurst BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Juli Zeh: »Unterleuten« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Bier, Oktoberfest, Audi


HOFFNUNGEN: DEUTSCHLAND 23

Ein dichtes Netz, hoch oben in der Luft text:  Andreas Spaeth Es ist eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Ingrid Bergman und Humphrey Bogart stehen sich auf dem nächtlichen Flugfeld gegenüber, Nebel wabert, tiefe Blicke wandern hin und her und es fallen Sätze, die noch heute ­legendär sind: »Schau mir in die Augen, Kleines« und »Wir werden immer Paris haben«. Fast jeder kennt diese Zitate aus dem Hollywood-Drama »Casablanca« von 1942. Als Bergman in die Maschine einsteigt, bleibt ein letzter Funken Hoffnung auf ein Wiedersehen in ferner Zukunft. Mal eben die Liebsten mit dem Flugzeug besuchen, frische tropische Früchte auf dem Frühstückstisch präsen­tie­ ren, fehlende Ersatzteile von weit her über Nacht ver­füg­bar machen oder wertvolle Kunstwerke von einem Museum zum anderen befördern: All das gehört heute zu unserem be­ quemen Alltag. Lebensnotwendig ist die Fliegerei in Extrem­ situationen: Bei der schnellen medizinischen Hilfe auf Ambulanzflügen oder dem Einfliegen von Spender­or­ganen, die unmittelbar Leben retten. Bei der unverzüglichen Unter­ stützung mit Rettungskräften und Hilfsgütern, die etwa bei Naturkatastrophen an Brennpunkte in aller Welt geschickt werden können. Oder bei Waldbränden, wo oft erst Löschflugzeuge die effiziente Brandbekämpfung ermöglichen. Voraussetzung für all das sind Flughäfen. Deutschland weist eine der größten Flughafendichten weltweit auf. Bei der Anzahl von Flughäfen mit Asphalt- oder Betonpisten liegt es an erster Stelle, gemessen an seiner Größe. Insgesamt rangiert es mit 318 solcher Flugplätze auf Rang sieben in der Welt – aber ausnahmslos direkt hinter wesentlich

­ rößeren Ländern: den USA als einsamem Spitzenreiter mit g 5.054 Flughäfen, Brasilien bringt es an Platz zwei noch auf 698 und sogar Russland schafft nur 594. Darauf folgen Kanada, China und Australien. Wirklich bedeutsam aber sind in Deutschland gerade mal 39 Flughäfen und Verkehrslandeplätze, jene mit einem Anteil an kommerziellem Passagier- und Frachtverkehr. Diese Zahl ist gemessen an der Größe des Landes ebenfalls hoch – und das hat zum Teil mit der deutschen Geschichte zu tun. Vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden viele militärisch genutzte Plätze in Ost und West, von denen etliche in den vergangenen Jahrzehnten zu zivilen Flug­hä­ fen wurden. Deutschland ist anders als etwa Frankreich oder Großbritannien ein dezentrales Land mit vielen regionalen Zentren. Jedes Bundesland verfügt über mindestens einen Regionalflughafen (wie Sachsen-Anhalt), das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen kann sogar drei internationale Verkehrsflughäfen vorweisen plus vier Regional-Airports. So sind Passagiere und Dienstleister in Deutschland nie allzu weit weg von einem Anschluss an den Weltluft­verkehr: Etwa 64 Prozent aller Deutschen können von ihrem Wohn­ ort aus in weniger als einer Stunde einen internationalen Verkehrsflughafen erreichen, für 90 Prozent liegt die Anreise­ zeit unter 90 Minuten. Das dezentrale System nutzt auch Gebrüder Weiss. Neben den Standorten in unmittelbarer Nähe großer Verkehrsflughäfen wie Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, Nürnberg und München ist es auch von den anderen Standorten


24

Luftaufnahme des neuen Terminal 3 am Frankfurter Flughafen – es soll das modernste Europas werden.

nicht weit zu Regionalflughäfen wie Friedrichshafen oder Memmingen. An insgesamt 23 Verkehrsflughäfen in ganz Deutschland wird Luftfracht abgefertigt, insgesamt fast fünf Millionen Tonnen 2017. Fast die Hälfte davon in Frankfurt (2,2 Millionen Tonnen), weitere wichtige Fracht-Drehkreuze sind Leipzig (1,1 Millionen Tonnen) und Köln / Bonn ­ (828.000 Tonnen). Die Luftfahrt ist und bleibt eine Wachstumsbranche – 2017 wurden mit über 234 Millionen Passagieren wieder über fünf Prozent mehr als im Vorjahr abgefertigt. Etwa alle 20 Jahre, das ist die Grundregel, verdoppelt sich die Passa­gier­zahl weltweit. Dabei stößt das System schon mal an ­seine Grenzen, wie zuletzt im Sommer 2018, als es in Deutschland wiederholt zu Engpässen bei der Passagier­ abfertigung kam. Und neue Infrastruktur zu schaffen dauert

extrem lange – wie beim Hauptstadtflughafen BER , der ­ igentlich schon seit 2012 in Betrieb sein sollte. Derzeit wird e als möglicher Eröffnungstermin Oktober 2020 genannt – aber wetten sollte man darauf nicht. Und auch wann die ­geplante dritte Piste in München, eines der größten Luftfahrtdrehkreuze in ­Europa, tatsächlich gebaut wird, steht buchstäblich in den Sternen. Aber: Flugzeuge werden immer effizienter und erlauben damit die bessere Nutzung auch knapper Infrastruktur. Noch nie waren Triebwerke so lärmarm wie heute, noch nie produzierten sie dank des verringerten Treibstoffverbrauchs so wenig Emissionen. Und noch nie war Fliegen so sicher wie in den letzten Jahren. Nur so romantisch wie damals in Casablanca ist es heute vielleicht nicht mehr.


HOFFNUNGEN: DEUTSCHLAND 25

Sauberkeit und Shopping spielen eine wichtige Rolle bei der Kundenzufriedenheit – der geplante Ankunftsbereich im neuen Terminal in Frankfurt.

Konsequent am Kunden orientiert interview:  Miriam Holzapfel Flughafenbetreiber schauen mit Spannung auf die Hit­ listen der internationalen Flughäfen. Der Flughafen in Frankfurt erreichte 2018 bei den Skytrax Awards für die beliebtesten Flughäfen weltweit immerhin Platz zehn. Christian Engel ist Pressesprecher für Infrastruktur­ themen beim Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und erklärt, woran das liegt. Was sind die größten Herausforderungen bei der Gestaltung eines Flughafens? Der Frankfurter Flughafen ist der mit Abstand größte deutsche Flughafen. Um auch international eine führende Rolle spielen zu können, muss das Produkt Flughafen eng am ­Kundenbedarf weiterentwickelt werden – konsequent und vorausschauend. Die größte Herausforderung ist dabei, zur richtigen Zeit ausreichend Kapazität abbilden zu können. Was gelingt Frankfurt besser als anderen Flughäfen in ­Europa? Der Flughafen Frankfurt begrüßte im Jahr 2017 mehr als 64 Millionen Passagiere und schlug ein Cargo-Volumen von rund 2,2 Millionen Tonnen um. Im Bereich Cargo sind wir damit auf Platz zwei und im Passagierverkehr an vier­­ter Stelle im Ranking der europäischen Airports. Im Sommerflug­plan 2018 fliegen 99 Airlines von Frankfurt weltweit 311 Desti­­ nationen in 97 Ländern an. Dieses Aufkommen bewältigen wir, indem wir uns an den Kundenbedürfnissen ausrichten und zum besten europäischen Flughafen­be­trei­ber entwickeln. Denn im Wandel der Luftverkehrs­indus­trie setzen wir ­branchenweit Standards bei Prozessen, Services und Infra­ struktur. Wir wollen unseren Kunden die opti­male Plattform für ihr Geschäftsmodell bieten und unseren ­Fluggästen eine gute Reise ermöglichen – sicher, zuverlässig und komfortabel. Im Top-20-Ranking sind besonders viele asiatische ­Flughäfen. Ist das asiatische Verständnis von Reisen anders als das europäische?

Der asiatische Markt ist durch zahlreiche extrem dicht besiedelte Ballungsräume geprägt – egal ob in China, Japan bis hin zu Südkorea oder Singapur. Zudem zählt die Region Asien zur wirtschaftlich dynamischsten der Welt. Damit einher geht ein rasant wachsendes Mobilitätsbedürfnis. In der Folge ist die Nachfrage nach Flugreisen in Asien stark angestiegen. So sind in den letzten 20 Jahren zahlreiche moderne Großflughäfen entstanden, die mit einer ganz anderen Kapazitätsanforderung an den Markt gegangen sind, als wir am Frankfurter Flughafen in den 70er-Jahren mit Terminal 1. Sind die Eindrücke der Fluggäste, die Grundlage etwa für die Skytrax Awards sind, nicht sehr subjektiv? Kundenbefragungen sind immer ein guter Gradmesser. Je größer eine Umfrage angelegt ist, desto objektiver wird auch das damit gezeichnete Bild. Wichtig für den jeweiligen Flughafenbetreiber ist, die richtigen Schlüsse daraus zu ­ziehen. Auf Basis des Kundenfeedbacks haben wir in den letzten Jahren vielfältige Verbesserungsmaßnahmen um­ gesetzt, von Yoga-Räumen über Silentchairs bis hin zu ­Bereichen, in denen Fluggäste kostenfrei Filme und Serien ­schauen, Videospiele spielen und relaxt arbeiten können. Das kommt bei unseren Kunden an: In unserer ­aktuellen Kundenzufriedenheitsbefragung haben wir einen neuen Höchstwert von 85 Prozent erreicht. Das sind wichtige und handlungsleitende Kennzahlen für uns. Wie werden Flughäfen in ­Zukunft aussehen? Viele Flughäfen werden weiter wachsen, um die in zahlreichen Marktprognosen steigenden Passagierzahlen abdecken zu können. Allein am Frankfurter Flughafen werden wir in den nächsten Jahren zusätzliche Kapazitäten von gut 25 Millionen Passagieren pro Jahr haben. Unser neues Ter­minal 3 wird dann das modernste Europas sein und unseren eigenen Qualitätsanspruch nochmal deutlich anheben mit Blick auf Aufenthaltsqualität, Service und Prozesse.


Georgien

rund 245 km

Tiflis

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kupfererze und Kupfererz-Konzentrate Haselnüsse Ferrolegierungen

1 /79 LANDESSPRACHE

Georgisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

pharmazeutische Erzeugnisse Erdöl und Erdölerzeugnisse Kfz und Kfz-Teile

38,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

5,80 °C LANDFLÄCHE

69.700 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

19.109 km / 1.491 km AUSSENHANDELSQUOTE

102,60 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1918:  26. Mai TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Shotis puri – traditionell im Lehmofen gebackenes Brot in Schiffchen-Form BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Schota Rustaweli: »Der Recke im Tigerfell«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Wein

Ein Tipp von GW -Mitarbeiter Tamar Vashakidze


HOFFNUNGEN: GEORGIEN 27

Georgien, ganz und gar

Gegensätze zeigen sich auch beim Blick ins Land.

Eine hin und her gerissene ­Hommage an ein Land, das nur in der Viel­ falt ­seiner Extreme zu erklären ist text:  Nino Haratischwili Neulich sprach mich ein Freund, der zum ersten Mal Geor­ gien besuchte, auf Kartlis Deda – »Mutter Georgien« – an. Das ist eine, wie man sagen muss, nicht besonders schöne architektonische Perle in meiner Geburtsstadt Tiflis, eine Monumentalstatue aus dem Jahr 1958, damals zum 1.500-jäh­ rigen Stadtjubiläum errichtet. Sie zeigt eine sehr sozialistisch und tüchtig wirkende Frau, die in der einen Hand eine Weinschale und in der anderen Hand ein Schwert hält. Ich er­­ klärte meinem Freund, dies spiegele symbolisch die ­Haltung der Georgier den Fremden gegenüber wider: Wer als Gast kommt, den empfängt man mit Wein, und dem Feind beg­ egnet man halt mit einem Schwert. Daraufhin lachte er und meinte, das Land habe eine durchaus ausgeprägte ­Vorliebe für alles Extreme, die Zwischentöne seien nicht allzu beliebt. Ich musste ihm recht geben. Zeit meines Lebens habe ich mich an diesen Extremen abgearbeitet. Ich habe mich immer und immer wieder ­darüber aufgeregt, dass uns hier die goldene Mitte so sehr fehlt. Ich habe mich geärgert und gewundert, wie es denn sein k ­ önne, dass Orient und Okzident, das unendlich Liebevolle und das ätzend Nervige, das selbstvergessen Im­ pulsive und das stur Zielstrebige, das Weiche und das Harte, das Bornierte und das Suchende, das Soziale und das Ego­ zen­trische, das Urige und das Trendige, das Regressive und

das Zukunftsweisende, das Patriarchale und das Matriar­cha­ le, das blind Patriotische und das neugierig Weltoffene – wie all das in diesem kleinen Land koexistieren kann, ohne ein einziges Chaos entstehen zu lassen. Ich habe mich nicht selten in einer Minute dem Aberglauben hingegeben und mich in der nächsten in die Logik eines Menschen verliebt; ich habe mich über die repressiven Strukturen der orthodoxen Kirche aufgeregt und bin verzückt vor einer Kirche aus dem fünften Jahrhundert gestanden; ich habe über die Unpünktlichkeit geschimpft und habe es ­genossen, mir beim Genießen (einer Mahlzeit, eines Weins, eines Augenblicks) so viel Zeit zu lassen. Und vor allem habe ich mich gegen die Glorifizierung der Vergangenheit gesträubt und habe selten so viel überbordende Emotionen verspürt wie beim traditionellen mehrstimmigen Gesang, vor einer klassischen georgischen Tafel. Zwischen all diesen Extremen habe ich nach der Identität dieses Landes gesucht, die untrennbar ist von meiner eigenen. Und niemals konnte ich eine klare Antwort geben, wenn ich in Deutschland darauf angesprochen wurde, wie denn Georgien sei, was an mir georgisch, ob mein Stil von Geor­gien gefärbt sei. Immer wollte ich mich entscheiden, mich festlegen und bestimmte Eigenschaften herausfiltern, als wäre die Vereinfachung die einzige Möglichkeit, dieses widersprüch­


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HOFFNUNGEN: GEORGIEN 29

liche Land in Worte zu fassen. Aber immerzu bin ich daran gescheitert, denn es schien mir nicht möglich. Das Land zu romantisieren und zu sagen, Georgien sei einfach nur wunderschön, sonnig, zum Träumen einladend, voller Musik und voller Genuss – das würde einem sowje­ tischen Klischee entsprechen, das dieses Land in einem verzerrten, teils verlogenen Licht darstellt. Georgien unentwegt zu kritisieren für all das, was man nicht kann und nicht ist, wie es die meisten Georgier selbst tun – das wäre auch falsch und würde so unendlich viel aussparen, was man eben doch kann und ist. Also, wie erklärt man dieses Land? Ist Georgien nun ­Europa oder Asien, der oftmals zitierte »Balkon Europas«? Und wo kommt diese eigenwillige Sprache her, die man ­Jahrhunderte hindurch gegen alle Besatzer, gegen alle mit Schwert oder Wein empfangenen Feinde und Freunde ­bewahren konnte, mit ihren schnörkeligen 33 Buchstaben des georgischen Alphabets, das schon um 400 nach Christus benutzt wurde? Ist man nun der Süden oder der Osten? Ist man modern oder traditionsfixiert? Und diese ganze ­blutige Geschichte, endlos an Kriegen und Besatzungen und Befreiungen, und dazwischen diese unzähligen absonder­ lichen, humorvollen, menschlichen, berührenden Geschichten der einzelnen Menschen und ihrer Schicksale, festge­ halten zwischen Buchdeckeln und später auch auf Zelluloid. Vielleicht lässt sich eines mit Gewissheit sagen: Viele dieser Geschichten, die sich die Georgier erzählen, sind ex­ trem. Sie sind absurd und paradox, extrem lustig oder extrem traurig, selten irgendwas dazwischen. Da fällt mir der Satz eines anderen, für mich wichtigen Menschen ein, der als Besucher nach Georgien kommend feststellte, dass das Land und die Menschen, die hier leben, so sehr »ganz und gar« seien. Gedankenversunken erklärte er mir, das müsse an der Geschichte liegen, an all dem, was die Menschen erfahren und erlebt hätten, man wisse eben, dass das »gar« ein­ fach »ums Eck« sei, und umso mehr wolle man im Augenblick verweilen und das »gar« spüren. Ich schwieg und sagte nichts. Dabei spürte ich eine gewisse Erleichterung. Zum ersten Mal dachte ich, dass jemand von außen mir mein eigenes Land so erklären konnte, dass ich selbst es besser verstand, es zum ersten Mal selbst greifen konnte. Ich begriff, dass Georgien nicht mit einem Entweder-oder erklärbar ist, dass das Land nur in dieser Vielfalt und in diesen Widersprüchen

zu erleben und zu beschreiben ist, dass es sich nur in diesen Extremen zeigen kann und dass es vielleicht genau darauf ankommt. Dass Georgien für mich eben deshalb zu Europa gehört, dass es sich eben deshalb lohnen könnte, die europäische Kultur um die georgische zu erweitern: Weil die Vielfalt, die Koexistenz von Verschiedenem als Idee genau das ist, was für mich Europa ausmacht, auch wenn das heutzutage leider oftmals infrage gestellt wird. Denn man muss sich nicht ­entscheiden. Man sollte sich nicht entscheiden. Eine Iden­ tität ist nichts, was keine Vielfalt zulässt und Klarheit erfordert. Ebenso wenig ist es die Kultur. Komplexität ist genau das, was wir an guten Geschichten, an guten Büchern, an ­guter Musik lieben. Und Georgien ist allemal komplex.

Zwischen Europa und Asien interview:  Imke Borchers Der Landesleiter von Gebrüder Weiss ­Georgien, ­Alexander Kharlamov über Geografie und Geschäfte. Georgien liegt auf der Naht zwischen Europa und Asien. Fühlen Sie sich als Europäer oder Asiate? Ich fühle mich klar als Europäer. Die Geschäfte mit Gebrüder Weiss in Georgien laufen sehr gut. Machen Sie mehr Geschäfte nach Osten oder Westen? Im Moment mit dem Westen. Aus welcher Branche kommen Ihre Geschäftspartner hauptsächlich? Wir haben viele Kunden aus der Automotive-Branche und aus dem High-Tech-Sektor. Außerdem transportieren wir Elektrowerkzeuge und Textilien, die wir von den Herstellern aus der Türkei in die Kaukasus-Region bringen. Mit wem würden Sie wirklich gerne einmal zusammenarbeiten? Mit weiteren europäischen Spitzenunternehmen, die mit der gleichen Hingabe Geschäfte machen wie wir.


rund 45 km

Hongkong

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Edelmetalle Maschinen Instrumente

1 /61 LANDESSPRACHE

Chinesisch (Putonghua)

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen Edelmetalle Instrumente

44,4 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

22,5 °C LANDFLÄCHE

1.095 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

2.100 km / 230 km

AUSSENHANDELSQUOTE

372,60 %

NATIONALFEIERTAG

Aufstand von Wuchang 1911:  1. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Gai daan jai – süße Waffeln in Ei-Form, in den ­Chinatowns auf der ganzen Welt als Egg oder Bubble Waffle beliebt BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Infernal Affairs« (Regie: Andrew Lau, Alan Mak) GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

LEE KUM KEE Sojasauce  Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Claire Lin


HOFFNUNGEN: HONGKONG 31

Eine ­exzellente ­Anlegestelle

Hafen und Stadt schmiegen sich eng an die Berge.

text:  Felix Lee Zwar musste Hongkongs Hafen seinen Rang an das ­benachbarte Shenzhen abgeben. Aufgrund seiner ­hohen ­Effizienz bleibt der Hafen der ehemaligen britischen Kronkolonie aber einer der wichtigsten der Welt. Die Nacht ist längst hereingebrochen. Dennoch ist alles hell erleuchtet, Flutlicht bestrahlt die Hafenanlage. Hebe­ kräne rollen auf Schienen hin und her, greifen sich die ­Container, fahren weiter und setzen sie um. Und das in einer ­Dauerschleife. Hunderte Container werden auf diese Weise auf­getürmt. Trotzdem ist keine Menschenseele zu sehen. Das meiste läuft rund um die Uhr automatisch ab in einer der effizientesten Hafenanlagen der Welt: dem Container­ hafen von Hongkong. Für im Schnitt gerade einmal zehn ­Stunden legen die gigantischen Schiffe an, werden von einem der insgesamt neun Containerterminals abgefertigt, bevor sie sich frisch beladen wieder auf den Weg zu mehr als 500 Zielen in aller Welt machen. In anderen Häfen dauert das Pro­zedere im Schnitt vier Mal so lang. Schon die Briten erkannten die Vorzüge des natürlichen Tiefseehafens inmitten der vorgelagerten Inseln, als sie vor mehr als 175 Jahren die damals noch weitgehend unbe­ wohn­te Region dem chinesischen Kaiserreich abrangen. »Überall exzellente Anlegestellen, von den Bergen geschützt, sodass die Schiffe auch bei schwersten Stürmen sicher sind«, schwärmte der britische Kolonialbeamte Charles Elliot – und legte damit den Grundstein für Jahrzehnte des blühenden Handels – anfangs mit Opium, später auch mit anderen Waren. Mit einem Containerumschlag von rund 20 Millionen TEU steht der Hafen im Süden Chinas heute zwar nur noch an sechs­ter Stelle – nach Schanghai, Singapur, Shenzhen und zwei weiteren chinesischen Häfen. An Frachtumschlag hat Hongkong dennoch nicht eingebüßt. Die heutige chinesische Sonderverwaltungszone bleibt einer der verkehrsreichsten Angelpunkte zwischen China, Südostasien und dem Rest der Welt. Fast 40.000 Schiffe legen hier pro Jahr an. Keine Frage: Hongkong war lange Zeit mit Abstand der wichtigste

Umschlagplatz für Industrieprodukte zunächst aus Hongkong selbst, später aus ganz China. Die nur von einem schmalen Fluss getrennte Industriemetropole Shenzhen mit ihrem ebenfalls hochmodernen Tiefseehafen auf dem chi­ nesischen Festland hat Hongkong in den letzten Jahren beim Containerumschlag eingeholt. Und auch der Hafen von ­Guangzhou ist keine 100 Kilometer entfernt. Doch in der gleichen Zeit ist der Kuchen sehr viel größer geworden. Gleich hinter der Hongkonger Stadtgrenze beginnt eines der größten Indus­triegebiete der Welt, das Perlflussdelta. Fast 80 Millionen ­Menschen leben hier, arbeiten in Hunderttausenden Fabriken. Die Region erzeugt ein Drittel des gesamten chine­si­sch­en Exports. Rund ein Drittel dieser Waren verlässt die Region auch weiterhin über den Containerhafen von Hongkong. Das vorgelagerte Territorium, das bis 1997 britische Kronkolonie war, genießt als chinesische Sonderverwaltungszone bis heute eine Sonderstellung – mit vielen Vor­­­­ zügen für Unternehmer: »In Hongkong können Sie eine ­Firma innerhalb eines Tages gründen und eintragen«, sagt ­Andrew Au, Chefökonom der Hongkonger Regierung. Zwar habe sich ein Großteil der Produktion in den letzten 20 Jahren aufs chinesische Festland verlagert, sagt Au. Ihren Sitz hätten die meisten Unternehmer aber weiter in Hongkong gehalten, darunter Tausende US -amerikanische und europäische Unternehmen. Der Anteil von Handel und Logistik an Hongkongs Wirtschaftsleistung liegt bei über 25 Prozent. Und ein Großteil davon sei dem Hafen zu verdanken. Hinzu kommt, dass sich auch im Perlflussdelta die Wertschöpfung verändert. Nicht mehr Plastikspielzeug und ­Turnschuhe würden in den umliegenden Industrieregionen produziert, sondern High-Tech, sagt der Logistikexperte James Wong von der Polytechnischen Universität Hongkong. Dienstleistungen spielten auch im Logistiksektor eine ­zu­nehmende Rolle. Und da sei Hongkong, traditionell inter­ national aufgestellt, in der globalen Lieferkette sehr viel besser positioniert als die Konkurrenz auf dem chinesischen Festland.


Japan

rund 1.703 km

Osaka, Tokio

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kfz und Kfz-Teile Maschinen Elektronik

2 /36 LANDESSPRACHE

Japanisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Nahrungsmittel Erdöl

47,3 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

11,15 °C LANDFLÄCHE

377.930 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

1.218.772  km / 16.704 km AUSSENHANDELSQUOTE

35,60 %

NATIONALFEIERTAG

Geburtstag des Kaisers:  23. Dezember TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Miso-Suppe und Sashimi – rohe Fischfilets oder ­Meeresfrüchte, fein filitiert BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Black Rain« (Regie: Ridley Scott)* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Sake, Pokemon

Ein Tipp von GW -Mitarbeiter Stefan Aebi


HOFFNUNGEN: JAPAN 33

Wenn Menschen zu Helfern von Maschinen werden text:  Martin Fritz Intelligente Maschinen können menschliche Arbeitskraft ersetzen – und anderswo Arbeitsplätze für ­Menschen schaffen. In Japan hat dieser Prozess gerade begonnen. Mit der Zukunft kommen die Automaten. Und das nicht erst übermorgen. Bereits 2017 hat der Lebensversicherer Fukoku als einer der ersten in der Branche fast drei Dutzend Mit­ar­ beiter durch die künstliche Intelligenz (KI ) des IBM Watson Explorers ersetzt. Die schlaue Software durchforstet seit­ dem alle Unterlagen zur Kranken­geschichte von Patienten. Dann ­prüfen die Algorithmen, welche Ausgaben von den Klauseln der individuellen Ver­sicherungspolice gedeckt sind, anschlie­ßend kalkuliert die Software die Auszahlungssumme an den Versicherungsnehmer. So lassen sich die Pro­dukti­ vität der Regulierungs­abteilung um 30 Prozent steigern und die Kosten senken. Und Fukoku ist nicht das einzige Asse­­­­ kuranz-Unternehmen ­geblieben, das auf KI setzt: Nippon Life benutzt ein KI -­Programm, um bestmögliche Versicherungsangebote für ihre Kunden zu entwickeln und zu analysieren. Die Software berücksichtigt dabei alle 40 Millionen bereits abgeschlossenen Verträge. Der Versicherer Dai-ichi Life setzt ebenfalls den Watson Explorer bei der Bearbeitung von Auszahlungen ein. Andere werden folgen: Nach jüngsten Berechnungen des Forschungsinstituts Mitsubishi werden künstliche In­telli­ genzen und richtige Roboter bis 2030 die Arbeitsplätze von 7,4 Millionen Japanern übernehmen. Was wie ein Schreckensszenario klingt, soll für Japan nach dem Willen der Regierung ein Segen sein. Denn die japanische Bevöl­kerung schrumpft so rasch, dass schon heute überall Arbeitskräfte gesucht ­werden. Darauf ist der Einsatz von KI eine passende Antwort. Durch die neue Technik würden bis 2030 zugleich fünf Mil­ lionen neue Jobs geschaffen, s­ chätzen die Mitsubishi-­Forscher. Die netto freigesetzten 2,4 Millionen Arbeitskräfte landen jedoch nicht auf der ­Straße, sondern könnten in den Service-­ Sektoren der Wirtschaft unterkommen. Dort herrscht bereits heute starker Mangel an Arbeitskräften.

Die Zahl der Arbeitslosen in Japan wird deswegen nicht nach oben schnellen. Denn in vielen Service-Branchen sind Arbeitskräfte so knapp wie noch nie. In Japan herrscht bei einer Arbeitslosenrate von 3,1 Prozent de facto Vollbeschäf­ tigung – und dies trotz einer seit Jahren steigenden Zahl von Erwerbstätigen. Auf 100 Arbeitssuchende kamen zuletzt 141 Stellenangebote. Darunter sind viele Tätigkeiten im ­Einzelhandel, in Restaurants, auf dem Bau und in der Alten­ pflege. Solche Arbeiten werden oft in Teilzeit und mit begrenzter Vertragszeit vergeben. In diesen Bereichen könnten die freigesetzten Mitarbeiter aus den Versicherungsfirmen ohne großen Verdienstrückgang schnell unterkommen. Noch ein zweiter Faktor macht Japan zum Sonderfall. In ­Nippon ist die wichtigste Aufgabe eines Unternehmens, ­Arbeitsplätze zu schaffen und bis an die Grenze des Möglichen zu erhalten. Der Gewinn und die Dividende spielen tradi­tionell eine untergeordnete Rolle. Wenn es für fest­an­ gestellte Mitarbeiter gerade keine »richtige« Arbeit gibt, werden sie trotzdem beschäftigt – und sei es auf scheinbar sinnlose ­Weise. Oft sieht man Menschen, die Schilder mit Informationen hochhalten »Zur Veranstaltung XYZ nach rechts gehen« oder überflüssige Durchsagen mit dem Megafon machen: »Die Rolltreppe ist kaputt, bitte die Treppe ­nehmen«. Darüber kann man sich lustig machen. Aber das schont den Sozialstaat und die Allgemeinheit. Für solche Aufgaben wird man auch in Zukunft keine künst­liche Intelligenz einsetzen. Japan scheint damit ein gutes Umfeld zu haben, um die kommende Automatisierung ohne soziale Aufstände zu verkraften. Und noch gibt es ­Bereiche, in denen der Mensch nicht zu schlagen ist: Einem speziellen KI -Programm ist es nicht gelungen, die Aufnahmeprüfung der Universität Tokio zu bestehen. »KI ist nicht besonders gut bei Prüfungsfragen, die ein Verständnis über ein breites Spektrum voraussetzen«, gesteht Professor ­Noriko Arai vom Nationalen Informatik-Institut. Die Forscher haben ihr Projekt vor wenigen Wochen aufgegeben.


Kanada

rund 4.604 km

Montreal, Toronto, Vancouver

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kfz und Kfz-Teile Erdöl Nahrungsmittel

3 /16 LANDESSPRACHE

Englisch, Französisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Kfz und Kfz-Teile Maschinen Elektrotechnik

42,2 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

– 5,35 °C LANDFLÄCHE

9.984.670 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

1.042.300 km / 52.131 km AUSSENHANDELSQUOTE

64,40 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1867:  1. Juli TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Poutine – Pommes mit Bratensauce und ­Cheddar­käsewürfeln BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Alice Munro: »Himmel und Hölle« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Ahornsirup


HOFFNUNGEN: KANADA 35 HOFFNUNGEN: XXX 35

Highway zur Arktis

Weil sie über Permafrostboden führt, ist die Allwetter-Autobahn ­unbefestigt.

text:  Jörg Michel Vor einem Jahr wurde Kanadas erste Straße zum Eismeer eröffnet. Die Menschen hoffen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung, Erleichterungen im Alltag und mehr Tourismus. Die Fahrt ans Eismeer beginnt ganz unspektakulär: Kein Schild, kein Pfeil, keine Ampel weist den Weg in Richtung Norden. Was auch nicht nötig ist, denn hier oben gibt es ­ohnehin nur eine Straße. Sie ist vereist und führt vorbei an Hütten aus Wellblech, windschiefen Telegrafenmasten und im Schnee geparkten Motorschlitten. Dann sind wir in der Wildnis. Draußen hat es minus 30 Grad, der Wind rüttelt am Fahrgestell, feine Schneekristalle haben sich auf die Rückspiegel gelegt und die Sicht reicht nur ein paar Hundert Meter. Das also ist die Straße, die so viele Hoffnungen weckt: der Inuvik-Tuk-Highway, eine der einsamsten Autostraßen der Welt. Die Piste beginnt im kanadischen Städtchen Inuvik etwa 350 Kilometer über dem Polarkreis und endet nach über 137 Kilometern in der Inuit-Siedlung Tuktoyaktuk am arktischen Ozean. Der Inuvik-Tuk-Highway gilt als die nördlichste Straße in Kanada und die erste Allwetter-Route des Landes, die bis ans Eismeer führt. Fertiggestellt wurde sie letzten Herbst nach drei Jahren Bauzeit und hat rund 300 Millionen Dollar gekostet. Mit ihr will Kanada die Wirtschaft im hohen Norden fördern, den Tourismus ankurbeln und seine Souveränität in der Arktis untermauern. Bei dem Projekt standen die Ingenieure vor großen ­Herausforderungen: Die unbefestigte Route, die mit maxi­ mal 70 Stundenkilometern befahren werden soll, führt über Permafrostboden. Ein bis zu zwei Meter tiefes Straßenbett soll verhindern, dass die Straße im Sommer absackt – was nicht immer gelingt und bisweilen zu Sperrungen führt. Im Winter dagegen ist der Straßenbelag gefroren und hart wie Beton. Wie eine riesige Schlange windet sich die Fahrbahn durch die Tundra und die Augen haben Mühe, bei der Fahrt irgendwo Halt zu finden. Außer kleinen Bäumen und Sträuchern gibt es hier nichts, keine Leitplanken oder Entfernungsmarker, keine Tankstellen oder Toiletten.

Dafür Wildnis pur – und davon profitieren Menschen wie Kylik Kisoun Taylor. Wir treffen den 33-Jährigen unterwegs. Taylor ist halb Ureinwohner und betreibt in der Region ein kleines Tourunternehmen. »Das Interesse der Besucher an der Arktis ist gewachsen und hat Potenzial«, erzählt er. »Auch wenn wir hier sicher keinen Massentourismus erleben werden.« Noch steckt der Tourismus in der Region in den Kinderschuhen und die Infrastruktur an Unterkünften oder Restaurants ist dünn. Doch Jahr für Jahr kommen neue Angebote hinzu. Taylor nutzt den Highway als Startpunkt für Abenteuer-Touren in die Tundra. Seine Gäste können dabei in einem Iglu übernachten oder eine Rentier-Herde in der Wildnis besuchen. Nach gut zwei Stunden Fahrt hat der Himmel aufgeklart und in der Windschutzscheibe taucht ein Sendemast auf, dann eine Radarstation, ein paar Öltanks und Container. Wir sind am Ortseingang von Tuktoyaktuk. Hier haben sich ­Öl- und Gasfirmen angesiedelt, denn in der Region werden ­große Vorräte an Erdöl, Erdgas, Mineralien und Edelmetalle vermutet. Die Industrie begrüßt den Highway, denn er erleichtert den Zugang zur bislang abgelegenen Region – auch wenn sich die meisten Hoffnungen auf eine Hebung der Ressourcen bislang nicht erfüllt haben. Wegen zu niedriger Rohstoffpreise lohnt sich das Geschäft zurzeit nicht und die Regierung hat für Teile der Region ein Moratorium zur Ausbeutung erlassen. Erleichterungen bringt der Highway für die 900 Bewohner von Tuktoyaktuk. In einem Holzhäuschen hinter dem Orts­eingang treffen wir Maureen und James Pokiak. Die pen­ sionierte Lehrerin ist vor fast 50 Jahren aus dem Süden ­Kanadas in die Siedlung gezogen. Wie schon seine Vorfahren arbeitet James als Jäger und Fallensteller. Noch sind sich die Pokiaks nicht sicher, wie sehr der High­ way ihr Leben verändern wird, sagen sie. Sicher aber ist: Besuche bei Freunden sind unkomplizierter als früher, auch das Einkaufen fällt leichter. Weil die Kosten für Luftfracht wegfallen, sollen auch die hohen Preise für Alltagsgüter ­sinken, langfristig jedenfalls. In Tuktoyaktuk hat eine neue Zeitrechnung begonnen.


Kasachstan

rund 1.655 km

Almaty

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Erdöl Nichteisenmetalle Eisen und Stahl

1/9 LANDESSPRACHE

Kasachisch, Russisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen Nahrungsmittel Eisen und Stahl

30,6 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

6,40 °C LANDFLÄCHE

272.490 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

97.418 km / 14.767 km AUSSENHANDELSQUOTE

61,80 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1991:  16. Dezember TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Samsa – traditionell im Tandoor-Ofen gebackene ­Teigtaschen, meist mit Pferde- oder Hammelfleisch gefüllt BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Mukhtar Auezov: »Abai Zholy«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Hartweizen  Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Ailyana Aletova


HOFFNUNGEN: KASACHSTAN 37

B   ereit für den   ­A   ufschwung Kasachstans Tor zur Neuen ­Seidenstraße

Naziyam Ibragimova fühlt sich in Khorgos schon ganz wohl.

text:  Edda Schlager Auf der Seidenstraße kamen einst Stoffe, Porzellan und ­exotische Gewürze aus China nach Europa. Moscheen und Medressen in Zentralasien zeugen noch heute vom Glanz einer Zeit, da der Handel zwischen Orient und Okzident ganzen Regionen zu Wohlstand verhalf. Diesen Mythos will China wiederbeleben – mit der ­»Neuen Seidenstraße« und Investitionen von mehr als einer Billion Euro. Ende 2013 brachte Chinas Staatschef Xi Jinping das gigantische Infrastrukturprogramm auf den Weg, die »Belt and Road Initiative« (BRI ). Längst sprengt die BRI die Pfade seines mittelalterlichen Vorbilds, denn China investiert weltweit in den Ausbau von Transportwegen. Auch der Kasache Zhenis Turkiya will von dem Mammutprojekt profitieren. Er ist Investor und Bauherr eines Hotelund Shoppingkomplexes in Khorgos, auf dem Gelände des sogenannten Internationalen Zentrums für Grenzzusammen­ arbeit ICBC . »Wir sind hier eine der ersten Investoren aus Kasachstan und es gibt sicher viele Risiken«, sagt Tur­ kiya. »Aber es bieten sich auch unheimlich viele Möglich­ keiten.« Khorgos ist Kasachstans Tor zu Neuen Seidenstraße, rund 1.500 Kilometer südöstlich der kasachischen Hauptstadt Astana. Das ICBC ist ein 800 Hektar großes Territorium rund um den kasachisch-chinesischen Grenzübergang – die Basis für gemeinsame Wirtschaftsprojekte beider Länder, mit visafreiem Regime in beide Richtungen und Steuervergünstigungen. Turkiyas Hotel soll 180 Zimmer haben und Geschäftsleute wie Touristen gleichermaßen anziehen. Auch Casinos, eine Rennbahn, Wellness-Tempel und Schönheitskliniken sind geplant. Noch ist davon kaum etwas zu sehen. Während in den vergangenen Jahren auf chinesischer Seite in Khorgos eine komplett neue Stadt entstand, sieht man diesseits der kasachischen Grenze bislang noch eine riesige Baustelle. Turkiya will das Hotel dennoch 2018 fertig bauen. »Kasachstan ist oft zögerlich, Genehmigungen zu erteilen«, sagt er. »Das verstehe ich nicht, denn wir haben ein Riesenpotenzial, auch eigene Produkte nach China zu verkaufen.«

20 Kilometer weiter funktioniert die Logistik auf der ­ euen Seidenstraße schon recht gut. Der »Dry Port Khorgos« N ist ein Umschlagplatz, an dem Container wegen unterschied­ licher Spurbreiten von chinesischen Zügen auf kasachische Züge umgeladen werden. Bisher dauerte es 45 bis 50 Tage, um chinesische Güter auf dem Seeweg nach Europa zu senden. Auf dem Landweg über Kasachstan ist die Transportzeit halb so lang. Auch wenn die Kosten dafür bis zu zehnmal so hoch sind, lohnt sich das für viele Kunden. Naziyam Ibragimova ist PR -Managerin beim Dry Port Khorgos und führt regelmäßig Besucher über das Gelände mit den markanten gelben Containerbrücken. Die 25-Jährige ist überzeugt, dass Khorgos der ganzen Region hier im ­äußersten Südosten Kasachstans zu einem Aufschwung verhelfen wird. Ibragimova stammt aus der Region, lebte jedoch mehrere Jahre in Almaty. »Ich selber hätte das nie gedacht, aber ich bin aus der Stadt zurückgekehrt, weil ich hier ein besseres Arbeitsangebot hatte«, sagt sie. Ihr Arbeitgeber hat ihr eine Wohnung in Nurkent besorgt, einer Satellitenstadt wenige Kilometer entfernt, die nur für Angestellte des Dry Ports gebaut wurde. Bisher leben hier 1.200 Einwohner, ­geplant ist die Stadt jedoch für 100.000 Menschen. Trotz der etwas trostlosen Umgebung – direkt hinter Ibragimovas Plattenbau beginnt die Steppe – freut sich die junge Frau, hier zu sein. »Wir wohnen mietfrei und haben alles, was wir brauchen, Kindergarten, Schule, Geschäfte.« Zwischen dem Dry Port und Nurkent fährt täglich ein Shuttle-Bus – auch der ist kostenlos. Über eine Rückkehr in die Stadt denkt Ibragimova nicht nach. Und auch Investor Turkiya ist bereit, auf Hotelgäste zu warten, falls nötig. Selbst wenn die Träume Kasachstans auf einen schnellen Boom der Region um Khorgos nicht ganz so rasch umgesetzt werden, wie anfangs geplant – das Tor zur Neuen Seidenstraße steht offen.


Kroatien

rund 463 km

Rijeka, Split, Zagreb

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Nahrungsmittel Maschinen Rohstoffe

4 /111 LANDESSPRACHE

Kroatisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Nahrungsmittel Maschinen Kfz und Kfz-Teile

43 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

10,90 °C LANDFLÄCHE

56.595 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

26.958 km / 2.604 km AUSSENHANDELSQUOTE

99,60 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1991:  25. Juni TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Zagorski Štrukle– süßer oder deftiger Strudel, der gekocht oder gebacken wird BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Winnetou-Filme* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Schinken, Käse, Olivenöl

Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Suzana Takač


HOFFNUNGEN: KROATIEN 39

Mate Rimac präsentiert das C_Two Hypercar.

R   imac Automobili –   ­B   litzstart aus der   G   arage text:  Marijan Vrdoljak Ein schwüler, verregneter Julitag, der Verkehr bahnt sich sei­nen Weg durch Zagreb. Mittendrin ein dunkler Kombi, nicht weiter auffällig. Doch auf den zweiten Blick bemerkt man, dass der Beifahrer während des feierabend­ lichen ­Stop-and-go-Verkehrs die Augen nicht von seinem Laptop nimmt. Und dass die Fahrerin das Steuer nicht berührt, nicht einmal beim Spurwechsel. Wird hier ein Film gedreht? Ist das versteckte Kamera? Nein, ein Blick auf das überklebte Renault-Logo verrät, worum es sich handelt: Rimac Autonomous Driving. Ein weiterer Geniestreich von Mate Rimac, dem Wunderkind der kroatischen Automobilindustrie. Schon zum dritten Mal erregte der junge Autobauer innerhalb kurzer Zeit die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Erst präsentierte er auf dem diesjährigen Genfer Automobilsalon sein Concept Two, dessen Leistungsdaten so manches Kleinflug­zeug erblassen lassen: 1.914 P S katapultieren den elektrisch­ en Supersportwagen in nur 1,85 Sekunden von null auf 100 Kilo­­meter pro Stunde, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 412 Stundenkilometern. Einige Monate später sicherte sich die Porsche AG einen Anteil von 10 Prozent an Rimac Automobili und der Tochterfirma Greyp Bikes. War Kroatien bis vor einigen Jahren noch ein weißer Fleck

auf der automobilen Weltkarte, hatte sich das dank eines erfolgreichen Start-ups schlagartig verändert. Mate Rimac ist der einzige Autohersteller in Kroatien. Zwar stellen Zulieferfirmen wie AD Plastik oder Lipik Glas Teile für Automarken wie Ferrari, BMW und VW her, doch erst seitdem Rimac 2009 seine Firma Rimac ­Auto­mobili ins Leben rief, werden in Kroatien tatsächlich A ­ utos gebaut. Dabei war das Unternehmen damals noch ­meilenweit von der professionellen Automobilherstellung entfernt. Ähnlich wie Steve Jobs begann Mate Rimac seine Karriere in einer Garage. Dort schraubte der leidenschaftliche ­HobbyRennfahrer mit Freunden Tag und Nacht an einem 1984er BMW 323i herum. Nachdem der Benzinmotor während ­eines Rennens den Geist aufgab, musste etwas Neues, etwas ­Re­volutionäres her, das die Konkurrenz weit überbieten ­würde. Rimac entschloss sich, den alten BMW komplett auf Elektroantrieb umzurüsten. Er holte sich Experten an Bord und b ­ egann, eigene Bauteile zu produzieren – der Grundstein für Rimac Automobili war gelegt. Am 17. April 2011 war es so weit – der E30 erblickte auf einer Teststrecke in der Nähe von Zagreb das Licht der Welt. Die Daten des überarbeiteten Dreier-BMW s waren faszinierend: 600 P S , 900 Newtonmeter Drehmoment, von null auf


40

100 Kilometer pro Stunde in 3,3 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 280 Stundenkilometern. Der damals 23-jährige Rimac schrieb Automobilgeschichte: Gleich fünf FIA Weltrekorde für Elek­tro­fahrzeuge stellte er mit seinem »grünen Monster« auf. Während sich Autofans noch erstaunt die Augen rieben, ­arbeiteten Mate und sein Team schon längst an ihrem ­nächs­ten Clou: dem Concept One. Das Concept One war das erste von Rimac Automobili komplett in Eigenregie gebaute Fahrzeug. Vom futuristischen Design bis hin zu den einzelnen Komponenten wurde alles von dem nun schon mehrere Dutzend Mitarbeiter zählenden Werk in Sveta Nedelja entwickelt und auch das meiste in Eigenregie hergestellt. Die Weltpremiere auf der Frank­furter Automesse sorgte für Furore, denn noch nie hatte es einen Supersportwagen mit solch einer Leistung auf Basis eines

Nikola Tesla hat mit seinen Erfindungen den Bau des Verbrennungs­­motors maßgeblich vorangetrieben. Nur 200 Kilometer entfernt fertigt R ­ imac ­Automobili heute den elektrischen Supersportwagen Concept One.

Elektroantriebs gegeben: von null auf 100 Kilometer schafften es die vier voneinander unabhängigen Elektromoto­ ren des Concept One in etwas über 2,8 Sekunden und die ­elektronisch abgeriegelte Höchstgeschwindigkeit lag bei 340 Stundenkilometern. Nach dem Erfolg in Genf kamen die ersten Investoren und Rimac Automobili wuchs stetig weiter. Heute beschäftigt Rimac rund 400 Mitarbeiter, die Komponenten und ­Systeme sowohl für andere Hersteller (unter anderem für Seat und Jaguar) fertigen, als auch eigene Autos und Elektrofahrräder unter dem Namen Greyp bauen und weiter­­ entwickeln. Vom Start-up aus der Garage zu einem der weltweit führenden Elektroautomobilhersteller, sozusagen von null auf 100, schaffte es Rimac in weniger als zehn Jahren. Dabei ist er selbst gerade erst 30 geworden.


HOFFNUNGEN: KROATIEN 41

Greyp Bikes bringt Technik und Mechanik von Fahrrädern und ­Motorrädern zusammen, um leistungsstarke E-Bikes zu bauen.

Küstenkilometer, Start-ups und der ganz eigene Weg interview:  Imke Borchers Barbara Bujacic, Landesleiterin bei ­Gebrüder Weiss ­Kroatien, im Gespräch. Was zeichnet die Logistikbranche in Kroatien aus? Wir leben in einem kleinen, aber aus logistischer Sicht anspruchsvollen Land: Kroatien hat mehr als 26.000 Kilometer Straße und mehr als 6.000 Kilometer Küste, die zahlreichen Inseln mitgezählt. Ich finde, diesen Bedingungen haben wir uns sehr gut angepasst. Rimac Automobili ist ein international erfolgreiches Start-up aus Kroatien. Kennen Sie das? Klar kenne ich Rimac. Wir arbeiten mit der Schwesterfirma Greyp Bikes zusammen, die tolle Elektroräder entwerfen, entwickeln und herstellen – eine beeindruckende technische Leistung! Wir haben 2014 den internationalen Transport für diese junge Firma übernommen und seitdem ist die ­Zusammenarbeit immer enger geworden. Man könnte ­sagen: Mit Greyp Bikes beliefern wir die Welt. Die Räder ­werden in 26 Ländern auf fünf verschiedenen Kontinenten vertrieben. Ich glaube, der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, dass sich das Unternehmen auf das konzentriert, was es am besten kann: Technologie und Mobilität. Die Räder vereinfachen den Alltag der Leute. Haben Sie weitere Kunden aus der Start-up-Szene? Die meisten Start-ups sind aus der IT -Branche und die haben natürlich keine Waren zu verschicken. Aber diejenigen der jungen Unternehmen, die Logistik oder Transport brauchen,

kommen auf uns zu, weil sie unsere Beratung und unser Netzwerk schätzen. Und auch wir arbeiten gerne mit diesen Kunden zusammen und wachsen mit ihnen gemeinsam. Wo sehen Sie die wirtschaftliche Zukunft Ihres ­Landes? Wir profitieren viel vom Tourismus. Aber es gibt auch viele andere Bereiche, auf die Kroatien in Zukunft bauen sollte und die unsere Wirtschaft beeinflussen können, zum Beispiel Projekte wie die Entwicklung des Containerhafens in Rijeka und das Terminal für Flüssiggas auf einer schwimmenden Anlage vor der Insel Krk, das Zentral- und Südosteuropa mit Gas versorgen soll. Sie sind eine Frau an der Spitze. Ist das in ­Kroatien etwas Besonderes? Es gibt in Kroatien immer noch viel weniger weibliche als männliche Führungskräfte. Aber es ist nicht mehr ganz ­so ­ungewöhnlich wie früher. In meinem Berufsleben sind mir Dinge widerfahren, die mir als Mann so eher nicht passiert wären. Aber aus diesen Situationen bin ich gestärkt und selbstbewusst herausgegangen. Typisch weibliche Eigen­ schaf­­­ten wie eine gute Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Kreativität unterscheiden mich von meinen männlichen Kollegen – und sie sind in unserer beschleunigten Welt ein Vorteil. Ich habe mein Geschlecht aber nie als Recht­fertigung oder als Ausrede benutzt, sondern bin einfach b ­ eharrlich meinen Weg gegangen. Das hat sich als richtige Entscheidung erwiesen und darüber bin ich sehr froh.


Mazedonien

rund 169 km

Skopje

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

chemische Erzeugnisse Textilien und Bekleidung Eisen und Stahl

1/17 LANDESSPRACHE

Mazedonisch, Albanisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Nichteisenmetalle chemische Erzeugnisse Nahrungsmittel

37,9 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

9,80 °C LANDFLÄCHE

25. 713 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

14.182 km / 683 km AUSSENHANDELSQUOTE

113 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitsreferendum 1991:  8. September TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Cevapčići BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Petre M. Andreevski: »Quecke« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Honig


HOFFNUNGEN: MAZEDONIEN 43

­»Als Unterneh­mer habe ich ­soziale Verantwortung«

Freitags mal nicht im Büro: Eine Mitarbeiterin von Breon beim sozialen Dienst.

text:  Keno Verseck Der Bautechniker Fikret Zendeli, 35, flüchtete als Kind aus Mazedonien in die Schweiz. Nach dem ­Stu­dium ­kehrte er in sein Geburtsland zurück und gründete ­erfolgreich eine Firma für Bauplanung. Als Unternehmer ist ihm soziales Engagement wich­­tig, deshalb erfand er das Projekt »Social ­Friday«. ­Dafür wirbt er nun international. An einem verschneiten Abend im Dezember 2009 fährt ­Fikret Zendeli, damals 26, im klapprigen Golf III seines ­Vaters von Zürich aus in ein neues, ungewisses Leben. Vor sich 1.700 Kilometer durch sieben Länder, auf dem Rück­ sitz zwei PC s. Nach 20 Stunden kommt er in Skopje an, der Hauptstadt seines Geburtslandes Mazedonien, das er als Neunjähriger mit seiner Familie verlassen hat. Nun ist er zurückgekommen, um zu bleiben. Heute, neun Jahre später, ist Fikret Zendeli ein erfolgreicher Unternehmer. Er leitet in Skopje eine Firma für Bauund Konstruktionsplanung, beschäftigt zehn Mitarbeiter und gehört zu den hochwertigsten Anbietern von Bauingenieurs-­ Dienstleistungen der Region. Doch Zendelis Erfolgsgeschichte erschöpft sich nicht darin, dass er es als Rückkehrer in Mazedonien zu wirtschaftlichem Erfolg gebracht hat. Bekannt geworden ist Zendeli über seine Branche hinaus vor allem durch sein soziales ­Enga­gement. Er hat letztes Jahr den sogenannten »Social Friday« erfunden – den Freitag, an dem er und seine An­ gestellten in Sozialprojekten gemeinnützige Arbeit verrichten. Das Projekt hat viel mit seiner eigenen Lebensgeschichte zu tun. Zendeli wurde im Ort Gostivar in Westmazedonien geboren. Sein Vater war Gastarbeiter in Deutschland, später in der Schweiz, wo er als Maler arbeitete. Materiell sei es oft schwierig gewesen für die Familie, erzählt Zendeli. Aber früh hätten ihm seine Eltern, vor allem sein Vater, vermittelt, wie wichtig Solidarität mit Schwächeren sei. Aus Angst vor dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien holte der Vater seine Frau und die drei Kinder 1992 in die Schweiz. Sie seien ungeheuer freundlich aufgenommen ­worden, schwärmt Fikret Zendeli. Er studierte Bautechnik und be­ kam nach dem Abschluss ein lukratives Arbeitsangebot einer

Schweizer Baufirma. Er lehnte ab – zum Entsetzen s­ einer Familie. Und ging nach Mazedonien. Es war, erzählt Zendeli, weniger die Suche nach seinen Wurzeln, als vielmehr Abenteuerlust und der Ehrgeiz, in seinem Geburtsland ein Unternehmen aufzubauen, das »in der Lage ist, beste Qualität in die Schweiz zu liefern«. Das hat Zendeli mit seiner Firma Breon offenbar geschafft, jedenfalls wenn man sich seine Projekte anschaut, die von Bauplänen für Bürohochhäuser bis hin zur Planung von Umbauarbeiten an historischen Gebäuden reichen. Doch nicht nur das. Zendeli bemüht sich auch, gute Arbeitsbedingungen zu bieten. Breon zahlt mehr als das Doppelte des mazedo­ nischen Durchschnittslohns, daneben Boni, ­Urlaubs- und Kindergeld sowie Zuschüsse für Freizeitaktivitäten. Die Idee für den »Social Friday« kam Zendeli, als er ­letztes Jahr einen Zeitungsartikel über eine britische Um­fra­ ge las, der zufolge die meisten Arbeitnehmer ab Freitag­ mittag kaum mehr bei der Sache sind. Warum diese un­pro­ duktive Zeit nicht anders nutzen, dachte sich Zendeli – und organisierte vierteljährlich an Freitagen die Mitarbeit in ­einem gemeinnützigen oder Sozialprojekt. Er und seine ­Mitarbeiter pflanzten Bäume, kochten für Obdachlose oder ­bastelten mit Waisen- und Heimkindern. Für die Breon-­­Mit­ arbeiter ist es selbstverständlich bezahlte Arbeitszeit, als Unternehmer spendet Zendeli außerdem für die Projekte. Inzwischen hat sein Beispiel anderswo Schule gemacht. In Lettland veranstaltete die Kosmetikfirma Oriflame Ende August erstmals einen »Social Friday«. Zendeli bekam Anfra­gen aus dem Kosovo, der Schweiz und Portugal. Das brachte ihn auf die Idee, eine internationale Kampagne für sein ­Sozialprojekt zu starten: Er will demnächst ein Werbe­ video über den »Social Friday« in Skopje drehen lassen und an prominente Unternehmer und Politiker Social-Friday-­ Pullover verschicken. »Als Unternehmer habe ich eine große soziale Verantwortung«, sagt Fikret Zendeli. »Ich kann mir doch keine Yacht leisten, während es meinen Mitarbeitern und meinen Nachbarn schlecht geht! Wenn es im Nachbarhaus brennt, muss ich mich kümmern, sonst brennt es irgendwann auch bei mir.«


Montenegro

rund 190 km

Podgorica

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Nichteisenmetalle Rohstoffe Strom

1 /6 LANDESSPRACHE

Montenegrinisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Nahrungsmittel Petrochemie Kfz und Kfz-Teile

40,7 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

10,55 °C LANDFLÄCHE

13.812 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

7.762 km / 336 km AUSSENHANDELSQUOTE

107,90 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1878 und Aufstand gegen deutsche Okkupation 1941:  13. Juli TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Pita – Jufka-Blätter mit Käse, Spinat oder Fleisch gefüllt BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Meet me in Montenegro« (Regie: Alex Holdridge, Linnea Saasen) GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Birnenschnaps


HOFFNUNGEN: MONTENEGRO 45

Endlich im Warmen lernen

Auch in den abgelegenen Dörfern von Montenegro sollen die öffentlichen Gebäude eine ordentliche Heizung bekommen.

text:  Martin Kaluza Als Bodo Schmülling das erste Mal die Schule in Pljevlja ­besuchte, sah er gleich, dass dies keine gute Lernumgebung war. Das Gebäude war marode, die Heizung bestand aus einem sehr alten Kohleboiler. Und hier kann es bitter kalt werden: Die Stadt liegt in den Bergen im nördlichen Montenegro, im Winter fallen die Temperaturen oft auf zehn oder gar 15 Grad unter null. Schmülling arbeitet für die deutsche Kf W-Entwicklungsbank. Und er leitet ein Projekt, das die Energieeffizienz in den öffentlichen Gebäuden Montenegros steigern soll, vor allem in Schulen. Im ganzen Land lassen sich öffentliche Gebäude nicht richtig heizen. Die 233 Schulen Montenegros wurden jahrzehntelang nicht saniert, einige sind schon fast hundert Jahre alt. Die Gebäude können die Wärme kaum halten, weil die Dächer undicht sind, die Fenster nur einfach verglast. An vielen Wänden hat sich Schimmel gebildet. Zumindest war es lange so. Montenegro, bis 1992 Teil Jugoslawiens und seit 2006 von Serbien unabhängig, hat gerade einmal 640.000 Einwohner. Der Staat ist von Energieimporten abhängig, ­ 40 Prozent seines Stroms kommen aus dem Ausland. Um­ so schwerer wiegt die Energieverschwendung in öffentlichen Gebäuden. Doch im Moment sieht alles danach aus, dass sich die Lage nachhaltig verbessert. Vor acht Jahren erließ die Regierung ein Gesetz, dass die Energieeffizienz des ­Landes verbessern soll. Sie zog Experten aus dem Ausland zurate, unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ ). Durch Kredite der KfW wurden zunächst 21 Schulen für 11,5 Millionen Euro saniert: Deutsche und lokale Energieberater begutachteten die Gebäude, auf der Basis des Energieberichts schrieb das montenegrinische Wirtschaftsministerium die Sanierungs­ arbeiten aus und beauftragte lokale Baufirmen, um Heizungs­

anlagen zu erneuern, Isolierfenster einzubauen und Dächer abzudichten – einfache Maßnahmen, die sehr effektiv sind. »Der alte Standard war so niedrig, dass die Temperaturen jetzt behaglich sind und die Schulen trotzdem weniger Geld für die Heizkosten ausgeben«, erklärt Schmülling. Die erste Phase des Projekts ist bereits seit Ende 2015 abgeschlossen, die zweite läuft gerade, diesmal mit einem Darlehen von rund 22 Millionen Euro. Eine dritte Phase ist bereits in Planung, aufgestockt auf dann 40 bis 50 Millionen Euro. »Die Projekte sind inzwischen gut eingespielt, es geht voran«, sagt Schmülling. »Wir sind jedes Jahr mit ­Gutachtern vor Ort, um den Fortschritt der Sanierungen zu überprüfen.« Der Nutzen ist an allen Ecken zu sehen: Das an dem Projekt beteiligte Unternehmen Fichtner Bauconsulting rechnet beispielsweise vor, dass die sanierten Schulen im Schnitt jährlich um die 35.000 Euro an Heizkosten sparen. Der Staat kommt damit seinen Klimazielen näher. Die lokale Wirtschaft profitiert von den Bauaufträgen. Und nicht zuletzt können die Schüler sich in den angenehmen Temperaturen besser auf das Lernen konzentrieren – das wird sogar durch begleiten­de Studien der Universität Marburg wissenschaftlich überprüft. »Nachdem in Pljevlja eine moderne Holzpellet-Heizung installiert war, sprachen Anwohner die Schulleitung an, was denn da los sei. Man sehe gar keine Rauchsäule mehr über den Gebäuden«, sagt Schmülling. Ihn freut, dass nicht nur die Luftqualität in der unmittelbaren Umgebung besser wurde. »Es hat auch Nachahmungseffekte gegeben«, berichtet er. »Inzwischen haben einige Anwohner Pellet-­ Heizungen in ihren eigenen Häusern installiert.« – Was im Fall eines öffentlichen Gebäudes gut funktioniert, kann für private Häuser schließlich nicht verkehrt sein.


Österreich

rund 295 km

Bludenz, Feldkirch, Graz, Hall / Tirol, Innsbruck, Kalsdorf, ­Kennelbach, Lauterach, Leoben, Leobendorf, Leopoldsdorf, Linz-­Hörsching, Maria Lanzendorf, Maria Saal, Pöchlarn, Salzburg, Sulz, Wels, Wien, Wien-Schwechat, Wolfurt, Wörgl

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Maschinen und Fahrzeuge bearbeitete Waren chemische Erzeugnisse

38/3.046 LANDESSPRACHE

Deutsch und regional: Slowenisch, Kroatisch, ­Ungarisch DURCHSCHNITTSALTER

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

Maschinen und Fahrzeuge bearbeitete Waren sonstige Fertigwaren

44 Jahre NATIONALFEIERTAG DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

6,35 °C LANDFLÄCHE

83.882 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

133.597 km / 4 .937 km AUSSENHANDELSQUOTE

100,60 %

Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes 1955: 26. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Leberkässemmel – eine Scheibe von einer Art ­Brühwurst in ­Käselaibform im Brötchen BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Robert Seethaler: »Der Trafikant« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Mozartkugeln, Mannerschnitten


HOFFNUNGEN: ÖSTERREICH 47

Schön und gut 20 Fragen an Stefan Sagmeister über Schönheit und Funktion, Österreich und Amerika

text und interview:  Andreas Uebele Was hat Logistik mit dem österreichischen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig zu tun? So einiges. Das ­Verstauen von Gütern und die Zustellung zum vereinbarten Zeitpunkt sind ein ästhetischer Akt: Man kann Pakete, Kisten oder andere Objekte einfach irgendwie in den vorhandenen Stauraum stopfen – oder sinnvoll packen, dicht und platzsparend. Die Ordnung, die so entsteht, ist praktisch, weil der Raum optimal genutzt ist und nichts verrutscht oder beschädigt wird. Außerdem sieht sie besser aus als eine chaotische Beladung und erfreut die Empfängerin oder den Empfänger, wenn alles heil und pünktlich angekommen ist. Und das ist die Brücke zum besagten Pavillon, im Jahr 2018 gesponsert von Gebrüder Weiss. Der österreichische Pavillon auf dem Gelände der Biennale in Venedig wurde erbaut von Josef Hoffmann, einem der wichtigsten Vertreter der österreichischen Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie ist, wenn man so will, eine ­Architektur des ästhetischen Funktionalismus: Die Gebäude sind schön – und gleichzeitig funktionieren sie sehr präzise. Dieses Prinzip wird in einer temporären Installation im ­öster­reichischen Pavillon fortgesetzt. Ein großes, rosafarbenes Gleichzeichen, das in den Boden eingeschnitten ist, ­ver­bindet dort zwei Räume, in denen typografische Filme an die Decke projiziert werden, der eine zu Schönheit (Beauty), der andere zu Funktion (Function). Schönheit ist gleich ­Funk­tion, so die Aussage des amerikanischen Designbüros ­Sagmeister­ ­& Walsh, das diese Installation gestaltet hat. Gründer des Büros ist der Bregenzer Stefan Sagmeister. Das Nachdenken über das Zusammenspiel von Schönheit und Funktion hat eine lange Tradition. Der Satz »Form follows function« von Louis Sullivan beschreibt, dass ­Schönheit, oder genauer: eine schöne Form, dann entsteht, wenn sie aus der Funktion entwickelt wurde. Diese Aussage verdichtete der Architekt Adolf Loos zu »Ornament und Verbrechen« und meinte damit, dass Zutaten, die nicht der Funktion dienen, schlichtweg hässlich seien. – Wir wünschen uns ein schönes Haus und wollen es auch bequem bewohnen können. Aber ist Schönheit denn tatsächlich untrennbar mit Funktion verbunden? 20 Fragen an Stefan ­Sagmeister.

1. Du vertrittst Österreich dieses Jahr auf der Biennale, lebst aber seit 27 Jahren im Ausland. Was ist österreichisch an dir? Ich habe alle meine wirklich prägenden Jahre in Österreich verbracht, bis 18 in Vorarlberg und dann bis 23 in Wien. ­Obwohl ich New York als meine Heimat bezeichnen würde, fühle ich mich als Österreicher – und nicht als Amerikaner. Ich bin mit einer Green Card hier und bin nie Staatsbürger geworden. Die kurze Antwort auf »Was ist österreichisch an dir?«: alles. 2. Schönheit = Funktionalität ist das Thema eurer ­Arbeit. Kannst du mir Alltagsbeispiele nennen? Wir sind in unserem Studio durch Erfahrung darauf gekommen, dass die resultierende Arbeit umso besser funktioniert, je mehr wir die Form ernst nehmen und viel Liebe in die Schönheit stecken. Das lässt sich an zahlreichen Beispielen nachvollziehen: All die funktionalen 70er-Jahre-Wohn­­blöcke, die in den 90ern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand mehr darinnen wohnen wollte – die hätten viel besser funktioniert, wenn Schönheit während der Planungsphase ein Teil des Ziels gewesen wäre. 3. Wo fehlt dir Schönheit? Überall. Im Alltag. Online. Überall. 4. Gibt es Schönheit ohne Funktionalität? Aber ja, und wie! Massenweise! Der größte Teil aller Kunst hat keine oder nur geringe Funktionalität, sie ist. Sie muss nichts tun, nichts können. Der französische Philosoph Theophile Gautier glaubte sogar, dass Funktionalität die Schönheit verhindert. Er meinte, dass nur etwas, das nicht funktioniert, schön sein kann. Das funktionalste Zimmer im Haus? Das Klo. 5. Oder Funktionalität ohne Schönheit? Ja, die gibt es auch. Eine Autobahnabfahrt funktioniert wunderbar – die ideale Kurvatur, um eine Schnellstraße zu verlassen. Aber schön ist die nicht. Die meisten Menschen sind sich darüber einig, dass Autobahnabfahrten nicht schön sind, darum verbringt niemand den Urlaub dort und es gibt keine Hotels unter Autobahnabfahrten. Aber das könnte sich ändern, wenn eine solche Abfahrt mit Liebe und Sorgfalt gestaltet werden würde.


An die Decke zweier Räume werden Animationen zu den Begriffen Beauty und Function projiziert. Das Gleichzeichen am Boden verbindet beide Räume.


HOFFNUNGEN: ÖSTERREICH 49


50

Der Pavillion von Josef Hoffmann auf dem Biennale-Gelände. Rechts: Stefan Sagmeister hat als Grafikdesigner Plattencover für Stars wie Lou Reed und die Rolling Stones gestaltet. In New York betreibt er mit Jessica Walsh die Agentur Sagmeister & Walsh.  www.sagmeisterwalsh.com

6. Kann nicht gerade auch das Kaputte schön sein? Aber ja, in einem bestimmten Kontext, natürlich. Eine John-Chamberlain-Skulptur wird im Dia: Beacon-Museum immer gut aussehen. Aber wenn ich Menschen ein Foto vom Tadsch Mahal und einem Müllhaufen zeige, werden praktisch alle das Tadsch Mahal als schöner empfinden. 7. Was ist an Österreich schön? Der Stephansdom. Das Kunsthaus Bregenz. Der Skyscape von James Turrell in Oberlech. 8. Was ist an Amerika schön? Die Skyline in New York. Der Grand Canyon. »Spiritual« von Pat Metheny und Charlie Haden. 9. Ist Ornament ein Verbrechen? Nein. Ich glaube, das hat am Schluss nicht einmal der Adolf Loos geglaubt. 10. Follows form wirklich function? Nein. Dieser Satz stammt vom Chicagoer Architekten ­Louis Sullivan und wenn man dessen Arbeit betrachtet, zum Beispiel das Eingangsportal zum Carson Pirie Scott-Gebäude, dann wird sehr schnell klar, dass diese Form keinerlei Funktion folgt. Sie ist verziert, verspielt, ornamental. 11. Ist Schönheit ein Luxusbedürfnis? Nein. Wir alle fühlen uns besser in einer schönen Umgebung. Und wir benehmen uns anders. Ich gehe jeden Morgen auf der High Line in New York laufen und habe dort kaum je ein weggeworfenes Papierchen gesehen. 50 Meter von der High Line entfernt im benachbarten Meatpacking District liegt viel Abfall in den Rinnsteinen, aber nicht auf der High Line. Die Sorgfalt, mit der die High Line gestaltet ist, ver­­ändert das Verhalten der Besucher. 12. Was würdest du selbst gerne verschönern? Den Sicherheitsprozess am Flughafen. 13. Kann Schönheit auch hinderlich sein? Vielleicht. Ich selber werde lieber von Schönheit behindert als von Hässlichkeit abgewiesen.

14. Was lässt sich zur Verteidigung der Hässlichkeit ­sagen? Wir können die Schönheit auch als »formale Intention« ­beschreiben, dazu kann auch das Hässliche gehören. Wir mögen das gewollt Hässliche gern, wir schätzen es sehr. Der größte Teil von allem, was in dieser Welt hässlich ist, ist aber nicht hässlich, weil es jemand so wollte. Es ist hässlich, weil es jemandem egal war. 15. Welche Hoffnung liegt dem Glauben an die Schönheit inne? Dass sie wieder ernst genommen wird und als ein Ziel in unsere Arbeit zurückkehrt. 16. Ist das amerikanische »schön« anders als das ­europäische? Viele von uns empfinden das als schön, was wir gut kennen. Und der Kontext spielt eine große Rolle: Je sicherer ich mich fühle, desto mehr empfinde ich neue, überraschende Dinge als schön. Ich war letzte Woche im Museum Mass­ Moca in Massachusetts und habe eine Arbeit von James ­Turrell (der auch die Fassade vom MAK in Wien neu gestalten wird) mit dem Titel »Perfectly Clear« erlebt. Es war so schön, dass es für mich drogenartige Formen annahm. 17. Was müsste passieren, damit du deinen Wohnsitz wieder nach Österreich verlegst? Schöne Tankstellen. Schöne Bushaltestellen gibt es schon, zumindest in Krumbach im Bregenzer Wald. Welche heimlichen Hoffnungen hegst du … 18. … für dein Herkunftsland? Ich hoffe nie heimlich für Österreich. 19. … für deine jetzige Heimat? Dass es bei einer Legislaturperiode Trump bleibt. 20. … für die Welt? Dass es bei einer Legislaturperiode Trump bleibt. Der ist nicht so schön.


HOFFNUNGEN: ÖSTERREICH 51

E   s geht   u   m die ­Vision

Emanuel Moosbrugger führt in fünfter ­Generation das Biohotel Schwanen in Bizau im Bregenzer Wald.  www.biohotel-schwanen.com

Der Gastronom Emanuel ­   Moosbrugger über seine ­Rückkehr    in den Bregenzer Wald protokoll:  Miriam Holzapfel Vor 18 Jahren bin ich in Bizau, einer kleinen Gemeinde im Bezirk Bregenz, aufgebrochen. Ich wollte die Welt sehen und mich weiterentwickeln. Dafür habe ich in einem Restaurant in New York ganz unten angefangen und mich dort langsam hochgearbeitet. Dass ich statt der geplanten 18 Monate ­länger in den USA bleiben würde, war mir schnell klar. Man muss es allerdings schon wirklich wollen in New York, sonst tut man sich das nicht an, man muss sich öffnen für die ­Men­talität. Und plötzlich waren sieben Jahre vergangen. Danach war ich für drei weitere Jahre in San Francisco, hatte einen tollen Job und führte das perfekte Leben. Aber als ­eines ­Tages ein Anruf aus Vorarlberg kam, bin ich zurück­ gekehrt und habe nun den elterlichen Betrieb übernommen. In den 13 Jahren im Ausland war ich nur vier oder fünf Mal zu Besuch in Österreich. Was in der Zwischenzeit hier so alles passiert ist, hat mich nicht so sehr interessiert. Es war deshalb nicht einfach: Ich selbst war anders geworden, der Lifestyle in den USA hat meine Vorlieben geprägt und meine Ansprüche. Aber auch die Heimat hatte sich verändert. Zu glauben, dass es schon irgendwie läuft, dass ich mich halt einfüge – ein Irrtum. Ich konnte an nichts anknüpfen, nur an mich selbst. Was ich in Amerika gemacht habe, was es

­ edeutet, in New York zu überleben – das hat hier keiner b verstanden. Und so war ich zwei Jahre lang vor allem damit beschäftigt, überhaupt wieder Fuß zu fassen. Mittlerweile sehe ich aber, dass hier einiges sehr viel einfacher ist, eine Familie zu gründen und Kinder aufzuziehen zum Beispiel. Ein guter Kindergarten ist in den USA so teuer wie hier eine gute Privatschule. Jetzt setze ich in Vorarlberg um, was ich all die Jahre zu­ vor in der Welt gelernt habe und was ich für richtig halte. Normaler­weise ist es in der Gastronomie hier eher so, dass man alles so macht, wie der Nachbar halt auch. Und an­ dauernd fragt man sich, wie der Gast es gerne hätte. In den USA wird das in der höheren Liga anders gespielt, da geht es um die Vision, um ein Konzept, an das man glaubt. Dafür muss natürlich die Qualität stimmen, die Leistung ebenfalls. Aber man fragt sich nicht die ganze Zeit, was die Gäste ­wollen. Man lässt sie kommen und überzeugt sie, es ist ein Verhältnis auf Augenhöhe. Uns kann man deshalb nur buchen, wenn man mir direkt eine E-Mail schreibt. Ich möchte, dass die Leute, die hierherkommen, auch wirklich zu uns passen. Denn dann werden sie wiederkommen. Ob das langfristig aufgeht? Wir werden sehen.


Rumänien

rund 517 km

Arad, Bacău, Brașov, Bukarest, Bolintin Deal, Chiajna, Cluj ­Napoca, Constanţa, Pielesti, Oradea, Sibiu

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kfz und Kfz-Teile Elektrotechnik Maschinen

12/595 LANDESSPRACHE

Rumänisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

chemische Erzeugnisse Maschinen Elektrotechnik

41,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

8,80 °C LANDFLÄCHE

238.391 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

84.185 km / 10.770 km AUSSENHANDELSQUOTE

83,70 %

NATIONALFEIERTAG

Vereinigung von Siebenbürgen und Altreich 1918: 1. Dezember TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Covrigi – ringförmiges Hefeteiggebäck mit Sesam, Mohn oder Salzkristallen bestreut BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Wild Carpathia« (Regie: Charlie Ottley)* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Dacia Duster, Dracula, Simona Halep  Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Georgiana Ecovescu


HOFFNUNGEN: RUMÄNIEN 53

Der Lichtbringer text:  Miruna Munteanu, Bogdan Alexander In Rumänien gibt es Städte, die für ihr aufregendes Nacht­ leben berühmt sind. Und es gibt Dörfer, deren Bewohner jeden Abend bei Kerzenlicht verbringen – aber nicht etwa, weil das so romantisch ist. Sondern weil es nicht anders geht: Diese Orte sind ohne Elektrizität. Um einfach nur ein Handy aufzuladen, müssen die Dorfbewohner oft stundenlang laufen. Und das gefällt niemandem. Das heutige Rumänien bietet die Sicherheit der EU , ­kostenloses Wi-Fi und die Waren großer Geschäfte wie ­Carrefour, Lidl, Kaufland, Auchan, Delhaize oder Starbucks. Zugleich ist das Land mit seinen atemberaubenden Landschaften und einigen letzten Flecken unberührter Natur in Europa ein Traumziel für Offroad-Fans. Liebhaber von ­Zeitreisen finden hier auf dem Land noch Gemeinden, an denen viele Errungenschaften der Moderne vorbeigegan­ gen sind – das hat Iulian Angheluţă vor zehn Jahren auf einer Tour durch das rumänische Hinterland persönlich erlebt: Der heute 43-Jährige fand Dörfer, die von jeglichem Komfort der Zivilisation abgeschnitten sind, meilenweit vom natio­­ nalen Stromnetz entfernt. Er begriff, was das für die be­trof­f e­ nen Menschen bedeutet, und das veränderte Angheluţăs Leben. Er gab seinen Job in der Werbung auf und widmet sich seitdem einem sehr ehrgeizigen Projekt: den Menschen, die der Staat vergessen hat, Licht zu bringen. Er gründete die NGO Free Mioriţa – der Name ist eine Anspielung auf ein berühmtes Volkslied, viele sehen darin ein Sinnbild des rumänischen Fatalismus. Iulian Angheluţă aber glaubt nicht daran, dass das Schicksal etwas ist, das man hinnehmen muss. Sondern dass es in der Macht eines jeden liegt, etwas zu ändern. Nicht an das nationale Stromnetz angeschlossen zu sein, betrifft laut einer Volkszählung von 2011 drei Prozent der rumänischen Haushalte. Das klingt vielleicht nicht nach viel, bedeutet aber, dass etwa eine halbe Million Menschen in Rumänien noch immer so leben wie im 19. Jahrhundert – und das in einem Land, dessen Anzahl an IT -Spezialisten in Re­­­ lation zur Einwohnerzahl weltweit an sechster Stelle steht und das jährlich 5.000 Absolventen in den Bereichen Informa­ tik und Ingenieurwesen ausspuckt! Zudem rühmt man sich mit einer der schnellsten Datenautobahnen der Welt. Der ru­mänische IT -Sektor hat seinen Brutto-Umsatz allein in den vergangenen sechs Jahren auf fünf Milliarden Euro verdop-

pelt, die rumänische Wirtschaft ist in den letzten Jahren ­stetig gewachsen, mit einem Rekord von 6,9 Prozent im Jahr 2017. Aber der Wohlstand ist ungleich verteilt und in einigen Gegenden gar nicht spürbar. Für die Dörfer, die in der Vergangenheit eingefroren sind, besteht die Gefahr, dass die Kluft immer größer wird: Selbst wenn manche ­Kinder in diesen Gegenden einen Computer besitzen, können sie ihn gar nicht erst einschalten. Iulian Angheluţă hat für dieses komplexe Problem eine einfache Lösung gefunden: Solarenergie. Er überzeugte ­private Sponsoren und organisierte Freiwillige. Mit deren Unterstützung kaufte, transportierte und installierte er erste Solaranlagen in einige der schwer zugänglichen Gegenden Rumäniens. Ein Anfang war geschafft. Um das Projekt auf das ganze Land auszudehnen, fehlte es allerdings an prä­ zisen Landkarten. Und wenn etwas fehlt, dann muss man es besorgen. So machte sich Iulian Angheluţă in einem weiteren Schritt daran, diese Gemeinden selbst zu kartografieren. Sieben Monate lang fuhr er dazu insgesamt 8.205 Kilometer mit dem Fahrrad durch das Land. Tatsächlich ist es ihm und seinen Bemühungen nun zu verdanken, dass es seit 2015 keine einzige rumänische Schule mehr ohne Strom – und Computer – gibt. Aber dabei will Angheluţă es nicht belassen: Solange es noch Wohnhäuser ohne Stromanschluss gibt, wird er weiter Licht verbreiten. Und wenn es einen Willen gibt, gibt es einen Weg. Iulian Angheluţă ist der lebende ­Beweis.

Erneuerbare Energien in Rumänien Der Großteil des rumänischen Stroms wird derzeit noch durch Wärmekraftwerke erzeugt, die mit fossilen Brenn­stoffen betrieben werden. Erneuerbare Energien spielen eine geringe Rolle, allerdings ist die Förderung für Strom aus erneuerbaren Energiequellen seit 2010 gesetzlich vorgeschrieben. Das Land könnte innerhalb weniger Jahre zum Exporteur von Wind- und Solarstrom werden – wenn das vorhandene Potenzial intensiver genutzt werden würde. Neben Windkraft bietet die Solarenergie große Chancen für das Land: Speziell im Süden des Landes sind zahlreiche Fotovoltaikprojekte im Bau.


54

Der Dynamik ­folgen Der Landesleiter Gebrüder Weiss Rumänien Viorel Leca über ­Wirtschaft, Infrastruktur und Zukunft in Rumänien interview:  Miriam Holzapfel In Rumänien gibt es in einigen ländlichen Gebieten ­immer noch Schwierigkeiten mit der Stromver­sorgung, die Telefon- und Internetverbindungen sind dagegen landesweit gut. Welcher Standort ist aus ­Ihrer Sicht für eine Unternehmensansiedlung besonders zu empfehlen? Die Auswahl eines Standorts hängt von mehreren Aspekten ab. Unser Land hat viel zu bieten, daher halte ich sowohl Großstädte als auch ländliche Gebiete für geeignet: Wenn ein Unternehmen viel Platz für die Produktion oder Lagerhaltung benötigt, dann wird es sich vielleicht eher auf dem Land ansiedeln. Innerhalb einer Stadt sind großzügige Flächen nun einmal schwerer zu finden. Andererseits finden sich in den Städten leichter gut ausgebildete Fachkräfte, vor allem im Bereich IT und Kommunikationstechnologie. ­Deswegen zieht es Industrie mit anspruchsvoller Technologie dort hin. Cluj beispielsweise ist mittlerweile ein wichtiger Hub für IT -Unternehmen. Grundsätzlich ist es richtig, dass Rumänien eines von wenigen europäischen Ländern ist, in denen ein Teil der Bevölkerung keinen Versorgungsver­ trag mit einem Stromanbieter hat. Eigentlich ist die Energie­ infra­struktur in Rumänien jedoch sehr gut ausgebaut. Es gibt so gut wie keine öffentlichen und gewerblichen Gebäude mehr, die keine Elektrizität haben. Bei den Privathaushalten ist es oft die Armut, die den Zugang zum Stromnetz verstellt. Und daran muss man natürlich arbeiten. Die staatliche Eisenbahngesellschaft CFR unterhält ­eines der längsten Eisenbahnnetze Europas, ­zugleich gibt es im ganzen Land nur zwei Autobahnen. Welche Herausforderungen sind im Hinblick auf die Verkehrs­ infrastruktur aus Ihrer Sicht die dringlichsten? Die rumänische Verkehrsinfrastruktur ist unterentwickelt und verlangt nach erheblichen Investitionen und Moder­­ni­ sierungsmaßnahmen. Zwar gibt es seit mehr als einem ­Jahrzehnt einen langfristigen Masterplan für Autobahnen,

seit dem EU -Beitritt im Jahr 2007 wurden aber nur wenige Straßenkilometer tatsächlich gebaut. Die wichtigsten ­Infrastrukturprojekte sind aus meiner Sicht daher zunächst die Autobahn Sibiu-Pitesti, die ein wichtiger Teil des pan­ euro­­päischen Korridors IV ist. Außerdem halte ich die Fertig­ stellung des Autobahnrings um Bukarest und der Schnell­ straße Craiova-Pitesti für besonders dringlich. Und auch das rumänische Eisenbahnsystem braucht Reformen. Die durchschnittliche Frachtgeschwindigkeit im Land ­beträgt zurzeit 13 Kilometer pro Stunde – das ist eine der langsamsten in ganz Europa! Darin liegt natürlich eine starke Herausfor­ derung für sämtliche Lieferketten – die Moder­ni­sierung der Schieneninfrastruktur ist daher ein Muss. Aus welchen Branchen kommen Ihre rumänischen ­Kunden? Ein möglichst ausgewogenes Kundenportfolio ist uns sehr wichtig. Und tatsächlich kommen unsere Kunden aus ganz verschiedenen Branchen. Wenn Sie mich nach einer Top-­­3Liste fragen, würde ich sagen, dass Automotive sicher der wichtigste Bereich ist, gefolgt von FMCG (einschließlich Einzelhandel) und an dritter Stelle DIY und Baustoffe. Was erwarten Sie für diese Unternehmen in der ­Zukunft? Rumänien zeichnet sich durch einen sehr dynamischen und diversifizierten Markt aus, der sich ständig verändert, wei­ter­ entwickelt und sich an den neuesten Technologien orien­ tiert. Wir gehen fest davon aus, dass unsere Kunden diesem Trend folgen werden. Was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft ­Rumäniens? Ich hoffe, dass Rumänien weiterhin so stark wachsen wird. Dadurch werden sich dann immer wieder neue Investitionsmöglichkeiten für lokale und auch ausländische Unter­­­­neh­ men ergeben, die das Wachstum langfristig stabilisieren und nachhaltig gestalten.


HOFFNUNGEN: RUMÄNIEN 55


Russische Föderation

rund 4.462 km

Moskau, Nabereschnyje Tschelny

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Erdöl Petrochemie Nichteisenmetalle

2 /15 LANDESSPRACHE

Russisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen Nahrungsmittel Elektrotechnik

39,6 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

–5,10 °C LANDFLÄCHE

17.098.246 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

128.338 km / 85.262 km AUSSENHANDELSQUOTE

46,30 %

NATIONALFEIERTAG

Souveränitätserklärung 1990:  12. Juni TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Kroschka-Kartoschka – Folienkartoffeln mit ­russischen Salat-Dips BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Nikolai Gogol: »Die toten Seelen«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Erdöl und Wodka

Ein Tipp von GW -Mitarbeiter Maximilian Karner


HOFFNUNGEN:  RUSSISCHE FÖDERATION 57

Sprechen, ­sprechen und noch mal ­sprechen

Sweta oder Sun In in ihrem Laden in Wladiwostock.

text:  Wlada Kolosowa Sweta – ihren neuen Namen hat sich Sun In selbst ausgesucht. »Swetlana bedeutet: ›die Helle‹«, erklärt sie in fast akzentfreiem Russisch. »Und Licht kann man hier nicht ­genug haben – russische Winter sind lang.« Sweta sitzt an der Kasse ihres Ladens am Sportivnij-Markt. Chinakohl und Ingwer liegen neben Kartoffeln und Roter Bete, Sojasoße ­neben Dreilitergläsern Mayonnaise, Seegras-Cracker neben Baranki, den russischen Kringeln aus hartem Teig. Hin­ ter Swetas Rücken lächelt Cai Shen Ye von einem Poster, der ­chinesische Gott des Reichtums. Vor ihr liegt das russisch-chinesische Wörterbuch. »Lernen, lernen und noch mal lernen – das hat doch ­dieser wichtige Russe Lenin gesagt. Und ich sage: Sprechen, sprechen und noch mal sprechen.« Sweta lässt keine Ge­le­ genheit aus, ihr Russisch mit einem Schwatz aufzu­bes­sern. Alle paar Minuten platzen Verkäuferinnen aus benach­bar­ten Miniläden herein: »Swet, kannst du mal ’nen Tau­sen­der wech­ seln?« – »Swet, hast du noch diesen Grüntee in ­Dosen?« – ­»Swet, ich geh Eis holen, willst du eins?« Sie plauscht mit jedem. Sie hat in der Schule angefangen, Russisch zu lernen und liebt die Sprache. Nur Mat mag sie nicht, die vulgären Kraftausdrücke, die je nach Kontext Fluch sein können oder einfach Emotionsüberschuss. »Aber ich kann Mat – und wie!«, sagt sie. Wer sich hier am Sportivnij-Markt durch­set­ zen will, muss früh Mat lernen. Mit 21 kam sie nach Wladiwostok, arbei­tete sieben Tage die Woche als Verkäuferin, teilte sich das Zimmer mit fünf anderen Chinesen. Nach einem Jahr konnte sie einen eigenen ­Laden mieten und ein Einzelzimmer bei einem chinesischen Vermieter. Sohn, Eltern und ­Ehemann sind in Suifenhe geblieben, einer Kleinstadt an der russisch-chinesischen ­Grenze, etwa 150 Kilometer nordwestlich von Wladiwostok. Der fünfjährige Sohn und ihr Mann, Liu Wei – »Sascha« – kommen manchmal zu Besuch. Sie fährt selten nach Hause: »Nur um das Visum neu zu beantragen oder wenn es meiner Mutter nicht gut geht.« Seit Sweta ihr eigenes Geschäft führt, bleibt ihr kaum eine freie Minute. »Wer selbstständig ist, arbeitet zwar für

sich selbst, dafür aber ständig«, sagt sie. Wladiwostoks ­Sehenswürdigkeiten kennt sie kaum. Nur manchmal erlaubt sie es sich, den Arbeitstag um fünf zu beenden und am Meer spazieren zu gehen. Zeit ist Geld. Und sie hat nur noch zwei Jahre, um Geld zu sparen. Sie möchte nach China zurück­ kehren, bevor ihr Sohn eingeschult wird: »Dann sind die ­Eltern am wichtigsten.« Mit dem Geld, das sie in ­Russland verdient, will sie in Suifenhe ein Internetcafé aufmachen. Heimweh plagt sie nicht, nur Sehnsucht hat sie nach ­ihrem Sohn und der Familie. Sachen wie Essen vermisst sie nicht: Russische Pelmeni findet sie zwar ungenießbar, dafür ist der Sportivnij-Markt voller chinesischer Imbisse und ­Restaurants. »Anja und Valera« heißt der eine, »Lena und Iwan« der andere. Mit solchen Namen will man das russische ­Pu­blikum anlocken, das die chinesische Küche wegen ihrer Würze und der riesigen Portionen schätzt. Zahlreiche Schustereien, Friseur­salons, Nagelstudios werden von Chinesen betrieben. Die Mitarbeiter nennen sich Vanja, Kolja, Borja – auch wenn ihr Nachnahme oft Li ist. Sie sprechen meist gut Russisch, aber wenn es so heiß ist wie heute, sitzen sie vor den Cafés und rollen ihre T-Shirts nach chinesischer Art bis zum Brustansatz hoch, lassen sich die Sonne auf die Bäuche scheinen und trinken grünen Tee. Ab und an läuft das Marktmaskottchen vorbei, ein ­kleiner Hund namens »Banza« – Geld auf Chinesisch. »Alle sind nett«, sagt Sweta. »Nur die Polizisten sind dreist, holen sich kostenlos all das Essen und wollen noch Geld obendrauf.« Ansonsten hat sie an Russland nichts ­auszusetzen, hier am Markt habe sie Freundinnen gefunden. »Ich hab’s vorher nicht gedacht, aber die Chinesen sind echt in Ordnung«, sagt Swetas Arbeitskollegin. »Von ihrer Arbeits­moral und Geschäftstüchtigkeit sollten sich die Russen ein Stück abschneiden.« Dann zeigt sie das Geschenk, das sie für Swetas Sohn vorbereitet hat: eine Plastikkatze, in deren Bauch ein Taschenrechner eingebaut ist – schließlich soll auch der Sohn früh Geschäftstüchtigkeit lernen. In zwei ­Monaten kommt er wieder zu Besuch. Sie wird ihm sein Lieblingsessen kochen: russisches Kartoffelpüree.


Schweiz

rund 222 km

Altenrhein, Pratteln bei Basel, Zürich

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

chemische, pharmazeutische Produkte Maschinen und Elektronik Uhren

7/220 LANDESSPRACHE

Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

chemische, pharmazeutische Produkte Maschinen und Elektronik Fahrzeuge

42,4 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

5,50 °C LANDFLÄCHE

41.290 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

71.464 km / 3.976 km AUSSENHANDELSQUOTE

114,10 %

NATIONALFEIERTAG

Rütlischwur 1291:  1. August TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Iklemmti – »Eingeklemmtes«, ­verschieden belegte Brote BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Diccon Bewes: »Der Schweizversteher: Ein Engländer unter Eid­genossen«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Armbanduhren, schweizer Offiziersmesser  Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Silvia Smailovic


HOFFNUNGEN: SCHWEIZ 59

Ventil für den Volkszorn text:  Peer Teuwsen Warum die Schweizer Form der direkten Demokratie in diesen Zeiten auch für andere Länder eine nütz­liche Staatsform wäre. Es war wieder einmal passiert. Das Schweizer Volk hatte die Welt den Kopf schütteln lassen. Mit über 57 Prozent Ja-­ Stimmen und einer klaren Mehrheit der Kantone hatte es am 29. November 2009, einem Sonntag, eine Volksinitiative angenommen, die in der Verfassung festhielt, dass in der Schweiz der Bau von Minaretten verboten ist. »Es ist ein schwarzer Tag für Europa, für den Westen und die Freiheit«, lautete eine Schlagzeile. Am Montag darauf klingelte mein Telefon. »Teuwsen, jetzt schreiben Sie einen Name-and-shame-Artikel!«, bellte der Redakteur der deutschen Wochenzeitung, für die ich als Schweiz-Korrespondent arbeitete, in den Hörer. Ich ­verweigerte den Befehl. Gerne, teilte ich meinem Kollegen mit, würde ich den Entscheid der Schweizerinnen und Schweizer zu erklären versuchen – ihn zu verurteilen, fände ich hingegen reichlich arrogant. Den Schimpf-und-Schande-­

Artikel schrieb dann ein anderer. Immerhin konnte ich in der folgenden Ausgabe erwidern. Ich schrieb eine Verteidigung der direkten Demokratie, die mir, wohl wegen der Befehlsausgabe, vielleicht ein bisschen zu leidenschaftlich geraten ist. Ich schrieb etwa von einem anderen Verhältnis zwischen Bürgern und Repräsentanten, das in der Schweiz herrsche, es gebe so »ein Korrektiv gegen die Neigung der Politiker, im Wahlkampf viel zu versprechen und es danach nicht zu halten. Zu ihrer Aufgabe, dem Volk zu dienen, werden Regierung und Parlament durch die direkte Demokratie verpflichtet; dazu genügt oft allein die theoretische Möglichkeit eines Referendums«. Ja, die Schweiz hat eine Demokratie, die über die Jahrzehn­ te immer ausgeklügelter geworden ist. So kann jeder eigene Ideen mit einer Volksinitiative seinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern andienen – sofern diese nicht gegen das zwin­ gende Völkerrecht verstoßen und er vorgängig 100.000 an­de­ re findet, die in der Sache mit ihm einig sind. Und gegen fast jedes Gesetz, das das Parlament beschließt, kann das Referendum ergriffen werden. Dazu braucht es nur 50.000 Schwei­


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ze­rinnen und Schweizer, die das wollen. Dann wird das ganze Volk an die Urne gerufen. Dieses System verhindert auch weitgehend, dass sich Politiker durch Zuwendungen an Interessengruppen Rückhalt erkaufen können. Das direktdemokratische System hält sie strenger dazu an, hier zu bremsen und Staatsausgaben zu drosseln. Mit seiner Hilfe setzen Bürger Interessen durch, die anderswo längst ohne Chance sind, etwa das Interesse an niedrigeren Steuern und einem effizienten Staat. Aber sie geben auch Geld aus – wenn sie einen Sinn darin sehen. Die Schweizer genehmigten etwa im Februar 2014 mit großer Mehrheit eine Milliarde Franken zusätzlich, um die Infra­ struktur der Bahn zu erhalten und auszubauen. Der öffentliche Verkehr ist in der Schweiz unangefochten, weil er den ­na­tionalen Zusammenhalt in diesem zusammengewürfelten Land stärkt. Ein bisschen direkte Demokratie, wie sich das gewisse europäische Politiker vorstellen, gibt es jedoch nicht. Entweder richtig – oder gar nicht. Und einpflanzen lässt sie sich erst recht nicht. Sie muss geübt werden. Die Schweizer tun dies seit über 150 Jahren. Aber nicht mehr so wie in den Land­ gemeinden von Glarus oder Appenzell Innerrhoden, die sind Ausnahmen mit Zügen ins Folkloristische. Nein, der Schweizer lebt seine Mitbestimmung heute sehr viel prosaischer. Er bekommt rund vier Mal pro Jahr ein graues Kuvert zugeschickt, darin sind ganz viele Zettel, auf denen Fragen zu den kantonalen und nationalen Vorlagen stehen. Diese muss er mit Ja oder Nein beantworten. Dann unterschreibt er, klebt

Im Gegensatz zum traditionellen Alphorn hat die direkte ­Demokratie in der Schweiz nichts mit Folklore zu tun.

den Umschlag wieder zu und bringt ihn zum Briefkasten. Schon ist sein Wille geäußert. Man gewöhnt sich daran. Ja, die direkte Demokratie ist ein eingeübtes Ritual, an dem leider nur noch rund die Hälfte der Schweizer Bürger teilnimmt. Es hat den Anschein, als seien viele der Mit­ bestimmung ein bisschen müde. Denn sie verlangt Engagement, man muss sich in die, manchmal komplexen, Sach­ verhalte einarbeiten. Das braucht Zeit. Aber gesamthaft gesehen hat die direkte Demokratie große Vorteile. Und ein paar Nachteile. Denn es gibt auch Unfälle. Die oben erwähnte Minarett-­ Initiative war so einer. Ein Verbot von Bauwerken gehört nicht in die Verfassung. Aber offenbar wollte eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer ein Zeichen gegen Zuwanderung setzen – in der Annahme, die Initiative werde ohnehin nicht angenommen. Auch die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative war ein Unglücksfall. Sie wurde 2014 knapp angenommen – obwohl sie gegen die Personenfreizügigkeit mit der EU verstößt. Dies zog jahrelange ­Windungen der Politik nach sich. Das Resultat ist eine Regelung, die niemanden glücklich macht – weil sie den Willen des Volkes zu sehr beugt und weil sie zu mehr Bürokratie führte. Zudem ist die direkte Demokratie schrecklich langsam – so konnte es kommen, dass die Schweiz erst 1971 den Frauen das Stimmrecht verlieh. Die Männer wollten ihre Privilegien einfach nicht abgeben. Diese Unfälle aber sind erträglich, denn sie können, mehr oder weniger gut, vom Parlament oder vom Volk im Nachhinein korrigiert werden. Man darf sich ja mal irren. Der größte Vorteil ist aber die Ventilfunktion der direkten ­Demokratie für den Volkszorn. Er wird so in geordnete ­Bahnen gelenkt – und schwelt nicht nur an den Stammtischen. Volksinitiativen bringen an die Oberfläche, was anderswo mühsam unter dem Deckel gehalten wird, sei es die Angst vor dem politischen Islam oder vor einer ungebremsten ­Einwanderung. In der Schweiz wird darüber öffentlich gesprochen – weil einen die Staatsform dazu zwingt. Eine Woche, nachdem ich meine Verteidigung der direkten Demokratie geschrieben hatte, rief die Chefredaktion zum alljährlichen Weihnachtsessen nach Hamburg. Schon im Eingang zum Festsaal begegnete ich dem Redakteur, der ­mir eine Beschimpfung der Schweizer Demokratie ­befohlen ­hatte. Ich hatte den Mann, eine fürwahr stattliche Erscheinung, noch nie persönlich getroffen, er aber wusste offen­bar, wer ich war. Großen Schrittes ging er auf mich zu und ­sagte grußlos nur einen Satz: »Ach, das Volk.« Konnte es sein, dass sich hinter der Herablassung ein bisschen Neid verbarg?


HOFFNUNGEN: SCHWEIZ 61

D   rüber und ­drunter Wie die Querung der Berge ihren Schrecken verlor text:  Miriam Holzapfel Die Schweiz entstammt den Bergen. Ihre drei Urkantone liegen tief in den Alpen und im Norden und Nordwesten ist sie durch die Höhenzüge des Jura begrenzt. Und dennoch: Abgeschieden waren die Eidgenossen nie, der Fernhandel über die Berge war für sie immer Broterwerb und Antrieb. Manche Historiker meinen sogar, dass die Schweiz nur aufgrund ihrer Rolle als profitablem Transitgebiet zwischen dem weiten Mitteleuropa und der dichtbesiedelten, fruchtbaren Po-Ebene zu einer eigenen unabhängigen Existenz fand. Alpine Handelsquerungen zwischen Italien und Europa sind seit der Antike überliefert. Seit 950 können wir in Schrift­ quellen den Warenverkehr zwischen der heutigen Schweiz, die damals zum Heiligen Römischen Reich gehörte, und den angrenzenden Gebieten erfassen. Über die Berge führten sogenannte Saumpfade – schmale, häufig steile Wege, über die mithilfe von Lastentieren Güter transportiert wurden. Über solche Pfade war das Nachbarland Österreich zum Bei­ spiel inneralpin über Nauders in den Tiroler Bergen oder über den Arlberg zu erreichen, beliebter aber waren die Routen nördlich oder südlich am Gebirgssaum entlang, da die Alpen in der Nord-Süd-Richtung leichter zu überqueren sind als von Ost nach West. Heute ist der Weg durch das Gotthard-Massiv die zentrale Nord-Süd-Achse in der Schweiz. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren Verbindungen über den Splügen oder den viel niedriger gelegenen Brenner für den internatio­na­ len Fernhandel bequemer. Aber mit dem Bau des Gotthard­ tunnels im 19. Jahrhundert avancierte der Weg zu einer Haupt­verbindung nach Italien. Die Idee, nicht mehr über, sondern durch den Berg zu gehen, war damals allerdings nicht mehr neu. Der erste Straßentunnel der Welt entstand bereits 1708, es war das sogenannte Urnerloch bei Andermatt in der Schweiz. Er war für heutige Verhältnisse ziemlich unkomfortabel – 64 Meter lang, natürlich unbeleuchtet und gerade hoch genug für ein Saumtier ohne Reiter. Der ent­ setzliche Gestank in diesem Tunnel wird in den Schriften

Heute besteigen Wanderer die Berge zur Entspannung, ­früher was das alles andere als ein Vergnügen.

der Reisenden häufig erwähnt. Aber er verkürzte den Weg für die Botendienste erheblich. Als in Europa im 19. Jahr­ hundert die ersten Eisenbahnlinien gebaut wurden, beschloss man bald auch eine Eisenbahnverbindung durch den Gotthard hindurch. 1882 konnte das von Schweizer Kantonen, Deutsch­land und Italien mitfinanzierte Bauwerk für den Verkehr freigegeben werden – und es wurde ein großer ­Erfolg. Bereits in den ersten Jahren wurden deutlich mehr Güter und Reisende transportiert als erwartet. Im 20. Jahrhundert wurde die Alpenquerung dann von einem ungewissen, stark witterungsabhängigen Abenteuer zu einer kurzen und relativ sicheren Fahrt von deutlich unter einer Stunde: 1964 wurde mit dem Straßentunnel durch den Großen St. Bernhard der damals längste Autotunnel er­öff­ net. Und mit dem im Juni 2016 eröffneten Gotthardbasis­ tunnel, der den Berg weit unterhalb des historischen Tunnels quert, setzten die Bauleute schließlich noch einmal neue Maß­stäbe für den Personen- und Warenverkehr: Der Tunnel ist mit 57 Kilometern der weltweit längste Eisenbahntunnel, im ers­ten Betriebsjahr fuhren 24.757 Güter- und 18.395 Per­ sonenzüge durch den Tunnel. Es ist also weiterhin eine Menge in Bewegung über die Alpen und die Schweiz ist der Flaschenhals für den Verkehr. Nur die Berge bleiben, wo sie immer waren.


Serbien

rund 482 km

Dobanovci, Niš, Novi Sad-Veternik, Vučje

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Nahrungsmittel Kfz und Kfz-Teile Maschinen

4 /241 LANDESSPRACHE

Serbisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Kfz und Kfz-Teile Maschinen Nahrungsmittel

42,6 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

10,55 °C LANDFLÄCHE

77.474 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

44.248 km / 38.096 km AUSSENHANDELSQUOTE

109,01 %

NATIONALFEIERTAG

Aufstand gegen die Osmanen 1804:  15. Februar TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Smoki – eine seit den 1970er-Jahren äußerst beliebte ­Erdnussflips-Marke BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Bora Cosic: »Frühstück im Majestic« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Slibowitz


HOFFNUNGEN: SERBIEN 63

Die Fans stehen gelassen auf den Rängen. Das ist bei Heimspielen von Roter Stern wie hier ­gegen ­Spartak Trnava im August 2018 eher selten.

Ein Stern, der ­deinen Namen trägt text:  Alex Raack Kein anderer Verein spiegelt die serbische Sport­kultur – und Geschichte – so wie Roter Stern Belgrad. Crvena zvezda: Roter Stern Belgrad. Ein Name, der nach ruhm­reicher Vergangenheit klingt. Nach jenem jugosla­wi­sch­ en Dreamteam, das 1991 den Europapokal der Landesmeister gewann – und dann doch in seine Einzelteile zer­fiel, wie der vom Krieg zerfleischte Vielvölkerstaat. Crvena zvezda: einer der berühmtesten Klubs der Welt. Heimat von unglaublich leidenschaftlichen Fans, Sammelstelle von extremen Fanatikern. »Més que un Club« – mehr als ein Klub – sagen die Anhänger vom FC Barcelona über ihren Verein. In Belgrad wissen sie ganz genau, was damit gemeint ist. Roter Stern, das ist auch die Hoffnung darauf, dass der alte Glanz zurückkehrt in die Stadt, in dieses Land. Damit die Erinnerungen an das, was war, schneller ver­blassen. SPORTLICHER HÖHEPUNKT, HISTORISCHER ­T IEFPUNKT

Doch die Geschichte des berühmtesten serbischen Vereins lässt sich nicht erzählen, ohne das, was in den 1990ern ­passierte. Als die Fußball-Helden um Robert Prosinečki, Siniša Mihajlović und Darko Pančev 1990 in die neue Saison starteten, die mit dem Gewinn des Europapokals von Bari

im Sommer 1991 ihr Happy End fand, war Jugoslawien ein Pulverfass. Zehn Jahre nach dem Tod von Staatsgründer Josip Broz Tito driftete der Vielvölkerstaat unaufhaltsam auseinander. Kroatien und Slowenien hatten bereits die Unabhängigkeit gewählt. Die nationalistischen, religiösen und ethnischen Bruchlinien waren unübersehbar. Als dann im Mai Dinamo Zagreb und Roter Stern aufeinandertrafen, kam es zu schwersten Ausschreitungen zwischen Fans, Spielern und Polizei. Die Gewalt von damals werten heute viele als Auslöser für den Bürgerkrieg. Und während inmitten dieses Chaos Crvena zvezda ins Endspiel des Europapokals vordrang, ­entwickelte sich in der Fankurve von Roter Stern eine ­gefährliche Mischung: Hier, wo sich die vielleicht leidenschaftlichsten Anhänger Europas tummelten, explodierte der Nationalismus. Als Zehntausende ihren Klub zum Finale nach Bari begleiteten, um den Sieg im Elfmeterschießen gegen Olympique Marseille zu bestaunen, hatte der einstige Fan-Führer Željko Ražnatović, genannt: Arkan, längst eine Bande von Hooligans um sich geschart. Die Gruppe prügelte zunächst in Stadien und beging später auf den Schlacht­ feldern Kriegsverbrechen. Ausgerechnet auf dem sport­li­chen Höhepunkt der Vereinsgeschichte von Crvena zvezda krachte die Welt um das 100.000 Menschen fassende Sta­dion ­Marakana zusammen.


64

Leidenschaftliche Unterstützung durch die Anhänger von Roter Stern beim Europaliga-Spiel gegen den 1. FC Köln im Dezember 2017.

VIEL GERÜHMT: DIE TREUEN FANS

Der Krieg ist lange vorbei. Von den Schrecken haben sich das Land und der Verein noch nicht erholt. Sportlich ist Roter Stern, obwohl 2018 erneut Meister der serbischen SuperLiga, weit davon entfernt, Europas Königsklasse erneut zu ver­ zaubern. Die Fans aber sind geblieben. Roter Stern Belgrad ist heute auch ein Synonym für intensiv gelebte Fankultur, Enthusiasten aus aller Welt kommen nach Belgrad, wenn das »ewige Derby« gegen den Stadtrivalen Partizan ansteht. Weil sie hier finden, was es anderswo nicht mehr gibt. Der deutsche Groundhopper Markus Stapke war über 30 Mal bei dieser besonderen Partie im Stadion. »Die Delije (übersetzt: Helden, Spitzname für die Fans von Roter Stern) sind seit jeher Meister der Choreografie. Nicht nur in Serbien.« Und er weiß auch: »Die Kurve ist sich ihrer gesellschaftlichen Relevanz bewusst, das gesungene Wort hat hohe Strahlkraft

bis hinein in politische Kreise.« Der Journalist Frank Will­ mann fasste seine Derby-Erfahrungen für die Wochen­zei­tung DIE ZEIT zusammen: »Großes Gelächter und Geschrei. Ist am Ende alles nur halb so wild? War ich etwa Teil wildromantisch inszenierter Stadionpoesie?« Es ist diese Mischung aus Tradition, Leidenschaft und Anarchie, die der Fanszene von Crvena zvezda ihren besonderen Anstrich verleiht. SPORTNATION SERBIEN

Wie lässt sich der Verein mit seiner Geschichte in die ser­ bische Sportkultur einordnen? Nebojsa Viskovic, einer der bekanntesten Sportreporter des Landes, sagt: »Serbiens Image ist weiterhin von den Dingen bestimmt, die passiert sind. Der Schaden ist zu groß, als dass man ihn in so kurzer Zeit reparieren könnte. Aber Sport ist hier die beste Werbung: Die Freuden der letzten Jahre waren eng an sportliche


HOFFNUNGEN: SERBIEN 65

Ereignisse geknüpft.« Wie zuletzt die Teilnahme an der ­Fuß­ball-WM oder die großartigen Erfolge serbischer Tennis­ spieler, allen voran des 13-fachen Grand-Slam-Siegers ­Novak Djokovic. »Was da im Tennis passiert ist«, sagt Viskovic, »ist unglaublich. Serbien hatte keine Tennistradition, ­schlechte Infrastrukturen und hat keinen einzigen Dinar investiert. Es ist ein Mysterium.« Wunderjunge Djokovic wurde im SPIEGEL mit den Worten zitiert: »Ich bin durch den Krieg ein besserer Tennisspieler geworden, weil ich mir geschwo­ren habe, der Welt zu zeigen, dass es auch gute ­Serben gibt.« Für seinen Tenniskollegen Janko Tipsarević, aktuell Nummer 56 der Welt, ist Djokovic mehr als nur ein Sportler: »Ich sage immer: ›Novak, ein Sieg mehr noch und wir sind in der EU .‹« Zu ähnlich atemberaubenden Leistungen wie Tennisheld Djokovic sind bei Roter Stern Belgrad vorerst nur die Fans

imstande. Und das nicht nur beim Fußball. Als die deutsche Basketballmannschaft Brose Bamberg 2017 zu einem Euro-­ League-Spiel gegen Crvena zvezda antreten musste und 8.000 Zuschauer für eine sensationelle Atmosphäre in der Halle sorgten, stammelte der Bamberger Spieler ­Fabien ­Causeur anschließend ergriffen in die Mikrofone: »Man spielt Basketball natürlich für Titel, aber in allererster Linie für solche Abende.« Was diesen Verein denn so be­son­ders mache, dass er solche Fans hervorbringe, wurde der da­ma­ lige Sport­direktor Davor Ristović nach der Partie gefragt. Und er antwortete, stellvertretend für so viele, die es mit ­Roter Stern halten: »Vielleicht kriegst du als Spieler dein Gehalt später, bestimmt sitzt du nicht im Charterflugzeug – aber du spielst für einen Klub, der eine große Familie ist.«


rund 34 km

Singapur

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Elektronik Petrochemie chemische Erzeugnisse

1 /20 LANDESSPRACHE

Malaiisch, Chinesisch, Tamil, Englisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Petrochemie Maschinen

34,6 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

26,45 °C LANDFLÄCHE

719 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

3.425 km / 150 km AUSSENHANDELSQUOTE

318,40 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1965:  9. August TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Karipap – fritiertes Gebäck mit einer Füllung aus ­ Curry, Hühnerfleisch und Kartoffeln BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Lucy Lum: »Gefangene der Löwenstadt – Eine Jugend in Singapur« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Service: bester Flughafen, beste Fluglinie, beste ­digitale Bank, effizienteste Zollbehörde


HOFFNUNGEN: SINGAPUR 67

Stadt der Drohnen text:  Frederic Spohr Singapur ist ein Fenster für die Zukunft der Welt und der Stadtteil One North ist ein Fenster für die Zukunft Singapurs. Namhafte Forschungsinstitute haben hier ihren Sitz, in ­futuristisch anmutenden Gebäuden tüfteln unzählige Startups an neuen Produkten. Wenn das Viertel zum Stadtteil-­ Fest einlädt, erinnert die Feier an eine Erfindermesse. Besonders interessant ist jedoch, was sich am Himmel von One North abspielt: Gelegentlich kann einem dort nämlich eine Drohne über den Kopf sausen. Die Regierung hat den Stadtteil dieses Jahr für Tests mit den unbemannten Flugzeugen freigegeben. Der Stadtstaat will eine Vorreiterrolle bei der Technologie einnehmen – schließlich ist Singapur eines der weltweit wichtigsten Logistikzentren. »Drohnen haben großes Potenzial, Mobilität und Logistik in Städten zu verändern«, sagt Loh Ngai Seng, Staatssekretär im singapurischen Transportministerium. »Wir wollen die Entwicklung in Singapur vorantreiben.« Hoffnungen setzt der Stadtstaat beispielsweise in ein Projekt, an dem auch der europäische Luftfahrtkonzern ­Airbus beteiligt ist. Erste Tests des sogenannten »Skyways« verliefen bereits erfolgreich. Auf dem Campus der Univer­ sity of Singapur sollen noch in diesem Jahr Drohnen des ­Unternehmens regelmäßig bis zu vier Kilometer schwere Pakete hin- und herfliegen. Das Besondere: Sie werden auf einer Pack-Station automatisch beladen. Das ist nicht alles: Künftig sollen die Airbus-Drohnen auch im Hafen von Singapur eingesetzt werden, dem zweitgrößten Umschlaghafen der Welt hinter Schanghai. Noch in diesem Jahr sollen die Drohnen Ersatzteile und Dokumente testweise zwischen der Hafenbehörde und Schiffen transportieren. Derzeit funktioniert dieser Austausch ausschließlich

mit kleinen Booten – und dauert angesichts der gigantischen Größe des Hafens recht lange: Hier gibt es allein 1.000 Liege­ plätze und zahlreiche Ankerplätze. Die beteiligten Unternehmen rechnen damit, dass sich durch den Drohneneinsatz rund 90 Prozent der Kosten ­sparen lassen. »Die Nutzung dieser innovativen Technologie könnte uns helfen, die Produktivität zu verbessern«, sagt Andrew Tan, Chef von Singapurs Hafenbehörde. »Die frei werdenden Arbeitskräfte und Ressourcen können wir für andere Aufgaben verwenden.« Doch auch im Stadtzentrum sollen künftig mehr Drohnen fliegen. Der Kurs der Regierung wird auch von der Bevölkerung unterstützt. Laut einer Befragung von 20.000 Konsu­ menten in zehn Ländern des digitalen Zahlungsanbieters Worldpay sind die Singapurer äußerst aufgeschlossen gegenüber Drohneneinsätzen. Nur in China konnten sich noch mehr Menschen vorstellen, künftig per Drohne beliefert zu werden. In diesem Sommer beauftragte die Regierung des Stadtstaats ein Konsortium mit der Entwicklung eines Luftraummanagement-Systems für Drohnen. Es soll sich über die gesamte Insel erstrecken. 13 Unternehmen sind an dem Projekt beteiligt, darunter auch ein Krankenhaus, das beispielsweise Medikamente per Drohnen verschicken will. Und der Kreis der Beteiligten wird weiter wachsen: ­»Unser Ziel ist, dass es für jedes Unternehmen möglich ist, Drohnen ohne Sichtkontakt sicher und effektiv zu fliegen«, sagt Ong Jiin Joo, Direktor des Konsortiums. Schon in zwei Jahren soll das System einsatzbereit sein. Dann hat die Zukunft in Singapur endgültig begonnen.


Slowakei

rund 208 km

Bytča, Prešov, Senec, Zvolen

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kfz und Kfz-Teile Elektronik Maschinen und Anlagen

4 /156 LANDESSPRACHE

Slowakisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Kfz und Kfz-Teile Maschinen

40,5 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

6,80 °C LANDFLÄCHE

49.035 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

54.869 km / 3.626 km AUSSENHANDELSQUOTE

183,90 %

NATIONALFEIERTAG

Tag der Verfassung 1992:  1. September TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Ciganksa – ein Stück Fleisch (vorwiegend Schwein) mit Zwiebel und Sauce in einem Brötchen BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Filme von Pavol Barabáš* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Autos (VW, Kia), traditioneller Schafs- und Ziegen­käse (in Form von Käseschnüren und -zöpfen)  Ein Tipp von GW -Mitarbeiter Paul Zoglauer


HOFFNUNGEN: SLOWAKEI 69

K   osice blüht auf

Künstler, Gründer und Direktor: Peter Radkoff in ­seinem Kulturzentrum.

Über die wundersame ­Verwandlung einer Stadt text:  Kilian Kirchgeßner Manchmal setzt er sich in den Hof, in der Hand ein kühles Glas Bier, und atmet auf. Ein paar Jahre Arbeit hat Peter Radkoff hier reingesteckt und an diesen Sommerabenden merkt er, dass die Mühe nicht umsonst war: In der lauen Abendluft klingen die Gespräche und das Lachen von den Gruppen herüber, die sich überall um die Tische zusammengefunden haben, aus dem Bistro tragen die Kellnerinnen frische Burger heraus und durch die schmale Hofdurchfahrt drängen immer mehr Besucher. »Genau so«, sagt Peter Radkoff, »habe ich mir das immer vorgestellt!« Radkoff steht hinter einem kleinen Wunder, das sich an einem denkbar unwahrscheinlichen Ort zugetragen hat. Er ist selbst eigentlich Künstler, aber vor allem ist er Gründer und Direktor eines Kulturzentrums. Vor nicht allzu langer Zeit noch hätten sie ihn ausgelacht: ein Kulturzentrum, ausgerechnet hier in Kosice, dieser 250.000-Einwohner-Stadt ganz im Osten der Slowakei! Ein paar Kilometer nur sind es von hier bis zur ukrainischen Grenze, die alte Stahlindustrie der Stadt ist seit der politischen Wende im Niedergang begriffen, die jungen Leute wandern gleich nach dem Abitur ab in andere Regionen – und da kommt er mit einem Kulturzentrum? Der Ort ist symbolträchtig gewählt: Eine alte Tabakfabrik aus Zeiten der Habsburger Monarchie beherbergt Radkoffs unabhängiges Kulturzentrum, das deshalb schlicht »Tabacka« heißt. Ein riesiger Gebäuderiegel ist es, er umfasst einen gan­ zen Block, und wer sich von außen nähert, sieht erst ­einmal nur bröckelnden Putz. Von innen aber, vom lichtergeschmückten Hof aus, ist das Neue zu sehen: Hipster mit Renn­rädern

treffen sich hier, Musiker, junge Leute aus der weiteren Umgebung. 2.500 Quadratmeter gehören zum Kulturzentrum, es gibt einen Kinosaal, Büroräume für Kreative, ein Atrium mit riesiger Bühne und natürlich das Bistro. »Für mein Studium bin ich nach Bratislava gegangen, in die Hauptstadt, und war eigentlich kaum noch hier«, erzählt ein junger Mann, der mit einer Gruppe von Freunden um einen Tisch versammelt ist. »Und auf einmal merkte ich: Wow, Kosice verändert sich! Es ist nicht mehr die alte, graue, tote Stadt.« Er suchte nach einem Job und fand ihn in seiner alten Heimat. Die anderen am Tisch nicken: Bei ihnen lief die Heimkehr so ähnlich und sie sind damit Teil einer wahr gewordenen Hoffnung, die eine ganze Region erfasst hat und hier in der alten Tabakfabrik verkörpert ist. Der Moment, an dem die Verwandlung der Stadt Kosice von einer Arbeitslosenhochburg in ein Paradies für Hoch­quali­ ­fizierte begann, lässt sich genau bestimmen: Im Jahr 2013 war es, damals wurde Kosice zur europäischen Kulturhauptstadt. Diesen Titel bekommt jedes Jahr eine andere Stadt, häufig ist es nichts weiter als eine teure Tourismusförderung, die bald nach Abschluss der Aktion wieder verpufft. Nicht so in Kosice. »Wir haben das Kulturhauptstadtjahr von Anfang an als Transformationsprojekt verstanden«, sagt Peter Radkoff, der damals einer der Verantwortlichen für das Programm war. »Es ging darum, eine konservative, industriegeprägte Stadt in einen kreativen Standort zu verwandeln. Wir wollten die Kultur aus dem Stadtzentrum in alle Bereiche hineinbringen und das hat auch geklappt.« Statt nur auf Opern und Aus­


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Der Hof der alten Tabakfabrik ist seit einigen Jahren wieder belebt.


HOFFNUNGEN: SLOWAKEI 71

stellungen zu setzen, dachten sie sich Theaterstücke aus, die draußen in den Plattenbausiedlungen spielten. Sie bauten eine alte Kaserne zu einem Treffpunkt für junge Leute um. Und in die barocke Innenstadt brachten sie Cafés und Bars, die so cool anmuten, dass sie auch in London oder Berlin stehen könnten. Damit setzte sich eine Spirale in Gang, die selbst die größten Optimisten damals nicht erwartet hätten: Zuerst zogen junge, gut qualifizierte Slowaken nach Kosice. Die wiede­ rum lockten Arbeitgeber an, die nach genau diesen Leuten ­suchten, und das wachsende Stellenangebot wiederum zog ­wei­tere Absolventen in die Stadt. Heute ist Kosice zu einem ­bedeutenden Standort für die IT -Industrie geworden: Dutzende Firmen aus dem In- und Ausland haben hier Entwicklungsstandorte für Software aus dem Boden gestampft, weit mehr als 10.000 Arbeitsplätze sind in diesem Bereich entstanden. Spätestens an dieser Stelle kommt die alte Tabakfabrik ins Spiel: Ohne die Konzerte, ohne die duftenden Burger oder die Open-Air-Kinoabende im Innenhof wäre Kosice um eine Attraktion ärmer. Und all die Programmierer, die Agentur-­ Profis und die Künstler, die jetzt die Stadt prägen – sie brauchen ihren Treffpunkt, wo sie nach Feierabend bei einem Bier ihre Ideen weiterspinnen. Peter Radkoff stellt sein Bierglas auf den Tisch und er­ hebt sich. Er muss nach den Musikern schauen, die neben­ an ihr Konzert für den Abend vorbereiten. Eine Rockband aus dem amerikanischen Colorado ist zu Gast, die Musiker ­machen auf ihrer Europa-Tournee Station in Kosice. Peter Radkoff zuckt mit den Schultern, so als sei es ganz natür­­lich, dass Kosice wieder zurückgekommen ist auf die Landkarte und dass die alte Tabakfabrik wieder aufblüht zu neuem ­Leben. »Wissen Sie«, sagt er zum Abschied, »ich bin ein ewiger Optimist!«

IT in der Slowakei Europas Silicon Valley könnte in der Slowakei liegen: Seit mehreren Jahren siedeln sich in Bratislava und anderen gro­ßen Städten zahlreiche Start-ups an. Die recht­ lichen Bedingungen für eine Unternehmensgründung sind gün­s­tig, die Gehälter in der IT -Branche sind auf ähnlichem Niveau wie in Österreich, wobei die Lebenshaltungs­kosten deut­lich niedriger sind. Große Firmen wie Siemens, Microsoft, IBM und Cisco haben das schon lange erkannt. Besonders Unternehmen, die Software, Datenver­ar­bei­ tung und Hosting anbieten, sind in der Slowakei im ­Wachstum. Die Umsätze sind in diesen Bereichen 2017 und im e ­ rsten Quartal 2018 jeweils zweistellig gestiegen. Auch Business Service Center, in denen IT -Dienstleis­­ tungen für große Unternehmen erbracht werden, finden in der Slowakei gute Bedingungen, sie beschäftigen mehr als 30.000 Arbeitnehmer.


Slowenien

rund 162 km

Ljubljana

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

chemische Erzeugnisse Kfz und Kfz-Teile Maschinen

2 /65 LANDESSPRACHE

Slowenisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

chemische Erzeugnisse Kfz und Kfz-Teile Maschinen

44,5 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

8,90 °C LANDFLÄCHE

20.273 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

38.985 km / 12.09 km AUSSENHANDELSQUOTE

148,50 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1991:  25. Juni TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Štruklji z Kranjska – Buchweizen-Knödel und dazu eine geräucherte Kochwurst BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Noah Charney: »Slovenology«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Idrija-Spitze, verzierte Bienenstöcke, Lebkuchen­ herzen  Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Jana Čokl


HOFFNUNGEN: SLOWENIEN 73

Die Geschichte der Frauen

Mit gutem Beispiel voran: die Stadtführerin Jasmina Jerant.

text:  Krsto Lazarevic Nirgendwo auf der Welt gibt es regelmäßige femi­nis­ tische Städtetouren – außer in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. 98 Prozent der Denkmäler in der slowenischen Hauptstadt ehren Männer. Die Aktivistinnen des Zentrums für urbane Kultur in Ljubljana hatten bereits mit einem krassen Miss­ verhältnis gerechnet, aber dieses Ergebnis einer Zählung war ihnen dann doch zu extrem. Sie entschieden, dass endlich auch die Geschichte der Frauen erzählt werden muss. Und so entwickelten sie eine feministische Stadttour durch Ljubljana. Jeden Abend um 18:00 Uhr treffen sich nun ­Besuchergruppen an der Fontäne im Zentrum der slowenischen Hauptstadt und werden dort von einer Stadtführerin empfangen. Heute leitet Jasmina Jerant die Tour – streng geschnittener brauner Pony, Nerdbrille und dazu eine braune Ledertasche. An manchen Stationen reckt sie kämpferisch die Faust in den Himmel, als gelte es, an Ort und Stelle den Kampf gegen das Patriarchat aufzunehmen. Neben den Stadttouren moderiert sie eine feministische Radiosendung. Jerant erzählt: »Viele der Besucher sind überrascht, wenn sie erfahren, dass im gesamten Stadtzentrum nur eine einzige Straße nach einer Frau benannt ist. Eine der beliebtesten Stationen unserer Tour ist das mittelalterliche Gefängnis, in dem die sogenannten Hexen auf ihre Exekution gewartet haben.« Die großen Themen der Führung sind die Entstehung der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, die antifaschistische Frauenfront zu Zeiten des Widerstands gegen den Nationalsozialismus bis hin zu den aktuellen Kämpfen von Frauenrechtlerinnen in Slowenien. So erfährt man, dass auch heute noch nur fünf der 84 Mitglieder der slowenischen Akademie der Künste und Wissenschaften weiblich sind, ein starkes Missverhältnis also auch hier. Zwei Stunden dauert die Tour,

auf der die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Menge zur Geschichte slowenischer Künstlerinnen, Architektinnen und politischer Figuren erfahren. Man muss sich vorher anmelden, die Tour kostet zwölf Euro pro Person, erzählt wird auf Englisch. Meist kommen zwischen fünf und 30 Interessierte. Jasmina Jerant ist eine von vielen jungen Sloweninnen, die das Land verließen. Zehn Jahre lang lebte sie in Kalifornien und Budapest, wo sie ihren Abschluss in Politikwissenschaften machte. Doch im Gegensatz zu zahlreichen anderen kehrte sie vor einem Jahr nach Ljubljana zurück: »Ich habe viel von der Welt gesehen und an verschiedenen Orten gelebt, aber ich habe nirgendwo eine so dynamische alternative und feministische Szene vorgefunden wie in Ljubljana.« Ihr Beruf als feministische Stadtführerin scheint das zu unterstreichen: Es gibt auf der ganzen Welt offenbar keine einzige andere regelmäßige Stadttour dieser Art. Dabei ist das Inte­ resse daran unter Frauen riesig, bei Männern dagegen eher nicht – vor allem nicht bei den einheimischen. Die wenigen männlichen Teilnehmer an Jerants Führungen sind meist ausländische Touristen. Jerant hat dafür eine einfache Erklärung: »Allein schon das Wort Feminismus macht vielen ­Männern in Slowenien Angst und es ist auch recht unpopulär. Auf Instagram finden sich weniger als 50 Einträge unter dem slowenisch geschriebenen Wort ›Feminizem‹, ich glaube, das sagt schon alles.« Sie hofft, dass ihre Stadttouren in ­erster Linie gute Unterhaltung bieten und darüber hinaus zur poli­ tischen Bildung beitragen: »Die Geschichte der Frauen wird oft einfach übergangen. Deswegen passiert es bei unseren Touren oft, dass die Teilnehmerinnen überrascht oder sogar schockiert sind. Manchmal haben sie sogar Tränen in den Augen.« Es wird noch eine Weile dauern, bis es normal sein wird, die Geschichte der Frauen genauso selbstverständlich zu erzählen wie die der Männer. Aber in Ljubljana ist ein Anfang gemacht.


Taiwan

rund 379 km

Taipeh

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Elektronik Maschinen Elektrotechnik

1/22 LANDESSPRACHE

Chinesisch (Putonghua)

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Maschinen Erdöl

40,7 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

22 °C LANDFLÄCHE

36.197 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

42.520 km / 1.541 km AUSSENHANDELSQUOTE

96,4 %

NATIONALFEIERTAG

Aufstand von Wuchang 1911:  10. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Danzai – deftige Nudelsuppe mit Schweinefleisch und einer einzelnen Garnele BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Eat Drink Man Woman« (Regie: Ang Lee) GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Pearl Milk Tea


HOFFNUNGEN: TAIWAN 75

Taiwans ­unermüdlicher Spiegelputzer

Kam mit seinem Einsatz sogar ins internationale Fernsehen: Herr Chang aus Taipeh.

text:  Klaus Bardenhagen Herr Chang will Leben retten – und sich auch selbst etwas Gutes tun. Also dreht er jeden Morgen seine Runde. Um halb fünf Uhr morgens erhellt das erste Tageslicht die dicht bewaldeten Hügel am Rand von Taiwans Hauptstadt Taipeh. In einer engen Kurve der gewundenen Land­stra­ße klettert ein weißhaariger Mann auf eine Klappleiter, miss­ trau­isch beäugt vom Hofhund des abgelegenen Hauses ­gegenüber. Ein kleiner blauer Pritschen-Lkw braust vorbei, ein Handwerker auf dem Weg zur Arbeit, und streift bei­ nahe die Leiter am Straßenrand. Der Mann darauf schreckt nicht zusammen. Er interessiert sich nur für den in zwei Meter Höhe angebrachten ­runden, gewölbten Spiegel, der die Kurve für Fahrer über­ schau­bar machen soll. Aus einer Plastikflasche sprüht er Reinigungsmittel und wischt den Spiegel mit einem Lappen sauber. Es ist kein Sauberkeitsfimmel, der Chang Hsiu-hsiung aus dem Bett getrieben hat, und er wird auch nicht dafür bezahlt. Der 76-Jährige will Gutes tun. Die Idee entstand, als er auf einem Ausflug mit seinen Kindern Zeuge eines tödlichen Unfalls wurde. Schuld, so war er überzeugt, hatte ein an der engen Straße aufgestellter Spiegel. Der war so verdreckt, dass er seinen Zweck nicht mehr erfüllte. »Einer musste doch was tun«, sagt Herr Chang. »Also mache ich das jetzt.« Seit 2011 bricht er von Montag bis Freitag jeden Morgen in aller Hergottsfrühe auf, fährt die Straßen rund um Taipeh ab und poliert alle Spiegel, an denen er vorbeikommt. Dieser ist nach wenigen Sekunden wieder blitzblank. Schnell steigt Chang von der Leiter, befestigt sie hinten auf seinem alten Motorrad und braust zum nächsten Einsatz­ort, nur wenige Meter die Straße hinab. Mit einer Anwohnerin, die auch früh auf den Beinen ist, wechselt er einige Worte.

Man kennt sich, er ist nicht zum ersten Mal hier. »Nach acht Monaten ist jeder Spiegel auf meiner Route geputzt«, sagt Chang. »Dann fange ich wieder von vorn an.« In einem ­Notizbuch listet er in winziger Handschrift akribisch alle Einsätze auf. Mehr als 130.000 Mal hat er schon zum Lappen gegriffen. Mit seinem unermüdlichen Einsatz hat Chang vielleicht schon Leben gerettet. Erst wurden die hiesigen Medien auf ihn aufmerksam, später drehte sogar ein deutsches Fernsehteam einen Bericht. Von Taiwans Verkehrsminister bekam Chang eine Medaille als Ehrung – und eine neongelbe Warnweste, damit er morgens nicht angefahren wird, wenn der Berufsverkehr einsetzt. Gefährlich sind nicht nur die berüchtigten blauen Lieferwagen. Von seiner Leiter gefallen ist Chang schon mehr als einmal, ab und zu wird er von wilden Hunden gejagt. Einmal hielt ein Nachtwächter ihn für einen Einbrecher und rief die Polizei. Das alles ist ihm auch mit 76 Jahren lieber, als allein zu Hause zu sitzen. Chang war Ende 50, als seine Frau Krebs bekam. Er hörte mit der Arbeit als Verputzer auf und kümmerte sich um sie, vier Jahre lang bis zu ihrem Tod. Danach hatte er keine Aufgabe mehr, die Kinder wohnen längst ­woanders. Beim Spiegelputzen geht es nicht nur ums Helfen – es gibt seinem Leben auch einen festen Tagesablauf und das Gefühl, gebraucht zu werden. Und er hat andere inspiriert. Einige Frauen und Männer sind seine Mitstreiter geworden, er hat sie angelernt und ih­nen eigene Routen zugeteilt. Die Jüngeren müssen sich aber ranhalten, laut Changs Statistik haben sie zusammen erst 10.000 Spiegel geputzt. Um neun Uhr beendet er seinen Einsatz und fährt heim. Schluss für heute. Wie lange er noch weitermachen will? »So lange es geht.«


Tschechien

rund 279 km

České Budějovice, Hradec Králové, Jablonec nad Nisou, Jeneč, Ostrava, Plzeň, Praha, Ričany-Jažlovice, Syrovice

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Kfz und Kfz-Teile Elektronik Maschinen

9/356 LANDESSPRACHE

Tschechisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Maschinen chemische Erzeugnisse

42,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

7,55 °C LANDFLÄCHE

78.867 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

130.661 km / 9.467 km AUSSENHANDELSQUOTE

153, 30 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1918:  28. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Parek v Rohlik – Würstchen in einem Hörnchen BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Jan Novák: »Zátopek« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Bier, Holzschnitzereien


HOFFNUNGEN: TSCHECHIEN 77

Frischer Wind für ein archaisches ­Handwerk

Aus seinen Händen kommt international gefragtes Kunsthandwerk: der Glasschleifer Jaroslav Madle.

Wie sich böhmische Glasschleifer der Zukunft öffnen

text:  Kilian Kirchgeßner Von der Hitze des mächtigen Glasofens trennen Jaroslav Madle ein langer Flur und eine schwere Tür. »Zu mir kommt das Glas erst, wenn es gut abgekühlt ist«, sagt er. Wenn er spricht, muss er seine Stimme heben, um gegen das Brummen anzukommen, das hier in der Luft liegt: Madle ist einer der erfahrensten Glasschleifer der böhmischen Firma Rückl, sein Arbeitsplatz liegt in der gewaltigen Schleifhalle, die er sich mit zwei, drei Dutzend Kollegen teilt. Vor ein paar ­Jahren noch, erzählt er, haben sie alle sich schon fast in der ­Arbeitslosigkeit gewähnt: Die Umsätze der Glashütte brachen ein, immer weniger Kunden wollten sich teure gläserne Staubfänger in die Wohnung stellen. Und jetzt? Madle zeigt strahlend auf die Rollwagen voller Vasen, Becher und Karaffen, die neben seinem Arbeitsplatz stehen: »Das ist genug Arbeit für die nächsten Wochen und es kommt immer mehr dazu!« Man muss ein paar Jahrhunderte zurückgehen, um zu begreifen, was die Erhaltung gerade dieser Arbeitsplätze bedeutet: Das Victoria-and-Albert-Museum in London, ein besonders renommiertes Kunstgewerbemuseum, steht voll von geschliffenem Glas aus Böhmen – früher waren die ­böhm­ischen Glasschleifer weltweit führend, die Königs­ häuser standen Schlange für Kunst aus ihren Händen. »Im Prinzip«, sagt Jaroslav Madle, »hat sich die Technik bis ­heute nicht groß verändert!« Er setzt sich auf seinen Hocker, vor sich ein Tisch mit einer kleinen runden Scheibe, die ­rasend schnell rotiert. In sie hält Madle das Glas – und wo die Scheibe entlangritzt, entstehen im Glas die Muster.

Wie gut sie gelingen, hängt von der Kunstfertigkeit der Schlei­fer ab. In die aktuelle Kollektion schleift Jaroslav Madle ­Sterne hinein, jeder unterschiedlich groß, jeder anders konturiert. »Diese kleine Vase hier kostet mich ein paar Stunden Arbeit, aber die große Vase da drüben zum Beispiel: Mit der bin ich anderthalb Tage beschäftigt.« Und wenn der l­etzte Schliff danebengeht, weil er einen Moment nur unaufmerksam ist, dann war die ganze Arbeit umsonst. Das Problem des Glasschliffs war zuletzt das Image: ­Böhmische Vasen sahen oft noch so aus wie zu Zeiten des Kommunismus, wo selbst in der kleinsten Plattenbauwohnung Platz war für eine zentnerschwere Glasvase in Bonbon-Farben, in die kitschige Muster eingraviert waren. Neue Hoffnung für die Branche kommt erst jetzt: Die alten, oft bankrotten Firmenchefs haben ihre Unternehmen verkauft – und mit dem Generationenwechsel hin zu jüngeren Eignern kommt frischer Wind in das archaische Handwerk. So wie bei der Firma Rückl: Sie heuerte Rony Plesl als Chefdesigner an, einen der renommiertesten Glaskünstler Europas. Und der legte eine Kollektion auf, die mit den alten Staubfängern nichts mehr zu tun hat: Wie Street Art sehen die Muster aus, die er in cool geschwungene Gläser schleifen lässt, die Schliffe wirken auf einmal wie kunstvoll angebrachte Graffiti-­ Muster. Auf Möbel- und Designermessen überall auf der Welt kursieren seitdem die Werkstücke, die durch die Hände von Jaroslav Madle und seinen Kollegen gegangen sind – und sie verkaufen sich so gut, dass es für die begehrtesten Gläser mittlerweile lange Wartelisten gibt.


78

Das ist der Hoffnungsschimmer, auf den Jaroslav Madle und seine Kollegen setzen. Das Glasschleifen ist ein Beruf, sagt Madle, den müsse man mit Leidenschaft betreiben. Wer nur komme, um Geld zu verdienen, der werde es nie weit bringen. Manchmal sitzt er noch nach Feierabend hier und schleift Kunstwerke in das Glas, die er dann zu Hause in ­seine Vitrine stellt – Fingerübungen sind es für ihn und Versuche, neue Tricks und Kniffe zu finden für die jahrhundertealte Kunst. Er selbst machte gleich nach der Schule seine Lehre, danach kam er aber in eine Schaffenskrise. »Ich war auch schon einmal Verkäufer in einer Werbeagentur, ich habe als Assistent in einem Dentallabor gearbeitet«, sagt er und schüttelt den Kopf: »Aber das Glas spricht mich einfach am meisten an. Es ist so ein natürliches Material, eine ­Mischung aus Holz, Wasser und Stein. Es sticht aus allen anderen hervor.« Und es lässt ihn nicht los. Jaroslav Madle streicht sich die langen Haare aus der Stirn, bevor er zum nächsten Glas greift, das er schleifen muss. Ein paar Lehrlinge, hofft er, werde er in den kommenden Jahren noch ausbilden. Früher sei das Interesse am

Aus einfachen Steinen wird wertvolles Glas.

­ lasschleifen immer weiter zurückgegangen, weil niemand G mit viel Mühe einen Beruf lernen wollte, der sowieso in der nächsten Zeit aussterben würde. Jetzt, sagt Madle und lässt den Blick schweifen über die vielen Rollwagen voller Glas, das noch auf seine Bearbeitung wartet, hätten sich die ­Vorzeichen gründlich geändert. Aus der Glasschleiferei ist wieder ein zukunftsträchtiges Unterfangen geworden, davon ist er überzeugt – und vielleicht zieht das auch den Nachwuchs an. Madle denkt kurz nach, dann fällt ihm eine Ana­ logie ein, die so böhmisch ist wie die Glashütte Rückl, in der er arbeitet: »Wenn eine Köchin gute Knödel machen will, muss sie auch lange üben und viel Liebe reinstecken. Bei uns ist das ähnlich: Wir müssen den Jungen vorsichtig die einzelnen Schritte zeigen, ganz geduldig. Wir müssen sie gemächlich in das Handwerk einführen, dass sie von sich aus die Faszination erkennen, die uns antreibt. Wir müssen sie dahin bringen, dass sie selbst den Wunsch haben, weiterzumachen.« So kann es mit der böhmischen Glasschleiferei dann doch noch weitergehen, zumindest für die nächsten paar Generationen.


HOFFNUNGEN: TSCHECHIEN 79

Die schicksalhafte Acht text:  Imke Borchers 2018 feiert die Tschechische Republik das hundert­jährige Jubiläum ihrer Gründung. Dass die Jubiläums-Festivitäten ins achte Jahr einer Dekade fallen, ist in der Historie des Landes schon fast Programm, wenn auch nicht immer mit feierlichem Anlass: Das Schicksal nahm seinen Lauf mit dem Prager Fenstersturz 1618. Auch wenn der Sturz für die symbolisch geopferten drei ­Gefolgsleute des Kaiserreichs glimpflich ausging – alle drei ­blieben nahezu unverletzt – löste das Ereignis den Dreißigjährigen Krieg aus, der für den europäischen Kontinent ­verheerend war. Die Auseinandersetzung endete erst– nicht überraschend – dreißig Jahre später, 1648 mit dem Westfä­ lischen Frieden. Das Gebiet des heutigen Tschechiens wurde Teil der Habsburgermonarchie, bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, 1918. Wieder eine Acht in der Jahreszahl. Und 1848 wird der Prager Pfingstaufstand niedergeschlagen: Tschechische Nationalisten hatten den Aufstand gegen das Kaisertum Österreich geprobt, Böhmen und Mähren ­blieben aber fremdregiert. Nach Ende des Ersten Weltkriegs gründete sich 1918 die Tschechische Republik, erstmals in demokratischer Staatsform, endlich mal ein positiver Ein­ trag in den Geschichtsbüchern. Das blieb so bis 1938, als das

Münchner Abkommen Tschechien den Nationalsozialisten zusprach und das Land von Deutschland besetzt wurde. 1948 folgte die Machtübernahme durch die Kommunistische Partei. Im Frühjahr 1968 unternahm die tschechoslowa­ kische Kommunistische Partei den Versuch, die Politik zu ­reformieren und das Land damit zu liberalisieren und in eine Demokratie zu überführen. Dieser Versuch wurde im August durch einmarschierende Truppen des Warschauer Paktes gewaltsam niedergeschlagen. Während die Achter-Jahre im 20. Jahrhundert zumeist nicht ganz so erfreulich waren, gibt es 2018 endlich wieder Grund zu feiern: Die Trennung vom Nachbarn Slowakei vor 25 Jahren verlief friedlich, die beiden Völker sind sich nach wie vor freundschaftlich verbunden. Der tschechischen ­Wirtschaft geht es gut. Und auch sportlich läuft es rund. ­Ester Ledecká gewann bei den Olympischen Spielen in Korea im Februar 2018 erst Gold im alpinen Ski und dann im Rie­ senslalom auf dem Snowboard. Die Tschechin ist damit die ­einzige Sportlerin, die je bei einer Olympiade Medaillen in zwei verschiedenen Disziplinen gewinnen konnte. Und Ester Ledecká ist erst 23 Jahre alt – sie kann also locker noch in vier – oder besser acht – Jahren weitere Goldmedaillen gewinnen.


Türkei

rund 700 km

Istanbul, Izmir

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Textilien und Bekleidung Kfz und Kfz-Teile Nahrungsmittel

3/57 LANDESSPRACHE

Türkisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen Kfz und Kfz-Teile Elektronik

30,9 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

11,10 °C LANDFLÄCHE

783.562 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

385.754 km / 10.131 km AUSSENHANDELSQUOTE

47,10 %

NATIONALFEIERTAG

Ausrufung der Republik 1923:  29. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Köfte – variantenreiche Hackfleischbällchen, ­meistens aus Lamm- oder Rindfleisch BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Crossing the bridge« (Regie: Fatih Akin)* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Textilien, Nüsse, Olivenöl

Ein Tipp von GW -Mitarbeiterin Arzu Yavşan


HOFFNUNGEN: TÜRKEI 81

Sinan Kutlu und Nevra Atan haben sich mit einer ­Sprachschule in Istanbul selbstständig gemacht.

Grenzen überwinden Wie eine Sprachschule in Istanbul Brücken in den Westen baut text:  Philipp Mattheis Was hat der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein mit einer türkischen Sprachschule zu tun? Vieles, meint Gründerin Nevra Atan. Die studierte Germanistin machte dessen Satz »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt« zum Slogan ihrer Firma. »Wir stellten fest, dass sich zwar viele Türken sehr für Europa und den Westen interessieren, ihn aber kaum verstehen«, sagt die 31-Jährige. »Denn in den staatlichen Schulen ist der Sprachunterricht meistens mangelhaft.« 2012 gründete sie mit ihrem Partner Sinan Kutlu die Firma »Formula Lingua« mit dem Ziel, den Mitarbeitern großer internationaler Unternehmen in der Türkei Fremdsprachen zu lehren. Kutlu hatte das Istanbuler Galatasaray Lisesi, eine französischsprachige Privatschule, besucht und anschließend französische Literatur studiert. Er brachte auch den ersten großen Kunden mit, den französischen Autobauer Peugeot. »Das half uns am Anfang natürlich sehr«, erzählt Atan. »Vor allem weil wir merkten: Es geht, wir schaffen das.«­ Innerhalb einer Woche mieteten die beiden ein kleines Büro in Kadikoy, im asiatischen Teil der Stadt, an und legten los. Die türkische Arbeitswelt ist von strengen Hierarchien ­geprägt. Wer aufsteigen will, muss zudem die richtigen Leute kennen. Berufseinsteiger erhalten maximal eine Woche ­Urlaub. »Auch das motivierte uns natürlich, lieber eine eigene Firma zu gründen«, sagt der 38-jährige Kutlu. Es dauerte nicht lange, da kamen neben Peugeot andere große Firmen hinzu, deutsche, amerikanische und türkische.

Kutlu und Atan stellten als erstes einen Englischlehrer an. 2014 wussten sie dann, dass sie von ihrem eigenen Unternehmen leben können. Atan erhielt zudem ein Stipendium von Goldman Sachs zur Frauenförderung – »10.000 Women«. Es half ihr, ihr Netzwerk zu erweitern. Mittlerweile haben sie sieben Mitarbeiter und Hunderte Kunden. Das Geschäft läuft – und ist krisensicher. Natürlich war die wirtschaftliche Stimmung 2012 bis 2016 in der Türkei viel besser. Die Türkei galt als internationaler Hotspot, ein aufstre­bendes Schwellenland mit einer jungen Bevölkerung. »Um ein Unternehmen zu gründen, war das die richtige Zeit«, sagt Kutlu. »Leute aus der ganzen Welt kamen nach Istanbul – wir wussten, es gibt einen großen Markt.« Nach den Terroranschlägen und dem fehlgeschlagenen Putsch 2016 sowie durch die autoritärer werdende Politik hat sich die Situation eingetrübt. Viele junge, gut ausgebil­de­ te Türken zieht es nach Westeuropa und in die USA , weil sie dort mittlerweile mehr Karrierechancen sehen und sich in ihrem liberalen Lebensstil weniger bedroht ­fühlen. Das merken auch Atan und Kutlu bei Formula Lingua. »Früher waren 50 Prozent unserer Kunden Expats, die Türkisch lernen ­wollten«, sagt Atan. »Heute sind es zu 90 Prozent Türken, die sich für eine Fremdsprache interessieren.« Die Brücken nach Europa sind für viele wichtiger denn je geworden – und sie beginnen immer mit der Sprache.


Turkmenistan

rund 854 km

Aschgabat

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

1 (Partnerbüro) /4

Erdgas Erdöl und Erdölprodukte

LANDESSPRACHE

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

Turkmenisch

Maschinen und Ausrüstung Nichteisenmetalle Transportmittel

DURCHSCHNITTSALTER

27,9 Jahre NATIONALFEIERTAG DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

Unabhängigkeitserklärung 1990:  27. Oktober

15,10 °C TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE LANDFLÄCHE

Futschi – eine Art Hackfleischkuchen

488.100 km2 BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

58.592 km / 3.115 km AUSSENHANDELSQUOTE

117,10 %

John W. Kropf: »Unknown Sands: Journeys Around the World’s Most Isolated Country« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Achal-Tekkiner


HOFFNUNGEN: TURKMENISTAN 83

Im Reich der ­goldenen Pferde

Gold glänzende Pferde aus der Wüste ­Turkmenistans: Katharina Jakob mit einem Achal-Tekkiner.

text:  Edda Schlager Überall in Turkmenistan ist das Pferd: als überlebensgroßes Denkmal einer voranstürmenden Herde mitten im Zen­ trum der Hauptstadt Aschgabat. Als riesige Galionsfigur am Rand des turkmenischen Olympiastadions. Als Ornament an Later­nenmasten, die sechsspurige Autobahnen säumen. Es ist nicht irgendein Pferd, das die Turkmenen so abgöttisch lieben, dass es ihm zu Ehren sogar einen Nationalfeiertag gibt. Der Achal-Tekkiner ist eine der ältesten Pferde­ rassen der Welt, deren Zucht vermutlich schon vor mehr als 3.000 Jahren in den Wüsten Zentralasiens begann – und in Turkmenistan ist es liebstes Haustier und Nationalsymbol zugleich. »So wie der Wüstenstaat Turkmenistan ist, so sind diese Pferde«, schwärmt Katharina Jakob, »hart, fordernd, arrogant. Aber unheimlich schön.« Die 36-jährige Betriebs- und Pferdewirtin aus Deutschland ist international erfolgreiche Pferdesporttrainerin. Und sie kennt Turkmenistan aus einer Perspektive, die jedem Touristen verborgen bleibt – vom Rücken der Achal-Tekkiner aus. Die Rasse gilt als besonders edel und wird vor allem für Pferderennen gezüchtet. Die Pferde sind schmal und hoch gebaut, größer und kräftiger als die filigranen Araber. Wie die Araber-Pferde sind Achal-Tekkiner ganz außergewöhnlich gut an das Wüstenklima angepasst, im Sommer kann es in Turkmenistan selbst im Schatten bis zu 50 Grad heiß ­werden. Doch ins Auge fallen sie vor allem wegen ihres Fells. Egal welche Farbe, ob Brauner, Fuchs oder Schimmel, ­aufgrund einer besonderen Haarbeschaffenheit haben alle Achal-­ Tekkiner einen goldenen Schimmer und funkeln regelrecht in der Sonne. Dazu ist ihr Kopf besonders ausdrucks­­voll mit hart definierten Zügen und großen Augen. Dass ihre Liebe zu eben dieser Rasse Katharina Jakob eines Tages nach Turkmenistan führen würde, hätte sie als Jugendliche in ihrer süddeutschen Heimat nie zu träumen gewagt. Eine Bekannte züchtete die damals in Europa kaum bekannten Achal-Tekkiner. Auf ihnen lernte Jakob reiten und nahm

an ersten Turnieren teil. Irgendwann hatte sie dann eine eigene Reitschule und ein Gestüt – für Achal-Tekkiner natürlich. Nachdem Jakob seit 2006 auf der Suche nach potenziellen Zuchtpferden bereits mehrfach in Russland und Zentralasien gewesen war, reiste sie 2010 erstmals nach Turkme­nis­ tan, »zur Wiege der Achal-Tekkiner«, wie sie sagt. Sie hatte sich unter den dortigen Züchtern schon einen Namen gemacht und wurde prompt zur Gründung des Internatio­nalen Zuchtverbandes für Achal-Tekkiner (IATHA ) ein­ge­laden. Und sie bekam Zugang zu den goldverzierten Zuchtställen des Präsidenten, zu Pferdesportanlagen mit bis zu 600 Stall­plätzen, zu verschiedenen Rennbahnen. Sie begann, eine Reitschule auf internationalem Niveau aufzubauen, in der – zu ihrer Überraschung – Jungen und Mädchen ab acht Jahren gemeinsam Reitunterricht bekamen, kostenlos und zugänglich für jede gesellschaftliche Schicht. Irgendwann wurde sie gefragt, ob sie nicht Trainerin des turkmenischen Springreiterteams werden wolle. Ein kleiner Schock! Sie, die junge blonde Deutsche, sollte den gestan­ denen turkmenischen Männern etwas vom Pferd erzählen?! Doch Jakob willigte ein! Anderthalb Jahre lang pendelte sie zwischen Deutschland und Turkmenistan und bereitete die turkmenischen Springreiter auf die 5. Asiatischen Indoor-Spiele vor, die im September 2017 in Aschgabat stattfanden. Und tatsächlich: Ihr bester Reitschüler Nikolay Beglaryan gewann mit dem achtjährigen Schimmel Toychi den Akhal Teke Cup der Springreiter und holte Gold nach Turkmenistan. Der Ruhm, den sich Jakob durch den Sieg in der turkmenischen Pferdewelt erworben hat, ist ihr nicht wichtig. Viel wertvoller, sagt sie, sei die Tatsache, dass sie in Turkmenistan echte Freunde gefunden habe. Sie wurde von den Turkmenen, die nur selten Fremde an ihre wertvollen Tiere lassen, als Pferdemensch mit einem besonderen Händchen für Achal-Tekkiner akzeptiert – als eine von ihnen.


Ukraine

rund 890 km

Kiew, Mukachevo

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

pflanzliche Produkte Eisenmetalle Fette und Öle

2 /9 LANDESSPRACHE

Ukrainisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen mineralische Brennstoffe chemische Erzeugnisse

40,6 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

8,30 °C LANDFLÄCHE

603.500 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

169.694 km / 20.975 km AUSSENHANDELSQUOTE

104,80 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1991:  24. August TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Wareniki – gefüllte Teigtaschen, gekocht oder ­gedämpft BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Jonathan Safran Foer: »Alles ist erleuchtet« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Antonow


HOFFNUNGEN: UKRAINE 85

Anja hebt ab text:  Denis Trubetskoy Die Ukraine wird für internationale Unternehmen ­immer interessanter. Vor allem für Billigfluganbieter: Ryanair steigt in diesem Jahr ein, Wizz Air weitet das Routenangebot deutlich aus. Anja ist müde – aber sie strahlt. Als sie Anfang Juli um vier Uhr morgens den zweitgrößten Flughafen Kiews, Schuljany, erreicht, ist die 21-jährige Studentin voller Vorfreude auf einen Kurztrip in die deutsche Hauptstadt, der so vor Kurzem ohne Weiteres nicht möglich war: »Berlin hat mich schon immer fasziniert. Doch obwohl ich neben dem Studium noch in einem Restaurant arbeite, reichte das Geld bis jetzt nie«, erzählt sie. Zum einen gab es lediglich einen Direktflug pro Tag mit Ukraine International Airlines (UIA ). Zum anderen musste Anja sich für die Reise ein Visum besorgen und dafür zusätzlich 35 Euro Gebühr zahlen. Seit dem 11. Juni 2017 aber dürfen ukrainische Staatsbürger, die einen gültigen biometrischen Reisepass besitzen, nach jahrelangem Hoffen und Bangen visafrei in die EU , die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein reisen. Und der Visafreiheit ist es zu verdanken, dass der irische Billigfluganbieter Ryanair nun in den ukrainischen Markt ein­ gestiegen ist und zum günstigen Tarif die Ukraine mit Westeuropa verbindet. Die Monopolstellung der UIA war damit beendet. Der ungarische Billigflieger Wizz Air ist zwar schon länger im ukrainischen Markt, hat aber infolge der Visa­ liberalisierung sein Routenangebot deutlich ausgeweitet. So fliegt Wizz Air ab Juli 2018 vom Flughafen Kiew-Schuljany nach Frankfurt am Main und nach Berlin-Schönefeld. Und ab Oktober fliegt die ungarische Fluggesellschaft neben den neuen Routen nach Estland und Portugal schließlich auch nach Wien – täglich. Für Anja öffnen sich dadurch Horizonte: »Die Länder Europas zu bereisen, war früher nicht mehr als ein Traum. Deshalb habe ich mir im letzten Jahr so schnell es ging einen neuen Pass besorgt – und endlich kann ich ihn tatsächlich nutzen.« »Wir setzen klar auf die Ukraine. Sie hat reichlich Wachstumspotenzial und ist durch die Visafreiheit für uns noch attraktiver geworden«, heißt es aus der Wizz Air-Zentrale in Budapest. Ähnlich sieht das der irische Konkurrent. Ursprüng­ lich wollte Ryanair den Flugbetrieb nach Kiew noch 2017

auf­nehmen, für die vorgesehenen Routen wurden sogar ­Tickets verkauft – der bereits unterschriebene Einstiegsdeal scheiterte jedoch an schwierigen Verhandlungen zwischen dem Billiganbieter und dem wichtigsten ukrainischen Flughafen Boryspil. Nun aber fliegt Ryanair mehrmals pro Woche von Kiew nach Berlin, es wird mit Preisen ab 27,50 Euro geworben. Mit zehn weiteren Routen ab Kiew und fünf aus der west­ukra­i­ nischen Metropole Lwiw (Lemberg) will Ryanair seinen Großangriff auf den ukrainischen Luftfahrtmarkt ausweiten. Dabei geht es um Flüge nach Deutschland, Litauen, Groß­ britannien, Irland, Polen, Schweden und Spanien – eine durchaus breite Aufstellung. »Seit Mitte 2017 verzeichnen wir ­international immer mehr ukrainische Passagiere«, ­betont Ryanairs Geschäftsführer Michael O’Leary. »Unser ­Routennetz wollen wir auch über Kiew und Lwiw hinaus ausbauen«. Das ostukrainische Charkiw und das südukrainische Odessa sind weitere Ziele im Visier des Billigfliegers. »Wir wollen die Ukraine der Welt öffnen – und die Welt den Ukrainern«, sagt der ukrainische Infrastrukturminister Wolodymyr Omeljan, der den Boom der Billigfluglinien in seinem Land als großen Erfolg der europäischen Integration der Ukraine sieht. »Ich freue mich, dass immer mehr Bürger einfach so für das Wochenende in die EU fliegen können. Das soll in ein paar Jahren Normalität werden.« Allein wegen des Warenangebotes der westlichen Kaufhausketten lohnt sich die Reise allerdings nur bedingt. Denn Kiew öffnet sich nicht nur für die Billigfluglinien, sondern auch für bekannte europäische Marken, die das Land früher vor allem wegen Korruptionsproblemen gemieden haben. Die schwedischen Ketten H&M und IKEA , ganz oben auf der Liste der von ­Ukrainern erwarteten Hersteller, sollen bis Ende des Jahres den ukrainischen Markt betreten und hier Filialen eröffnen. »Ich sehe das als i-Tüpfelchen für unsere Öffnung hin zur EU und für die internationale Bekanntheit der Ukraine«, freute sich die ukrainische Vizepremierministerin für europäische Integration Iwanna Klympusch-Zinzadse. Für Anja spielt das kaum eine Rolle. Sie besucht in Berlin eine Freundin und will mit ihr vor allem das Nachtleben erkunden. Ausschlafen wird sie dann, wenn sie zurück ist.


Ungarn

rund 317 km

Biatorbágy, Dunaharaszti, Győr, Hajdúböszörmény, Mosonmagyaróvár, Vecsés

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Maschinen Kfz und Kfz-Teile Elektrotechnik

6/314 LANDESSPRACHE

Ungarisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Maschinen Elektronik chemische Erzeugnisse

42,3 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

9,75 °C LANDFLÄCHE

93.024 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

203.601 km / 7.896 km AUSSENHANDELSQUOTE

174,70 %

NATIONALFEIERTAG

Revolutionsgedenktag 1848:  15. März Stephans-Tag:  20. August Ausrufung der Republik 1989:  23. Oktober TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Lángos – in Fett gebackenes Fladenbrot, meistens nur mit Knoblauchöl oder Sauerrahm bestrichen BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

»Körper und Seele« (Regie: Ildikó Enyedi) GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Palinka (Obstbrand), Wein


HOFFNUNGEN: UNGARN 87

Gábor Hangay und Györgi Samodai fahren auch im ­Budapester Villenviertel mit dem Pannonrider.

Zukunft aus der Puszta text:  Martin Fejér Das Gefährt sieht aus wie eine Kreuzung aus Messerschmitt Kabinenroller und MiG 15. Dabei handelt es sich bei dem Pannonrider offiziell um ein Fahrrad, genauer gesagt um ein dreirädriges E-Liegerad mit geschlossener Fahrgastzelle, Akku und Solarmodulen. Gábor Hangay zieht es aus dem Geräteschuppen seines schmucken Hauses im alten Buda­ pester Villenviertel Zugló. »Es ist unser Vorserien-Fahrzeug von 2012«, sagt er entschuldigend und deutet auf die Kratzer und Beulen, bevor er die Pilotenkuppel hochklappt. »Wir benutzen es aber immer noch im Alltag und bei Rennen.« Auf der Seite prangt eine große Sieben. Angefangen hat alles 1997, als Hangay mit seinem Partner György Samodai und einigen weiteren Kollegen die Firma PannonSolar aus der Taufe hob. Getrieben von Pioniergeist und ökologischem Sendungsbewusstsein entwickelten sie Solarkollektoranlagen für Gebäude und schafften es, hochqualitative, individuelle Lösungen komplett aus heimischer Produktion anzubieten. Als sich schließlich die großindus­ trielle Fotovoltaik durchsetzte, schwenkten sie vom Wärmemarkt auf den Verkehrssektor um und begannen 2010 mit der Entwicklung des Pannonrider. Der 52-jährige Bauingenieur lässt sich in den Schalensitz fallen und stellt die Füße auf die Pedale. »Das ist das Einzige, was hier die Polizei interessiert. Wenn sie die Pedale sehen, sind sie zufrieden.« Eingestuft als Fahrrad, darf der Pannonrider in Ungarn 50 Stundenkilometer erreichen und sogar

Fahrradwege benutzen. Eine gesonderte Versicherung oder Registrierung sind nicht erforderlich. Eigentlich ideale ­Voraussetzungen für einen Erfolg des kleinen Solarflitzers. In anderen Ländern muss man schon beim leistungsstärksten E-Bike mit Führerscheinpflicht, Mindestalter, Versicherungskennzeichen und Radwegeverbot rechnen. Allerdings arbeitet die EU -Kommission augenblicklich an einer Ver­ einheitlichung der B ­ estimmungen und der Einführung einer allgemeinen Versiche­rungspflicht für alle motorisierten Leichtfahrzeuge. In unserem Fall durchaus begrüßenswert, denn der Pannonrider stößt mit seinem geschlossenen ­Konzept, den über 70 Kilogramm Gewicht und seiner hohen Geschwindigkeit in die L ­ ücke zwischen Fahrrad und Auto. Bedient wird er dabei aber eher wie ein Panzer: Stablenkung links und rechts des Piloten sowie getrennte Betätigung der Scheibenbremsen an den beiden Vorderrädern sorgen für maximale Wendigkeit und rasante Kurvenfahrten. Das angetriebene Hinterrad da­gegen wird über den Rücktritt der Fahrradpedale verzögert. Hangay zieht am Gasgriff und schon jagt der weiße Kobold mit einem schnarrenden Geräusch die Allee hinunter. Samodai, der im gegenüberliegenden Haus wohnt, ist hinzugekommen. »Der Rider hat seit Monaten keine Steckdose gesehen«, bemerkt der 60-jährige Informatiker. Die Reichweite des kräftigen Fahrradakkus, kombiniert mit der ­stän­digen Nachladung durch die Solarzellen und die Rückspeisung der


88

Bremsenergie, lässt das Fahrzeug im groß­städtischen Alltagsbetrieb praktisch nie an seine Grenzen kommen. Der Durchschnittsverbrauch beträgt zehn Wattstunden / Kilometer, beim E-Auto sind es 20-mal so viel bei gleichem Tempo. Reinsetzen und losfahren, kein Tanken, abgefahrene Fahrradreifen als einzige Betriebskosten – und keine Parkplatzsorgen. Da sollte doch das Herz eines jeden Berufspendlers höherschlagen. Zumal er seinen Anzug anbehalten kann und die Laptoptasche hinter den Sitz passt. Doch die SUV s am Straßenrand sprechen eine andere Sprache. Samodai kennt das Problem: »Wer kein Geld hat, hat auch nicht die 7.500 Euro für einen Pannonrider. Und wer Geld hat, kauft ein Auto.« Autofahren wiederum hatte noch nie viel mit ­R ationalität zu tun. Hinzukommt, dass diese erste Version des Riders zu klein geraten ist. Der Fahrer sollte nicht größer als 175 Zentimeter sein und eine Einkaufstasche passt schon nicht mehr hinein. Hangay und Samodai konzentrieren sich daher auf die Zukunft. Die Fünfer-Kleinserie des ersten Rider ist verkauft. Einer blieb in Ungarn, die übrigen gingen nach Frankreich, Belgien und Holland. Sie haben in den letzten vier Jahren

Der Pannonrider sieht intergalaktisch aus, ist aber ein Elektrofahrrad.

zehntausende Kilometer abgespult und die Tauglichkeit der Konstruktion bewiesen. Jetzt kommt der Pannonrider 2. ­Er wird länger, höher und hinter den Piloten passt noch einiges an Gepäck, vielleicht auch ein Kind. Auf den Plänen ­ähnelt die selbsttragende Komposit-Monocoque-Karosserie aus Kevlar, Karbon und Glasfaser jetzt einem Schnellzug-­ Triebkopf. Die Anträge auf staatliche Förderung sind gestellt, noch dieses Jahr soll die Produktion losgehen und 2020 kommt der Pannonrider 2 auf den Markt. Allerdings wird der neue Rider nicht mehr die techno­lo­ gische Einzigartigkeit des alten von 2012 haben. Überall auf der Welt schießen inzwischen Konkurrenzprojekte aus dem Boden. Bis zum Erscheinen wird aber auch die Zahl der ­Städte mit Fahrverboten wachsen und damit der Markt für innovative Lösungen für den umweltverträglichen Indivi­ dualverkehr von morgen. Samodai ist dabei von der Qualität ­seines Produktes überzeugt: »Wir sind ein wenig so wie ­Tesla. Aber während die versuchen, mit maximaler Energie Luxusbedürfnisse zu befriedigen, wollen wir mit minimaler Energie Grundbedürfnisse abdecken!«


HOFFNUNGEN: UNGARN 89

Die Donau hat Ungarn schon immer mit Österreich verbunden, seit dem Fall des ­Eisernen Vorhangs sind auch die wirtschaftlichen Verbindungen wieder sehr intensiv.

Fallende Grenzen, neue Ideen text:  Stefano Dal Cin Ob in der Elektromobil-Branche oder im Logistik-Bereich: Wenn ungewöhnliche Ideen umgesetzt und neue Märkte erschlossen werden sollen, ist Vertrauen in die eigene Vision erforderlich. Und Mut und Wille, über die bisherigen Grenzen hinauszudenken. Das hat vermutlich auch Gebrüder Weiss angetrieben, nach der Wende die Erweiterung des Netzwerks in die östlichen Nachbarländer Österreichs anzugehen. Die erste Bresche in den Eisernen Vorhang wurde am 27. Juni 1989 in Österreich geschnitten – und zwar wortwörtlich. Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Kollege Gyula Horn durchtrennten mit einer Drahtschere den Stachel­draht. Ein paar Monate später fiel die Berliner Mauer und eine neue Zeitrechnung begann – nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich. Österreich rückte von der Peripherie ins Zentrum Mitteleuropas. Gebrüder Weiss erkannte die Chancen und startete rasch mit der eigenen Expansion in die Nachbarländer. Viele Mitarbeiter begegneten damals dem Engagement in diesen neuen, bis dato wenig entwickelten Ländern mit geringem Enthusiasmus. Alfred Denk, ­damals Niederlassungsleiter in Wien, erinnert sich: »Meine Ostaffinität wurde von vielen Kollegen als für den Gesamt­ erfolg nicht sehr zielführend betrachtet.« Denk und seine Mitarbeiter ließen sich davon aber nicht beirren und began-

nen, unterstützt von der Geschäftsleitung, in den Nachbarländern Österreichs Speditionsbetriebe unter der Flagge von Gebrüder Weiss aufzubauen. Am schnellsten ging das in Ungarn. Da 100-prozentige Westfirmen kurz nach der Öffnung nicht möglich und der bisherige Ungarn-Partner Raaberspeed an einem Joint ­Venture nicht interessiert war, verhandelte man mit einem ungarischen Lagerhausunternehmen. Dieses verfügte über eine Anlage mit freien Kapazitäten in Törökbalint nahe dem alten Budapester Flughafen. Schon im Februar 1990 konnte Gebrüder Weiss den ungarischen Kunden die Firma »­Hungaroweiss« vorstellen. Gebrüder Weiss hielt 60 Pro­ zent der Anteile und stellte den Geschäftsführer, der ungarische Partner den Präsidenten des Aufsichtsrates. Bereits im ­Frühjahr 1990 folgte die Gründung einer Tochtergesell­ schaft in Prag, die wenig später mit Zweigstellen im heutigen Bratis­lava und in Brünn sowie auch in Slowenien ergänzt wurde. Diese Schritte in Richtung weiterer Internationalisierung sollten sich für Gebrüder Weiss bald als zukunfts­ weisend herausstellen. Und das könnte so oder so ähnlich auch auf die momentane Entwicklung im Elektromobil-­ Bereich zutreffen.


USA

rund 2.762 km

Atlanta, Boston, Chicago, Dallas, Los Angeles, New York

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Maschinen Elektronik Kfz und Kfz-Teile

6/118 LANDESSPRACHE

Englisch, Spanisch (regional)

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Kfz und Kfz-Teile Maschinen

38,1 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

8,55 °C LANDFLÄCHE

9.833.517 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

6.586.610 km / 228.218 km AUSSENHANDELSQUOTE

28 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung 1776:  4. Juli TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Hamburger BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Steve Tesich: »Abspann« GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Coca Cola, Disney, Apple Produkte, Harley Davidson


HOFFNUNGEN: USA 91

Sieben Pisten für ein Drehkreuz

Am O’Hare Flughafen dominieren United Airlines und American Airlines die Lüfte.

text:  Andreas Spaeth Chicago O’Hare ist ein Flughafen der Superlative, dessen Geschichte 1942 auf einer Apfelplantage begann. Am Horizont ragen die Wolkenkratzer von Downtown ­Chicago in den Himmel, davor landet ein Flugzeug nach dem anderen – rund 1.400-mal am Tag. Kaum irgendwo auf dem Globus ist der Himmel so metallhaltig wie rund um Chicago, wo neben O’Hare als Haupt-Drehkreuz und sechstgrößtem Flughafen der Welt (79,8 Millionen Passagiere 2017) auch noch der Stadtflughafen Midway (22,4 Millionen) ­Ver­kehr abfertigt. Mit knapp zehn Millionen Einwohnern im Großraum Chicago spielt die drittgrößte Stadt der USA ­wegen ihrer zentralen Lage im Land auch im Flugverkehr eine entscheidende Rolle. Nicht zuletzt deswegen, weil die beiden amerikanischen Airline-Giganten hier jeweils ihre zweitgrößten Drehkreuze unterhalten: Platzhirsch ist von jeher United Airlines mit Firmensitz Chicago, gefolgt von Ame­rican Airlines. Beide zusammen fertigen 59 Prozent aller Passagiere ab. Chicago O’Hare ist vorrangig ein Inlands­ flug­hafen, rund 85 Prozent aller Passagiere sind auf US -­­­Ver­ bin­dungen unterwegs. Fast die Hälfte der Fluggäste steigt in Chicago lediglich um und macht O’Hare so zu einem wich­ ti­gen Drehkreuz, auch für Luftfracht. Dort belegt O’Hare Platz 17 weltweit. Seinen Ursprung hat O’Hare, benannt nach Edward O’Hare, dem ersten Fliegerass der US Navy im Zweiten Weltkrieg, als Flugzeugwerk für Douglas C-54-Transportmaschinen. Im Jahr 1942 startete der Betrieb vor den Toren der ­damals zweitgrößten amerikanischen Stadt nahe einem Dorf namens Orchard Place, inmitten von Apfelplantagen. Die Flugzeug­fabrik benötigte direkten Zugang zu den Arbeits-

kräften und der guten Eisenbahn-Infrastruktur Chicagos. Doch 1945 war Schluss und das Firmengelände, das bereits damals über ein Pisten-Dreieck verfügte und nur als Douglas Field bekannt war, wurde in Orchard Field Airport umbenannt – daher stammt auch der bis heute gebräuchliche DreiLetter-Code ORD für Chicago O’Hare. Der damalige Hauptflughafen war Midway, den etwa die Lufthansa anflog. Erst im Juli 1962 mussten alle Linienverbindungen nach O’Hare umziehen. Inzwischen war dort ein kompliziertes Geflecht aus sieben sich zum Teil kreuzenden Bahnen entstanden, die sich in den Folgejahren sowohl als zusätzliches Sicherheitsrisiko erwiesen als auch Verspätungen begünstigten. Erst ein zehn Jahre dauerndes Modernisierungsprogramm brachte bis Ende 2015 das Bahnensystem am O’Hare International Airport auf einen modernen ­Standard. Die nötigen Anstrengungen dafür waren gewaltig. ­Erstmals wuchs das Flughafengelände über seine bisherigen Grenzen hinaus. Dazu war die Umsiedlung Hunderter ­Menschen aus Bensenville nötig und die Umbettung des gesamten St. Johannes-Friedhofs mit über 1.200 Gräbern aus dem späten 18. Jahrhundert. Außerdem die Verlegung eines Flusses, die Aufschüttung von elf Millionen Kubikmetern Sand sowie Abriss und Neubau von Frachtanlagen. Zwei Bahnen wurden stillgelegt, andere verlängert. Das Resultat: Fünf Ost-West-Bahnen sowie zwei in Nord-Süd-Richtung, von denen insgesamt drei parallel betrieben werden können. Und wer weiß, vielleicht versteckt sich irgendwo auf dem riesigen Flug­hafengelände noch der eine oder andere Apfelbaum, der die lange Evolution dieses einst idyllischen Orts zu einem der größten Flughäfen der Welt überlebt hat.


92 


HOFFNUNGEN: USA 93

Für Mensch und Biene gleichermaßen nützlich: die Arbeit der NGO Sweet Beginnings, deren Produkte auch am Flughafen O’Hare vertrieben werden.

Aller Anfang ist süß text:  John Mulrow Das Bodenpersonal am O’Hare Airport in Chicago ist an die Launen der Natur gewöhnt: vereiste Flugzeuge im Winter, kochend heiße Pisten im Sommer. Alles kein Problem. Als sich allerdings eines sonnigen Nachmittags ein Bienenschwarm an einem Flugsteig niederzulassen anschickte, war man plötzlich ratlos. Doch da tauchten auch schon Brenda Palms Barber und ihr Sweet Beginnings-Team auf, schnappten sich den Schwarm samt der Königin und brachten ihn eilends zu einem neuen Bienenstock auf einem abseits gelegenen Feld des O’Hare-Geländes. »Wir leisteten gleich ­Öffentlichkeitsarbeit vor Ort«, erinnert sich Brenda Palms Barber, Gründerin und Geschäftsführerin von Sweet Beginnings. »Während wir den Schwarm einsammelten, informierten wir das Bodenpersonal über Honigbienen, deren Verhalten und die ökologische Bedeutung der Blütenbestäubung.« Aber auch wenn Sweet Beginnings schon viel dafür unternommen hat, dass Bienen als natürliche Ressource und nicht als Plage wahrgenommen werden, ist das nicht das vorrangige Ziel der Organisation. Sweet Beginnings ist ein Ausbildungsprogramm für Menschen, deren Zugang zum Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen eingeschränkt ist, zum Beispiel für ehemalige Häftlinge. Seit 2004 lernen die Teilnehmer, wie man Bienen versorgt, Honig erntet und verpackt oder daraus Seifen und Cremes herstellt. Dabei werden sie von einem lokalen Imker und diversen Umwelt- und Sozialorganisationen unterstützt.

Aus dem Projekt ist ein soziales Unternehmen entstanden, das wirtschaftlich arbeitet und Menschen eine Erwerbsper­ spektive bietet. Die Auszubildenden werden nicht nur in ­Bienenzucht und der Verarbeitung von Honig unterwiesen, sondern auch in Verpackungs- und Vertriebslogistik sowie in Marketing. Der Honig und die daraus hergestellten Produkte werden in großen Lebensmittelketten der Region und in Läden auf den Chicagoer Flughäfen verkauft. Die Dach­ organisation North Lawndale Employment Network (NLEN ) überprüft die Rückfallquote der ehemaligen Häftlinge im Programm sorgfältig und konnte nachweisen, dass nicht einmal zehn Prozent der Absolventen von Sweet Beginnings erneut straffällig werden. Demgegenüber stehen eine Rückfallquote von 40 Prozent in ganz USA und von 55 Prozent im Bundesstaat Illinois. Brenda Palms Barber beschreibt die Philosophie von Sweet Beginnings mit einer Metapher: »Bienen unterscheiden nicht zwischen ›Unkraut‹ und ›Blumen‹. Sie sind auf den Nektar im Inneren aus.« Das Programm und seine Dachorganisation folgen bei ihrer Klientel dem gleichen Prinzip und konzentrieren sich auf das Potenzial der Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft oder ihrer kriminellen Vergangenheit. So wächst in Chicago nicht nur die Population der Honigbienen, sondern mit ihr auch die Zahl der umwelt- und gesundheitsbewussten Fachleute, denen nach einem süßen Anfang eine glänzende Zukunft bevorsteht.


Vereinigte ­ Arabische Emirate

rund 383 km

Abu Dhabi, Dubai

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Rohöl Elektronik nichtmetallische Mineralien

2/52 LANDESSPRACHE

Arabisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Maschinen Kfz und Kfz-Teile

30,3 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

27 °C LANDFLÄCHE

83.600 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

4.080 km / 357 km AUSSENHANDELSQUOTE

205,20 %

NATIONALFEIERTAG

Gründung der Föderation 1971:  2. Dezember TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Lugaimat – kleine fritierte Teigbällchen, mit Dattel­ sirup oder Rosenblüten-Honig beträufelt BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Mohammed bin Rashid Al Maktoum: »My vision – Challenges in the Race for Excellence«  GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Rohöl, Gold  Ein Tipp von GW -Mitarbeiter Oliver Nicolaysen


HOFFNUNGEN:  VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE 95

EXPO 2020 in ­Dubai Die Früchte der Great Exhibition in London 1851 text:  Imke Borchers Die Zukunft kommt, das ist gewiss. Wie bereiten wir uns darauf vor, welche Potenziale stecken in uns? Wie bewegen wir uns zukünftig? Wie gestalten wir unsere Umgebung auch für nachfolgende Generationen lebenswert? Unter dem Motto »Connecting Minds, Creating the ­Future« widmet sich die EXPO 2020 in Dubai diesen und anderen Fragen. Die Schau in der Wüstenstadt Dubai wird nicht nur die erste in Arabien, sondern auch die erste im Nahen Osten überhaupt sein. Dubai als Austragungsort ist durchaus passend: Die Metro­pole in den Vereinigten Arabischen Emiraten ist in den 1970er-­Jahren mit der Entdeckung von Bodenschätzen groß und reich geworden. Heute leben und arbeiten hier Menschen aus über 200 Nationen. Dubais Lage ist zentral, alle großen Städte der Welt sind per Flugzeug ohne Zwischen­ stopp zu erreichen und viele Reisende landen hier auf dem Weg von Asien nach Europa, von Amerika nach Indien ­zwi­schen. Als Handelsort ist die Region am Persischen Golf schon seit jeher bedeutsam. Die Idee der Weltausstellungen reicht in die Anfänge des industriellen Zeitalters zurück. 1851 fand in London die erste Great Exhibition statt. Im eigens dafür gebauten Kristallpalast war Platz, um viele bedeutende, große und kleine Erfindungen der Welt zu präsentieren. Denn das war der Gedanke hinter der vom britischen Königshaus initiierten Schau: ­Menschen aus aller Herren Länder sollten die Möglichkeit bekommen, ihre Produkte international zu bewerben und zu verkaufen. Die Idee des freien Welthandels und damit auch der Globalisierung hatte ein Bühne gefunden. Ganz nebenbei wollte der weltgewandte britische Prinz Albert auch ein ­Zeichen zur Völkerverständigung setzen. Während der halbjährigen Ausstellungsdauer besuchte eine internationale Gesellschaft die Hauptstadt des Königreichs, um die aktuel-

len technischen Errungenschaften, vor allem die neuesten Dampfmaschinen und Fortschritte in der Telegrafie, zu ­bestaunen. Die folgenden Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts präsentierten ihrem Publikum viele Produkte und ­Bauwerke, die einen bleibenden Eindruck hinterließen: der erste Lippenstift (Amsterdam 1883), der Eiffelturm in Paris (1889) und so wichtige zivilisatorische Errungenschaften wie Zündhölzer (Paris 1855), Nähmaschine (London 1862) und das Telefon (Philadelphia 1876). Längst ist das, was vielleicht Mitte des 19. Jahrhunderts in London seinen Anfang nahm, fortgeschritten und der Welthandel braucht keine Plattform mehr für die Präsenta­ tion seiner neuen Erfindungen. Geblieben ist den Weltausstellungen der Gedanke des Kulturaustauschs: Während es 1851 25 Länder waren, die ihre Produkte ausstellten, rechnet ­Dubai mit 180 teilnehmenden Ländern. Getreu dem Motto der Schau sollen dann an die 180.000 Besucher täglich über ein halbes Jahr hinweg das Gelände besuchen und Ideen und Konzepte für die mobile Welt der Zukunft kennenlernen. Wo früher die Erfindungen lediglich präsentiert wurden, sollen sie in Dubai gemeinsam erprobt und weiterentwickelt werden. Im Konzept der EXPO steht der Nachwuchs im ­Fokus, denn er ist der Erfinder der Zukunft. Schon jetzt wirbt das Vermittlungsprogramm mit zahlreichen Fördergeldern für innovative Unternehmen aus den Bereichen Mobility und Sustainability. Außerdem gibt es Forschungsstipendien für Institute und Nachwuchswissenschaftler sowie ein Kon­fe­renz­ format, das Menschen und Ideen zusammenbringen soll. Vielleicht gelingt in Dubai im Nahen Osten, was schon Prinz Albert damals mit der Great Exhibition in London angestoßen hatte: die Menschen der Erde etwas näher zusammenzurücken.


Vietnam

rund 1.651 km

Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt

GW-STANDORTE /

E XPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER

Elektronik Textilien und Bekleidung Nahrungsmittel

2/21 LANDESSPRACHE

Vietnamesisch

IMPORT-SCHWERPUNKTE TOP 3

DURCHSCHNITTSALTER

Elektronik Maschinen Textilien und Bekleidung

30,5 Jahre DURCHSCHNITTSTEMPERATUR

24,45 °C LANDFLÄCHE

330.967 km2 STRASSEN- UND SCHIENENNETZ

195.468 km / 3.186 km AUSSENHANDELSQUOTE

184,70 %

NATIONALFEIERTAG

Unabhängigkeitserklärung durch Ho Chi Minh 1945: 2. September TYPISCHES GERICHT AN EINER RASTSTÄTTE

Banh Mi – ein Sandwich, meist mit gegrilltem Fleisch oder Fisch und Koriander gefüllt BUCH ODER FILM ZUR REISEVORBEREITUNG

Graham Greene: »A Quiet American«* GEFÜHLTER EXPORTSCHLAGER

Samsung-Produkte, traditionelle Strohhüte  Ein Tipp von GW -Mitarbeiter Cristian Predan


HOFFNUNGEN: VIETNAM 97

Mithilfe des Volkes

Wenn es nach Vingroup geht, dominieren die typischen Zweiräder bald nicht mehr die Straßen in Vietnam, wie hier noch in Hanoi.

text:  Frederic Spohr Besuchern in Vietnam fällt in der Regel zuerst eines auf: die unzähligen Roller, die sich durch die Straßen des südostasiatischen Landes schlängeln. Kaum etwas zeigt den beein­ druckenden Wirtschaftsboom besser, den das Land in den vergangenen zehn Jahren erlebt hat. Die meisten Roller ­werden im Land hergestellt, allein Honda baut in riesigen Fabriken jedes Jahr mehr als 2,5 Millionen Zweiräder. Doch Vietnam hat noch mehr vor. Aus dem Land der Roller mit fast 100 Millionen Einwohnern soll eine große Auto­­ mobilbau-Nation werden. Der vietnamesische Mischkonzern ­Vingroup will schaffen, was schon lange niemand mehr ver­ sucht hat: eine neue Automarke aus dem Nichts aufzubauen. Das Start-up namens VinFast soll die erste Automarke des Landes werden – und schließlich weltweit expandieren. »Wir verfügen über die erforderlichen Ressourcen, die ­nötige Skalierbarkeit und die Motivation, um ein bedeutender neuer Akteur auf dem globalen Automobilmarkt zu wer­ den«, erklärt der Chef des Unternehmens, James DeLuca, selbst­bewusst. Das Unternehmen dringt in einen weitgehend uner­schlos­ senen Markt vor. Noch besitzen erst 1,6 Prozent der Viet­­ name­sen ein Auto. Gleichzeitig wächst dank des Wirtschaftsbooms eine Mittelschicht im rasanten Tempo heran. Im letzten Jahr wurden in Vietnam 260.000 Autos verkauft. VinFast rechnet damit, dass es bis 2025 schon fast eine Mil­lion Verkäufe jährlich sein könnten. Das ambitionierte Ziel: Rund die Hälfte der Autos sollen dann ein »V« auf dem ­Kühler tragen – das Logo von VinFast. Doch es ist ein schwieriges Unterfangen: VinFast tritt ge­ gen eine globale Konkurrenz an, die teilweise schon mehr

als 100 Jahre lange Erfahrung hat. Ähnlich große Pläne hatte in den 1990er-Jahren der malaysische Staat mit der Auto­ marke Proton. Das Unternehmen existiert zwar noch, blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück. Mittlerweile ­gehört es dem chinesischen Autobauer Geely. Deswegen hat sich VinFast internationale Unterstützung geholt: Chef DeLuca, einst Vize-Präsident beim amerikanischen Autobauer General Motors, hat sich Partner auf der ganzen Welt gesucht. Das Design für die Wagen stammt aus dem italienischen Designbüro Pininfarina, der deutsche Autobauer BMW hilft beim Aufbau der Produktion. Zu den Partnern gehören auch die deutschen Technologiekonzerne Siemens und Bosch sowie der österreichische Zulieferer Magna. Noch wird gebaut: Gerade ziehen Kräne und Bauarbei­ ter bei der Hafenstadt Haiphong im Norden des Landes die ­rie­sige Fabrik hoch. Insgesamt investiert VinFast deutlich mehr als eine Milliarde Euro. Die ersten beiden Modelle des Unternehmens werden dieses Jahr im Pariser Autosalon ­vor­gestellt: eine Limousine und ein SUV . Ab September 2019 sollen sie ausgeliefert werden. Dann kommt der Moment, dem heute schon viele Viet­ namesen entgegenfiebern. Sie selbst durften über das Design der Fahrzeuge abstimmen – 62.000 Bürger beteiligten sich an dem Online-Wahlverfahren. VinFast-Chef DeLuca weiß, dass er nicht nur eine Automarke aufbaut, sondern ein nationales Projekt verfolgt. »Wir sind extrem stolz darauf, dass wir der erste Massenhersteller aus Vietnam sind«, kündigt er an. In einem Interview verspricht er: »Da geht es um mehr als nur um uns. Das ist für das vietnamesische Volk.«


98

Den Spirit ­erhalten Wolfram Senger-Weiss ist seit 2005 im Vorstand von Gebrüder Weiss und tritt ab 2019 die Nachfolge von Wolfgang Niessner als Vorsitzender des Vorstands an. Gemeinsam mit seinem Bruder Heinz Senger-Weiss sowie Peter Kloiber und Jürgen Bauer, dem Newcomer im Vorstand, liegt es nun an ihm, das Unternehmen in eine neue Ära zu führen. Wo geht die Reise hin?


HOFFNUNGEN 99

interview: Frank Haas Herr Senger-Weiss, mit welchen Gefühlen blicken Sie Ihrer neuen Aufgabe entgegen? Schauen Sie, als Mitglied einer der Eigentümerfamilien ­begleitet mich das Thema »Gebrüder Weiss« schon von klein auf. Ich bin nicht die erste Generation, die hier Verant­ wortung trägt, sondern wir stehen hier als Familie in einer langen Tradition. Ich übernehme nun eine wichtige Rolle und danke für das Vertrauen. Ich gehe mit viel Freude und Zuversicht in diese Phase, habe aber durchaus Respekt vor der Aufgabe – und ich bin damit nicht allein: Auch andere Familienmitglieder haben wichtige Funktionen für eine wirkungsvolle Corporate Governance übernommen. Das lange Engagement Ihrer Familie im Unternehmen lässt sich bis in das ausgehende Mittelalter zurückver­­ folgen. Spüren Sie da so etwas wie einen dynastischen Druck? Unsere Eltern haben unsere berufliche Orientierung immer offengelassen, aber man macht sich den Druck gewisser­ maßen selber. Wobei ich betonen möchte, dass die Führung dieses Unternehmens natürlich nicht an mir alleine hängt. Wir sind ein gutes Team in der Geschäftsleitung, wir haben ein eingespieltes Management und viele wunderbare Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeiter, die hervorragende Leistungen erbringen und ebenfalls eingeladen sind, sich einzubringen. Worauf legen Sie in der Zusammenarbeit besonderen Wert? Was muss man mitbringen, um Teil des orangen Teams zu sein? Was mir wichtig ist, kann man vielleicht mit den Tugenden eines Kaufmanns umschreiben: ehrbar, ehrlich, menschlich sein und den Leuten in die Augen schauen können. Das ist eine unglaublich wichtige Qualität in einer Welt, die immer oberflächlicher wird. Mit diesen Eigenschaften können wir uns als Gebrüder Weiss auch differenzieren. Und jeder, der diesen Weg mitgehen kann und mag, ist bei uns herzlich willkommen. Also »Vertrauen geht vor Geschäft«, wie es ihr Vater Paul Senger-Weiss einmal formuliert hat? Es ist einfach ein grundsätzlicher Zugang: Wir leben mit Dienstleistern, wir sind Dienstleister. Wir bewegen uns in ­einem Geflecht aus Abhängigkeiten. Von daher ist es in geschäftlichen wie auch in privaten Beziehungen wichtig, die Dinge so zu lösen, dass alle Beteiligten erhobenen ­Hauptes daraus hervorgehen können. Haben Sie das Gefühl, dass Ehrlichkeit und Ehrbarkeit momentan hoch im Kurs stehen?

Gesellschaftlich viel zu wenig. Hoch im Kurs steht der Populismus, die Pflege des Egos, Selbstverwirklichung. Das Achten auf den anderen, das Suchen nach dem Gemeinsamen ist leider in den Hintergrund geraten. Kann Gebrüder Weiss diesem Trend etwas entgegen­ setzen bzw. sich selbst dagegen behaupten? In bescheidenem Rahmen durchaus. Wir können mit unseren 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schon ein ­Multiplikator sein. Man kann nie die ganze Welt verändern, aber was man tun kann, das soll man tun. Dann wird die Welt zumindest ein kleines Stück besser. Sie haben einmal bei anderer Gelegenheit davon ge­­ sprochen, dass Sie – ähnlich wie Ihr Vorgänger Wolfgang Niessner – eine etwa 15-jährige Amtszeit ansteuern. ­Welche Herausforderungen stellen sich Ihnen auf diesem Weg? Vielleicht zuerst einen kurzen Kommentar zu den 15 Jahren: Ich bin nach deren Ablauf Anfang 60 und das ist aus meiner Sicht ein passendes Alter, um einen Abschluss in dieser Funktion zu finden. Aber zurück zur Frage: Wir müssen in unserer Marktpositionierung einen weiteren Schritt gehen. Produktionswege und Logistikketten werden sich verändern. Individualisierte Logistikkonzepte werden unsere Branche sehr stark fordern. Wir werden auch eine Antwort auf die ökologische Frage geben müssen. Ich bin zwar der Meinung, dass wir auch in 15 Jahren noch mehrheitlich mit fossilen Kraftstoffen unterwegs sein werden, aber ich sehe doch viele erfreuliche Ansätze und bin überzeugt, dass die Alterna­tiven dann eine Rolle spielen. Gebrüder Weiss ist in den vergangen Jahren auch geo­ grafisch gewachsen und ist heute in 30 Ländern weltweit präsent. Sind weitere Expansionen in Sicht? Ich glaube, wir decken die wichtigen und interessanten Märkte gut ab – was nicht heißt, dass es nicht noch gewisse Arrondierungen geben kann. Ich setze stark auf die weitere Entwicklung Richtung Zentralasien, auch liebevoll »Seiden­ straße« genannt. Wir dürfen uns keine Wunder erwarten, aber es gibt Gebrüder Weiss die Möglichkeit – ähn­lich wie uns das in Südosteuropa gelungen ist –, als Seidenstraßen-­ Experte einen weiteren USP aufzubauen. Parallel dazu ­müssen wir natürlich die großen Märkte, in die wir ­gerade gegangen sind, vor allem in den USA , weiterentwickeln. Stichwort Seidenstraße: Nachdem das Interesse der ­Öffentlichkeit an dem Projekt lange Zeit gering war, gibt es nun auch zahlreiche mahnende Stimmen, die eine


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­»Es wird ergänzend viel Neues geben, aber das Grundgeschäft der Logistik wird auf absehbare Zeit das Gleiche bleiben.«

Übervorteilung Europas durch den mächtigen chine­ sischen Partner sehen. Teilen Sie diese Befürchtung? Die Seidenstraße wurde ja dankenswerterweise nur durch das große Engagement der Chinesen überhaupt erst wach geküsst. Und ich denke, es werden sowohl die beiden ­Brückenköpfe China und Europa als auch die Länder dazwischen am Ende von dieser Entwicklung profitieren – die im Übrigen auch gar nicht aufzuhalten ist. In diesem Sinne hat die EU jetzt nur noch zu entscheiden, ob sie mitbestimmen oder getrieben sein will. In der Vergangenheit waren wir leider, auch was die Gestaltung unserer transatlantischen Beziehungen angeht, viel zu oft die Getriebenen. Es gibt eben auch in Europa noch lange keine gemeinsame Linie, stattdessen dominieren die Partikularinteressen einzelner Staaten. Also, keine Angst vor der gelben Welle? Nein. Ich bin mir nicht sicher, ob man das wirklich vergleichen kann, aber vor 20 oder 30 Jahren hatten wir in Europa ähnlich lautende Befürchtungen, was Japan angeht. Und auch diese sind nicht eingetreten. Ich denke, Europa hat viel zu bieten und ist eine besondere Region auf dieser Welt. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Stärke erhalten und uns behaupten können. Berufsbedingt kommen Sie viel herum. Wo sind Sie ­besonders gerne? Ich bin gerne in Österreich. Ich finde, hier kann man gut ­leben. Österreich ist besser als sein Ruf, der im Ausland ­leider nicht immer der beste ist. Aber genauso gerne bin ich unterwegs. Ich habe in Asien und in den USA gelebt und mich dort sehr wohlgefühlt. Trotzdem weiß ich, dass mein Zuhause Europa ist, hier möchte ich am liebsten leben. Speziell ist Ihr Lebensmittelpunkt Wien … Ich bin in Vorarlberg aufgewachsen, wo es mich natürlich oft und gerne wieder hinzieht. Aber hier in Wien ist meine ­Familie, hier gehen unsere Kinder in die Schule. Hier lebe ich gerne. Was die meisten Länder heutzutage gemeinsam haben, ist der Hang zu populistischen Entscheidungen. Macht Ihnen das Angst?

Schon. Leider sind auch die modernen Kommunikations­ formen, so sehr ich diese auch schätze, Katalysatoren in diese Richtung. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass diese neuen Technologien natürlich auch Trends zulassen, die man sehr begrüßen kann. Mir kommt im Zusammenhang mit dem Brexit so eine jugendliche Ini­ tia­tive in den Sinn: »Let’s hug a Brit«. Hier werden, sicherlich augenzwinkernd, Gräben überwunden, die der Populismus aufgerissen hat. Ich glaube, dass für Menschen Grenzen ­immer unwichtiger werden. Das würde den Populisten auch den Nährboden entziehen. Welche Bedeutung haben Grenzen für Sie persönlich? Ich bin sehr stark unter dem Einfluss von Grenzen in Vorarlberg aufgewachsen. Vor der EU war man da eingegrenzt in ein sehr kleines Land. Grenzen beengen, reduzieren den Spielraum und die Möglichkeit für Visionen. Geografische Grenzen bedingen manchmal auch Grenzen im Denken. Andersrum brauchen wir natürlich alle mentale Grenzen in unserem Zusammenleben. Kinder brauchen Grenzen, da bin ich ein großer Verfechter. Und wir müssen uns im geschäft­ lichen wie im privaten Bereich an Grenzen des Anstands halten. Es kann ja auch im Straßenverkehr nicht jeder fahren wie er möchte. Wie können Sie sich persönlich mental abgrenzen? ­Anders gefragt: Bei der Fülle an Informationen, die Sie täglich verarbeiten müssen, wie können Sie das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden? Ich grenze die Anzahl der Medien ein, mit denen ich mich beschäftige – und dennoch fühle ich mich von der Fülle an ­Informationen teilweise übermannt. Ärgern Sie sich manchmal über ein Zuviel an Informa­ tion? Eigentlich nur dann, wenn der Absender eines E-Mails sich nicht die Mühe macht, das zu betonen oder zusammenzufassen, worum es eigentlich geht. Das ist eine Unart, die sich generell im Geschäftsleben breitgemacht hat. Hier hat jeder die Verantwortung sich zu überlegen: Was will ich ­eigentlich wirklich kommunizieren? Was stresst Sie darüber hinaus?


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Manchmal der Verkehr, wenn ich auf dem Weg zu Terminen bin. Mich stresst, wenn Deadlines nicht eingehalten werden, und ich deswegen unter Druck gerate. Manchmal stresst es mich, wenn ich mir meinen Kalender zu sehr fülle. Und es stresst mich, wenn es Leuten, die mir nahestehen, nicht gut geht. Und wie sieht die Stressbewältigung aus? Bei beruflichem Stress: Arbeiten bis spät in die Nacht (lacht). Würden Sie sich als Arbeitstier beschreiben? Ja. Ich sage immer, es ist besser, im Urlaub zu arbeiten, als gar nicht in den Urlaub zu fahren. Ich bin durchaus in der Lage, nach einem gemütlichen Abendessen mit der Familie noch ein paar Dinge zu erledigen. Das gehört zu meinem Job. Mal abgesehen von der schieren Bewältigung des ­Arbeitsvolumens – was treibt Sie an? Die Arbeit macht mir einfach Spaß. Gebrüder Weiss ist eine tolle Firma. Es gibt viele engagierte Menschen, mit denen ich arbeiten darf. Ich zolle Respekt, indem auch ich versuche, mein Bestes zu geben. Sind Sie ausgeglichener, wenn die Arbeit erledigt ist? Ja. Wenn Dinge unerledigt sind, bin ich etwas nervös, vielleicht manchmal auch grantig. In welcher beruflichen Situation fühlen Sie sich besonders wohl? Ich fühle mich wohl, wenn es mir gelungen ist zu motivieren; also die Menschen für eine gemeinsame Sache zu begeistern. Die Digitalisierung wird unser Arbeiten auf den Kopf stellen. Stimmen Sie dem Satz zu? Ja, aber ich sehe nichts, vor dem man Angst haben müsste. Natürlich werden weitere Arbeitsschritte digitalisiert und damit auch automatisiert. Auf der anderen Seite entstehen aber auch Schritt für Schritt neue Formen der Betätigung und neue Anforderungen. Ich bin eher der Meinung, dass die menschliche Arbeitskraft auf absehbare Zeit Mangelware bleiben wird. Was sich wirklich ändert, ist die Geschwindigkeit, mit der gewisse neue Entwicklungen kommen. Aber ich sehe hier prinzipiell eine große Chance für Gebrüder Weiss. Nämlich welche? Ich denke, wir haben uns in den vergangenen Jahrhunderten viel Vertrauen aufgebaut. Je unübersichtlicher die Welt wird, umso mehr werden Unternehmen profitieren, die sich einen Vertrauensvorschuss erwirtschaften konnten. Viele dieser digitalen Entwicklungen gehen ja auch in die Richtung, Plattformen zu schaffen, die Vertrauen aufbauen. Mal abgesehen davon ist es auch einfach notwendig, zeit­rau­bende Prozesse weiter zu digitalisieren, um der überbordenden Bürokratie und Verwaltung entsprechend Herr zu werden. Auch Slots zu nutzen, wird ein großes Thema der kommenden Jahre ­werden: Wie lässt sich bereits vorhandene Infrastruktur, sei

es auf den Straßen, auf der Schiene, seien es Parkplätze oder auch Platz in unseren Lagerhäusern oder Umschlagterminals, mithilfe digitaler Mittel besser ausnutzen? Aber das Grundgeschäft der Logistik wird auf absehbare Zeit das Gleiche bleiben? Wir werden nicht beamen, auch nicht im großen Stil 3-D-drucken, sondern den Kunden Ware zeitgerecht in den Häppchen zur Verfügung stellen, in denen er sie braucht. Stimmen Sie zu? Ja, ich bin auch dieser Meinung. Es wird ergänzend viel Neues geben, aber die Basisanforderung wird die gleiche bleiben. Wie wird sich Gebrüder Weiss auch in Zukunft gegen die ganz Großen der Branche durchsetzen können? Genau deshalb, weil die anderen ganz groß sind. Gebrüder Weiss kann persönlicher und individueller sein. Mehr Commitment, besserer Service. Deshalb: Wir werden sicher gut weiter wachsen, aber es ist nicht mein Bestreben, Gebrüder Weiss wahnsinnig groß zu machen. Was schätzen Sie an Ihrem Vorgänger? Wir haben persönlich eine sehr gute Ebene gefunden und verstehen uns gut. Ich schätze sehr, wie offen Herr Niessner diesen Übergabeprozess im Moment gestaltet. Er hat als Manager hervorragende Arbeit geleistet. Ich schätze es auch, wie leidenschaftlich er sich immer mit seiner Persönlichkeit in das Unternehmen eingebracht hat. Und ich danke Herrn Niessner dafür, dass er die schwierige Rolle als Vermittler zwischen den Generationen und den Eigentümer­ familien übernommen, stets gut ausgefüllt und jede Revolution unterbunden hat. Hut ab! Was erhoffen Sie sich für die kommenden Jahre? Ich erhoffe mir, möglichst unabhängig von konjunkturellen oder anderen äußeren Einfüssen, die Dynamik unserer ­Firma weiterzuentwickeln und das Zusammengehörigkeitsgefühl auf eine neue Ebene zu bringen. Die Anzahl der ­Märkte und die Anzahl der Menschen im Unternehmen ­haben sehr stark zugenommen. Wir sind gefordert, das zu vermitteln, was Gebrüder Weiss ausmacht. Es muss uns ­gelingen, mit neuen Formen der Kommunikation, aber auch mit persönlichem Einsatz den orangen Funken zum Überspringen zu bringen – und das nicht nur in Lauterach. Wir müssen unseren besonderen Spirit erhalten. Und woran werden Sie Ihren Erfolg bemessen? Erfolg ist, wenn es dem Unternehmen gut geht; wenn die Gesellschafter uns positiv beurteilen und gemeinsam an einem Strang ziehen; und wenn es uns gelingt, die Schlüsselfiguren in unserer Mannschaft an Bord zu halten. Wir sind ein Unternehmen, das begeistert. Und wenn wir in einer sich rasch verändernden Welt unseren Leuten einen – neudeutsch ausgedrückt – Purpose liefern, um bei uns zu arbeiten, dann haben wir in 15 Jahren viel erreicht.


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bogdan alexander hat seine Kindheit in Rumänien verbracht und arbeitet in Deutschland als Entwickler bei SAP im Bereich ­Design & Innovations.

für den ATLAS . Der gebürtige Oberfranke kam nach meh­ reren Stationen bei Agenturen und Unternehmen nach Vor­arlberg ins orange Head Office. Er hat Geschichte und ­Philosophie studiert.

klaus bardenhagen berichtet seit 2008 aus Taiwan. Hier schreibt er für Printund Onlinemedien, arbeitet für Radiosender und dreht Fernsehbeiträge. Zuvor hatte er beim Norddeutschen Rundfunk volontiert, war Reporter in der Wirtschafts­re­ dak­tion des NDR -Fernsehens sowie Nachrichten­redak­­ teur beim ZDF .

nino haratischwili lebt als Theaterregisseurin, Dramatikerin und Schrift­ stellerin in Hamburg. Zuletzt erschien ihr vierter Roman »Die Katze und der General«, der für den Deutschen ­Buchpreis 2018 nominiert ist.

imke borchers ist Redakteurin bei Groothuis. Für den ATLAS schreibt, ­beauftragt und lektoriert die Literaturwissenschaftlerin Texte und Geschichten. Die Angabe zu dem typischen Imbiss für jedes Land findet sie in dieser Ausgabe besonders spannend. rayna breuer hat ihre Kindheit in Bulgarien verbracht und ihre Jugend in Kroatien. In Deutschland hat sie Politikwissenschaften studiert und Rechtswissenschaften in Österreich. Sie ­arbeitet als freie Journalistin. stefano dal cin studiert in Wien Publizistik und Internationale Betriebswirtschaft, danach möchte er in der Kommunikationsund Medienbranche tätig werden. Im Sommer 2018 hat er die Marketingabteilung bei Gebrüder Weiss als Praktikant unterstützt. martin fejér ist Mitbegründer und Co-Leiter der deutsch-französischen Fotoagentur Est & Ost Photography, die auf Mittel- und Osteuropa spezialisiert ist. Er ist in Budapest stationiert und betreut für die Agentur Ungarn und die benachbarten Grenzregionen des Karpatenbeckens.

miriam holzapfel hat Kulturwissenschaften studiert und arbeitet als Redakteurin und Texterin. Für Groothuis betreut sie verschie­ dene Corporate Publishing-Projekte, so auch den ATLAS für Gebrüder Weiss. Die 30 GW -Länder würde sie nach der Produktion dieser Ausgabe am liebsten alle selbst ­bereisen. martin kaluza absolvierte sein Philosophiestudium im östlichen Nachwendeberlin unter schwierigen thermischen Bedingungen. Aus seiner kohlebeheizten Wohnung mit undichten Fenstern flüchtete er zum Lernen in die warme Bibliothek der Freien Universität. Noch immer lebt der freie Journalist in Berlin, inzwischen mit Zentralheizung. kilian kirchgessner arbeitet als Korrespondent in Prag und ist regelmäßig ­zwischen Böhmerwald und Hoher Tatra unterwegs. ­Seine Reportagen wurden mehrfach mit renommierten ­Preisen ausgezeichnet. wlada kolosowa ist in St. Petersburg geboren und in Deutschland aufgewachsen. Sie studierte Publizistik in Berlin und Creative Writing in New York, u. a. bei J. S. Foer und Zadie Smith. 2018 erschien ihr Roman »Fliegende Hunde«. Sie lebt als freie Journalistin in Berlin. Ihr Text ist ein Auszug aus »Russland« von Jessica Schober und Wlada Kolosowa ­(herausgegeben von Heino Wiese, Corso Verlag 2015).

martin fritz arbeitete sich beruflich von ­einem sterbenden Sozialismus zum nächsten. Nach Stationen in Berlin (real existierender DDR -Sozialismus) und Neu-Delhi (Nehru-Sozialismus) kam er als Korrespondent nach Tokio (Finanzsozialismus). Seit 2010 berichtet er nun über den ­Archipel sowie die ­Entwicklungen auf der koreanischen Halbinsel.

krsto lazarevic lebt in Berlin und publiziert für verschiedene Medien zu Migration, Flucht, Wirtschaft, Rechtsextremismus, ­Islamismus sowie Kunst und Kultur aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Außerdem betreibt er den ­Podcast »Neues vom Ballaballa-Balkan«.

frank haas ist Leiter Markenstrategie und Kommunikation bei G   ebrüder Weiss – und als Chefredakteur verantwortlich

felix lee ist seit 2012 China-Korrespondent in Peking und damit der erste chinesischstämmige Korrespondent eines deutschen


AUTORINNEN UND AUTOREN 103

Mediums. Über die Berliner Journalistenschule kam er zunächst zum RBB , danach war er Wirtschaftsredakteur bei der taz in Berlin. philipp mattheis lebt und arbeitet seit Anfang 2016 als Journalist in Istanbul. Trotz der Ereignisse der vergangenen Jahre findet er diese Stadt faszinierend wie keine andere. jörg michel lebt in British Columbia in Kanada. Er arbeitet dort als Journalist, Autor und Korrespondent und bedient mit seiner Firma »Stories and Discoveries in Canada« deutschsprachige Tageszeitungen und Magazine. Als einer der ersten Journalisten konnte er letzten Winter den neuen Arktis-Highway befahren. john mulrow ist im Beirat der NGO Plant Chicago, die Initiativen zum lokalen Wirtschaften unterstützen und berichtet für die NGO aus den Projekten. Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung der Übersetzung aus dem ­Englischen von ­Christiane Wagler. Er ist lizenziert unter einer Creative Commons Lizenz mit Namensnennung (Weitergabe unter gleichen Bedingungen). miruna munteanu ist rumänische Journalistin und arbeitet seit 25 Jahren für verschiedene Medien im Bereich Print und Fernsehen. tigran petrosyan ist freier Journalist für das armenische Fernsehen, für ­R adio-, Print- und Onlinemedien und auch für deutschsprachige Medien wie die taz, Deutschlandfunk und für ZEIT ONLINE . Derzeit lebt der Armenier in Berlin, wo er an der Freien Universität zum Thema Medien und Migra­tion promoviert. alex raack arbeitete von 2009 bis 2016 als Redakteur für das Fußball-­ Magazin 11 F REUNDE . 2012 erschien sein erstes Buch, die Biografie des Fußballers und Alkoholikers Uli Borowka. Raack lebt als freier Autor in seiner Heimatstadt Celle und schreibt regelmäßig über die große weite Welt des Fußballs. edda schlager lebt seit 2005 in Kasachstan und reist von dort aus regelmäßig in die anderen zentralasiatischen Länder Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und manchmal in den Kaukasus. Sie ist für Print- und Onlinemedien tätig, macht Radio und fotografiert.

andreas spaeth ist Luftfahrtjournalist. Er beschäftigt sich seit den 1990er-Jahren mit allen Aspekten der Passagierfliegerei und ist in Rundfunk und Fernsehen ein gefragter Gesprächs­partner. frederic spohr hat die Kölner Journalistenschule absolviert, ist Diplom-­ Politologe und seit 2012 Südostasien-Korrespondent. In seinen Texten beschreibt er den enormen wirtschaftlichen Aufschwung der Region und seine gesellschaftlichen ­Folgen. peer teuwsen hat Germanistik, Wirtschaftsgeschichte und Philosophie in Berlin und Zürich studiert. Zuletzt war er Ressortleiter der Hamburger Ausgabe der ZEIT . Heute leitet er die Redaktion von NZZ Geschichte. 2012 wurde er zum Schweizer Journalisten des Jahres gewählt. denis trubetskoy wurde in Sewastopol geboren und hat Journalistik an der Lomonossow-Universität Moskau studiert. Er arbeitet als freier Journalist in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und widmet sich für deutsch- und russischsprachige ­Me­dien verschiedenen Themen rund um die Ukraine und Russland. andreas uebele ist Kommunikationsdesigner und Professor für visuelle Kommunikation an der Hochschule Düsseldorf. Die Arbeiten des büro uebele wurden bereits mit über 300 interna­ tionalen und nationalen Auszeichnungen gewürdigt und sind in zahlreichen Museen zu sehen. keno verseck ist freier Journalist und beschäftigt sich seit 1990 mit den Ländern Mittel- und Südosteuropas. Von 1991 bis 2000 lebte er in Ungarn und Rumänien. Er arbeitet u. a. für den SPIEGEL , die Deutsche Welle und arte TV . marijan vrdoljak ist Korrespondent in Kroatien. Er studierte Journalismus mit Schwerpunkt Fernsehen und arbeitete mehrere Jahre als Redakteur, u. a. für RTL Kroatien. Als freiberuflicher Journalist und Producer drehte er Beiträge für zahlreiche in- und ausländische Medien.


Der nächste ATLAS : im Frühjahr 2019

Wir freuen uns, dass Sie bis hierher ­gelesen oder zumindest geblättert haben. Noch mehr freuen wir uns, wenn Sie uns ­sagen, wie Ihnen dieser ATLAS gefallen hat, damit wir das, was wir tun, noch besser tun können. Schreiben Sie uns doch per E-Mail: redaktion@gw-atlas.com ATLAS ist das Kundenmagazin der Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H. und erscheint zweimal im Jahr. Medieninhaber, Herausgeber, Verleger: Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H., Bundesstraße 110, A-6923 Lauterach, www.gw-world.com. © 2018 Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H., Nachdruck, auch auszugsweise, nicht gestattet. Printed in Austria. Alle Rechte vorbehalten. redaktion@gw-atlas.com Redaktionsschluss: 28. September 2018 Chefredaktion und V. i. S. d. P.: Frank Haas für die ­Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H. in Zusammenarbeit mit Groothuis. Gesellschaft der Ideen und Passionen mbH, ­Hamburg; ­www.groothuis.de. Ideen und Konzeption: Frank Haas für­Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H. und Rainer Groothuis  Redaktion und Projektmanagement: Merlin Herrmann für­Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H., Miriam Holzapfel, Imke Borchers, Frederike Niebuhr (Assistenz)  Gestaltung: Sandra Gerstenfeldt, Susan Schulz  Korrektorat: Ulla Habelmann  Herstellung: Miriam Kunisch, Kai Struwe, Raimund Fink für Gebrüder Weiss Gesellschaft m. b. H.  Lithografie: Alexander Langenhagen, edelweiß publish, Hamburg  Druck und Bindung: BULU – Buch­druckerei Lustenau GmbH, Millennium Park 10, A-6890 Lustenau  Gedruckt auf: Circleoffset

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nach ihr stirbt keiner die lage: äußerst aussichtslos die mienen: schwer betroffen erwartungshaltung: todesstoß was bleibt da? nichts. nur hoffen die hoffnung hilft. sie motiviert sie stützt. ersetzt die krücken sie lügt auch manchmal ungeniert macht drachen klein wie mücken wer hofft, der hegt (selbst wenn er irrt) den garten. düngt und wässert dass morgen so wie heute wird nur minimal verbessert

INGO NEUMAYER



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