FALTER Beilage: mumok 23

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FALTER

Nr. 37a/23

mumok 2023 AUSSTELLUNGEN UND EVENTS IM HERBST

Rudolf Schwarzkogler, 1. Aktion „Hochzeit”, Malaktion am 6.2.1965 (mit Anna Brus), 1965, Foto: Walter Kindler © mumok

Rundgang mit Kay Voges durch ON STAGE – Kunst als Bühne +++ Vermählt mit dem Aktionismus: Anna Brus im Gespräch +++ US-Tänzer Ishmael Houston-Jones im Interview über Adam Pendletons Videoporträt +++ Benoît Piéron Kunst & Überleben +++ Elisabeth Wild Collagen Österreichische Post AG, WZ 02Z033405 W, Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien


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FOTOS: NIKO HAVRANEK/MUMOK (2), ELISE TOÏDÉ, ROBBIE SWEENY, KLAUS PICHLER/MUMOK, WALTER KINDLER © MUMOK

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Inhalt

in schwarzer Kubus, ummantelt von E Vulkangestein, das durch Erdkräfte entstand: Das mumok ist ein besonderer

Plattformen, die die Welt bedeuten Mit Volkstheaterdirektor Kay Voges durch die Schau „ON STAGE – Kunst als Bühne“ Kein Futter für Papierfischchen Restauratorin Karin Steiner über die fragilen Collagen der Künstlerin Elisabeth Wild Von der Kunst des Überlebens Benoît Piéron verarbeitet seine Erfahrungen mit Krankheit und Kliniken „Das mumok will kein elitärer Elfenbeinturm sein“ mumok-Direktorin Karola Kraus über Diversität und die Generation TikTok Schachtelhalme in Schaltkreisen In ihrer Solo-Schau spielt Künstlerin Agnes Fuchs mit der Ästhetik analoger Technik „Weiße Menschen müssen sich das erarbeiten“ Der New Yorker Tänzer Ishmael Houston-Jones im Interview „Eine erhebende Erfahrung!“ Die Autorin und Menschenrechtsexpertin JG Danso über ihre Workshops Vermählung mit Farbdusche Die Aktionisten-Mitstreiterin Anna Brus über ihre wilden Sixties Wo Kids Nägel mit Pixeln machen Im Scratch Lab des mumok wird zu Kunstwerken programmiert und geforscht Gezeichnete Biografien im Dialog Im EU-Projekt „The Floor is Yours“ engagieren sich drei Museen für mehr Inklusion Mit Mikro, Schere und Kunsttransporter Herbstliche Veranstaltungstipps für Jung und Alt, Leise und Laut Kunst aus Papier und aus Licht Künstler*innenbücher in der mumok Bibliothek, Kunstfilm im mumok kino

NICOLE SCHE YERER

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Vorwort

Ort, ein Museum, das auf gesellschaftliche Druckverhältnisse reagiert und auch bis an den Schmelzpunkt geht. Von kühl-analytischer Messung über leichtes Beben bis hin zum Ausbruch: All diese Momente künstlerischer Aktivität werden dort mit gleicher Begeisterung geteilt. In Zeiten von Social Media sind Vermittlung und Teilnahme relevanter denn je. Das mumok holt das Publikum in seiner Lebensrealität ab. Seien das Kids, die im Scratch Lab eigene Kunstwerke programmieren (Seite 18), die Black Community durch die Schau des afroamerikanischen Künstlers Adam Pendleton (Seite 12 bis 15) oder Frauen, die ihre Erfahrungen mit Emigration kreativ ausdrücken (Seite 19). mumok-Direktorin Karola Kraus freut sich über die starken Stimmen des Frauenchors (Seite 10), Anna Brus schildert ihre Zeit mit dem Wiener Aktionismus (Seite 16) und Elisabeth Wilds Collagen erfahren restauratorische Fürsorge (Seite 7). Für „Drama, baby!“ sorgt die Ausstellung „ON STAGE – Kunst als Bühne“, die auch Volkstheaterdirektor Kay Voges beim Rundgang inspiriert (Seite 4 bis 6).

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Impressum Falter 37a/23 Herausgeber: Armin Thurnher Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: +43-1/536 60-0, E: wienzeit@falter.at, www.falter.at Redaktion: Nicole Scheyerer Herstellung: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H.; Layout: Nadine Weiner; Lektorat: Helmut Gutbrunner, Regina Danek; Geschäftsführung: Siegmar Schlager; Anzeigenleitung: Ramona Metzler Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau DVR: 047 69 86. In Kooperation mit dem mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig wien. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falter ständig abrufbar.


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as für ein Glück, der Tänzer tritt W gerade auf! Er trägt silberne Hot Pants und bewegt sich auf einem hellblauen Podest. Welchen Song hört er gerade? Welche Rhythmen befeuern seine Moves im Schein der Glühbirnen? Bei der Installation „Untitled (Go-Go Dancing Platform)“ hört das Publikum keine Musik. Der Performer tanzt mit Kopfhörern nur für sich selbst. Sein Auftritt findet unangekündigt statt, er kommt, wann er will. Ein Körper zum Anschauen, aber doch selbstbestimmt: Der amerikanische Künstler Felix González-Torres setzte damit 1991 ein widerständiges Zeichen gegen institutionelle Zwänge und Homophobie.

Plattformen, die die Welt bedeuten Was verbindet Kunst und Theater? Ein Rundgang durch die Austellung „ON STAGE – Kunst als Bühne“ mit mumok-Chefkurator Rainer Fuchs und Volkstheater-Intendant Kay Voges

„Ich freue mich immer besonders, wenn ich

im Museum dem Unerwarteten begegne. So wie hier, wo die Skulptur lebendig und auf ein Podest gehoben ist“, reagiert Kay Voges, Direktor des Wiener Volkstheaters, bei seinem Rundgang durch die mumokAusstellung „ON STAGE – Kunst als Bühne“. Zwei benachbarte Kulturinstitutionen,

TOUR: NICOLE SCHEYERER


MUMOK 23 Live-Act im mumok: Ein Performer tritt unangekündigt und mit Kopfhörern auf der Skulptur „Untitled (Go-Go Dancing Platform)“ auf, die Felix González-Torres 1991 entworfen hat

für Produktionen eingeladen hat. Zuletzt trat das amerikanische Aktionskunst-Urgestein Paul McCarthy auf. Gemeinsam mit der Schauspielerin Lilith Stangenberg führte der Kalifornier 2022 ein neues Kapitel seines Projekts „NV / Night Vater“ auf, in dem es um Sex und Macht, die Wiederkehr des Verdrängten und Vaterkomplexe sowie die ideologische und ästhetische Anziehungskraft des Faschismus geht. „McCarthy schafft als Plastiker 3-DRäume, und das fasziniert ihn auch besonders am Theater“, sagt Intendant Voges und schwärmt von seinem Besuch in dem riesigen Studio des 78-Jährigen in Los Angeles. In dessen XXL-Atelier stünden fertige Sets, in denen McCarthy Teile seines work-in-progress „NV / Night Vater“ fotografiert und gefilmt hat. Das Volkstheater bot schließlich an vier Abenden rare LiveAuftritte des Künstlers, die als öffentliche Dreharbeiten fungierten. „Wir haben Paletten von Erdnussbutter da-

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Das Herausfordernde ist heute, dass wir im Miteinander diesen Respekt und dieses Nichtheuchlerische wollen, aber auch eine dionysische Radikalität KAY VOGES

zwei verschiedene Kunstformen, jedoch ein geteiltes Interesse an Grenzgängen. Das mumok und das Volkstheater verbindet die Ambition, disziplinäre Barrieren zu überspringen. So etwa im Thema der aktuellen mumok-Schau oder in den Kooperationen des Volkstheaters mit internationalen Künstler*innen. Aber wo sind die Brücken, wo die Barrieren zwischen bildender und darstellender Kunst?

FOTO: NIKO HAVRANEK

Um dieses Feld noch tiefer zu beackern, führ-

te mumok-Chefkurator Rainer Fuchs den Intendanten des Volkstheater durch seine Ausstellung. Darüber hinaus findet am 3. Oktober ein Podiumsgespräch statt, bei dem die beiden mit der in der Schau vertretenen Künstlerin Carola Dertnig und dem Dramaturgen Henning Nass über die gegenseitige Befruchtung von Kunst und Theater diskutieren werden. „Das Theater ist eine Gegenwartskunst, die sich immer wieder erneuern muss“, findet Voges, der seit seinem An- „ON STAGE – tritt 2020 Künstler wie Jonathan Meese, Kunst als Bühne“ Ragnar Kjartansson oder Tobias Rehberger mumok, bis 7.1.

für gebraucht“, erzählt Voges über die Requisiten. Der am Wiener Aktionismus geschulte Amerikaner benützt mal Brotaufstrich, mal Ketchup und Mayo als Gleitmittel seiner typisch materialexzessiven, körperbetonten Performances. Das mumok zeigt im Ausstellungskapitel zu Aktionismus und Body Art derzeit McCarthys 1993 fertiggestellte Installation „Bavarian Kick / Bambi“. Auf einer Art Drehbühne fährt ein mechanisches Trachtenpärchen aufeinander zu, hebt seine Bierkrüge und tritt sich dann mit dem Fuß. „Da steckt so vieles drin, Folklore, Slapstick, Geschlechterverhältnis, und wie schnell Bierseligkeit in Gewalt umschlagen kann“, weist Kurator Fuchs auf die vielen Bedeutungsbenen der Arbeit hin. Voges bewundert an McCarthys Kunst, dass man dabei immer auch Walt Disney oder Hollywood zu sehen bekäme. „Man hat diese schöne Welt, die dann aber mit Kot beschmiert wird“, hebt er die subversive Schlagseite hervor. Der Wiener Aktionismus hätte nicht nur die Kunst, sondern auch das Theater stark geprägt. Nach 1945 lautete die Frage, was mit dem Wissen um die NSGräueltaten überhaupt noch möglich wäre. Das „Dionysische“, also ein sinnlich ausschweifendes Kunstprinzip, war damals eine Reaktion, die heute noch viel Echo findet. Die Wiener Künstler hätten auch gegen das konservative Establishment und eine heuchlerische Gesellschaft aufbegehrt, merkt Fuchs an. Viel Blut wurde bei Hermann Nitschs Orgien Mysterien Theater vergossen, von dem die Ausstellung Fotografien des 6-Tage-Spiels im niederösterreichischen Schloss Prinzendorf präsentiert. Der Opferkult der christlichen Ikonografie spielte für den Künstler-Hohepriester eine ebenso wichtige Rolle wie das rauschhafte Erleben, die sinnlich überwältigende Synthese von Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen. „Nitschs Archaik ist für das Theater sehr interessant, etwa wie er Fleisch und Ritus verbunden hat“, bemerkt Voges zu dem 2022 verstorbenen Künstler, der auch beeindruckende Bühnenbilder schuf. Sich selbst zu verletzen, seine Wunden zu zeigen, zählt zu den drastischen Aus-

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drucksformen der Body Art. So ritzte sich etwa die Künstlerin Gina Pane ab 1970 mit Glasscherben, Dornen und Klingen, wie ihre Fotos von Stigmas an Händen und Beinen zeigen. Als Kunst-Märtyrerin wollte Pane mit Schnitten ins eigene Fleisch die Betrachter*innen aus ihrer Gleichgültigkeit holen. „Es ging dieser Kunstrichtung um authentischen Schmerz“, erklärt Fuchs zu den blutigen Performances. Aktionisten wie Günter Brus hätten ihm erzählt, wie sie dieses Streben immer mehr ans Limit gebracht hätte. „Aber ein toter Künstler nützt der Revolution schließlich auch nichts mehr! Der muss weiterleben und stattdessen metaphorische Handlungen setzen!“ Hätte manchmal nicht auch rote Farbe ausgereicht? Im Volkstheater führte die Wiener Tänzerin und Choreografin Florentina Holzinger letztes Frühjahr ihr Stück „Ophelia’s Got Talent“ auf, bei dem sowohl Theaterblut als auch echter Lebenssaft floss. „Ich schaue ja immer, dass alle meine Schauspieler*innen die Bühne wieder so unversehrt verlassen wie sie sie betreten haben. Aber Florentina hat professionelle Performerinnen am Start, die sich virtuos Nägel unter die Haut schlagen können – und gewissermaßen ,unverwundet‘ bleiben“, schildert Voges. Er bewundere sehr, wie die Künstlerin in vergangenen Stücken den Wiener Aktionismus und die amerikanische Body Art durchdeklinierte, um schließlich zu einem ganz eigenen feministischen Aktionismus zu gelangen. Während für das Theater das Spiel und das Tun-als-ob fundamental sind, starteten künstlerische Avantgarden immer wieder Anläufe, die Grenze zwischen Kunst und Leben auszuradieren. So auch Otto Muehl, der 1972 eine Kommune als soziales Experiment gründete. Diese Gemeinschaft implodierte 1990; Muehl wurde in der Folge wegen Kindesmissbrauchs und Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt. „Muehl war ein guter Künstler, aber gleich-

zeitig ein Krimineller – eine Ambivalenz, die man aushalten muss“, sagt Fuchs zu der kontroversiellen Frage, wie man die Arbeiten des 2013 verstorbenen Skandalkünstlers heute zeigen kann. Die Forschungsgruppe MATHILDA, zu der auch ehemalige Kinder der Kommune zählen, setzt sich kritisch mit den „gewaltsamen, missbrauchenden und pädosexuellen Aspekten“ in Muehls Schaffen auseinander. Parallel zu dessen Aktionsfotos zeigen sie eine kritische Installation. Darunter die Videoszene, bei der Muehl einen Buben psychisch fertigmacht. Seine Tränen flossen ausgerechnet bei den sogenannten „Selbstdarstellungen”, die kathartisch befreiend wirken sollten. „Ich finde die Debatte aufregend, wie weit das Werk vom Künstler getrennt werden kann“, meint Voges. Die Forderung nach Humanität am Theater ließe sich nicht vom Gleichheitsanspruch abkoppeln, den man Pförtner*innen oder Reinigungskräften entgegenbringe. Die AufmerksamFortsetzung nächste Seite


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Fortsetzung von Seite 5

keit füreinander müsse die Theaterarbeit als Ganzes betreffen, das Team auf der Bühne ebenso wie drum herum. Also ein Theater als safe space anstatt einer Spielwiese tyrannischer Regisseur*innen? „Das Herausfordernde ist heute, dass wir im Miteinander diesen Respekt und dieses Nichtheuchlerische wollen und gleichzeitig jene dionysische Radikalität, die von früher noch so fasziniert“, meint der Volkstheaterchef. Wie Libertinage und Solidarität Hand in Hand gehen können, beweisen die Fotos von Nan Goldin. Die 1953 geborene USKünstlerin porträtierte ab den späten 1970er-Jahren ihre Liebhaber, Freunde und den New Yorker Underground. Goldin hielt glamouröse Auftritte ebenso fest, wie die Spuren von Gewalt, Drogensucht und Aids.

Kay Voges (li.) und Rainer Fuchs (re.) beim Ausstellungsrundgang; Nan Goldins Foto von Models backstage „James Having His Hair Done Backstage at Jean Colona Show“ 1995; Cindy Shermans Rollenspiel als Lady „Untitled # 464” von 2008; Tom Burrs Installation „Anxiety“ von 2007

nig tollen Blick, verbunden mit einer Liebe und auch einem Schmerz. Ihre Emotionalität macht die Besonderheit aus“, begeistert sich Voges für die intime Stimmung der ausgestellten Fotos. Der Intendant hat sich auch schon darum bemüht, Goldin zusammen mit der Band Tiger Lillies ans Volkstheater zu holen – bislang noch vergeblich. Eine ganz andere Gruppe trifft sich im größten Kunstwerk der Ausstellung: Auf einem fünf mal fünf Meter großen Schachbrett versammelt die ägyptische Künstlerin Anna Boghiguian ihr satirisches Welttheater „The Square, the Line and the Ruler – Ambiguous Philosophers / Ambiguous Politicians“. Die 1946 in Kairo geborene Künstlerin Ö1-Artist-Talk hat in der Installation Herrscher*innen wie „ART on STAGE“ Napoleon, Queen Victoria oder Wladimir Welche Affinitäten und Putin mit Geistesgrößen wie Pythagoras Unterschiede gibt es oder Einstein aufgestellt. „Es geht um die zwischen Kunst- und Doppelbödigkeit von Persönlichkeiten, die Theaterszene in Bezug Fortschritt, aber auch Verderben bringen auf das Bühnenhafte? können“, erklärt Fuchs das bunte Gewim- Podiumsdiskussion mit mel auf schwarz-weißen Feldern. „Mir ge- der Künstlerin Carola fällt daran, dass man immer wieder neue Dertnig, mumok-ChefSzenerien geboten bekommt“, meint Vo- kurator Rainer Fuchs, ges zu den starren Figuren, die ihre Dy- Volkstheater-Intendant namik durch die Bewegung der Betrach- Kay Voges und ter*innen erhalten. Dramaturg Henning Das Publikum zum Ko-Autor machen: Nass; Moderation von Diese partizipative Strategie gewann ab Christine Scheucher, Ö1 den 1960er-Jahren immer mehr an Bedeutung. So etwa in Michael Schusters Instal- mumok, 3.10., 18.30

lation „Autofokusfalle“, bei der die Besucher*innen an einem gewissen Standpunkt von einer automatischen Kamera fotografiert werden. „Das ist eine Art Vorläufer der ganzen Selfie-Kultur”, meint Fuchs zu der Arbeit von 1989. An der Wand hängen Fotos, die in früheren Ausstellungen entstanden sind – die Fotografierten wurden also selbst wieder zu Exponaten. Seit jeher ist Rollenspiel auch in der Kunst

ein wichtiges Thema. Noch am College begann die Künstlerin Cindy Sherman 1975 mit Kostümen, Perücken und Make-up unterschiedliche soziale Figuren zu verkörpern. Später zitierte die Künstlerin mal weibliche Filmheldinnen, mal andere gesellschaftliche Frauenklischees. Er freue sich über dieses Exponat, meint Voges zu dem ausgestellten Bild, das Sherman als stark geschminkte Lady im Abendkleid zeigt. Schließlich gebe es Diskussionen darüber, ob Shermans Aneignung sozialer Stereotypen – zumal marginalisierter Gruppen – heutzutage noch akzeptabel wäre. Immer häufiger wird aktuell darüber debattiert, wer welchen Part darstellen darf oder wer das Recht hat, wen zu repräsen-

tieren. „Diskussionen und ein Bewusstsein über diese Fragen finde ich wichtig. Aber ich sehe auch die Gefahr, dass wir eine notwendig anarchische Seite von Kunst zu domestizieren und zensurieren beginnen“, gibt Voges zu bedenken. Der letzte Teil der Schau zeigt Arbeiten, die sich um die Probe, das Casting und den Crossover zwischen Musik und bildender Kunst drehen. Dort steht auch ein Podest mit umgeworfenen Stühlen und einem halb herabgerissenen Vorhang. „So sieht eine Probebühne aus. Hier würde ich sagen, so Leute, jetzt geht die Arbeit los!“, reagiert Regisseur Voges animiert. „Der Künstler Tom Burr betrachtet seine Installationen selbst als Performances“, erklärt Fuchs zu der Arbeit, deren Titel „Anxiety“ die Assoziationen in eine unbehagliche Richtung lenkt. Generell hätte Mobiliar ja immer etwas Anthropomorphes, so dass das Objektensemble schon für sich Geschichten erzähle. Diese Qualität verbindet Burrs Installation

mit dem Go-Go-Podest vom Beginn der Schau. Beide Plattformen sind auch ohne Performer*innen komplett. Abwesenheit wird zum Gewinn für die Fantasie. F

FOTOS: NIKO HAVRANEK/MUMOK, NAN GOLDIN; CINDY SHERMAN, KLAUS PICHLER/MUMOK

„Ich liebe Nan Goldin! Sie hat einen wahnsin-


MUMOK 23 uf dem Tisch vor Karin Steiner A liegt eine farbige Collage. Die mumok-Restauratorin senkt Oberkör-

Flucht und Emigration prägten das Le-

ben der 1922 in Wien geborenen Künstlerin Elisabeth Wild. 1938 aus Österreich vertrieben, begann die junge Frau in Buenos Aires Malerei zu studieren. Von Argentinien ging Wild mit ihrem Mann nach Basel. Aber erst in Guatemala, wohin sie ihrer Tochter, der Künstlerin Vivian Suter, 1996 folgte, entstanden ihre heute gefeierten Papierarbeiten. Kein Tag ohne Collage: So lautete das Motto von Wild, die bis zum Schluss täglich Mode- und Kunstmagazine zerschnitt und aus Papierteilen stilsicher eigene Bildwelten schuf. Und wenn sie einen Tag keine Collage schaffte, klebte die resolute Dame am nächsten Tag zwei. Die Kuratorin Marianne Dobner hatte 2020 das Glück, die 98-Jährige noch persönlich kennenzulernen und mit ihr gemeinsam die aktuelle Wiener Schau „Fantasiefabrik“ planen zu können. Die 365 Collagen führen in einen farbstarken Kosmos, konstruiert aus geometrischen Formen. Wilds „Fantasías“ erinnern mal an utopische Architekturen, mal an poppiges Design. „Es erinnert sich wohl jeder aus der Kindheit, wie delikat es ist, dünnes Papier in Formen zu zerschneiden, weil es so leicht reißt“, sagt Steiner mit dem Hinweis auf kleine Risse.

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mumok-Restauratorin Karin Steiner untersucht Kratzer und Knicke auf einer Collage von Elisabeth Wild

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Als Restauratorin bin ich nicht dazu da, Werke zu perfektionieren, sondern ihre beredten Seiten zu erkennen

FOTO: ZOE OPR ATKO/MUMOK

per und Kopf und beleuchtet das Blatt mit einem Streiflicht von der Seite. Die haarfeinen Linien von Kratzern oder Knicken werden so besser sichtbar, ebenso die Papierschnipsel, aus denen die Künstlerin Elisabeth Wild noch im hohen Alter ihre Bilder zusammengeklebt hat. Was machen Restaurator*innen? Das klischeehafte Bild einer Person im Arbeitskittel, die mit der Lupe eine Leinwand beäugt und dann den Pinsel zückt, ist noch gang und gäbe. Dabei umfasst dieses Arbeitsfeld, vor allem in der zeitgenössischen Kunst, so viel mehr, als bloß Hand anzulegen. Die physische Arbeit am Werk – Steiner nennt es „invasiven Eingriff “ – ist meist der allerletzte Schritt. Der Job startet mit Recherche. Die Restauratorin findet es spannend, dass sie nie davon ausgehen kann, Gegenwartskunst gleich zu verstehen. „Weil Dinge wie Schmutz, Staub, Risse oder Knicke, die in klassischen Kunstwerken oder auf klassisch verarbeiteten Materialien eindeutig Schäden sind, hier oft eine gewollte Erscheinungsform darstellen“, erklärt die Spezialistin für Papierarbeiten, die auch an der Akademie der bildenden Künste lehrt. Als erste Anlaufstelle fungieren die Künstler*innen, deren Intentionen, Produktionsweisen und Werkbegriffe Vorrang haben. Ist der Austausch mit den Produzent*innen nicht möglich, wird das kuratorische Team zu Rate gezogen.

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KARIN STEINER

Kein Futter für Papierfischchen Der Erhalt zeitgenössischer Kunstwerke ist eine Challenge, der sich mumok-Restauratorin Karin Steiner gerne stellt. Zuletzt etwa den feinen Collagen von Elisabeth Wild

Schere und Kleber wurden zu Wilds Werkzeugen, als sie nach einem Sturz im Rollstuhl saß. Dass sie ihr Rohmaterial ausgerechnet aus Hochglanzgazetten holte, war schon ein bisschen exzentrisch. Denn erstens konnte die Künstlerin Vogue oder Artforum im Hochland Guatemalas nirgends kaufen und zweitens ist dieser Werkstoff äußerst kurzlebig. „Diese Hefte sind zum Anschauen und

Durchblättern gemacht und landen bestenfalls im Altpapier. Ihre Seiten sind aus lichtempfindlichen, kurzfasrigen Papieren, oft von minderer Qualität, weil sie noch beschichtet und dann erst bedruckt werden“, erklärt Steiner. Außen hui, innen pfui, könn-

te man sagen, aber das würde die Restauratorin nie tun. Für sie offenbart sich die künstlerische Handschrift in der Wahl des dünnen Papiers, ebenso wie in Knicken („wahrscheinlich von Wild selbst beim Tun“), Klebestellen („punktuell, nicht flächig“) und in den Überlagerungen („relativ dreidimensional“). Der Schutz der Objekte vor etwaigen Schäden hat höchste Priorität. Die größte Gefahr für Wilds Ausstellung ist das Papierfischchen. Das pastellfarbige Ausstellungsdisplay besteht aus Wellpappe und deren Waben sind ein Schlaraffenland für zellstoffhungrige Parasiten. Im Sinne einer vorbeugenden Konservierung hat die Restauratorin die Exponate insektensicher mon-

tiert. Die regelmäßige Kontrolle und Überwachung erledigt ein Kollege vom „Integrated Pest Management“. Ebenso kümmert sich Steiner um die richtige Verglasung, die Beleuchtung und das konstante Raumklima. Oje, da sind Wasserflecken auf der

Rückseite. Offenbar wurde die Collage nass. Wilds abgeschiedenes Atelier wurde mehrfach überschwemmt. Könnte man solche gewellten und verfärbten Stellen nicht beseitigen? „Als Restauratorin bin ich nicht dazu da, Werke zu perfektionieren, sondern ihre beredten Seiten zu erkennen. Es gilt das, was da ist, zu schätzen“, erklärt Steiner ihr Berufsethos, das höchste Achtung vor der Kunst ausdrückt. NS


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Von der Kunst des Überlebens Der französische Künstler Benoît Piéron möchte mit seinen Installationen das Thema Krankheit von Angst und Stigma befreien

ine pastellfarbene Fledermaus baumelt E kopfüber von einem Infusionsständer. Das süße Stofftier wurde aus Krankenhausstoff genäht. Schon seit Jahren dient das in Kliniken so typisch gemusterte Bettzeug dem Franzosen Benoît Piéron als künstlerisches Material. Schließlich verbrachte er Monate seines Lebens darin. „Ich arbeite mit dem, was mich fast zerstört hat“, erklärte der Künstler in einem Interview mit der Kunstplattform Collector’s Agenda, warum er Krankheit und Überleben ins Zentrum stellt. Ab Oktober präsentiert Piéron im mumok seine Ausstellung „Monstera deliciosa“ . Bereits bei der Geburt hing sein Leben am seidenen Faden: 1983 kam er mit einer Hirnhautentzündung auf die Welt und war in der Folge als Baby halbseitig gelähmt. Im Alter von dreieinhalb Jahren erkrankte der Bub an Leukämie. Skandalöserweise erhielt er daraufhin eine mit HIV-AidsVirus infizierte Blutkonserve. Zwischen 1980 und 1990 lieferte eine fahrlässige Blutbank verseuchtes Spenderblut aus. „Mein Körper wurde bereits in jungen Jahren politisch“, sagt Piéron, der damals das Sterben infizierter Kinder miterlebte. Wie durch ein Wunder blieb der Junge gegen das tödliche Virus immun.

FOTOS: ELISE TOÏDÉ

Seine Kindheitstraumata als Patient wurden

erst zum Thema in Piérons Kunst, als er vor einigen Jahren die Diagnose Krebs erhielt. Durch diese Krankheit erlebte er ähnliche Situationen wie jene wieder, denen er bereits als Kind in der Klinik ohnmächtig ausgeliefert gewesen war. Dadurch tauchten viele Erinnerungen auf: „Das Gefühl von Laken auf meiner Haut, das Gefühl des Wartens, des Schmerzes, des Rufens nach Pflegern, die nicht kommen“. Aber weder der Krebs, noch weitere gesundheitliche Rückschläge wie Muskelschwäche hielten Piéron davon ab, seine Erfahrungen im Atelier zu verarbeiten. Ganz im Gegenteil: Es sei ihm klar geworden, dass diese Erlebnisse der Schlüssel zu seiner Kunst wären. Auch Zufälle spielten Piéron in die Hände: In einem Baumarkt stieß er auf alte Bettwäsche aus

Spitälern, die er seither zu patchworkartiger Textilkunst verarbeitet. Dieses Material half ihm bei seinem Versuch, „der Krankheit eine Plastizität zu verleihen“. Ein anderes Beispiel stellt die Kleinskulptur „Le rouge à lèvres“ dar, ein bordeauxroter Lippenstift, den der Künstler aus Wachs und seinem eigenen Blut hergestellt hat. Piéron kritisiert: „Krankheiten werden als etwas angesehen, das ausgerottet werden muss. Du gehst ins Krankenhaus, um dich ,reparieren‘ zu lassen; du gehst nicht dahin, um dich um deine Krankheit zu kümmern.“ Warum nicht versuchen , mit der eigenen

Krankheit als Weg: Der Künstler Benoît Piéron an seiner Nähmaschine, mit der er Fledermaus-Skulpturen und patchworkartige Textilarbeiten herstellt. Als Rohstoff dafür dient die typisch gemusterte Bettwäsche aus Hospitälern

(chronischen) Krankheit in Kontakt zu treten, wie mit einem Begleiter? Piérons detailreiche Textilskulpturen und Installatio- „Benoît Piéron. nen betonen, wie wichtig Care ist, also jene Monstera deliciosa“ Fürsorge, die während der Corona-Pande- Eröffnung 25.10., 19 Uhr; mie eingefordert wurde. Gespräch zwischen „Mir mißfällt der Gedanke, dass kran- Benoît Piéron und Élisabeth ke Menschen Vogelscheuchen sind, die in Lebovici, 30.11., 18 Uhr Ordnung gebracht werden müssen... Es ist quasi eine doppelte Bestrafung für uns Ausführliches Interview Kranke“, klagt Piéron und spricht die Prob- mit Benoît Piéron auf lematik an, dass zum Gebrechen auch noch www.collectorsagenda.com

die Marginalisierung durch die Ängste und Vorurteile Gesunder käme. Ein Strang in Piérons queerem Werk geht der

Sexualität Invalider nach. So produzierte er eine Art Pornofilm, der in einem Kliniksetting gedreht wurde. „Wie können sich kranke Körper jemals begehrenswert fühlen, wenn das nirgendwo in der Gesellschaft abgebildet wird?“ Auch der Vampir hat zwei Seiten, Eros und Thanatos. Dass Piérons Fledermäuse so niedlich aussehen, kommt von einem Romanhelden seiner Kindheit. Seine – teils todkranken - Zimmerkolleg*innen und er hätten die Buchreihe „Der kleine Vampir“ besonders gemocht. NS


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„Das mumok will kein elitärer Elfenbeinturm sein“ Wie bringen Museen trotz schwieriger Zeiten neues Publikum ins Haus? mumok-Direktorin Karola Kraus setzt auf digitale Angebote und Diversität

FOTO: LORENZ SEIDLER/ESEL

sind mittlerweile ein wichtiges Kompetenzzentrum für Kunstvermittlung. Unser Spezialist dafür, Benedikt Hochwartner, hat am Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Programmiersprache Scratch kennengelernt und bei uns eingeführt. Die Kinder gehen während seiner Kurse in unsere Sammlung und Ausstellungen. Sie lassen sich von künstlerischen Arbeiten inspirieren, die sie dann digital in eigene Werke übersetzen.

ie letzten Jahre waren für Kulturin- Karola Kraus D stitutionen schwere Zeiten. Die Corona-Pandemie brachte überraschende Schließzeiten, abgesagte oder verschobene Projekte und dadurch budgetäre Einbußen. Aber das mumok konnte sein Publikum wiedergewinnen und seinen öffentlichen Radius noch weiter ausdehnen. Im Interview spricht Direktorin Karola Kraus über digitale Formate, wie Kinder kreativ programmieren und warum Chorlieder im Haus ertönen. Falter: Frau Kraus, wie hat sich Ihre Arbeit seit Ihrem Antritt als mumok-Direktorin im Jahr 2010 verändert? Karola Kraus: Die Zeiten haben sich wirklich radikal gewandelt. Finanzielle Probleme hatten wir zwar schon immer, aber mit der Pandemie und der Energie- und Klimawende sind ganz substanzielle Belastungen hinzugekommen. Die Energiekosten haben sich im Vergleich zum letzten Jahr verdreifacht. Aber es geht nicht nur uns so, sondern leider allen.

Was steht auf Ihrer Agenda ganz oben?

wurde 1961 in St. Georgen im Schwarzwald geboren, sie führte von 1999 bis 2006 den Kunstverein Braunschweig. Von 2006 bis 2010 Leiterin der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, seit 2010 Direktorin des mumok; Ausstellungen zu Künstler*innen wie Mike Kelley, Cosima von Bonin, Stephen Prina u.a.

Kraus: Am Beginn meiner mumok-Zeit

habe ich noch selbst Ausstellungen kuratiert, etwa meine Antrittsschau „Museum der Wünsche“, später zur Sammlung Gaby und Wilhelm Schürmann und zur Künstlerin Cosima von Bonin. Heute erfordert die fehlende Planungssicherheit viel Geschick, um an zusätzliche öffentliche oder private Fördergelder zu kommen. Die Lockdowns befeuerten den Trend zu digitalen Vermittlungsformaten. Wo liegen da heute die Prioritäten? Kraus: Der analoge Museumsbesuch ist durch nichts zu ersetzen. Aber viele Menschen haben nicht die Möglichkeit, nach Wien zu kommen. Mit 360-Grad-Panoramas können Ausstellungsräume zugänglich gemacht werden. Ich glaube auch nicht, dass das Digitale irgendwelche Besucher*innen verdrängt, oft locken „Appetizer“ wie Videoclips neue an. Für die Jugend geht nichts mehr ohne Handy. Mit welchen Angeboten holen Sie die Generation TikTok ab? Kraus: Da zählen vor allem gute Ideen. Wir

Also nicht bloß das Programmieren erlernen, sondern auch Kreativität? Kraus: Ja, ein schöpferischer digitaler Umgang mit der Kunst. Besonders schön fand ich, dass es uns gelungen ist, diese relativ teuren Kurse dank einer Förderung der Art Mentor Stiftung für finanzschwächere Familien kostenlos anzubieten. Außerdem hatten wir während der Corona-Phase allen Kindern Laptops mit nachhause gegeben, aber aus Angst vor Schäden wollten das viele Eltern nicht. In Zusammenarbeit mit der Versicherung Segurio konnten wir dieses Problem lösen. Sich um mehr Diversität zu bemühen, gehört heute quer durch die Kulturlandschaft zum guten Ton. Wie schafft es das mumok, neue Besucher*innen anzuziehen? Kraus: Diversität ist bei uns nicht einfach nur eine Floskel, sondern wird in sämtlichen Bereichen des Museums gelebt. Das mumok soll kein elitärer Elfenbeinturm sein, sondern sich möglichst breit öffnen. So konnten wir etwa im Rahmen der Ausstellung zu Adam Pendleton sehr viele Menschen aus der Black Community in unser Programm integrieren. Es ist wichtig, dass die Besucher*innen nicht nur ein einziges Mal kommen, sondern öfters, und dass sie aktiv mit uns mitarbeiten. Helfen auch Events bei dieser Öffnung? Kraus: Ja, zum Beispiel über den Frauenchor mit Migrantinnen, den die Chorleiterin und Sängerin Diana Rasina gemeinsam mit der Projektkoordinatorin Ümit Mares-Altinok initiiert hat. Er wurde 2020 bis 2022 mithilfe einer EU-Förderung zur Entwicklung von Konzepten gegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass etabliert. Das nächste Mal streift der Frauenchor wieder am 15. November durchs ganze Haus, hält vor bestimmten Werken inne und stimmt Lieder dazu an. NS


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Schachtelhalme in Schaltkreisen In ihrer mumok-Soloschau fächert die Künstlerin Agnes Fuchs vielschichtig Facetten von Technologie auf

künstlicher Intelligenz auf. Agnes Fuchs, Jahrgang 1965, beschäftigt sich schon lange mit den in der Regel unsichtbaren Leitungen und Relais, die unser modernes Leben am Laufen halten. Ihre analoge Kunst umkreist sowohl Geschichte und Design als auch kulturelle und symbolische Facetten von Technik. Mit dem Titel ihrer Soloschau „Her Eyes Were Green“ spielt die Künstlerin auf einen Klassiker des Science-Fiction-Genres an. Bereits 1968 thematisierte der US-Autor Philip K. Dick in einer Kurzgeschichte, was das Humane im Kern ausmacht. 1980 erregte dann Ridley Scotts Verfilmung „Blade Runner“ Mitleid für die perfekt gemachten Androiden, die so gerne echte Menschen wären.

F OTO: AGNE S F U C HS/BIL DR EC H T, W IEN 2023

ie wird Technologie unsere Zukunft W prägen? Diese Frage drängt sich angesichts der rapiden Fortschritte im Feld

In Agnes Fuchs’ Videoarbeit „Électronique I” spielen elektronische Teile die Hauptrolle

Ist das Menschliche die Emotionalität? Oder

die aus Prägungen und Erinnerungen ent- „Agnes Fuchs – Her Eyes standene Identität? Diese Fragen bilden Were Green“, den Hintergrund für Fuchs’ raumgreifen- mumok, bis 8.10. de Installation, in der Gemälde, skulpturale Settings, Video- und Bodenarbeiten ei- Konzert Mia Zabelka Live nander überlagern. Am Beginn der Schau in der Ausstellung, 29.9, stechen Acrylbilder ins Auge, für die Fuchs 17 Uhr (siehe Tipps S. 20)

Diagramme, Schaltkreise und Funktionsmodelle als Vorlage nimmt. Das kann eine Bedienungsanleitung für ein Spannungsmessgerät ebenso wie die Oberfläche einer Leiterplatte sein. Auf beiger Leinwand sind da etwa weiße Raster oder Raummodelle zu sehen. Gleichzeitig bleiben die technoiden Anweisungen Schatten ihrer selbst, wie gespensterhafte Verweise auf ihre Funktionalität. Weiße Linien ziehen sich auch durch den Saal: Auf den Boden ist mit PVC-Folie ein raumgreifender Schaltplan geklebt, eine

Art Energiekreis zum Betreten. Als vertikale Elemente ragen Schachtelhalme aus runden Gipsobjekten. Diese Ur-Pflanzen faszinieren Fuchs durch ihren verzweigten Wurzelstock, die sogenannten Rhizome. Noch bevor es das Internet gab, verwendeten Philosophie und Kulturwissenschaften der 1970er-Jahre Rhizome schon als Bild für vernetztes Wissen. Die rauen Äste der Schachtelhalme verlocken, sie anzugreifen. Eine derart sinnliche Komponente verströmt auch die Videoarbeit „Électronique I (Gestures)“. Sie zeigt etwa Hände, die elektronische Kleinteile in den Fingern drehen. Dann erscheinen diese Objekte wieder wie Insekten, die ihre Fühler und Beinchen ausstrecken. Der Verlust an Körperlichkeit stellt eine gro-

ße Herausforderung des digitalen Zeitalters dar. Die weltbewegenden Motoren entziehen sich unserem Zugriff. Agnes Fuchs bietet ein multimediales, vielschichtiges Setting, um über diese Phänomene nachzudenken. Am Ende wartet ein Geschenk: Ein Stapel mit Plakaten lädt zur Mitnahme eines Give-aways ein, das auch noch außerhalb des Museums an die Reflexionsmomente NS der Schau erinnert.

My reality is not your reality bis 22.10.2023, Exhibit Studio

Recasted Relations. Absolvent_innen des Mentoring-Programm Kunst bis 22.10.2023, Exhibit Galerie

Bordering Plants 10.11.2023–18.2.2024 Exhibit Galerie

Rundgang 2024 18.1.–21.1.2024

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„Weiße Menschen müssen sich das erarbeiten“

FOTO: ROBBIE SWEENY

Der Tänzer Ishmael Houston-Jones über Adam Pendletons Videoporträt, Black Dance und seinen Hass auf Spiegel

och bis 7. Jänner widmet das mumok Der schwarze Tänzer N dem Künstler Adam Pendleton eine Ishmael Houstongroße Personale. Zu der Soloschau zählen Jones im Vollkontakt neben Malereien und Keramiken auch fünf Videoarbeiten, darunter ein Porträt über den Tänzer Ishmael Houston-Jones. In „Ishmael in the Garden“ erzählt der afroamerikanische Choreograf, Autor und Kurator persönliche Geschichten aus seinem Leben. Der 1959 geborene Performer führt in einen Gemeinschaftsgarten, improvisiert in einer Kirche und liest aus einem homoerotischen Text. In seiner Arbeit hat sich Houston-Jones auch mit Diskriminierung und der HIV-Aids-Krise beschäftigt.

mit Keith Hennessy. Ihre improvisierte Performance „Closer“ fand in Kooperation mit ImPulsTanz in der mumok-Schau „Adam Pendleton. Blackness, White, and Light“ statt

Falter: Herr Ishmael Houston-Jones,

„Adam Pendleton. Blackness, White, and Light”, mumok, bis 7.1.

was ist der Unterschied, ob Sie auf einer Bühne oder in einem Museum auftreten?

Ishmael Houston-Jones: Das ist eine sehr in-

teressante Frage. Dieser Tage wird ja viel darüber gesprochen, dass Museen auch Tanz in ihre Sammlungen aufnehmen. Was bedeutet die „Erwerbung“ eines Tanzes oder einer Choreografie im Vergleich zu einer Skulptur oder einem Gemälde? Meine Arbeiten wurden bisher noch nicht akquiriert, aber ich bin im Cooper Hewitt Museum, im MoMA, im Guggenheim Museum und anderen Häusern aufgetreten. Was wird aus Tanz als einem musealen Sammlungsobjekt? Houston-Jones: Das Museum ist natürlich ein ganz anderer Raum, der eine andere Geschichte und auch eine andere institutionelle Politik hat. Etwa in Bezug auf Konservierung oder hinsichtlich eines Kanons. Und da Tanz etwas Ephemeres ist, das im

Moment passiert, kein Objekt zum Halten oder Verkaufen, ist es kniffliger. Wie kam es zu Adam Pendletons Videoporträt „Ishmael in the Garden“? Houston-Jones: Adam und ich wurden einander bei einem Dinner nach einer Aufführung vorgestellt. Ich trat damals mit dem Stück „THEM“ im Performance Space New York auf. Dabei handelt es sich um eine Kollaboration mit dem Schriftsteller Dennis Cooper und dem Komponisten Chris Cochrane, die ursprünglich von 1985 stammt, und die wir 2018 wieder in Szene gesetzt haben. Waren Sie mit Pendletons Kunst vertraut? Houston-Jones: Ich kenne mich in der Kunstwelt generell weniger aus. Nachdem ich ihn gefragt habe, was er denn so


MUMOK 23 macht, erzählte Adam, wo er schon überall ausgestellt hatte. Er sieht ja sehr jung aus, hat aber schon dieses umfangreiche Werk. Adam hat sich dann einen Monat später mit dem Vorschlag bei mir gemeldet, einen Film über mich zu machen. In seiner Serie gab es bereits Porträts über die Künstlerin Lorraine O’Grady und die Tänzerin Yvonne Rainer.

Wie ging es Ihnen dabei, diesen Text, der auch von Voyeurismus handelt, für das Video vorzutragen? Houston-Jones: Ich fand interessant, dass Adam ausgerechnet diesen Text auswählte. Ich habe ihn gefragt: „Den soll ich wirklich lesen, laut vorlesen?“ Ich las dafür auch zum ersten Mal von einem Teleprompter ab, weil ich die Zeilen nicht auswendig konnte. Als mein Videoporträt später in einer Galerie gezeigt wurde, taten mir die Mitarbeiterinnen vor Ort leid, weil sie sich den ganzen Tag diesen leicht pornografischen Text anhören mussten.

»

Tanz ist etwas Ephemeres, das im Moment passiert, kein Objekt zum Halten oder Hat er Sie kalt erwischt? Houston-Jones: (Lacht.) Ja, sehr kalt! Adam Verkaufen Hatte er schon ein Konzept zu Ihrem Film? Houston-Jones: Wir bereiteten uns nur sehr wenig vor, sprachen gerade mal einen Tag lang miteinander. Es gab einige Ideen, ich gab ihm ein paar meiner Schriften ...

wollte in meiner Wohnung drehen, aber das war mir nicht recht, weil es ein typisches kleines, vollgeräumtes New Yorker Apartment ist. Es gibt einen Gemeinschaftsgarten in der Nähe, um den ich mich kümmere, und ich habe ihn gefragt: Warum machen wir das Video nicht dort? Diese Idee gefiel ihm.

Bei Adam Pendletons Werk erschließt sich nicht unweigerlich, was seine abstrakten Malereien mit seinen Videoporträts zu tun haben. Wie sehen Sie das? Houston-Jones: Ich finde, dass seine Videos und Malereien in einer übergeordneten visuellen Idee miteinander sprechen. Es kommt auch sehr oft Schwarz-Weiß-Film vor. Ich habe mir gerade mit einem Freund das Videoporträt über den Gender-Theoretiker Jack Halberstam in der Ausstellung angesehen. Meine Begleitung hat gesagt, man könne schon allein an den Bildern erkennen, dass Adam ein Maler sei. Ein konventioneller Filmemacher würde solche ästhetischen Entscheidungen nicht machen.

ISHMAEL HOUSTON-JONES

In diesem Garten sprechen Sie über verstorbene Freunde, den Tod Ihrer Eltern. Dann tanzen Sie in einer Kirche. Warum haben Sie Ihr Gesicht dabei verhüllt? Houston-Jones: Das mache ich sehr oft, es ist seit den 1980er-Jahren eine Konstante meiner Arbeit, fast schon ein Klischee über mich. Viel von meinem Unterricht geht über geschlossene Augen. Die Studierenden werden sich auf diese Weise ihrer Sinne bewusster. Menschliche Wesen sind sehr visuell und sie ziehen aus dem Gesehenen ihre Schlüsse. Aber was bedeutet es, mit jemandem zu tanzen, den man weder kennt noch sieht? Wenn man sich anstatt an Bildern an Gerüchen, Berührungen und Geräuschen orientiert?

Wie würden Sie die „Blackness“, die auch im Ausstellungstitel vorkommt, beschreiben? Houston-Jones: Ich habe heute morgen noch einmal den Artikel „Gehört die Abstraktion den Weißen?“ von Miguel Gutierrez im Bomb Magazine gelesen. Als ich hierher kam, musste ich daran denken, dass Adam ein afroamerikanischer Künstler ist und dass seine Arbeit wirklich sehr schwarz ist. Aber bitten Sie mich um keine Erklärung! Ich weiß nicht, ob ich die liefern kann. Da ist einmal der Mut und fast so etwas wie Jazz, wie Musik. Seine Kunst ist gegen die Auslöschung gelebter schwarzer Erfahrung. Gleichzeitig ist sie auch abstrakt.

Also ein ganz anderer Zugang als die klassische Arbeit vor dem Spiegel? Houston-Jones: Oh ja, ich hasse Spiegel! Das Tuch vor den Augen hat mir außerdem beim Dreh mit dem Filmteam geholfen. Auf diese Weise war ich nicht verführt, direkt in die Kamera zu schauen.

Im Anschluss sieht man nur Ihr Gesicht, wie Sie einen Text vorlesen. Was hat es mit dem Aktmodell in ihrer Geschichte auf sich? Houston-Jones: Ich war eine Zeit lang recht neidisch auf meine Künstlerfreunde, weil sie Modelle anheuern konnten, um diese zu zeichnen und zu malen. Ich wollte damals dasselbe tun – aber als Schriftsteller. Also suchte ich per Annonce nach Modellen, nur männlichen. Sie kamen in meine Wohnung, zogen sich aus, und ich beschrieb auf poetische, aber auch realistisch akkurate Weise ihre Körper und ihre Art, sich zu bewegen, ihre Präsenz.

Ishmael HoustonJones, 1952 in Harrisburg, Pennsylvania geboren, lebt in New York; vielfach ausgezeichnet für seine Improvisationsstücke wie „THEM“ (1985); Choreograf, Lehrer, Kurator sowie Autor von Essays, Prosa und Texten über Performance und Tanz

FOTO: ADAM PENDLETON, COURTESY OF THE ARTIST

Bei dem Tanz handelt es sich um eine ältere Arbeit. Wie geht es Ihnen, wenn Sie ein frühes Stück wiederaufführen? Schließlich ist es ja nicht wie bei einem Musikstück, das Sie irgendwann mal komponiert haben. Houston-Jones: Ja, das „Instrument“, also mein Körper, ist schon sehr anders. Er ist älter geworden. Aber es ist eine Improvisation und ich habe schon mehrfach in der St. Mark’s Church getanzt.

Sie haben sich mit der Geschichte von „Black Dance“ beschäftigt. Was ist Tanz in einer afroamerikanischen Tradition?

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Houston-Jones: Ja, es gibt schwarzen Tanz

schon, aber er hat viele unterschiedliche Wurzeln. Ich schreibe gerade über die nächste Generation afroamerikanischer Choreograf*innen, die experimentelle Arbeiten machen. In der Generation meiner Mutter gab es noch, „Black Dance“ innerhalb des Fachs „Contemporary Concert Dance“. Ein athletischer Tanzstil, stark mit dem Choreografen Alvin Ailey verknüpft – nicht mein Ding. Wie haben Sie sich von dieser Richtung differenziert? Houston-Jones: Ich wollte das Erbe würdigen, aber nicht in diese eine Flugbahn geraten. Deswegen habe ich schon 1982 eine Serie mit schwarzen amerikanischen Tänzer*innen kuratiert. Mich hat mehr interessiert, was sie individuell hervorbringen. Sie kommen ja nicht alle von dem einen Ding. Adam Pendleton gab in Wien kaum Interviews, er beantwortet generell nicht so gern Fragen über seine Kunst. Können Sie das nachvollziehen? Houston-Jones: Ich möchte meine Arbeit auch nicht so gern explizit ausführen, den Leuten sagen, was sie zu bedeuten hat oder was sie denken sollen. Ich finde, die Menschen, im Speziellen weiße Menschen, müssen ein bisschen selbst arbeiten und Zeit investieren. Ich habe die Arbeit schon produziert, muss ich sie jetzt auch noch erklären? So ähnlich denkt wohl Adam, so auf die Art: „Das ist das, was ich gemacht habe, das ist mein Werk. Nun ist es an dir, daran zu arbeiten, es zu verstehen!“ Wie gefällt Ihnen eigentlich Ihr Porträt? Houston-Jones: Das Video hat interessante Dinge meines Lebens aufgegriffen, verschiedene Facetten. Manche Leute wissen nicht, dass ich vor einigen Jahren ein Stück mit meiner Mutter Pauline gemacht habe, andere Leute kennen die eher sexuell-queeren Teile nicht. Und es ist mein Garten, ich bin Teil dieses Gartens, ich bin der Gärtner. Aber ganz ehrlich gesagt: Ich habe mich sehr darüber geärgert, dass ich davor nicht noch für einen Haarschnitt beim Friseur war. NS


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Was wäre, wenn wir die Sprache unserer Institutionen in die Hände von Dichter*innen legen würden? JG DANSO

Die Autorin JG Danso vor Adam Pendletons Bild mit dem wiederholten Satz „We are not“

„Eine erhebende Erfahrung!“ Die Menschenrechtsexpertin JG Danso über ihre Workshops, die Schwarze und queere Stimmen hörbar machen bove body, above sky, above ener- minierung und Gleichstellung in der A gy, the light of resurrection“, so Kunst spezialisiert. Was spricht die hebt ein Gedicht von JG Danso an. Dichterin an Pendletons Ausstellung „Über Körper, über Himmel, über Energie, das Licht der Auferstehung“, hat die Autorin und Menschenrechtsspezialistin im März aus Anlass der Ausstellung des Künstlers Adam Pendleton gedichtet und bei der Pressekonferenz im mumok rezitiert. „Was wäre, wenn wir die Sprache unserer Institutionen in die Hände von Dichter*innen legen würden?“, sinniert Danso auf die Interviewfrage, warum sie die Journalist*innen mit einem poetischen Text überrascht hat, anstatt sie bloß über ihre Schreibworkshops im mumok zu informieren. In Dansos Gedicht klingt die Frage an, welche Sprache die Schwarze Diaspora – also die Zerstreuung der afrikanischen Menschen durch Kolonialismus und Sklaverei – wieder annähern könnte. Vielleicht böte ja Kunst einen Weg, die „Sprachverwirrung“ der aus ihren Herkunftsregionen Vertriebenen ansatzweise zu überwinden?

FOTOS: MUMOK

Die geborene Londonerin mit familiä-

ren Wurzeln in Ghana und Sierra Leone unterrichtet als Senior Lecturer im Universitätslehrgang „Applied Human Rights“ an der Universität für angewandte Kunst. Innerhalb dieses Kurses hat sich Danso auf Antidiskri-

besonders an? „Er interessiert sich für schwarze Erfahrung, auch außerhalb seiner Kunst und seines Aktivismus“, sagt sie. Der aus den Südstaaten stammende Künstler hat über die US-Bürgerrechtsaktivistin Ruby Nell Sales ein berührendes Videoporträt gedreht und sich für den Erhalt des Geburtshauses der legendären Sängerin Nina Simone eingesetzt. „An Pendletons Bildern fasziniert mich

dieses Nachdenken über Formen, Inhalte und Regeln. Die ständige Wiederholung in seinen Bildern hat auch etwas damit zu tun, wie Bedeutung erzeugt wird“, sagt die Wahlwienerin zum gestisch-abstrakten Vokabular der schwarz-weißen Gemälde. Mit seinem Aufsatzband „Black Dada“ hätte der New Yorker außerdem gezeigt, wie wichtig ihm unterschiedliche Stimmen von Künstler*innen, Philosoph*innen und Akademiker*innen wären. „Da habt ihr die Tools. Kommt rein und macht was damit!“, drückt Pendletons Reader für Danso aus. Ähnlich erlebt sie die Halle im Erdgeschoß, die Pendleton bis auf eine Handvoll Gemälde leer gelassen hat – der Saal biete Raum für Aktion! Seit der Eröffnung hat Danso Grup-

Museum als safer space: Danso führt mit Mikki Muhr durch die Schau und hält dort Schreibworkshops ab

JG Danso geboren in London; Autorin und Expertin für intersektionelle Gleichstellung, Dozentin am Lehrgang „Applied Human Rights” der Angewandten; Vorsitz beim Verein hint.wien und Community Poetin des queer cafe Villa Vida

pen wie den Verein Schwarze Frauen Community oder die Initiative Queer Writer’s Circle durch die Schau geführt. Nicht wenige ihrer Workshopteilnehmer*innen kämen das erste Mal ins mumok. „Es gibt in der Kunst einen Jargon, der bestimmt, wer drinnen und wer draußen ist“, beschreibt Danso die Schwelle zur Hochkultur. Ganz anders bei Dansos Workshops: Im Anschluss an die Rundgänge falten sie und mumok-Kunstvermittler*in Mikki Muhr die Klappstühle auf, um ganz persönlich über Eindrücke zu reden und zu schreiben. „Wir haben da schon sehr wichtige Gespräche geführt“, sagt Danso in Pendletons Schau als safer space. Ein Workshop-Teilnehmer hatte die schöne Assoziation, dass Pendletons Großformate an den Saalwänden so aussähen, als würden sie um einen Tisch sitzen und sich miteinander unterhalten. Wenn es dann ans Vorlesen der in kurzer Zeit auf der Basis von Key Words niedergeschriebenen Eindrücke ginge, bekäme so mancher Beteiligte weiche Knie. „Kann ich den Text auch mailen?“, laute eine häufige Ausflucht. Aber wer sich dann doch traut, für den mache der Museumssaal einen echten Unterschied. „Eine erhebende Erfahrung!“, sagt Danso, die weiß, wovon sie spricht. NS


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Vermählung mit

FA R BDUS C H E

FOTO: 1. AKTION „HOCHZEIT“, MALAKTION AM 6.2.1965 (MIT ANNA BRUS), FOTO: WALTER KINDLER © MUMOK

Eine Komplizin radikaler Künstler erinnert sich: Anna Brus im Gespräch über Rudolf Schwarzkoglers „Hochzeit“ und den ungedankten weiblichen Beitrag zum Wiener Aktionismus, der nie Frauennamen nannte

Anna Brus als Braut bei der Aktion „Hochzeit“, in der Rudolf Schwarzkogler ihr Kleid zerriss und sie mit blauer Flüssigkeit übergoss


MUMOK 23 as Hochzeitskleid nähte sie aus einem D Leintuch. Es hätte witzig ausgesehen, erinnert sich Anna Brus, dafür war der bil-

Die Neue Galerie Graz widmete Anna Brus kürzlich die Schau „ANA. Ihr Leben mit den Wiener Aktionisten“

Erst eine feministisch orientierte Kunstge-

schichte wandte sich den Frauen auf den Aktionsfotos zu, anonym nur als „Modelle“ bezeichnet. Einen wichtigen Impuls für deren Wiederentdeckung gab die Künstlerin Carola Dertnig, die intensiv zur Geschichte der Performancekunst in Wien nach 1960 geforscht hat. Bei ihren Recherchen wurde Dertnig klar, wie wenig sie selbst über den weiblichen Anteil an der Kunst von Brus & Co wusste. „Warum wurden die an einer Aktion mitwirkenden Frauen – die ‚Aktionistinnen‘ – zum Großteil nicht namentlich erwähnt? War das peinlich? Hatten diese Aktionistinnen keinen Stellenwert?“, hinterfragte die Künstlerin in einem Text die historischen Leerstellen. Dertnig wollte den klassischen Kunstkanon am Beispiel des Wiener Aktionismus aus feministischer und queerer Perspektive kritisch analysieren. Sie thematisierte die falsche Rezeption der Kollaborateurinnen, die im besten Fall als sexy „Musen“, im schlechtesten als „Körpermaterial“ (Muehl) gesehen wurden. Dabei wären die Aktionen ohne die intensive Mimik und Gestik der Akteurinnen nicht das, was sie heute sind. In der Ausstellung „ON STAGE – Kunst als Bühne” läuft nun über einer Art Laufsteg Dertnigs Hörspiel zu der skandalträchtigen Uni-Aktion „Kunst und Revolution” 1968. Die Installation hinterfragt, wie die Betrachte-

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Zwei Kübel Blut für Nitsch? Im Schlachthof überzeugte Anna die Fleischer mit der Ausrede, sie bräuchten das Blut für Mordszenen bei einem Filmdreh. Ein anderes Mal sollten drei Dutzend Kondome her. Die junge Apothekerin rief betreten ihren Chef. Als sie mit den Präservativen wegging, war Anna sicher: „Die halten mich jetzt für eine Puffmutter!“ Auf anstrengende Arbeitstage an der Nähmaschine folgten lange Nächte im alkoholschwangeren Künstlermilieu. Die Geburt der Tochter Diana brachte Anna kräftemäßig an ihre Grenzen, Hilfsangebote von anderen erhielt sie so gut wie nie. Auch der Arztsohn Schwarzkogler arbeitete einige Jahre als Gebrauchsgrafiker, ehe er seinen Brotjob 1965 an den Nagel hängte. Damals begann der „sehr komplizierte Mensch“, bei Aktionen seiner Kollegen Nitsch und Muehl mitzuwirken. Zu Anna und Günter knüpfte der introvertierte Künstler aber engere Bande und besuchte sie gerne privat. Schwarzkoglers Œuvre ist schmal. Bis zu sei-

FOTO: TONI MUHR

lige Brautschleier gekauft. Aber schließlich handelte es sich ja um keine echte Vermählung, sondern lediglich um Rudolf Schwarzkoglers erste Aktion „Hochzeit“ im Jahr 1965. Eindrucksvolle Fotografien in der Ausstellung „ON STAGE – Kunst als Bühne“ zeigen, wie der Künstler Anna Brus’ Kostüm damals mit blauer Farbe bespritzte. „Schwarzkogler war ein sehr hübscher junger Mann, aber äußerst schüchtern und still“, beschreibt Brus den dandyhaft gekleideten Grafiker. Er sei ein „In-SichMensch” gewesen, der am Künstlerstammtisch selten das Wort ergriff. Gemeinsam mit Günter Brus, Hermann Nitsch und Otto Muehl bildete der 1940 geborene Künstler das Kleeblatt des Wiener Aktionismus. Alle vier trieben – jeder auf seine spezielle Weise – eine österreichische Spielart jener radikalen Performanceund Body-Art voran, die damals auch in Amerika oder Japan aufblühte. Das Interview mit Anna Brus findet im modernen Familienhaus am Rand von Graz statt. Jahrzehntelang wurde dort immer nur ihr Ehemann Günter über die Kunst der wilden Sixties befragt. Die Bedeutung der Frauen in dieser avantgardistischen Strömung kam selten in den Blick. „Bis auf Günter haben Künstler die Mitwirkenden nie ausgewiesen. Mein Name und der anderer Frauen kommt in maßgeblichen Büchern über den Wiener Aktionismus gar nicht vor“, sagt Anna Brus heute, nicht ohne eine gewisse Bitterkeit. Obwohl sie sich selbst nie als Künstlerin gesehen hat, ärgerte es sie, dass die Akteurinnen in der Öffentlichkeit „wie Gegenstände“ behandelt wurden.

rinnen diese „Heldentat” miterlebten. Im Gegensatz zum Klischee vom passiven „Modell” brachte sich Anna Brus auch in die Diskussionen und Vorbereitungen ein. Sie heckte als Komplizin ihres Mannes und seiner Kollegen Abläufe und Details mit aus. Auch Schwarzkogler bezog die mutige junge Frau in die Planung seiner ersten Aktion ein. Kein Wunder, verfügte die 25-Jährige doch 1965 bereits über Erfahrung, die ihrem drei Jahre älteren Künstlerfreund fehlte. Schon im Jahr zuvor war sie bei Brus’ Aktion „Ana“ – benannt nach der kroatischen Schreibweise ihres Vornamens – nackt aufgetreten. Sie hatte ihren Körper bemalen lassen und sich mit ihrem Mann

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Anna Brus wurde 1943 im kroatischen Viškovci geboren und kam nach Kriegsende als Kind Vertriebener in die Steiermark. Ende der 1950er-Jahre lernte sie dort Günter Brus kennen, 1961 Übersiedlung nach Wien, arbeitet als Näherin; 1964 namensgebende Akteurin bei Brus’ Aktionsdebüt „ANA“; danach „Silber“, „Transfusion“, „Vitriolkabinett“ und „Strangulation“; parallel Aktionen mit Rudolf Schwarzkogler (1940–1969) und Otto Muehl

in Farbe gewälzt. Mit der Aktion wollte das Paar die Grenzen der Malerei sprengen und „lebende Gemälde“ auf der Haut anstatt auf der Leinwand schaffen. „Es kostete uns damals eine große Überwindung, uns öffentlich nackt auszuziehen. Aber danach waren wir sehr stolz und erfüllt von dem Gefühl, etwas Wichtiges geschafft zu haben“, schildert Brus ihre einstigen Gefühle. Jüngst widmete ihr das Bruseum der Neuen Galerie Graz die Ausstellung „ANA. Ihr Leben mit den Wiener Aktionisten“, in deren Videointerviews die 80-Jährige ihr Leben erzählte. Im Jahr 1943 in Kroatien geboren, kommt „Anni“ als Teil der vertriebenen deutschen Minderheit nach Kriegsende in die Steiermark. „Meine armen Eltern flohen mit ihrem Hab und Gut auf einem Planwagen. Und selbst das Pferd, das diesen zog, wurde ihnen noch weggenommen.“ Mehr gelitten als geduldet wohnt die Familie in einer Baracke am Waldrand; das Mädchen gilt als „Zigeunerbalg“. „Mein Mut kam wohl aus der feindseligen

Behandlung in meiner Kindheit“, erklärt sich Brus heute, woher sie den Antrieb und die Entschlossenheit schöpfte, im konservativen Nachkriegsösterreich an derart provokanten Auftritten teilzunehmen. Aber die Fremdenfeindlichkeit von damals treibt ihr noch jetzt die Tränen in die Augen. Als sie ihren späteren Gatten Günter kennenlernt, wird schnell klar, wer für das Einkommen sorgen wird. Bereits beim ersten Wirtshausbesuch übernimmt Anna die Zeche – der arme Künstler hat nichts im Geldbeutel. In Wien arbeitet die junge Frau als Näherin für eine Wäschefabrik und finanziert die Einzimmerwohnung. Brus konnte kaum etwas verkaufen. Auch wenn es Material zu besorgen galt, packte sie an.

nem frühen Tod durch einen Fenstersturz mit nur 28 Jahren realisierte er acht Aktionen, die in Fotoserien und Filmen überliefert sind. Einzig „Hochzeit“ findet vor Publikum statt. In der Wohnung des Fotografen und Mitwirkenden Heinz Cibulka wird dafür ein Zimmer ganz mit weißen Stoffbahnen und Papier ausgekleidet. Auf einem altargleichen Tisch reiht Schwarzkogler Objekte wie einen schwarzen Spiegel, Messer, Scheren, Schwämme oder Gläser mit farbiger Flüssigkeit aneinander. Der Tonbandgesang gregorianischer Choräle sorgt für eine mystische Atmosphäre, während er Fische aufschneidet und diese mit Blut und blauer Farbe übergießt. In einer Nische und verborgen hinter einem Tuch wartet indes die „Braut“. Der Künstler im schwarzen Anzug zerschneidet den Stoff und enthüllt das Gesicht von Anna. Farbfotografien halten fest, wie er der jungen Frau einen Schwamm in den Mund steckt und sie schließlich mit blauer Farbe bespritzt. Später hält Cibulka einen Sternspritzer über die Braut.„Plötzlich ist etwas Heißes auf meinen nackten Oberkörper gefallen und ich habe geschrien“, erzählt Brus über ein Mißgeschick, das den „stillen Aktionisten“ verärgerte. „Für Schwarzkogler war Yves Klein ein gro-

ßer Einfluss“, streicht Brus die Bedeutung des französischen Künstlers (1928–1962) hervor. Der Grenzgänger zwischen Malerei und Performance prägte den Wiener Aktionisten in mehrfacher Hinsicht: mit seinem Habitus als Zeremonienmeister in feinem Zwirn ebenso wie in der Hinwendung zu Ritus und Mystik. Besonders Ultramarinblau faszinierte den Pariser Künstler. Er tränkte Schwämme damit und klebte sie auf seine „Monochromien“. Die spirituelle Dimension von Blau fesselte auch Schwarzkogler. Anna damit zu bespritzen war ein Hochamt, keine Erniedrigung. Wie wichtig die „Braut” für den Künstler war, zeigte sich nach dessen Tod. In Schwarzkoglers Geldbörse fand man ein Foto von Anna Brus. NS


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Im Scratch Lab lernen Kinder und Jugendliche kreativ zu Kunst zu programmieren

dynamik. Am Computer kreierten die jungen Programmierer*innen Pixel für Pixel unterschiedliche Vektorfelder. Beim Scratch Lab passiert nur ein Teil der Arbeit im Museum vor Ort. Die Kinder und Jugendlichen stehen über eine gemeinsame Website in Kontakt, die längerfristiges Weiterarbeiten an einem Projekt sowie Austausch einfach macht. Aber auch das Miteinander in der Gruppe, die Beziehungsarbeit, lassen Hochwartner und sein Team nicht aus den Augen. Als Mentor*innen kümmern sich Fortgeschrittene um die Anfänger*innen, sodass Ellbogenmentalität gar nicht erst aufkommt.

FOTO: NIKO HAVRANEK/MUMOK

Unter dem Titel „Ludwig goes Digital“

Wo Kids Nägel mit Pixeln machen Bei dem Projekt „Ludwig goes Digital“ setzen sich Kinder und Jugendliche mit der mumok-Sammlung auseinander und bauen aus Daten virtuelle Kunst

iese Spinne ruft keine Gänsehaut lung Ludwig kennen. „Es geht dar- Gefilde oder bieten AnknüpfungsD hervor. In blauem Plüsch sorgt um, das Museum als Bildungsraum punkte an das Leben der Kursteildie Tierskulptur „La vedova blu“ von neu zu entdecken“, erklärt Benedikt nehmer*innen. Dann folgt die diPino Pascali eher für Schmunzeln als für Schaudern. Aber die Kinder mit den Laptops auf dem Boden interessiert ohnehin weniger, welche Gefühle das Krabbeltier hervorruft, als die Challenge, die Spinne virtuell am Screen hervorzuzaubern. Willkommen im Scratch Lab des mumok! In Semesterkursen lernen dort Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren die Programmiersprache Scratch und Arbeiten der Samm-

Hochwartner, der Kurator für kreatives Lernen am Haus. Anhand eines Überthemas wie zum

Beispiel „Entstehung des Lebens“ oder „Energie“ setzen sich die Kinder mit ausgewählten Werken auseinander. Dabei geht es um die künstlerische Idee und den Inhalt, ebenso wie um die verwendeten Herstellungstechniken. Die Diskussionen führen aber auch in philosophische

gitale Um- und Übersetzung. „Wir fördern nicht nur, etwas mit technischen Skills am Computer nachzumachen, sondern Interesse und Freude am kreativen Lernen.“ Hochwartner schildert etwa, wie eines der typischen Nagelbilder von Günther Uecker die Gruppe inspirierte. Die vielen Metallstifte, die der deutsche Künstler 1969 in sein „Nagelrelief “ schlug, wurden zu einem Lehrbeispiel in Sachen Strömungs-

hat das mumok 2023 ein vertiefendes Projekt gestartet, bei dem die Beteiligten des Scratch Lab auch ihre eigenen Spuren in der Museumssammlung hinterlassen. Den Hintergrund bilden die in den USA entwickelten „Citizen Humanities“. Bei diesem Ansatz forschen Laien in geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Geschichte, Literatur oder eben Kunst. „Das Museum gibt gewissermaßen einen Teil seiner Forschungshoheit ab, holt Ideen und Meinungen von außen rein“, beschreibt der Kurator. In der ersten Phase dieses einjährigen Projekts wurden bereits Schlüsselwerke der Kollektion behandelt. Dabei ging es um Künstler*innenbiografien, ebenso wie um visuelle Gestaltungsideen, kunsttheoretische Ansätze und die Geschichte der Sammlung Ludwig. Als Rücklauf in die Sammlung entstehen zum Beispiel Texte, Videos oder Audioaufnahmen der Kinder und Jugendlichen. Die „partizipative Forschung und Vermittlung“ funktioniere freilich nur, wenn das Museum der next generation auf Augenhöhe begegne, betont Hochwartner. Diesen Herbst widmet sich „Ludwig

goes Digital“ der digitalen mumokSammlung. Die Teilnehmer*innen werfen einen frischen Blick auf die Strukturen, welche die Bestände prägen und bringen sich ein. „Daten sind für die Kinder wie Bausteine, aus denen sie etwas bauen können“, sagt Hochwartner, der sich schon auf die Ideen seiner ScratchKids freut. NS


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Gezeichnete Biografien im Dialog Das EU-finanzierte Projekt The Floor Is Yours bringt museumsfernes Publikum in drei internationale Kunstinstitutionen

zeitgenössische Kunst in Trient und Rovereto (MART) und dem Boijmans Van Beuningen in Rotterdam für mehr Inklusion zusammengeschlossen. Unter dem Titel „The Floor Is Yours“ öffnen diese Häuser lokalen Gruppen und Vereinen ihre Hallen. Das Ziel: Publikumsgruppen, die sonst kaum je in Museen kommen, sollen diese Institutionen kennenlernen und sich selbst aktiv einbringen; im Fokus stehen ihre eigenen Geschichten und die Teilnahme an der Museumsarbeit.

FOTO:SEBASTIAN GANSRIGLER/MUMOK

rei Museen machen ihre Türen weit auf: Das mumok hat sich D mit dem Museum für moderne und

Das mit EU-Mitteln finanzierte Projekt

ist auf zwei Jahre angelegt, die dabei geknüpften Bande sollen aber viel länger halten. Das mumok hat bereits mit dem Verein migrantas als überregionalem Partner und mit dem auf Interkulturalität spezialisierten Wiener Verein Nachbarinnen kooperiert. Die Sozialassistentinnen des Vereins Nachbarinnen bieten Menschen unkompliziert und in deren eigener

Muttersprache Hilfe an. Bei Workshops haben bereits rund 120 in Wien lebende Frauen mit dem Zeichenstift etwas über ihre Biografie und ihre aktuelle Situation ausgedrückt. Als Ausgangspunkt dienten Werke aus der mumok-Sammlung. Unter dem Titel „Gespräch in Bildern / Wir durch Kunst“ fand auch eine Ausstellung der Zeichnungen statt. Die

Geglückte Inklusion: Die Papierarbeiten von Frauen zu den Themen Migration, Sichtbarkeit und Selbstbestimmung

Nachbarinnen halfen außerdem bei den Programmier-Workshops des Scratch Lab, Kinder und Jugendliche aus finanzschwachen Familien als Teilnehmer*innen zu gewinnen. Dank einer Förderung der Schweizer Art Mentor Foundation können diese nun die Semesterkurse kostenlos besuchen. Das Projekt „The Floor Is Yours“ bringt rege Reisetätigkeit in Gang: Eine Gruppe von Frauen und jungen Menschen von Nachbarinnen wird Aktivitäten für ein jugendliches Publikum mitplanen und zu einer einwöchigen Residency im MART in Rovereto fahren. Das MART schickt dafür eine Gruppe Studierender an das Museum Boijmans Van Beuningen und die Niederländer senden wiederum eine Gruppe ins mumok. Ein Symposium am Ende des Projekts

in Rotterdam wird zeigen, was bei diesem Austausch erlebt und gelernt wurde. Kunst bringt Leute in Dialog, egal woher sie stammen. Wenn sich internationale Museen im Trio darum bemühen, umso besser. NS


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Mit Mikro, Schere und Kunsttransporter Der Herbst im mumok lockt mit einem dichten Reigen an Events wie Konzerten, Diskussionen und Workshops

An zwei Herbstsonntagen geben Kinder den Ton an. Die Kinderaktionstage laden ein, den Tag nach Lust und Laune selbst zu gestalten. Wer gerne Hand anlegt, kann im Atelier malen, kritzeln oder bauen. Die Rätselrallye krönt ein Preis, „Disco Drawing” bietet Platz für Zeichnen und Musik. Mit dem Kinderkunsttransporter werden Ausstellungen auf eigene Faust erkundet.

Kinderprogramm 30.9., 21.10., 2.12., um 12, 14 und 16 Uhr

In Auseinandersetzung mit den Techniken des US-Künstlers Adam Pendleton machen wir eigene Bilder. Beim Collage Workshop werden Fotokopien, Plakate und Texte markiert, zerschnitten und neu zusammengesetzt, für Mixturen aus Collage, Decollage und Cut-out.

Konzert 29.9., 17 Uhr Kinderprogramm 9.9. und 23.9., 14 bis 16 Uhr

FOTO: SOPHIE PÖLZL/MUMOK

Inspiriert von der Familienoper „Wo die wilden Kerle wohnen“ erobern Kinder das mumok. Wie unterschiedlich klingen wütende, lustige und traurige Monster? Was für ein wildes Kerlchen steckt in uns drin? Jung & Alt erleben bei „Wilde Kerle – Rhythm & Paint“ Kunst und Klang. Eine Kooperation mit dem MusikTheater an der Wien.

Auf Einladung der Künstlerin Agnes Fuchs tritt Mia Zabelka in deren Schau „Her Eyes Were Green“ auf. Zabelkas hybride Praxis verknüpft freie Improvisation auf Violine und selbstgebauten Klangkörpern mit experimenteller Elektronik und Vocals. Die mehrfach ausgezeichnete Musikerin untersucht Klang auch als physikalisches Phänomen, das sie verdichtet, de- und rekonstruiert. Ein Gespräch zwischen Zabelka und Fuchs, moderiert von mumok-Kurator Franz Thalmair, begleitet die Performance.

FOTO: SEBASTIAN GANSRIGLER/MUMOK

FOTO: DARIO NIGREDO

FOTO: NIKO HAVR ANEK/MUMOK

Kinderprogramm 24.9. & 5.11., 10-18 Uhr


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FOTO: NICHOLAS HOFFMANN

Unter dem Titel „Collect, Cut, Assemble“ bieten die Künstler*innen Sophie Dvořák, Elodie Grethen und Susanna Hofer Workshops an. In gemeinsamen Gesprächen stellen sie ihre Arbeitsweise im Kontext der künstlerischen Techniken der Collage und der Assemblage vor und wir spannen einen Bogen zum Werk von Elisabeth Wild. Im Anschluss können die Teilnehmer*innen im mumok Atelier ihre eigenen fantasievollen Papierarbeiten kreieren.

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FOTO: SUSANNA HOFER

Workshop 6.10. (Dvořák), 20.10. (Hofer), 3.11. (Grethen), je 16 Uhr

Die Art-Band Kinky Muppet rumpelt sich munter durch die Themen unserer Zeit. Sie sind kreative künstliche Intelligenzen und wollen auch mal ein Bild malen, über ein gebrochenes Herz weinen, Alexa als ihre beste Freundin betrachten und die unzähligen Baustellen der Welt beklagen. Das Trio aus Katrin Plavčak (guitar & vocals), Nicholas Hoffman (bass, bariton & vocals) und Oliver Stotz (drums & samples) spielt mit Drive und Enthusiasmus durch seine surrealen Songwelten. Zu dritt stolpern sie über die selbstgebauten Bridges, um zu guter Letzt mit Harmoniegesängen in die selbstgegrabene Grube zu fallen.

Das Kollektiv MATHILDA, das aus ehemaligen Kindern der nach Otto Muehl benannten Kommune besteht, bringt in seinem Ausstellungsbeitrag zu „ON STAGE – Kunst als Bühne” das autoritäre und teils kriminelle Verhalten des Künstlers zur Sprache. Dabei werden die Schattenseiten und Widersprüche der ursprünglich als offene Gesellschaft gegründeten Kommune sichtbar. Am 13. Oktober diskutiert Kurator Rainer Fuchs mit der Gruppe und der Philosoph*in Elisabeth Schäfer über die Funktion der Kunst in der „Mühl-Sekte“ und über „Kunstmuseen als Kontaktzonen”. Vor dieser Diskussion wird bereits um 17.30 Uhr der preisgekrönte Film „Meine keine Familie“ (2012) von Paul-Julien Robert, Regisseur und Gründungsmitglied von MATHILDA, gezeigt. Film & Diskussion 13.10., 17.30 Uhr

FOTO: CORINA ANT

FOTO: REINER RIEDLER/MUMOK

Kinderprogramm Kursinfos: www.mumok.at/de/mumok-scratch-lab

Konzert 27.9., 18 Uhr

FOTO: NIKO HAVR ANEK/MUMOK

Die Kurse des mumok Scratch Lab bieten einen kreativen Weg, sich digital mit Kunst auseinanderzusetzen. Kinder und Jugendliche lernen dabei spielerisch Programmieren und entdecken neue Technologien als künstlerisches Werkzeug. Die Kursteilnehmer*innen produzieren eigene digitale Kunstwerke und entwickeln Medienkompetenz. Dabei tauchen sie auch in die Kunst- und Kulturgeschichte ein.

Poetry Slam ist gelebte Literatur, eine der lebendigsten Formen, Sprache zu teilen. Ob lustig oder tiefsinnig, ob Rap oder Prosa, ob ruhig oder laut – alles ist erlaubt, solange das gesprochene Wort im Vordergrund steht. Mieze Medusa und Yasmin Hafedh zählen zu den prägendsten Stimmen der deutschsprachigen Slam-Szene. Beim Workshop mit den beiden lernen die Teilnehmenden durch Impuls- und Schreibübungen ihre eigenen Texte zu verfassen, ihre Stimme zu finden und mit Sprache zu spielen. Die Spezialistinnen verraten sowohl Tipps und Tricks beim Schreiben als auch ihre goldenen Performance-Ratschläge. Workshop 29.11., 16 bis 19 Uhr


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Kunst aus Blättern und aus Licht Wo Bücher und Videos Kunstwerke für sich sind: Die mumok Bibliothek feiert diesen Herbst das „schönste Buch“ und ein 50er-Jubiläum, das mumok kino zeigt Filme über antike Bausteine und lässige Shopperinnen n rund 50.000 Büchern, Katalogen Iessierte und Kunstzeitschriften können Interin der mumok Bibliothek schmö-

Letztes Frühjahr präsentierte etwa der

Künstler Nadim Vardag sein neues Buch „Speicher“, das er als eine Art Aufbewahrungsort seiner Kunst betrachtet. Es zeigt konkrete Arbeiten wie Kaltnadelradierungen mit Knotenmotiven ebenso wie Fotos von Installationen und Ausstellungen. Als internationaler Gast reiste das Medienkunstkollektiv Flatform mit Sitz in Berlin und Mailand an, das zeitbasierte Arbeiten, Filmevents und Installationen produziert. Gemeinsam mit Giuliana Prucca vom Verlag Avarie stellte Flatform das Arbeitsbuch „Snaturamenti“ vor. Die Publikation ist als eine Art Manual gedacht, es soll den „Akt des Sehens reaktivieren, um eine neue Sicht jenseits der Bilderblindheit zu befördern“. Auch dieser Herbst verspricht wieder außergewöhnliche Donnerstage. Letztes Jahr gewannen der Wiener Künstler Axel Koschier und die Grafikdesignerin

Oben: Nadim Vardags Künstlerbuch „Speicher“ Rechts: Hannes Böck, „Vordergrundstudien“, 2023, Filmstill

Filme von Hannes Böck, mumok kino, 4.10., 19 Uhr Filme von Judith Barry, mumok kino, 11.10., 19 Uhr Kurzfilmprogramm „Temporalities of Identity", im Anschluss Gespräch mit der Künstlerin Tanoa Sasraku; mumok kino, 18.10., 19 Uhr Präsentation des monografischen Künstlerbuchs „Axel Koschier“, mumok Bibliothek, 19.10., 18 Uhr Jubiläumsfeier und Ausstellung anlässlich der 50. Ausgabe von „Kunst | Buch | Donnerstag“ in Anwesenheit der Künstler*innen, mumok Lounge, 23.11., 18 Uhr

Astrid Seme den Wettbewerb für „Das schönste Buch Österreichs“ und darüber hinaus einen Staatspreis. Am 19. Oktober präsentieren sie die Monografie „Axel Koschier“, die beim Wiener Verlag Mark Pezinger Books erschienen ist, in der mumok Bibliothek. Am 23. November heißt es dann „Hoch die Tassen!“: Dann wird in der mumok Lounge der 50. Termin von „Kunst | Buch | Donnerstag“ zusammen mit den Künstler*innen gefeiert und die große Bandbreite der in den letzten acht Jahren vorgestellten Publikationen mit einer Jubiläumsschau gewürdigt. Ein anderer beliebter Ort des Get-to-

gether ist das mumok kino im Souterrain des Museums. Der Saal wurde vom Künstler Heimo Zobernig in Kooperation mit dem Architekten Michael Wallraff realisiert. Das dort regelmäßig gestaltete Programm belegt die hohe Bedeutung, die dem Laufbild für

das Kunstschaffen von der Moderne bis heute zukommt. So etwa für den Künstler Hannes Böck, Jahrgang 1974, der am 4. Oktober seine drei neuesten Filme vorführen wird. Böcks Film „Sammlung Bau- und Schmuckstein altes Rom“ zeigt 55 Gesteinsproben altertümlicher Baumaterialien, die heute im Naturhistorischen Museum in Wien aufbewahrt werden. Damit möchte Böck auf Gesellschaftshierarchien des römischen Imperiums sowie des 19. Jahrhunderts verweisen. Mit einem zeitgeschichtlichen Thema befasst sich der 16mm-Film „400 known Locations“, der vergessenen nationalsozialistischen Sammellagern in Wien nachgeht. „Casual Shopper“ titelte 1981 das Kurz-

filmdebüt der US-Künstlerin Judith Barry, das um flanierende Frauen, Konsumverhalten und Begehren kreist. Die 1954 geborene documenta-Teilnehmerin reagierte damit auf die feministische Filmtheorie jener Zeit. Am 11. Oktober zeigt das mumok kino neben Barrys Ein-Kanal-Videoarbeiten wie „Space Invaders“ (1982) und „Death Valley ’69“ (1986) auch einige Mehr-Kanal-Film- und Video-Installationen wie „The Work of the Forest“ (1992) oder „Channeling Spain“ (2010). Im Anschluss spricht die Wiener Künstlerin Constanze Ruhm mit Barry über ihr in den letzten 40 Jahren entstandenes Œuvre. NS

FOTOS: NADIM VARDAG; HANNES BÖCK

kern. Auch Schulen und Universitäten steht dieser Wissensspeicher für moderne Kunst offen, etwa Gymnasiast*innen für deren vorwissenschaftliche Arbeiten oder für Hochschulseminare. Die Bibliothek flankiert die aktuellen Ausstellungen im Haus, etwa mit korrespondierender Literatur in ihren Vitrinen. Oft handelt es sich um bibliophile Raritäten wie signierte Erstausgaben berühmter Künstler*innen oder in Miniauflagen produzierte Bücher der Konzeptkunst der Sixties und Seventies. Auf solchen Künstler*innenbüchern liegt ein spezieller Fokus des mumok. Dieses Genre umfasst aufwendige Einzelstücke ebenso wie Editionen oder unlimitierte Auflagen auf fotokopiertem Papier. „Das Künstlerbuch ist kein Kunstbuch. Das Künstlerbuch ist kein Buch über Kunst. Das Künstlerbuch ist ein Kunstwerk“, hat der Verleger und Sammler Guy Schraenen unterschieden. Wer sich für die Gattung begeistert, kennt die kniffligen Definitionsfragen: Was ist nun ein Künstler*innenbuch? Was macht es aus? Einerseits stellt es eine Art Ikone und Kultobjekt der Kunstund Bibliotheksgeschichte dar, andererseits erhalten diese Objekte kaum Öffentlichkeit. Um sie publik zu machen, stellt die Reihe „Kunst | Buch | Donnerstag“ seit 2015 regelmäßig einmal im Monat Neuerscheinungen vor. Dabei sprechen die Macher*innen selbst, aber auch Verleger*innen, Sammler*innen oder Kurator*innen. Die Gäste gestalten ihre Termine individuell; die Bandbreite reicht von Vortrag über Artist Talk oder Interview bis hin zur Performance.


23/24 LES MARTYRS THEODORA SCHWANDA, DER DUDELSACKPFEIFER WO DIE WILDEN KERLE WOHNEN CANDIDE ROMÉO ET JULIETTE KUBLAI KHAN FREITAG, DER DREIZEHNTE DENIS & KATYA LA FINTA GIARDINIERA MARÍA DE BUENOS AIRES RICHARD III. HAMED UND SHERIFA Intendanz Stefan Herheim

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Elisabeth Wild. Fantasiefabrik, bis 7. Jänner 2024 im mumok

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E; KARMA INTERNATIONAL, ZURICH,/FOTO: NICOLAS DUC


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