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Das Wissenschaftsmagazin im Falter

heureka!

5–07 Beilage zu Falter. Stadtzeitung Wien | Steiermark. Nr. 50/07 Erscheinungsort: Wien. P.b.b. 02Z033405 W; Verlagspostamt: 1010 Wien; lfde. Nummer 2128/2007; Coverillustration: Andrea Maria Dusl

Einkaufen Die Macht des Konsumenten • Essen Biomusterland Österreich? Eindrücken Der ökologische Fußabdruck • Entscheiden Bürger versus Experten


heureka

A4 sparkling

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Sparkling Science > Wissenschaft ruft Schule Schule ruft Wissenschaft Ab jetzt können Wissenschaft, Schulen, Pädagogische Hochschulen und Museen Projektideen einreichen „Forscherkarrieren beginnen im Klassenzimmer“ (Bundesminister Johannes Hahn) > Manche Fragen können Wissenschaftler/innen gemeinsam mit der Jugend besser untersuchen als allein. Im Rahmen von Sparkling Science werden Projekte gefördert, bei denen Schüler/innen aktiv mitarbeiten, sei es im Labor oder an anderen Forschungsstätten. Einzigartig daran ist, dass sie nicht nur zusehen oder zuhören, sondern als wirklicher Partner der Wissenschaft eingebunden sind. www.sparklingscience.at oder 01/523 87 65-32 Johannes Hahn

www.bmwf.gv.at

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung


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EDITORIAL

DPA/ Frank May

Liebe Leserin, lieber Leser!

So kann es nicht weitergehen mit Weihnachtslichterwahnsinn und der Energieverschwendung. Mehrere NGOs, darunter Greenpeace und WWF, medial flankiert unter anderem von der „Bild“-Zeitung und RTL, riefen dazu auf, am Abend des 8. Dezember für fünf Minuten das Licht auszuschalten. Auch hierzulande schlossen sich Promis und Medien der Initiative „Licht aus!“ an. Kritiker monierten, es fehle an konkreten Forderungen, es gehe nur um Eigen-PR. Und die Konzerne fürchteten einen Stromausfall.

Vor genau zwanzig Jahren, am 11. Dezember 1987, nahm die UN-Vollversammlung den Brundtlandbericht an (benannt nach der Kommissionsvorsitzenden, der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland). „Our Common Future“ hieß der Bericht offiziell: Wir müssen beim Umgang mit unserem Planeten auch an unsere Enkel und Urenkel denken. Der Begriff Nachhaltigkeit hat seither Karriere gemacht, war fast zu erfolgreich, wie viele meinen. Er werde zu breit, ja geradezu inflationär gebraucht. Man könnte aber auch sagen, dass der Begriff oft zu eng verwendet und auf Umweltschutz reduziert wird. Dabei betonte schon der Brundtlandbericht, dass für eine „echte“ Nachhaltigkeit nicht nur die ökologische, sondern auch die soziale und ökonomische Dimension zu berücksichtigen ist. Alles auch eine Frage der Kommunikation. Wie der Dialog über Nachhaltigkeit mit der Gesellschaft aussehen sollte, fragt man sich derzeit im Rahmen eines von proVISION geförderten Projektes am Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt, mit dem wir für dieses Heft eine Kooperation eingegangen sind. Oliver Hochadel & Klaus Taschwer

Gerhard Maurer

Reinhard Hackl

Heribert Corn

Reinhard Hackl/Archiv

INHALT

ÖKOFRAGEN 4

EINPACKEN 12

MIT GÜTESIEGEL 14

BESSER ZÖGERN 18

Zug oder Flugzeug? PET oder

Kann Konsumverhalten die Welt

Die Werbung inszeniert Österreich

Warum die Öffentlichkeit nicht so-

Tetra? Rolex oder Swatch?

ändern? Die Theorie entdeckt die

als Biomusterland. Die Wirklichkeit

fort auf die Wissenschaft hören

Was besser für die Umwelt ist.

Macht des Einkaufs.

ist komplizierter.

sollte, weiß Markus Arnold.

KEHLMANN 7 Anti-Atomkraft | 2,1 ERDEN 8 Wie der ökologische Fußabdruck funktioniert | UND SELBST? 10 Österreichische Forscher über Nachhaltigkeit im Alltag | BIO 16 Mythos und Wahrheit | PARTIZIPATION 20 Was Experten von Bürgern lernen können | OEKO-UNI 22 Wie man den Hörsaal heizt | LETZTE FRAGEN 23 Rektor Wolfhard Wegscheider antwortet Impressum: Beilage zu Falter Nr. 50/07; Herausgeber: Falter Verlags GmbH, Medieninhaber: Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T.: 01/536 60-0, F.: 01/536 60-912, E.: heureka@falter.at, DVR-Nr.: 0476986; Redaktion: Klaus Taschwer und Oliver Hochadel; Satz, Layout, Grafik: Reinhard Hackl; Druck: Berger, Horn Diese Ausgabe entstand zudem in Kooperation mit dem Institut für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Universität Klagenfurt. Die inhaltliche Verantwortung liegt ausschließlich bei der Redaktion von heureka!

heureka! erscheint mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschnung


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Wie sollen wir leben? Ist es besser, das Licht anzulassen, oder es jedes Mal auszuschalten, auch wenn man nicht lange weg ist? Das kommt auch auf die Lampe an. Zwar ist zum Starten einer Leuchtstoffröhre oder einer Energiesparbirne eine erhöhte Zündspannung erforderlich. Das braucht aber mittlerweile nur mehr so viel Strom wie die Lampe in zehn Sekunden. Auch bei der Lebensdauer der Lampen hat sich in der Zwischenzeit einiges gebessert. Zwar wird die durch häufiges Ein- und Ausschalten tatsächlich reduziert. Wägt man nun aber die Lebensdauer gegen den Stromverbrauch ab, dann kommen Experten zu Angaben, die zwischen fünf und zwölf Minuten liegen. Sprich: Wenn man einen Raum für mehr als fünf Minuten verlässt, sollte man das Licht – am besten Energiesparlampen – auf jeden Fall ausschalten. Ob die 5-Minuten-Lichtausschaltaktion am 8. Dezember allerdings gar so viel gebracht hat, darf freilich auch bezweifelt werden. Energiesparbirnen sind in aller Munde. Aber sollen sie auch in alle Lampen? Ja. Energiesparbirnen enthalten zwar Schwermetalle und können nicht wie Glühbirnen einfach in den Restmüll geworfen werden. Das ist aber nur ein kleiner Pferdefuß. Die Energiebilanz ist deutlich positiv. Noch besser schneiden Leuchtdioden ab. Nur ersetzen die meisten LEDs keine Glühbirnen, sondern werden auch dort eingesetzt, wo es vorher schlicht und einfach dunkel war. Oh, Lichterketten!

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Stimmt es, dass die Herstellung einer Solarzelle mehr Energie benötigt, als diese über die Lebensdauer produziert? In der Frühzeit der Solarzelle mag das so gewesen sein. Mittlerweile gehört das ins Reich der Legenden, wie Zeit-Autor Christoph Drösser für seine „Stimmt’s?“Kolumne recherchiert hat. Sonnenklar ist: Je mehr Sonne, desto schneller amortisiert sich die Energiebilanz der Solarzelle, das kann zwischen zwei und sechs Jahren dauern. Der Erntefaktor, also das Verhältnis des Energieaufwandes zur Herstellung der Solarzelle und der von dieser produzierten

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Was Sie schon immer über nachhaltiges Alltagsleben wissen wollten. heureka! hat sich getraut nachzufragen: Von Glühbirnen, Flugzeugkilometern, Steaks und Solarzellen. Und von Einweggebinden, Benzinäquivalenten und ökologischen Rucksäcken. Oliver Hochadel und Klaus Taschwer

Energie, liegt zwischen fünf und zwanzig. Zum Vergleich: Bei Windkraftanlagen beträgt der Erntefaktor bis zu neunzig – sofern die Winde kräftig wehen. Kauft man besser Tomaten aus Österreich oder aus Spanien? Sind regionale Produkte den importierten immer vorzuziehen? Nein. Eine Tomate im österreichischen Glashaus hat eine schlechtere Energiebilanz als die berüchtigten Tomaten aus der Region Almería im südspanischen Andalusien, die mit Lkws zu uns gebracht werden. Das mit 350 Quadratkilometern größte Gemüseanbaugebiet Europas, ein Meer aus Plastikplanen, hat 3000 Sonnenstunden. Der enorme Pestizideinsatz und der den Grundwasserspiegel bedrohlich absenkende Wasserverbrauch sprechen jedoch eindeutig dagegen. Aber es gibt auch spanische Biotomaten. (Zur Frage, wie klimafreundlich Bio ist, siehe auch S. 16). Ja, aber gerade in Almería gilt es, auch soziale Aspekte der Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Die für einen Hungerlohn schuftenden Arbeiter sind afrikanische Immigranten. Da sie sich illegal in Spanien aufhalten, erhalten sie jeweils nur für einen Tag eine Arbeitserlaubnis.

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Bananen und andere Südfrüchte werden über weite Strecken mit dem Schiff zu uns gebracht. Verstärkt das nicht den Treibhauseffekt? Zuerst die gute Nachricht: Diese Transporte schwächen die Klimaerwärmung sogar ab. Der gas- und partikelförmige Ausstoß der Schiffsmotoren hat nämlich zur Folge, dass sich Wolken über den Meeren aufhellen. Dadurch wiederum würden einfallende Sonnenstrahlen verstärkt in den Weltraum reflektiert, berichteten Forscher um Axel Lauer vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt kürzlich im Fachmagazin Atmospheric Chemistry and Physics. Zwar geben die Schiffsmotoren Kohlendioxid ab, das werde aber durch diesen kühlenden Effekt der Aerosole mehr als ausgeglichen. Und im Vergleich zum Flugzeug verursacht das Schiff vierzigmal (!) weniger Treibhausgasemissionen. Die schlechte Nachricht: Schiffsmotoren, die Schweröl verbrennen, blasen große Mengen an Ruß, unverbrannten Kohlenwasserstoffen, Stickstoff- und Schwefelverbindungen in die Luft. Forscher um James Corbett von der Universität Delaware in Newark kommen in der Dezemberausgabe des Fachmagazins Environmental Science and Technology zu dem Schluss, dass diese Abgase weltweit jedes Jahr für 60.000 Todesfälle durch Herz-Kreislaufund Lungenerkrankungen verantwortlich sind, knapp die Hälfte davon an Europas Küsten. PET, Tetrapack, Glasflasche oder Dose – wie trinkt man umweltfreundlich? Beginnen wir beim ökologisch wenig Korrekten: zum Beispiel dem 16er-Blech – also einer Dose Bier (16 steht in dem Fall für den 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring). Aluminium und Weißblech sind in der Herstellung enorm energieaufwendig. Grundsätzlich gilt: Mehrweg vor Einweg. Umweltberater sehen wiederbenützbare Glas- und PETFlaschen (PET steht für den thermoplastischen Kunststoff Polyethylenterephthalat) klar vorne. Die müssen zwar transportiert und gewaschen werden, schneiden aber in der Umweltbilanz deutlich besser ab als

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DPA/Norbert Försterling

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Ausschalten oder anlassen? Energiesparlampe oder herkömmliche Glühbirne? Nachhaltige Antworten sind nicht immer leicht zu finden

der anfallende Müll bei – schönes Wort – Einweggebinden, bei deren Verbrennung auch noch Schadstoffe freigesetzt werden. Das Tetrapack hätte zwar auch Potenzial, da es gut in seine Rohstoffe zu zerlegen ist. Der Verbundkarton, wie er eigentlich heißt, hat aber in Form der Ökobox lediglich eine Rücklaufquote von gut einem Drittel: 8182 Tonnen von insgesamt 21.690 Tonnen im Jahr 2006. Ist fleischlose Ernährung tatsächlich umweltfreundlicher? Ja. Rinder sind in letzter Zeit nicht ganz zu Unrecht als Klimaschweine in Verruf geraten. Das Futter muss hergestellt und transportiert werden und, noch klimaschädigender, die Viecher entlassen beim Verdauen Unmengen an Methan in die Atmosphäre. Die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch entspreche einer Autofahrt von

250 Kilometern, errechneten japanische Forscher um Akifumi Ogino vom Nationalen Institut für Vieh- und Weideforschung im Tsukuba. In Kohlendioxid umgerechnet sind das 36,4 Kilo, wie sie im August im Animal Science Journal (Bd. 78, S. 424) schrieben. Fleischlos allein ist aber für ein ökologisch blütenreines Gewissen noch nicht ausreichend. Denn Milchprodukte schneiden in der Klimabilanz ähnlich schlecht ab wie Steaks und Hamburger. Von den sozialen Schieflagen, die die Rinderzucht erzeugt, ganz zu schweigen: Der Flächenverbrauch von Weiden liegt gegenüber pflanzlichen Lebensmitteln um bis zu zehnmal höher, das Fleisch wird exportiert anstatt Gemüse und Getreide für die oft darbenden Menschen vor Ort anzubauen. Man muss ja nicht gleich ganz auf Schnitzel und Sterzl verzichten. Weniger ist auch gesünder!

Ist der Zug wirklich so viel umweltschonender als das Auto? Na ja. Die Bahn schmückt sich ja gerne mit einem grünen Image. Zugfahren sei aktiver Klimaschutz. „Bahn fahren – CO2 sparen“ reimt etwa die ÖBB. Und intuitiv glaubt man ihr ja: Besser sei es, leise auf Schienen durch die grüne Landschaft zu rauschen anstatt im Individualverkehr Abgase in eben diese zu blasen. Nun, so einfach ist es nicht. Die Deutsche Bahn behauptet, dass ein Fernreisender in einem knapp zur Hälfte besetzten Zug lediglich 2,3 Liter Benzinäquivalent Energie pro hundert Kilometer verbraucht. Ist ein Intercity vollbesetzt, beträgt das Benzinäquivalent gar nur einen Liter. Sagen die Bahnen in Österreich und Deutschland. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS)

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hat nun unlängst der Deutschen Bahn vorgeworfen, ihre Klimabilanz schönzurechnen. Sie berücksichtige nicht die Energiekosten, die für die Erhaltung der Infrastruktur anfielen, und übersehe, dass Bahnfahrer aufgrund der Streckenführung Umwege in Kauf nehmen müssten, also etwa zum Bahnhof fahren müssen. Die FAS kommt so auf ein Benzinäquivalent von 3,9 Liter. Autofahrgemeinschaften mit drei oder vier Personen schnitten demnach besser ab als der Zug. In der Kohlendioxidbilanz käme man nicht auf 52 Gramm CO2 pro Bahnreisenden und Kilometer, wie die Deutsche Bahn behauptet, sondern auf 110 Gramm, kaum weniger als die 122 Gramm des Autofahrers, so die FAS. Die ÖBB wartet gar mit Zahlen von 26 gegenüber 126 Gramm auf. Die Kritik der Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Die enorm aufwendige und energieintensive Infrastruktur des Autofahrens sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, bei Einrechnung aller (Klima-)Kosten sei die Bahn klar besser. Die Kritik der Kritik der Kritik nur noch stichwortartig: hoher Aluminiumanteil der neuen Züge, sprich: sehr energieaufwendige Produktion, selbst im Vergleich zur Straße hoher Ressourcenaufwand für die neuen Hochleistungstrassen. Sicher ist also nur: Das Rechnen mit Energiebilanzen kann schnell zur Abrechnung werden. Fliegen ist die Klimasünde Nummer 1. Ablass versprechen Emissionszertifikate. Aber wie werden die eigenlicht berechnet? Am klimafreundlichsten wäre es natürlich, am Boden zu bleiben. Aber die Versuchung im Zeitalter der Billigfluglinien ist groß. Und bei Langstrecken hat man ja ohnehin keine Wahl. Um das Gewissen zu beruhigen und den angerichteten Schaden quasi zu bereinigen, bieten pfiffige Umweltorganisationen den Kauf von Emissionszertifikaten an. Damit werden im Norden Madagaskars Windkraftwerke gebaut oder der brasilianische Regenwald wieder aufgeforstet, kurz: weltweit Klimaschutzprojekte gefördert. Wie aber wird die zu erbringende Kompensationsleistung berechnet? Wir fliegen von Wien-Schwechat nach New York, JFK und wieder zurück. „myclimate“, betrieben von ehemaligen Studenten der ETH Zürich, errechnet für diesen Flug einen CO2-Ausstoß pro Passagier (Eco-

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nomy) von 3103 Kilo. Kostet 122 Schweizer Franken, also etwa 75 Euro. Die Berliner Klimakompensationskasse „atmosfair“ kommt dagegen für dieselbe Strecke auf 4480 Kilo Kohlendioxid und stellt 91 Euro in Rechnung.

per Unit of Service). Eine Telefonminute wiegt demnach 430 Gramm, ein SMS gar 1,3 Kilo. (Warum wir mit dem Kauf eines Handys auch noch den Bürgerkrieg im Kongo anfachen, ist auf S. 12–13 nachzulesen.)

Wie kommt es zu der Differenz? Was in neun Kilometer Höhe rausgeblasen wird, ist besonders klimaschädigend. Es genügt also nicht, lediglich die NettoCO2-Emissionen zu berechnen. Vor allem bei Langstreckenflügen müssen diese

Lieber öfter billige Uhren als eine teure kaufen? Alles wird kleiner, leichter und sogar energiesparender, aber die Gesellschaft verbraucht trotzdem immer mehr Ressourcen. Die Umweltökonomie spricht hier von Reboundeffekt: Handys sind viel kleiner als die alten Wähltelefone, werden aber in viel kürzeren Abständen ersetzt, was ja auch für Computer aller Art gilt. Und wenn das Auto weniger Sprit schluckt, fährt man unbeschwerter und meist auch häufiger. Was raten Nachhaltigkeitsexperten? Luxus! Es ist umweltfreundlicher, eine Rolex um 3000 bis 5000 Euro zu kaufen, als jedes Jahr eine neue Billiguhr. Nicht Geiz sollte geil sein, sondern Qualität. Langlebige Produkte lassen den ökologischen Rucksack enorm schrumpfen. Eheringe aus Gold eher nicht: an einem wenige Gramm leichten Ding hängt ein ökologischer Rucksack von 1,5 Tonnen.

Luxus! Es ist umweltfreundlicher, eine Rolex um 3000 bis 5000 Euro zu kaufen, als jedes Jahr eine neue Billiguhr mit dem sogenannten RFI-Faktor (Radiative Forcing Index) multipliziert werden. Denn die Stickoxid- und Partikelemissionen wie auch die Eiswolken des Flugverkehrs verstärken den Treibhauseffekt beträchtlich. Nur konnte sich die Forschung noch nicht einigen, wie hoch dieser RFI-Faktor zu veranschlagen sei, man schwankt zwischen 1,2 und 4. „myclimate“ rechnet mit Faktor 2, „atmosfair“ mit 2,7, und beruft sich dabei auf die Empfehlung des IPCC. Des Österreichers liebstes Spielzeug – Handy ist eh okay, oder? Nicht wirklich. Sie werden zwar immer kleiner und leichter, unsere Mobiltelefone. Nur ökologisch unschuldig sind sie nicht. Die Umweltwissenschaften haben das Konzept der Materialflussanalyse entwickelt. Damit wird berechnet, wie viel an Roh- und anderen Stoffen benötigt, verbraucht oder verschmutzt werden, um Konsumgüter zu produzieren. Für Herstellung, Transport und einjährigen Gebrauch eines nur wenige hundert Gramm schweren Handys haben Antonio Federico, Fabio Musmeci und Daniela Proietti Mancini einen ökologischen Rucksack von 75 Kilogramm errechnet. Rechnet man noch die nötige Infrastruktur, vor allem Handymasten, mit ein, kommen die Forscher für das italienische Mobilfunknetz auf weitere 145 Kilo pro Handynutzer. Das lässt sich auch herunterbrechen auf die MIPS (Material Input

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Apropos Ehering: Immer mehr Ehen werden geschieden. Hat das auch ökologische Auswirkungen? Ja. Scheiden tut weh, vor allem der Umwelt, wie die Studie „Environmental impacts of divorce“, kürzlich im Fachblatt PNAS publiziert, belegt. Dass das Ende von Beziehungen zu mehr Haushalten führt, was wiederum den Ressourcenverbrauch ankurbelt, ist erst mal nicht verwunderlich. Die Dimensionen des Mehrverbrauchs, den die beiden US-Forscherinnen Eunice Yu und Jianguo Liu in zwölf sehr verschiedenen Ländern ermittelt haben, geben einem dann doch zu denken. So wurden etwa in den USA durch Neosingles 73 Milliarden Kilowattstunden Elektrizität und 2,37 Billionen (!) Liter Wasser mehr verbraucht, was, wären sie im ökologischen Stand der Ehe geblieben, zu vermeiden gewesen wäre. Das Ende der Zweisamkeit machte sich auch im Geldbörsel bemerkbar: Die 38 Millionen Räume, die in Haushalten von Geschiedenen zusätzlich genutzt wurden, führten pro Person zu einem Anstieg von 46 Prozent der Ausgaben für Elektrizität und 56 Prozent für Wasser.


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Daniel Kehlmanns Kolumne

DPA/Tom Maelsa

SCIENCE @ FICTION

ABGEBRANNT. Jeden Tag verursacht die Zerstörung des Regenwaldes soviel CO2-Emissionen wie zwei bis drei Millionen Menschen, die von London nach New York jetten. Man solle sich daher im Kampf gegen den Klimawandel auf die Bewahrung der tropischen Regenwälder konzentrieren, fordern Klimaforscher um den Kanadier Raymond Gulisson. Die Fähigkeit, Kohlendioxid zu binden, mache den Regenwald in Brasilien und Indonesien zum wichtigsten Verbündeten gegen den globalen Anstieg der Temperaturen.

ZAHLEN BITTE! 2 Tonnen CO2 pro Jahr dürfte jeder Erdenbewohner an die Atmosphäre abgeben, würde „Kohlenstoff-Gerechtigkeit“ bestehen. Derzeit sind es in Europa 8 Tonnen pro Kopf, in den USA gar 20 Tonnen.

3 (von 21) österreichischen Unis haben bisher einen Nachhaltigkeitsbericht vorgelegt (siehe S. 22).

4,9 Hektar groß ist der ökologische Fußabdruck eines durchschnittlichen Österreichers. Knapp drei Erden. Denn weltweit stehen für jeden der 6,3 Milliarden Menschen nur rund 1,8 Hektar zur Verfügung (siehe S. 8–9).

6,2 Kilo Fleisch verspeist ein Österreicher mit Pflichtschulabschluss im Monat. Bei abgeschlossener Lehre sind es 5, bei Matura 3,5, bei Akademikern gerade mal noch 3 Kilo Fleisch. Bildung gilt als wichtigster Faktor für Ernährungsgewohnheiten. Ein Kilo Rindfleisch entspricht im Hinblick auf die Klimabelastung einer Autofahrt von 250 Kilometern

87 Prozent aller Österreicher kaufen biologische Lebensmittel. Zumindest gelegentlich. Der Marktanteil von Bio im Lebensmitteleinzelhandel beträgt sechs Prozent, Tendenz steigend (siehe S. 14–15).

400 Kilo schwer ist der ökologische Rucksack eines 3-Kilo-Notebooks, also was an Materialien zur Herstellung benötigt wird. Eine Zeitung bringt es auf das 15-fache ihres Eigengewichts, für ein 10 Kilo schweres Fahrrad fallen 4 Tonnen Ressourcenverbrauch an, errechnete der deutsche Ökologe Friedrich Schmidt-Bleek.

1600 Patente hält Werner Kepplinger von der Montanuniversität in Leoben im Bereich industrieller Umweltschutz, etwa zur Reinigung von Öltanks oder zur energiesparenden Entsorgung von Brauereirückständen

20.000 Biobauern sowie 800 Bioverarbeitungsbetriebe gibt es in Österreich. Tendenz stagnierend.

31.000.000 Hektar werden weltweit biologisch bewirtschaftet. Die meisten Bioflächen befinden sich mit 11,8 Millionen Hektar in Australien, gefolgt von Argentinien (3,1), China (2,3) und den USA (1,6). In Österreich waren es 2006 stattliche 361.487 Hektar. Im Verhältnis zur insgesamt landwirtschaftlich genutzten Fläche ist das Platz 2 (hinter Liechtenstein).

Entschuldigen Sie, wenn ich Sie mit einem altmodischen Thema belästige, aber zum Thema Nachhaltigkeit wäre es doch vielleicht angebracht, mal wieder eine Frage zu stellen: Wie oft denken Sie über Atomkraft nach? Jede Woche? Einmal im Monat? Nie vielleicht? Und wenn Sie hören, dass anlässlich des Bali-Klimagipfels die Befürworter wieder auf den Plan treten und sagen, ihre Energie wäre eine saubere, die keinen Wald vernichtet und keinen Dreck in die Atmosphäre bläst, – nicken Sie dann vielleicht, zucken Sie die Achseln oder sagen Sie: „Ja, da ist schon was dran, Tschernobyl ist lange her, und seitdem ist viel verbessert worden“? So mache auch ich es, so machen wir es alle. Wenn es um die Atomkraftwerke geht, mit denen wir unseren Planeten überzogen haben, leben wir im Zustand einer faszinierend wirksamen Verdrängung. Wissen Sie, dass es bislang keine funktionierenden Atommüllendlager gibt? Ja, wahrscheinlich wissen Sie das. Stellen Sie sich manchmal vor, was ein Tschernobyl-Unfall in Frankreich oder Tschechien bewirken würde – oder richtiger, was er bewirken wird, wenn er früher oder später passiert? Und, ganz nebenbei, wissen Sie, dass es auch keine funktionierenden Zwischenlager gibt? Dass die Müllbehälter in Gorleben noch an der Luft stehen und über siebzig Jahre brauchen, um sich abzukühlen, bevor man überhaupt darüber nachdenken kann, wie man sie unter die Erde bringt, ein Vorhaben, für das man bislang noch keine zuverlässige Lösung gefunden hat? Wissen Sie – aber ja, Sie wissen es, wir wissen es alle –, dass jene Orte, an denen wir Atomkraftwerke gebaut haben, noch in 20.000 Jahren Quellen einer tödlichen Strahlung sein werden? 20.000 Jahre, – das ist nicht eine Verunreinigung unseres Lebensraumes, sondern eine Verschmutzung der Zeit selbst; etwas ontologisch noch nie Dagewesenes, ein achtlos begangenes Verbrechen, nicht an unseren so oft herbeizitierten Enkeln, sondern an den Urenkeln der Enkeln von deren Urenkeln, die wohl nicht einmal mehr unsere Sprachen kennen werden und von uns nur wissen, dass wir aus rätselhaften Gründen Plätze hinterlassen haben, die töten. Daniel Kehlmann ist Schriftsteller („Die Vermessung der Welt“) und lebt in Wien.

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EPA/ M. Amendolia

Wir Flächenfresser

Auf großem Fuß. Der durchschnittliche Österreicher etwa benötigt 4,9 Hektar, der US-Amerikaner 9,6 und ein Bewohner der Vereinigten Arabischen Emirate 11,9. Dem gegenüber stehen etwa ein afrikanischer Durchschnitt von 1,1 Hektar und die Tatsache, dass weltweit für jeden der 6,3 Milliarden Menschen nur rund 1,8 Hektar zur Verfügung stehen. Die Rede ist vom ökologischen Fußabdruck, der Währung der Nachhaltigkeit. Das 1994 von Mathis Wackernagel und William E. Rees entwickelte Konzept rechnet alle menschlichen Aktivitäten, von der Nahrungsbeschaffung bis zur Urlaubsreise, in die bioproduktive Fläche um, die dafür verbraucht wird. Wie viele „globale Hektar“ ein Mensch, eine Gemeinschaft, ein Staat oder die Menschheit als Ganzes verbraucht, hängt vom Lebensstil ab – weshalb der Fußabdruck auch hervorragend geeignet ist, mit einer einzigen Zahl transparent zu machen, welche Teile der Menschheit auf besonders großem Fuß leben. Schwierige Kalkulation. Wie errechnen sich jedoch diese Fußabdrücke? Die Flächen, die für Nahrungsmittelproduktion oder Infrastruktur beansprucht werden, lassen sich leicht bestimmen. Beim Energieverbrauch wird es schwieriger. Für die Verbrennung

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Ökologischer Fußabdruck oder HANPP: Es gibt mehrere wissenschaftliche Methoden zur Berechnung unseres Ressourcenverbrauchs. Die Ergebnisse sind die gleichen: Wir verbrauchen zu viel. Viel zu viel. Susanne Strnadl

fossiler Energieträger wird entweder die Fläche berechnet, die man für die Erzeugung derselben Energiemenge durch nachwachsende Rohstoffe bräuchte. Oder man ermittelt die Fläche, die notwendig wäre, um das durch die Verbrennung frei werdende Kohlendioxid durch Vegetation wieder zu binden. Das hat zur Folge, dass sich der Fußabdruck zwar durch Energiesparen verkleinern lässt, nicht aber im selben Ausmaß durch den Umstieg auf umweltschonendere Produktionsmethoden wie Biomasseheizungen oder Windenergie (das gilt sogar dann, wenn die Energie aus Kernkraftwerken stammt). Fehlende Handlungsempfehlungen. „Der herkömmliche Fußabdruck eignet sich sehr gut dazu, ein Problembewusstsein zu schaffen, aber er sagt wenig darüber aus, was ich nun konkret tun soll. So kann man zum Beispiel im Energiesektor bis auf Energiesparen keine Handlungsempfehlungen ableiten“, moniert Gernot Stöglehner von der Wiener Universität für Bodenkultur. „Ein Umstieg von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energieträger wird nicht wirklich abgebildet.“ Deshalb hat der Landschaftsplaner und Umwelttechniker Indizes entwickelt, die für jede Form des Energieverbrauchs in ei-


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ner bestimmten Region die Erstellung eines Energiefußabdruckes erlauben. Dieser modifizierte Energiefußabdruck kann auch als Basis für handfeste Entscheidungen herangezogen werden: Der oberösterreichische Bezirk Freistadt etwa hatte 1998 allein für die Energieversorgung einen Fußabdruck, der 44-mal so groß war wie die Fläche des gesamten Bezirkes. Stöglehner entwickelte konkrete Pläne, wie den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen, um diese Fläche ohne Einbuße an Lebensqualität und bei maximaler Nachhaltigkeit auf 28 Prozent der Bezirksfläche zu reduzieren. In der Praxis sind die Freistädter noch weit von diesen Ökotraumzahlen entfernt. Doch erste Maßnahmen, wie z.B. ein Windpark und ein Fernheizwerk, wurden bereits gesetzt. Menschliche Beanspruchung. Von einer ganz

anderen Seite gehen Helmut Haberl und seine Mitarbeiter vom Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt das Problem der Nachhaltigkeit an: Sie betrachten nicht die Fläche, die der Mensch für sich beansprucht, sondern wie viel er von dem, was sie produziert, für sich beansprucht. Das Kon-

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zept nennt sich Human Appropriation of Net Primary Production (menschliche Aneignung von Nettoprimärproduktion), kurz: HANPP, und rechnet mit Biomasse, also der gesamten organischen Substanz, die von Pflanzen und Tieren erzeugt wird.

von Energiepflanzen wie Raps und Mais in manchen Teilen der Welt zu Hunger und sozialen Verwerfungen führt, sind die Vorteile für die Treibhausbilanz auch mehr als zweifelhaft (s. auch S. 16). Streit um die Biomasse. „Die ökologischen Folgen einer Spriterzeugung aus Biomasse im großen Maßstab werden desaströs sein“, fürchtet Haberl. „Wenn man diese Debatte nicht sensibel genug angeht, könnte es zu einem Fundamentalwiderstand gegen jede Biomasseverwendung kommen.“ Dabei gibt es durchaus sinnvolle Anwendungen, wie etwa Holz oder Stroh für Pelletsheizungen oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Was den Verkehr betrifft, sieht Haberl die Zukunft eher in alternativen Antriebssystemen wie Solarzellen und in effizienteren Fahrzeugen, aber auch in kompakteren Siedlungsstrukturen, die Autofahren weniger notwendig machen. Ein Trend zu weniger Verbrauch ist auch nach dieser Berechnungsmethode nicht absehbar. Und jede für sich macht klar: Am Ressourcensparen führt kein Weg vorbei – auch wenn wir noch so viele CO2-Wälder pflanzen.

Am Ressourcensparen führt kein Weg vorbei – auch wenn wir noch so viele CO2-Wälder pflanzen. Ausgangspunkt ist dabei die Nettoprimärproduktion der Pflanzen, das heißt die Erzeugung von Biomasse mittels Sonnenenergie. In Österreich eignet sich rund die Hälfte davon der Mensch an, weltweit geht derzeit ein knappes Viertel an uns Menschen. Davon entfällt etwas mehr als die Hälfte auf Ernten, vierzig Prozent auf Änderungen der Landnutzung, wie z.B. Flächenversiegelung, und immerhin sieben Prozent auf vom Menschen ausgelöste Brände. Daran wird auch der vermeintliche Hoffnungsträger Biosprit nichts ändern – im Gegenteil: Nicht genug, dass der Anbau

Milchtrinkerrechnung Kinder lassen das Duschen so oft wie möglich aus. Ich entscheide mich für „sparsam“ und werde mit der Bemerkung belohnt, dass dieser Bereich bei mir gut aussieht. Weiter zur Ernährung. Das wird wohl nicht lustig. Ich liebe Milch, und so lange es keine Bananen aus der Steiermark und Orangen aus Kärnten gibt, kaufe ich auch Lebensmittel, die von ziemlich weit her nach Österreich transportiert werden. Dass ich insgesamt trotzdem nicht schlecht abschneide, liegt sicher daran, dass wir lieber Kuchen als Wurstbrot zum Frühstück haben. Beim Thema Mobilität wird’s schwierig: Mein Weg zum Arbeitsplatz führt gewöhn-

S. Strnadl

Unter www.mein-fussabdruck.at verspricht mir das Lebensministerium die Erstellung meines ganz persönlichen Footprints in den Bereichen Wohnen, Ernährung, Mobilität und Konsum. Spannend, aber auch irgendwie heikel. Einerseits trenne ich brav Müll und drucke nur auf Altpapier. Andererseits läuft mein Fernseher ständig auf Stand-by, und Energiesparlampen habe ich auch keine. Was, wenn ich mich als Ökomonster entpuppe? Also schön: Ich wohne in einem 4-PersonenHaushalt in einem Wohnhaus mit mehr als zehn Wohnungen. Wurde es schon einmal thermisch saniert? Keine Ahnung, auf die Hausversammlungen schicke ich meinen Mann, also klicke ich das Feld an, das netterweise immer den österreichischen Durchschnitt angibt (in diesem Fall „Nein“). Wir haben zwar eine Hausheizung (das ist prinzipiell gut), aber ich weiß nicht, womit sie geheizt wird. Ich vermute mit Öl, das ist prinzipiell schlecht, entspricht aber einmal mehr dem österreichischen Durchschnitt. Was den Wasserverbrauch angeht, schwanke ich zwischen „normal“ und „sparsam“. Wir haben zwar keine wassersparenden Armaturen, baden dafür aber so gut wie nie, und die

Die Autorin beim digitalen Fußabdrücken.

lich vom Bett oder von der Küche zum Computer – und die paar Meter gehe ich zu Fuß. Um mich trotzdem wie ein erwerbstätiger Mensch zu fühlen, beziehe ich alle weiteren Angaben auf das Kaffeehaus, in dem ich meine Unterlagen durchlese. Da erübrigen sich auch die beruflichen Langstreckenflüge. Auch im Urlaub, da die Kinder zwischen heimischen Ziegen und Katzen am glücklichsten sind. Und weil sie schon am Verteilerkreis fragen, ob wir bald da sind, kommen wir kaum auf mehr als 1500 Pkw-Kilometer pro Jahr. Fazit: Topnoten in diesem Punkt. Das Thema Konsum birgt juristische Spitzfindigkeiten: Besitze ich ein Auto, wenn es juristisch meinem Liebsten gehört, wir aber alles teilen (und ich im Scheidungsfall Anspruch auf die Hälfte hätte)? Und wer hätte gedacht, dass der Durchschnittsösterreicher einen Kleinwagen fährt? All die Vans und Allradantriebe müssen meinen Blick auf die Fiat Pandas und Smarts verdecken. Letztendlich attestiert mir der Rechner einen kleinen Fußabdruck (3,8 ha) und damit echt gute Noten. Beruhigt bin ich dennoch nicht. Lebten alle Menschen so, bräuchte es Susanne Strnadl 2,1 Erden.

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Energiesparlampen gehören dazu Essen Sie bio? Fliegen Sie in den Urlaub? Und sind Sie nüchterner Wissenschaftler oder Ökoaktivist? heureka! fragte fünf Nachhaltigkeitsforscher nach ihrem Alltagsverhalten und ihrer „Mission“. Oliver Hochadel

Nur für alle gleich gel»tende Rahmenbedingungen sind fair und zielführend. Ich werde mir also Kiwis kaufen, solange das nicht verboten ist. Reinhard Böhm

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ehrlich: Kann ich »beiEinmal so vielen Flugkilometern, die nicht immer nur beruflich waren, noch von ,nachhaltig‘ sprechen? Elke Perl

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Keine Schuldgefühle. Als Klimatologe will ich zunächst einmal die Natur besser verstehen und dieses Wissen möglichst verständlich, aber trotzdem exakt weitergeben. In die öffentliche Debatte bringe ich mich trotzdem ein, versuche jedoch immer, meine Rolle dabei klarzustellen: entweder die des Experten in meinem schmalen Sachgebiet – ansonsten die des einfachen Diskussionspartners. Bio und Nichtbio kommen bei uns buntgemischt auf den Tisch. Unser Haus ist gut isoliert, wir haben eine Ölheizung plus Wärmepumpe im Keller, dafür kaum Energiesparlampen und etliche Stand-by-Geräte, also ein ziemlicher Mix im Hinblick auf Energiesparen. Ich fliege zwei- bis dreimal jährlich, meist beruflich. Mich plagen beim Reisen keine Schuldgefühle, auch weil ich mir ungern solche von anderen einreden lasse und ich Reisen für eine sehr positive Angelegenheit halte, die Tendenz zur Abschottung vor den anderen, vor deren Kultur, auch deren Produkten hingegen für unsympathisch und für einen Rückschritt. Natürlich kann nur die Summe aller Einzelnen etwas bewegen, und somit ist es nicht unwesentlich, was die wenigen Österreicher tun. Die Verantwortung dafür allerdings allein dem Einzelnen aufzubürden, ist hochgradig ineffizient. Nur für alle gleich geltende Rahmenbedingungen sind fair und zielführend. Ich werde mir also Kiwis kaufen, solange das nicht verboten ist. Sich seitens der Politik um klare Regelungen herumzudrücken und lediglich mit Schuldzuweisungen zu agieren, erregt in mir nur Widerspruch – und das offenbar bei vielen, wie man am endenwollenden Erfolg unserer „Klimaschutzpolitik“ sieht.

Reinhard Böhm (59) forscht an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien. Er ist Koautor des heuer erschienenen Buches „Gletscher im Klimawandel“ (ZAMG-Morawa).

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Das wirklich Wichtige. Nachhal-

tigkeit ist quasi mein tägliches Brot, mein Berufsfeld in Forschung und Lehre. Oder vielmehr: mein täglicher Kampf gegen festgefahrene Überzeugungen, die allgemeine Gleichgültigkeit („sollen doch die anderen beginnen“), aber auch gegen die eigene Bequemlichkeit – wenn es etwa für das Fahrradfahren schon sehr kalt wird. Idealismus und Motivation spielen da schon eine Rolle. In gewissen Bereichen ist es ja einfach, nachhaltig zu leben. Biolebensmittel sind nunmehr fast überall erhältlich, und die Energiesparlampe gehört zum guten Ton. Allergisch bin ich gegen unnötig fließendes Wasser oder ständig laufende Transformatoren in Elektrogeräten, die nur sinnlos Strom fressen. Beim Thema Reisen komme ich allerdings etwas ins Stottern. Man versucht zwar immer, im Urlaub nachhaltig und ökologisch verträglich zu leben, aber einmal ehrlich: Kann ich bei so vielen Flugkilometern, die nicht immer nur beruflich waren, noch von „nachhaltig“ sprechen? Aber was bedeutet dann Nachhaltigkeit wirklich? – eine Frage, die ich immer wieder mit meinen Studierenden diskutiere. Meiner Meinung nach müsste jeder für sich anfangen, darüber nachzudenken, wo man überall ansetzen kann, um ökologisch und sozial verträglicher zu leben. Das soll zwar nicht Verzicht auf alle Annehmlichkeiten bedeuten, aber doch zuweilen auch eine Einschränkung auf das Notwendige und wirklich Wichtige im Leben. Um somit seinen eigenen ökologischen Fußabdruck, auf den man selber Einfluss hat, so klein wie möglich zu halten.

Elke Perl (29) ist Assistentin am Institut für Innovations- und Umweltmanagement der Universität Graz. Zentrale Forschungsfrage: Wie sind Ökologie und Ökonomie zu versöhnen?


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ist eine Gratwande- »Wenn Forschung und Viel im Bereich Konsum ist »rungDaszwischen » Diagnose folgenlos bleiben, Gewohnheit: Wenn das Auto unparkomme ich auch dran, und da ist, wird damit gefahren, teiischem Berichterstatter und engagiertem Advokaten meine Kinder und Enkel.« wenn nicht, nimmt man Öf,für den guten Zweck‘.« fis oder geht mehr zu Fuß.« Marina Fischer-Kowalski

Ulf Dieckmann

Karl-Michael Brunner

Kleine Fische. Als Nachhaltigkeitsforscher

Auf Crashkurs. Bei Nachhaltigkeitsforschung

Es muss auch schmecken. Ich bin sicherlich

stehen wir oft vor der Aufgabe, aktiv zum Bewusstseinswandel in der Öffentlichkeit beizutragen. Diese Herausforderung deckt sich aber nur bedingt mit dem Selbstverständnis vieler Wissenschaftler. Das Ringen um mediale Aufmerksamkeit ist mit Pauschalisierungen und Vereinfachungen verbunden, die dem Ethos guter Wissenschaft nicht selten entgegenstehen. Das ist eine Gratwanderung zwischen den Rollen des unparteiischen Berichterstatters und engagierten Advokaten „für den guten Zweck“. In meinem eigenen Forschungsfeld habe ich dazu beigetragen, dem Vorgang der fischerei-induzierten Evolution mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die industrielle Fischerei verändert die Umweltbedingungen von Fischbeständen in den Weltmeeren so stark, dass genetische Anpassungen der Bestände an diese neuen Bedingungen unausweichlich sind. Dies geschieht nicht etwa schleichend, sondern erstaunlich schnell: innerhalb von zehn bis zwanzig Jahren. Zu Beginn unserer Forschung wollte dies niemand wahrhaben. Die meisten Menschen verbinden Evolution ja mit geologisch langen Zeiträumen und können sich solch rasche evolutionäre Anpassung deshalb gar nicht vorstellen. Heute lacht keiner mehr über dieses globale evolutionäre Nachhaltigkeitsproblem, da wir die von uns vorhergesagten Anpassungen – hin zu früherer Geschlechtsreife und verminderter Körpergröße – inzwischen in mehr als einem Dutzend Fischbeständen nachweisen konnten.

komme ich mir häufig vor wie eine Ärztin, die einem Patienten sagt: „Sie haben eine schwere Stoffwechselstörung und müssen sofort auf Diät gehen, dann werden Sie auch auf die Medikamente gut ansprechen. Sonst nehmen Ihre Organe Schaden, und dann kann es zu spät sein.“ Und der Patient antwortet: „Na gehen Sie, Frau Doktor, ich hab noch nie eine Diät gemacht. Und jetzt, wo ich so viel anderes vorhab, ist das überhaupt ganz unmöglich. Verschreiben Sie mir was zum Einnehmen!“ Die Ärztin kann sich dann denken: „Soll er machen, was er will“ und die Sache vergessen. In meiner Rolle ist das schwieriger. In fünfzig Jahren werden die hochentwickelten Industriegesellschaften völlig anders ausschauen und funktionieren. Die Frage ist, ob diese massiven Transformationen in einem Rahmen bleiben, innerhalb dessen ich mir ein wünschenswertes Leben für künftige Generationen vorstellen kann. Das ist keine lösbare Forschungsfrage, sondern nur ein Zweifel, eine Skepsis, eine Hoffnung. Die Forschungsfragen zu „Nachhaltigkeit“ fangen damit an, den Crashkurs zu analysieren, auf dem wir uns bewegen und auf dem wir wider alle Vernunft bleiben. Sie erstrecken sich bis dorthin, wo die Hebel, die Interventionsmöglichkeiten liegen mögen. Klare Antworten sind schwer zu finden, aber sehr befriedigend, wenn es gelingt, sie zu finden. Dabei bleibe ich cool und analytisch. Wenn allerdings Forschung und Diagnose folgenlos bleiben, kann ich nicht sagen: „Die Schmerzen hat schließlich wer anderer“, sondern ich komme auch dran, und meine Kinder und Enkel.

kein „Nachhaltigkeitsradikalist“, versuche aber soweit wie möglich auch im Alltag nachhaltig zu handeln. Aufgrund meines Forschungsschwerpunktes liegt mir natürlich eine nachhaltige Ernährung besonders am Herzen, d.h. „Bio“ kommt täglich auf den Tisch. Prioritär ist aber die Qualitätsfrage: „Bio“ muss auch schmecken, was es in vielen Fällen auch tut. Daneben sind Regionalität und Saisonalität wichtige Faktoren und insbesondere auch Artenvielfalt, d.h. ich bevorzuge – sofern verfügbar – seltene Sorten bei Gemüse und Obst. Ich fliege etwa drei- bis viermal im Jahr in den Urlaub und ebenso oft aus beruflichen Gründen. Diesen Text schreibe ich in einem Internetcafé in Australien, wo ich auf einer Ernährungs- und Nachhaltigkeitstagung bin. Ein Auto haben meine Partnerin und ich seit 15 Jahren nicht mehr. Bei Bedarf wird auf Car-Sharing zurückgegriffen, was aber nur selten der Fall ist. Da zeigt sich, wie viel im Bereich Konsum Gewohnheit ist: Wenn ein Auto vorhanden ist, wird damit gefahren. Wenn es nicht da ist, nimmt man Öffis oder geht mehr zu Fuß. Natürlich ist der Einfluss des Einzelnen beschränkt. Aber ohne entsprechendes Handeln werden auch kleine Erfolge nicht möglich sein bzw. strahlt das auch nicht auf größere Gruppen aus. „Pionierhandeln“ kann längerfristig durchaus gewichtige Auswirkungen haben. Ein grundlegender Wandel wird aber nur im Zusammenspiel mit „systemischen“ Lösungen möglich sein.

Ulf Dieckmann (41) ist theoretischer Ökologe und leitet das „Evolution and Ecology“-Programm am IIASA in Laxenburg. Aktuelle Publikation in Science: Managing evolving fish stocks (318, S. 1247–1248).

Marina Fischer-Kowalski (61) ist Soziologin und leitet das Institut für Soziale Ökologie der Universität Klagenfurt.

Karl-Michael Brunner (49) ist Assistenzprofessor am Institut für Soziologie und Empirische Sozialforschung der WU Wien. Er ist Koautor des gerade erschienenen Buches „Ernährungsalltag im Wandel. Chancen für Nachhaltigkeit“ (Springer).

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Der Trend zum Guten Richtig konsumieren. „Einkaufen ist wie wählen gehen“, sagt Tanja Busse, Autorin des Buches „Die Einkaufsrevolution“. Damit meint sie: Unser Konsumverhalten hat Einfluss auf den Zustand unseres Planeten. Und der ist nicht gut: Klimawandel, ökologischer Raubbau, die Ausbeutung von Kindern in der Dritten Welt. Und: An allem ist der Konsument schuld. Würde der nur anders einkaufen. Kann man die Welt statt an der Wahlurne an der Ladenkasse verändern? So manchem kritischen Kopf mag angesichts dieser Vorstellung der alte Spontispruch in den Sinn kommen: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten.“ Was, wenn das für das Konsumieren erst recht zutrifft? Lässt sich das Ziel der Nachhaltigkeit wirklich durch eine Änderung des Verbraucherverhaltens erreichen? Kann man Wohlstand aufrechterhalten, ohne sich in Ausbeutung und Kriegsgewinnlertum zu verstricken? Ja, sagen die Propagandisten des neuen Einkaufens. Früher hatten Politaktivisten, die die Welt verändern wollten, den Spruch auf den Lippen: „Packen wir’s an.“ Heute sagen sie: „Packen wir’s ein.“ Das Richtige, nicht das Falsche.

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Die Ökokorrektness ist der letzte Schrei – Al Gore, Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz sei gedankt. Aber hinter dem neuen Ökochic steht auch ein Versprechen: Die Verbesserung der Welt muss nicht auf Verzicht hinauslaufen. Schließlich ist der Trend zum Guten in der Wirtschaftswelt ja besonders ausgeprägt bei den neuen, urbanen Mittelklassen. Bei Leuten mit besonders großem ökologischem Fußabdruck also, die mit dem Wort Nachhaltigkeit „ein gutes Gewissen auf unseren Lebensstil kleben“ wollen, so Tanja Busse. Nachhaltige Illusion? Wenn das so einfach

wäre. Die Liste der Einwände ist jedenfalls eindrucksvoll und kaum von der Hand zu weisen: In vielen Bereichen hat der Konsument gar keine Wahl. Die ökologisch korrekte Produktion ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Wo Öko draufsteht, ist nicht immer Öko drin. Und Versuche, in einzelnen Bereichen Nachhaltigkeit einzuführen, ziehen ökologische Schäden in anderen Bereichen nach sich. Beispiele dafür gibt es genug. So wurde für die Herstellung der frühen Solaranlagen mehr Energie verwendet, als sie später erzeugten. Mit dem technologischen Fort-

schritt hat sich die Energiebilanz zwar verbessert, aber das Problem bleibt. Es gibt auch heute kaum ein Handy, das ohne Tantal auskommt, ein Metall, das aus dem Erz Coltan gewonnen wird. „Noch vor kurzer Zeit wurden achtzig Prozent des weltweit verwendeten Tantals aus Vorkommen des zentralafrikanischen Landes Kongo gewonnen. Im Kongo herrscht seit Jahren ein Bürgerkrieg, der seit 1998 vier Millionen Menschenleben gefordert hat. Seit langem ist bekannt, dass die verschiedenen Kriegsparteien ihren Kampf mit dem Verkauf des Tantal-Grundstoffes Coltan finanzieren“, schreibt Fred Grimm in seinem Buch „Shopping hilft die Welt verbessern“. Wer ein Handy kauft, kann sich auch beim besten Willen kaum sicher sein, dass er damit nicht zum Bandenkrieg in einem Failed State beiträgt. Hybridhype. Und selbst so wunderbare Produkte wie die gegenwärtig gehypten Hybridautos haben ihre Schattenseiten: Sie fahren mit einem raffinierten Mix aus Benzin- und Elektromotor und haben meist einen vorbildlichen Kraftstoffverbrauch und erheblich reduzierten CO2-Ausstoß – aber die Herstellung und der Transport der Ma-

Heribert Corn

Ist der politische Konsument der Schlüssel für ein nachhaltigeres Wirtschaften? Eine Reihe von Autoren antworten mit einem vorsichtigen Ja. Das hat Auswirkungen auf die Politiktheorie – und auf die Wirtschaftswissenschaften erst recht. Robert Misik


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Früher hatten Politaktivisten den Spruch auf den Lippen: „Packen wir’s an.“ Heute sagen sie: „Packen wir’s ein.“ Ein Konsument im Biosupermarkt in Wien.

terialien ist nicht zum ökologischen Nulltarif zu haben, und die satte Nickel-Metallhybrid-Batterie, mit der etwa der Toyota Prius fährt, ist bei Herstellung und Entsorgung ein regelrechter Umweltkiller. Eine Reihe von Konsumformen lassen sich ohnehin nicht umweltschonend gestalten. Wer in ein Flugzeug steigt, macht sich schon schuldig. Und das tun seit dem Aufkommen der Billigliner immer mehr. So rät Stefan Kuzmany seinen Lesern in seinem flotten Einkaufsbrevier „Gute Marken. Böse Marken. Konsumieren lernen, aber richtig!“ nicht ohne einen gehörigen Schuss Sarkasmus: „Bleiben Sie zuhause. Heizen Sie nicht.“ Suffizienz und Effizienz. Andererseits: All das

heißt nicht, dass „Nachhaltigkeit“ nur ein schönes Wort ist und dass Konsumismus notwendigerweise zu Ressourcenverschwendung führen muss. Luxemburg hat einen jährlichen CO2-Ausstoß pro Einwohner von 22,1 Tonnen, die Schweiz nur von 6,1 Tonnen. Jeder Amerikaner produziert im Jahr 720 Tonnen Hausmüll, jeder Schwede nur 360 Tonnen. Kein Mensch würde deshalb behaupten, in Luxemburg herrschte größerer Wohlstand als in der Schweiz oder

in den USA größerer als in Schweden. Aber ganz ohne Reduktion wird es wohl auch nicht gehen: Die Zauberworte lauten Suffizienz und Effizienz, soll heißen: Nur Effizienzsteigerung bei gleichbleibendem Lifestyle wird nicht reichen. Nachhaltigkeit braucht eine Definition des ausreichenden Konsumniveaus bei maximaler Effizienz der Produktion der dafür nötigen Güter. In vielen Bereichen müsste der Konsum auf energieeffizient produzierte Güter oder fair gehandelte Waren umgeleitet werden. Die Zeit, als solche Produkte einfach nicht in ausreichendem Maß am Markt waren, ist jedenfalls vorbei. „Der entscheidende Hebel für mehr Energieeffizienz und einen breiteren Einsatz erneuerbarer Energien ist heute nicht primär das fehlende Angebot, sondern die unzureichende Nachfrage“, meint denn auch Edda Müller von der deutschen Verbraucherzentrale. Nachhaltigkeit braucht deshalb eine Veränderung der Konsumgewohnheiten. Sie wird aber auch zu einer Transformation der Wirtschaftsstruktur führen. Im Energiebereich werden nicht mehr allein die großen Energieversorger die führenden Unterneh-

Wer ein Handy kauft, kann sich kaum sicher sein, nicht zum Bandenkrieg im Kongo beizutragen men sein, deren Macht wird eher schwinden – zugunsten von Unternehmen, die im Effizienz-High-Tech groß im Geschäft sind. Das heißt: Es wird am wirtschaftlichen Feld Gewinner und Verlierer geben. Verbraucherpolitik. Kurzum: Der Konsum wird politisch und die Politik hat den Verbraucher im Auge. Dies hat Implikationen für die Politikwissenschaft – und für die Ökonomie. Für die Politikwissenschaft tritt der Bürger nicht mehr so sehr als Aktiver bzw. als Engagierter in den Blick, sondern als das, was der Münchner Soziologe Ulrich Beck schon vor mehr als einem Jahrzehnt als „politischer Konsument“ bezeichnet hat. Das bürgergesellschaftliche Engagement ist nicht mehr etwas, das sich auf einem Feld

jenseits des Marktes verortet, sondern auf diesem selbst. Das ist in gewissem Sinn der Totaltriumph der Marktlogik: Selbst die Weltverbesserung wird nach der Logik des Kapitalismus betrieben. Aber diese „Moralisierung der Märkte“ – so der deutsch-kanadische Soziologe Nico Stehr in seinem jüngsten Buch – unterläuft damit auch alle gängigen Vorstellungen vom Marktgeschehen. Auch auf Märkten sind, wie das die kühle Rationalität der Wirtschaftswissenschaften unterstellt, nicht nur materielle Interessen am Werk. Auch moralische Verpflichtungen gehen in die Entscheidungen der Marktakteure ein. Die „materielle Rationalität“ der Märkte, so Stehr, ist nicht „von strikt monetären Überlegungen und Eigeninteressen bestimmt“. Die Wirtschaftswissenschaften mit ihrem Hang zum Mathematischen haben damit ein Problem: Wie soll man Altruismus, schlechtes Gewissen, die Sorge um die Nächsten, um ferner Stehende und um künftige Generationen auch in Formeln einfangen? Eine Ahnung, immerhin, hat auch die Wirtschaftswissenschaft von diesen neuen Phänomenen. „Nach 150 Jahren entdeckt die moderne Wirtschaftswissenschaft, dass es so etwas wie die Liebe gibt“, spottet der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister. Schlag nach bei Smith. Nun, ganz so stimmt

das nicht. Schon der Begründer der klassischen Wirtschaftswissenschaften hatte ein Gespür für den raffinierten Zusammenhang von Ethik und Ökonomie. „Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen“, schrieb der schottische Nationalökonom Adam Smith 1759 in seiner „Theorie der ethischen Gefühle“ – einem Buch, das er lange vor seiner bahnbrechenden „Untersuchung über Wesen und Ursachen des Reichtums der Nationen“ (1776) veröffentlichte.

Eine ausführliche Literaturliste zum Thema finden Sie unter www.heurekablog.at

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Die Besten in Bio Österreich ist ein Biomusterland, glaubt man den Werbekampagnen der Lebensmittelindustrie und den Verlautbarungen des Umweltministers. Nur: Wie „gut in Bio“ ist Österreich wirklich? Und wie „gut“ ist eigentlich Bio? Karin Chladek Ganz oben. Wenigstens in Bio sind wir Welt-

meister. „14 Prozent der gesamten Agrarfläche Österreichs bringen kontrollierte Bioprodukte hervor, das ist so viel wie in keinem anderen Staat, sieht man von Liechtenstein ab“, sagt Helga Willer vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL). Einzelne Regionen in den Alpenländern bringen es noch auf viel höhere Anteile, so sind fast fünfzig Prozent der Bauernhöfe im Schweizer Kanton Graubünden „Bio“, im Land Salzburg sind es 45,21 Prozent. Beeindruckend klingen auch die letzten Konsumzahlen: Laut RollAMA, einer von der Agrarmarketing Austria (AMA) jährlich in Auftrag gegebenen Motivanalyse, kaufen 87 Prozent der österreichischen Konsumenten regelmäßig Bioprodukte. Wie aber geht das zusammen mit einem Marktanteil von Bio im Lebensmitteleinzelhandel von derzeit gerade einmal sechs Prozent? „Das sind Hochrechnungen. 87 Prozent kaufen ab und zu ein Bioprodukt, ein Biojoghurt zum Beispiel alle drei Tage“, erklärt Wilfried Oschischnig, Sprecher von Bio Austria, des größten Dachverbands der österreichischen Biobauern. Dennoch: Sechs Prozent Anteil am Gesamtmarkt bedeutet laut dem Marktinformationsspezialisten AC Nielsen, dass Bio vom Nischensegment zu einem ökonomisch ernstzunehmenden Marktfaktor geworden ist. Wachsende Nachfrage. Nicht nur in Österreich, auch in vielen anderen westlichen Industrieländern herrscht rege Nachfrage nach Bioprodukten. „Vom Ökotraum zur globalen Massenproduktion“, titelte der Spiegel unlängst und berichtete über Einund Ausstieg der sozial und ökologisch übelbeleumdeten Lidl-Kette bei den Basic-Biomärkten, vom Widerstand von Kunden und Lieferanten, denen das zu weit ging, von Entpolitisierung und zunehmender Kommerzialisierung der Bioszene, sogar von Betrug. Reale Gefahr oder Skandalisierung? „99 Prozent der Missstände gehen auf das Konto der sogenannten konventionellen Landwirtschaft. Aber alle stürzen sich auf

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Bio, sobald irgendwo die Kontrollen eine Unregelmäßigkeit melden“, entrüstet sich Bernhard Freyer, Leiter des Instituts für Ökologischen Landbau (IfÖL) an der Wiener Universität für Bodenkultur: „Das hat schon eine psychopathologische Komponente.“ Auch Freyers IfÖL-Kollege Christian Vogl wird deutlich: „Wenn die konventionelle Landwirtschaft ähnlich streng kontrolliert würde wie der Biosektor, würde jeden zweiten Tag ein Lebensmittelskandal auffliegen.“ Dafür mitverantwortlich ist die schwammige „Feel Good“-Präsentation von Bio für die jene wachsenden Werbezielgruppe, die dem sogenannten Lohas huldigen, dem „Lifestyle of Health and Sustainability“. Bio wird auf ein Podest gehoben, überzogene Heilserwartungen führen zu ebenso überzogenen Reaktionen bei der bloßen Andeutung von Mängeln. Bio oder nicht Bio? „Die meisten Konsumen-

ten wissen aber gar nicht, wie Biolandwirtschaft überhaupt funktioniert“, konstatiert Freyer. Er sieht eine riesige Kluft zwischen dem Bioimage aus der Werbung und den eigentlichen Qualitäten von Bio: die weitgehende Rückstandsfreiheit der Lebensmittel, die neue Qualität der Böden, die mehr und länger Wasser speichern können. Das seien

Die Kluft zwischen dem Werbeimage und den eigentlichen Qualitäten von Bio ist riesig wichtige „Bio“-Charakteristika, die aber kaum kommuniziert würden. Die Werbung greift stattdessen tief in die Klischeetöpfe: Wellnessbilder, Eier von glücklichen Hühnern, Fleisch vom Schweinchen Babe, das natürlich sofort wiederaufersteht und vor Bergpanoramen herumtollt. „Einfach, natürlich“, hauchen die grasgrünen Anzeigen. Und knüpfen damit an eine idyllisierende Konstruktion von Landschaft und Heimat an, die in Österreich eine lange Tradition hat und immer

wieder ins Nationalistische kippt. „Lang lebe Österreich!“ heißt die Biolinie der alteingesessenen Wiener Backkette Anker. „In Österreich wird Bio vor allem mit kleinteiliger Landwirtschaft assoziiert, wie sie traditionell im Alpenraum verherrschte und vorherrscht“, sagt die Umwelthistorikerin Verena Winiwarter von der Uni Klagenfurt: „Der Konsument kann sagen: Ich kaufe Bioprodukte aus Österreich, weil ich diese kleinteiligen Strukturen schön finde und erhalten möchte.“ Nachsatz: Das sei auch okay. Bio im Großbetrieb. Aber auch große landwirtschaftliche Betriebe, zum Beispiel in Ostdeutschland, stellten auf Bio um, fährt Winiwarter fort: „Auch wenn sie unseren landläufigen Vorstellungen von der idyllischen kleinteiligen Biolandwirtschaft nicht entsprechen, sind sie nachhaltig. Bio kann also durchaus industriell aussehen, solange die Richtlinien eingehalten werden.“ An diese neuen Bilder von Bio müssten wir uns gewöhnen. „Biologische Landwirtschaft ist ein innovatives Konzept, keine pastorale Idylle aus dem 18. Jahrhundert, wie viele Leute glauben“, ergänzt Engelbert Sperl, einer der Geschäftsführer von Bio Austria. „Die Konsumenten müssen verstehen, dass Bio von Innovationen lebt und forschungsbasiert ist.“ Wirklich problematisch ist allerdings, dass auch viele Werbekampagnen für konventionelle Landwirtschaft mit idyllischen Bildern von einsamen Almwiesen und kleinen Herden à la Bio daherkommen. Die AMA stand dabei schon öfter im Zentrum der Kritik von Konsumentenschützern und NGOs. Mehrere Umfragen in den letzten Jahren zeigten, dass die Verbindung solcher Werbebotschaften mit dem AMA-Gütesiegel für konventionelle landwirtschaftliche Produkte dazu führte, dass dieses von teilweise mehr als der Hälfte der Befragten für ein Biosiegel gehalten wurde. Bedarf nach Biobauern. Derweil suchen Bio-

vertreter und Handel händeringend nach mehr Bauern, die bereit sind, ihren Betrieb auf Bio umzustellen. Knapp 20.000 Biobe-


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Foto/Montage: Reini Hackl

Konsumentenverwirrung. Welche Siegel stehen für Bio, welche für konventionelle Landwirtschaft?

triebe gibt es derzeit in Österreich, Tendenz im Vergleich zum Vorjahr: stagnierend. Zu wenige, um die große Nachfrage nach österreichischen Bioprodukten zu befriedigen. Die Zeit drängt: Nur noch bis Ende 2009 können neue Betriebe in das Bioförderprogramm der EU aufgenommen werden, danach werden die finanziellen Stützen wesentlich geringer sein. Woran liegt es, dass nicht mehr Bauern auf Bio setzen, wo doch die Nachfrage angeblich so groß ist? „Die Investitionen in der zweijährigen Umstellungsphase sind hoch“, erklärt Wilfried Oschischnig von Bio Austria. „Der Anreiz eines Mehrverdienstes von durchschnittlich acht Prozent pro Person im Vergleich zur konventionel-

len Landwirtschaft ist kein ausreichendes Argument, einen Betrieb auf Bio umzustellen.“ Acht Prozent mehr klinge nicht schlecht. Nur: Das durchschnittliche Jahreseinkommen von österreichischen Bäuerinnen und Bauern liegt etwa ein Drittel unter dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Österreich insgesamt. Das Leben von Bauern, auch das von Biobauern, ist also kein Honiglecken. „Die Krux an der Sache ist, dass die Investitionskosten bei der Umstellung zu Bio, z.B. für neue Ställe, von den Betrieben nur schwer aufgebracht werden“, sagt der Agrarwissenschaftler Thomas Lindenthal von der Wiener Boku. Schuld daran seien zu gerin-

ge staatliche Förderungen und die äußerst geringe finanzielle Unterstützung von den Supermärkten für die Biobauern. Und ja, die Umstellung auf Bio ist auch eine Sache der Einstellung. Bei den Bauern selbst, aber auch bei jenen, auf die sie hören. Engelbert Sperl fordert daher ein ernsthafteres politisches Bekenntnis zu Bio, gerade in der Agrarpolitik. „Der Großteil der Bauern ist bekanntlich sehr konservativ, da braucht es Überzeugungsarbeit.“ Und weniger Unterstützung von Lobbyisten der konventionellen Landwirtschaft, die mit Werbekampagnen suggerieren, regional (oder national) allein sei schon seligmachend in Sachen Umweltund Klimaschutz.

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Ist Bio wirklich … … klimafreundlich? Auch wenn bei ihrer Produktion durch geringeren Düngereinsatz weniger Treibhausgase entstehen als in der konventionellen Landwirtschaft, so sind doch nicht alle Bioprodukte automatisch klimafreundlich. Reisen Biokiwis oder andere leichtverderbliche Waren mit dem Flugzeug, ist die Klimabilanz eindeutig negativ. Allerdings werden Bioprodukte aus Übersee hauptsächlich mit dem Schiff transportiert – und das verursacht keinen nennenswerten Ausstoß an CO2 oder anderen klimarelevanten Gasen. „Damit ist noch nicht gesagt, dass der Schiffsdiesel umweltfreundlich wäre“, relativiert Karlheinz

… gut kontrolliert? Gleich, ob Düngemittel, Futter und Platz für Nutztiere, Produktzusätze oder Kontrollen – ein echtes Bioprodukt wird unter deutlich strengeren Vorgaben produziert als industriellkonventionell hergestellte Lebensmittel. In Österreich haben acht private Kontrollstellen eine Zulassung. Die größte, die Austria Bio Garantie, beschäftigt 130 Kontrolleure und überprüft rund 10.000 der insgesamt knapp 20.000 Biobauern sowie 800 Bioverarbeitungsbetriebe. Insgesamt wurden in Österreich 2006 rund 24.000 Biokontrollen durchgeführt.

… auch im Sprit? Das positive Image von „Bio“ wird gerne auch für Produkte ausgenützt, die mit Nachhaltigkeit wenig bis nichts zu tun haben: Prominentester Trittbrettfahrer der Biowelle: der Biosprit, der aus Pflanzen wie Raps, Ölpalmen, Mais, Zuckerrohr, Elefantengras oder Pappeln gewonnen wird. Kritiker sprechen von „Bioschmähtanol“ statt Bioethanol; die Politik sei den Interessen der Industrie auf den Leim gegangen. Immer mehr Wissenschaftler kritisieren, dass die mit massivem Pestizid- und Düngereinsatz hochgezogenen Energiepflanzenplantagen fatale ökologische und soziale Folgen hätten. „Biosprit wird als Klimaschutzmaßnahme kaschiert, was er aber nicht ist“, so Karlheinz Erb. Im Gegenteil, die Aus-

... global möglich? Die Frage, ob biologische Landwirtschaft die Weltbevölkerung überhaupt ernähren könne, wurde schon oft gestellt und bislang – wegen der vermeintlich geringeren Ernteerträge – negativ beantwortet. Eine neue Studie kommt jedoch zu einem positiven Schluss. Die Forscher unter der Leitung von Ivette Perfecto verglichen Erträge aus biologischer Produktion mit denen aus konventioneller Landwirtschaft auf der Basis von 293 internationalen Untersuchungen. Die Ergebnisse (veröffentlicht in der Zeitschrift Renewable Agriculture and Food Systems, Band 22, S. 86–108) zeigten, dass die Erträge der biologischen Landwirtschaft in den In-

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Erb vom Institut für Soziale Ökologie der Uni Klagenfurt (s. auch S. 4). „Uns wird ständig eingeredet, regional sei immer besser, was einfach nicht stimmt“, ergänzt Christian Salmhofer vom Klimabündnis Kärnten. Teile der konventionellen österreichischen Landwirtschaft und Politik würden mit falschen Argumenten zum Klimaschutz Wirtschaftsprotektionismus betreiben und damit zu Unrecht Bioprodukte diskreditieren. Aus Klimasicht und aus Sicht des Energieeinsatzes bei der Produktion ist Bio besser als regional. Wenn saisonal ins Spiel kommt, kann die Sache schon wieder anders aussehen. Bio in Verbindung mit regional und saisonal ist das Optimum.

Es gibt jedoch wunde Punkte in diesem System: Kommunikation und Vernetzung zwischen Kontrollstellen und Behörden könnten besser sein, gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Auftraggebern und Kontrolleuren sind durchaus vorhanden. Eine viel größere Herausforderung stellt jedoch die Kontrolle der stark zunehmenden Bioimporte dar. Auch Österreichs Biosektor hat keine blütenweiße Weste: In den letzten Jahren sind eine Reihe von Unregelmäßigkeiten aufgeflogen, die bis auf wenige Ausnahmen jedoch weniger Betrugsfälle als Schlampereien waren.

wirkungen vieler Energiepflanzenplantagen auf das Klima seien negativ, da zwar weniger CO2, dafür aber Methan und Lachgas produziert würden, so Rudy Rabbinge von der Universität Wageningen in den Niederlanden. Allein der zusätzliche Flächenverbrauch ist keinesfalls nachhaltig. „Die Versorgung mit dem Biosprit kann sich allein von der vorhandenen Fläche in Europa und Nordamerika her nicht ausgehen“, ist sich auch Karlheinz Erb sicher. „Also greift man auf die Flächen zu, wo heute noch Regenwald wächst. Und das bedeutet einen rasanten Verlust an Biodiversität.“ Weshalb viele Forscher dafür plädieren, „Biosprit“ als „Agrarsprit“ zu bezeichnen, um die Öffentlichkeit nicht länger zu täuschen.

dustrieländern des Nordens etwas geringer ausfallen als die der konventionellen Landwirtschaft, in den Ländern des Südens dafür aber deutlich höher. Daten von gemäßigten und tropischen Agrarökosystemen zeigten laut Studie, dass durch Gründüngung mit sogenannten Leguminosen genug Stickstoff fixiert werden kann, um die Menge an derzeit ausgebrachtem mineralischen Dünger zu ersetzen. Fazit der Studienautoren: Eine Umstellung auf biologische Landwirtschaft ohne Erweiterung der landwirtschaftlichen Fläche würde die globale Lebensmittelversorgung nicht gefährden und in den Entwicklungsländern die VersorgungssiK. C. cherheit sogar erhöhen.


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Nicht in Habachtstellung gehen Soll man auf Wissenschaftler hören? Und zwar sofort? Warum das Zögern auch Vorteile hat und Missverständnisse Erfolge sein können. Ein Gespräch über das Verhältnis von Bürger und Experte mit dem Philosophen und Wissenschaftsforscher Markus Arnold. Interview: Oliver Hochadel heureka!: Verstehen wir Laien eigentlich, wenn Experten zu uns sprechen und uns etwas raten? Markus Arnold: Das kommt auf die Situation an. Aber jede erfolgreiche Kommunikation ist bis zu einem gewissen Grad auch die Geschichte ihres Scheiterns. Wie bitte? Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen heißt auch: Die Wissenschaft entlässt ihre Begriffe in die Selbstständigkeit. Beispiel Quantensprung: Was Quanten sind, ist den Wenigsten klar, aber was ein Sprung ist, weiß jeder. Die Menschen wollen den aus der Wissenschaft kommenden Begriffen einen Sinn geben und legen ihnen daher Erfahrungen aus ihrem Alltag zugrunde. Daher hat der Quantensprung außerhalb der Wissenschaft heute mehr mit Weitsprung zu tun als mit Physik. Das ist der Preis des Erfolgs: Nur Wissenschaften, die öffentlich nicht wahrgenommen werden, entgehen einem solchen Schicksal. Dieses Schicksal erleiden ja auch die Klimaforscher. Wir Laien verwechseln ja auch ständig Klima mit Wetter. Richtig. Was das „Klima“ ist, lässt sich nur mithilfe statistischer Methoden und Modelle bestimmen, und nicht, indem man aus dem Fenster schaut. In Alltagsgesprächen ist die Versuchung aber natürlich groß, den Klimawandel durch das aktuelle Wetter zu erklären, etwa durch den letzten Winter, der in Österreich sehr mild war. Und Bilder im Fernsehen, wie die Zerstörung von New Orleans durch den Hurrikan Katrina, werden schnell zu „Beweisen“ dafür. Und Sie können diesen Missverständnissen etwas abgewinnen? Die Öffentlichkeit befolgt hier eine Maxime der Aufklärung: Sie versucht, jedem Begriff, den sie verwendet, eine ihrer eigenen Erfahrungen zugrunde zu legen. Auch wenn

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sie – wie beim Klima – zu diesem keine passende Erfahrung hat, da sich die Wissenschaft hier auf Daten stützt, die den Laien nicht zugänglich sind. Kann Wissenschaft also von Laien nur missverstanden werden? Nein, da sie aber keine Wissenschaftler sind, sind sie gezwungen, einen eigenen Zugang zu finden. Dabei wird die Möglichkeit, Neues zu verstehen, auch durch die Medien schrittweise erweitert. Heute gehören die im Fernsehen gezeigten Bilder von der Erde aus dem Weltall zu unseren alltäglichen Erfahrungen, obwohl wir selbst niemals Astronauten waren. Wissenschaftler beklagen aber oft, dass die in den Medien verbreiteten Bilder das von ihnen Gesagte verfälschen. Medien müssen kreativ sein, um den Begrif-

daher meist Einzelaspekte in der Berichterstattung herausgegriffen und als „nachhaltig“ bezeichnet, z.B: „nachhaltiger Unternehmenserfolg“. Was dem Konzept der Nachhaltigkeit eindeutig widerspricht, da kein Aspekt für sich allein genommen nachhaltig sein kann. Wie könnte man die Kommunikation über Nachhaltigkeit „ganzheitlicher“ gestalten? Das ist bis jetzt leider nur in der medialen Heraufbeschwörung von Katastrophenszenarien gelungen. Beim sogenannten Jahrhunderthochwasser in Österreich vor fünf Jahren wurden ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte miteinander verbunden. Inwiefern? Bei der Berichterstattung über das Hochwasser ging es nicht nur um die Umwelt, sondern auch darum, dass wir solidarisch mit den Opfern sein müssen, also um den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit. Und um die enormen wirtschaftlichen Kosten, die durch ökologische Eingriffe wie Flussverbauung und Flächenversiegelung entstanden sind. Bei einer solchen Katastrophe wird auf dramatische Weise deutlich, wie Ökologie, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaft miteinander verknüpft sind. So lassen sich zumindest einige Zusammenhänge thematisieren, jedoch nur auf sehr eingeschränkte Art und Weise.

alle haben mit »,StarWirTrek‘ gelernt, durch gekrümmte Räume zu fliegen und Schwarze Löcher zu meiden.

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fen der Wissenschaftler einen allgemeinverständlichen Sinn zu geben. Wir alle haben mit „Star Trek“ gelernt, durch gekrümmte Räume zu fliegen und schwarze Löcher zu meiden. An Serien dieser Art ist streng wissenschaftlich betrachtet vieles falsch, aber ohne sie wäre die Physik in unserer Gesellschaft wohl nicht so präsent. Wie steht es mit der Kommunikation der Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit ist ein recht komplexes Konzept: Sie umfasst ökologische, wirtschaftliche und soziale Aspekte. Nur in der Verbindung kann überhaupt von einer wirklichen Nachhaltigkeit gesprochen werden. Aber dies ist medial nur schwer zu vermitteln. In der Öffentlichkeit werden

Ist die Erzählung von der nahenden Katastrophe für die Nachhaltigkeit, was „Star Trek“ für die Astrophysik ist? Überspitzt gesagt, ja. Der Unterschied ist leider, dass wir den Klimawandel wohl früher verwirklichen werden als den Warp-Antrieb. Nur weil zum Teil fiktionale Katastrophenszenarien medial die komplexen Zusammenhänge der Nachhaltigkeit vermitteln, heißt das ja leider nicht, dass sie nicht auf die eine oder andere Weise Realität werden können.


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„Eine Wissenschaft, welche in der Gesellschaft sofort Gehör findet, müsste sich vor den Folgen ihrer Theorien fürchten.“

Geht es auch ohne Katastrophenszenarien? Man müsste Bilder und Szenarien entwickeln, mit denen auf eine differenziertere Art und Weise nachhaltige Entwicklung in ihren Wechselwirkungen und Handlungsoptionen auch in den Medien diskutierbar wird. Das können aber die Medien nicht allein schaffen, da ist auch die Wissenschaft gefordert. Ein gelungenes Beispiel ist der ökologische Fußabdruck. Er leistet diese symbolische Verdichtung und kann Komplexität reduzieren. Aber wegen der erfolgreichen Reduktion kann er auch nur Teilaspekte verdeutlichen.

Wissenschaft mit einer solchen Verantwortung belasten, dass die wissenschaftliche Diskussion aus Angst vor den Konsequenzen bald verstummen würde.

Sollte die Gesellschaft nicht rascher auf die Erkenntnisse der Wissenschaft reagieren? Dies wäre fatal. Eine Wissenschaft, welche in der Gesellschaft sofort Gehör findet, müsste sich vor den Folgen ihrer Theorien fürchten. Zur Wissenschaft gehört es, Hypothesen und Argumente aufzustellen, die widerlegt werden können. Auch Irrtümer können in der wissenschaftlichen Debatte fruchtbar sein. Nur als Gedankenspiel: Man stelle sich vor, die Öffentlichkeit würde an den Lippen der Wissenschaftler hängen und versuchen, jede neue Theorie sofort in ihrem Leben anzuwenden. Eine solche wissenschaftsgläubige Öffentlichkeit würde die

Den Freiraum, nicht gleich oder nicht nur auf die Wissenschaft zu hören?

Es braucht also Distanz und Freiräume? Ja, um Hypothesen offen diskutieren zu können. Je stärker eine Wissenschaft in die öffentliche Diskussion gezogen wird, desto mehr ist sie gezwungen, ihre Worte diplomatisch abzuwägen. Aber in der Wissenschaft muss man bereit sein, klar und deutlich zu formulieren, um die Diskussion weiterzubringen. Genauso benötigt aber auch die Gesellschaft ihre Freiräume.

ZUR PERSON

Markus Arnold (44) ist studierter Philosoph und stellvertretender Vorstand des Instituts für Wissenschaftsforschung und Hochschulforschung an der Universität Klagenfurt. Er interessiert sich vor allem für die Frage, wie Wissen gesellschaftlich wirksam werden kann.

Ja, damit verteidigt die Gesellschaft ihre demokratischen Freiheiten gegenüber der Zumutung, von anderen belehrt zu werden. Natürlich irritiert es Wissenschaftler, wenn die Aussage von einem Mediziner auf derselben Ebene diskutiert wird wie die eines Kräuterpfarrers, oder die Aussage eines jungen Ökologen in einer öffentlichen Diskussion weniger gilt als die eines „erfahrenen“ Bauern. Aber was wäre die Alternative? Wäre es wirklich besser, wenn Bürger in Habachtstellung gehen, wenn Wissenschaftler sprechen? Besteht nicht die Gefahr, gerade punkto Nachhaltigkeit, dass so wichtige Entscheidungen vertagt werden? Die Bürger verteidigen ihre Kompetenz, selbst zu urteilen, und zwar ohne um Erlaubnis zu fragen. Mit der Freiheit, Expertisen zurückzuweisen, muss der Einzelne aber auch die Verantwortung für die Folgen seiner Entscheidung übernehmen. Deshalb sollte sich jeder sowohl Zustimmung wie auch Ablehnung reiflich überlegen und wachsam sein gegenüber den Expertisen von Lobbys mit wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Die Wissenschaft und deren Expertise einfach zu ignorieren, wäre jedenfalls sicher der falsche, da äußerst riskante Weg. Aber es stimmt: Die Gefahr besteht.

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Mitreden, aber richtig Kürzlich fand in Wien die erste österreichische Bürgerkonferenz zum Thema Energieforschung statt. Laien diskutierten darüber, mit welchen neuen Technologien man am besten Strom sparen könnte. Und hatten den Experten auch sonst noch einiges zu sagen. Klaus Taschwer 2 von 36. Bernhard Ertl tat es auch wegen des

Geldes. Zu 200 Euro konnte der ausgebildete Pilot, der zurzeit Sozialhilfeempfänger ist, schlecht Nein sagen. Die Gegenleistung des Wieners für die zwei grünen Scheine: Er verbrachte das letzte Novemberwochenende, zusammen mit anderen repräsentativ ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern Österreichs, damit, über Fragen der Energie zu diskutieren. Das Ziel der Veranstaltung: Die Laien sollten – unterstützt von Experten und den Moderatoren – konkrete Vorschläge machen, welche Technologien gefördert werden sollen, um es dem Endverbraucher – also uns – zu erleichtern, im Haushalt Energie zu sparen. Auch Eva Granitz aus Graz, sechsfache Mutter und von Beruf Mediatorin, war eine der 36 Teilnehmer dieser ersten Bürgerkonferenz Österreichs zum Thema Energie. „Ich hatte keine großen Erwartungen“, sagt Granitz im Rückblick. Doch das arbeitsintensive und diskussionsreiche Wochenende hat sie positiv überrascht: „Es war für uns extrem informativ, und umgekehrt waren auch die Experten von unseren konkreten Wünschen überrascht.“ Und Ertl ergänzt euphorisch: „Das war gelebte Demokratie. Ich könnte mir das noch für viele andere Bereiche vorstellen.“ Sozial akzeptiertes Wissen. Diese Energie-Bürgerkonferenz war eine der ersten Veranstaltungen dieser Art in Österreich. In anderen europäischen Ländern werden solche partizi-

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pativen Verfahren, die auch unter den Bezeichnungen Konsensuskonferenzen oder Dialogforen firmieren, schon seit Jahren praktiziert, so unter anderem in Deutschland, in der Schweiz, in den Niederlanden und vor allem in Dänemark. Dort haben die Ergebnisse von Bürgerkonferenzen bereits Eingang in die Gesetzgebung gefunden. Diese neuen Formen der Partizipation von Laien sind ein Versuch, auf die rasanten Entwicklungen in der Wissenschaft zu reagieren, deren Wissen und Artefakte unser Leben immer stärker prägen. Während man sich in den 1970er- und 1980er-Jahren vor allem Experten (eben solchen für Technikfolgenabschätzung) bediente, um die „Gesellschaftsverträglichkeit“ neuer und womöglich riskanter Technologien von vornherein zu beurteilen, erkannte man in den 1990er-Jahren, dass es womöglich besser ist, die eigentlich Betroffenen vorab auch ein Wörtchen mitreden zu lassen. Das würde zum einen Geld sparen helfen – Beispiel: das bereits gebaute Atomkraftwerk Zwentendorf, das nach Volksentscheid doch nicht in Betrieb ging – und zum anderen die Wissenschaft vor einem öffentlichen Vertrauensverlust bewahren, indem sie im Idealfall „sozial robustes Wissen“ produziert, wie das die Wiener Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny nennt. Zu kompliziert? Bleibt die Gretchenfrage, ob

und wie Laien überhaupt mitreden können, wenn es um neueste wissenschaftliche Er-

kenntnisse und ihre möglichen Auswirkungen geht. Denn sind Wissenschaft und Technologie nicht längst so kompliziert geworden, dass einzig Experten in der Lage sind, ihre Chancen und Risiken richtig zu beurteilen? So argumentieren nach wie vor viele Wissenschaftler, die jedes Mitdiskutieren von gewöhnlichen Bürgern ablehnen. Im Gegensatz zu solchen traditionellen Positionen ist der Soziologe Nico Stehr auf heureka!-Nachfrage weitaus weniger skeptisch: „Ich denke, dass der durchschnittliche Bürger in all diesen Fragen sehr wohl mitreden kann. Es kommt halt auch darauf an, wie das organisiert ist.“ Organisator der österreichischen Bürgerkonferenz zum Thema „Energie und EndverbraucherInnen“ war Michael Nentwich, Leiter des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er und seine Mitarbeiter beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit partizipativen Verfahren. Unter dem Titel „Techpol 2.0“ hat man bereits im Vorjahr konkrete Vorschläge zur partizipativen Gestaltung der österreichischen Technologiepolitik vorgelegt. Nentwich, dem beim Interview am Tag nach dem intensiven Diskussionswochenende die Anstrengungen noch etwas ins Gesicht geschrieben waren, hält Laien im Prinzip für fähig, sich bei jedem forschungspolitisch relevanten Thema einzubringen. „Aber je weiter das Thema von der Lebenswelt der Bür-


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Fotos: ITA

Szenen einer Bürgerkonferenz: Zuerst beraten die Experten die Laien. Dann wird in Kleingruppen diskutiert. Und am Ende wissen alle mehr darüber, wie man in Hinkunft den Energieverbrauch reduzieren könnte.

ger entfernt ist – wie zum Beispiel die Nanotechnologie –, umso aufwendiger werden solche partizipativen Verfahren in der Vorbereitung.“ Denn die Bürger müssten ja erst mit den ganzen einschlägigen Informationen versorgt werden, um sich ihre eigene Meinung bilden zu können. Zurückhaltende Experten. So betrachtet war das

Thema „Energie und Endverbraucher“ eine Steilvorlage für eine Bürgerkonferenz, bei der es konkret vor allem um zwei Probleme ging: Zum einen sollten von den Teilnehmern Leitbilder der Energiepolitik, aber auch der nachhaltigen Entwicklung diskutiert werden, die von der österreichischen Regierung, aber auch der EU für die nächsten Jahrzehnte formuliert worden waren. Zum anderen standen fünf in Entwicklung befindliche Technologien zur Diskussion, mit denen in Zukunft in den Haushalten Strom eingespart werden kann. Zunächst einmal waren aber die 36 Bürger zu informieren, was – so die einhellige Meinung der von heureka! befragten Teilnehmer – die sieben da-

Die Experten haben die »Technologien vorgestellt, und wir haben unsere Meinung dazu gesagt.«

Bürger Bernhard Ertl

für engagierten Experten, ohne bevormundend oder tendenziös zu sein, taten. Im Gegenteil: „Die haben sich so wie die Moderatoren dann zurückgenommen und uns überhaupt nicht ihre Ansichten aufgedrängt“, so Teilnehmerin Eva Granitz. „Die Experten haben die Technologien vorgestellt, und wir haben unsere Meinung dazu gesagt“, bringt Kollege Bernhard Ertl den Prozess auf den Punkt. In Sachen Leitbilder kamen bei den stundenlangen Diskussionen in den verschiedenen Kleingruppen einige auch für Michael Nentwich unerwartete Ergebnisse heraus. Ganz im Zentrum des

Bürgerinteresses standen nämlich Maßnahmen gegen den Klimawandel – die Berichterstattung rund um die Veröffentlichungen des UN-Weltklimarats IPCC in den letzten Monaten scheint ihre Wirkung getan zu haben. Rund um dieses zentrale Leitbild gruppierten die Bürger dann Themen wie Energiesparen, Förderung sozial- und umweltfreundlichen Konsums, Steigerung der Energieeffizienz, aber auch soziale Gerechtigkeit. In dem Zusammenhang wurden den Experten und der Forschungspolitik auch gleich ein paar konkrete Wünsche übermittelt: Energiefragen sollten etwa von der Sozialpolitik nicht entkoppelt werden, es sollte mehr Bewusstseinsbildung in den Schulen betrieben werden. Und man sollte sich um einfache, zugkräftige Ziele bemühen, wie etwa Schweden, das die Unabhängigkeit von Erdöl ab 2020 anstrebt. Von Bürgern lernen. Bei der Frage, welche Techno-

logien des Energiesparens gefördert werden sollten, wurde am heftigsten über neue Möglichkeiten des Stromverbrauchmonitorings und intelligente Stromzähler diskutiert. Auf der einen Seite werde durch eine detaillierte Aufschlüsselung des Verbrauchs nach Gerät unmittelbar klar, wo gespart werden kann. Zumal der Strompreis je nach Auslastung des Netzes unterschiedlich hoch ist. Auf der anderen Seite müsse auf alle Fälle auch auf den Datenschutz geachtet werden – was den Teilnehmern ein besonderes Anliegen gewesen sei, so Bernhard Ertl und Eva Granitz übereinstimmend. Und so gab es am Ende bei allen fünf zur Förderung auszuschreibenden Energiespartechnologien eine Liste an Wünschen aus der Perspektive der künftigen Endverbraucher. Wären die Experten eigentlich auch alleine zu den Ergebnissen gekommen, die von den Bürgern am Ende formuliert wurden? „Unser Zugang war praktischer“, meint Eva Granitz. „Möglicherweise wären die Experten auch draufgekommen, was uns an bestimmten Dingen stört“, sagt ihr Kollege Ertl. „Aber es gab bei ihnen schon auch den einen oder anderen Aha-Effekt.“

LITERATUR Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons: Wissenschaft neu denken. Wissenschaft und Öffentlichkeit in einem Zeitalter der Ungewissheit. Weilerswist 2004 (Velbrück). 339 S., s 37,10 Anders Blok: Experts on public trial: on democratizing expertise through a Danish consensus conference. Public Understanding of Science, Bd. 16 (2007), S. 163–182. Michael Nentwich et al.: Techpol 2.0: Awareness – Partizipation – Legitimität. Vorschläge zur partizipativen Gestaltung der österreichischen Technologiepolitik. Wien 2006. http://epub.oeaw.ac.at/ita/ita-projektberichte /d2-2e15-2.pdf

LINKTIPP www.oeaw.ac.at/ita/fsa.htm Infos zum ITA-Projekt „Energie und Endverbraucher“

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Alma mater oecologica An Österreichs Unis wird fleißig zur Nachhaltigkeit geforscht. Wird sie aber auch vor Ort praktiziert? Ein Blick in die Heizungskeller und Küchen der hohen Schulen. Mark Hammer

Von Anfang an. Das neue Gebäude wird mit

Holzpellets beheizt, das Wasser erwärmt sich in Solarpaneelen, und die Hörsäle werden ausschließlich mit Ökostrom aus erneuerbaren Energieträgern beleuchtet. Bereits bei ihrer Eröffnung vor wenigen Wochen war die MODUL Privat-Universität für Tourismusmanagement am Wiener Kahlenberg ganz auf Nachhaltigkeit eingestellt. „Sobald auch die Cafeteria fertig ist, wird es dort regionale und fair gehandelte Produkte geben“, kündigt Dagmar Mit Holzpellets umweltfreundlich die Unis Lund-Durlacher an. Sie unterrichtet beheizen nicht nur Marketing und Tourismustrends, sondern leitet auch die Arbeitsgruppe, die sich mit der Umsetzung der Wasserverbrauch ebenso wie zu FrauenfördeNachhaltigkeitsziele beschäftigt, die bis hin rung, Gleichberechtigung oder Partizipation. zur Beschaffung umweltfreundlicher Büro- Neben der ökologischen geht es also auch materialien reichen. „Wir sehen uns in der um soziale Nachhaltigkeit. Wo man SchwäVerantwortung, hier eine Vorreiterrolle zu chen entdeckt, werden Maßnahmen festgeübernehmen. Dabei ist viel Überzeugungsar- schrieben. Wenn die Unis in den nächsten beit nötig, um einen großen Kreis an Betei- Jahren die neuen Versionen ihrer Berichte präsentieren, wird man sie daran messen, wie ligten zu gewinnen“, sagt Lund-Durlacher. Die Einrichtung der Privatuni wurde nach viel sie davon umgesetzt haben. ökologischen Kriterien ausgewählt, für die Die Uni Wien hat noch keinen Nachhaltigim internationalen Forschungsbetrieb nicht keitsbericht vorgelegt, müht sich aber jetzt vermeidbaren Flüge werden CO2-Zertifikate schon. So werden Neubauten energiesparend gekauft. Nachhaltigkeit findet sich auch im Lehrplan wieder, in Form von Seminaren zu Umweltmanagement und nachhaltigem Tourismus.

Die Abwärme von Servern und Laborgeräten heizt über eine Rückgewinnung

Nachhaltig berichten. Ein gutes Image fördert

das Geschäft: Viele Unternehmen beschreiben schon seit Jahren die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihres Handelns in einem Nachhaltigkeitsbericht. Allmählich geschieht dies nun auch im etwas trägeren akademischen Bereich: In Österreich haben bisher die Wiener Boku, die Uni Graz und die TU Graz einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt. Dabei geht es um mehr als nur um eine umweltfreundiche Fassade. In diesen Berichten finden sich Kennzahlen zum Energie- und

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geplant, Reinigungsfirmen auch nach ökologischen Kriterien ausgewählt. Das Biozentrum in der Althanstraße im neunten Wiener Gemeindebezirk nutzt Grundwasser und Wasser aus dem Donaukanal für WCs und die Kühlung der Laborgeräte und spart so Trinkwasser ein. Die Abwärme von Serverräumen und Laborgeräten heizt über eine Rückgewinnung die Räume. Charta und Award. Zu den Prinzipien der

Nachhaltigkeit bekennen sich Universitäten

in einem internationalen Abkommen des Universitätsnetzwerks Copernicus-Campus. Neun österreichische Universitäten haben die Charta bisher unterzeichnet, die unter anderem die Selbstverpflichtung zu ökologischen Maßnahmen bis hin zur Weiterbildung der Mitarbeiter und Studenten zum Thema vorschreibt. Das Wissenschaftsministerium hat heuer gemeinsam mit dem Lebensministerium auch zum ersten Mal einen Sustainability Award ausgeschrieben, um die Universitäten zur Umsetzung nachhaltiger Prinzipien anzuspornen und für bisherige Aktivitäten auszuzeichnen. In acht verschiedenen Bereichen können sich staatliche Universitäten, Fachhochschulen und pädagogische Hochschulen noch bis Mitte Jänner bewerben. Die Bereiche betreffen nicht nur Energiesparen oder Müllreduktion. Lehr- und Forschungsinhalte oder studentische Initiativen mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit können ebenso eingereicht werden wie regionale und europäische Kooperationen zu dem Thema. Geld wird es für eine Auszeichnung nicht geben, dafür eine Oscar-artige, von der Akademie der bildenden Künste gestaltete Skulptur. „Die meisten Nachfragen kommen derzeit noch von den Fachhochschulen“, sagt Christian Rammel vom Forum Umweltbildung, das den Wettbewerb für die beiden Ministerien abwickelt. Beim nächsten Wettbewerb in zwei Jahren sollen in einer Sonderkategorie auch Privatunis wie jene für Tourismusmanagement teilnehmen können. P.S.: Ende November erfolgte der Spatenstich beim I.S.T. Austria, dem Institute of Science and Technology. Auch in Maria Gugging setzt man auf Biomasse, eine Hackschnitzelheizung soll die Wissenschaftler der geplanten Exzellenz-Forschungseinrichtung wohlig wärmen.

LINKTIPPS Sustainability Award: www.nachhaltige-uni.at Copernicus Charta: www.copernicus-campus.org


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Zu Ende gedacht 24 ergänzte Sätze von WOLFHARD WEGSCHEIDER, Rektor der Montanuniversität Leoben

In Sachen Umweltverträglichkeit werden an unserer Uni ... entscheidende Beiträge für die österreichische Industrie geleistet. Gegen den Klimawandel ... ist heute ein jeder.

Mein Lebensmotto ... per aspera ad astra. Mein schlimmster Irrtum ... war, dass ich in der Jugend alles selber machen wollte. Ich frage mich manchmal ... ob der Tag lang genug ist.

Biolebensmittel ... sind Kontrollprobleme.

Am meisten verabscheue ich ... Unaufrichtigkeit.

Im Jahr fliege ich ... etwa zehn Mal.

Auf meinem Nachtkästchen liegt ... mein Wecker.

Mein Auto ist ... ein Volvo. Mein größter Erfolg an der Universität ... der Neuanfang nach dem UG 2002. Am meisten ärgere ich mich ... über Inkonsequenz und Schlamperei. Besonders stolz macht mich ... meine Familie. Sorge bereitet mir an meiner Universität ... der Ingenieurmangel. Als Rektor möchte ich durchsetzen, dass ... weiterhin der Geist der Zusammenarbeit hochgehalten wird. Wissenschaftler sind Menschen ... die kreativ, fleißig, gründlich und zukunftsweisend arbeiten. Das Wissenschaftsmagazin im Falter

Wäre ich Wissenschaftsminister ... wäre das der erste Steirer seit langem.

heureka!

Montanuniversität Leoben

Nachhaltigkeit ist für mich ...Verantwortung gegenüber der nächsten Generation.

Mein Lieblingsschriftsteller ... Homer. Mein liebster Held in der Geschichte ... Gaius Julius Caesar. Am liebsten höre ich ... Verdi. Wenn ich mehr Zeit hätte ... könnte ich sie wieder in die Wissenschaft investieren. Das letzte Mal Herzklopfen hatte ich ... als ich Großvater wurde. Ich habe den Traum, dass ... die Menschen miteinander auskommen. Ein guter Tag endet für mich ... früh.

WOLFHARD WEGSCHEIDER Seit 2003 steht Wolfhard Wegscheider (57) als Rektor der Montanuniversität Leoben vor, wo er seit 1994 Professor für Allgemeine und Analytische Chemie ist. Davor forschte und lehrte er an der TU Graz, wo er auch studierte. Seine wichtigste Aufgabe sieht der gebürtige Grazer in der Rekrutierung guter Professorinnen und Professoren. Deswegen müsse unbedingt das Fremdenrecht geändert werden, auch um exzellente Studierende aus dem Ausland anzulocken.

Montanuniversität Leoben Geschichte, Zahlen, Fakten. Montanuniversität Leoben heißt sie erst seit 1975. Bei ihrer Gründung 1840 nannte sie sich „SteiermärkischStändische Montanlehranstalt“, ab 1904 „Montanistische Hochschule“. Nach 1945 wurde das Lehrangebot von Hüttenwesen und Bergbau sukzessive erweitert, etwa um Kunststofftechnik, Petroleum Engineering und Industriellen Umweltschutz. Ziel ist die gesamte Wertschöpfungskette von den Rohstoffen bis zu den Werkstoffen und Systemen abzudecken. Derzeit (1.12.2007) unterrichten 38 Professoren und 250 weitere Lehrende 2337 ordentliche Hörer. Davon sind aber nur 537 Frauen (23 Prozent); 282 Studierende (12 Prozent) kommen aus dem Ausland. Die Zufriedenheit mit dem Lehrangebot ist hoch, wie der diesjährige Vergleich deutschsprachiger Hochschulen, Bereich Ingenieurwissenschaften, von AQA und CHE zeigt.

heureka! Das Wissenschaftsmagazin im Falter jetzt online nachlesen, frühere Ausgaben oder das heureka!-Abo bestellen.

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