HEUREKA 1/2023

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H EU REKA # 1 2023

DAS WISSENSCHAFTSMAGAZIN AUS DEM FALTER VERLAG

Verändert uns die Klimadebatte?

Vergi etes Klima

Die Konflikte rund um das Thema Klimawandel polarisieren und spalten die Gesellscha . Seite 8

Über Nachhaltigkeit au lären

Das hat sich die Montanuniversität Leoben zur Aufgabe gemacht. Mit speziellen Methoden. Seite 14

Klimabildung für Lehrende

Lehrer:innen brauchen dringend Unterstützung für den Unterricht über den Klimawandel. Seite 16

ILLUSTRATION: BEMIR BILALIC / BREATH OF CONSEQUENCE / @BEMIRB Falter Zeitschriften GmbH, Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien, WZ 02Z033405 W, Österreichische Post AG, Retouren an Postfach 555, 1008 Wien, laufende Nummer 2908/2023

TITEL-THEMA VERÄNDERT UNS DIE KLIMADEBATTE?

Wie verändert die Klimadebatte das Klima unter den Menschen?

Wie wirkt sie sich auf unsere Gesundheit aus?

Was macht sie mit unserer Psyche, und welchen Einfluss hat die Klimadebatte auf das Bildungssystem?

Fragen wie diese hat sich die Klasse für Grafik Design der Universität für angewandte Kunst gestellt und die Illustrationsstrecke für diese Ausgabe von Falter Heureka gestaltet. www.klassekartak.com

Höhere Bildung zum Klimaschutz Seite 5

Eine Forderung des Demografen Wolfgang Lutz

Vergiftetes Klima Seite 8

Politologe Anton Pelinka über Politik im Klimawandel

Klima abseits der Natur: Wie uns die Debatte verändert

In den letzten Jahren jagte eine existenzielle Krise die andere: 2009 die letzte große Wirtscha skrise, gefolgt von der durch Griechenland ausgelösten Euro-Finanzierungskrise. Dann 2015 die sogenannte Migrationskrise, und als es scheinbar ruhiger und entspannter wurde, die Pandemie 2019. Kaum abgeklungen, folgte im Februar 2022 die Russland-Ukraine-Krise und dadurch zumindest teilweise verursacht die Energie- und Inflationskrise.

Belasten allein diese Krisen die Gesellscha und haben Konsequenzen auf das Zusammenleben in der Gemeinscha , schwebt darüber die Klimakrise. Sie gefährdet gewissermaßen den Ort, wo alle diese Krisen stattfinden, gesamthin und existenziell. Nimmt man die Logik zu Hilfe, liegt auf der Hand, dass sich die gesamte Menschheit, alle politisch und wirtscha lich Verantwort-

lichen, gemeinsam mit ganzer Kra zumindest um die Abmilderung der bedrohenden Erderwärmung bemühen würden. Mitnichten, es jagt zwar eine internationale Konferenz die andere, es wird aber zu wenig getan. Ganz im Gegenteil, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, aber auch der Drang nach der Pandemie, Urlaub und Konsum nachzuholen, verursachen sogar eine Verschärfung der Klimaprobleme.

Wie reagiert die Gesellscha auf diese generelle Absenz und Scheu der Politik vor realen Problemlösun-

gen? Was bewirkt die schwelende Gefahr für das Verhältnis der sogenannten Stakeholder untereinander?

Im Themenfeld Politik fehlt es nicht an Mahnern wie etwa UNOGeneralsekretär Antonio Guterres oder Druck seitens der Wissenscha . Wohl aber an Forderungen der Zivilgesellscha , „etwas“ zu tun. So schockiert man von Katastrophen ist, vergisst man allzu schnell die dramatischen Bilder. Das Bewusstsein wird von der jeweils letzten aktuellen Krise überlagert. Das Hemd sitzt näher als der Rock. Also, was interessiert mich die Erderwärmung in der Welt, wenn jetzt meine Miete teurer wird?

Reinhold Mitterlehner, Präsident der ÖFG

Fazit: die Politik scheut vor Maßnahmen zurück, die Bürger:innen in Richtung Einschränkungen spüren könnten, und setzt, wie etwa der österreichische Bundeskanzler, auf die Hilfe von Innovation und Tech-

nik. Die Position ist zwar bequem, aber trügerisch. Die untätigen Entscheider bewirken natürlich ein differenziertes Verhalten in der Bevölkerung: Vor allem junge Leute sehen sich um ihre Zukun betrogen und verschärfen die Argumentation und Proteste. Beispiel: die „Letzte Generation“ mit ihren Klimaklebeprotesten. Auch wenn die damit an ihrer Tagesarbeit gebremsten Bürger:innen Unverständnis zeigen und scheinbar die falsche Zielgruppe sind, gewinnen die Aktivitäten an Relevanz. Auch Künstler:innen und Wissenscha ler:innen unterstützen die Aktivitäten. Es gibt keinen allgefälligen Protest. Das Thema ist präsent und immer mehr Menschen begreifen, dass Verdrängen und Verleugnen alles nur schlimmer machen wird. Zerreißt das Thema die Gesellscha ?

2 FALTER 27/23 HEUREKA 1/23 : INTRODUKTION : EDITORIAL FOTO: HANS RINGHOFER REINHOLD MITTERLEHNER
: AUS DEM INHALT

Gefährdet das Klima unsere Gesundheit? Seite 10

Anita Rieder, Vizerektorin der MedUni Wien, zum Thema

Vom Freitag in den Alltag Seite 12

Soziologin Anna Deutschmann über „Fridays for Future“

Friede ist eine Pause dazwischen Seite 18

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx über Menschheitskrisen

Verlockende Feindseligkeit Seite 22

Soziologe Manfred Prisching über Ökokrise und Konsenskrise

Die Zeichen in der Gesellschaft müssen sich auf Solidarität drehen

Schon seit Langem wissen wir: Den Herausforderungen des Klimawandels lässt sich nicht nur dadurch begegnen, dass Schadstoff-Emissionen reduziert werden; dass mehr Elektro- oder Wasserstoffautos in den Verkehr kommen; dass umweltfreundlich gebaut und vor allem Energie durch Fotovoltaik oder Erdwärme gewonnen wird; dass die Landwirtschaft auf Bioanbau umstellt und die Forstwirtschaft die Wälder schützt; oder dass neue Technologien zum Einsatz gelangen, die das CO₂ in der Atmosphäre verringern.

Dies alles führt nirgends hin, wenn der Umweltschutz nicht in unseren Köpfen beginnt. Alles hängt davon ab, dass wir uns dafür verantwortlich fühlen. Und dass wir aus dieser Verantwortung heraus ein neues Verhältnis zur natürlichen Umwelt, ein Bewusstsein für globa-

le Zusammenhänge und vor allem ein radikal anderes Konsumverhalten finden. Jede und jeder von uns ist gleichermaßen gefordert.

Es scheint eine Binsenweisheit zu sein, dass jede und jeder wir alle gemeinsam sind. Hier liegt jedoch das sicherlich größte Problem: Ein Klimakollaps – global und lokal –wird nur zu vermeiden sein, wenn wir ihm in gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Solidarität zuvorkommen. Wie aber lässt sich eine solche Solidarität herstellen?

Ist dafür unser politisches Sys-

tem, besonders die gegenwärtig übliche Handhabung desselben, geeignet? Unsere jüngsten Erfahrungen im Umgang mit der Corona-Pandemie stimmen pessimistisch. Da stellte sich bekanntlich nicht Solidarität, sondern tiefe gesellschaftliche Spaltung ein. An den Folgen dieser Risse leiden wir bis heute –an einem gesellschaftlichen Long Covid. Im Hinblick darauf müssen wir konstatieren, dass wir der Pandemie vielleicht medizinisch, sonst aber nicht wirklich Herr geworden sind. Was jedenfalls gefehlt hat, war Solidarität.

schaftlichen Theoretisieren erschöpfen darf.

Vielmehr sind Sozialethik und Politik gleichermaßen angesprochen. Solidarität als ethische Tugend muss zu einem allgemeinen Bedürfnis werden, und die Kunst der Politik hat dafür zu sorgen, dass die Solidarität in der Gesellschaft zustande kommt und erhalten bleibt. Das mögen hehre Worte sein, die an eine Utopie gemahnen. Es verhält sich nur so, dass es angesichts einer Herausforderung wie dem Klimawandel keine Alternative mehr gibt.

Gerade diese Erfahrung mit Corona macht deutlich, dass dem gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Umgang mit Krisen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Sie zeigt ebenso klar, dass sich die eingehende Befassung mit diesem Thema nicht im wissen-

Deshalb liegt es nicht nur nahe, sondern ist unbedingt geboten, dass alle Anstrengungen unternommen werden, damit sich in der Gesellschaft die Zeichen auf Solidarität hin drehen. Allein schon darüber nachzudenken, wie es in den Beiträgen dieses Magazins geschieht, ist die Mühe wert.

INTRODUKTION : HEUREKA 1/23 FALTER 27/23 3 : KOMMENTAR FOTO: KOLARIK ANDREAS FOTOS: SILVERI|IIASA, PRIVAT, MEDUNIWIEN/FEELIMAGE, SABINE HOFFMANN/FWF, KLAUS RANGER, ERWIN SCHERIAU HEINRICH SCHMIDINGER

Der Wissenschaftliche Beirat der ÖFG

Martin Gerzabek, Univ.-Prof. für Umwelttoxikologie und Isotopenanwendung, BOKU Wien

Reinhard Heinisch, Univ.-Prof. für Politikwissenscha en, Universität Salzburg

Bernhard Jakoby, Univ.-Prof. für Mikroelektronik, Universität Linz

Harald Kainz, Univ.-Prof. für Siedlungswasserwirtscha , Rektor TU Graz

Wolfgang Kautek, Univ.-Prof. für Physikalische Chemie, Universität Wien

Oswald Panagl, Univ.-Prof. em. für Sprachwissenscha , Universität Salzburg

Peter Parycek, Univ.-Prof. für E-Governance, Universität für Weiterbildung, Krems

Magdalena Pöschl, Univ.-Prof. für Staatsund Verwaltungsrecht, Universität Wien

Kurt Scharr, Univ.-Prof. für Geschichte, Universität Innsbruck

Eva Schernhammer, Univ.-Prof. für Epidemiologie, Medizinische Universität Wien

Heinrich Schmidinger, Univ.-Prof. für Philosophie, Universität Salzburg, Beiratsvorsitzender

Christiane Spiel, Univ.-Prof. für Bildungspsychologie und Evaluation, Universität Wien

Barbara Stelzl-Marx, Univ.-Prof. für Geschichte, Universität Graz

FOTOS: BOKU, PRIVAT (4), LUNGHAMMER/TU GRAZ, UNIVERSITÄT WIEN, MOZARTEUM, DAVID SAILER, BARBARA MAIR, MICHAEL SCHAFFER-WARGA, VOUK, PUCH JOHANNES, WALTER SKOKANITSCH, BARBARA MAIR/UNIVERSITÄT WIEN

Viktoria Weber, Univ.-Prof. für Biochemie, Universität für Weiterbildung, Krems

Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Univ.-Prof. für Sinologie, Universität Wien

Hans Tuppy, Univ.-Prof. em. für Biochemie, Universität Wien, ehem. Wissenscha sminister

Friederike Wall, Univ.-Prof. für Unternehmensführung, Universität Klagenfurt

4 FALTER 27/23 HEUREKA 1/23 : ÖFG BEIRAT
DIE ÖFG IST EINE FORSCHUNGS FÖRDERUNGS EINRICHTUNG, GETRAGEN VON BUND UND LÄNDERN

Höhere Bildung zum Klimaschutz

Der Klimawandel bewirkt Veränderungen in der Bevölkerung ebenso wie bei deren Entwicklung

Im Gegensatz zum Klima sind die Bevölkerungszahlen in Österreich seit mehreren Jahrzehnten relativ stabil, erklärt Wolfgang Lutz, Gründer des „Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital“ in Wien. Eine Frau bekommt im Durchschnitt ein bis zwei Kinder, das heißt, die Geburtenrate beträgt 1,5. Die Bevölkerung erhält sich so nicht selbst und altert.

„Laut unseren Berechnungen ist eine Geburtenrate zwischen 1,5 und 1,7 wohl gerade richtig, wenn dadurch mehr in die Bildung der Kinder investiert wird und ihre Lebensqualität steigt“, sagt Lutz dazu. Die Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung durchläuft Veränderungen, die die Klimakrise beeinflussen können. Bestimmte Gruppen könnten von ihr besonders hart getroffen werden. Außerdem verändert der Klimawandel die Bevölkerungsstruktur der Zukunft auch durch Migration.

Bildung entscheidend bei Einstellung zum Klimawandel Zu Bevölkerungsgröße und Altersstruktur kommt als wichtige demografische Variable die „Bildung“. Das Bildungsniveau steigt hierzulande kontinuierlich. Laut Statistik Austria hatten 1981 fünf Prozent einen Hochschul- oder Akademieabschluss, 2020 waren es 19 Prozent. Bei mittleren und höheren Schule ging es von 18 auf dreißig Prozent.

„Das Bildungsniveau hat einen entscheidenden Einfluss darauf, wieweit man den Klimawandel als Problem wahrnimmt und wie flexibel man sein Verhalten ändert“, sagt Lutz: „Höher Gebildete haben ein höheres Bewusstsein für die Problematik der Klimakrise und sind schneller bereit, Verhaltensweisen umzustellen. Wir müssen jetzt rapide unsere lieb gewonnenen Verhaltensmuster ändern. Dazu müssen wir flexibel im Kopf werden. Die gute Nachricht: Der Trend zur besseren Bildung der jungen Generation unterstützt dies. Auch wenn besser gebildete Leute meist mehr Einkommen

TEXT: JOCHEN STADLER

„Bildung ist die beste Medizin sowohl für die kurzfristige Transition, die wir jetzt brauchen, als auch für die Anpassungsfähigkeit der Menschen“

WOLFGANG LUTZ, SOZIALWISSENSCHAFTLER

haben und mehr konsumieren.“ Man muss deshalb Bildung und Einkünfte stets gleichzeitig berücksichtigen.

Man sollte sich mehr um bildungsferne Schichten kümmern

„Für die Umwelt und das Klima am schlimmsten sind reiche, wenig gebildete Leute. Wenn hingegen ein Kind aus einer wenig gebildeten Familie ins Gymnasium oder an die Universität geht, bringt es viel Gelerntes, Umwelt- und Klimabewusstsein in die Familie mit. Man sollte sich daher mehr um die ‚bildungsferne Schicht‘ kümmern, das zeigen die PISA-Tests immer wieder“, meint Lutz. So kann fast ein Drittel der jungen Burschen nicht „sinnerfassend einen Satz lesen“, wie es im PISAIdiom heißt.

„Das ist natürlich ein Problem, und es betrifft nicht nur die Zuwandererkinder, wie teils behauptet wird.“ Die Akzeptanz der Klimakrise erfordert ein gewisses Vertrauen in wissenschaftliche Modelle. Bildung ist hierfür äußerst förderlich. „Sie ist also die beste Medizin, sowohl für die kurzfristige Transition, die wir jetzt brauchen, als auch für die Anpassungsfähigkeit der Menschen.“

Auch alte Menschen müssen für den Klimawandel lernen

Die Altersentwicklung in reichen Ländern ist wegen der Klimakrise problematisch. „Die Hitzewelle 2003 hat in Paris Tausenden Menschen das Leben gekostete, im Wesentlichen den Hochbetagten.“ 1980 stellten laut Statistik Austria die 16-Jährigen hierzulande die größte Gruppe, anno 2020 die 55-Jährigen. 2035 sollen es die 66-Jährigen sein. Auch bei alten Menschen können Wissen und Lernen viel bewirken. „Viele von ihnen sind damals in ihren Wohnungen an Dehydrierung gestorben“, sagt Lutz: „Es gibt Studien, die untersuchten, warum sie nicht einfach den Wasserhahn

aufgedreht und getrunken haben“. Teilweise verloren sie das Durstgefühl, was mit der Einnahme bestimmter Medikamente zu tun haben kann. Manche waren wohl durch die extreme Belastung oder geistige Krankheiten stark verwirrt. Viele wurden auch nicht ausreichend etwa von ihren Verwandten versorgt, die nicht um die Gefahr wussten. „Aber es gibt Anpassungsmechanismen. In Sevilla in Spanien herrschen fast jedes Jahr solche Temperaturen, ohne dass viel passiert. Dort weiß man, wie man sich bei extremer Hitze verhält.“

Bei Hitzewellen nach 2003 starben auch in Frankreich weit weniger Menschen. Es gab also ein großes Lernpotenzial und beobachtete Lerneffekte. Die Stadtverwaltung und die Verwandten kümmerten sich mehr um ältere Menschen, sie selbst wurden informiert, wie sie sich verhalten sollen. Auch zusätzliche Klimaanlagen wurden installiert. „Sie werden in Zukunft sehr viel öfter notwendig werden und sollten über Solarpaneele betrieben werden.“

Sollen nun alle Menschen in klimafreundlichere Städte ziehen?

Ob sich nun das Leben in den Klimakrisenzeiten vermehrt im kühlen Grünen abspielen wird, oder ob alle Menschen klimaschonender in den Städten leben sollten, ist unter Demograf:innen ein Streitthema. „Es gibt hier einige extreme Standpunkte“, erklärt Lutz.

Einerseits „Lobeshymnen für Megastädte“. Laut Berechnungen würde etwa in Schweden nur die Hälfte der Energie verbraucht und demnach weniger Treibhausgase ausgestoßen, wenn alle in Stockholm oder Göteborg wohnten.

Andererseits ziehen an Hitzewochenenden die Menschen in Massen für ein wenig Kühlung etwa aus der österreichischen Hauptstadt in den Wienerwald oder an die Campingplätze der Waldviertler Stauseen, weil sich Städte viel stärker aufheizen als Grüngebiete.

TITELTHEMA : HEUREKA 1/23 FALTER 27/23 5
FOTO: SILVERI | IIASA
Wolfgang Lutz, Universität Wien

MARTIN HAIDINGER

: HORT DER WISSENSCHAFT

Klimadramolett

Der Vorhang hebt sich und gibt den Blick auf einen Hörsaal frei. An den Wänden Spruchbänder: „Save earth!“, „Öl sparen statt bohren!“, „Ende Gelände!“ Die Bühne ist menschenleer. Kaum ein Laut ist zu hören, das einzige Geräusch stammt von einer leise surrenden Klimaanlage. Von links treten zwei Personen unbestimmten Alters und Geschlechts auf. Eine trägt das Buch „Das Ende des Kapitalismus“ unter dem Arm, die andere „Das Klimabuch von Greta Thunberg“. Sie sind ins Gespräch vertieft.

Also gut, ich würde gerne mit dir übers Klima – Gut? Gerne? Also bist du mit dem derzeitigen Zustand zufrieden? – Aber nein, woher denn! Ich wollte nur mit dir über den Klimawandel – Wandel? Es handelt sich um eine Katastrophe, hörst du? – Gewiss, ich stimme dir zu. Ich will dich ja auch nur, weil du dich auskennst, fragen –

Fragen? Hier gibt es keine offenen Fragen mehr, verstanden? Alles steht zu hundert Prozent fest. Die Wissenschaft hat gesprochen! –Dann sprich jetzt du zu mir bitte! Erkläre mir, wie die Situation derzeit ist! Der Mensch hat sich selbst in diese Situation manövriert. Er hat die Erde ausgebeutet und ihr tiefe Wunden geschlagen. Haben wir noch eine Chance, dem Untergang zu – Untergang? Das ist eine Apokalypse, kapiert?

– Gott, ja – Gott? Was hat der damit zu tun? Glaubst du vielleicht an so was? – Ach, ich glaube gar nichts

– Was? Du glaubst nicht? Leugnest du am Ende? – Was? –

Die Klima­Apokalypse natürlich. Was sonst? – Das hab’ ich doch gar nicht gesagt – Aber gedacht! – Also, hör einmal, was ich denke, geht dich nix an. – Aha! Ein Querdenker! Ein Schwurbler womöglich! – Warum drehst du mir das Wort im Mund um, Herrschaftszeiten noch einmal? –Und aggressiv auch noch! Wohl ein Putinversteher, hä? – Nein, bin ich

nicht! Was soll denn das damit zu tun haben? – Alles hat mit allem zu tun, merk dir das! Aluhutträger, Coronaschwurbler, Klimaleugner, Putinversteher! –Einen Moment, sollte das nicht Putinversteher:in heißen? – Ups, ja, du hast recht. – Rechts? Wohl bissl reaktionär, was? – Das habe ich nicht bedacht. – Nicht bedacht? Steckt wohl in dir, dieser Alltagsfaschismus, ha? – Ja, ich sag’s nie wieder, versprochen, du Putinversteher:in! – Na also, Einsicht ist der erste Weg zur Besserung! –Besserung? Angesichts der Apokalypse? – Genau deshalb will ich ja gerne mit dir übers Klima – Gerne? Also bist du mit dem derzeitigen Zustand zufrieden?

Während sie beginnen, sich mit ihren Büchern zu bewerfen, setzt Musik ein („We’re Gonna Change the World“ von Matt Monro), senkt sich der Vorhang langsam.

FLORIAN FREISTETTER

Im aktuellen Berichtszyklus hat der Weltklimarat (IPCC) mehr als 10.000 Seiten Text über den Stand der Klimakrise veröffentlicht. Es mangelt uns definitiv nicht an Wissen über die Klimakrise. Aber selbst wenn wir noch mehr wüssten, als es der Fall ist, folgt daraus nicht, dass die Welt sich so verändern wird, wie sie es müsste, um die Krise nicht zur globalen Katastrophe werden zu lassen. Wissenschaftskommunikation ist wichtig, auch in der Klimaforschung. Hier gibt es aber ein paar zusätzliche Komplikationen. Wenn zum Beispiel im Rahmen „normaler“ Wissenschaftskommunikation eine Universität erklärt, wie ein Schwarzes Loch funktioniert, kann man sich danach darüber freuen, verstanden zu haben, wie es funktioniert. Der Kommunikationsgegenstand betrifft den eigenen Alltag nicht.

Ganz anders bei der Klimakrise: Sie betrifft jeden einzelnen Menschen. Egal ob wir uns dafür interessieren oder nicht, ob wir verstehen, was passiert, oder nicht; ob wir wollen oder nicht. Die Kommunikation muss sich also auch Gedanken darüber machen, was die Information in den Menschen auslöst oder auslösen soll.

Wie reagiert man auf die Tatsache der Klimakrise? Manche verleugnen das Problem, was durchaus verständlich ist. Die notwendigen Maßnahmen werden unser Leben verändern. Wenn wir diese Maßnahmen nicht treffen, werden die Auswirkungen der Krise noch viel massiver in unseren Alltag eingreifen. Das kann einem Angst machen.

Verleugnung ist eine falsche, aber zumindest nachvollziehbare Reaktion auf diese Angst. Ebenso wie die Wut auf die Wissenschaft oder aktivistische Gruppen, die einen immer wieder mit diesem Thema konfrontieren. Die Verantwortung dafür liegt aber nicht allein bei der Wissenschaftskommunikation, sondern auch und vor allem bei der Politik.

Ihr Job wäre es, den Menschen die Angst zu nehmen. Sie müsste aktiv, schnell und sozial gerecht auf die Krise reagieren. Nicht den Menschen fälschlicherweise das Gefühl geben, es könne alles schon irgendwie so weitergehen wie bisher. Dadurch wird die Spaltung der Gesellschaft nur weiter zementiert und die Krise nicht gelöst.

6 FALTER 27/23 HEUREKA 1/23 : KOMMENTARE
WOLFGANG BENDER. ZEITSTÜCKE.
MEHR VON FLORIAN FREISTETTER: HTTP://SCIENCEBLOGS.DE/ ASTRODICTICUM-SIMPLEX
Krisenrede
22.03.2023–3792. TINTE AUF PAPIER. WOLFGANG-BENDER.COM

Aug in Aug mit Andersdenkenden

Beteiligungsverfahren wie der Klimarat können der Polarisierung der Gesellschaft entgegenwirken

Klimaaktivist:innen kleben sich auf Straßen, um die Politik zum Handeln aufzufordern. Autofahrer:innen beschimpfen die Protestierenden und versuchen manchmal, die Straße selbst wieder freizubekommen. Viele in klimarelevanten Gebieten Forschende identifizieren oder solidarisieren sich mit den Zielsetzungen der Demonstrierenden. Die Klimakrise polarisiert die Menschen. Die gesellschaftliche Mehrheit kritisiert den Aktivismus, oft ohne zu berücksichtigen, dass sie selbst Teil der Problematik ist und meist unhinterfragt an ressourcenintensiven Lebensstilen „festklebt“.

In Krisen erscheint die langfristige Perspektive weniger wichtig Diese Ambivalenz zeigt die Widersprüchlichkeit des Themas. Das Erzielen eines gesellschaftlichen Konsenses ist eine Herausforderung. Denn gerade in Krisenzeiten erscheint den Menschen die langfristige Perspektive weniger wichtig. Was zählt, ist der Moment. Um den Klimawandel in den Griff zu bekommen, sind jedoch langfristiges Denken und schnelles Handeln erforderlich.

Aus humanökologischer Sicht stellt die Klimakrise die Menschheit vor ein neuartiges Problem. Bisher haben wir Ressourcen genutzt, bis ein Engpass auftrat. Technische Innovationen erlaubten es, den Engpass zu überwinden. Diese „bewährte“ Methode funktioniert jedoch nicht im Umgang mit dem „Global Change“, der durch die menschverursachte Erderwärmung dramatisch beschleunigt wird.

Die vielen Krisenschauplätze des Global Change führen dazu, dass die Menschen nicht mehr wissen, um welches Problem sie sich zuerst sorgen sollen. Damit werden eigene Handlungsspielräume nicht erkannt bzw. verdrängt. So wird etwa in den Medien darüber diskutiert, ob Menschen zukünftig überhaupt noch Ski fahren werden können.

Dabei stellt sich die Frage, wie wir Menschen eine Heimat geben, die aufgrund des Klimawandels auch nach Österreich kommen werden, weil sie kein sicheres Zuhause mehr haben. Der weltweite Anstieg

TEXT:

ULRIKE BECHTOLD, KOAUTOR: RAINER SEEBACHER „Medien und Politik geben partizipativen Prozessen wie dem Klimarat zu wenig Raum“

ULRIKE BECHTOLD, HUMANÖKOLOGIN

des Meeresspiegels wird auch die europäischen Küstenlinien stark verändern. Forschungen zeigen, was der Klimawandel an unseren Wohnorten bewirken wird. Dies ist wichtig, um die Problematik erfahrbar zu machen.

Bürger:innenräte gegen die gesellschaftliche Polarisierung

Die Bereitschaft zu handeln ist laut Eurostat­Umfragen erfreulich hoch – mit einem Value­Action­Gap: Wir wissen zwar, was wir tun sollten, lassen es dann aber im Alltag. Hier ist Forschung nötig, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen Menschen wirklich handeln. Man muss dabei aufpassen, nicht alle Verantwortung den Bürger:innen zuzuschieben. Doch viele Beteiligungsverfahren zeigen, dass Menschen bereit sind, selbst unpopuläre Maßnahmen zu akzeptieren, ja zum Teil fordern sie diese sogar von der Politik. Die Scheu der Politik vor unpopulären Entscheidungen und ihre Abwarten­Strategie sind, so gesehen, schwer verständlich.

Um der gesellschaftlichen Polarisierung entgegenzuwirken, braucht es jetzt neue Strategien. Beteiligungsverfahren wie Bürger:innenräte können helfen, die Polarisierung zu überwinden. Vereinfacht gesagt, treffen sich hier alle an einem Tisch und diskutieren miteinander. Eine professionelle Moderation sorgt dafür, dass auch alle gehört werden. Dazu braucht es eine thematisch sinnvolle Gestaltung, ausgewogene Information, die alle bekommen, und viel Raum für die Diskussion der Themen. Wenn Menschen einander zuhören, führt das zu einer Erweiterung ihrer eigenen Lebenswelt und öffnet neue Perspektiven.

Bei Beteiligungsverfahren treffen Menschen aufeinander, die im Alltag selten miteinander sprechen. In einem solchen Rahmen schauen der Lkw ­ Fahrer und die Klimaaktivistin einander an, wenn sie über hohe Spritpreise oder Tempolimits diskutieren. Bürger:innenräte sind eben kein Stammtisch, an dem sich die sozial Stärkeren durchsetzen. Nachbefragungen zeigen, dass sie zu weitreichenden Lerneffekten und Einstellungsveränderungen führen. Bürger:innenräte erlau­

ben, Schwierigkeiten und Klüfte in der Gesellschaft zu orten. Dabei ist es wichtig, die gesamte soziodemografische Vielfalt einzubeziehen. Ab etwa hundert Teilnehmenden können Alter, Geschlecht, Bildung, ländliche und städtische Verteilung usw. in den Anteilen eingeladen werden, die der prozentuellen Verteilung in Österreich entspricht. Damit kann das gesamte Meinungsspektrum abgebildet werden.

Beteiligungsverfahren bekommen zu wenig mediale Aufmerksamkeit

Eines der größten Beteiligungsverfahren fand 2009 im Vorfeld der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Kopenhagen COP15 statt. Beim „World Wide Views on Global Warming“ diskutierten 4.000 Bürger:innen weltweit jene Fragen, mit denen sich dann die Politiker:innen auf der Klimakonferenz beschäftigten. Bereits damals war die Zustimmung zu zum Teil unpopulären politischen Maßnahmen überraschend hoch. Die Bürger:innen forderten die Politik zu schnellem und effektivem Handeln auf.

13 Jahre später trafen sich beim österreichischen Klimarat wieder rund hundert Bürger:innen und erarbeiteten konkrete Empfehlungen für die Politik. Die Medien gaben diesem Verfahren zwar mehr Raum als vor 13 Jahren, trotzdem weiß die Mehrzahl der Österreicher:innen offenbar nicht genau, was der Klimarat ist.

Medien und Politik geben partizipativen Prozessen bisher nicht den Raum, den ihre Ergebnisse verdienen. Und oft wird infrage gestellt, ob sie repräsentativ seien. Die Antwort kann nur ja sein, da, richtig gemacht, die ganze gesellschaftliche Meinungsvielfalt abgebildet wird. Und je mehr Menschen diesem Verfahren das zutrauen, umso eher werden auch jene daran teilnehmen, die zuvor skeptisch waren.

Um das Vertrauen in Dialogprozesse zu stärken, brauchen wir Bürger:innenräte, deren erarbeitete Ergebnisse beachtet werden. Erst wenn ihr konstruktives Potenzial erkannt wird, können partizipative Prozesse wie der Klimarat die Politik bei ihren Entscheidungen tatsächlich fundiert unterstützen.

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Ulrike Bechtold, Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) FOTO: ULRIKE BECHTOLD

Tausend Euro Diversionsstrafe musste der Fahrer eines Jaguars zahlen, weil er vergangenen Herbst eine 27-jährige Klimaaktivistin mit voller Absicht „aufgegabelt“ hatte, als sie auf einem Schutzweg stand. Die Hämatome auf ihren Beinen sind ausreichend dokumentiert.

Die Klimadebatte hat die Stimmung im Lande gewaltig aufgeheizt. Zum einen zwischen Klimaaktivist:innen und jenen Personen, die aufgrund von deren Aktionen ihre Termine versäumen, etwa weil sie im Stau stecken. Im Zuge dessen kommt es immer wieder zu Rufen nach oder Versuchen von Selbstjustiz. Zum anderen radikalisieren sich auch die Klimaaktivist:innen zunehmend. Allein im Mai kam es laut Innenministerium zu 432 Anzeigen sowie 166 Festnahmen. Bei der Präsentation des Verfassungsschutzberichts 2022 wurde außerdem bekannt, dass einige dieser Personen unter Beobachtung stehen. Das ist neu. Allerdings, sagte der Innenminister, seien „Menschen, die sich für Umweltschutz einsetzen, natürlich nicht per se als verfassungsfeindlich einzustufen“.

Wie konnte es zu einer solchen Polarisierung kommen?

Die Protestierenden sagen, sie seien verzweifelt, weil die Politik wider besseres Wissen nicht handle. Aber würden die Protestmaßnahmen abflauen, wenn in den Augen der Protestierenden genügend „scharfe“ Klimaschutzmaßnahmen beschlossen wären? Oder könnten fortdauernde Protestmaßnahmen nicht sogar dazu führen, dass die Regierung aus Angst vor Stimmverlusten durch die Mehrheitsbevölkerung bestimmte Gesetze gar nicht mehr anzugreifen wagt?

„Tempo 100“ auf der Autobahn ist so ein Beispiel. Es wäre rasch umzusetzen, außerdem vergleichsweise günstig. Aber es ist unpopulär. „Tempo 100 auf Österreichs Autobahnen findet bei nur vierzig Prozent der Befragten Akzeptanz. Eine positive Einstellung zeigt sich am ehesten bei jüngeren Personen bis dreißig Jahre. 45 Prozent der 17bis 30-Jährigen befürworten Tempo 100 auf Österreichs Autobahnen. Je älter die Bevölkerung, desto stärker die Ablehnung.“ Das ergab eine Onlineumfrage unter 1.000 Personen im Auftrag der Wiener Städtischen Versicherung. Ein von oben verordneter „autofreier Tag“ wie in den 1970er-Jahren erscheint vor diesem Hintergrund gänzlich unumsetzbar.

Weil die Bevölkerungspyramide mittlerweile auf dem Kopf steht, hält auch die ÖVP am (E-Fuel-)Verbrenner fest. Die SPÖ hat durch ein Junktim mit Anti-Teuerungsmaßnahmen ihre Zustimmung und damit die

Vergiftetes Klima

TEXT: SABINE EDITH BRAUN

notwendige Zweidrittelmehrheit zur Umsetzung der EU-Energieeffizienz-Richtlinie verweigert. Das mit einfacher Mehrheit beschlossene Energieeffizienzgesetz sieht nunmehr zwar Richtwerte, aber keine Verpflichtungen für die Bundesländer vor.

Angesichts dessen könnte man fragen: Braucht es eine Grüne Partei überhaupt noch, wenn sie nicht einmal in Regierungsverantwortung in der Lage ist, für die Umsetzung grüner Poltik zu sorgen? Was ist das Etikett „grün“ wert? Schließlich haben alle Parteien mittlerweile das Umwelt- und Klimaschutzthema in ihr Parteipogramm aufgenommen. Muss „grüne“ Politik oder zumindest der Anspruch darauf überhaupt von einer grünen Partei kommen? Warum nicht von anderen?

„Partei ist nicht Partei“, sagt der Politologe Anton Pelinka von der Universität Innsbruck dazu. „Eine Partei, die den Klimawandel als Erfindung und Teil einer Verschwörung hinstellt, wird ganz anders programmatisch mit dem Thema umgehen als eine Mainstream-Partei oder eine explizit ökologische Partei.“ Hintergrund dafür seien die Brüche in der Gesellschaft: „Weil es ‚den Wähler‘ oder ‚die Wählerin‘ nicht gibt, sondern mehr oder weniger grün-affine oder anti-grün-affine, reagieren die Parteien verschieden auf das Thema – und werden es auch in Zukunft tun. Parteien der Mitte, wie etwa ÖVP, NEOS und SPÖ, werden dem Thema freilich nicht ausweichen können oder wollen“, meint Pelinka.

Wie könnte ein Engagement für das Klima noch aussehen?

Fällt es zurück auf das Individuum, das für sich allein Klimaschutz durch entsprechendes (Einkaufs-)Verhalten betreibt? Das wäre zwar einfach, wenn auch mangels sichtbarer Ergebnisse frustrierend. Doch viele einzelne Menschen können sich als „Graswurzelbewegung“ zusammenschließen, um selbst mitzugestalten. Genau das haben die Grünen einst getan. Was als Graswurzelbewegung vor vierzig Jahren in Hainburg begann, ist nun in Regierungsverantwortung.

Eine andere Möglichkeit des Inputs aus der Bevölkerung: ein Volksbegehren. Aus den insgesamt 400.000 Unterschriften des Klimavolksbegehrens von 2020 wurde 2021 der Klimarat gegründet (siehe Seite 7). Eine Gruppe von zufällig ausgewählten Personen aus allen Regionen und Teilen der Gesellschaft, also ein „Mini-Österreich“, sollte mittels Vorschlägen aktiv bei den Klimaschutzmaßnahmen der Regierung mitbestimmen können. 93 Empfehlungen sind es insgesamt geworden. In einem Gesetz verwirklich wurde bis dato keine einzige.

Sind die radikalen Klimaproteste also doch die letzte Möglichkeit, dass sich etwas bewegt? Eines haben sie deutlich gemacht: die gesellschaftlichen Brüche. „In den unterschiedlichen Reaktionen sehen wir, wie uneinheitlich Gesellschaft und Politik sind“, sagt Anton Pelinka. „Banalitäten wie ‚Das Anliegen ist wichtig, nur die Methoden der Klimakleber sind falsch‘ werden auf Dauer nicht weiterhelfen, die Widersprüche zuzudecken. Für ‚grüne‘ Parteien wird es wichtig sein, sich nicht als Partei der Unverbindlichkeit hinstellen zu lassen. Das ist vor allem für (mit-)regierende grüne Parteien schwierig, weil sie ja auf traditionelle Mainstreamparteien, mit denen sie in der Regierung sind oder sein wollen, Rücksicht zu nehmen haben. Grüne müssen aufpassen, die Gratwanderung zu schaffen. Zwischen einer Glaubwürdigkeit gegenüber Klimakleber:innen und anderen Aktionist:innen und der Regierungsbereitschaft sowie der damit verbundenen Kompromissbereitschaft. Wenn ‚grüne‘ Parteien diese Gratwanderung nicht schaffen, drohen sie verzichtbar zu werden“, prophezeit der Politologe.

Das Geschehen im Rest der Welt zeigt, dass es in unseren politischen Debatten nicht nur um den Klimawandel gehen kann. „Wichtig ist die Einsicht, dass es keine national verengte Politik geben kann, die Aussicht auf Erfolg haben will; weder im Kampf gegen den Klimawandel noch in einer Politik der Solidarität etwa mit der Ukraine oder mit den von Armut bedrohten Teilen der Gesellschaft. Es braucht mehr und nicht weniger Europa“, sagt Anton Pelinka.

Klima-Dystopien im Buchregal

• David Klass: Klima –Deine Zeit läuft ab (Goldmann 2021)

• Naomi Oreskes, Erik M. Conway: Vom Ende der Welt. Chronik eines angekündigten Untergangs (oekom 2015)

• Sarah Raich: All that’s left (ivi 2021)

• Lisa-Marie Reuter: Exit this City (Fischer Tor 2021)

• Dirk Rossmann: Der neunte Arm des Oktopus (Lübbe 2020)

• Mirjam Wittig: An der Grasnarbe (Suhrkamp 2022)

8 FALTER 27/23 HEUREKA 1/23 : TITELTHEMA
FOTO: PRIVAT
„Wichtig ist die Einsicht, dass es keine national verengte Politik geben kann, die Aussicht auf Erfolg haben will“
ANTON PELINKA, JURIST UND POLITOLOGE
Neben ökologischen Auswirkungen mit allen resultierenden Folgen bringt die Klimadebatte auch eine Reihe politischer Effekte mit sich, erklärt der Politiologe Anton Pelinka
Anton Pelinka, Central European University
TITELTHEMA : HEUREKA 1/23 FALTER 27/23 9
ILLUSTRATION:
„Technologieoffenheit“ – Benjamin Palme benjamin.palme@protonmail.com BENJAMIN PALME

Gefährdet das Klima unsere Gesundheit?

Was die Klimakrise für unsere Gesundheit bedeutet und wie sie zunehmend zu einem größeren Risikofaktor wird

Die Klimadebatte polarisiert wie kaum eine andere. Der gesellschaftliche und mediale Diskurs dreht sich um Buzzwörter wie „Tempo 100“ und „Klimakleber:innen“, während die Wissenschaft bereits lange an den Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit forscht. PublicHealth-Systeme stehen vor neuen Herausforderungen und müssen Resilienz bilden.

Klimaschutz hat positive Wirkung auf unsere Gesundheit

Der vergangene Sommer war von zahlreichen Hitzewellen geprägt. Manche Landesteile hatten mit extremer Dürre, andere mit Starkregen zu kämpfen. Der südburgenländische Zicksee hat sich innerhalb weniger Monate in eine Sandwüste verwandelt. Dabei galt er als wichtigster Lebensraum für Ziesel, bestimmte Fische und Graugänse. Heute ist er komplett ausgetrocknet.

„Die Prognosen zeigen, dass die Hitzeperioden deutlich häufiger werden, länger dauern und auch heißer sind“, erklärt der Umweltmediziner Hans-Peter Hutter. Als Experte für Environmental Research and Public Health erforscht er Umweltrisiken und wie sie unsere Gesundheit beeinflussen.

Er sieht im Klimaschutz auch Maßnahmen für den Gesundheitsschutz: „Wenn wir Umweltbelastungen wie Luft- und Wasserverschmutzung verringern, dann würden wir gleichzeitig die Ursache für viele Erkrankungen mitbekämpfen.“ Die Natur zu schützen bedeutet, unseren Lebensraum zu bewahren. „Biodiversität stellt Ökosystemleistungen bereit, die auch wesentlich für die menschliche Gesundheit sind. Der dramatische Biodiversitätsverlust stellt somit auch eine Bedrohung der menschlichen Gesundheit dar“, schreibt das Robert KochInstitut in seinem Sachstandsbericht „Klimawandel und Gesundheit 2023“ in der dritten Ausgabe einer Beitragsreihe des Journal of Health Monitoring

Beim Klimawandel ist es wie bei umfallenden Dominosteinen: Ein Stein stößt den nächsten nieder. In der Realität bedeutet dies, dass Extremwetterereignisse weitreichende gesundheitliche Folgen haben. Überschwemmungen machen nicht nur Siedlungen unbewohnbar, sondern erschweren hygienische Maßnahmen an Ort und Stelle und erhöhen das Risiko für Infektionskrankheiten. Der Temperaturanstieg verlängert die wärmeren Jahreszeiten ebenso wie die Pollenflugsaison, und damit steigt die Allergiebelastung. Die hohen Temperaturen an Hitzetagen, also Tage mit Temperaturen über dreißig Grad Celsius, können neben Einbußen der Leistungsfähigkeit auch zu schweren Komplikationen

TEXT: MONA SAIDI

„Es ist notwendig, Gesundheitsdaten zu sammeln, um die vulnerablen Zielgruppen besser identifizieren zu können“

ANITA RIEDER, VIZEREKTORIN MEDUNI WIEN

führen etwa im Zuge eines Hitzeschlags. Das ist besonders für Menschen mit Vorerkrankungen oder Personen, die in der Hitze schwere körperliche Arbeit verrichten, gefährlich, etwa auf Baustellen oder in der Landwirtschaft.

Wenn die Temperaturen nachts nicht unter zwanzig Grad sinken, rauben diese sogenannten Tropennächte vielen Menschen den Schlaf und senken die Produktivität am Arbeitsplatz. Die Leistung wird aber weiterhin gefordert. „Das Klima beeinflusst auch andere gesellschaftspolitische Bereiche, und die betreffen immer auch die Gesundheit“, sagt die Vizerektorin der Medizinischen Universität Wien, Anita Rieder. Bisher dachte sie in unterschiedlichen Positionen Gesundheit stets als Dimension mit. Heute führt sie in die Lehrinhalte der Medizinischen Universität Wien neue Anpassungsstrategien für die menschliche Gesundheit unter dem Klimawandel ein. Sie stellt sich die Frage, wie wir das derzeitige Gesundheitssystem in ein nachhaltiges und vor allem widerstandfähiges transformieren können.

Um die Zusammenhänge einer globalen Krise auf einen kleineren Maßstab zu skalieren, ein Beispiel: Österreich betoniert wertvollen Boden zu, und zwar in rasantem Tempo. Laut dem „Bodenreport 2023“ des WWF verschwinden in Österreich seit der Jahrtausendwende pro Minute 120 Quadratmeter für Einkaufsmärkte, Parkplätze, Straßen, Gewerbegebiete und Logistikzentren. Wenn fruchtbarer Boden dem Asphalt weichen muss, geht auch Biodiversität verloren.

Parkplätze und Gewerbegebiete statt Biodiversität Der dramatische Verlust an Biodiversität hat sowohl direkten als auch indirekten Einfluss auf unsere Gesundheit. Zum einen hängen Medizin und Nahrung an der Vielfalt der Pflanzenwelt. Zum anderen nehmen unversiegelte Flächen bei Starkregenereignissen die Wassermengen besser auf und erhitzen sich im Hochsommer langsamer als Asphalt. Wenn enorme Regengüsse nicht abfließen, steigt das Risiko für Erdrutsch, Mure und Bergsturz, aber auch für Hochwasser. Die kommunalen Entwässerungsanlagen sind nicht für derartige Mengen dimensioniert. Laut dem Umweltbundesamt ging im Jahr 2021 im Schnitt jeden Tag die Fläche von rund acht Fußballfeldern durch Versieglung dauerhaft verloren. „Fakt ist, dass unsere Städte heißer werden“, erklärt der Umweltmediziner HansPeter Hutter. „Einfache, aber wirksame Methoden sind etwa das Begrünen von Außen-

fassaden oder Sonnenschutz außen an den Fenstern, damit die Hitze draußen bleibt.“ Zu etwas kühleren Raumtemperaturen können ein energiesparsamer Ventilator beitragen oder das Einschränken des Lüftens von Wohnraum auf bestimmte Zeiten wie morgen, abends und nachts.

Außerhalb der Wohnung sollte man lange Aufenthalte in der Mittagssonne vermeiden und sogenannte Green Spaces aufsuchen, etwa grüne, schattige Parkanlagen. Diese kleinen Oasen inmitten der Stadt bieten Schutz und Abkühlung. „Die Stadtplanung ist ein ganz wesentliches Instrumentarium, um unsere Städte hitzefitter zu machen. Der Verschränkung von Gesundheitszielen und der Gesundheitsplanung einer Stadt mit ihrer Stadtplanung kommt essenzielle Bedeutung zu. Dabei ist eine entsprechende Expertise im Bereich Klima und Gesundheit für neue und bereits laufende Projekte wichtig“, sagt Vizerektorin Rieder. „Die entsprechenden Gremien sind prinzipiell vorhanden.“

Besonders ärmere und ältere Menschen sind gefährdet Soziale Ungleichheit spielt im Klimawandel eine große Rolle. Also auch bei der Gesundheitsversorgung, da sich sozioökonomisch schwächere Personen schlechter vor den Auswirkungen von Wetterextremen schützen können.

„Deshalb ist es umso notwendiger, Gesundheitsdaten zu sammeln, um auch die vulnerablen Zielgruppen besser identifizieren zu können. Nur so können nötige Ressourcen identifiziert und passende Maßnahmen gesetzt werden“, erklärt Anita Rieder. Daten über Klimaänderungen und Emissionen beeinflussen auch Gesundheitsempfehlungen.

Rieder führt als Beispiel an: „Regelmäßige körperliche Aktivität ist ein zentraler Faktor für gesünderes Leben und für die Prävention von Erkrankungen. Doch wenn vier Monate im Jahr zu hohe Temperaturen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördern, dann sind Bewegungsempfehlungen in der Realität nicht mehr vernünftig. Es braucht ein intensives Nachdenken, wie wir unter solchen klimatischen Bedingungen Präventionsmaßnahmen umsetzen können. Denn es werden wieder die vulnerablen Gruppen sein, die den größten Nachteil für ihre Gesundheit erfahren werden, etwa auch viele der älteren Menschen. Um katastrophale Umstände zu vermeiden, müssen Synergien zwischen Klimawandelanpassung, Public-Health-Strategien und Umweltschutz erkannt und genutzt werden.“

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FOTO: MEDUNIWIEN/FEELIMAGE, HERIBERT CORN
Anita Rieder, MedUni Wien Hans-Peter Hutter, MedUni Wien
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ILLUSTRATION: MANDY ZANINOVIĆ
„Klimakampf“ – Mandy Zaninović www.mandyzani.at, Instagram: @ydnaminaz, @mandyzani

Vom Freitag in den Alltag

Die „Fridays for Future“-Bewegung hat das lange vorherrschende Bild einer desinteressierten und unpolitischen Jugend verändert

Skolstrejk för klimatet“ stand auf dem selbst gemalten Plakat der 15-jährigen Schülerin, die sich am ersten Schultag nach den Sommerferien im August 2018 vor dem schwedischen Reichstag in Stockholm postierte. Drei Wochen lang, bis zur schwedischen Reichstagswahl, kam sie jeden Tag wieder. Danach war sie regelmäßig freitags vor Ort, um gegen den Klimawandel zu protestieren.

Mittlerweile ist Greta Thunberg, die mit ihrem „Schulstreik für das Klima“ und ihrer Forderung nach einer konsequenten Klimapolitik die „Fridays for Future“-Bewegung begründet hat, international bekannt. Demonstrierte sie anfangs noch allein, schlossen sich ab November 2018 junge Menschen auf der ganzen Welt dem Schulstreik an. Am 15. März 2019 nahmen nach Angaben der Organisatoren schließlich über 1,5 Millionen Menschen in rund 2.000 Städten in über 125 Ländern am ersten weltweit organisierten Klimastreik von „Fridays for Future“ teil.

Die Entwicklung der Bewegung in Österreich

„In Österreich hat die Bewegung mit einer Handvoll Studierender begonnen, die, inspiriert von Greta Thunberg, am Heldenplatz protestierten“, sagt Anna Deutschmann, Sozialwissenschaftlerin am Zentrum für Soziale Innovation und Lektorin an der Universität Wien. „Im weiteren Verlauf waren bei den Streiks dann sogar ganze Schulklassen dabei.“ Deutschmann hat zu sozialen Bewegungen geforscht und mit ihrer Kollegin Antje Daniel und Studierenden des Instituts für Internationale Entwicklung die Klimaproteste von „Fridays for Future“ seit den Anfängen in Österreich wissenschaftlich begleitet. Regelmäßig wurden Befragungen bei den Protesten und Interviews mit Aktivistinnen und Aktivisten durchgeführt: „Das Spannende ist, dass wir hier die Gelegenheit hatten, die Entwicklung einer Bewegung von Beginn an und über einen längeren Zeitraum direkt zu beobachten.“

Schnell wurde auch hierzulande aus dem Protest Einzelner eine Bewegung, der es gelungen ist, sehr viele Menschen zu mobilisieren. „Überraschend ist dabei unter anderem, mit welch enormer Geschwindigkeit die Mobilisierung stattgefunden hat“, so Deutschmann. „Viele Teilnehmende sind gemeinsam mit Menschen, die sie bereits kannten, zu den Protesten gekommen. Sie sind von Freunden und Bekannten angesprochen worden. In Schulen und Universitäten wurde ebenfalls darauf aufmerksam gemacht, und auch die sozialen Medien

haben für eine schnelle Verbreitung und Reichweite gesorgt.“ Es entstand außerdem eine Vielzahl solidarisierender Initiativen wie beispielsweise „Scientists for Future“, „Artists for Future“ oder „Teachers for Future“, die die Anliegen der Bewegung unterstützen.

Junge und weibliche Personen der mittleren und oberen Mittelschicht

„Die Aktivistinnen und Aktivisten von ‚Fridays for Future‘ sind überwiegend gut gebildet und haben oft einen höheren Bildungsabschluss beziehungsweise streben diesen an“, erklärt Deutschmann. Durch ihre Beteiligung an der Bewegung setzen sie weitere Lern- und Bildungsprozesse in Gang, die Mitwirkenden entwickeln sich weiter und profitieren dabei voneinander.

„Wie kann man an Demokratie teilnehmen, wenn man nicht wählen darf? Wie sich einbringen?“

ANNA DEUTSCHMANN, SOZIALWISSENSCHAFTLERIN

Dabei kann es um nachhaltiges Verhalten im Alltag ebenso gehen wie um einschlägiges Fachwissen: „So kennen sich die Aktivistinnen und Aktivisten etwa in der Thematik oft hervorragend aus und sind sehr kenntnisreich im Bereich der Umwelt- und Klimapolitik.“

Grundsätzlich sei die Bewegung stark von jungen und weiblichen Personen getragen, die sich der mittleren und oberen Mittelschicht zuordnen, sagt Anna Deutschmann: „‚Fridays for Future‘ möchte eine inklusive Bewegung sein – schließlich betreffen ihre Anliegen alle Menschen.“ Diese relative interne Homogenität führt allerdings dazu, dass Teile der Gesellschaft nicht eingeschlossen beziehungsweise nur schwer zu erreichen sind. Die multiplen Krisen der letzten Jahre, wie der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, hohe Inflation und die Pandemie, verstärken diese Problematik noch: „Teile der Gesellschaft haben unmittelbarere Ängste um die eigene Existenz, das hat für viele Priorität.“

Der Klimaprotest ist heute ein anderer als vor viereinhalb Jahren Schwer war es für die Aktivistinnen und Aktivisten, ihre regelmäßigen Proteste während der Corona-Pandemie aufrechtzuerhalten. „So etwas ist unter normalen Umständen schon eine Herausforderung, und zeitweise waren während der Pandemie große Demonstrationen ja gar nicht möglich“, meint Anna Deutschmann. In dieser Zeit hat „Fridays for Future“ versucht, andere Wege des Protests und der Mobilisierung zu finden: etwa die Durchführung von digitalen Klimastreiks und andere kreative Formen des Protests. „Es ist zunehmend auch eine Konzentration auf lokale Themen und Anliegen zu beobachten, wie beispielsweise

in Wien. So wurde hier die ‚LobauBleibt‘Initiative von ‚Fridays for Future‘ unterstützt.“ Die Bewegung hat sich in den letzten Jahren durch die unterschiedlichen Einflüsse gewandelt. Der Klimaprotest ist heute ein anderer als vor viereinhalb Jahren. Die freitäglichen Schulstreiks etwa gibt es so nicht mehr. „‚Fridays for Future‘ ist schon noch Thema, aktuell erscheint der Klimaprotest in der gesellschaftlichen Wahrnehmung aber eher von Aktionen der ‚Letzten Generation‘ und den sogenannten Klima-Klebern geprägt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die mediale Berichterstattung.“ Obwohl sich die Anliegen beider Bewegungen überlappen, greift die „Letzte Generation“ zu Protestmitteln, von denen sich „Fridays for Future“ teils distanziert: „Natürlich besteht auch eine gewisse Frustration, da auf den lang andauernden Protest bisher nicht viel Konkretes aus der Politik gefolgt ist.“

Verändert haben die vergangenen Jahre dennoch einiges: Einerseits ist die Klimaproblematik aus der öffentlichen und politischen Diskussion nicht mehr wegzudenken, andererseits hat sich durch die „Fridays for Future“-Bewegung das lange vorherrschende Bild einer desinteressierten und unpolitischen Jugend überholt. „‚Fridays for Future‘ zeigt, dass sich junge Menschen durchaus über politische Belange informieren und auch bereit sind, für ihre Anliegen einzustehen“, betont Deutschmann. „Ganz allgemein wirft das auch die Frage auf, wie man an Demokratie teilhaben kann, wenn man nicht wählen darf, oder auf welche Weise sich junge Menschen Gehör verschaffen und einbringen können.“

Künftig werden sich weitere Gruppierungen ausbilden, die sich vernetzen und weiterentwickeln, glaubt Deutschmann: „Die Forschung hat gezeigt, dass sich Bewegungen oft zunehmend professionalisieren und institutionalisieren. Es könnten auch Splittergruppen entstehen. Am Beispiel der Grünen Parteien sieht man, wie aus AntiAtomkraft- und Umweltbewegungen politische Parteien entstanden sind.“ Auch würden alternative Wege des Engagements genutzt: Katharina Rogenhofer, Mitbegründerin von „Fridays for Future“ Österreich, sei etwa Sprecherin des Klimavolksbegehrens geworden.

Obwohl sich vieles ändere, ist für Anna Deutschmann klar, dass – wie schon in der Vergangenheit – „Fridays for Future“ beziehungsweise die Klimabewegung Mittel und Wege findet, um präsent zu bleiben: „Die Bewegung existiert bereits seit mehr als vier Jahren und hat im Bewusstsein der Menschen viel verändert. Das Thema verschwindet nicht mehr so leicht.“

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FOTO: KLAUS RANGER
TEXT: CLAUDIA STIEGLECKER Anna Deutschmann, Zentrum für Soziale Innovation (ZSI) und Universität Wien
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ILLUSTRATION:
„Superkleber“ – Yona Schuh www.kabujiro.com Instagram @kabujiro
YONA SCHUH

Aufklärung über Nachhaltigkeit

Das Klima ist an der Montanuniversität schon lange Thema. Zeit, dass alle von ihren Anstrengungen dafür erfahren

Helmut Antrekowisch ist Leiter der Nichteisenmetallurgie an der Montanuniversität Leoben. Seine Schwerpunkte sind Primärmetallurgie, Recycling und Werkstofftechnik von Nichteisenmetallen. Antrekowitsch wurde 2012 gemeinsam mit seinem Bruder Jürgen von der Presse zum „Österreicher des Jahres“ in der Kategorie Forschung gewählt. Er erklärt, was diese Universität im Bereich Klimaschutz an Aktivitäten setzt.

Herr Antrekowitsch, seit wann nimmt das Thema Klima an der Montanuniversität einen prominenten Stellenwert ein?

Helmut Antrekowitsch: Seit über dreißig Jahren. Wir beschäftigen uns seit etwa 1990 intensiv mit Recycling, Energieeffizienz bei Herstellungsprozessen, Verringerung der Emissionswerte, Verwertung von Reststoffen, Abfallwirtschaft und Energietechnik. Wir bieten seit zehn Jahren ein Recyclingtechnikstudium an. Der Komplex Abfallwirtschaft ist bei uns seit 1992/93 ein großes Thema. Damals wurde das Studium des Industriellen Umweltschutzes eingerichtet. Es gibt mittlerweile kaum eine Studienrichtung in Leoben, die nicht starke Bezüge zum Thema Klimawandel hat. 2022 wurde das Studium Umwelt- und Klimaschutztechnik eingeführt. Ein Schwerpunkt bildet außerdem die Gewinnung und der Einsatz von Wasserstoff als Alternative zu fossilen Energieträgern etwa bei der Produktion von Metallen.

Wie passen Metalle mit Klimaschutz zusammen?

Antrekowitsch: Metalle sind für unseren Wohlstand, in allen Prozessen und für die Energietransformation, also einfach in allen Lebenslagen, notwendig. Ohne Metalle gibt es keinen Umwelt- und Klimaschutz. Beispielsweise werden Seltene Erden, Aluminium, Stahl und Edelmetalle für sämtliche nachhaltigen Technologien benötigt, also für Fotovoltaik, Windkraftanlagen, Elektrolysen zur Wasserstoffproduktion, Abgas- sowie Abwasserreinigungsanlagen und vieles andere mehr. Die gesamte derzeitige und künftige nachhaltige Entwicklung ist ohne Metalle undenkbar. Diese Zusammenhänge zu zeigen, ist Aufgabe der Universität in Leoben sowohl in Lehre und Forschung als auch bei der Kommunikation mit der Gesellschaft.

Sie kooperieren viel mit Schulen. In welcher Art?

Antrekowitsch: Meistens kommen die Schülerinnen und Schüler zu uns, um die Vielfalt der Technik und Wissenschaft zu erfahren, da dies an den Schulen selbst in

INTERVIEW: BRUNO JASCHKE

„Weltweit werden etwa 25 Prozent des benötigten Wasserstoffs in Raffinerien verbraucht. Also für die Produktion von Benzin, Diesel etc.“

größerem Umfang oft nicht möglich ist. Bei uns können sie auch Versuche durchführen. Die Universität verfügt über Pilotanlagen etwa im Abfallwirtschaftsbereich. Hier können wir die Trennung von Reststoffen, angefangen vom Hausmüll bis zu irgendwelchen Schrotten, ganz gezielt durchführen, um diese wieder aufzuarbeiten.

Versuchen Sie, Kinder aller Alters- und Schulstufen zu erreichen?

Antrekowitsch: Ja. Es ist ganz wichtig, bei den Jüngsten anzufangen, damit sie ein Bewusstsein für die Problematik entwickeln. Das zeigte sich schon Anfang der 1990erJahre, als es um Abfallwirtschaft und Mülltrennung gegangen ist und in Schulen und an Universitäten diese Thematik vorangetrieben wurde. Etwas provokant gesagt, haben dann oft die Kinder die Eltern zur Mülltrennung erzogen.

Richten Sie sich auch an die Bevölkerung?

„Wenn Klimaund Wissenschafts themen in den Medien fundiert gebracht würden, wäre das ein riesiger Schritt“

HELMUT ANTREKOWITSCH, METALLURG

Antrekowitsch: Ja, und das sollte in Zukunft noch stärker miteinander verschränkt werden: Schule – Universität – Kommune. Die Universität in Leoben wird in den nächsten Monaten eine Wasserstoffhalle errichten und einen Bereich schaffen, an dem wir Wasserstoff und Kohlenstoff gewinnen, übrigens ein kritisches Element in Europa, das wir importieren müssen, und die Bevölkerung dazu vor Ort informieren. Es werden Veranstaltungen stattfinden, an denen alle mitwirken können und erfahren, dass sie alle Teil der Lösung von Umweltproblemen sein können.

Wie groß ist in Österreich die Bereitschaft, das Klimathema in die Bildung zu integrieren?

Antrekowitsch: Ich glaube, sehr groß. Ich weiß, dass an den Schulen viel passiert, auch von Ministeriumsseite her gibt es Unterstützung. Das Bildungsministerium versucht, nachhaltige Themengebiete zu forcieren. Wir an der Universität Leoben beispielsweise sind Teil einer EU Knowledge Innovation Community, die sich mit der klimafreundlichen Gewinnung von Rohstoffen beschäftigt. Auch im Rahmen der Europäischen Universitäten, bei denen wir im Bereich Sustainable Consumption and Production den Vorsitz haben, steht die Nachhaltigkeit im Mittelpunkt der Bemühungen. Hier muss die Bevölkerung mitgenommen werden. Ich glaube, die Kinder und Jugendlichen sind sehr begeisterungsfähig und wollen auch selbst einen Beitrag leisten.

Sie arbeiten viel mit der Industrie zusammen. Die behauptet, in ihrem Umweltbewusstsein der Politik eklatant voraus zu sein.

Antrekowitsch: Es ist tatsächlich so. Teile der Industrie in Österreich leisten im Bereich Klimawandel und Energietransformation sowie bei der Nachhaltigkeit sehr viel. Gleichzeitig ist es aber auch von der Politik her notwendig, entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen vorzugeben. Auf dem Gebiet Wasserstoff, Fotovoltaik, energieeffiziente Produktion und vielen anderen passiert einiges. Daher ist es auch wichtig, dass Firmen, die in Nachhaltigkeit investieren und sich auch im Bereich der diesbezüglichen Bildung engagieren, entsprechend unterstützt werden, und nicht jene, die an veralteter Technologie festhalten. Auch die Banken drängen in Richtung Nachhaltigkeit, was sich in gestiegenen Krediten für klimarelevante Projekte zeigt.

Hat sich dieses Denken also auch bei den Banken durchgesetzt?

Antrekowitsch: Gerade dort, während es Teilen der Politik manchmal leider zu schnell geht. Das zeigt sich etwa bei der Elektromobilität, die, im Gesamten betrachtet, enorme Vorteile gegenüber den Verbrennungsmotoren besitzt. Hierbei sollten besonders die Themenbereiche Schadstoffe bei einer dezentralen Verbrennung sowie die strategische und damit politische Abhängigkeit von Erdöllieferländern betrachtet werden. Benzin und Diesel kann ich als Autobesitzer nicht selbst erzeugen, Strom schon!

Wie sehen Sie die Rolle der Medien?

Antrekowitsch: Als entscheidend. Wenn Klima- und Wissenschaftsthemen in den Medien fundiert gebracht würden, wäre das ein riesiger Schritt. In den Medien wird ja oft nur ein Teil dargestellt. Ein Beispiel: Wir brauchen sehr viel Energie für die Herstellung von Benzin und Diesel. Wenn bei der Elektromobilität gefragt wird, woher der Strom dafür kommen soll, so sollte auch gesagt werden, das dann große Mengen für die Produktion von Benzin und Diesel wegfallen. Weltweit werden etwa 25 Prozent des benötigten Wasserstoffs in Raffinerien verbraucht. Also für Benzin, Diesel etc. Das wird in den Diskussionen sehr häufig nicht berücksichtigt. Dasselbe gilt beim Recycling von Lithium-Ionen-Batterien. Da wird behauptet, sie könnten nicht recycelt werden. Selbstverständlich können sie. Doch zurzeit nicht in eigenen Werken, da die Mengen für einen wirtschaftlichen Betrieb noch zu gering sind. Das Recycling erfolgt noch meist in Unternehmen der Kupferindustrie. Genau mit solchen Zusammenhängen beschäftigen wir uns an der Universität in Leoben und möchten alle anderen Menschen dafür auch begeistern.

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FOTO: FOTO FREISINGER
Helmut Antrekowitsch, Montanuniversität Leoben
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„This is fine“ - Philipp Köll Instagram @philippkoell „Saurer Regen“ - Samo Zeichen Instagram @a.made.up.reality „Heiß“ - Julia Winkler www.juliawinkler.at Instagram @entjuligung
ILLUSTRATION:
„Listen to the Voices“ - Maria Rudakova Instagram @mariarudakova_work
PHILIPP KÖLL, JULIA WINKLER, SAMO ZEICHEN, MARIA RUDAKOVA

Klimabildung für Lehrende

Momentan fehlt es an allem, um das Thema Klimakrise systematisch in den Schulunterricht zu integrieren

Es ist ja nicht so, als würde die Motivation fehlen.“ Thomas Schubatzky, Assistenzprofessor für Physikdidaktik an der Universität Innsbruck, forscht zum Thema Klimawissen bei Schüler:innen und Lehrpersonal. Gemeinsam mit Claudia HaagenSchützenhöfer, Professorin für Physikdidaktik an der Universität Graz, entwickelte er einen Konzepttest zum Klimawandel und gestaltet Fortbildungen.

„Das könnte ich im Moment leicht zu einem Vollzeitjob machen, der Bedarf an Fortbildungen ist riesig“, erzählt Schubatzky. Ein Großteil der Lehrpersonen sei äußerst engagiert und bereit, Freizeit zu opfern, um sich zu informieren.

Komplexe Zusammenhänge beim Klima erschweren die Vermittlung

Viel Interesse, Möglichkeiten zur Weiterbildung – beim Thema Klimabildung an Österreichs Schulen ist alles im grünen Bereich, könnte man meinen. Leider ist dem nicht so, erklären die Wissenschaftler:innen. Eine Fortbildung, die einen Nachmittag andauert, sei nur die Spitze des Eisbergs: „Die wirkliche Arbeit beginnt danach“, sagt Schubatzky. Lehrende müssen sich selbstständig weiterbilden, sich ein umfassendes Wissen über den aktuellen Forschungsstand aneignen und sich dann fragen: Wie setze ich das Gelernte im Unterricht um?

Das kann man sich nicht in ein paar Tagen oder Wochen erarbeiten: Klima und Klimawandel sind fachlich sehr komplexe Themen. „Im Physikunterricht sind wir typischerweise mit linearen Kausalzusammenhängen konfrontiert“, sagt Schubatzky. „Wenn es aber ums Klimasystem und dessen naturwissenschaftliche Grundlagen geht, ist die Formel, wenn ich x tue, passiert y, nicht immer anwendbar.“

Einfache Zusammenhänge gebe es bei diesem Thema nicht, ebenso wenig wie eindeutige Lösungen. Dennoch müsse es das Ziel sein, das System Klima zu beschreiben und zu erkennen, dass alle Eingriffe, die wir vornehmen, große Auswirkungen haben.

Diese komplexe Thematik – bei der sich der Forschungsstand zudem schnell weiterentwickelt – und die dazugehörenden Kontroversen im Unterricht zu vermitteln, war für die meisten Lehrkräfte nicht

TEXT: LINN RITSCH

„Die Klimadebatte wird medial gehypt und sehr emotional geführt, das belastet Schüler:innen wie Lehrende“

THOMAS SCHUBATZKY, PHYSIKDIDAKTIKER

Teil ihrer fachlichen oder fachdidaktischen Ausbildung.

Gleichzeitig besteht seitens vieler Eltern und Schüler:innen die Erwartung, in der Schule gut aufbereitete Informationen zum Klimawandel vermittelt zu bekommen. Dementsprechend groß ist derzeit die Unsicherheit vieler Lehrender, wie sie das bewerkstelligen sollen.

Wie fundiert das Wissen über den Klimawandel bei den Lehrenden derzeit ist, ist unklar. Entsprechende Tests werden gerade erst entwickelt. „Wir wissen auch nicht, inwieweit diese Bildungsinhalte systematisch, also quer durch alle Unterrichtsfächer, vermittelt werden. Das lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht nicht diagnostizieren, weil uns die Daten dazu fehlen“, erklärt Haagen-Schützenhöfer.

Es geht darum, vor Falschinformationen in Social Media zu schützen Fachlicher Aufholbedarf ist nicht die einzige Schwierigkeit. Das Thema Klimawandel in den Unterricht einzubeziehen bedeute nicht nur, Fakten zu vermitteln, sondern auch mit den Ängsten und negativen Zukunftsvorstellungen vieler junger Menschen umzugehen. „Die Klimadebatte wird medial gehypt und sehr emotional geführt“, sagt Schubatzky. Sich mit diesem Thema befassen zu müssen, sei auf Dauer belastend, persönliche Involviertheit spiele sowohl für Lehrende als auch für Schüler:innen eine große Rolle.

Das Hauptproblem für viele Lehrkräfte ist das Übermaß an Informationen und Unterrichtsmaterialien: Manche sind fachlich und didaktisch gut, andere nicht. „Es gibt, wie so oft in unserem Bildungssystem, viele Menschen, die sich als Expert:innen berufen fühlen. Und viele, die etwas zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen wollen“, erklärt Haagen-Schützenhöfer. Das sei per se gut und wichtig. „Allerdings arbeiten sie leider oft mit Herangehensweisen, die überhaupt nicht dem aktuellen Wissensstand entsprechen und teilweise kontraproduktiv sind.“

Oft geht es nicht nur darum, Informationen zu vermitteln, sondern primär darum, vor Fehlinformationen zu schützen. Die Meinungsbildung der Schüler:innen

findet größtenteils außerhalb der Schule statt. Nicht Fachmedien spielen die Hauptrolle, sondern Social Media. Zwischen wissenschaftlich fundierten Erklärungen und verfälschten Meinungen zu unterscheiden ist alles andere als einfach.

Wie können Lehrpersonen damit am besten umgehen? Pures Gift sei jedenfalls Frontalunterricht im Predigerstil. „In der Schule müssen Diskussionen forciert werden, die den Lernenden helfen, ihre eigene Haltung zu verstehen und zu hinterfragen, wie sie zustande kommt“, sagt HaagenSchützenhöfer. Ebenso wichtig sei es, die Standpunkte anderer zu verstehen und nachvollziehen zu können, warum sie vertreten werden.

Die Voraussetzungen dafür, Klimawandel und Klimakrise zu einem einheitlichen Bestandteil des Unterrichts zu machen, sind nicht rosig. Ideen und Ansätze sind zur Genüge vorhanden: Konferenzen, Projekte, Informationsveranstaltungen, Klimatage – das alles gibt es teilweise schon in Volksschulen und Kindergärten. Aber die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam, vereinheitlicht wurde bisher nichts. Erst jetzt, im Lehrplan, der ab dem kommenden Schuljahr umgesetzt wird, ist der Klimawandel explizit Teil des Unterrichtsstoffs.

Dabei ist die Gefahr, die eine menschengemachte Klimakrise mit sich bringt, seit den 1990er-Jahren wissenschaftlich eindeutig. Das zeige laut Schubatzky die Trägheit des Systems. „Im Jahr 2023 freuen wir uns darüber, dass das Thema im Lehrplan deutlich verankert ist. Wir können zumindest nicht behaupten, wir seien unserer Zeit voraus.“

Eine systematische Vernetzung zwischen den Unterrichtsfächern fehlt Für Haagen-Schützenhöfer ist der neue Lehrplan „bereits eine große Errungenschaft“. Sie hat ihn für das Fach Physik mitgestaltet. „Eine systematische Vernetzung zwischen den Unterrichtsfächern und zwischen den Schulstufen ist aber nicht betrieben worden.“

Eine vertane Chance, sagt die Forscherin. Dabei klingen die diesbezüglichen Zielsetzungen im Bundesgesetzblatt durchaus ehrgeizig, bisweilen fast utopisch: Für

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FOTOS: UNIVERSITÄT
GRAZ, RUPERT RECHLING
Thomas Schubatzky, Universität Innsbruck Claudia HaagenSchützenhöfer, Universität Graz

das integrative Denken der ökologischen, ökonomischen und sozialen Dimension nachhaltiger Entwicklung seien sowohl fachspezifische als auch fächerübergreifende Bezüge von großer Bedeutung. Schülerinnen und Schüler und das gesamte Schulteam übernähmen gemeinsam Verantwortung, wodurch Schulen Modelle für eine zukunftsfähige Lebensgestaltung seien. Damit werde ein wesentlicher Beitrag zur Umsetzung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen geleistet.

Wie genau das erreicht werden soll, bleibt über weite Strecken den einzelnen Schulen beziehungsweise den Lehrenden überlassen. Sie verfügen allerdings in den wenigsten Fällen über genügend Zeit zur Vorbereitung oder notwendige Werkzeuge zur Umsetzung im Unterricht. Viele unterrichten fachfremd.

Kürzere Lehrpersonalausbildung hilft bei der Klimavermittlung nicht Ein zusätzlicher Motor der aktuellen Überforderung ist der massive Lehrkräftemangel in Österreich. Die von Unterrichtsminister Martin Polascheck angekündigte Lösung dieses Problems hält Haagen-Schützenhöfer für „nicht gerade hilfreich, wenn man komplexe Themen wie Klimabildung und Wissenschaftsverständnis als Querschnittsthemen in der Bildung verankern möchte“.

Angedacht ist eine substanzielle Verkürzung des Lehramtsstudiums: Die Dauer der Sekundarstufenlehrendenausbildung soll von sechs auf fünf Jahre reduziert werden. Heute stehen Lehrende de facto oft schon nach einem dreijährigem Bachelorstudium vor der Klasse.

Dennoch ist die Lage nicht hoffnungslos. Beide Wissenschaftler:innen betonen: Der Wille, den Klimawandel zu verstehen und dagegen vorzugehen, sei überall an Österreichs Schulen spürbar.

Nötig sei jetzt eben die systematische Professionalisierung der Aus- und Fortbildung. Dazu gehören vor allem auch vereinheitlichte, fachdidaktisch fundierte und evidenzbasierte Unterrichtsmaterialien und deutlich mehr Zeit und Möglichkeiten, sich mit dem Thema zu befassen und sich mit Kolleg:innen auszutauschen: während des Lehramtstudiums und danach.

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ILLUSTRATION:
„Planet After People“ – Mirjam Lingitz Instagram @bee.person
MIRJAM LINGITZ

Friede ist eine Pause dazwischen

Die Folgen von Kriegen und Katastrophen prägen Menschen noch lange, nachdem das Ereignis selbst der Vergangenheit anheimgefallen ist, sagt die Historikerin Barbara Stelzl-Marx

Barbara Stelzl-Marx ist Universitätsprofessorin für europäische Zeitgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz und Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung. 2020 wurde sie als „Wissenschafterin des Jahres“ ausgezeichnet. Aktuell leitet sie u. a. Forschungsprojekte zum „Lebensbornheim Wienerwald“, zu tschechoslowakischen Nachrichtendiensten in Österreich, Nachkriegslagern in der sowjetischen Besatzungszone und zur Polizei in Österreich im Nationalsozialismus. Jüngste Publikationen: „Children Born of War. Past Present Future“ (hg. mit Sabine Lee und Heide Glaesmer), „The Red Army in Austria. Soviet Occupation, 1945–1955“ (hg. mit Stefan Karner).

Frau Stelzl-Marx, was ist unter Krisen und Katastrophen im historischen Kontext zu verstehen?

Barbara Stelzl-Marx: Krisen und Katastrophen sind ein integraler Bestandteil der menschlichen Geschichte. Ich würde zwei Kategorien unterscheiden: zum einen Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erdbeben, Überschwemmungen, Dürre, im weitesten Sinne auch, was man im Mittelalter als „Plagen“ bezeichnete, sowie Epidemien und Schädlingsbefall. Andererseits gibt es menschengemachte Krisen und Katastrophen wie den Untergang der Titanic, die Oktoberrevolution, die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 oder die Zerstörung des Kachowka-Staudammes in der Ukraine. Und natürlich bewaffnete Konflikte sowie Kriege, die großen Zäsuren darstellen, die man als Zeitenwenden bezeichnen kann. Diesem Thema wird sich der Zeitgeschichtetag in Graz im nächsten Jahr unter dem Titel „Zeitenwenden – Wendezeiten?“ widmen.

Sie haben sich mit dem Zweiten Weltkrieg und Russland beschäftigt. Wie sehr überlagert Russlands Angriffskrieg in der Ukraine unser Bild des Zweiten Weltkriegs?

Stelzl-Marx: Eine ukrainische Schriftstellerin meinte kürzlich: „Friede ist nicht immer Friede. War der Friede 1945 tatsächlich ein Friede, wenn die Hälfte Europas aufgeteilt wurde? Es war eine Pause. Friede war immer eine Pause dazwischen.“ Sie sagte auch, der aktuelle Krieg sei immer schrecklicher als jener, der zuvor stattfand. Wenn man sich in der Situation eines Krieges befindet, ist subjektiv das, was gerade jetzt passiert, viel realer und krisenhafter als etwas, das Jahrzehnte zurückliegt.

„Katastrophen können nur über die Geschichte ihrer Wahrnehmung, Deutung und Erinnerung verstanden werden“

BARBARA STELZL-MARX, HISTORIKERIN

Man darf dabei aber auch nicht vergessen, dass die Folgen etwa des Zweiten Weltkriegs oder die Folgen der totalitären Regime unter Hitler und Stalin in die jeweiligen Landschaften und in die Biografien der Menschen eingebrannt sind, über Jahrzehnte hinweg. Wichtig ist auch folgendes Moment: Putin instrumentalisiert den Sieg Stalins über Hitlerdeutschland 1945 für die aktuelle Propaganda, um den Krieg gegen die Ukraine, der in den russischen Medien nicht einmal als Krieg bezeichnet werden darf, zu rechtfertigen. Dazu kommt noch, dass der „Tag des Sieges“, der 9. Mai, bis heute zumindest in der Russischen Föderation so etwas wie nationaler Kitt ist. Ein Ereignis, das für die Identitätsstiftung wichtig war und ist und worauf man von russischer Seite stolz sein konnte. Zur Rechtfertigung des aktuellen Krieges werden Bilder und Symbole verwendet, die in der russischen Gesellschaft tief verankert sind.

Was denken Sie über einen Ausdruck wie „Last der Geschichte“?

Stelzl-Marx: Vielleicht ist der Ausdruck „Erbe“ besser, oder „schweres Erbe“. Das zeigt uns, dass Geschichte nicht etwas ist, das abgeschlossen ist, weil es in der Vergangenheit liegt, sondern dass Geschichte in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft und des Lebens nachwirkt. Sehr deutlich ist dies etwa bei einem der Schwerpunkte meiner Forschung, einem spezifischen Bereich der Kriegsfolgenforschung, zu sehen, den Kindern des Krieges. Der Zweite Weltkrieg hat vor bald achtzig Jahren geendet, aber die Folgen sind bis heute in vielen Bereichen spürbar, oft auch unsichtbar. Nur weil man etwas nicht sieht, bedeutet das nicht, dass es nichts mit den Menschen macht. Um zu den Besatzungskindern zu kommen: Sie wurden in der Folge des Zweiten Weltkriegs zwischen 1945 und 1955 geboren und wurden oft über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg diskriminiert und stigmatisiert. Das hat diese Menschen und auch die nachfolgenden Generationen geprägt – wie generell Kinder des Krieges.

Können Sie das Beispiel einer Person nennen, das Sie bei Ihren Forschungen erstaunt hat?

Stelzl-Marx: Ad hoc fällt mir dazu die Geschichte einer Frau ein, die genau zu Silvester 1945 in der Steiermark als Folge einer Vergewaltigung durch einen Rotarmisten geboren wurde. Sie wurde in ihrer dörflichen Gemeinschaft schwer diskriminiert und stigmatisiert, auch innerhalb ihrer Familie. Als ihr Stiefvater aus der Kriegs-

gefangenschaft zurückkam, wurde sie zu einer Pflegefamilie gegeben. Mich hat sehr berührt, was mir diese Frau vor einigen Jahren schrieb. Ich weiß das auswendig, weil es so einprägsam war. Sie schrieb in ihrem Brief: „Mein Geburtsdatum sagt Ihnen alles. Ich bin ein Kind des Feindes und habe eigentlich kein Recht zu leben“. Diese Frau war damals auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater, nicht um irgendwie Rache zu üben, sondern einfach weil es ein Grundbedürfnis des Menschen ist, zu wissen: Wo sind die Wurzeln und wo kommt man her? Diese Zeitzeugin ist für mich ein Beispiel, an dem man sieht, wie eine äußerst schwierige Startsituation und eine krisenhafte Geschichte das weitere Leben sehr geprägt haben. Wobei das nicht notwendigerweise bedeuten muss, dass diese Menschen nicht ein durchaus geglücktes und erfülltes Leben führen können.

Kommen wir zu aktuellen Krisen und Katastrophen – zu Corona. Stelzl-Marx: Ich habe in „Der Mensch erscheint im Holozän“, einem Spätwerk von Max Frisch aus 1979, ein bemerkenswertes Zitat gefunden: „Katastrophen kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt. Die Natur kennt keine Katastrophen.“ Das bedeutet, dass die Geschichte von Katastrophen, auch jene von Naturkatastrophen, nur über die Geschichte der Wahrnehmung, der Deutung und der Erinnerung durch die Menschen überhaupt verstanden werden kann. Dabei handelt es sich um eine Kombination eines Naturereignisses mit der Wahrnehmung eines materiellen und persönlichen Schadens. Am Grazer Dom gibt es ein berühmtes Fresko aus dem Mittelalter: das sogenannte Gottesplagenbild oder Landplagenbild. Es wurde von Grazer Bürgern gestiftet, weil innerhalb kürzester Zeit gleich mehrere Katastrophen zusammengetroffen waren: der Einfall der Türken, es gab die Pest und eine Heuschreckenplage. Diese Anhäufung von Katastrophen wurde von den Bürgern als Strafe Gottes aufgefasst, und man hoffte mit diesem Bild auf Gottes Gnade. Dieser irrationale Zugang im Umgang mit Katastrophen wie der Pest hat wesentlich zur Krise geführt. Häufig kam es in solchen Situationen auch zu „Erklärungen“ und vor allem Schuldzuweisungen, insbesondere an Jüdinnen und Juden, die etwa als „Brunnenvergifter“ diffamiert wurden. Das ist etwas, was man jetzt auch während der Coronakrise wieder gesehen hat: Es kam neben irrationalen Erklärungen und Verhaltensweisen auch zu einem Ansteigen von Antisemitismus.

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FOTO: SABINE HOFFMANN/FWF
INTERVIEW ERICH KLEIN
Barbara StelzlMarx, Universität Graz
TITELTHEMA : HEUREKA 1/23 FALTER 27/23 19 „Balance“ – Manu-Sophie Linder www.manulinder.com Instagram @manulndr ILLUSTRATION: MANU-SOPHIE LINDER

Neue Anbaugebiete im Norden?

Die Klimaveränderung hat einen enormen Einfluss auf unsere Ernährungssicherheit, unsere Ernährungsgewohnheit wiederum Auswirkungen auf das Klima

Klimamodelle prognostizieren höhere Durchschnittstemperaturen in den meisten Land- und Meeresregionen, Hitzewellen in vielen bewohnten Gebieten und starke regionale Niederschläge sowie eine zunehmende Häufigkeit von Dürren. Diese Veränderungen wirken sich auch auf unsere Ernährungssituation aus.

Für Menschen, die bereits jetzt von Hunger betroffen sind, erhöht der Klimawandel das Risiko. 2021 galten rund zehn Prozent der Weltbevölkerung als unterernährt. 91 Prozent davon lebten in Asien und Afrika.

In den kommenden Jahrzehnten werden das sich ändernde Klima, die wachsende Weltbevölkerung und Umweltstressfaktoren erhebliche Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit haben.

Das Problem der Erntelücken haben die Menschen im Süden

Ein besonderer Faktor sind Erntelücken, womit die Differenz zwischen den potenziellen Erträgen und den tatsächlichen Erträgen gemeint ist. In Westeuropa und in Nordamerika sind diese Lücken sehr gering.

Ganz anders sieht es in südlicheren Regionen der Erde aus, etwa in Afrika. „Wenn wir es schaffen würden, einen größeren Teil dieser Erntelücken zu schließen, dann könnten wir rund sechzig Prozent mehr an Kalorien erzeugen“, sagt Martin Gerzabek, Ökologe und Bodenkundler an der Universität für Bodenkultur in Wien.

Erntelücken entstehen meist dadurch, dass Betriebsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel fehlen. Oft ist auch die Erntetechnologie nicht am letzten Stand, was zu Ernteeinbußen führt. Außerdem trägt die Wassersituation zu Erntelücken bei.

„In Österreich betrifft dies vor allem den Osten des Landes, wo derzeit viele Flächen nicht bewässert werden. Dieser Trend wird durch den Klimawandel noch verstärkt werden“, warnt Gerzabek. Studien zeigen, dass bis zum Jahr 2050 in Ostösterreich die Bodenfruchtbarkeit um ungefähr 48 Prozent sinken wird – wenn in der Bewirtschaftung so weitergemacht wird wie bisher.

„Es muss sich einiges ändern. Das lehre ich auch meinen Studierenden an der Universität, denn sie sind diejenigen, die das ändern müssen. Es müssen neue Kulturen angepflanzt werden, wärmeliebende Pflanzen wie etwa Hirse oder Erdnüsse, die Trockenheit besser ertragen. An der Universität für Bodenkultur gibt es Vorlesungen zu tropischer Landwirtschaft. In diesen Berei-

chen werden wir in Zukunft sicherlich dazulernen können.“

„Es gibt in Österreich und Europa viele Initiativen und Projekte, um den veränderten Bedingungen gerecht zu werden“

MARTIN GERZABEK, UMWELTTOXIKOLOGE UND BODENKUNDLER

Österreichs Bodenfruchtbarkeit nimmt deutlich ab Im alpinen Raum sollen laut Prognosen die Erträge etwas ansteigen. Insgesamt geht man aber für Österreich von einer Abnahme der Bodenfruchtbarkeit von zirka 19 Prozent aus. Vor allem in den Kornkammern im Osten und Südosten wird es eine deutliche Reduktion durch Trockenheit geben. Dort wird man künftig die Bewässerung ausweiten müssen. Wenn aber wie in den vergangenen Jahren die Wasserbilanz in Summe negativ bleibt, wird das schwierig, denn dann gibt es nicht genug Wasser für die Bewässerung. So wird zusätzlich eine Umstellung der Landwirtschaft nötig sein.

Zu erheblichen Verlusten in der Nahrungsversorgung trägt die Verschwendung von Lebensmitteln bei. Oft resultiert dies aus Problemen bei der Lagerung, die insbesondere in südlichen Ländern auftreten. „Dort gibt es häufig keine professionelle Form der Aufbewahrung. Folglich treten große Verluste durch Ernteschädlinge oder durch Schimmel auf. Im Globalen Norden hingegen gibt es große Einbußen dadurch, dass unheimlich viele Lebensmittel weggeworfen werden, fast dreißig Prozent“, erklärt Gerzabek.

Permafrostgebiete als Kornkammern der Zukunft?

Der Einfluss des Klimawandels verschärft die Problematik bei der Ernährungssicherheit. So verschieben sich etwa die nutzbaren Ackerflächen auf der Erde in den einzelnen Regionen. „In Europa werden wir aufgrund des Klimawandels bis 2100 voraussichtlich rund 15 Prozent der Flächen für die Landnutzung verlieren. Vor allem im mediterranen Raum, der noch heißer und noch trockener wird. Im Norden wie etwa in Skandinavien werden wir Land dazugewinnen, weil die Permafrostböden aufgehen werden.“ In Russland rechnet man bis 2100 mit einem Plus von fünfzig Prozent. Durch den Klimawandel wird sich die Permafrostgrenze nach Norden verschieben und parallel dazu der Getreideanbau. „Wenn sich die Getreideanbaugrenze in Sibirien um zwei Kilometer nach Norden verschiebt, sind das gigantische Flächen, die dann theoretisch für die Landwirtschaft genutzt werden könnten.“ Die Art, wie sich Menschen ernähren, hat einen sehr großen Einfluss darauf,

wie viel Fläche für die Erzeugung von Lebensmitteln benötigt wird. „Wenn sich die gesamte Menschheit heute vegan oder zumindest vegetarisch ernähren würde, könnte man alle Menschen auf der Erde versorgen“, sagt Gerzabek. „Doch viele Menschen essen auch Fleisch, wozu viel Fläche benötigt wird. Dies kann in Konkurrenz zum Ackerbau stehen, abhängig davon, welche Tierart gehalten wird.“ Wiederkäuer auf Weideland stehen zum Ackerbau weniger in Konkurrenz. Wenn in Österreich auf einer Alm oder im alpinen Grünland Rinder oder Schafe gehalten werden, stehen sie kaum in Konkurrenz zum Getreideanbau, auf einer Alm kann Getreide ohnehin kaum angebaut werden. „Wenn wir jedoch auf Äckern Futter produzieren, das zur Mast verwendet wird, ist das eine Konkurrenzsituation, etwa bei der Schweinehaltung. Für deren Futter werden Feldfrüchte wie Soja verwendet.“

Viele Landwirtschaftsprojekte für neue Umweltbedingungen

Die größte Effizienz bezüglich Futtermenge und Fleischproduktion bringt Geflügel. Hühner, Enten oder Gänse erzeugen kein Methan und benötigen geringere Flächen pro Kilogramm erzeugtem Fleisch. Derzeit macht die Lebensmittelproduktion dreißig Prozent der Treibhausemissionen aus. Dazu tragen vor allem Methanemissionen aus der Tierhaltung und Lachgas-Emissionen durch den Einsatz von Stickstoffdüngern in der Landwirtschaft bei.

„Schon jetzt ist es für die Landwirtschaft eine enorme Herausforderung, innovativ zu sein. Erst recht in Zukunft. Doch sie ist enorm wichtig. Wir müssen schauen, was in wärmeren und trockeneren Gegenden im Süden angebaut werden kann. So eine Umstellung der Landwirtschaft bietet auch die Chance, sich auf neue, teils auch exotische Obst- und Gemüsesorten zu spezialisieren. Ich bin nicht allzu pessimistisch, denn es gibt in Österreich und Europa viele Initiativen und Projekte, die versuchen, den veränderten Bedingungen gerecht zu werden. Etwa der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken, oder nachhaltiger Anbau oder die Verbesserung der Böden durch organische Dünger.“

Menschen werden sich anpassen und neue Ideen verwirklichen. Sehr wichtig ist dabei, dass diese Ideen nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich und sozial eingebettet sind. „Man muss immer genau schauen, was an welchem Standort möglich ist. Damit sich der Anbau rentiert und die Menschen auch davon leben können.“

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FOTO: CDG/ALICE SCHNÜR-WALA
TEXT: SOPHIE HANAK
Martin Gerzabek, Universität für Bodenkultur Wien
TITELTHEMA : HEUREKA 1/23 FALTER 27/23 21
ILLUSTRATION:
„HumanGardening“ – Paula Bracker paula.bracker@gmail.com PAULA BRACKER

Verlockende Feindseligkeit

Ökokrise, Wissenskrise und Konsenskrise führen zur Feindseligkeit

Warum werden Fragen wie Umwelt, Energie und Klima als derart spaltende, emotionalisierende Themen gesehen, sodass zuweilen gar stabilitätsgefährdende Konfrontationen und Unversöhnlichkeiten dräuen? Bei den Outsidern auf beiden Seiten ist wenig Erklärungsbedarf. Position 1: Es gebe überhaupt keinen Klimawandel, jedenfalls keinen menschengemachten. Das sei alles Gaukelei, Konzerninteresse, Unterdrückungsstrategie. Position 2: Die Apokalypse stehe vor der Tür, deshalb müssen System und Leben, und zwar sofort, radikal transformiert werden. Kapitalismus abschaffen, Weltregierung einrichten, Fliegerei verbieten, jenseits jeder Machbarkeit. Diese Polarisierung liegt auf der Hand. Die Welt findet jedoch, wie meistens, zwischen derlei Extremismen statt.

Erstens: Dass man global in Sachen Klima-Energie-Umwelt in kräftige Probleme gerät, wird niemand bestreiten, der einigermaßen bei Sinnen ist. Aber dann gerät man rasch in die Trade-offs zwischen Selbstinteresse und Globalwohl, zwischen unhaltbarer Besitzstandswahrung und radikaler Verzichtsforderung, zwischen Transformations- und Disruptionsmodell. Kompliziert, überfordernd, multidimensional, neuartig. Da scheinen übersichtliche Schwarz-WeißKonturen attraktiver. Statt eines Diskurses über Möglichkeitsräume und Verhältnismäßigkeiten geraten oft Kleinigkeiten zu bekenntnishaften, polarisierenden Allesoder-nichts-Positionen, gespeist von Wissenschaftsferne, Komplexitätsunverständnis und Diskursinkompetenz.

Zweitens: In komplexen Systemen hängt, wie wir wissen, immer alles irgendwie zusammen: Naturschutz, Tierschutz, Ungleichheit, Globaler Süden, Migration, das Meer, der Müll, die Adipositas, Allergien, Epidemie, Inflation. Dann splittern sich aber die thematischen „Neigungsgruppen“ in ihre allein wichtig erscheinenden Spezialitäten auf: Die Naturschützer verhindern Windenergie. Die Tierschützer sehen nur den Nahrungsmittelmarkt. E-Motoren gegen Wasserstoff. Armutsbekämpfer gegen Öko-Anreize. Touristiker gegen alle Eingriffe. Kohle gegen Atom. Die Abwägung von Verhältnismäßigkeiten wäre angebracht, doch jeder verweigert auf seiner Spielwiese den Kompromiss. Doch auch an Windräder auf Bergeshöhen wird man sich gewöhnen.

Drittens: Schon die Epidemie hat gezeigt, dass die Menschen mit Wissensunsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten nicht umgehen können. Auf der einen Seite die dumme Position: Wissenschaft ist sicheres

TEXT: MANFRED PRISCHING

„Die Mehrheit der Menschen äußert tiefe Sorge – was sie nicht davon abhält, jede Beschränkung des Autofahrens mit Entrüstung abzulehnen“

MANFRED PRISCHING, SOZIOLOGE

Wissen. Wenn sich Aussagen als irrig oder falsch erweisen, dann war es nicht Wissenschaft, sondern Lüge, Manipulation und politische Dienstbarkeit. Auf der anderen Seite die gleichermaßen dumme Position: Wissenschaftliche Behauptungen sind falsifizierbar und revidierbar, und mein „Gefühl“, welches ja auch eine „Tatsache“ ist, ist deshalb von vergleichbarem Gewicht wie wissenschaftliche Tatsachen. Manche berufen sich gar auf Karl Popper, der im Grab wohl nur noch rotieren müsste. Wissenschaft: die fremde Welt, auch in der angeblichen Wissensgesellschaft.

Viertens: der Meinungsanarchismus. Für jede aus dem Internet gefischte „Meinung“ wird Respekt eingefordert, wegen der Freiheit und der Menschenrechte. Solchen Unsinn hat sich Jürgen Habermas unter „demokratischem Diskurs“ nicht vorgestellt. Es kann sich um faktisches, strategisch ausgespieltes oder gewolltes Unwissen handeln. Verrückte „Meinungen“ werden als mit Demokratiepathos unterlegte Schwergewichte in die Szene geworfen.

Wenn eine Meinung als ernsthafte Äußerung betrachtet werden soll, gibt es jedoch Qualitätsanforderungen. Das bedeutet keineswegs Konformität. Aber es muss Standards geben, mit Hilfe derer man über Meinungen diskutieren kann. Weltanschauungspathos, Bauchgefühl oder Peer- und Bubble-Konsens reichen nicht. Die Hohlraumtheorie der Erde ist nun einmal eher ein pathologisches Signal als eine konkurrierende Theorie.

Fünftens: wird die Unfähigkeit offenbar, anekdotische Evidenz gegen die empirische Daten- und Theorielage abzuwägen. Ein paar Hitzetage, Frost, irgendwo eine Überschwemmung, Lawinenabgang, Tornado, Feuer: Jedes raumplanerische Versagen eines Bürgermeisters wird in das Thema Klimawandel eingeordnet.

Entscheidungen fallen auch pfadabhängig, politikstrategisch, interessengebunden und emotional. Wenn man infolge der Gaskrise Kohlekraftwerke, die schlimmsten Verschmutzer, hochfahren muss, dann ist das Duldungspotenzial bestimmter politischer Milieus strapaziert, sodass ökologisch bessere Lösungen (wie das Verschieben des Atomausstiegs in Deutschland) diesem Milieu nicht mehr zumutbar sind. Also entscheidet man wider besseres Wissen. Das treibt andere wieder auf die Palme.

Siebtens: Verhaltensinkonsistenzen. Die Realität ist schwierig, noch schwieriger ist ihre Brechung und Verzerrung, Symbolisierung und Emotionalisierung in den Köpfen der Menschen. Die Mehrheit der Menschen äußert tiefe Sorge – was sie nicht davon abhält, jede Beschränkung des Autofahrens mit Entrüstung abzulehnen. Die Jugendlichen werden angeblich überhaupt von Ängsten geschüttelt – was ihnen sommerliche Flugreisen um die halbe Welt keineswegs vergällt. Von allgemeiner Verarmung ist die Rede – doch gleichzeitig werden neue Rekorde bei Einkäufen, Restaurantbesuchen und Urlaubsreisen berichtet. Da wird wohl herumgetrickst. Wenn lautstark nichts als „Respekt“ eingefordert wird, wird anschließend bloß noch über Geld geredet. Und Inflation bekämpft man am besten, indem man (über Arbeitszeitverkürzung) die Stundenlöhne um zwanzig Prozent anhebt. Der Level der Heuchelei steigt viel schneller als der Meeresspiegel.

Manfred Prisching, Universität Graz

Doch der eigene Flug nach Mallorca und der eigene Fleischkonsum fallen unter Vernachlässigbarkeiten, bei denen man vermeidet, sie ein paar Milliarden Mal hochzurechnen. Einerseits ist nicht jede Katastrophe schicksalhafte „Mahnung“ an das Menschengeschlecht, andererseits ist man mit selbstbezogener Entschuldbarkeit allzu rasch bei der Hand. Oft prallen Dogma und Ignoranz aufeinander.

Sechstens: Das ganze Knäuel von Energie, Umweltschutz, Klima, Nahrungsmittel, Autos und so weiter ist ein höchst komplexes Gebilde. Knappheiten, Backlashes, Bedingtheiten, Eskalationen, Schwellenwerte zeichnen sich an allen Ecken und Enden ab.

Achtens: der flächendeckende Illusionismus: Befragungen zufolge glauben die meisten Menschen, dass die Wirtschaft zu wenig für den Klimaschutz tue. Und zugleich: dass sich die eingeforderten Transformationsmaßnahmen keinesfalls auf die Preise niederschlagen dürften. Denn das wäre „ungerecht“. Ebenso sind sie der Auffassung, dass die Politik einen umfassenden Plan vorlegen und zügig umsetzen sollte. Zugleich: dass Lebensstandard und Bequemlichkeit der Menschen dadurch nicht beeinträchtigt werden dürfen. Die Zumutbarkeitsschwelle tendiert ebenso gegen null wie das Wirklichkeitsverständnis.

Die meisten Menschen sind sich dessen bewusst, dass wir eine multiple Krisenkonstellation erleben. Dennoch verlangen sie Wohlfühlpolitik: Pelz waschen und nicht nässen. Jedenfalls sucht man Sündenböcke. Irgendjemand muss ja schuld sein. Und man definiert Opfer: vorzugsweise sich selbst. Die Realität lässt sich schon zurechtinterpretieren. Diese Konstellation drängt zu Ressentiment und Feindseligkeit.

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FOTO: ERWIN SCHERIAU
TITELTHEMA : HEUREKA 1/23 FALTER 27/23 23
ILLUSTRATION:
„Ende der Debatte“ – Elizaveta Kruchinina Instagram @kruchi_studio
ELIZAVETA KRUCHININA

Klimaverbesserung

Elf Thesen zum Klimawandel und seiner Vermittlung

„Die Akzeptanz der Klimakrise erfordert ein gewisses Vertrauen in wissenschaftliche Modelle. Bildung ist hierfür äußerst förderlich“

WOLFGANG LUTZ, UNIVERSITÄT WIEN“

„Es ist notwendig, Gesundheitsdaten zu sammeln, um auch die vulnerablen Zielgruppen im Klimawandel besser identifizieren zu können. Nur so können nötige Ressourcen identifiziert und passende Maßnahmen gesetzt werden“

ANITA RIEDER, MEDUNI WIEN

„Wenn sich die Getreideanbaugrenze in Sibirien um zwei Kilometer nach Norden verschiebt, sind das gigantische Flächen, die dann theoretisch für die Landwirtschaft genutzt werden könnten.“

MARTIN GERZABEK, UNIVERSITÄT

„Um das Vertrauen in Dialogprozesse rund um den Klimawandel zu stärken, brauchen wir Bürger:innenräte, deren erarbeitete Ergebnisse von Politik und Medien beachtet werden“

ULRIKE BECHTOLD, ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN“

„Grüne müssen aufpassen, die Gratwanderung zu schaffen: zwischen einer Glaubwürdigkeit gegenüber Klimakleber:innen und anderen Aktionist:innen und der Regierungsbereitschaft sowie der damit verbundenen Kompromissbereitschaft“

„In der Schule müssen Diskussionen forciert werden, die den Lernenden helfen, ihre eigene Haltung zu verstehen und zu hinterfragen, wie sie zustande kommt“

CLAUDIA HAAGEN-SCHÜTZENHÖFER, UNIVERSITÄT GRAZ

„Lehrende müssen sich über den Klimawandel selbstständig weiterbilden, sich ein umfassendes Wissen über den aktuellen Forschungsstand aneignen und sich dann fragen: Wie setze ich das Gelernte im Unterricht um?“

„Was

„Die meisten Menschen sind sich dessen bewusst, dass wir eine multiple Krisenkonstellation erleben. Dennoch verlangen sie Wohlfühlpolitik: Pelz waschen und nicht nässen. Jedenfalls sucht man Sündenböcke. Irgendjemand muss ja schuld sein. Und man definiert Opfer: vorzugsweise sich selbst“

MANFRED PRISCHING, UNIVERSITÄT GRAZ

„Wenn Klima- und Wissenschaftsthemen in den Medien fundiert gebracht würden, wäre das ein riesiger Schritt. In den Medien wird ja oft nur ein Teil dargestellt“

HELMUT

Medieninhaber: Falter Verlagsgesellschaft m. b. H., Marc-Aurel-Straße 9, 1010 Wien, T: 0043 1 536 60-0, E: service@falter.at, www.falter.at; Redaktion: Christian Zillner; Fotoredaktion: Karin Wasner; Gestaltung und Produktion: Barbara Blaha, Nadine Weiner; Korrektur: Ewald Schreiber; Druck: Passauer Neue Presse Druck GmbH, 94036 Passau; DVR: 047 69 86. Alle Rechte, auch die der Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, vorbehalten. Die Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz ist unter www.falter.at/offenlegung/falterverlag ständig abrufbar.

„Fridays for Future‘ zeigt, dass sich junge Menschen durchaus über politische Belange informieren und auch bereit sind, für ihre Anliegen einzustehen. Ganz allgemein wirft das auch die Frage auf, wie man an Demokratie teilhaben kann, wenn man nicht wählen darf, oder auf welche Weise sich junge Menschen Gehör verschaffen und einbringen können“

24 FALTER 27/23 HEUREKA 1/23 : ZITATE
ANTREKOWITSCH, MONTANUNIVERSITÄT LEOBEN THOMAS SCHUBATZKY, UNIVERSITÄT INNSBRUCK ANTON PELINKA, CENTRAL EUROPEAN UNIVERSITY ANNA DEUTSCHMANN, ZENTRUM FÜR SOZIALE INNOVATION
man jetzt auch während der Corona-Krise wieder gesehen hat: Es kam neben irrationalen Erklärungen und Verhaltensweisen auch zu einem Ansteigen von Antisemitismus“
BARBARA STELZL-MARX, UNIVERSITÄT GRAZ
: IMPRESSUM
Diese Ausgabe von HEUREKA entstand in einer Kooperation mit der FÜR BODENKULTUR WIEN
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