DSO Nachrichten 01/02 2013

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Januar | Februar 2013

dSo -nach r IchtE n Chefdirigent und Künstlerischer Leiter T UG AN SOKHIE V

ein Ensemble der

ein Ensemble der

Eine Publikation des deutschen Symphonie-orchesters berlin

Faszination des abgründigen Daniel Müller-Schott im Gespräch —–– S. 3 die geschichte des zaren Tugan Sokhiev und ›Iwan Grosny‹ —–– S. 5 ›Ultraschall‹ Das Festival für Neue Musik —–– S. 6 the age of anxiety Begegnung mit Leonard Bernstein —–– S. 7


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Editorial und Kurzmeldungen

Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

Liebe Leserinnen und Leser der DSO-Nachrichten,

Inhalt —––

2 Willkommen

Editorial und Kurzmeldungen

3 Daniel Müller-Schott

Der Ausnahme-Cellist im Gespräch

4 ›Notturno‹ — Mschatta bei Nacht

Nächtliches Kammerkonzert im Pergamonmuseum

Ein Böhme in Amerika Kulturradio-Kinderkonzert

5 Die Geschichte des Zaren

Tugan Sokhiev mit Prokofjews ›Iwan Grosny‹

6 Ultraschall

Das DSO beim Festival für neue Musik

Mit dem Orchester atmen

Dirigierworkshop mit Tugan Sokhiev

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Die Suche nach dem Glauben James Conlon und Joyce Yang

Pultnotiz

Bernhard Hartog, Erster Konzertmeister des DSO

mit den ersten Konzerten der Saison 2012|2013 bescherte das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit seinem neuen Chefdirigenten Tugan Sokhiev dem Hauptstadtpublikum wieder einmal großartige Klangerlebnisse, die alle Erwartungen an den neuen Künstlerischen Leiter mehr als erfüllten! Zum exzellenten Ruf tragen ebenfalls die vielen, oft ungewöhnlichen Konzertvorhaben bei, die das DSO zu einem Füllhorn von Klangwelten werden lassen. Dazu gehört z.B. auch die Reihe ›Notturno‹, die vom DSO und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) im dritten Jahr fortgesetzt wird. Bereits 2009 erkannte DSO-Orchesterdirektor Alexander Steinbeis den besonderen Mehrwert einer stärkeren Vernetzung mit und zwischen den Kultureinrichtungen Berlins. Für die Stiftung nimmt die Musik eine zentrale Rolle ein: Autographen von Bach, Beethoven, Mozart und Mendelssohn Bartholdy gehören zum historischen Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin, das Staatliche Institut für Musikforschung sammelt, erschließt und vermittelt Musikwissen und das ihm zugehörige Musikinstrumentenmuseum präsentiert eine der außergewöhnlichsten Sammlungen historischer Instrumente. Nach einer gelungenen Kooperation im Rahmen des DSO-Saisonthemas ›Aufbruch 1909‹ wurde die Reihe ›Notturno‹ ins Leben gerufen, die Konzertgängerinnen und Konzertgänger aller Altersgruppen zu nächtlichen Kammerkonzerten in Häusern der SPK einlädt — am 25.01. ins Pergamonmuseum —–– S. 7. Darauf und auf die weitere gute Zusammenarbeit mit dem DSO freuen wir uns sehr! Herzlichst, Ihr

8 Konzertkalender

Alle Konzerte im Januar und Februar

PROF. DR. HERMANN PARZINGER Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Kammermusik in der Villa Elisabeth

Instrumenten-Spende durch den Förderkreis des DSO

Schumann-CD mit Angela Hewitt

Auch zum Jahresauftakt sind die Musiker des DSO wieder in den beliebten Kammerkonzerten des Orchesters in der Villa Elisabeth zu erleben. Am 20. Januar erklingen in gemischten Besetzungen aus Holzbläsern und Streichern Werke von Benjamin Britten, Mark O’Connor, Igor Strawinsky und Sergej Prokofjew, zu denen sich Thomas Hecker (Oboe), Richard Obermayer (Klarinette), EvaChristina Schönweiß (Violine), Birgit Mulch-Gahl (Viola), Sara Minemoto (Violoncello), Ulrich Schneider (Kontrabass) und Jan van Schaik (Mandoline) zusammenfinden. Am 22. Februar widmet sich Bernhard Hartog, Erster Konzertmeister des Orchesters (siehe auch Pultnotiz —–– S. 7), gemeinsam mit Isabel Grünkorn (Violine), Annemarie Moorcroft (Viola), Mischa Meyer (Violoncello) und Sevimbike Elibay (Klavier) mit herausragenden Werken von Anton Webern und Johannes Brahms der Gattung des Klavierquintetts. Die vollständigen Programme finden Sie unter dso-berlin.de/kammermusik

Seit vielen Jahren unterstützt der Förderkreis des DSO die Arbeit des Orchesters. In der Saison 2012|2013 macht er sich um die Kammerkonzertreihe in der Villa Elisabeth verdient (siehe links). Auch etliche Instrumente wurden mit Hilfe der Orchesterfreunde angeschafft. Die Neuerwerbungen der jüngsten Zeit kommen vor allem der Nachwuchsarbeit des DSO zugute. Sie stehen beim Open House vor den Kulturradio-Kinderkonzerten und bei Schulprojekten zum Ausprobieren und Kennenlernen zur Verfügung. Auf Anregung des Posaunisten und Orchestervorstands Rainer Vogt konnte dieses Instrumentarium vor Kurzem durch eine Posaune und ein Horn ergänzt werden. Diese wurden am 10. November im Beisein des Chefdirigenten Tugan Sokhiev und des Orchesterdirektors Alexander Steinbeis von Dr. Ursula Klein (Vorstand Förderkreis) dem Orchestervorstand übergeben. Die nächste Anschaffung ist bereits geplant: Es handelt sich um ein Kinderfagott. Das DSO bedankt sich herzlich für diese großzügige Spende! dso-berlin.de/foerderkreis

ie kanadische Pianistin Angela Hewitt war bereits 2005 D zum ersten Mal beim DSO zu Gast. Seit Jahren sorgt sie mit Ihren Interpretationen der Klavierwerke von Johann Sebastian Bach und Robert Schumann für Furore. Nun hat sie, gemeinsam mit dem finnischen Dirigenten Hannu Lintu, wieder mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin zusammengearbeitet und Robert Schumanns hochromantisches A-Dur-Klavierkonzert eingespielt. Die unlängst erschienene CD enthält zudem zwei weitere, überaus selten zu hörende Konzertstücke des Komponisten: ›Introduktion und Allegro appassionato‹ op. 92, geschrieben für seine Frau Clara 1850, und ›Introduktion und Konzert-Allegro‹ op. 134, gewidmet dem jungen Johannes Brahms 1853. Dirk Hühner lobte im Kulturradio das »äußerst fein abgestimmte« Zusammenspiel. »Hier kommt kammermusikalische Innigkeit auf, in der jeder der Musiker sowohl Solist als auch Begleiter ist und die tatsächlich eine transzendente Qualität hat.«

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So 20. Januar 17 Uhr Villa Elisabeth

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Fr 22. Februar 20.30 Uhr Villa Elisabeth

Bild oben: Alexander Steinbeis, Rainer Vogt, Dr. Ursula Klein, Tugan Sokhiev (v. l. n. r.)

Die CD ist bei Hyperion Records erschienen.


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Daniel Müller-Schott im Gespräch

Fas zinati o n des A b grün d i g e n Der Cellist Daniel Müller-Schott über Schostakowitsch, Rostropowitsch und sein Konzert am 05.01.

Sie geben im Januar Ihr Debüt beim DSO mit dem Ersten Cellokonzert von Dmitri Schostakowitsch. Was reizt Sie an seiner Musik? Schon früh hat mich die Abgründigkeit in Schostakowitschs Musik fasziniert, ihre dunkle Klangsprache, all ihre Facetten und Ebenen und ihre zutiefst humanistische Botschaft, die gerade seinen langsamen Sätzen innewohnt. Das hat mich sehr berührt, und je öfter ich seine Konzerte spiele, desto mehr versuche ich, noch tiefer unter die Oberfläche zu blicken. Mich beeindruckt die Einfachheit seiner Themen: Sie sind nie vordergründig zu verstehen, sondern vermitteln immer eine Doppelbödigkeit, eine Botschaft. Das ist vor allem im historischen Kontext interessant: Schostakowitsch stand ständig unter der Bedrohung des Staates und musste fürchten, dass ihm ein neues Werk Nachteile bringen könnte. Er musste tatsächlich Angst um seinen Beruf und sein Leben haben. Diese Spannung drückt sich in der Musik aus, und es ist bewegend, das nachzuvollziehen.

»Mich fasziniert die Abgründigkeit in Schostakowitschs Musik — und ihre zutiefst humanistische Botschaft.«

Daniel Müller-Schott gehört zu den herausragenden Cellisten unserer Zeit. Er gewann mit 15 Jahren als erster Deutscher den Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb für junge Musiker, studierte bei Heinrich Schiff, Steven Isserlis und Mstislaw Rostropowitsch und ist als Konzertsolist und Kammermusiker auf den Bühnen der Welt zu Hause. Am 5. Januar gibt er mit Schostakowitschs Erstem Violoncellokonzert sein Debüt beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Herr Müller-Schott, Sie spielen seit Ihrem fünften Lebensjahr Cello und haben mit zwölf erste Wettbewerbe gewonnen. Was wäre aus Ihnen geworden, hätten Sie die musikalische Laufbahn nicht eingeschlagen? Etwas Künstlerisches wollte ich schon immer machen. Ich habe mich sehr für Architektur interessiert, auch Filme haben mich fasziniert. Als die ersten Videokameras auf den Markt kamen, habe ich Drehbücher geschrieben und mit Freunden kleine Krimi-Episoden gedreht. Später bin ich auch in Richtung bildender Kunst gegangen und habe u.a. mit Sprühdosen gearbeitet. Aber das Cello und die Musik waren doch immer die stärkste Kraft. Sie haben u.a. bei Heinrich Schiff und Steven Isserlis studiert, wurden von AnneSophie Mutter und ihrer Stiftung gefördert. Sie hat Ihnen auch den Kontakt zu dem legendären Cellisten Mstislaw Rostropowitsch vermittelt, bei dem Sie ein Jahr lang regelmäßig Unterricht nehmen konnten. Was hat er Ihnen beigebracht, was konnten Sie mitnehmen? Er war ein vollkommener Musiker, der nicht nur am Cello eine unglaubliche Freiheit erlangt hatte, sondern auch im Unterricht am Klavier die Partituren spielen und dabei die Struktur der Musik offen legen konnte. Und all das verband er mit einer unmittelbaren Emotionalität. Diese Kombination war für mich ganz neu. Ich war oft dabei, wenn er als Dirigent mit Orchestern gearbeitet hat, und darüber hinaus habe ich auch viel Zeit mit ihm verbracht. Das hat bei mir einiges in Gang gesetzt, mir Facetten am Musikersein eröffnet, die ich bislang nicht kannte und mich sehr motivierten, weiter an mir zu arbeiten. Es war eine unglaublich prägende Zeit.

Der dritte Satz besteht nur aus einer Solo-Kadenz. Ist er ein Denkmal für das Cello? Ja, vor allem aber eine Hommage an Rostropowitsch. Schostakowitsch hörte ihn die Sinfonia Concertante von Prokofjew spielen und kam dadurch auf die Idee zu einem Cellokonzert. Er hat hier wirklich alle Möglichkeiten des Instruments ausgeschöpft, von der lyrischen Verinnerlichung bis zu den vulkanischen Eruptionen am Ende, die dann in den Finalsatz übergehen. Das ist schon einmalig, das gab es vorher in der Musikgeschichte nicht. Wie schreibt Schostakowitsch für das Cello? Extrem gut und sehr wirkungsvoll! Selbst die rhythmischen, schnellen Passagen des ersten Satzes lassen sich hervorragend greifen. Er schöpft den gesamten Klangumfang aus. Besser kann man sich das kaum vorstellen. Ich habe gerade das zweite Konzert in Köln gespielt; das ist viel komplexer und schwieriger, auch in der Ausführung, dagegen ist das erste Konzert fast »bequem«. Wobei das natürlich relativ ist ... [lacht] Sie lieben die künstlerische Herausforderung. Hatten Sie jemals Angst vor Grenzüberschreitungen? Nein, solange es ernsthaft um die Musik geht. Ich bin beispielsweise schon mit einem Schostakowitsch-Konzert vor ein paar tausend Heavy-Metal-Fans auf dem RoskildeFestival in Dänemark aufgetreten. Ein anderer Veranstalter engagierte mich als »Vorgruppe« für Metallica. Ich habe dort die d-Moll-Suite von Bach gespielt, und die Leute haben andächtig zugehört. Es war ein geglücktes Experiment, die klassische Musik an ungewöhnliche Orte zu bringen und auf jeden Fall ein spannendes Abenteuer. Momentan sind Sie auch im Klaviertrio mit Renaud Capuçon und Nikolas Angelich unterwegs. Wie wichtig ist Ihnen Kammermusik? Das sind besonders erfüllende Projekte, weil man mit Freunden musizieren und sich musikalisch austauschen kann. Das möchte ich auch nicht missen, denn als Solist ist man sonst viel alleine in der Welt unterwegs. Kammermusik ist die intensivste, unmittelbarste Art des Musizierens. Manchmal stellt sich diese Art der Kommunikation auch mit Orchestern ein, und ich wünsche mir sehr, dass es in Berlin mit dem DSO auch so sein wird. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn ich kenne einige Musiker des Orchesters; das hilft mir immer sehr, eine Verbindung zu schaffen, die der Kammermusik ähnlich ist. Herr Müller-Schott, vielen Dank für das Gespräch.

»Kammermusik ist die intensivste, unmittelbarste Art des Musizierens.«

Das Gespräch führte Ma ximilian Rauscher.

Haben Sie mit Rostropowitsch auch die Werke erarbeitet, die Komponisten wie Prokofjew, Schostakowitsch, Britten und Boulez für ihn geschrieben hatten? Ja, denn es war ihm sehr wichtig, dass seine Schüler auch diese Werke spielen. Er hat mir nahegelegt, das gesamte Cellowerk von Britten einzustudieren. Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen, und ich musste ihn sogar ein wenig bremsen, da das innerhalb weniger Tage tatsächlich unmöglich war. [lacht]

Wojciech Kilar ›Krzesany‹ (Bergsteigen) Dmitri Schostakowitsch Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur Witold Lutosławski Konzert für Orchester

Er stand diesen Komponisten auch beratend zur Seite. Haben Sie davon profitiert? Einige dieser Stellen hat er mir gezeigt, so die Kadenz im zweiten Satz der Sinfonia Concertante. Prokofjew hatte ihn hierzu um Vorschläge gebeten, da er mehr vom Cello verstünde als er, und war von der Kadenz Rostropowitschs so begeistert, dass er sie fast 1:1 übernommen hat. Das hat Rostropowitsch mit großem Stolz erfüllt. Manchmal sagte er etwas süffisant, Prokofjew hätte dann nur noch eine Note geändert, doch gerade daran habe er gemerkt: »Das ist Genie.« [lacht] Er hat immer seine Ehrfurcht vor den großen Komponisten bekundet, und wenn er über Britten sprach, wirkte dieser wie eine Engelsgestalt. Für Rostropowitsch war die Musik heilig, und es war sehr schön, zu sehen, dass er diese totale Identifikation mit der Musik vorgelebt hat.

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Krzysztof Urbański Daniel Müller-Schott Violoncello Sa 5. Januar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 15 € bis 45 € | AboPlus-Preis ab 13 €


Notturno | Kinderkonzert

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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

not tUrno — MSchat ta bEI nacht Nächtliches Kammerkonzert am 25.01. im Pergamonmuseum —––

›Notturno‹ – Nächtliches Kammerkonzert in Kooperation mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Wolfgang amadeus Mozart Divertimento F-Dur für Streichquartett Fazil Say Streichquartett ›Divorce‹ Maurice ravel Streichquartett F-Dur EnSEMblE dES dSo Ksenija zečević Violine | Marija Mücke Violine robin hong Viola | claudia benker Violoncello Fr 25. Januar 22 Uhr Pergamonmuseum, Mschatta-Saal Einlass ab 20.45 Uhr | Kurzführung 21 Uhr Karten zu 15 € | 10 € für Schüler, Studenten | freie Platzwahl

Fünfzehn Museen von Weltrang, die Staatsbibliothek zu Berlin mit über zehn Millionen Bänden, mehrere Archive und Forschungsinstitutionen — die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehört zu den bedeutendsten und größten Kultureinrichtungen der Welt. Dabei verfügt sie nicht nur über herausragende Bestände und Sammlungen von der Steinzeit bis zur Gegenwart, sondern auch über eine Vielzahl historischer Gebäude, die über die Publikumsmagneten der Museumsinsel hinaus zu immer neuen Erkundungen einladen. Um diesen Schatz an Räumen und Atmosphären der Musik zu öffnen und das breit gefächerte Kammermusik-Potential der DSOMusikerinnen und Musiker weiter zu entfalten, riefen das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und die Stiftung vor drei Jahren die Konzertreihe ›Notturno‹ ins Leben. Sie steht unter dem Patronat des Stiftungspräsidenten Prof. Dr. Hermann Parzinger und bespielt dreimal im Jahr bekannte und auch weniger bekannte Orte der Kunst und des Wissens.

Eine Nacht im Museum Die Reihe wurde in kurzer Zeit zu einem Publikumsrenner, denn im Zusammenspiel von Architektur, Klang und Kunstwerk offenbart die Musik immer wieder neue und ungeahnte Facetten. Auch die Stimmung des nächtlichen Museums macht den besonderen Reiz der Konzertabende aus — der Besuch einer Welt, die zu später Stunde im Halbdunkel verborgen liegt und eine Konzentration und Ruhe verströmt, die im Trubel des Museumsalltags selten erfahrbar wird. Ab 21 Uhr können die Sammlungen gemeinsam mit Museumsdirektoren und Kuratoren erkundet werden, bevor um 22 Uhr das etwa einstündige Konzert beginnt.

eines jordanischen Kalifenpalastes aus dem 8. Jahrhundert, die durch ihre filigrane, von meisterhaften Steinmetzen geschaffene Ornamentik beeindruckt, gehört zu den faszinierendsten Exponaten des Museums. Sie bildet den Hintergrund für ein Programm mit Streichquartetten, das von den Violinistinnen Ksenija Zečević und Marija Mücke, der Bratscherin Robin Hong und der Cellistin Claudia Benker gestaltet wird. Es spannt einen Bogen vom mozartschen Divertimento über Maurice Ravels meisterhaftes F-Dur-Quartett, das erst einen Skandal hervorrief und dann zu Weltgeltung gelangte, bis zum 2010 entstandenen Streichquartett ›Divorce‹ des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say.

Quartettreise Am 5. Januar lockt das zweite ›Notturno‹-Konzert der Saison musikalische Nachtschwärmer in den MschattaSaal des Museums für Islamische Kunst im Südflügel des Pergamonmuseums. Die monumentale Kalksteinfassade

Das nächste Konzert findet am 14. Juni im Neuen Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden statt, der erst vor wenigen Tagen eröffnet wurde. MA xIMILIAN RAUSCHER

EIn böhME In aMErIKa Kulturradio-Kinderkonzert am 03.02.

Was ist amerikanische Musik? Ganz klar, Popmusik, Lieder von Justin Bieber oder Lady Gaga. Für die meisten Leute wahrscheinlich auch die Musik aus HollywoodFilmen. Und anderen fällt bestimmt noch der Jazz ein. Die USA sind ein großes Land, aber es gibt sie noch gar nicht so lange. Am 4. Juli 1776 sind die Vereinigten Staaten unabhängig geworden. Im selben Jahr wurde Wolfgang Amadeus Mozart zwanzig Jahre alt. Mozart lebte in einem Land, das schon viele Jahrhunderte Geschichte hatte, auch eine lange Musikgeschichte. Den USA fehlte eine solche Geschichte. Außerdem lebte dort ein bunter Mix von Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt. Sie waren aus ihren Heimatländern ausgewandert, weil sie sich ein besseres Leben erhofften. Oder sie waren aus Afrika verschleppt worden, um in Amerika als Sklaven zu arbeiten. Und dann gab es die Indianer, die Ureinwohner des Kontinents. Sie alle hatten ihre eigene Musik. Einige aber fanden, es sollte eine Musik geben, die alle Amerikaner als die Ihre empfänden. Also gingen sie auf die Suche nach jemandem, der schon einmal einem Volk seine Musik gegeben hatte. Den fanden sie in Europa, in Böhmen — heute liegt das in der Tschechischen Republik, damals gehörte es zum österreichischen Kaiserreich. Der Komponist hieß Antonín Dvořák. Wie sein älterer Kollege Bedřich Smetana (Komponist der ›Moldau‹ aus dem 41. Kulturradio-Kinderkonzert) hatte Dvořák eine

eigene böhmische Musik erfunden — Orchestermusik, Oper, Kammermusik. Dazu hatte er den Menschen auf dem Lande zugehört und ihre Melodien und Tanzrhythmen in seine Musik geholt. Dvořák war also genau der richtige Mann für diese Aufgabe.

Gewinnspiel: Antonín Dvořák hat in Amerika die Musik der Menschen gesammelt. Stell Dir vor, wie er das gemacht haben könnte, mal ein Bild dazu und schick’ es uns. Mit etwas Glück gibt es einmal vier Eintrittskarten für das Kinderkonzert am 21. April zu gewinnen. Die schönsten Bilder findest Du ab Februar unter: dso-berlin.de/kinderkonzerte

Dvořák kam für etwas mehr als zwei Jahre nach Amerika. Er hat Musikstudenten in New York unterrichtet. Und er hat seine Ohren aufgesperrt, welche Musik die Menschen machten. Er hörte Musik von Indianern und die Lieder der Schwarzen. Dvořák hat in den USA viele neue Stücke geschrieben. Und viele Amerikaner fanden: Diese neue Musik von Dvořák ist echt amerikanisch. Das berühmteste dieser Werke wurde seine Neunte Symphonie ›Aus der Neuen Welt‹. Wie amerikanisch diese Musik wirklich ist, das entdecken wir gemeinsam am 3. Februar 2013 im 45. KulturradioKinderkonzert mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. Der Dirigent bei diesem Konzert ist natürlich ein Amerikaner: James Conlon. Und vor dem Konzert lädt wie immer das Open House dazu ein, verschiedene Orchesterinstrumente auszuprobieren. CHRIST IAN SCHRUFF

Einsendungen bis zum 21. Januar bitte an: Deutsches Symphonie-Orchester Berlin im rbb-Fernsehzentrum Stichwort: Kinderkonzert-Gewinnspiel Masurenallee 16–20 | 14057 Berlin

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›Es war einmal … ein Böhme in Amerika‹ antonín dvořák Symphonie Nr. 9 e-Moll ›Aus der Neuen Welt‹ JaMES conlon | christian Schruff Moderation So 3. Februar 12 Uhr Konzert | 10.30 Uhr open house haus des rundfunks, großer Sendesaal Für Kinder ab 6 Jahren. Karten zu 4 € | Erwachsene 10 €


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Iwan der Schreckliche

GröSSe und Schrecken — die Geschichte des Zaren Iwan

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Er hätte einen kleinen Umsturz auslösen können im Lande der verratenen Großen Revolution: ein Film, der am Beispiel eines mächtigen und siegreichen Herrschers zeigte, wie unlösbar das Gute und das Böse ineinander verstrickt sind, wie rasch das eine in das andere mutieren kann, und wie sehr die Schwarzweißmalerei trügt, die Menschen, Gruppen, Gesellschaftsformen, Überzeugungen und Staaten ausschließlich dem Einen oder dem Anderen zuschlägt. Es mag das restlos Böse geben, die Geschichte des 20. Jahrhunderts legt das nahe, das restlos Gute aber bleibt eine Utopie, in deren Namen viel Schreckliches verübt wurde.

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Tugan Sokhiev dirigiert am 12. + 13.01. das Oratorium ›Iwan Grosny‹ nach Prokofjews Filmmusik

Tonspur eine eigenständige Ebene, sie holt Geschichte und Erinnerung in die Handlung, sie deutet große Bögen an und lässt dadurch Kommendes ahnen, bisweilen drückt sie aus, was die Szene nicht unmittelbar zeigt, aber was doch in sie hineinwirkt. Der zweite Teil der Partitur verschwand mit dem zugehörigen Filmabschnitt in den Tresoren der Zensur. Erst Jahre nach Stalins Tod wurden sie geöffnet, Eisenstein und Prokofjew erlebten diese kurze Zeit des Tauwetters nicht mehr. Aus Filmmusiken wurden häufig Kantaten oder Suiten für den Konzertgebrauch zusammengestellt, so wie dies auch bei Ballettpartituren geschah. Prokofjew folgte dieser Praxis bei seiner Musik zu ›Alexander Newski‹ (Tugan Sokhiev dirigierte die Suite im März 2012). Er hätte dies wohl auch mit seiner ›Iwan‹-Musik getan, wenn nicht ein Teil des Filmes bei der Nomenklatura um Stalin in Ungnade gefallen wäre. Abram Stassewitsch, der die Einspielung der Filmmusik dirigiert hatte, holte die Bearbeitung 1961 nach. Aus dem vorhandenen Material schuf er ein Oratorium, das sich musikalisch vor allem auf die Gesangsstücke, die Chöre und die Soli, stützt und deren Reihenfolge um einer gestrafften Handlung willen neu ordnet. Den inhaltlichen Zusammenhang stellt ein Erzähler her, Orchesterpassagen und Melodramen akzentuieren Nervenpunkte in der Entwicklung des inneren und äußeren Dramas um Iwan. Das Oratorium endet mit einer Vision: »Die Rus« erscheint Iwan in Glanz und Stärke, er selbst spricht wie ein Gottgesandter mit Bibelworten und dem entrückten Fernblick eines Sehers.

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»›Iwan der Schreckliche‹ zeigt den Komponisten Sergej Prokofjew von einer wenig bekannten Seite. An Qualität steht das Werk seinen Symphonien in nichts nach.« Tugan Sokhiev

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Sergej Prokofjew ›Iwan der Schreckliche‹ – Oratorium für Sprecher, Alt, Bariton, Knabenchor, Chor und Orchester Tugan Sokhiev Wladimir Kaminer Sprecher und deutsche Texte Olga Borodina Mezzosopran Ildar Abdrazakov Bass Rundfunkchor Berlin Tobias Löbner Staats- und Domchor Berlin Kai-Uwe Jirka Sa 12. + So 13. Januar jeweils 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 20 € bis 59 € | AboPlus-Preis ab 17 €

Auftrag und Zensur Im Jahre 1942 erhielt der Regisseur Sergej Eisenstein von der zuständigen sowjetischen Behörde die Genehmigung, einen Film über den Zaren Iwan IV. zu drehen, dem man den Beinamen ›Grosny‹, der Furchteinflößende, gegeben hatte. Das Leinwandepos sollte aus drei Teilen bestehen. Der erste zeigt die Krönung Iwans, der sich aus der Erniedrigung durch die Bojaren nach oben gekämpft hatte, seinen Sieg über die Tataren, die Intrigen der russischen Duodezfürsten, den Giftmord an seiner Frau und sein Exil in Alexandrow, wo er eine schlagkräftige Armee, eine Mischung aus Geheimpolizei, Freiwilligentruppe und Elitesoldaten formierte. Der zweite Teil handelt von seiner Rückkehr nach Moskau, der Rückeroberung und Sicherung der Macht, und von seiner Verwandlung zum paranoiden Despoten; Eisenstein arbeitet hier mit Rückblenden, die Iwans Wesen erklären. Im letzten Teil sollte vom Niedergang des Zaren die Rede sein. Der erste Teil wurde produziert, öffentlich gezeigt und mit einem Stalinpreis belobigt. Der zweite dagegen passierte 1947 die Vorzensur nicht und verschwand in den Dunkelkammern der Archive, den dritten Teil konnte Sergej Eisenstein vor seinem Tod am 11. Februar 1948 nicht mehr abdrehen.

Die Erzählung Die messianischen Züge des Iwan-Epos verstärkte Stassewitsch mit dem Erzähltext, um den er das Oratorium nach Prokofjew gruppierte. In direkter Übersetzung wäre er heute schwer zu ertragen. Das DSO gewann für die Rolle des Erzählers Wladimir Kaminer, Sprecher, Schriftsteller, aus eigenem Erleben Kenner der sowjetischen und der postsowjetischen Gesellschaft, seit 1990 Wahlberliner. Er wird einen eigenen Text schreiben und vortragen. Kaminer besitzt die seltene Fähigkeit, alte Dichtungen für moderne Menschen so zu erzählen, dass man mitfiebert und dennoch immer wieder die historische Distanz fühlt. Man darf gespannt sein, wie er die Geschichte um Iwan den Schrecklichen aufnimmt und durch eine Musik führt, die an das Gute glauben und das Böse erleben lässt. Prokofjew mobilisiert alles, das Monumentale und das Sensible, das Komische und das Grausige, das Dumpfe und das Strahlende. Das Werk verlangt einen exzellenten Chor, der schwarze Tiefen und glänzende Höhen verwirklichen kann — der Rundfunkchor Berlin ist dafür die Idealbesetzung —, es fordert Solisten, die das Schöne und das Dämonische miteinander verschmelzen lassen. In Tugan Sokhievs Vorhaben, wenig bekannte, aber bedeutende Seiten der russischen Musik ins Bewusstsein zu bringen, ist ›Iwan der Schreckliche‹ das zentrale Projekt der Saison. Habakuk traber

Die Musik Sergej Prokofjew komponierte die Musik als dramatische Begleitung und Verstärkung der Handlung, mit mächtigen Chören und wirkungsvollen Sologesängen. Filmkomposition bedeutete ihm wie anderen Zeitgenossen eine moderne Form des Musikdramas, ein zeitgemäßes Pendant zur Oper mit ihrer jahrhundertealten Tradition. Im Gesamtkunstwerk belegt die gestaltete


Ultraschall | Dirigierworkshop

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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

ultraschall Das DSO am 19. + 27.01. zu Gast beim Festival für neue Musik Seit 1999 ist das Festival ›Ultraschall‹ eine der wichtigsten Anlaufstellen für Liebhaber neuer und neuester Musik in Berlin. Das Deutsche Symphonie-Orchester gehört von Anfang an mit zwei Konzerten zum festen Bestandteil des Programms. Dr. Margarete Zander (rbb), die seit 2005 gemeinsam mit Rainer Pöllmann (Deutschlandradio) das Festival gestaltet, stellt im Folgenden Komponisten und Werke der beiden DSO-Programme bei ›Ultraschall‹ im Januar 2013 vor. Kunst als Modell des emotionalen Begreifens Von Textfragmenten des jüdischen Visionärs Bruno Schulz sei seine Musik »entzündet« worden, erzählt der österreichische Komponist Johannes Maria Staudt, dessen Komposition ›Contrebande (On Comparitive Meteorology II)‹ das Konzert am 19. Januar eröffnet. Er fixiert seine Werke auf einer Leinwand, kalligraphische Zeichnungen sind seine Denkstützen beim Arbeiten. Für den Schweizer Komponisten Michael Jarrell sind die Konturen der Wellen mit ihren faszinierenden Zeichnungen, die ein Schiff hinter sich auslöst, und der große Strom gleichermaßen Bewegungen, die die Zeit und ihre energetische Dichte ausformen. In diese Bilder taucht er in ›Sillages — Congruences II‹ ein. Naturbetrachtungen nimmt auch die israelische Komponistin Chaya Czernowin in ›The Quiet‹ vor — und folgt der Frage: Wie klingt ein Schneesturm von Nahem, welche Bewegungen kann er auslösen? Einen Blick auf einen berühmten Vorgänger wagt ihr österreichischer Kollege Georg Friedrich Haas in seinem Versuch, Mozart neu zu lesen.

Aus dem Dunkel geboren Das Konzert am 27. Januar beginnt mit ›Spaces of Blank‹ des Niederländers Michel van der Aa. Er findet einen poetischen Klangraum von Einsamkeit und Angst in fünf Gedichten von Emily Dickinson bis Rozalie Hirs, seine Erweiterung des Orchesters mit elektronischen Mitteln öffnet dem Hörer Resonanzräume. Die koreanische Komponistin Younghi Pagh-Paan hat bei Edith Stein und Teresa von Ávila, im Buddhismus, Taoismus und Christentum emotionale Erkenntnisse über die ureigenen Kräfte der Seele gefunden. ›Der Glanz des Lichts‹ führt die Solistinnen über kunstvolle Melodien in einen Klangraum zwischen Himmel und Erde. In Francis Fukuyamas provokantem Buch ›The End of History and the Last Man‹ fand Georg Katzer eine weltlichpolitische Anregung, auf die seine Komposition ›Die Leier drehen‹ kritisch reagiert. Als Dirigent und Professor für Musiktheorie bringt Nader Mashayekhi westliche Musik in die Kulturwelt seiner persischen Heimat. Werke von John Cage und Gustav Mahler haben ihn als Jugendlicher aus seiner Einsamkeit befreit, in Wien hat er seinen Weg als Komponist gefunden. Zurück in seiner Heimat, sucht er nach einer bewusstseinserweiternden Begegnung der Kulturen. In ›Das Ende der Erinnerung‹ spürt er seinen tief im Innersten verankerten Bildern der reichen persischen Kultur nach. DR. MARG ARE T E Z ANDER

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212. Konzert ›Musik der Gegenwart‹ Johannes Maria Staud ›Contrebande (On Comparative Meteorology II)‹ Michael Jarrell ›Sillages – Congruences II‹ für Flöte, Oboe, Klarinette und Orchester Georg Friedrich Haas ›… sodaß ich’s hernach mit einem Blick gleichsam wie ein schönes Bild … im Geist übersehe‹ Chaya Czernowin ›The Quiet‹ für Orchester in drei Gruppen Brad Lubman Martin Fahlenbock Flöte | Jaime González Oboe Shizuyo Oka Klarinette Sa 19. Januar 20 Uhr Haus des Rundfunks

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213. Konzert ›Musik der Gegenwart‹ Michel van der Aa ›Spaces of Blank‹ für Mezzosopran, Orchester und Zuspielung Younghi Pagh-Paan ›Der Glanz des Lichts‹ für Violine, Viola und Orchester Nader Mashayekhi ›Das Ende der Erinnerung‹ Georg Katzer ›Die Leier drehen‹ Lucas Vis Esther Kuiper Sopran | Melise Mellinger Violine Barbara Maurer Viola | Eckehard Güther Klangregie So 27. Januar 20 Uhr Haus des Rundfunks Karten für das Festival ›Ultraschall‹ über den DSO-Besucherservice Tel 030. 20 29 87 11

Mit dem Orchester atmen Dirigierworkshop mit Tugan Sokhiev und jungen Talenten

Große Dirigentenkarrieren beginnen meist ganz früh. Tugan Sokhiev, Chefdirigent und Künstlerischer Leiter des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, weiß das aus eigener Erfahrung. Im Alter von 16 Jahren erhielt er seinen ersten Dirigierunterricht, zwei Jahre später setzte er seine Ausbildung bei dem legendären Ilja Musin in St. Petersburg fort. Dort lernte er das, was die Musiker des DSO an ihm schätzen: künstlerische Intention, einen zielbewussten und temperamentvollen Arbeitsstil und die Fähigkeit, sie zu motivieren, das Richtige zu tun. Um seine Kenntnisse des Dirigierhandwerks an die nächste Generation weiterzugeben, rief Tugan Sokhiev, dem die musikalische Nachwuchsförderung ein persönlich wichtiges Anliegen ist, mit dem DSO einen Dirigierworkshop ins Leben. Vier Teilnehmer, die im Vorfeld aus den eingereichten Bewerbungen ausgewählt worden waren, fanden sich am Sonntagmittag des 18. November im rbb-Fernsehzentrum ein, um gemeinsam mit Tugan Sokhiev an Nikolai Rimski-Korsakows Symphonischer Dichtung

›Scheherazade‹ zu arbeiten, die er an den vorangegangenen Tagen selbst mit überwältigendem Erfolg in der Philharmonie dirigiert hatte. Im lichtdurchfluteten Ferenc-Fricsay-Saal, dem Probensaal des DSO, nahmen die Zuschauer auf den ansteigenden Musikersitzreihen Platz. Voller Spannung auf die erste Veranstaltung dieser Art wechselten die Blicke zwischen den vier Kandidaten und den beiden aufgestellten Flügeln.

»Genauso wichtig wie ein Orchester zu leiten, ist es, ihm zu folgen.« Tugan Sokhiev Für die angehenden Dirigenten im Alter zwischen 19 und 23 Jahren bestand die Aufgabe zunächst darin, einen Satz aus der ›Scheherazade‹ in der Fassung für zwei Klaviere zu dirigieren. Den Anfang machte der aus Russland stammende Sergey Kunetsov, gefolgt von dem Homburger Gerrit Jan Netzlaff, dem Berliner Till Schwabenbauer und Maximilian Rajczyk aus Saarbrücken. Während

sich die Workshop-Teilnehmer mit voller Konzentration der Musik widmeten, verfolgte Tugan Sokhiev im Hintergrund aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Dass dirigieren mehr ist, als nur den Takt vorzugeben, wurde spätestens dann klar, als er in die Rolle des Lehrers schlüpfte, um den Dirigiereleven seine St. Petersburger Schule zu vermitteln. Wer dabei an trockenen Unterricht denkt, liegt jedoch falsch. Gekonnt bezog Sokhiev das Publikum mit ein, wobei er Dirigierbeispiele anführte und Anekdoten aus seiner eigenen Lehrzeit, wie etwa die Geschichte mit den Armschmerzen aufgrund einer falschen Dirigiertechnik, zum Besten gab. Dass es häufig nur Details sind, mit denen ein Dirigat steht oder fällt, machte Tugan Sokhiev allen Teilnehmern deutlich: »Ein guter Dirigent muss sich in die Lage eines jeden einzelnen Musikers versetzen können, muss mit dem Orchester zu einer Einheit verschmelzen, mit ihm atmen.« Tobias Lind

Video zum Workshop: dso-berlin.de/dirigierworkshop


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James Conlon | Pultnotiz

Pultnotiz

Bernhard Hartog, Erster Konzertmeister des DSO Der Geiger Bernhard Hartog wurde nach seinem Studium zunächst Mitglied der Berliner Philharmoniker und wechselte 1980 als Erster Konzertmeister zum DSO. Er unterrichtet an der Universität der Künste Berlin und ist Mitglied zahlreicher Kammermusikensembles wie etwa dem Hartog-Quartett, mit dem er sämtliche Haydn- und Schubertquartette zyklisch aufführte. Als Solist spielte er unter Dirigenten wie Gerd Albrecht, Vladimir Ashkenazy, Riccardo Chailly, Ingo Metzmacher und Kent Nagano. Seit 1987 wirkt er als Konzertmeister im Bayreuther Festspielorchester mit. Am 22. Februar ist er im Kammerkonzert in der Villa Elisabeth —–– S. 2 zu erleben. Für die DSO-Nachrichten hat er einen kleinen Fragebogen beantwortet.

Die Suche nac h dem Gl auben James Conlon und Joyce Yang am 04.02. mit Bernstein und Schostakowitsch Beinahe fünf Jahrzehnte umspannte die außergewöhnliche Karriere Leonard Bernsteins, die 1943 mit einem spontanen Einspringen für den erkrankten Bruno Walter am Pult der New Yorker Philharmoniker ihren entscheidenden Anstoß genommen hatte. »Lenny« war nicht nur charismatische Dirigentenlegende, Erfinder und Moderator der ›Young People’s Concerts‹, Pianist und Hochschullehrer, sondern auch ein hochbegabter Komponist, der sich souverän in und zwischen den unterschiedlichsten Musikwelten bewegte. Schon vor den Musicals ›Candide‹ und ›Westside Story‹, die ihm Mitte der 50er-Jahre am Broadway zu Weltruhm verhalfen, entstanden seine ersten beiden Symphonien: ›Jeremiah‹ (1942) und ›The Age of Anxiety‹ (1948). Ein eigenes Leben Zu letzterer hatte ihn das monumentale Poem des Dichters W. H. Auden inspiriert. ›Das Zeitalter der Angst‹ erzählt von vier einsamen Seelen, die zu Kriegszeiten in einer New Yorker Bar zusammentreffen und sich im Verlaufe einer alkoholgeschwängerten Nacht über Unsicherheiten, Lebensängste und die Suche nach dem Glauben austauschen. »Das Konzept einer Symphonie mit Klaviersolo entstand aus meiner außergewöhnlichen persönlichen Identifizierung mit dem Gedicht«, schrieb Bernstein zur Uraufführung. »In diesem Sinne stellt der Pianist beinahe einen autobiographischen Hauptdarsteller dar, dem das Orchester wie ein Spiegel gegenübersteht, in dem er sich analytisch im modernen Ambiente sieht. Das Werk ist daher kein Concerto im virtuosen Sinne, obwohl ich Audens Gedicht für eines der bewegendsten Beispiele reiner Virtuosität in der Geschichte der englischen Poesie halte.« Heiliger Klang Mit diesem Klavierpart gibt die junge, in Korea geborene amerikanische Pianistin Joyce Yang am 4. Februar ihr Debüt beim DSO. »Am meisten hat mich das Ende von ›The Age of Anxiety‹ bewegt«, erzählt sie. »Nach all dem Chaos fügt sich plötzlich alles in einer herrlichen Melodie zusammen und entfaltet einen vollen, fast heiligen Klang. Ich war überwältigt, als ich das zum ersten Mal hörte. […] Am Ende hat man fast das Gefühl, die Antwort gefunden zu haben, nach der man sein ganzes Leben gesucht hat.« Joyce Yang gehört zu den gefragtesten Pianistinnen ihrer Generation und erhielt 2010 den ›Avery Fisher Career Grant‹. Neben Ihrer Solokarriere, die sie unter der Leitung von Dirigenten wie Lorin Maazel oder Leonard Slatkin u.a. zum New York Philharmonic Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra und dem BBC Philharmonic Orchestra führte, ist sie eine ambitionierte Kammermusikerin und eng mit dem Takàcs String Quartet verbunden. Mehrfach hat die Pianistin auch schon mit James Conlon zusammengearbeitet. Der vielfach ausgezeichnete Musikdirektor der Los Angeles Opera, des Ravinia Festivals und des Cincinnati May Festivals gehört zu den vielseitigsten Dirigenten unserer Zeit. Bei seinem Debüt am Pult des DSO vor zwei Jahren überzeugte er mit einer aufwühlenden, ergreifenden Interpretation des Verdi-Requiems. Für den zweiten Teil des Konzertabends hat der Musiktheaterspezialist Auszüge aus Dmitri Schostakowitschs zweiter Oper ›Lady Macbeth von Mzensk‹ zu einer Suite zusammengestellt. ma ximilian rauscher

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Leonard Bernstein Symphonie Nr. 2 ›The Age of Anxiety‹ für Klavier und Orchester Dmitri Schostakowitsch Suite aus ›Lady Macbeth von Mzensk‹ James Conlon Joyce Yang Klavier Mo 4. Februar 20 Uhr Philharmonie Karten von 15 € bis 45 € AboPlus-Preis ab 13 €

Ich bin Geiger geworden, weil ... ich als Fünf- oder Sechsjähriger Yehudi Menuhin im Radio hörte und mein erster Geigenlehrer mich für die »Krone aller Instrumente« begeisterte. Wäre ich nicht Geiger geworden, wäre ich heute … vielleicht Keyboarder in einer Band. Lampenfieber ist … allgegenwärtig für einen Musiker. Meine drei Lieblingswerke der Orchesterliteratur: 1. Haydns Symphonie Nr. 52 c-moll, eine seiner Sturm-und-Drang-Symphonien. Ich lernte sie beim Haydn-Ensemble Berlin in den 90er-Jahren kennen. Ihr brio und ihre schroffen Gegensätze beschleunigen noch heute meinen Puls, wenn ich sie höre. 2. Mendelssohn Bartholdys ›Italienische‹ Symphonie. Sie macht einfach unwiderstehlich gute Laune. 3. Milhauds ›La création du monde‹, wegen ihrer Nähe zum Jazz. Ich durfte das Stück vor Jahren beim Jazzfest mit Musikern der Mingus Big Band unter der Leitung Gunter Schullers spielen. Privat höre ich momentan am liebsten ... Randy Newman: ›Harps and Angels‹ Das DSO ist für mich ... im Laufe von über 30 Jahren Zugehörigkeit musikalischer und menschlicher Halt geworden. Diese Tempobezeichnung entspricht am ehesten meinem Temperament: Tempo prudente.


Konzertvorschau | Impressum

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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

Konzerte Januar Sa 05.01. 20 Uhr Philharmonie

Kilar ›Krzesany‹ (Bergsteigen) Schostakowitsch Violoncellokonzert Nr. 1 Lutosławski Konzert für Orchester Krzysztof Urbański Daniel Müller-Schott Violoncello

Sa 12.01. So 13.01. 20 Uhr Philharmonie

Prokofjew ›Iwan der Schreckliche‹ – Oratorium für Sprecher, Alt, Bariton, Knabenchor, Chor und Orchester Tugan Sokhiev Wladimir Kaminer Sprecher und deutsche Texte Olga Borodina Mezzosopran Ildar Abdrazakov Bass Rundfunkchor Berlin Tobias Löbner Staats- und Domchor Berlin Kai-Uwe Jirka

Sa 19.01. 20 Uhr Haus des Rundfunks

So 20.01. 17 Uhr Villa Elisabeth Fr 25.01. 22 Uhr Pergamonmuseum

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›Ultraschall‹ – Das Festival für neue Musik Staud ›Contrebande‹ Jarrell ›Sillages‹ Georg Friedrich Haas ›… sodaß ich’s hernach — mit einem Blick gleichsam ... ‹ Chaya Czernowin ›The Quiet‹ Brad Lubman Martin Fahlenbock Flöte Jaime González Oboe Shizuyo Oka Klarinette Kammerkonzert Britten, O’Connor, Strawinsky, Prokofjew Ensemble des DSO

So 27.01. 20 Uhr Haus des Rundfunks

›Ultraschall‹ – Das Festival für neue Musik van der Aa ›Spaces of Blank‹ Pagh-Paan ›Der Glanz des Lichts‹ Mashayekhi ›Das Ende der Erinnerung‹ Katzer ›Die Leiher drehen‹ Lucas Vis Esther Kuiper Mezzosopran Melise Mellinger Violine Barbara Maurer Viola Eckehard Güther Klangregie

Februar So 03.02. 12 Uhr Haus des Rundfunks

Mo 04.02. 20 Uhr Philharmonie

Fr 22.02. 20.30 Uhr Villa Elisabeth

Kulturradio-Kinderkonzert Dvořák Symphonie Nr. 9 e-Moll ›Aus der Neuen Welt‹ James Conlon Christian Schruff Moderator Bernstein Symphonie Nr. 2 ›The Age of Anxiety‹ für Klavier und Orchester Schostakowitsch Suite aus ›Lady Macbeth von Mzensk‹ James Conlon Joyce Yang Klavier Kammerkonzert Webern, Brahms Ensemble des DSO

Konzerteinführungen Zu allen Symphoniekonzerten in der Philharmonie – mit Ausnahme der Casual Concerts – findet jeweils 65 Minuten vor Konzertbeginn eine Einführung mit Habakuk Traber statt.

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Impressum Deutsches Symphonie-Orchester Berlin in der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin im rbb-Fernsehzentrum Masurenallee 16 – 20 | 14057 Berlin Tel 030. 20 29 87 530 | Fax 030. 20 29 87 539 dso-berlin.de | info@dso-berlin.de Orchesterdirektor Alexander Steinbeis (V. i. S. d. P.) Orchestermanager Sebastian König Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Benjamin Dries Redaktion Maximilian Rauscher, Benjamin Dries Redaktionelle Mitarbeit Tobias Lind Branding | Marketing Jutta Obrowski Abbildungen | Fotos Urban Zintel (S. 1), Thomas Meyer | Ostkreuz (S. 2 links), Benjamin Dries | DSO (S. 2 Mitte), Peter Hundert (S. 2 rechts), Maiwolf (S. 3), bpk | Museum für Islamische Kunst, SMB | Georg Niedermeiser (S. 4), Kai Bienert (S. 5 + 6), Oh Seuk Hoon (S. 7 links), Archiv DSO (S. 7 rechts) Art- und Fotodirektion .HENKELHIEDL Redaktionsschluss 6.12.2012 Änderungen vorbehalten © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2012 Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ist ein Ensemble der Rundfunk Orchester und Chöre Gmbh Berlin. Geschäftsführer Thomas Kipp Gesellschafter Deutschlandradio, Bundesrepublik Deutschland, Land Berlin, Rundfunk BerlinBrandenburg

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Kammerkonzerte Die ausführlichen Programme und Besetzungen finden Sie unter dso-berlin.de/kammermusik

Kammerkonzert ›Notturno‹ Mozart, Say, Ravel Ensemble des DSO

K arten, Abos und Beratung Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Besucherservice Charlottenstraße 56 | 2. OG 10117 Berlin | Am Gendarmenmarkt Öffnungszeiten Mo bis Fr 9 – 18 Uhr Tel 030. 20 29 87 11 | Fax 030. 20 29 87 29 tickets@dso-berlin.de


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