DSO-Nachrichten 01/02 2019

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BRAHMS-PERSPEKTIVEN Festival mit Robin Ticciati → S. 4 Plädoyer für die Freiheit Igor Levit im Gespräch → S. 3 Geistige Kontrahenten Ingo Metzmacher mit Schostakowitsch → S. 6

Robin Ticciati Chefdirigent

DSO-Nachrichten 01 | 02 2019

DSO-Nachrichten 01 | 02 2019

Schmelztiegel Wien Fabien Gabel und Francesco Piemontesi → S. 7


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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

»Die guten Wirtshäuser in Wien …«

Brahms

»Lieber Freund, Du wirst nun durch Faber erfahren haben, dass mir eine Berufung nach Düsseldorf geworden ist. Ich habe mir so lange und ernstlich eine Stellung, eine Tätigkeit gewünscht, dass ich jetzt ein ernstes Gesicht dazu machen muss. Ich gehe ungern von Wien fort und habe vielerlei gerade gegen Düsseldorf. […] Sein Gutes hat jedes Ding, so wirst Du vielleicht jetzt sagen. Dadurch nämlich bin ich zum Entschluss gekommen, mit [der Ersten] Sinfonie herauszurücken. Ich meinte, ich müsst den Wienern doch zum Abschied was Ordentliches aufspielen. [...] Da nun eine Sinfonie von mir etwas Rares ist, so wird bereits weidlich darum telegraphiert und geschrieben. Ich mache sie wohl den 4. November in Karlsruhe, den 9. in Mannheim, den 15. in München, den 17. Dezember bei Euch [in Wien]. […] Meine Hauptgründe gegen [die Annahme der Stelle in Düsseldorf] sind auch kindlicher Natur und müssen verschwiegen bleiben. Etwa die guten Wirtshäuser in Wien, der schlechte, grobe rheinische Ton (namentlich in Düsseldorf) und – und – in Wien kann man ohne weiteres Junggeselle bleiben, in einer kleinen Stadt ist ein alter Junggeselle eine Karikatur. Heiraten will ich nicht mehr und – habe doch einigen Grund, mich vor dem schönen Geschlecht zu fürchten.« In diesem Brief an den Chirurgen Theodor Billroth vom 17. Oktober 1876 berichtet Johannes Brahms von einem (abgelehnten) Stellenangebot und den bevorstehenden Uraufführungen seiner Ersten Symphonie. Die vier Symphonien des Komponisten sind im Rahmen des Festivals ›BrahmsPerspektiven‹ unter der Leitung Robin Ticciatis vom 16. bis 23. Februar in der Philharmonie zu erleben S. 4. Die Abbildung links zeigt Brahms als Scherenschnitt aus der Serie ›Dr. Otto Böhlers Schattenbilder‹, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts.

Historische Aufnahmen mit Jorge Bolet

Kurzmeldungen

Kammerkonzerte im Januar und Februar Die munteren Variationen über das Lied ›Die Forelle‹ gaben Franz Schuberts berühmtem Quintett für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass und Klavier seinen Namen, und nicht nur der Auftraggeber der Komposition, der Beamte und Amateurcellist Sylvester Paumgartner, zeigte sich »über das köstliche Liedchen ganz entzückt«. Am 11. Januar widmet sich ein Kammermusikensemble des DSO dem beliebten Werk im Heimathafen Neukölln und stellt ihm Rossinis nicht minder launiges Duo für Violoncello und Kontrabass zur Seite. Im Rahmen der Reihe ›Notturno‹, die das DSO gemeinsam mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz veranstaltet, sind dann am 1. Februar Trios für Traversflöte, Violoncello und Hammerflügel von Haydn, Weber und Kozeluch zu hören – im Deutschrömersaal der Alten Nationalgalerie und inmitten von Kunstwerken Arnold Böcklins, Anselm Feuerbachs und Hans von Marées’. Mehr unter dso-berlin.de/kammermusik

Fr 11. Januar 20.30 Uhr Heimathafen Neukölln

Fr 1. Februar 22 Uhr Alte Nationalgalerie

11.01.: Karten zu 18 € | AboPlus-Preis ab 15 € 01.02.: Das Konzert ist ausverkauft.

Neben seinen Neuproduktionen hat sich das Label audite der Hebung unveröffentlichter Schätze aus den Rundfunkarchiven verschrieben. Zahlreiche historische Aufnahmen des RIAS-, später Radio-Symphonie-Orchesters Berlin (RSO, heute DSO) wurden dort in den letzten Jahren veröffentlicht – von den Originalbändern digitalisiert und sorgsam restauriert. Nun erscheint der dritte und letzte Teil einer Edition, die dem kubanisch-US-amerikanischen Pianisten Jorge Bolet (1914–1990) gewidmet ist. Obgleich ihm der große Durchbruch erst mit 60 Jahren gelang, gilt er heute als einer der großen Interpreten des 20. Jahrhunderts. Sechs Mal war er zwischen 1967 und 1982 beim DSO in Berlin zu Gast. Im Oktober 1974 spielte er dabei mit Beethovens Fünftem Klavierkonzert ein für ihn eher untypisches Repertoire. Der Mitschnitt dieses Konzerts unter der Leitung Moshe Atzmons ist nun erstmalig auf Tonträger erhältlich. In der 3-CD-Box finden sich zudem zahlreiche bislang ungehörte Solo-Aufnahmen des Pianisten aus den RIAS-Studios mit Werken von Chopin, Debussy und Dello Joio, Franck, Godowsky, Grieg und Schumann. Mehr unter dso-berlin.de/neuerscheinungen Jorge Bolet: The Berlin Radio Recordings, Vol. III Erscheint am 11.01. bei audite

Neujahrskonzert mit dem Circus Roncalli Hereinspaziert, hereinspaziert! Wenn unter dem Zeltdach des Tempodroms am Anhalter Bahnhof die Artisten, Clowns und Klangzauberer eine wunderbare Fantasiewelt erschaffen, in der sich Schönheit und Eleganz, Spannung und atemloses Staunen nahtlos ineinanderfügen, dann ist der musikalische Silvesterknaller perfekt – und so beliebt, dass er am Neujahrstag um 18 Uhr ein drittes Mal gezündet wird. Die Konzerte des DSO mit dem Circus Roncalli gehen in ihre fünfzehnte Saison und gehören für viele Berliner inzwischen zum festen Programm des Jahreswechsels. Am Pult steht diesmal Kevin John Edusei. Der Chefdirigent der Münchner Symphoniker und des Konzert Theaters Bern war bereits 2015 in der Waldbühne mit dem DSO zu erleben. Er begrüßt das Jahr 2019 gemeinsam mit der jungen Sopranistin Jeanine De Bique, deren außergewöhnliche expressive und virtuose Qualitäten ihr derzeit eine steile Karriere bescheren. Mehr unter dso-berlin.de/neujahr

Di 1. Januar 18 Uhr Tempodrom Karten von 20 € bis 67 € | AboPlus-Preis ab 17 €


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Plädoyer für die Freiheit Der Pianist Igor Levit im Gespräch über sein Konzert am 17.02.

bizarrer Weise aber beide gleichzeitig krank. Insofern ist unser Zusammenspiel jetzt eine Premiere! Allerdings sind wir uns schon einmal zufällig hier in Berlin beim Einkaufen auf dem Markt begegnet – wir wohnen gar nicht weit voneinander … Das Konzert erklingt im Rahmen eines Festivals, das den Symphonien von Brahms gewidmet ist, seinen Vorbildern, Wegbegleitern, Nachfolgern. Wer sind Ihre Vorbilder? Das sind sehr unterschiedliche Menschen. Natürlich gehören meine Lehrer dazu, genauso wichtig sind mir aber auch Weggefährten und Freunde, die für mich prägend waren. Das können Künstler sein, Gastronomen, Anwälte, Politiker, Schriftsteller. Ich suche mir meine Freunde nicht nach ihrem Beruf aus, sondern ich begegne Menschen, von denen ich lernen kann. Wenn Sie neue Werke lernen, beschäftigen Sie sich lange nur mit dem Notentext und gehen erst spät ans Instrument. Warum? Den Prozess des Lesens finde ich manchmal sogar interessanter als den Prozess des Spielens. Sofern es meine Zeit erlaubt, versuche ich immer, wenn ich mir ein neues Stück erarbeite, erst einmal zu hören und zu lesen. Mittlerweile habe ich genügend Erfahrung, um mir beim Lesen vorzustellen, was die Hand machen wird. Und das Schöne dabei ist: Wenn ich mich dann ans Klavier setze, ist es kein unbekanntes Stück mehr. In einem Ihrer aktuellen Solo-Programme, aber auch auf Ihrer CD ›Life‹ finden sich, und das nicht zum ersten Mal, Werke von Ferrucio Busoni. Was schätzen Sie an ihm? Busoni ist einer meiner Helden, neben Beethoven ein absoluter Fixstern. Sein Denken, sein Schreiben und Komponieren sind für mich essenziell. Seine Herangehensweise an das, was ein Interpret sein muss und kann, und sein Plädoyer für die Freiheit sind mir sehr nahe. Matti Raekallio, der mich in Hannover unterrichtete und mittlerweile einer meiner engsten Weggefährten ist, ist ein absoluter Busonianer und hat mir die Beschäftigung mit dem Komponisten nahegelegt. Dass er mich mit Busoni zusammengebracht hat, werde ich ihm nie vergessen. [lacht] Busonis Traktat ›Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst‹ ist wie eine Art Bibel für mich, ebenso wie sein Denken, sein Klavierspiel und sein Komponieren. Ich halte ihn für einen der bedeutendsten Komponisten überhaupt, einen, der sträflichst! nicht für voll genommen wird. Es ist kriminell, wie mit Busoni zum Teil umgegangen wird …

Und doch braucht es, anders als von Schumann postuliert, natürlich einen Virtuosen ... Ja, es ist brutal schwer, ein echtes Virtuosenstück, und gerade im Finale steht die Virtuosität durchaus im Vordergrund. Robin Ticciati wird es am 17. Februar dirigieren. Haben Sie schon einmal zusammengearbeitet? Leider nein. Wir hätten das Schumann-Klavierkonzert eigentlich schon einmal gemeinsam beim Scottish Chamber Orchestra machen sollen, wurden

Das Gespräch führte MAXIMILIAN RAUSCHER.

›Brahms-Perspektiven‹ I Heinrich Schütz ›Das ist mir lieb‹ – Psalm 116 für Chor a cappella Robert Schumann Klavierkonzert a-Moll Johannes Brahms Symphonie Nr. 1 c-Moll ROBIN TICCIATI Igor Levit Klavier RIAS Kammerchor Justin Doyle So 17. Februar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 20 € bis 63 € | AboPlus-Preis ab 17 € In Zusammenarbeit mit dem RIAS Kammerchor

Igor Levit

Herr Levit, als sich Robert Schumann erstmals mit Musik für Klavier und Orchester befasste, schrieb er an Clara: »Ich kann kein Konzert schreiben für den Virtuosen; ich muss auf etwas andres sinnen«. Was ist denn dieses »Andere«, das er schließlich in Form der a-Moll-Fantasie für Klavier und Orchester zu Papier brachte – und später zu seinem einzigen Klavierkonzert erweiterte? Ich denke, das »Andere« ist die endgültige Auflösung von allem Solistischen und Nicht-Solistischen. Was schon bei Beethoven aufschien, wird hier auf die Spitze getrieben. Es ist zwar ein Konzert für Klavier und Orchester, aber es gibt hier keine Hierarchien mehr, das ist essenziell. Zudem ist das Stück ungeheuer improvisatorisch, man spielt in einem beinahe Miles Davis'schen Sinne – indem man nicht spielt. An vielen Stellen besteht das Material des Klaviers aus kleinen, gestischen Einwürfen und nicht aus voll ausgeprägten melodischen Strukturen. Das Klavier ist stellenweise nicht einmal mehr Begleiter des Orchesters, sondern wirft nur sporadisch einen kleinen Satz ins Gespräch und entfernt sich dann wieder. Das sind wohl die wichtigsten Besonderheiten dieses Konzerts.

Nicht nur Busoni, auch die Klavierbearbeitung im Allgemeinen – der Sie sich selbst gerne widmen – spielt im Konzertleben nur eine Nischenrolle, anders als noch vor 100 Jahren. Woran liegt das? Ich muss jetzt wirklich aufpassen, sonst sage ich irgendetwas sehr, sehr Unnettes. [lacht] Man führt diese Gespräche ja gerne: »Warum wird immer so eine kleines Repertoire gespielt, warum so häufig das Gleiche?« Dann folgt die Kritik an den bösen Veranstaltern und Plattenfirmen und das Bedauern der armen Künstler, die nichts dürfen. Mich langweilt das mittlerweile zutiefst. Wir als Künstler müssen uns selbst diesen kritischen Fragen stellen. Wenn das Interesse und Bemühen für ein breites Repertoire bei einigen der ersten Reihe stärker ausgeprägt wäre, dann müssten wir nicht mehr darüber sprechen. Dabei gibt es ja bewundernswerte Beispiele: Anne-Sophie Mutter etwa, die immer wieder neues Repertoire erschließt, ist in dieser Hinsicht ein großes Vorbild. Oder jemand wie Hilary Hahn, die vor ein paar Jahren 27 neue Stücke in Auftrag gegeben hat. Das sind Lichtblicke, und ich versuche ebenfalls, mir diesbezüglich Mühe zu geben. Aber ich würde mir wünschen, das wäre noch ausgeprägter. Ich bin Künstler, also rede ich über die Verantwortung meiner Leute.

Im Gespräch

Igor Levit wurde 1987 in Nizhni Nowgorod geboren, studierte in Hannover und gewann 2005 als jüngster Teilnehmer beim Arthur-Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv die Silbermedaille, den Sonderpreis für Kammermusik, den Publikumspreis und den Sonderpreis für die beste Aufführung des zeitgenössischen Pflichtstücks. Heute gehört er zu den großen Pianisten seiner Generation. Beim DSO war der Wahl-Berliner bereits mit Schostakowitschs Erstem und Beethovens Drittem Klavierkonzert zu Gast, zudem begleitete er das Orchester zu mehreren Gastspielen. Im Rahmen des Festivals ›Brahms-Perspektiven‹ S. 4 kehrt er mit Schumanns Klavierkonzert zum DSO zurück.


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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

Brahms-Perspektiven Festival vom 16. bis 23. Februar

Johannes Brahms steht im Zentrum eines einwöchigen Festivals, das sich an sechs Abenden mit dem Komponisten auseinandersetzt – mit seinen vier Symphonien, mit den Wegen, die zu ihnen führen, und den Linien, die von Brahms aus in die musikalische Zukunft weisen. Chefdirigent Robin Ticciati präsentiert sie in ungewöhnlichen Programmkonstellationen und gemeinsam mit namhaften Solistinnen und Solisten. Ein experimentelles Ensemblekonzert, ein Kammerkonzert, Einführungsgespräche mit Brahms-Experten und eine musikalische Lesung bieten zudem ausgiebig Gelegenheit, den Komponisten und sein Werk aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu erfahren und neu kennenzulernen.

#brahms_rotation Auftakt mit Klangperformance am 16.02. Am Anfang steht ein unkonventioneller, fast hemmungsloser Umgang mit dem Komponisten Brahms. Hierfür haben sich Musiker des DSO und der jungen norddeutschen philharmonie mit dem STEGREIF.orchester zusammengetan, das zu den innovativsten Akteuren der freien Berliner Klassikszene zählt und schon mehrfach Komponisten »befreit« hat – aus den Fesseln von Konzertritual, Aufführungstradition und Werktreue. Gespielt wird ohne Dirigent und ohne Noten, aber voller Liebe für das klassische Original, das radikal erweitert, aktualisiert und sinnlich präsentiert

wird. Am 16. Februar zerlegen die Musiker gemeinsam die Dritte Symphonie von Brahms und schaffen mit kammermusikalischen Bezugspunkten, mit Improvisation, Elektronik und Choreographie einen kaleidoskopartigen Abend. Sie rotieren ohne Abgrenzung zum Publikum um Brahms und kreieren eine Klangperformance, die neue Blickwinkel auf einen großen Komponisten ermöglicht. Das Konzert bildet zugleich den Auftakt zur Reihe ›TRIKESTRA‹, einer neuen Kooperation zwischen DSO, STEGREIF.orchester und der jungen norddeutschen philharmonie.

›Brahms-Perspektiven‹ – Ensemblekonzert

#brahms_rotation Klangperformance auf Basis der Dritten Symphonie von Brahms

Mitglieder des DSO, des STEGREIF.orchesters und der jungen norddeutschen philharmonie Sa 16. Februar 20.30 Uhr Ehemaliges Stummfilmkino Delphi Auftakt zur Projektreihe

In Kooperation mit der

Vier Konzerte – vier Symphonien am 17., 18., 22. + 23.02. zehn Ersten und acht Zweiten Violinen, je sechs Bratschen und Violoncelli sowie vier Kontrabässen – über Zwischenschritte bis zur großen Besetzung der Vierten führt. Seine Erkundung der Brahms’schen Symphonik beginnt – mit Ausnahme der Dritten Symphonie – an jedem Konzertabend mit einem konzentrierten Klangbild: Mit Chor allein, Violoncello allein und Klavier allein. Und Ticciati initiiert Begegnungen: Mit den Zeitgenossen Schumann und Wagner, mit der französischen Musikwelt von Debussy und Dutilleux, mit den Vorläufern und Vorbildern des Komponisten.

»Perspektiven entstehen, wenn man historische Linien bewusst macht – Linien, die zu Brahms führen und von ihm ausgehen, und solche, die ihm vorgeblich oder tatsächlich opponieren. Reine Brahms-Programme können das nicht leisten, sondern nur Konstellationen seines Œuvres mit Werken anderer Komponisten und Epochen«, erklärt Robin Ticciati sein Konzept. »So entstand bei mir der Wunsch nach einem kleinen Festival, bei dem alle vier Symphonien innerhalb einer Woche aufgeführt werden, gleichsam als Programm-Tetralogie, in deren Mittelpunkt Brahms steht.« Der Brahms-Klang Eine wichtige Rolle spielen für Ticciati dabei der Klang und die Orchestergröße. Gemeinsam mit dem Publikum spürt er einer Entwicklung nach, die von der kleinen »Meininger Besetzung« der Ersten – mit

17.02. – Symphonie Nr. 1 c-Moll Am Anfang steht eine Psalmvertonung von Heinrich Schütz, dessen Werk Brahms ausgiebig studierte und das seinen Sinn fürs Polyphone schärfte. Auch Robert Schumann, der in ihm einen »Berufenen« erkannte, war Brahms früh Vorbild, Einfluss und Freund. Das hochromantische a-Moll-Klavierkonzert, das Igor Levit interpretieren wird S. 3, dürfte ihm viel über den Umgang mit Themengestalt und Themenentwicklung in großen Formen vermittelt haben. Und doch sollte es lange dauern, bis sich der selbstkritische Brahms aus dem Schatten Beethovens befreien und selbst mit einer Symphonie ans Licht der Öffentlichkeit treten sollte. Erst 1876 erlebte seine c-Moll-Symphonie ihre Uraufführung in Karlsruhe, vierzehn Jahre nach den ersten Entwürfen. 18.02. – Symphonie Nr. 2 D-Dur Ganz anders dann die Zweite Symphonie, die Brahms nur ein Jahr später vollendete: Sie

ist heiterer als der ernste Erstling, gelassener, von pastoraler Durchsichtigkeit. Robin Ticciati wählt einen Weg der maximalen Distanz – in ästhetischer, in historischer, in kultureller Hinsicht. Er stellt ihr zwei Werke des 2016 verstorbenen Franzosen Henri Dutilleux voran. Der teilte mit Brahms zwar die Bewunderung für den späten Beethoven, fand seine musikalischen Erweckungserlebnisse aber vor allem in der französischen Tradition des frühen 20. Jahrhunderts. Für Mstislav Rostropowitsch komponierte er mit ›Tout un monde lointain‹ nicht nur eines der spannendesten Cellokonzerte des 20. Jahr-

hunderts, sondern auch die ›Trois strophes sur le nom de Sacher‹ für Violoncello solo – beide wird Nicolas Altstaedt interpretieren. 22.02. – Symphonie Nr. 3 F-Dur Als Kontrastprogramm erscheinen auch die beiden Zeitgenossen, die Ticciati der Dritten von Brahms folgen lässt. Als der Komponist diese 1883 abschloss, galt Richard Wagner – neben Liszt der zweite Protagonist der »Neudeutschen«, die mit Programmmusik und harmonischem Wagemut gegen den Traditionalismus der »Konservativen« zu Felde zogen – als sein Antipode; zwanzig Jahre


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zuvor hatte Brahms dem Kollegen noch bei der Vorbereitung eines Wiener Konzerts mit Auszügen aus ›Tristan und Isolde‹ zur Seite gestanden. Die ›Wesendonck-Lieder‹, die Wagner als Studien zu diesem Musikdrama verstand, erklingen am 20. Februar, den Solopart übernimmt die Sopranistin Dorothea Röschmann. Den Bogen nach Frankreich schlägt mit Debussy und seiner luziden Ballettmusik ›Jeux‹ ein Komponist, der in Wagners ›Parsifal‹ den »letzten Kraftakt eines Genies« verehrte, für das »nerventötende,

atemlose Keuchen« des ›Tristan‹ dann aber nur noch Spott übrig hatte. 23.02. – Symphonie Nr. 4 e-Moll Den Blick auf die Vierte Symphonie eröffnet Ticciati schließlich aus zweierlei Perspektiven. Aus der Geschichte, von Johann Sebastian Bach kommend, der in Material und Form der e-Moll-Symphonie präsent ist – Kristian Bezuidenhout gibt mit einem Präludium und dem Zweiten Klavierkonzert sein DSODebüt. Und aus dem Heute, mit der Uraufführung von Aribert Reimanns Orchesterliedern ›Fragments de Rilke‹, die die Sopranistin Rachel Harnisch interpretieren wird. Einen intimen Ausklang des Festivals gestalten schließlich nach dem Konzert die Schauspieler Corinna Harfouch und Tom Schilling – mit einer Lesung aus dem Briefwechsel zwischen Johannes Brahms und Clara Schumann, den Kristian Bezuidenhout mit Klavierwerken des Komponisten musikalisch begleitet.

›Brahms-Perspektiven‹ I Heinrich Schütz ›Das ist mir lieb‹ – Psalm 116 für Chor a cappella Robert Schumann Klavierkonzert a-Moll Johannes Brahms Symphonie Nr. 1 c-Moll ROBIN TICCIATI Igor Levit Klavier RIAS Kammerchor Justin Doyle So 17. Februar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung: Habakuk Traber mit Robin Ticciati Philharmonie In Zusammenarbeit mit dem RIAS Kammerchor

›Brahms-Perspektiven‹ II Henri Dutilleux ›Trois strophes sur le nom de Sacher‹ für Violoncello solo Henri Dutilleux ›Tout un monde lointain‹ für Violoncello und Orchester Johannes Brahms Symphonie Nr. 2 D-Dur ROBIN TICCIATI Nicolas Altstaedt Violoncello Mo 18. Februar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung: Habakuk Traber mit Dr. Jan Brachmann Philharmonie

›Brahms-Perspektiven‹ III Johannes Brahms Symphonie Nr. 3 F-Dur Claude Debussy ›Jeux‹ Richard Wagner ›Wesendonck-Lieder‹ ROBIN TICCIATI Dorothea Röschmann Sopran Fr 22. Februar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung: Habakuk Traber mit Dr. Martin Ennis Philharmonie ›Brahms-Perspektiven‹ IV Johann Sebastian Bach Präludium E-Dur aus ›Das Wohltemperierte Klavier II‹ für Klavier solo Johann Sebastian Bach Klavierkonzert Nr. 2 E-Dur Aribert Reimann ›Fragments de Rilke‹ für Sopran und Orchester (Uraufführung, Auftragswerk des DSO) Johannes Brahms Symphonie Nr. 4 e-Moll ROBIN TICCIATI Kristian Bezuidenhout Klavier Rachel Harnisch Sopran Sa 23. Februar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung: Habakuk Traber mit Aribert Reimann Philharmonie Im Anschluss: Musikalische Lesung aus dem Briefwechsel zwischen Johannes Brahms und Clara Schumann Corinna Harfouch Sprecherin Tom Schilling Sprecher Kristian Bezuidenhout Klavier Der Kompositionsauftrag wurde ermöglicht durch die

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Kartenpreise:

Symphoniekonzerte des Festivals ›Brahms-Perspektiven‹ zum vergünstigten Paket-Preis

Symphoniekonzerte von 20 € bis 63 € AboPlus-Preis ab 17 € Ensemblekonzert 25 € | AboPlus-Preis 15 € Kammerkonzert 22 € | AboPlus-Preis 15 €

Mehr unter dso-berlin.de/brahms

Ein kammermusikalisches Intermezzo ist am 20. Februar im Wilhelm-von-Humboldt-Saal der Staatsbibliothek Unter den Linden zu hören. In seinem Zentrum steht das Zweite Streichquintett von Johannes Brahms, das 1890 als eine Art musikalisches Vermächtnis in Bad Ischl entstand. »Mit diesem Brief können Sie sich von meiner Musik verabschieden, denn es ist sicherlich Zeit zu gehen«, schrieb der 57-Jährige seinem Verleger Simrock, als er ihm das Werk übersandte. Und obgleich Brahms dann doch noch einige Jahre leben und komponieren sollte, trägt das emotionale, kontrastreiche, symphonisch ausgreifende G-Dur-Quintett die klugen Züge des reifen Alters- und Abschiedswerks. Vorab erklingen ›Drei Madrigale‹ für Violine und Viola, die Bohuslav Martinů im amerikanischen Exil komponierte, und das reizvolle C-Dur-Terzett für zwei Violinen und Viola des Brahms-Freundes Antonín Dvořák. Im Rahmen des Kammerkonzerts gesellt sich zu den DSO-Geigerinnen Hande Küden und Elsa Brown sowie ihren Bratschen-Kolleginnen Annemarie Moorcroft und Eve Wickert der Cellist Nicolas Altstaedt, der zwei Tage zuvor bereits als Solist in der Philharmonie zu erleben war. Beim DSO ist der deutsch-französische Musiker kein Unbekannter, war er doch 2016 bei den Silvester- und Neujahrskonzerten im Tempodrom

zu Gast und hat zuvor mit dem Orchester eine vielbeachtete CD mit Konzerten von Schostakowitsch und Weinberg eingespielt.

›Brahms-Perspektiven‹ – Kammerkonzert Brahms, Dvořák, Martinů ENSEMBLE DES DSO Nicolas Altstaedt Violoncello Mi 20. Februar 20 Uhr Staatsbibliothek Unter den Linden

Festival ›Brahms-Perspektiven‹

Musikalisches Vermächtnis – Kammerkonzert am 20.02.


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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

Geistige Kontrahenten Ingo Metzmacher am 02.02. und im Casual Concert am 03.02. Messiaen, der Sohn einer Dichterin, schrieb seine Quasi-Liturgien selbst; sie führen von der inneren Zwiesprache um die liebende Gnade über einen Hymnus auf die Christusliebe zu einer »Psalmodie über die Allgegenwart der Liebe«. Die Farbigkeit und der schwärmerische Ton, die wenig später die ›Turangalîla-Symphonie‹, Messiaens ›Tristan‹, auszeichnen, bestimmen bereits die ›Drei Liturgien‹. Ihre Charakterisierung als »kurz« benennt weniger die Wirklichkeit als das menschliche Maß im Verhältnis zum göttlichen.

Sie gehören zu einer Generation: Dmitri Schostakowitsch, geboren am 25. September 1906 in St. Petersburg, und Olivier Messiaen, geboren am 10. Dezember 1908 in Avignon. Der eine wuchs als Kind demokratisch-anarchistisch gesinnter Eltern in einen Sozialismus hinein, dessen Anliegen er teilte, mit dessen Wirklichkeit er aber gewaltig in Konflikt geriet. Den anderen prägte ein freidenkendes, fantasieförderndes Elternhaus; er hinterlegte seine musikalischen Ambitionen und Werke oft mit poetischen Worten und einem unbeirrten, aber offenen Christenglauben. In der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts stehen sie wie Antipoden, die sich in einem gespannten Verhältnis zur westlichen Avantgarde befanden.

Ingo Metzmacher bringt die beiden geistigen Kontrahenten zusammen, mit Kompositionen, die Bekenntnischarakter hatten und die Anstoß erregten: der eine, Messiaen, vor allem bei der Kritik, aber auch bei Teilen des Publikums, selbst bei denen, die sich neuer Musik gegenüber aufgeschlossen zeigten; der andere, Schostakowitsch, vor allem bei der politischen Nomenklatura. Beide Werke sind von symphonischem Zuschnitt, auch wenn sie sich nur bedingt des traditionellen Formgerüsts der Gattung bedienen; aber den Anspruch, dass die Musik das Entscheidende sei und sage, stellen sie gleichermaßen. Beide komponierten jedoch Text, poetischen, bedeutungsvollen; damit rücken sie in die Nähe von Kantaten oder Oratorien. Olivier

»Ändere die Welt ...« Schostakowitsch wählte für seine Dreizehnte Gedichte des jungen Jewgeni Jewtuschenko aus. Sie markiert den erschütternden Übergang in sein symphonisches Spätwerk. Ihren Beinamen erhielt sie nach dem ersten Satz. In Erinnerung an das Massaker an den Kiewer Juden, das die Nazis 1941 in der Schlucht Babi Jar verübten, und das in der Sowjetunion lange verdrängt blieb, solidarisieren und identifizieren sich Dichter und Komponist mit Geschichte und Schicksal des jüdischen Volkes. Wenn es eine Gemeinsamkeit zwischen Messiaen und Schostakowitsch gibt, dann die unausgesprochene Erkenntnis: »Ändere die Welt, sie braucht es!«, verbunden mit der Skepsis, ob dieser Imperativ die Wirklichkeit jemals ganz erreiche. Im Casual Concert

Casual Concert am Sonntagabend 03.02. So

präsentiert Ingo Metzmacher, der das Konzertformat 2007 ins Leben gerufen hat, die Dreizehnte von Schostakowitsch als Moderator und Musikvermittler. Im Anschluss bietet die Casual Concert Lounge im Foyer der Philharmonie

den perfekten Rahmen für einen entspannten Ausklang des Konzertabends und öffnet sich – mit Johann Fanger als DJ und spannenden Protagonisten der Berliner Popularmusik- und Elektroszene als Live Act – den urbanen Klängen der Metropole. HABAKUK TRABER

Olivier Messiaen ›Trois petites liturgies de la présence divine‹ für Klavier, Ondes Martenot, Frauenchor und Orchester Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 13 b-Moll ›Babi Jar‹ für Bass, Männerchor und Orchester INGO METZMACHER Cédric Tiberghien Klavier Nathalie Forget Ondes Martenot Mikhail Petrenko Bass Rundfunkchor Berlin Gijs Leenaars Sa 2. Februar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 20 € bis 63 € | AboPlus-Preis ab 17 €

Casual Concert Dmitri Schostakowitsch Symphonie Nr. 13 b-Moll ›Babi Jar‹ für Bass, Männerchor und Orchester INGO METZMACHER Mikhail Petrenko Bass Herren des Rundfunkchors Berlin Gijs Leenaars So 3. Februar 20.30 Uhr Philharmonie Im Anschluss Casual Concert Lounge mit Live Act und DJ Karten zu 20 € | 10 € ermäßigt AboPlus-Preis 17 € | freie Platzwahl In Zusammenarbeit mit dem Rundfunkchor Berlin

Morgenland in Berlin Kinderkonzert | Metzmacher

Kulturradio-Kinderkonzert am 10.02. Das Morgenland kennen viele aus dem Märchen, der Bibel oder aus den täglichen Nachrichten – und leider sind es dann selten gute Nachrichten, die wir etwa aus dem Irak oder dem Iran hören. Wo heute diese beiden Länder liegen, war früher Persien, und noch früher lag dort das sagenhafte Babylon. Das Land zwischen den großen Flüssen Euphrat und Tigris war schon vor einigen Tausend Jahren hoch zivilisiert. Während unsere Vorfahren noch im Bärenfell durch die Wälder streiften, auf der Jagd nach wilden Tieren oder zum Sammeln von Früchten, lebte man dort schon in Städten und hat sogar eine der ersten Schriften der Menschheit erfunden. Zu den alten Kulturen des Morgenlandes gehörte natürlich auch Musik. Und die Musik aus den Ländern des Orients, also von dort, wo die Sonne aufgeht, klingt ganz anders als unsere. Aber viele ihrer Musikinstrumente sind verwandt mit den Instrumenten, die bei uns im Symphonieorchester vorkommen. Seit 5000 Jahren gibt es zum Beispiel die Ney, eine Flöte aus Schilfohr, aber auch unsere heutige Oboe hat Vorläuferinstrumente in den Kulturen des Nahen Ostens. Heute können wir über alle diese Instrumente und Kulturen mit ein paar Klicks viele Bilder und Informationen im Internet finden. Und hören können wir dort auch fast jede Musik, die irgendwo auf der Welt zu Hause ist.

Vor gut 100 Jahren war das noch ganz anders. Es gab kein Internet, kein Fernsehen oder Radio, man konnte auch nicht in wenigen Stunden in die Ferne fliegen. Darum gab es die großen Weltausstellungen, 1900 zum Beispiel in Paris. Dort konnte man auch den Nahen Osten und seine Kultur kennenlernen. Den fanden die Franzosen damals sehr spannend. Viele Künstler reisten dorthin, malten Bilder und brachten Kunstschätze nach Frankreich. Die Architekten verzierten Hausfassaden mit Formen, die man in Ägypten gesehen hatte. Alles Exotische war schön – auch in der Musik. Wenn der »Sharki« weht ... Nachdem der junge Komponist André Caplet auf der Weltausstellung persische Musik gehört hatte, schrieb er seine ›Suite persane‹ für zehn Blasinstrumente. Er verwendet darin original persische Melodien. In seiner Musik malt Caplet den »Sharki« , den Wind, der am Persischen Golf weht, komponiert aber auch einen persischen Tanz. Die Klangfarben der Blasinstrumente (je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Hörner und Fagotte) hat er immer wieder neu und exotisch gemischt. Im Kinderkonzert lernen wir auch Menschen aus dem Morgenland kennen, die jetzt in Berlin leben, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Sie werden uns ihre Musik mitbringen. Und im Open House davor könnt Ihr wieder wie gewohnt alle Orchesterinstrumente ausprobieren. CHRISTIAN SCHRUFF

Kulturradio-Kinderkonzert ›Morgenland in Berlin‹ André Caplet ›Suite persane‹ für zehn Blasinstrumente POLYPHONIA ENSEMBLE BERLIN Christian Schruff Moderation So 10. Februar 12 Uhr Konzert | ab 10.30 Uhr Open House Haus des Rundfunks, Großer Sendesaal Für Kinder ab 6 Jahren Karten zu 4 € | Erwachsene 12 €


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Schmelztiegel Wien Fabien Gabel und Francesco Piemontesi am 27.01.

Abkehr von der Ringstraße Wien erlebte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen ungeheuren wirtschaftlichen Aufschwung. Die Modernisierung der Stadt ging mit der Errichtung prachtvoller Bauten einher, die Ringstraße wurde zum Sinnbild für den Erfolg des liberalen Bürgertums. In der Hoffnung auf ein besseres Leben folgten zigtausend Zuwanderer aus dem gesamten Reich dem Glanze Wiens, das zur Jahrhundertwende auf fast zwei Millionen Einwohner anwuchs und eine Fülle von Kulturen, Völkern und Religionen beherbergte. Dieser Vielfalt standen soziales Elend, Nationalitätenkonflikte, gesellschaftspolitische

Spannungen wie auch das Gären völkisch-religiöser Ressentiments entgegen. Die Monarchie konnte der Probleme nicht Herr werden und war nur mehr bestrebt, den schönen Schein zu wahren. Aus dieser Ohnmacht erwuchsen die Träger der Wiener Moderne. Sie wandten sich entschieden gegen den Konservatismus und die Oberflächlichkeit ihrer »Väter«. In der Folge avancierte die Stadt zum Eldorado der Künste und Geisteswissenschaften, welche in ungeheurer Konzentration Höchstleistungen auf nahezu allen Gebieten hervorbrachten.

Seit 1999 beginnt die jährliche Serie von Festivals für Neue Musik in Deutschland mit ›Ultraschall Berlin‹, veranstaltet vom Kulturradio vom rbb und von Deutschlandfunk Kultur. In gewohnter Weise präsentiert es Uraufführungen, Deutsche Erstaufführungen und Werke der jüngsten Vergangenheit ebenso wie Klassiker der Avantgarde. Schon lange ist das DSO ein wichtiger Partner von ›Ultraschall Berlin‹. 2019 bestreitet es erneut das Eröffnungs- und Abschlusskonzert.

Rückschau und Ausblick Auch in der Musikwelt vollzog sich mit der Jahrhundertwende ein Generationswechsel. Die jungen Tonkünstler befanden sich derweil noch im Bannkreis von Wagner und besonders von Brahms, der bis zu seinem Tod 1897 in Wien tätig war. Ein entscheidendes Fanal ging vom Wirken Mahlers aus, den sie als Wegweiser der musikalischen Moderne betrachteten. Komponisten wie Zemlinsky, Korngold oder Schreker bewegten sich in ebenjenem Spannungsfeld zwischen Altem und Neuem. Ihre emphatisch-differenzierte Klangsprache stellten sie in den Dienst des individuellen Ausdrucks und führten sie mitunter in tonale Grenzbereiche. Als geschichtsbewusste Vordenker und Weggefährten der Moderne vereinen sie in ihrer Musik sowohl Rückschau als auch Ausblick.

Pausen als Musik Im Auftaktkonzert, das Sylvain Cambreling dirigiert, steht ein Werk von Charlotte Seither am Beginn. In ›Recherche sur le fond‹ begibt sich die Komponistin auf die Suche nach einer »umfassenden Wahrnehmung von Form und Zeit«. Philippe Boesmans erschafft in seinem Capriccio ein komplexes Geflecht aus musikalischen Linien, in dem jedes Instrument, von den beiden Klavieren über das Schlagzeug bis hin zum übrigen Orchester, Impulsgeber für neue Linien wird. »Pausen sind auch Geschehen. Sie erklingen genauso wie die Musik«, sagt die Komponistin Joanna Wozny. Dabei werden im Verlauf ihres Werks ›Archipel‹ die Pausen immer länger und lassen somit das Klingende als immer stärker separierte Inseln neu und deutlicher differenziert wahrnehmen.

DANIEL KNAACK

Alexander Zemlinsky ›Lustspielouvertüre‹ Wolfgang Amadeus Mozart Rondo A-Dur für Klavier und Orchester KV 386 Richard Strauss Burleske d-Moll für Klavier und Orchester Franz Schreker ›Vorspiel zu einem Drama‹ Erich Wolfgang Korngold Suite aus der Filmmusik zu ›The Sea Hawk‹, zusammengestellt von Patrick Russ FABIEN GABEL Francesco Piemontesi Klavier So 27. Januar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie Karten von 20 € bis 63 € | AboPlus-Preis ab 17 €

Kreative Funken Wechselspiel mit Jean-Christophe Spinosi am 08.01. Weiter, immer weiter. Aber wer kommt mit? Das Wechselspiel von Altem und Neuem, von Konvention und Aufbruch war in der Musikgeschichte immer spannungsreich. Welche kreativen Funken es schlagen kann, zeigen die drei Stücke, die der Dirigent Jean-Christophe Spinosi bei seinem dritten DSO-Besuch am 8. Januar zusammenbringt. Maskiertes Chaos Heinrich Biber hat in seiner wohl als Karnevalsstück gedachten »Battalia« das Soldatenleben musikalisch dargestellt: vom Trinkgelage über den Kampf bis zum anschließenden Lamento der Verwundeten. Die klangliche Schlachtenmalerei gab Biber 1673 die Gelegenheit, mit Polytonalität und extravaganten Spieltechniken zu experimentieren. Die Saiten der Streichinstrumente werden mal mit dem Bogenrücken gespielt, mal mit Papier präpariert: Geräuschmusik, die ins 20. Jahrhundert weist und noch immer durch ihre Individualität verblüfft. Dmitri Schostakowitsch schrieb sein vielleicht persönlichstes Werk in einem Moment äußerer Angepasstheit: Kurz nachdem er 1960 mit gemischten Gefühlen in die kommunistische Partei eingetreten war, stellte er die Komposition einer Propagandafilmmusik hintenan und schuf im sächsischen Kurort Gohrisch sein dunkles und zerrissenes Streichquartett Nr. 8. Rudolf Barschais Orchesterbearbeitung nahm er später in sein Werkverzeichnis auf.

Festland und neue Meere Beethovens Erste Symphonie hatte nicht immer einen leichten Stand. So passt es im Nachhinein nicht zum Bild von Beethoven als radikalem Feuergeist, dass diese das Publikum bei der Uraufführung 1800 auf der Stelle begeisterte. Doch auch wenn er hier den Dialog mit Mozart und Haydn suchte, das letzte Wort wollte Beethoven schon haben. Gleich der berühmte Anfang entzieht harmonischen Gewissheiten den Boden. Im Menuett treffen Gegensätze mit ungekannter Wucht aufeinander: nervöse Motorik auf der einen, die Zeit zum Stillstand bringende Bläserakkorde auf der anderen Seite. Beethoven wahrt die Form und torpediert zugleich Konventionen – ein versöhnliches, aber entschiedenes »Lebewohl« an das 18. Jahrhundert.

Gegenentwurf zur Welt Das Abschlusskonzert unter der Leitung von Simone Young wird mit einer Uraufführung von Michael Hirsch eröffnet. Als der Berliner Komponist Anfang 2017 unerwartet starb, hinterließ er unter anderem das Orchesterwerk ›... irgendwie eine Art Erzählung ...‹, das der Komponist zu seinen drei »Lieblingsstücken« zählte. In ›Rituale‹ beschäftigt sich der palästinensisch-israelische Komponist Samir Odeh-Tamimi mit der Melodiestruktur der Korangesänge und den Gesängen und Rhythmen der Sufimusik. Die israelische Komponistin Chaya Czernowin entwirft in ihrem Cellokonzert ›Guardian‹ einen alptraumhaften Gegenentwurf zur realen Welt. ANDREAS GÖBEL Andreas Göbel (rbb-Kulturradio) gestaltet seit 2013 zusammen mit Dr. Rainer Pöllmann (Deutschlandfunk Kultur) das Programm des Festivals ›Ultraschall Berlin‹.

224. Konzert ›Musik der Gegenwart‹ Charlotte Seither ›Recherche sur le fond‹ Philippe Boesmans Capriccio für zwei Klaviere und Orchester Joanna Wozny ›Archipel‹ SYLVAIN CAMBRELING GrauSchumacher Piano Duo Klaviere Mi 16. Januar 20 Uhr Haus des Rundfunks

MARTIN ANDRIS 225. Konzert ›Musik der Gegenwart‹ Heinrich Ignaz Frank Biber Battalia für Streicher Dmitri Schostakowitsch Kammersymphonie c-Moll – Bearbeitung des Streichquartetts Nr. 8 durch Rudolf Barschai Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 1 C-Dur

Michael Hirsch ›... irgendwie eine Art Erzählung ...‹ (Uraufführung) Samir Odeh-Tamimi ›Rituale‹ Chaya Czernowin ›Guardian‹ für Violoncello und Orchester

JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI

SIMONE YOUNG Séverine Ballon Violoncello

Di 8. Januar 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie

So 20. Januar 20 Uhr Haus des Rundfunks

Karten von 15 € bis 49 € | AboPlus-Preis ab 13 €

Karten zu 18 € | 12 € ermäßigt

Spinosi | Gabel | Ultraschall

Vor 100 Jahren war Wien ein weiteres Mal seit der »Klassik« zentraler Schauplatz der europäischen Musikgeschichte. Eine junge Künstlergeneration formierte sich im kulturellen Schmelztiegel der kaiserlichen Hauptstadt, auf der Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten. Sie war die Avantgarde einer Umbruchszeit, verwurzelt in den Traditionen der Romantik und an der Schwelle zur Moderne stehend. Fabien Gabel, der erstmals nach seinem DSO-Debüt 2016 ans Pult des Orchesters zurückkehrt, widmet ihr sein Programm am 27. Januar und spannt einen Bogen von der »Klassik« zum »Fin de siècle«.

Ultraschall Berlin – das DSO zu Gast beim Festival für neue Musik


Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

Letzte Meldung: Kammermusikprojekt mit Berliner Schulen

Konzerte Januar

Di 01.01. 18 Uhr Tempodrom Di 08.01. 20 Uhr Philharmonie

Fr 01.02. 22 Uhr Alte Nationalgalerie

Neujahrskonzert KEVIN JOHN EDUSEI Jeanine De Bique Sopran Artisten des Circus Roncalli

Februar

Biber Battalia für Streicher Schostakowitsch Kammersymphonie c-Moll – Bearbeitung des Streichquartetts Nr. 8 durch Rudolf Barschai Beethoven Symphonie Nr. 1 C-Dur JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI

Sa 02.02. 20 Uhr Philharmonie

Fr 11.01. 20.30 Uhr Heimathafen Neukölln

Kammerkonzert Rossini, Schubert ENSEMBLE DES DSO

Mi 16.01. 20 Uhr Haus des Rundfunks

›Ultraschall Berlin‹ – Festival für neue Musik 224. Konzert ›Musik der Gegenwart‹ Seither ›Recherche sur le fond‹ Boesmans Capriccio für zwei Klaviere und Orchester Wozny ›Archipel‹ SYLVAIN CAMBRELING GrauSchumacher Piano Duo Klaviere

So 20.01. 20 Uhr Haus des Rundfunks

›Ultraschall Berlin‹ – Festival für neue Musik 225. Konzert ›Musik der Gegenwart‹ Hirsch ›... irgendwie eine Art Erzählung ...‹ (Uraufführung) Odeh-Tamimi ›Rituale‹ Czernowin ›Guardian‹ für Violoncello und Orchester SIMONE YOUNG Séverine Ballon Violoncello

So 27.01. 20 Uhr Philharmonie

Zemlinsky ›Lustspielouvertüre‹ Mozart Rondo A-Dur für Klavier und Orchester KV 386 Strauss Burleske d-Moll für Klavier und Orchester Schreker ›Vorspiel zu einem Drama‹ Korngold Suite aus der Filmmusik zu ›The Sea Hawk‹, zusammengestellt von Patrick Russ FABIEN GABEL Francesco Piemontesi Klavier

Konzerteinführungen Zu allen Symphoniekonzerten in der Philharmonie findet jeweils 65 Minuten vor Konzertbeginn eine Einführung mit Habakuk Traber statt.

Messiaen ›Trois petites liturgies de la présence divine‹ für Klavier, Ondes Martenot, Frauenchor und Orchester Schostakowitsch Symphonie Nr. 13 b-Moll ›Babi Jar‹ für Bass, Männerchor und Orchester INGO METZMACHER Cédric Tiberghien Klavier Nathalie Forget Ondes Martenot Mikhail Petrenko Bass Rundfunkchor Berlin

Kammerkonzert ›Notturno‹ Haydn, Kozeluch, von Weber ENSEMBLE DES DSO

So 03.02. 20.30 Uhr Philharmonie

Casual Concert Schostakowitsch Symphonie Nr. 13 b-Moll ›Babi Jar‹ für Bass, Männerchor und Orchester INGO METZMACHER Mikhail Petrenko Bass Herren des Rundfunkchors Berlin

Im Anschluss

Casual Concert Lounge mit Live Act und DJ im Foyer der Philharmonie

Die Musikvermittlungsarbeit des DSO hat viele Facetten, und die Orchestermitglieder sind mit vollem Einsatz dabei. So üben sie etwa mit Laienmusikern vor dem ›Symphonic Mob‹, besuchen Schulklassen, präsentieren bei den Kinderkonzerten ihre Instrumente – und sie betreuen seit vier Jahren Kammermusikensembles aller Altersgruppen an Berliner Schulen, unter anderem am Heinz-Berggruen-Gymnasium, am Canisius-Kolleg, an der Droste-Hülshoff-Schule, aber auch am Collegium Musicum der FU und TU Berlin. »Mit normalen Ressourcen einer Schule ist Kammermusikunterricht selten möglich«, erzählt der Oboist Martin Kögel, der gemeinsam mit seiner Geigen-Kollegin Eva-Christina Schönweiß das Projekt 2015 ins Leben gerufen hat. »An dieser Stelle springen wir ein, bringen Zeit und Expertise mit. Das ist nicht Education mit Event-Charakter, sondern ein regelmäßiges Arbeiten, das fest ins Schulleben eingebunden ist.« Mehr als ein Dutzend Orchestermitglieder engagieren sich mittlerweile für das Projekt; sie begleiten ihre Ensembles über mehrere Jahre hinweg und proben in der Regel wöchentlich mit ihnen.

So 10.02. 12 Uhr Haus des Rundfunks ab 10.30 Uhr

Kulturradio-Kinderkonzert André Caplet ›Suite persane‹ für zehn Blasinstrumente POLYPHONIA ENSEMBLE BERLIN Christian Schruff Moderation Open House

›Brahms-Perspektiven‹ Festival vom 16. bis 23. Februar Sa 16.02. So 17.02. Mo 18.02. Mi 20.02. Fr 22.02. Sa 23.02.

›Brahms-Perspektiven‹ – Ensemblekonzert ›Brahms-Perspektiven‹ I ›Brahms-Perspektiven‹ II ›Brahms-Perspektiven‹ – Kammerkonzert ›Brahms-Perspektiven‹ III ›Brahms-Perspektiven‹ IV

Ausführliche Informationen auf

S. 4 und 5

Kammerkonzerte Die ausführlichen Programme und Besetzungen finden Sie unter dso-berlin.de/kammermusik.

Ob Streichquartett oder Klarinettentrio, Bläserquintett oder Streicherensembles – den Besetzungen sind keine Grenzen gesetzt. Auch die Projektverantwortlichen sind immer offen für neue Ideen und Partner. Interessierte Schulen können sich unter musikvermittlung@dso-berlin.de melden. Die aktuellen Ergebnisse der Zusammenarbeit werden am 27. Januar um 15 Uhr in einem Kammerkonzert in der Villa Elisabeth präsentiert. Mehr unter dso-berlin.de/kammermusikprojekt Mit freundlicher Unterstützung durch den

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92,4

KARTEN, ABOS UND BERATUNG Besucherservice des DSO in der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Charlottenstraße 56 | 2. OG 10117 Berlin | Am Gendarmenmarkt Öffnungszeiten Mo bis Fr 9 –18 Uhr Tel 030. 20 29 87 11 | Fax 030. 20 29 87 29 tickets dso-berlin.de | dso-berlin.de IMPRESSUM Deutsches Symphonie-Orchester Berlin im rbb-Fernsehzentrum Masurenallee 16 –20 | 14057 Berlin Tel 030. 20 29 87 530 | Fax 030. 20 29 87 539 info@dso-berlin.de | dso-berlin.de

Der Perfekte Ein- oder Ausklang ist 3 Minuten von der Philharmonie entfernt.

QIU Lounge im the Mandala Hotel am Potsdamer Platz Potsdamer Strasse 3 | Berlin | 030 / 59 00 5 00 00 | www.qiu.de

die kunst zu hören

Orchesterdirektor Alexander Steinbeis (V. i. S. d. P.) Orchestermanager Sebastian König Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Benjamin Dries Redaktion Maximilian Rauscher, Benjamin Dries Redaktionelle Mitarbeit Pia Starke Marketing Tim Bartholomäus Abbildungen | Fotos Monica Menez (S. 1, S. 4/5 Mitte), Otto Böhler/gemeinfrei (S. 2 oben), Maximilian Meisse/SPK (S. 2 unten links), audite (S. 2 unten Mitte), Kai Bienert (S. 2 unten rechts), Robbie Lawrence (S. 3), Fabian Frinzel und Ayzit Bostan (S. 4 unten), k. A. (S. 5 oben), Marco Borggreve (S. 5 unten), Harald Hoffmann (S. 6 oben), Dorothee Mahnkopf (Grafik S. 6 unten), Gaetan Bernard (S. 7 links), Reto Klar (S. 7 rechts), Peter Adamik (S. 8) Art- und Fotodirektion Preuss und Preuss Satz peick kommunikationsdesign Redaktionsschluss 29.11.2018, Änderungen vorbehalten © Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2018 Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ist ein Ensemble der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin. Geschäftsführer Anselm Rose Gesellschafter Deutschlandradio, Bundesrepublik Deutschland, Land Berlin, Rundfunk Berlin-Brandenburg


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