Die Beste Zeit Nr. 30

Page 1

DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Ausgabe 30, 2014 - 3,50 Euro

Pissarro-Ausstellung eröffnet Von der Heydt-Museum Wuppertal

Das jüdische Museum Begegnungsstätte Alte Synagoge

Red Hook, NYC Pioneers und Entrepreneurs

Eine Nacht für Kultur Kunst- und Museumsnacht Wuppertal

Eigentlich Heimat Erinnerungsalphabet Wuppertal

Kongeniale Freunde Doppelausstellung von Macke und Marc

Der unbequeme Weg der Wuppertaler Schauspiel-Intendantin

Literat mit Haut und Haar Michael Zeller zum 70. Geburtstag

Der Arp ist da! Der Max ist da! Doppelausstellung von Arp und Ernst

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

1


www.barrenstein.de

„Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ Psalm 91,11

Erfahrung, Einfühlungsvermögen, Verständnis und Kompetenz. Wir beraten. Wir organisieren. Ob Erd-, Feuer-, See- oder Naturbestattung. Ihre Entscheidung ist uns Verpflichtung. 2

Berliner Straße 49 + 52-54, 42275 Wuppertal, 0202.663674, www.neusel-bestattungen.de


Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Nackte Hunde. Laufbekanntschaften. Die Nacht von Dar es Salaam. Oder: Rheinpromenade. Drahomira. Dem König klaut man nicht das Affenfell. Oder: Ein Neger zum Tee. Deutschlandhymne. Iskender. Kennen Sie? Zumindest werden Sie davon gehört haben. Es sind nämlich Titel der drei Wuppertaler Autoren Karl Otto Mühl, Wolf Christian von Wedel Parlow und Hermann Schulz. Über einen langen Zeitraum haben sie, neben ihrem eigenen dichterischen Schaffen, an wichtiger Stelle die Literatur und ihre Verbreitung im Tal der Wupper befördert. Der Verband der Schriftsteller und die Autorengemeinschaft „Literatur im Tal“ verdanken ihnen viele Impulse. Wie heißt das heute: nachhaltige Impulse. Und nicht gezählte Lesungen in Senioreneinrichtungen, Beiträge im „Karussell“ und in der „Besten Zeit“, Buchvorstellungen an manchmal unscheinbaren Orten. Um noch einmal zeitgeistig zu formulieren: Sie haben sich, nimmermüde, eingebracht. Und nun treten sie ab. Nicht als Autoren, da sind sie von ungebrochener Schaffenskraft, wohl aber vom Vorstand des Schriftstellerverbands. Danke, sagen die Kolleginnen und Kollegen. Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist. Wedel, dem langjährigen Sprecher, Mühl und Schulz ist dies gelungen. Noch viele produktive Jahre sind ihnen zu wünschen. Sie pflegen ja nicht den Griesgram, sondern eher eine jugendliche Unbekümmertheit, auch wenn sich die Jahre nicht verleugnen lassen. Von Picasso stammt die Erkenntnis: Es dauert sehr lange, bis man jung wird. Die Schauspielerin Ida Ehre ist an dieselbe Sache vom anderen Ende herangegangen: Bleibe jung – damit du alt werden kannst. Schulz, Wedel, Mühl sind Botschafter einer Stadt, von der man nicht immer weiß, ob sie ihre wortgewaltigen Schriftsteller zu würdigen versteht. „Und sie ärgerten sich an ihm. Jesus aber sprach zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgend weniger denn in seinem Vaterland und in seinem Hause“ (Matthäus, 13,57). Also bitte nicht erst im Nachhinein. Hermann, Otto, Wolf: Danke. Bis zur nächsten Veranstaltung. Gerne auch im Café oder in der Auer Schule. Und vielleicht gemeinsam mit Marina Jenkner, die den Vorsitz des bergischen VS übernommen hat, und Michael Zeller, der jetzt seinen neuen, vielgelobten Roman „Brudertod“ herausgebracht hat. Zeller wie auch Safeta Obhodjas, Christian Oelemann und – hier schließt sich wieder der Kreis – Hermann Schulz haben Volksbildung und Literaturvermittlung bei dem Projekt „Schulhausroman“ verbunden. Wer über die Freuden, aber auch die Mühen einer solchen Veranstaltung informiert werden möchte, kann dies bei Michael Zeller tun: www.michael-zeller.de/ autor/Schulhausroman-Preis.pdf. Bleiben wir uns gewogen! Ihr/euer Matthias Dohmen

3


The art of tool making

Impressum Die Beste Zeit erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: alle zwei Monate Verlag HP Nacke Wuppertal - Die Beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40, E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Ständige redaktionelle Mitarbeit: Frank Becker, Thomas Hirsch, Matthias Dohmen, Susanne Schäfer, Karl-Heinz Krauskopf Darüber hinaus immer wieder Beiträge von: Marlene Baum, Heiner Bontrup, Antonia Dinnebier, Beate Eickhoff, Fritz Gerwinn, Klaus Göntzsche, Johannes Vesper und weiteren Autoren Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal

Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzl. Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw. Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen. Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Titel: aus der Ausstellung Pissarro - Vater des Impressionismus -

Boulevard Montmartre bei Nacht, ca. 1897, Öl auf Leinwand, 53,5 x 64,8 cm, Ausschnitt

6" Ê ,Ê 9 / 1- 1 Ê « ÃÃ>ÀÀ >ÕÃÃÌi Õ }°`i 71** ,/ 14.10.2014 - 22.2.2015

À } V ÌÊ`ÕÀV

Ø ÀÕ }i ÊLÕV i Ê/ÊäÓäÓÉxÈÎÊÈÎ ÇÊÕ `Ê i

4


Inhalt Ausgabe 30, 6. Jahrgang, Dezember 2014 Gedankenstriche

Pissarro-Ausstellung eröffnet Von der Heydt-Museum von Frank Becker

von Marina Jenkner

Red Hook, NYC

Das Pariser Album Ausstellung Jochen Stücke Von der Heydt-Museum

Seite 12

von Karl Otto Mühl

Seite 19

Seite 23

Seite 28

Verrücktes Blut Das Theater als moralische Anstalt von Frank Becker

Seite 35

Interessantes zum Thema Steuern und Recht von Susanne Schäfer

Seite 83

Kurzgeschichte von Falk Andreas Funke Seite 84 Seite 38 Nowhere Man Seite 43

Ein Gespräch im Hause Stein… von Frank Becker

Seite 87

Keramik statt Rüben Seite 45

„Bessere Hälften“ von Mathias Dohmen

Seite 89

Seite 49

Musik vermitteln, Kultur vernetzen Konzertpädagoge Raphael Amend von Elisabeth von Leliwa

Seite 91

Seite 51

Schwebeleben Neuer Schwebebahnkalender von Hendrik Walder

Seite 55

Neue Kunstbücher Seite 96 Geschichtsbücher, Buchgeschichten Seite 98 Kulturnotizen Seite 99

Something Stupid oder Molière mit Selfie von Frank Becker

Seite 82

Der Fleck

Literat mit Haut und Haar Michael Zeller zum 70. Geburtstag von Marta Kijowska

Seite 75

Paragraphenreiter

Eigentlich Heimat Erinnerungsalphabet Wuppertal von Judith Kuckart

Doppelausstellung von Arp und Ernst von Rainer K. Wick

von Frank Becker

Marion Cito „Das ist ein Färbchen!“ von Anne Linsel

Seite 68

Seite 32

Das jüdische Museum in der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal

Doppelausstellung Macke und Marc von Rainer K. Wick

Freund Hein

Gegen den Strom Journalismus zum Anfassen von Sophie Blasberg

Seite 67

Der Arp ist da! Der Max ist da!

Der unbequeme Weg… …der Susanne Abbrederis von Klaus Göntzsche

Ausstellung im ort von Anne-Kathrin Reif Kongeniale Freunde

Zentrum für verfolgte Künste Kunstmuseum Solingen von Dr. Rolf Jessewitsch

Seite 65

Jean-Laurent Sasportes

Eine Nacht für Kultur Kunst- und Museumsnacht Wuppertal von Jan Filipzik

Seite 59

Seite 17

Tobago ist eine Insel im Herzen Skulpturenpark Waldfrieden von Anna Brenken

Pioneers und Entrepreneurs von Stefan Altevogt Jazz

Visitenkarten Wuppertaler Bühnen von Frank Becker

Seite 57

Seite 6

Seite 94

5


Pissarro-Ausstellung mit Glanz erรถffnet

6


So sollte es bei einem solchen Ereignis sein: vom strahlend blauen Himmel lachte über Wuppertal und seiner Historischen Stadthalle die Sonne, als am 12. Oktober in deren Großem Saal mit einem Festakt vor beinahe 1.500 Besuchern die Wuppertaler Pissarro-Ausstellung eröffnet wurde. Diese einzigartige, erlesene Präsentation von Arbeiten des „Vaters des Impressionismus“, wie ihn Museumsleiter Dr. Gerhard Finckh in seinem Eröffnungsvortrag nannte, und einigen seiner Zeitgenossen aus dem künstlerischen Umfeld in den Räumen des Städtischen Kunstmuseums setzt konsequent die Reihe der französischen Impressionisten fort, die Wuppertal unter der Ägide von Gerhard Finckh bisher mit der Schule von Barbizon, mit Auguste Renoir, Alfred Sisley, Claude Monet und Pierre Bonnard gezeigt hat. Es ist in der Tat auch ein bißchen so, daß die „Fabrikstadt an der Wupper“ dadurch vom zauberhaften Licht des Impressionismus profitiert, einen gewissen Glanz dessen behalten hat. Dieses nicht zu unterschätzende Verdienst hob auch Kulturdezernent Matthias Nocke in seinen Begrüßungsworten heraus, blieb aber nicht bei der Kunst allein. Matthias Nocke schlug auch den Bogen zur politischen Tagesaktualität. Camille Pissarros jüdische Herkunft und seine dadurch erlittene Diskriminierung durch u. a. seine Zeitgenossen Renoir, Degas und Cézanne sowie später in Deutschland durch die Nazis gab dazu Anlaß. Nocke wies auf die Besorgnis erregenden Tendenzen feindlicher Aktionen gegen unsere jüdischen Mitbürger, vor allem den Brandanschlag durch arabisch-stämmige Täter auf die Wuppertaler Synagoge hin. Sein Appell, jedweder Judenfeindlichkeit hier und anderswo entschlossen entgegenzutreten, wurde einhellig begrüßt.

Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal

7


Im Anschluß an den Festakt ging es für die Eröffnungs-Gäste, darunter der Landtagsabgeordnete Andreas Bialas, Rolf-Peter Rosenthal und Dr. Rolf Kanzler als Vertreter der Jackstädt-Stiftung, die Kunstmäzene Heinz-Olof Brennscheidt, Loretta und Dr. Werner Ischebeck, Eberhard Robke, Iris und Peter Vaupel – teils mit dem ShuttleBus, zu Fuß oder mit dem eigens bestellten und Pissarro-geschmückten Velo-Taxi – zum Museum, das sich für einen wahren Ansturm rüstet. Ist es doch die größte Pissarro-Ausstellung seit 15 Jahren auf deutschem Boden, was auch erklärt, daß bereits weit mehr als 1.000 Führungen gebucht worden sind. Gerhard Finckh knüpft damit an die Serie seiner Ausstellungserfolge an. Hier ein Auszug aus den Begrüßungsworten des Kulturdezernenten Matthis Nocke: (…) Einige von Ihnen, meine Damen und Herren, denken beim Thema Impressionismus auch an die großen Ausstellungen des Vonder-Heydt-Museums zu diesem Thema: 2007 „Die Schule von Barbizon“, danach Renoir, Monet, Sisley und jetzt – Camille Pissaro. Mit dieser Themenserie hat unser städtisches Kunstmuseum eine Tradition begründet, die es so in keinem anderen deutschen Museum gibt. Natürlich finden sich hier und da Ausstellungen zum Thema Impressionismus; so hat das Folkwang Museum in Essen in den späten 90ern die großen Spätimpressionisten oben: Dr. Gerhard Finckh im Gespräch mit Christiane D. Steckhan und Dr. Jörg Steckhan Mitte: Publikum bei der Eröffnung in der Historischen Stadthalle unten: Intensive Gespräche bei der Eröffnung

8


Van Gogh, Gauguin und Cezanne gezeigt, aber eine so dichte, konzeptionell ausgereifte und aufeinander aufbauende Reihe ist tatsächlich singulär. Das freut den Kulturdezernenten, denn ein Museum mit einem solchen Alleinstellungsmerkmal macht unser Haus zu einem Leuchtturm mit Strahlkraft für die Wuppertaler Kulturlandschaft. (…) Die siebzehntgrößte Stadt Deutschlands braucht Kultur dringend, nicht alleine als Marketing- oder Standortfaktor, als Ansiedlungsinstrument oder für ihre Wohn- und Lebensqualität oder die kulturelle Bildung. Vielmehr ist Kultur ein wichtiges, ja bestimmendes Element für die Diskussion über die Verbindlichkeit von Werten und Wertvorstellungen in einer Stadt; also die Frage: Was hält unsere Stadtgesellschaft eigentlich zusammen? In unserer Stadt leben Menschen aus etwa 160 verschiedenen Nationen, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Religionszugehörigkeiten zumeist friedlich zusammen. Dies gelingt nicht immer. Deshalb sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß es erst einige Wochen her ist, als drei junge Männer, nach eigenen Angaben arabischer Herkunft, Mitbürger in dieser Stadt, versucht haben unser jüdisches Gotteshaus in Brand zu setzen, was erfreulicherweise aufgrund der mangelnden Tauglichkeit dieses Anschlags nicht gelang.

oben: Begrüßung durch Kulturdezernent Matthias Nocke Mitte: Dr. Gerhard Finckh bei der Eröffnungsrede unten: Das Ehepaar Vaupel bei der Eröffnung

9


10


Genau an dieser Stelle erhält unsere Pissaroausstellung einen tagesaktuellen Bezug, den Camille Pissaro war nicht nur „Ausländer“, da er 1830 auf der dänischen Antilleninsel St. Thomas geboren wurde, sondern auch jüdischer Abstammung. Viele Jahre lang spielte dieser Umstand in seinem Leben nicht die geringste Rolle, aber als 1894 die Dreyfus-Affäre über Frankreich hereinbrach und der jüngste Offizier im französischem Generalstab, der Hauptmann Alfred Dreyfus, beschuldigt wurde, durch Geheimnisverrat an Österreich Landesverrat begangen zu haben, kochten die Emotionen in Frankreich hoch und die Gesellschaft spaltete sich in zwei Lager: Diejenigen, die Dreyfus für unschuldig hielten und diejenigen, die ihn für schuldig hielten und damit die ganze jüdische Bevölkerung Frankreichs zu Landesverrätern erklärte. Es zeigte sich plötzlich ein wüster Antisemitismus, der selbst die Gruppe der Impressionisten spaltete. Camille Pissaro, eben noch ein beliebter Freund und Kollege, wurde diskriminiert. Plötzlich wollte Renoir nicht mehr mit dem „Juden Pissaro“ ausstellen und Degas wechselte die Straßenseite, wenn er seinem alten Freund Pissaro in Paris begegnete. Pissaro schrieb am 24.11.1899 an seinen, in London weilenden Sohn Lucien: „Wenn hier nur nichts dazwischenkommt, denn hier wird schon von der Austreibung der Juden geredet. Das wäre ein Höhepunkt!“ Dreißig Jahre später ging dieser dann nicht mehr in erster Linie religiös sondern rassistisch begründete Antisemitismus in Deutschland so weit, daß Pissaro selbst in wissenschaftlichen Werken – wie dem von Karl Scheffler „Die großen französischen Maler des 19. Jahrhunderts“ von 1942 (in der 2. Auflage 1949 leider unverändert) – erst gar nicht mehr vorkam. Man hatte ihn sozusagen posthum ausradiert. Heute ist es wichtig, daß in Deutschland in unserer Gesellschaft für Antisemitismus, sei er religiös, rassistisch oder moderner: antizionistisch begründet, kein Platz mehr

linke Seite Camille Pissarro: Der Gärtner, 1899 Staatsgalerie Stuttgart

Dr. Gerhard Finckh und Kulturdezernent Matthias Nocke ist und wir ihn ächten und bekämpfen, wo wir ihn treffen – auch wenn er noch so charmant daherkommt, mit dem Cocktailglas in der Hand. Solche Ereignisse, meine Damen und Herren, wie sie Camille Pissaro widerfahren sind, sind nicht nur für das betroffene Individuum, für Familien und Bevölkerungsgruppen grausame, schreckliche und unerträgliche Erlebnisse und Belastungen; solche Ereignisse sind tödlich für das Zusammenleben in demokratisch verfassten Staaten und kommunalen Gemeinschaften. Natürlich steckt dahinter häufig ein böser Wille, vor allem aber ist es die mangelnde Kenntnis von der Kultur des Anderen, ein Nichtwissen und Nicht-Wissen-Wollen von dem, wie andere Menschen leben, welchen Vorstellungen, welchem Glauben, welchen Riten sie verpflichtet sind und welche Kultur sie leben. Gerade da aber muß unsere Bildungsarbeit ansetzen. Es muß uns gelingen, über die Vermittlung von Wissen über den Anderen ein Verständnis für das andere herzustellen, damit solche schrecklichen Ereignisse wie z. B. ein Angriff auf die Bergische Synagoge verhindert werden. Wir brauchen die Kultur und die kulturellen Einrichtungen dieser Stadt, nicht nur, um uns an herrlichen Bildern zu erfreuen oder gar an der Lichtmalerei der Impressionisten zu berauschen; wir brauchen dieses Museum vielmehr, um uns dort zu treffen und Ge-

danken auszutauschen. Kunst und Kultur brauchen öffentliche Räume in der Stadtgesellschaft, um im öffentlichem Diskurs Neues über die Kunst und die Welt zu erfahren, um unseren Horizont zu erweitern und relevante Themen zu diskutieren und aus dieser Sicht auf das größere Ganze eine neue Offenheit für die Phänomene dieser Welt zu generieren, die unsere Engstirnigkeit wegbläst wie trockenes Herbstlaub. (…) Redaktion: Frank Becker Informationen zur Pissarro-Ausstellung: www.pissarro-ausstellung.de Dauer der Ausstellung noch bis zum 22. Februar 2015 Von der Heydt-Museum Turmhof 8, 42103 Wuppertal Telefon 0202 563-2626 Öffnungszeiten: Di+Mi 11-18 Uhr, Do+Fr 11-20 Uhr Sa+So 10-18 Uhr www.von-der-heydt-museum.de

11


Das Pariser Album Ausstellung Jochen Stücke im Von der Heydt-Museum Wuppertal bis zum 22. Februar 2015 Seit zehn Jahren arbeitet der Zeichner und Graphiker Jochen Stücke (geb. 1962) an seinem „Pariser Album“, aus dem das Von der Heydt-Museum rund 110 Werke (Tuschezeichnungen, Lithografien und Radierungen) präsentiert. Assoziativ verknüpft er in seinen Bildern historische, literarische und künstlerische Themen der Seine-Metropole.

Jochen Stücke, Géricaults Sturz, 2012, Tusche laviert, Gouache, 60 x 80 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

12


13


14


oben: Der Abschied Paul Celans, 2004, Farbstift, Gouache, 41 x 56 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 linke Seite: Nocturnes 24, 2012, Tusche laviert, 28 x 23 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Im Mittelpunkt seines Interesses steht das reiche Erbe dieses bedeutenden Zentrums europäischer Kultur. Stücke arbeitet nicht chronologisch Geschichte auf, sondern stellt mit Feder und Zeichenstift virtuos neue Bezüge her. Er verarbeitet Fiktion und Realität und schafft so erhellende Assoziationen oder deckt Widersprüche auf. Er inszeniert Situationen und Ereignisse, die so nie stattgefunden haben, aber durch den Ort Paris stets verknüpft sind. Augenblicke der Geschichte, die die Erfahrung der Moderne spürbar machen, verdichtet er zu universellen Aussagen oder zeigt, wie Historie sich wiederholt. Stückes Buchausgaben, Druckgrafiken und Zeichnungen werden seit Jahren in der Pariser Bibliothèque Nationale gesammelt. Stücke nimmt den Betrachter mit auf eine Reise durch eine Metropole voller Kontraste. Dabei geht es ihm um Vertikalschnitte durch die Zeit. Diese erlauben ihm, die teils historischen Figu-

ren in neue Kontexte zu stellen. Daraus entsteht ein dichtes Geflecht, aus dem das Von der Heydt-Museum Wuppertal sechs Themenbereiche herausfiltert. Aragon / Géricault Dem Maler Theodore Géricault nähert sich Stücke über die biographischen Studien des Schriftstellers Louis Aragons. Bezeichnend für Stückes Arbeitsweise ist das Paraphrasieren eines einzigen Themenkomplexes: die Schönheit des Pferdes als Inbegriff des Kreatürlichen in der Kunst Géricaults. Emile Zola „Das Werk“ 1886 veröffentlichte Zola seinen Roman des Impressionismus. Der tragische Protagonist, der Maler Claude Lantier, scheitert an den Pariser Salons und an seiner eigenen inneren Zerrissenheit. Paul Cézanne glaubt sich in der Figur beschrieben und kündigt Zola sofort die Freundschaft auf. In einem Blatt wie

15


schen architektonischer Referenz und der Verselbständigung graphischer Formen. Revolution Kein Paris ohne Revolution und Napoleon. Pathos ist hier nicht zu finden. Die große historisch Gestalt und die Schar der Namenlosen begegnen sich schlicht auf Augenhöhe menschlicher Bedürfnisse und Schwächen. Das „Gespräch unter Feinden“, darunter Ludwig XVI., MarieAntoinette und Robespierre, auf dem Schafott ist hier ebenso bildwürdig wie der Totentanz, in dem Marat und seine Mörderin, Charlotte Corday, fast zärtlich zueinander finden. Und ganz am Ende, nach „Robespierres Kehraus“, nach dem Blutrausch, herrscht wieder Stille. In der Betrachtung der ewigen Wiederkehr von theatralischem Geschrei und ratlosem Verstummen regt sich bei Stücke offensichtlich der Zweifel, ob der Mensch zu einem Fortschritt fähig ist.

Der Totentanz Marats mit Charlotte Corday, 2009, Tusche laviert, Farbstift, Gouache, 76,5 x 57,5 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2014 „Cézanne im Duell mit Claude Lantier“ zeigt sich, wie Stücke Fiktion und Realität miteinander vermischt. Notre Dame Mit den „Gehversuchen ins 21. Jahrhundert“ verlässt die Kathedrale Notre-Dame die Ile de la Cité, das geographische Herz von Paris. Ihre Strebepfeiler zu spinnenartigen Beinen verwandelt, macht sie sich auf den Weg mit unbestimmtem Ziel. Wohin flieht das Spirituelle in einer fast durch und durch säkularisierten Welt? Kunst und Literatur Figuren aus unterschiedlichen Zusammenhängen begegnen sich in Stückes

16

Werken und werden verwoben: Es grüßen sich Diderot und Molière in der Rue de Richelieu – „über die Straße und ein Jahrhundert hinweg“. Rodin zeichnet Hugo und Hemingway bei einem Gespräch über Balzac. Wieder einem anderen Jahrzehnt ist die in sparsamen Andeutungen gezeigte Szene von Paul Celans Freitod auf einer SeineBrücke entnommen. Nocturne, Paricon Den Blättern „Nocturne“ und „Paricon“ liegen unzählige Studien in den Straßen von Paris zugrunde; aus diesem Vokabular der Stadt lassen sich ästhetische Strukturen „destillieren“. Stücke erkundet dabei die Grenzen zwi-

Es liegt ein zweibändiger Katalog vor: Jochen Stücke: Pariser Album I und II, jeweils 28 Euro. Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, Do 11-20 Uhr, Mo geschlossen. www.von-der-heydt-museum.de Öffentliche Führungen: Samstag 24. Januar, 14 Uhr, Samstag, 14. Februar, 14 Uhr.


Visitenkarten Neue Schauspieler an den Wuppertaler Bühnen Miko Greza und Uwe Dreysel gaben ihre Visitenkarten ab

Uwe Dreysel Foto: Sebastian Eichhorn

Wuppertal hat nicht nur ein neues Theater im Hinterhof des Historischen Zentrums, auch das Ensemble ist nach dem Intendantenwechsel bis auf Urgestein Thomas Braus neu. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden stellten sich am vergangenen Wochenende die ersten beiden Ensemblemitglieder mit Soloprogrammen „Visitenkarten“ dem Publikum vor. Daß der nur 145 Plätze bietende Saal nicht einmal voll besetzt war, mag zumindest am Freitag daran gelegen haben, daß Wuppertals Oberbürgermeister Peter Jung zuvor bei einer öffentlichen Ansprache seine Zuhörer aufgefordert hatte, am Abend in die nur einen Steinwurf vom neuen Theater entfernte Oper zu gehen. So stellt man sich die Förderung des Schauspiels nicht vor. Aber genug davon, längst ist bekannt, daß die Kulturpolitik Wuppertals einseitig, will sagen opernlastig ist. „Mir ist vor zwei Tagen was Schreckliches passiert…“ Uwe Dreysel, in Goslar geboren und in Wien und Berlin „theatersozialisiert“, kam am Freitag vor schwach besetztem Haus (s. o.). Leute, Ihr hättet Euch statt der pompösen „Tosca“ nebenan lieber Dreysels geniales Solo „Kaffee & Vodka“ angeschaut! Denn hier wurden brillante Texte, hervorragende Musik, fesselndes Schauspiel, intelligente Unterhaltung und feinsinniges Klavierspiel aus einer Hand serviert. Konsequent nahe am Delirium bekannte Uwe Dreysel in seinen eigenen Texten und mit selbst kompo-

nierter Musik, daß ihm „vor zwei Tagen was Schreckliches passiert“ sei. Er hatte sich verliebt. Um diese Liebe, den heimlichen Suff und Fragen des Lebens dreht sich sein wunderbares Programm, das hoffentlich bald wieder (inklusive Extras) auf dem Spielplan steht. Zeigt Dreysel doch in Vollendung die feine Schauspiel- und Kleinkunst des Chansons von der Qualität Pigor & Eichhorns und auf Augenhöhe mit Konstantin Wecker. Das Theater Wuppertal kann auf solch ein Ensemble-Mitglied stolz sein – und sollte es eifersüchtig bewachen.

17


Ein Bayer tischt auf Der aus Oberammergau stammende Bayer Miko Greza eröffnete (nicht in Krachledernen) den Reigen der Visitenkarten mit dem wirklich bunten, aber nicht wirklich überzeugenden Programm „Ein Gemischtwarenladen“, in dem er dem bergischen Publikum zunächst mit wohlausgewählten bairischen Versatzstücken von u. a. Karl Valentin, Bruno Jonas Fritz von Kobell (Der Brandner Kaspar), Oskar Maria Graf u. a. m. Sprache, Kultur und Schlitzohrigkeit Bayerns nahezubringen trachtete. Zur Sicherheit hatte er sich

der Begleitung der Wuppertalerin Julia Meier versichert. Eine kluge Wahl. Die zierliche Musical-Darstellerin mit Wurzeln im Wuppertaler TiC-Theater wurde im Handumdrehen, auch wenn sie das gewiß nicht wollte, mit pikanter Stimme, gewaltigem Klavierspiel und überzeugender Darstellung zum heimlichen Star des Abends. Ihr Bergisches Heimatlied zum Klavier und ihr kleines Wuppertallied tiptoe through the tulips zur Ukulele zeigten exorbitante Qualität. Da konnte Miko Greza nur schwer mithalten, sein Humor blieb gebremst,

der bergisch-bairische Dialog sprühte kaum, in den kurzen Charakterszenen als König Lear und als King Arthur wie in der Schlußnummer aus der Rocky Horror Picture Show konnte der durchaus sympathische Mime seine Qualitäten im Fach des „komischen Alten“ kaum aufblitzen lassen. Das gelang ihm als Brandner Kaspar, mit Karl Valentins „Theaterzwang“ und mit Christoph Nußbaumeders „Eisenstein“. Eine weitere Vorstellung von Miko Grezas „Gemischtwarenladen“ gab es am Sonntag, dem 12. 10. 2014, 18:00 Uhr

Julia Reznik Am Freitag, dem 10. 10. 2014, 19:30 folgte als Nr. 3 der Reihe „Visitenkarten“ Julia Reznik mit „Spoonface Steinberg“ von Lee Hall Das Mädchen Spoonface Steinberg weiht die Zuschauer in die Geheimnisse des Lebens ein. Sie behauptet „zurückgeblieben“ zu sein, das hätte man ihr immer wieder so gesagt. Sie erkennt jedoch, was magische Funken sind und woher sie kommen. Ihre Liebe zur Musik ermöglicht ihr die Einsicht in die Schönheit des Sterbens. Und Spoonface muss sterben. Das sagen die Maschinen im Krankenhaus. Doch vorher macht sie viele Funken! Ein Monolog nach Spoonface Steinberg von Lee Hall, einem der führenden britischen Autoren u. a. von Billy Elliot und Kochen mit Elvis. Frank Becker Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de

Julia Meier, Miko Greza Foto: Sebastian Eichhorn

18


Tobago ist eine Insel im Herzen Luise Kimme im Skulpturenpark Waldfrieden Der Skulpturenpark Waldfrieden präsentiert noch bis zum 11. Januar 2015 eine Ausstellung mit Werken der Bildhauerin Luise Kimme (1939 – 2013). Mehr als dreißig ihrer farbig gefassten Holzskulpturen werden erstmalig im Zusammenhang gezeigt. Zur Ausstellung erscheinen ein Katalog, eine Broschüre und ein Plakat.

Luise Kimme Ausstellungssituation im Skulpturenpark

1979 kam Luise Kimme, aufgewachsen in Norddeutschland, nach Tobago. Sie entdeckte dort ihr Paradies. Ihre bemalten Holzskulpturen sind Ausdruck ihrer Begeisterung für die Karibik Die Bildhauerin war nur 1,52 Meter groß. Das war für die Tänzer und Tiermenschen, die sie aus schwerem Eichenholz herausschlug, ein entscheidendes Maß. „Ich mache meine Figuren so hoch, wie ich reichen kann“, erklärte die Künstlerin oft, „vielfach arbeite ich dabei über Kopf, gucke also von unten.“ Alle ihre Geschöpfe sind schwarz. Auch der weiße Tänzer Fred Astaire. „Black is beautiful“ war das Credo von Luise Kimme und die fröhliche Botschaft ihrer Kunst.“ Jeder Bildhauer findet irgendwann sein Idealgesicht. Meins habe ich beim schwarzen Mann gefunden“, pflegte sie zu sagen. So apodiktisch wie jemand, der am Ziel angekommen ist. Auf der kleinen Insel in der südlichen Karibik, vor der Küste von Venezuela, richtete sie sich unter Palmen am Meer ein Atelier und ein kleines Museum für ihre Kunst ein. Dabei war die Bildhauerin, 1939 in

Bremen geboren, auf den ersten Blick so richtig norddeutsch: blond und blauäugig. Ihre lustigen, anmutigen, verwegenen, bunten Kunstwerke dagegen haben ihre Wurzeln eindeutig in der Karibik. Bei so leidenschaftlicher Aneignung des Fremden ist mit Gewissheit immer eins im Spiel: große Liebe am Ende eines längeren Weges. Von 1959 bis 1965 studierte Kimme Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin. Durch ihren Lehrer Paul Dierkes hörte sie von Yves Klein und besuchte den Künstler Anfang der sechziger Jahre in Paris. Sie wurde eine der Frauen, die dem Künstler als „lebende Pinsel“ für seine Anthropometrien dienten: Klein bemalte ihren Körper in Blau und Rosa und ließ sie die noch frische Farbe auf einen Bogen Papier drücken. Ein zweijähriges Stipendium an der renommierten St. Martin‘s School of Art in London brachte Luise Kimme 1966 ins Zentrum der „Roaring Sixties.“ So many books I read / So many men I knew“ (So viele Bücher habe ich gelesen, so viele Männer gekannt), schrieb sie in ihr

19


Eröfnung der Ausstellung am 24. Oktober durchTony Cragg

20

Tagebuch. Nun entstanden nicht mehr Skulpturen aus Stein und Holz wie in Berlin, sondern raumgreifende Plastiken aus Fiberglas. Ein noch heißeres Pflaster war für sie in den 1970er Jahren New York. Sie bekam einen Lehrauftrag an der Rhode Island School of Design und mietete ein Studio an der Lower Eastside von Manhattan. Reisen zu den Navajo-

Indianern, nach Honduras, Guatemala und Mexiko öffneten ihr die Augen für die Kulturen jenseits des westlichen Horizonts. Auf Jamaika freundete Luise Kimme sich mit einem Holzschnitzer an. Erste Holzfiguren entstanden. Dann der Zufall, der sie endlich auf ihre Trauminsel brachte. Sie sah in Düsseldorf, wo sie von 1976


bis 2002 an der Akademie als Bildhauerin lehrte, das Foto eines jungen Schwarzen und wollte ihn unbedingt kennenlernen. So kam sie 1979 nach Tobago und verliebte sich nicht nur in einen Mann, mit dem sie acht Jahre zusammenlebte, sondern gleich in alle Insulaner. Sie erwarb auf Tobago ein Grundstück, baute darauf eine Wellblechhütte und arbeitete.

Hingerissen von der Schönheit der Schwarzen, bemühte sie sich, die Körper und Bewegungen in Holz zu schlagen. Viele der Mythen, die sie auf Tobago kennenlernte, sind afrikanischen Ursprungs und haben nicht selten Ähnlichkeit mit den Metamorphosen Ovids. Menschen nehmen Tiergestalt an oder verwandeln sich in Pflanzen. Die Künstlerin übertrug

sowohl die griechischen wie die karibischen Mythengestalten in ihren Figurenreigen. Der selbstverliebte Narziß aus der antiken Mythologie trägt bei ihr genauso eine schwarze Haut wie die Sagengestalten der Karibik: „La Diablesse“ (die Teufelin), „Mama de l‘eau“ (die Wasserschlange) oder „Papa Bois“ (der Hüter des Waldes).

21


Das Material für ihre Skulpturen fand Luise Kimme auf Tobago. Zedern-, Zypressen- und Mahagonistämme bearbeitete die zierliche Frau mit Meißel, Stecheisen und Kettensäge. Die Karibik ist die Heimat des Calypso und des Reggae. An jedem Wochenende wanderte die Künstlerin auf hohen Hacken, schick aufgemacht, zur Openair-Disco im Nachbardorf. Da traf sie all‘ ihre schönen Schwarzen auf der „Tanzfläche.“ Nie stellte sie ihre Figuren nackt dar. Sie bemalte sie mit roten, weißen, blauen, grünen Kleidern und Hosen, schmückte ihre Köpfe mit komischen Hüten oder Früchten und behängte sie mit knalligem Modeschmuck. Über ihren Alltag in den Tropen hat die Bildhauerin ein Buch geschrieben; „chachalaca“, erschienen 1985 im Verlag des Übersee-Museums Bremen.„Chachalaca“ ist der Ruf des Vogels Cocrico, den es nur auf Trinidad/Tobago gibt, der auch das Wappen des Inselstaates schmückt. Die Bremerin fühlte sich inzwischen als Tobagoerin. Doch sie setzte der Assimilation auch Grenzen: Statt sich tropische Bräune anzusonnen, schminkte sie sich weiß. Sie ging früh am Morgen schwimmen. Was kein Schwarzer tun würde. Sie trug gern große Hüte und Sonnenschirme, ging gemessenen Schrittes, wie es sich für vornehme Weiße gehört, und nahm es hin, dass die Schwarzen dachten, sie sei „full of money“. Sie wußte: Auf der Insel wird einfach jeder Weiße für reich gehalten. Luise Kimmes Figuren wurden 2012 auf Kuba gezeigt. Anfang des Jahres 2013 beaufsichtigte die Bildhauerin noch den Abtransport von 28 Holzskulpturen von Tobago nach Düsseldorf zu einer Ausstellung in der Akademie. Im März 2013 starb die Künstlerin nach kurzer schwerer Krankheit in ihrem Haus in der Karibik. Anna Brenken Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

www.luisekimme.com Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12 42285 Wuppertal Tel. 0202 47898120 Fax 0202 478981220 www.skulpturenpark-waldfrieden.de

22


Eine Nacht für Kultur Die Kunst- und Museumsnacht Wuppertal. Rund 3000 Besucher machen sich jedes Jahr auf, die Museen und Galerien zu besuchen, Kunst zu entdecken, Performances zu erleben und außergewöhnliche Musiker kennenzulernen.

Galerie Grölle pass:project, Alice Musiol

Das da. Ein Berg aus fließendem Stoff. Drei Meter hoch, mitten im Raum. „Ich würde mich da gerade gerne“, sagt Besucherin Monika Lottmann und mustert die Skulptur, „reinlegen, glaube ich.“ Ein paar Meter weiter gerät ein Gespräch plötzlich ins Stocken. Alice Musiol, Kölner Künstlerin und Meisterschülerin von A.R. Penck, sieht ihre Installation in Gefahr. Oder eine Chance, sie zu verkaufen. Einige Kilo Stoff, über etwas, wo niemand außer ihr weiß, was darunter ist. Preis auf Anfrage. Es ist die Kunst- und Museumsnacht 2014. Der 26. September. Ort: Grölle pass:projects an der Friedrich-EbertStraße. Etwa zehn Besucher sind hier, blicken auf Stick- und Papierarbeiten. Und auf den großen Berg aus Stoff. „Kissing the dust“ heißt die Ausstellung von Alice Musiol. Sie, die Künstlerin, macht ihr eigenes Umziehen und Reisen in vielen ihrer Werke zum Thema. Ballast ist unerwünscht. Ihre Arbeiten daher oft leicht und flexibel. Wie hier haben an diesem Abend, in dieser Nacht, zehn weitere Museen und Galerien ihre Türen geöffnet. Bis Mitter-

nacht bieten sie nicht nur Ausstellungen und Kunst, sondern auch Performances, Musik, Vorträge, Lesungen und mehr. Was Wuppertal hat, soll sichtbar werden. „Es gibt in der Stadt eine große Fachszene, die sich für Museen und Galerien begeistert“, sagt Monika Heigermoser, Chefin des Wuppertaler Kulturbüros, das die Kunst- und Museumsnacht organisiert. „Wir aber wollen mit so einer Veranstaltung gezielt auch andere Menschen und Schichten ansprechen, die sonst vielleicht nicht in eine Galerie oder in ein Museum gehen würden.“ Damit das Konzept aufgeht, setzt Heigermoser mit ihrem Team auf Abwechslung, Gegensätze und Mehrwert. Einfach nur die Türen der Orte zu öffnen, würde nichts bringen. „Wir wollen nicht nur eine Nacht, in der man sich etwas anschauen kann. Wir wollen eine Nacht, in der etwas passiert.“ Deswegen das Rahmenprogramm. Bei Grölle beispielsweise gibt es an diesem Abend um 20 Uhr eine Musikperformance von Jürgen Palmtag, Künstler der Galerie. „Man merkt schon, dass da noch einmal ganz andere Leute kommen als sonst üblich“, sagt Jürgen

23


Oben: Begegnungsst채tte Alte Synagoge Unten: Schwarzbach Galerie, bbk-Jahresschau, Hanne Horn

24


Von der Heydt-Kunsthalle, Heike Kati Barath

Eilike Schlenkhoff im Neuen Kunstverein Wuppertal

Grölle kurz nach dem Auftritt. „Ich habe viele neue Gesichter gesehen. Das freut mich.“ Ähnlich ist es eine Stunde später in der Hengesbach Gallery an der Vogelsangstraße. Hier treten die WeimerSisters auf. Ein Gitarrenduo, das ganz auf die Klänge ihrer Instrumente setzt. „Ein sehr schönes Konzert. Alles war perfekt, alles hat gepasst“, sagt Rolf Hengesbach anschließend. Wichtig auch: Musik und die Ausstellung funktionieren zusammen. Die Galerie zeigt „Die Magie des Entschwindens“. Ausgangspunkt der Schau ist die Abbildung des leeren Künstlerateliers von Francis Bacon. Das Studio ist verlassen. Bis auf die Farbspritzer an der Wand, Flecken auf dem Boden und über Jahre gebleichte Schatten von Heizkörpern birgt es keinen persönlichen Besitz. Wie viel von der ursprünglichen Magie des Ortes ist beim Betrachten des Fotos also noch zu spüren? Wie aufgeladen ist das noch wahrnehmbare Licht? Dieser Frage widmen sich die fünf verschiedenen Künstler der Gruppenausstellung. „Es sind viele Leute extra für das Konzert gekommen. Die haben sich dann natürlich

auch die Ausstellung angeschaut“, sagt Rolf Hengesbach. Über solche Sätze freut sich Monika Heigermoser. „Die Hengesbach Gallery ist ein großer Gewinn für die Stadt. Deswegen ist es wichtig, dass sie gut eingebunden ist.“ Die Organisation der Kunst- und Museumsnacht beginnt bereits Monate im Voraus. Wie bei vielen Projekten steht am Anfang die Frage nach der Finanzierung. Ein niedriger fünfstelliger Betrag muss zusammenkommen, mindestens, damit es funktioniert. Nur einen Teil dieses Geldes kann das Kulturbüro selbst aufbringen. „Die Stadtsparkasse, die Stadtwerke und vor allem die Jackstädt-Stiftung sind wichtige Sponsoren, ohne die es diese Nacht nicht geben würde“, sagt Heigermoser. Bislang hat immer alles geklappt. Steht die Finanzierung, geht es um die Inhalte. Wer macht überhaupt mit? Wer braucht wo Unterstützung? Und welche Programmpunkte passen wie in das Gesamtkonzept? „Oft haben die Galerien eigene Vorstellungen. Oft ist es aber auch so, dass wir gezielt Musiker vorschlagen und die Kontakte herstellen“, sagt Urs Kauf-

25


Galerie Kunstkomplex, Anna Berndtson mann vom Kulturbüro. Die langjährige Arbeit und Erfahrung auf diesem Gebiet helfen ihm und seinem Kollegen Ulrich Marxcors, schnell zu erkennen, welcher Auftritt mit welchem Ort und der dazugehörigen Ausstellung harmonieren könnte. Für die Teilnehmer der Kunst- und Museumsnacht bedeutet die Veranstaltung dennoch viel Arbeit. Denn nur ein Teil des Geldes ist für ihre Auslagen, die Künstler und den Abend an sich vorgesehen. Mehr wird gebraucht für Werbung und Marketing. So ist es jedes Jahr eine Herausforderung – die sich zwischen, wie im Kulturbereich üblich, zu geringen Mitteln und einem möglichst optimalen Ergebnis spannt. Ein Drahtseilakt, den das Kulturbüro und die Veranstaltungsteilnehmer bislang immer gewonnen haben. Sie haben es geschafft, der Veranstaltung im Laufe der Jahre ein neues Gesicht zu geben. Sie weiter zu entwickeln und nicht still stehen zu lassen. „Nacht der offenen Museen“ hieß das damals, die erste Auflage 2001. Zu dem Zeitpunkt war noch Marlis Drevermann Dezernentin

26

für Kultur, Schulen und Sport. Galerien waren von einer Teilnahme ausgeschlossen. „Vor allem mit der Schließung des Fuhlrott-Museums hat sich für uns die Frage gestellt, ob wir die Museumsnacht verändern müssen. Und können“, sagt Monika Heigermoser, seit 2007 Chefin des Kulturbüros. 2009 fiel die Entscheidung, auch renommierte Galerien mit in die Veranstaltungsorte aufzunehmen. Die Galerien Epikur und Janzen zählten zu den ersten. Und noch andere Dinge haben sich geändert. Mal gab es einen Shuttlebus, der kostenlos die unterschiedlichen Stationen anfuhr. Dann wurde er wegen zu hoher Kosten und zu geringer Nachfrage eingestellt. Oder die Sache mit dem Motto. Anfangs hatte jede Museumsnacht eines. „Von Tugend und Glück“ lautete es beispielsweise 2009. Monika Heigermoser kann heute darüber lachen. Auch die Werbemittel sind im Laufe der Zeit immer professioneller geworden. Aus einem einfachen Faltblatt, das Mitarbeiter des Kulturbüros in den ersten Jahren selbst gestaltet haben, ist ein ansehnliches Programmheft geworden. Von einer

Grafikerin gestaltet. Modern und frisch. Und in diesem Jahr? Weitere Veränderungen. Erstmals ist der Eintritt in alle Galerien und Museen kostenlos. „Wir wollen die Schwelle für Besucher so niedrig halten wie möglich. Und so viele erreichen, wie wir können“, sagt Monika Heigermoser. So viele wie wir können bedeutet: Knapp 3000, die sich jedes Jahr aufmachen und durch die Nacht ziehen. Tendenz steigend. Damit das so bleibt, ist das Kulturbüro auch auf die Hilfe der lokalen Presse angewiesen. Sie ist ein wichtiges Mittel, um möglichst schnell viele Menschen zu erreichen und anzusprechen. Deswegen gab es in diesem Jahr erstmals eine eigene Pressekonferenz des Kulturbüros, auf der die Kunst- und Museumsnacht vorgestellt wurde. Um den neuen, denen, die sonst nicht in der Kulturszene zu Hause sind, den Einstieg zu erleichtern, hat sich das Kulturbüro noch etwas ausgedacht. Routen, zum selbst Erlaufen. Wie bunte Bänder schlängeln sie sich am 26. September durch die Stadt, binden unterschiedliche Museen und Galerien ein. Die Routen,


Von der Heydt-Kunsthalle, Heike Kati Barath sie sind ein Experiment, ein Versuch. Ob sie sich bewähren, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Wenn das Kulturbüro zu einer Nachbesprechung und Manöverkritik einlädt. Für den Moment aber zählt das Erreichte. Wie in der Von der Heydt-Kunsthalle in Barmen. Nach einem Jahr Pause ist sie 2014 wieder mit dabei. Erfolgreich. Es ist voll hier. Und die Bilder, Skulpturen und Installationen der Berliner Künstlerin Heike Kati Barath bleiben im Gedächtnis. „Du auch hier“ heißt der Titel ihrer Ausstellung. Wer sie betritt, steht vor meterhohen Leinwänden. Hell leuchtende Farben, freche TeenagerPorträts, grell, ein Kontrastprogramm zur dunklen Nacht. „Man muss sich drauf einlassen“, sagt ein Besucher im Vorbeigehen. Auffallend viele junge Leute sind hier. Und Kinder. Denn auch für sie gibt es an vielen Orten ein Programm. In der Kunsthalle ist es die Möglichkeit, Maskenwesen zu basteln. Außerdem hat DJ Charles Petersohn für jeden der Räume einen atmosphärischen Sound-Mix gestaltet, der den Charakter der Kunst subtil unterstreicht. „Es ist das erste Mal, dass es

Musik in einer meiner Ausstellungen gibt. Es passt wunderbar“, sagt Heike Kati Barath. Auch sie selbst findet so noch einmal einen ganz anderen Zugang zu ihrer Kunst. Die Museumsnacht ist aber nicht nur Kultur. Sie ist auch ein Zusammenkommen. Kulturdezernent Matthias Nocke schaut an diesem Abend in der Kunsthalle vorbei, trifft auf Fotograf Uwe Schinkel und Kurator Mark Tykwer. „Mir gefällt es hier“, murmelt Tykwer, als er durch die Räume schreitet. Einige Kilometer Luftlinie entfernt ist Monika Heigermoser unterwegs. Für sie ist dieser Abend das Ergebnis harter Arbeit, Genuss und Inspiration für die kommende Kunst- und Museumsnacht zugleich. Deswegen holt sie sich noch vor Ort die ersten Rückmeldungen. Beispielsweise zur Graffiti-Fahrrad-Führung, die es 2014 zum ersten Mal gibt. Angeboten vom Künstler Martin Heuwold. Er hat rund 25 Wuppertalerinnen und Wuppertaler über die Nordbahntrasse geführt, ihnen etwas zur Geschichte der Graffiti erzählt. Und zu dem, was in den

kommenden Monaten entlang der Trasse alles an Kunstwerken geplant ist. „Die Resonanz ist sehr gut gewesen. Ich kann mir vorstellen, dass wir so etwas noch einmal anbieten“, sagt Heigermoser. Und so entsteht in ihrem Kopf bereits der Plan für die nächste Kunst- und Museumsnacht. Dann sicher mit neuen und anderen Teilnehmern, und vielleicht sogar mit einer Führung zu den unterschiedlichen Skulpturen, die in der Stadt verteilt stehen. „Kunst im öffentlichen Raum ist ein sehr wichtiges Thema. Aber so etwas muss man gut vorbereiten.“ Mit solchen Angeboten und dem entsprechenden Konzept möchte Monika Heigermoser die jährliche Nacht immer weiter zu einem Kunstfest machen. Mit möglichst vielen einmaligen Attraktionen. Und nur eines ist dabei sicher: Die Kunst- und Museumsnacht wird sich weiter verändern und entwickeln. Wie – darauf dürfen Besucher, Teilnehmer und Künstler gespannt sein. Jan Filipzik Fotos: Medienzentrum Wuppertal

27


Zentrum für verfolgte Künste Kulturhistorische Projekte zum Zeitraum 1914 bis 1989 Am 1. Januar 2015 nimmt das Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen den Betrieb auf. Nach fünf Jahren zähen Verhandelns der Verwaltungen und der Ministerien und klarer Entscheidungen des Stadtrates in Solingen und der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes in Köln wird in Solingen ein einzigartiges Projekt realisiert. Was dann folgt, zeigt die Themen und Chancen dieser Einrichtung auf.

Seit 2008 werden im Kunstmuseum Solingen und in einem internationalen Netzwerk interessierter Personen und Institutionen kulturhistorische Projekte zum Zeitraum 1914 bis 1989 erarbeitet. Erstes Ergebnis ist die vom Bundestagspräsidium beschlossene Ausstellung des Deutschen Bundestages zum 70. Jahrestag nach den Ereignissen von 1945: Kunstund Literatur als Dokumente zum Kriegsende und Befreiung der Menschen in den Konzentrationslagern. „Niemand zeugt für den Zeugen“ ist nach einem Gedicht Paul Celans die große Ausstellung im Abgeordnetenhaus des Deutschen Bundestages in Berlin überschrieben, die am 27. Januar 2015 eröffnet wird. Das Zentrum für verfolgte Künste konzipierte diese Ausstellung und kooperiert dabei mit den Gedenkstätten und Museen Yad Vashem in Jerusalem, Auschwitz – Birkenau in Polen und Theresienstadt in Tschechien. Medienpartner ist dabei der NDR, der für die ARD eine Sendung zur Ausstellung vorbereitet. Von Berlin wandert die Ausstellung ins Felix Nußbaum-Museum nach Osnabrück. Als man in Polen von dieser Ausstellung erfuhr, hat man sich schnell entschlossen, sie ab 25. Juni im neuen großen Museum für zeitgenössische Kunst in Krakau zu zeigen, das für 100 Millionen Euro an die Fabrik Oskar Schindlers angebaut worden ist. Reaktion aus Israel: Man möchte anschließend die Ausstellung nach Yad Vashem übernehmen und hat dem Zentrum für verfolgte Künste eine ständige Kooperation angeboten. Schirmherr dieser ersten Ausstellungsreihe des Zentrums für verfolgte Künste ist Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert. Er hat bereits das Kunstmuseum Solingen besucht. 2013 gab es die Ausstellung „Kunst in der Katastrophe“ im Abgeordnetenhaus des Deutschen Bundestages. Sie bestand zum einen aus Objekten der Literatursammlung Jürgen Serke „Verbrannte und verbannte Dichter“, die Leihgabe der Else-Lasker-SchülerSigalit Landau, Plastik, 2013, Mann und Frau rollen gemeinsam einen Stein von einer Quelle, alttestamentarisches Sinnbild der Zusammenarbeit

28


29


Gesellschaft war und jetzt Eigentum der Bürgerstiftung im Kunstmuseum sind. Zum anderen waren Bilder aus der Sammlung Gerhard Schneider zu sehen, die auch der Bürgerstiftung gehören. Zur feierlichen Eröffnung des „Zentrums für verfolgte Künste“ im Frühjahr 2015 wird die Multimediaausstellung „Frauen im Holocaust“ aus Yad Vashem übernommen. Sie stellt Frauen vor, die auch in der Literatursammlung Serke vertreten sind. Diese Sammlung ist Teil der Dauerausstellungen des Museums. Weiter wird es in Solingen die erste Ausstellung der Originalzeichnungen Michel Kichkas für die Graphic Novel „Zweite Generation“

30

geben. Dieses Buch kommt zur Zeit in vielen Ländern, z. B. Israel, Frankreich und Deutschland auf den Markt. Es stellt einfühlsam und mit Hilfe des Humors die Erfahrungen eines Sohnes vor, dessen jüdische Eltern durch die Erlebnisse in den vierziger Jahren geprägt worden sind. Der Entschluss, diese Ausstellung zu zeigen, fiel erst nachdem Holocaust-Überlebende dieses Buch gelesen hatten und mit großer Zustimmung reagierten. Während der Vorbereitungen für diese Ausstellungen wurde ein Kulturschatz gehoben, der im nächsten Jahr ebenfalls in Solingen ausgestellt wird. Dieser Kultur-

Eric Isenburger. Wolfgang Gurlitt, Öl auf Leinwand, 1932 schatz befindet sich noch zum großen Teil in den USA. Dorthin hatte es das Ehepaar Isenburger geschafft. Sie waren der Verfolgung nach dem Reichstagsbrand nach Frankreich entkommen und hatten dort ihre Karriere fortgesetzt: Er international als erfolgreicher Künstler, seine Frau als gefragte Solotänzerin zu klassischer Musik. Nach der Besetzung Frankreichs waren beide interniert worden, aber Freunde verhalfen Ihnen zur Flucht und zur Schiffspassage in die USA.


Das Zentrum wird im späten Frühjahr erstmalig Gemälde von Erich Isenburger zeigen, die zuletzt im Januar 1933 in der Galerie Gurlitt in Berlin zu sehen waren. „It don‘t mean a thing if it ain’t got that swing” wird der Titel der Ausstellung lauten. Das Duke Ellington Orchestra nahm 1932 dieses Jazzstück auf und Eric Isenburger hörte es in Berlin ständig, um den Rhythmus in seine Bilder aufzunehmen. Das Zentrum schickt diese Ausstellung dann weiter zu den Festspielen nach Bayreuth. Hier wird damit dann das Kunstmuseum Solingen nach 2009 und 2011 das dritte Mal zu einer Festspielzeit zu Gast sein. Im Herbst wird dann einer der großen Künstler der DDR Thema in Solingen sein: Joachim Böttcher, genannt „Strawalde“. Damals wurden die Ausstellungen und der Verkauf seiner Bilder verboten. Daraufhin ging er an die Filmhochschule im Osten Berlins und erhielt internationale Preise für seine Filme, die er größtenteils in der DDR ebenfalls nicht zeigen durfte. Seine Freunde unterstützten ihn: Jurek Becker, dessen Porträt das Kunstmuseum kürzlich, durch Spenden finanziert, ankaufen konnte, Manfred Krug, der später in Beckers Fernsehserie „Liebling Kreuzberg“ spielte, und Armin Mueller-Stahl, der das Porträt Beckers malte und die Ausstellung Strawaldes in Solingen besuchen möchte, wenn er in dieser Zeit in Deutschland weilt. Für 2016 bereitet das Zentrum erst einmal ein Ausstellungsbuch für eine in den USA wiederentdeckte Kunstsammlung aus dem Bergischen Land vor, die seit 1938 verschollen war. Rolf Jessewitsch www.kunstmuseum-solingen.de

Abbildung oben: Jehuda Bacon, Lichter auf der Rampe in Auschwitz Birkenau, Zeichnung Abbildung unten: Peter Kien, Selbstporträt,1936, Aquarell, Gedenkstätte Theresienstadt

31


Der unbequeme Weg… …der Susanne Abbrederis. Die neue Spielzeit begann mit einem Liederabend

Tag der offenen Tür des Theaters am Engelsgarten am 28. September Foto: Frank Becker

32

Die neue Wuppertaler Schauspiel-Intendantin Susanne Abbrederis hat sich bei ihrer Entscheidung zwischen einem angenehmen, leichten und bejubelten Weg für das Gegenteil entschieden. Auch für lästige Rechtfertigungen und Schlagzeilen im Lokaltteil der Wuppertal-Ausgabe der WZ wie „Harmlos wie eine Provinzbühne“ oder in der Wuppertaler Rundschau „Kein Highlight zum Einstieg“. Was war geschehen? Zur Eröffnung des wunderbaren Theaters am Engelsgarten hatte die Frau Intendantin den Liederabend „Die Schöne Müllerin“ angesetzt. Daran allerdings war maximal der Titel wirklich gut. Bei der eigentlichen Premiere am Sonntagabend des 28. September 2014 (geladene Gäste sahen es schon am Samstagabend) vor nicht komplett gefülltem Haus verließen die meisten Besucher in einer unverkennbaren Ratlosigkeit und mit eisigem Schweigen das Haus. Bei den zahlreichen Gelegenheiten zum Zwischenapplaus musste das neue Ensemble (von einer Ausnahme abgesehen) mit der Stille der Besucher vorlieb nehmen. Der Applaus am Ende war sehr herzlich, von Begeisterung aber wenig spürbar.

Erschwerend kam hinzu, dass die Luft im neuen Raum sehr stickig war. Das lag allerdings nicht an der Erdwärme, die bei tiefen Bohrungen kostensparend gewonnen wurde. Zunächst war man nicht auf Erdwärme, sondern auf Unmengen von Autoreifen gestoßen. Was um alles in der Welt hat sich Susanne Abbrederis dabei gedacht, dem so erwartungsfrohen Wuppertaler Publikum an diesem Abend ein Stück zu präsentieren, bei dem am Ende Franz Schubert (der die Schauspieler virtuos begleitende Pianist Christoph Schnackertz) mausetot im Sand liegt? Das mag zu kurz gedacht sein und von Feingeistern völlig anders gesehen werden. Aber von den Feingeistern dieser Stadt wird auch dieses Kleinod mit seinen nur 155 herrlich bequemen Plätzen niemals an die Sonne kommen. Wenn es zu den zwingenden Fähigkeiten eines Journalisten gehört, sich in die Lage anderer Menschen zu versetzen, dann sollten Intendanten(innen) versuchen, den Publikumsgeschmack zu treffen. Susanne Abbrederis ist in der Akte „Die schöne Müllerin“ in dieser Hinsicht


freizusprechen: woher sollte sie in der kurzen Zeit ihrer Arbeit in Wuppertal das ganz besondere Seelenleben dieses Publikums kennen? Sie wollte etwas wagen und nicht mit einem Boulevard-Knüller beginnen. Und sie wollte ihr komplettes Ensemble präsentieren. Das war prima. Ob die drei Damen und sechs Herren das nun gesanglich gut oder nur überschaubar abgeliefert haben, ist im Grunde total unwichtig. Das Ensemble und sicher ganz besonders der im Sande endende Christoph Schnackertz versprachen viel Angenehmes für die Zukunft. Es lag nicht an den singenden und spielenden Fachkräften – es war der Inhalt in Gänze. Wir waren übrigens gewarnt von einem Gast des Samstag-Abends für die geladenen Gäste. Seinen Namen verschweigen wir dezent, sein Zitat zur „Schönen Müllerin“ nicht: „Dazu sage ich besser nichts.“ Wenn diese Ausgabe der Besten Zeit erscheint, dann ist die „Schöne Müllerin“ längst abgespielt. Es locken „Minna von Barnhelm“ und „Die Wupper“ und hoffentlich auch Fröhliches. Denn wie sagte doch Alt-Intendant Gerd Leo Kuck so trefflich: „Theater

muss aufregen.“ Aber Theater muss nicht nur nachdenklich stimmen. Wobei Susanne Abbrederis mit der „Schönen Müllerin‘“ sicher erreicht hat, dass man darüber redet. Und wer die Wuppertaler Theatergeschichte ein wenig kennt, der kann auch sehr gut einschätzen, wie oft zunächst benörgelte Aufführungen mit jedem Jahr Vergangenheit zu bedeutenden Inszenierungen wurden. Das ist fast jedem Wuppertaler Intendanten so ergangen. Beispiele dafür gibt es hinreichend und man muss nur an die Zeit von Christian von Treskow denken. Seine Truppe hat auch nicht nur vor vollen Rängen gespielt und Kritik wurde reichlich geübt. Am Ende wurden seine Schauspieler bejubelt und er für seinen Mut hochgelobt. Was von Treskow allerdings zu der Erkenntnis gebracht hat, die hiesige Kulturpolitik als Ursache für Wuppertal als eine Naziund Salafisten-Hochburg auszumachen, das muss er mit sich allein ausmachen. Es war eine Passage in einem Interview mit der WZ einen Tag vor der Eröffnung der neuen Bühne. Mein lieber Herr von

Treskow: das war starker Tobak und mutig. Es passte nahtlos in die dümmlichen Bemerkungen der populären Fernsehschaffenden Oliver Welke (der kommt aus Bielefeld) in der leider zunehmend nervenden „Heute Show“ über Wuppertal und von Jürgen Becker in den „Mitternachtsspitzen“ des WDR aus dem Alten Bahnhof in Köln. Zurück zu Wuppertal und zum neuen Theater am Engelsgarten. Susanne Abbrederis hat auch gesagt, andernorts würden Häuser geschlossen und in Wuppertal würde ein Neues eröffnet. Aktuell steht das Viersparten-Haus in Rostock vor großen Veränderungen. In der Geschichte dieser für Außenstehende oft schwer zu begreifenden Stadt sind auf vielen Gebieten wichtige und zukunftsweisende Tendenzen erkannt und umgesetzt worden. Ob in der Medizin und Pharmazie, in der Kirchengeschichte oder vielen anderen Bereichen. Dazu könnte auch dieses Theater zählen. Ein kleines Haus mit dem Zeitgeist von Die schöne Müllerin, Stefan Walz und Philippine Pachl, Foto: Christoph Sebastian

33


Die schöne Müllerin, Philippine Pachl, Uwe Dreysel. Foto: Christoph Sebastian gab, dann war es das Durchschnittsalter der Besucher. Es muss mehr Jugend her, auch in die Oper. Wer einmal die Oper in Frankfurt am Main (auch bei vermeintlich schweren Stücken) besucht hat, der muss sich um Wuppertal sorgen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es: Mit der aus der Bischofsstadt Freiburg stammenden Janina Waschkowski und Sebastian Klement aus der Großregion Hamburg sind zwei junge und tatdurstige Menschenkinder für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Wenn dazu auch der neue Stil der Programmhefte zählt und die gut sichtbaren Schilder in der Stadt, dann gibt es Hoffnung. Endlich werden die Schauspieler und Sänger vorgestellt und nicht nur in der Mannschaftsaufstellung erwähnt. Die Besucher wollen wissen, woher die Künstler kommen, wie alt sie sind und was sie bisher getan haben. Lange Aufsätze in Programmheften sind ermüdend. Kurz und knackig ist gefragt.

2014 und dem Abschied vom Träumen der Erhaltung des Schauspielhauses mit seinen erwiesenermaßen nicht mehr zu füllenden Rängen. Das liegt nicht nur an den seit der Eröffnung im Jahre 1967 weniger gewordenen Einwohnerzahlen. Es liegt auch an der völligen Veränderung der Bühnenszene dieser Stadt. Sie ist bundesweit in dieser Größenordnung ganz weit oben im Ranking, wenn es eine Bühnen-Ranking-Agentur gäbe. TiC, Talton-Theater, das Kammerspielchen und noch viele andere sorgen für eine beachtliche kulturelle Lebensqualität dieser Stadt. Man muss allerdings bereit sein, sie anzunehmen. Susanne Abbrederis wird die Kritik an der „Schönen Müllerin“ verschmerzen. Die charmante Theaterfrau mit so viel Charisma kennt das

34

Geschäft und es wird auch unter ihrer Intendanz noch ausreichend Grund zur Freude geben. Wie groß das Interesse des Wuppertaler Publikums an diesem zeitgemäßen Theater ist, das einst eine unansehnliche Lagerhalle war, dokumentierten die Stunden am Sonntag vor der Premiere. 2.300 Besucher wurden gezählt. Günter Völker und Dr. Peter Vaupel von den Theaterfreunden waren auch dabei. Völker hat mit einem nicht mehr zu übertreffenden, fast missionarischen Eifer für dieses Haus gekämpft. Er hat immer an ein Happy-End seiner Mühen geglaubt. Die Berufung zum Ehrenmitglied der Wuppertaler Bühnen hat er sich redlich verdient. Wenn es bei dieser „Offenen Türe“ etwas zu kritisieren

Wenn es um die Zukunft der Wuppertaler Bühnen geht, dann sind auch die Unternehmen dieser Stadt gefragt. Nicht nur mit dem segensreichen Mäzenatentum für das Theater am Engelsgarten, sondern auch bei der NachwuchsFörderung zur Veränderung der Besucherstruktur. Schon in den 60-er Jahren des alten Jahrhunderts hat die Firma Erbslöh-Aluminium an der Berliner Straße in Barmen für ihre Azubis bei der Volksbühne Theaterkarten gekauft und sie an die Lehrlinge verschenkt. Es war zu Zeiten des später verherrlichten Provisoriums an der Bergstraße in Elberfeld. Der Autor himmelte die hinreißende Birke Bruck als süße „Irma la Douce“ an und bewunderte Karl-Heinz Vosgerau. Später führte Birke Bruck im gleichen Stück im Schauspielhaus Regie und Gaby Ramm war eine nicht minder tolle Irma. Beide Male habe ich das Theater sehr fröhlich verlassen und war 40 Jahr später immer noch aufgeregt, als ich Birke Bruck in den Hamburger Kammerspielen endlich persönlich traf. Sie sah immer noch gut aus. Klaus Göntzsche


Gegen den Strom Junge Wuppertaler setzen auf Journalismus zum Anfassen Eigentlich ist es nur Papier. 16 Seiten mit langen Buchstabenreihen und bunten Bildern. Jan Filipzik blättert darin. Es raschelt leise. „Man kann sie anfassen, in Ruhe lesen. Das ist ein gutes Gefühl.“ Sie – das ist talwaerts. Ende Juni dieses Jahres haben Filipzik und sein Team die erste Ausgabe drucken lassen. Seitdem erscheint die Wuppertaler Wochenzeitung jeden Freitag und ihre Gründung allein ist schon eine kleine Sensation. Denn wir schreiben das Jahr 2014. Zeitungen werden gerade nicht geboren, sondern sie sterben. Redaktionen werden zusammengelegt und die mediale Vielfalt fällt der Rationalisierung zum Opfer. Die Nachrichten aus der Zeitungsbranche zeichnen sich selbst mehr und mehr durch das aus, was man den Medien sonst gern vorwirft: Negativismus.

von links: David Fleschen, Tassilo Dicke, Jan Filipzik, Anika Freytag, Alexander Hoelken. Workspace im Pasche Penthouse

Um zu verstehen, warum Journalisten in dieser Zeit den Optimismus besitzen, etwas Neues auf den Weg zu bringen, lohnt sich der Blick in die talwaerts-Redaktion. Mitten in Wuppertal sitzen zehn Menschen um einen Tisch und diskutieren darüber, ob das Thema „Bebauungspläne für den neuen Döppersberg“ spannend oder völlig ausgelutscht ist. „Das ist das Schöne an unserer Zeitung: Wir können sie füllen, womit wir wollen“, sagt Filipzik. Er ist Herausgeber von talwaerts. In der Debatte um die Hauptbahnhof-Bebauung bringt ihm das keinen Vorteil. „Bei uns kann jeder Autor seine Idee einbringen und die wird dann von allen diskutiert. Da kommen meine Vorschläge genau so auf den Prüfstand wie alle anderen.“ Die Entscheidung fällt letzten Endes zu Gunsten der Bebauungspläne. Mit hohem Anspruch. Denn talwaerts will sich durch das journalistische Angebot von der Konkurrenz abheben: „Den Lokalredaktionen fehlen oft die Kapazitäten für tief greifende Recherche. Und für eine große Hintergrundanalyse ist da auch gar kein Platz. Genau das können wir bieten“, sagt Filipzik. Auf Papier. Und im Zusammenhang mit einer Zeitung ist es dann eben nicht mehr nur Papier, sondern ein Statement. Denn wer liest im Zeitalter der Smartphones, Tablets und E-Reader noch eine Zeitung aus echtem

Papier? talwaerts trägt den Untertitel „Zeit für Wuppertal“. „Gerade wegen der ganzen Technik und der Beschleunigung des Alltags finden wir eine Zeitung auf Papier richtig. Sie ist kein kurzes Update für zwischendurch, sondern mit talwaerts kann man sich in Ruhe Zeit für seine Stadt nehmen. Zumindest 16 Seiten lang“, sagt Filipzik. Die Idee kommt an. Schon vor der ersten Ausgabe schlossen viele Leser ein Abo ab – ein Vorschuss an Vertrauen und Erwartungen zugleich. Reporter David Fleschen ist der Mann an der Döppersberg-Front. Jetzt, da sein Thema mit der Redaktionssitzung die erste Hürde genommen hat, geht es an die Recherche. „Einige Interviews habe ich schon geführt, jetzt muss ich noch ein paar städtische Stellen anfragen.“ Viel Arbeit für einen einzigen Artikel. Fleschen sieht darin eine Chance: „Ich finde, in Wuppertal passieren einfach sehr viele interessante Dinge und ich finde es total spannend, da hinter die Kulissen schauen und Fragen stellen zu können, die tiefer gehen.“ Die Lust auf Wuppertal ist für viele im Team ein Argument für talwaerts. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet hier eine neue Zeitung entsteht, meint Chefreporterin Sophie Blasberg: „Die Stadt ist gerade dabei, ein neues Selbstbild zu entwickeln. Leute sind mittlerweile stolz darauf, dass sie auf dem Ölberg oder am

35


Arrenberg wohnen. Und die Wuppertaler nehmen ihre Stadt selbst in die Hand. Nordbahntrasse, Junior- Uni oder Mirker Bahnhof – diese Aufbruchsstimmung hat unheimlich viel kreatives Potenzial.“ Vielleicht ist es dieser Stimmung zu verdanken, dass aus den anfänglich fünf Leuten bei talwaerts mittlerweile ein Team aus 20 Redakteuren, Reportern, Fotografen und Grafikern geworden ist. Denn talwaerts ist für die meisten Mitarbeiter vor allem eine Möglichkeit. „Diese Zeitung ist genau das, was wir alle aus ihr machen“, sagt Blasberg. „Das heißt, ich kann eigene Ideen genau so umsetzen, wie ich möchte.“ So ging sie für einen Bericht über Obdachlose selbst für 24 Stunden auf die Straße. Ihre Kollegin Hannah Florian berichtete über gesellschaftliche Tabus wie die Sexualität von Behinderten. „Jeder hat seine eigenen Ideen und Interessen. Aber wir verfolgen sie mit derselben Motivation. Da entsteht eine enorme Eigendynamik“, sagt Blasberg. Die inhaltliche Grenze der Wochenzeitung ist die Stadtgrenze Wuppertals. Ihr Ruf hingegen hallt weit über das Bergische Land hinaus. Die regionale und auch überregionale Presse stürzte sich nahezu aufatmend auf den kleinen Hoffnungsschimmer in Wuppertal. Romantiker würden von einem zarten Pflänzchen sprechen, Filipzik spricht wesentlich rationaler von einem Projekt. Denn von einem Unternehmen ist talwaerts trotzdem noch weit entfernt. Langfristig ist genau das das Ziel, erklärt Filipzik: „Im Moment machen wir ja wirklich alles selbst – vom Abholen der Zeitung bei der Druckerei, über den Versand bis hin zur Abonnementverwaltung. So bald wie möglich möchten wir uns stärker professionalisieren, so dass sich die Redaktion wirklich ausschließlich auf die redaktionelle Arbeit konzentrieren kann.“ Und die hat auch alle Hände voll zu tun, denn die Wochen scheinen kürzer, wenn man jeden Freitag eine vollständige Zeitung präsentieren muss. Für Fleschen geht es Dienstagmorgen in die finale Phase. Um 14 Uhr ist Abgabe, dann gehen die Grafiker an die Arbeit. Leises Tippen zeugt von konzentrierter Arbeit, Fleschen arbeitet allein von zu Hause

oben: Saskia Stiefeling, Johannes Rothenhagen bei einer Redaktionskonferenz. Mitte: Sophie Blasberg unten: Hannah Florian, David Fleschen bei einem Redaktionstreffen.

36


aus. Die eigenen Redaktionsräume kann das Team erst Anfang November beziehen. Bis dahin laufen die Texte aus den verschiedenen Teilen Wuppertals per Mail bei Filipzik ein, der sie zum Redigieren weiterleitet. So landen sie bei Manfred Görgens, Cheffotograf und orthographisches Herz der Zeitung. Die Abläufe funktionieren mittlerweile reibungslos – meistens. „Klar, ab und an kommt mal ein Text auf den letzten Drücker“, sagt Görgens. „Aber ich bin immer erstaunt, dass am Ende doch alle zuverlässig abliefern, obwohl es ja keine Verpflichtung in dem Sinne gibt – oder irgendwelche Sanktionsmöglichkeiten.“ Einen großen Schritt in Richtung Professionalität hat talwaerts im September gemacht. Durch die Zusammenarbeit mit einem Grossisten gibt es die Zeitung seit Ausgabe 12 nicht mehr an nur 15, sondern an über 200 Stellen im Stadtgebiet. „Gleichzeitig haben wir unsere Auflage von 1000 auf 1700 Exemplare erhöht, das ist ein Riesenschritt in die richtige Richtung“, sagt Filipzik. Eine andere Herausforderung haben die Zeitungsmacher von Beginn an bewältigt. talwaerts

arbeitet kostendeckend. Und das, obwohl die neue Zeitung durch eine weitere Besonderheit für Aufsehen sorgte: Sie finanziert sich komplett ohne Werbung. Dieses Konzept ist tatsächlich deutschlandweit einzigartig. Denn die Kopplung von Leser- und Werbemarkt ist ein Grundprinzip des Zeitungswesens. „Wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Werbung bringt immer eine Einschränkung der Unabhängigkeit mit sich. Ich habe es bei anderen Zeitungen selbst erlebt, dass Artikel nicht gedruckt wurden, weil ein Werbekunde mit der Kündigung seiner Anzeige gedroht hat“, sagt Filipzik. 1,90 Euro kostet die Zeitung am Kiosk, im Abo monatlich 8,90 Euro. Alle Einnahmen kommen ausschließlich aus dem Verkauf. „Das ist vielleicht schwierig, ich finde es aber auch sehr ehrlich“, sagt Blasberg. „Wir können sinkende Verkäufe nicht durch Werbedeals ausgleichen. Dadurch sind wir ausschließlich unserem Leser verpflichtet. Entweder unser Produkt überzeugt, die Leute kaufen es und wir können weitermachen. Oder wir sind den Leuten das Geld nicht

wert und scheitern. Es ist an uns, die Inhalte zu liefern, die die Leute wollen, und sie mit unserem Journalismus zu überzeugen.“ Bisher geht das Konzept auf. Sowohl Verkauf als auch Abonnementzahlen steigen und die Fangemeinschaft wächst. „Mails, Briefe, Posts bei Facebook – auf allen Kanälen bedanken sich Leute und wünschen uns Erfolg. Dieses Feedback spornt total an und entlohnt auch für die Anstrengung“, sagt Filipzik. Und auch hier wollen er und sein Team von den Negativbeispielen der Branche lernen. „Bei uns wird jede Anfrage und jede Rückmeldung ernsthaft bearbeitet. Und zwar nicht von irgendwem, sondern im Zweifelsfall vom zuständigen Autor. Wir nehmen Kritik sehr ernst und haben uns dadurch allein in den ersten paar Monaten intensiv weiter entwickelt. Das möchten wir beibehalten, denn nur wenn wir als Zeitung dynamisch sind, können wir jeden Freitag den Journalismus liefern, den die Wuppertaler lesen möchten.“ Sophie Blasberg Fotos: Manfred Görgens

Sparkassen-Finanzgruppe

„Wunderbar, dass unsere Sparkasse einer der größten Kulturförderer Wuppertals ist.“

Die Stadtsparkasse Wuppertal unterstützt Soziales, Kultur und Sport in Wuppertal mit rund 5 Mio. € pro Jahr. Wir sind uns als Marktführer unserer Verantwortung für die Menschen und Unternehmen in unserer Stadt bewusst und stellen uns dieser Herausforderung. Mit unserem Engagement unterstreichen wir, dass es mehr ist als eine Werbeaussage, wenn wir sagen: Wenn’s um Geld geht – Sparkasse

37


38


Das jüdische Museum in der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal Eins der jüngsten jüdischen Museen in Deutschland ist das der Begegnungsstätte Alte Synagoge in Wuppertal – in NordrheinWestfalen gibt es überhaupt nur noch ein weiteres – das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten.

linke Seite: Die Begegnungsstätte Alte Synagoge, nach Plänen der Kölner Architekten Peter Busmann und Godfried Haberer. Fotografie: Andrea Hold-Ferneck unten: Die Reste der zerstörten Synagoge in Elberfeld. Fotografie: Ulrike Schrader

Die als „Begegnungsstätte“ gedachte Wuppertaler Gedenkstätte existiert seit 1994. Sie befindet sich an der Stelle, an der bis zum 10. November 1938 die Elberfelder Synagoge stand. Originale Mauerreste wurden im Zuge der Bauarbeiten freigelegt und bilden seitdem das zentrale „Mahnmal“ der Einrichtung. Eine andere „Sehenswürdigkeit“ war und ist immer noch das moderne, streng konzipierte Gebäudeensemble der Gedenkstätte, die aus drei schlichten, wuchtigen geometrischen Baukörpern besteht und einen ästhetisch außergewöhnlichen Akzent im Wuppertaler Stadtbild setzt, entworfen von den Architekten Peter Busmann und Godfried Haberer, Köln. Die inhaltliche Vermittlung der örtlichen und regionalen Geschichte des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung geschah bis 2010 nahezu ausschließlich durch unterschiedliche Veranstaltungsformate: Projekte im Rahmen der pädagogischen Arbeit, Wechselausstellungen, Vorträge. Das Fehlen einer permanenten

Ausstellung, die Informationen durch eine ständig präsentierte Sammlung von Objekten und Dokumenten sichtbar hätte vorhalten können, wurde zunehmend als Mangel empfunden, sowohl von den Besuchern als auch von den Mitarbeitenden des Hauses. Daher wurde entschieden, das Haus mit einer modernen Dauerausstellung zur jüdischen Geschichte und Religion einzurichten, und zwar in dem schlichten und sehr hellen Haupthaus, das aus einem einzigen würfelförmigen Raum besteht. Dem durch den authentischen Ort, die baulichen Relikte und die Satzung des Trägervereins vorgegebenen Thema der Gedenkstätte wurde durch diese Entscheidung ausdrücklich Rechnung getragen: an die Geschichte der Juden in der Region und ihr Schicksal im Nationalsozialismus zu erinnern. Der Begriff der Erinnerungsarbeit wurde aber durch den in den Blick genommenen historischen Längsschnitt – von den ersten Spuren bis in die Gegenwart – erweitert: Das Museum erinnert

39


nicht nur an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Das Haus ist zwar nach wie vor den jüdischen Opfern gewidmet, will Juden aber eben nicht nur als Opfer präsentieren, sondern auch als Akteure in einer viel längeren wechselvollen jüdischnichtjüdischen Geschichte. Daraus resultieren bisher unbeachtete Einsichten in jüdische Geschichte und Gegenwart, starre Geschichtsbilder und Klischees werden destruiert und eine lebendige Begegnung mit jüdischen Bürgern vor Ort ermöglicht. Der ästhetisch und architektonisch höchst anspruchsvolle Bau hat sich mit dieser „Musealisierung“ zu einem viel genutzten Ort der Information und des Lernens, und zu einem touristischen Anziehungspunkt in der Region gewandelt. Von den ersten Spuren bis in die Gegenwart Die ältesten Spuren von Juden in der bergischen Region stammen aus dem Ende des 17. Jahrhunderts, und von einer nennenswerten Entwicklung jüdischer Gemeinden kann man sogar erst mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts sprechen. Die besonderen und besonders günstigen Rechtsverhältnisse für die Bergischen Juden in der Zeit der französischen Verwaltung und die sozialen Entwicklungen in der preußischen Zeit sind Alleinstellungsmerkmale der Region. Auch deshalb liegt ein wichtiger Akzent der Darstellung auf dem Emanzipationsprozess bis 1847. Emanzipation war „die große Aufgabe unserer Zeit“, wie Heinrich Heine 1828 schreibt. Das Zitat, über die gesamte Breite einer Schauwand

angebracht, lautet weiter: „Nicht bloß die der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und dergleichen gedrückten Volkes, sondern es ist die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas, das mündig geworden ist, und sich jetzt losreißt von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie.“ Hier geht es also auch nicht zwingend nur um die voremanzipatorische Diskriminierung von Juden und deren schrittweise „Verbesserung“. Hier lässt sich auch diskutieren, ob denn im amerikanischen Glücksversprechen auch die Indianer eingeschlossen waren oder ob „Moderne“ mit ihrem nachfolgenden Säkularisierungsschub überhaupt eine erstrebenswerte Sache sei. Das Wichtigste an dieser Stelle ist sicherlich zu zeigen, dass Emanzipation die ganze Gesellschaft betraf und nicht nur die winzige Minderheit der Juden. Das Beispiel der Familie Steilberger Mit Biografien in historischen Ausstellungen zu arbeiten, um durch das Identifikationsangebot Geschichte anschaulicher zu machen und Empathie zu erzeugen, ist auch in jüdischen Museen längst eine erprobte Methode. Dem Wuppertaler Haus wurde in dem Zufallsfund eines Nachlasses im Jüdischen Museum der Schweiz, Basel, ein didaktisches Glück beschert: Es handelt sich um Briefe des Juden Samuel Steilberger aus Langenberg an seine in der Schweiz lebende Tochter Regina aus dem Zeitraum 1895-1901, und um eine gedruckte Festschrift zur Goldenen Hochzeit aus dem Jahr 1894. Die dadurch gewonnenen Kenntnisse

Blick in den Ausstellungsraum. Fotografie: Andrea Hold-Ferneck

40

über den Alltag eines frommen, fleißigen und eher armen Webers und seine kinderreiche Familie ließen sich wie ein roter Faden in die übergeordnete Ausstellungserzählung einspinnen und illustrieren die Lebenswelt eines „Hänschen Cohn von nebenan“ (Hannah Arendt) im 19. Jahrhundert. Samuel Steilberger (1814-1901) stammte aus einer armen Weberfamilie. Vater und Großvater waren neben ihrem Brotberuf Toragelehrte, Toraschreiber und Beschneider. Samuel – seine Geschwister und die anderen jüdischen Kinder des Dorfes – lernten hebräisch von seinem Vater, er besuchte aber nie die allgemeine Volksschule, weil er zunächst als Spulkind und bald schon als Weber arbeiten musste, um die große Familie mit zu ernähren. Die lateinische Schrift brachte er sich erst als Erwachsener selbst bei. In seinen Briefen an die Tochter bedauerte er immer wieder seine mangelnde Schulbildung und drückte damit das Streben der Juden, auch der ärmsten aus, in eine höhere Gesellschaftsschicht, möglichst ins Bürgertum mit seinen Sicherheit versprechenden Attributen Bildung und Besitz aufzusteigen. Auch aus diesem Grund zog er, wie viele Landjuden dieser Zeit, in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit seiner Familie aus dem kleinen Ort Langenberg in die aufstrebende Stadt Elberfeld. Diese Lebensgeschichte bricht das Klischee vom „reichen“ Juden auf, zeigt die Lebensbedingungen der ärmeren Landbevölkerung im 19. Jahrhundert, veranschaulicht die altfromme jüdische

Eine Besucherin vor ihrem Portrait. Fotografie: Christoph Schönbach


Lebensweise, das Bildungsstreben der Juden und ihren gesellschaftlichen Aufstieg. Die örtliche Nähe und heute noch auffindbarer Spuren, z. B. die Grabstätten und Wohnhäuser in Langenberg und Elberfeld, reduzieren in der Wahrnehmung den zeitlich sehr großen Abstand. Der vom frühen 18. Jahrhundert bis zum Jahr 2010 reichende Familienstammbaum führt die banale Tatsache vor Augen, dass die jüdische Geschichte älter als 1933 und jünger als 1945 ist, und seine örtlich weit gespannte Ausdehnung (Schweiz, Frankreich, Niederland, USA, Israel) bildet die Mobilität der Familienmitglieder ab. Der bekannte Wuppertaler Künstler und Kinderbuchillustrator Wolf Erlbruch hat zu einzelnen Versen der Festschrift zur Goldenen Hochzeit Samuel Steilbergers acht Illustrationen geschaffen, die auf Plexibrettchen an unterschiedlichen Stellen in der gesamten Ausstellung verteilt angebracht und mit einer Hörstation verknüpft sind. Verschiedenheiten Ein wichtiger Grundgedanke des Museums ist, die Unterschiedlichkeit jüdischer Milieus am Ende des 19. Jahrhunderts und die individuelle Selbstbestimmung von Juden in der Gegenwart zu zeigen. Die Gleichzeitigkeit der vielfältigen und sich widersprechenden, ja widerstreitenden jüdischen Milieus im Kaiserreich wird in einem Tableau von Bild-ObjektText-Kombinationen angedeutet: Um 1900 haben sich u. a. ein dominantes

jüdisches Kulturbürgertum, ein starker jüdischer Patriotismus und die in Deutschland nie mehrheitsfähige politischzionistische Bewegung herausgebildet. Zugleich aber bestand nach wie vor das alt hergebrachte orthodoxe Judentum. So sehr sich diese einzelnen Gruppen und Tendenzen auch unterschieden – ihnen gemeinsam war der Kampf gegen einen gefährlichen und leider gesellschaftlich breit akzeptierten Antisemitismus. Handelt es sich in diesem Teil der Ausstellung also um die schlaglichtartige Darstellung unterschiedlicher Milieus, die zur selben Zeit, um 1900, nebeneinander lebendig waren, führt eine parallel geführte, serielle Installation zu individuellen Zeugnissen jüdischer Identität in der heutigen Zeit: Völlig abgekoppelt vom historischen Zusammenhang der großen Ausstellungserzählung sind über zwanzig kleine Tafeln verstreut an den Wänden platziert, die den himmelblauen Schriftzug „irgendwie jüdisch“ tragen. Aufgeklappt ist auf der einen Seite ein Portraitfoto zu sehen, dass einen Wuppertaler Bürger bzw. eine Bürgerin zeigt. Auf der anderen Seite gibt es einen kleinen Textbeitrag, der Auskunft darüber gibt, was er oder sie persönlich unter seinem bzw. ihrem Judentum versteht. Kinder, junge Menschen, Erwachsene und alte Leute, Mädchen und Jungen, Männer und Frauen, Fromme und Konvertiten, Gleichgültige und Atheisten kommen hier zu Wort. Es handelt sich strikt nicht um Lebensläufe oder den Alltag der Befragten, sondern ausschließlich um Beschreibungen des jeweiligen jüdischen

Eine junge Museumsbesucherin. Foto: Ulrike Schrader

Selbstverständnisses, was bei einigen der Personen auch zu einem berührenden Glaubensbekenntnis geraten ist. Diese Klapptafeln „stören“ den chronologischen Ausstellungsparcours ganz bewusst, um immer wieder daran zu erinnern, worum es dem Museum eigentlich geht: um Menschen mit Stimme und Ideen. Die befragten Personen beschreiben sich und „ihr“ Judentum extrem unterschiedlich und erheben damit implizit Einspruch gegen jeden Eingriff in ihr individuelles Recht auf religiöse Selbstbestimmung, gegen jedes Klischee von dem, was unter „Jude sein“ gern verstanden wird, vor allem gegen das Klischee einer Homogenität. Die Installation verdeutlicht, dass letztlich jeder Mensch, gleich welcher Religion, dieses Recht für sich beansprucht, und sie führt die Realität vor Augen, dass es überhaupt Juden und Jüdinnen in der Stadt und Region gibt. Zeitzeugen Trotz des neuen Museums, das sie beherbergt: die Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal wird immer eine Gedenkstätte sein. Das Haus steht – im wahrsten Wortsinn – auf dem Boden der alten Synagoge und damit an einem Ort des Leidens und dem Ort eines Verbrechens. So legt die Ausstellung großen Wert auf die Visualisierung der früheren Synagoge und bezieht die sichtbaren originalen Rudimente in die Ausstellungsgestaltung mit ein. Um die Zeit der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu präsentieren, haben

Jugendliche MuseumsbesucherInnen. Fotografie: Ulrike Schrader

41


Die Zeitzeugin Renate Inow aus London spricht vor SchülerInnen. Fotografie: Ulrike Schrader viele emigrierte Jüdinnen und Juden aus Wuppertal Erinnerungsstücke, Dokumente, Briefe und Fotografien beigesteuert. Außerdem wurden Interviews, die in den vergangenen Jahren mit diesen Menschen geführt wurden, in die Ausstellung integriert. Die Menschen und ihre Objekte erzählen die wichtigsten Ereignisse aus den 1920er und 1930er Jahren, z. B. ein Turnhemd des neu gegründeten Jüdischen Sportvereins Wuppertal, eine Sammlung mit Passfotos zur Vorbereitung eines Kindertransports, das Tagebuch einer Auswanderung, Juden-Kennkarten, Sterne und Ghettogeld, eine letzte Fahrkarte oder eine Sondererlaubnis zum Schwebebahnfahren. Die einzelnen Objekte sind biografische Splitter, sie haben eine Aura und bilden das Erbe einer „Bergischen Diaspora“. Sie sind Bruchstücke eines historischen Kontexts, der in zusammenfassenden Darstellungen in Text und Bild geliefert wird – immer möglichst aus der Perspektive des „jüdischen Alltags“, den es zumindest in den ersten Jahren der NaziHerrschaft doch gegeben hat: Urlaubsfotos vom Meer, Menschen am Kaffeetisch, Hochzeits- und Bar Mizwa-Feiern, aber auch Erinnerungsfotos vor der Auswanderung. Abschiedsbriefe an die Kinder vor der Deportation und Postkarten aus dem Konzentrationslager sind beklemmende Dokumente der Katastrophe.

42

Jüdische Religion zum Anfassen Eine schwierige Frage, mit der sich jüdische Museen immer auseinandersetzen müssen, ist die nach der Präsentationsform für das Thema „Jüdische Religion“. In Wuppertal kommen im histroischen Teil des Ausstellungsverlaufs immer wieder auch religiöse Aspekte vor, wie z. B. die jüdischen Bräuche zu den lebensgeschichtlichen Übergängen Beschneidung, Bar Mizwa, Hochzeit und Sterben. Aber direkt im Eingangsbereich ist ein runder Durchgangsraum ausschließlich dem Thema „Jüdische Religion“ gewidmet. Er präsentiert das Judentum in seiner idealtypischen Normativität. Damit soll Grundwissen über eine der Weltreligionen vermittelt und gesichert werden, die mit Christentum und Islam in vielerlei Hinsicht eng verbunden ist. Ein wesentliches Ziel dieses Ausstellungsbereichs ist, die vermeintlich fremde jüdische Religion als eine auch heute noch geübte Lebensweise, als eine lebendige, gegenwärtige Kultur zu zeigen. Deshalb werden hier keine kostbaren, alten Ritualgegenstände geschützt in Vitrinen präsentiert. Vielmehr liegen auf einem offenen Regal diverse Kultgegenstände als Gebrauchsgegenstände, die neu in jüdischen Geschäften gekauft und sichtlich nicht besonders teuer sind. Kleine Klappen mit aktuellen Fotos aus der jüdischen Gemeinde illustrieren eine Kurzbeschreibung des jeweiligen Festes, und ein unter dem Regal angebrachter Kalender zeigt, welche Feste wann gefeiert werden. Darüber hängt ein kleiner Schrank, in dem sich Geschirr und Lebensmittel befinden, um das Thema der jüdischen Speisegesetze zu erklären. Die Verpackungen, Beschriftungen und Verfallsdaten machen deutlich, dass es koschere Geschäfte gibt, in denen religiöse Juden einkaufen – auch dadurch also wird klar, dass das Judentum etwas gegenwärtig Existierendes ist. Ein anderes Ziel ist, durch die Handhabbarkeit der Objekte Schwellen zu senken und durch die Botschaft: „Hier darfst du alles anfassen“ Sympathie für das Thema zu wecken und Lust auf das Museum zu machen. Statt Abstand, Aura und Andacht zu erzeugen, können alle Objekte vom Regal und aus dem Schrank genommen, befühlt und ausprobiert – gegebenenfalls sogar gegessen – werden.

Blick in das Holzmodell der Elberfelder Synagoge (Andrea Jensen, Braunschweig). Fotografie: Ulrike Schrader Die Reaktionen der Besucher sind positiv, und zwar nicht nur positiv in der Bewertung, sondern auch in der Stimmung. Die Menschen verlassen das Haus zwar nachdenklich, aber nicht zerknirscht, fühlen sich nicht moralisiert und belehrt, sondern angeregt und angesprochen. Sie erleben den Ausstellungsbesuch als Entdeckungsreise, die zuweilen sogar heiter ist. Ulrike Schrader

Begegnungsstätte Alte Synagoge Genügsamkeitstraße (Eingang Krugmannsgasse), 42105 Wuppertal Telefon: 0202-563.2843 oder 563.2958 info@alte-synagoge-wuppertal.de Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 14-17 Uhr Sonntag 14-17 Uhr Außerhalb der Öffnungszeiten: nach Absprache Führungen für Gruppen auch außerhalb der Öffnungszeiten nach Absprache Veranstaltungskalender und andere Informationen: www.alte-synagoge-wuppertal.de


Marion Cito „Das ist ein Färbchen!“ Jedes Mal wenn ich den roten Schal aus Indien trage, denke ich an diesen Satz. Marion Cito hatte ihn auf der Tournee des Tanztheaters durch Indien 1994 mit dem Stück „Nelken“ in einem dieser wunderbaren Stoffbasare in Delhi ausgerufen. In der Tat: es ist ein besonderes, einmaliges „Färbchen“: leuchtend zwischen dunkel – und normalrot.

Lutz Förster, künstlerischer Leiter des Tanztheaters Wuppertal stellt das Buch „Schönheit wagen“ von Marion Cito im Foyer des Opernhauses vor.

Wie damals in Indien, so suchte und fand Marion Cito überall in der Welt Stoffe für ihre Kostüme – in allen erdenklichen Farben, mit und ohne Muster, aus verschiedenem Material, oft von kostbarer Qualität. Die Gastspielreisen waren für Marion Cito immer auch Arbeitsreisen. Marion Cito hat, wie sie sagt, nie in ihrer Jugend oder später daran gedacht, Kostüme zu machen. Es war Pina Bausch, die sie gebeten hat, es zu versuchen. 1938 in Berlin geboren, begann Marion Cito mit zehn Jahren eine Tanzausbildung bei Tatjana Gsovsky. Sechs Jahre später wurde sie Mitglied des Gsovsky-Ensembles. Tatjana Gsovsky leitete von 1954-1966 als Direktorin das Ballett der Deutschen Oper in West-Berlin, Marion Cito wurde dort Erste Solistin. In Gastchoreografien

arbeitet sie in dieser Zeit auch zusammen u. a. mit George Balanchine, John Cranko und Antony Tudor. Mit ihrem Kollegen Gerhard Bohner ging Marion Cito 1972 nach Darmstadt, wo Bohner die Leitung des dortigen Balletts übernahm. 1976 ging sie nach Wuppertal zu Pina Bausch. Zunächst als Assistentin der Wuppertaler Tanztheater-Chefin, denn tanzen wollte Marion Cito – auch aus gesundheitlichen Gründen – nicht mehr. Aber Pina Bausch konnte sie überreden, in drei Stücken mitzuwirken: „Blaubart – beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper ‚Herzog Blaubarts Burg’, „Komm tanz mit mir“ und „Renate wandert aus“. Nach dem Tod von Rolf Borzik, dem Bühnen- und Kostümbildner der frühen Jahre, übernimmt Marion Cito

43


auf Bitten von Pina Bausch die Kostüme. Ein Glücksfall:

Marion Cito hat in den folgenden Jahrzehnten mit ihren Kostümen das Tanztheater entscheidend mitgeprägt. Dass Marion Cito selbst Tänzerin war, ist sicher ein Hauptgrund für den Erfolg ihrer Arbeit. Sie weiß, was Tänzer brauchen: Freiheit für die Bewegung, Freiheit für den Tanz. So sind ihre Kleider: schmal oder weit geschnitten, kurz oder lang, fließend, in Falten gelegt, in der Taille oder über die Hüften gerafft, mit oder ohne Ärmel, durchsichtig, blumenverziert, mit Kragen, Rüschen, Spitzen, Stickereien, hochgeschlossen oder tief ausgeschnitten. Jedes Kleid individuell auf die Tänzerin und ihre Rolle zugeschnitten. Jedes Kleid: ein kleines Kunstwerk. Auf der Bühne in immer neuen Farbkombinationen geben sie allen Stücken ein unverwechselbares Gesicht.

44

In diesen Kleidern können die Tänzerinnen (und Tänzer, denn auch sie wurden von Marion Cito eingekleidet) tanzen und springen, rennen und klettern, kriechen und schreiten, schwimmen und Obst schälen – aber auch nass oder von Tomaten beworfen und bekleckert werden. Kleider für Schönheit und Schrecken. Kleider-Kostüme für das Tanztheater. Zu sehen ist das jetzt in einem opulenten Bildband : „Schönheit wagen“ Tanzkleider von Marion Cito – 1980 – 2009. Es ist ein wunderschönes Buch, ein Fest für die Augen, das nicht nur die Kleider von Marion Cito feiert, sondern auch eine Hommage ist an die Tänzerinnen und Tänzer. Zusammen mit dem Bildband von Bühnenbildner Peter Pabst dokumentiert es die Arbeit des Tanztheaters Wuppertal Pina Bausch seit Beginn der Arbeit

beider Künstler bei Pina Bausch bis zu deren Tod. So erzählt dieses Buch auch vom Ende einer Ära. Zu hoffen aber bleibt, dass manche Akteure, die im Buch in Szenenfotos zu sehen sind – und neue dazu –, viele Stücke von Pina Bausch lebendig erhalten. Im Bühnenbild von Peter Pabst und in den Kostümen von Marion Cito. Anne Linsel Foto: Karl-Heinz Krauskopf

Marion Cito umarmt den Tänzer Michael Strecker.


Eigentlich Heimat Erinnerungsalphabet Wuppertal von Judith Kuckart

Zum 25jährigen Jubiläum der Kunststiftung NRW erscheint in deren Schriftenreihe Literatur eine Anthologie mit zeitgenössischen Autor(inn)en aus Nordrhein-Westfalen: Welches Verhältnis entwickeln wir zu Orten, die unsere Identität in der Kindheit oder im gegenwärtigen Leben prägen? Autorinnen und Autoren aus Nordrhein-Westfalen haben sehr unterschiedliche Antworten zu „ihren“ Orten gefunden. Nordrhein-Westfalen ist kein homogenes und im eigentlichen Sinne identitätsstiftendes Land. Es setzt sich zusammen aus vielen Regionen, die in ihrer Eigenart zur Identifikation, aber auch zur kritischen Abgrenzung einladen. In 29 Texten spielt dieses NRW als Herkunftsregion, als Zukunftsort oder als Ort einschlägiger Erfahrung eine Rolle. Ob Rainer Merkel im Stadtwald seine Runden dreht oder die Leser mit Frank Goosen das schöne Mädchen vom Wertstoffhof treffen, ob für Liane Dirks die Kölner Domplatte zum Erinnerungsort wird oder Esther Kinsky anhand einer Kiesgrube in Römlinghoven von der frühen Bundesrepublik erzählt – literarisch leuchtet das Land im Westen auf besondere Weise. Die Kunststiftung NRW nimmt ihr 25. Gründungsjubiläum zum Anlass, zeitgenössische literarische Stimmen aus NordrheinWestfalen in einer Anthologie zu Wort kommen zu lassen. Eine literarische Landkarte entsteht.

Judith Kuckart, geboren 1959 in Schwelm, lebt als Schriftstellerin und Regisseurin in Berlin und Zürich. Nach Studium und Tanzausbildung leitete sie von 1986 bis 1998 das Tanztheater Skoronel. Seit 1998 arbeitet sie als freie Regisseurin. Mit ihrem ersten Roman, Wahl der Waffen, wurde Judith Kuckart 1990 als Schriftstellerin bekannt. Es folgten die Romane Die schöne Frau (1994), Der Bibliothekar (1998), Lenas Liebe (2002), der Erzählungsband Die Autorenwitwe (2003) sowie die Romane Kaiserstraße (2006) und Die Verdächtige (2008). 2013 erschien ihr aktueller Roman Wünsche. Daneben schrieb Judith Kuckart Theaterstücke und Hörspiele. www.judithkuckart.de

A – … wie Alter Markt/WuppertalBarmen Schornsteine und Kirchtürme überall. Die Schwebebahnstrecke über der Wupper Richtung Alter Markt kannte ich als Mädchen nur zu genau. Einmal im Monat musste ich wegen der Zahnspange nach Wuppertal zum Kieferorthopäden. Von der Schwebebahn aus sah ich die Rückseite der Stadt. Im Winter lag Eismehl in den Hinterhöfen. Im Sommer lag manchmal ein gepunkteter Ball auf einer Steintreppe des Hinterausgangs gleich bei den Mülltonnen, wie eine fröhliche Sommersprosse in einem niedergeschlagenen Gesicht. B – … wie Bausch/Pina Pina Bausch ist im Juli 2009 vier Wochen nach der Premiere ihrer letzten Inszenierung gestorben. Was bleibt? Die Erinnerung daran, wie sie untergehakt inmitten der Compagnie am Ende der Vorstellungen den Applaus entgegennimmt, in soliden Männerschuhen, weiter schwarzer Jacke und Hose, das Haar mit einem Gummi zusammengebunden, aber so, als sei der Beifall eigentlich eine Last? Was bleibt? Mir, ihr Lächeln. C – … wie Café Grimm Fünfundfünfzig kurze Schritte liegt das Café Grimm vom Schwebebahnhof Döppersberg entfernt. Ein dicker roter Vorhang gegen Zug¬luft gleich hinter der Eingangstür schlägt einem auch sommers ins Gesicht. Wie vor vierzig oder fünfzig Jahren sitzen an den Tischen alte Damen, allein oder zu zweit, aber immer mit Hut. Die Teppiche riechen

nach nasser Wolle, die gepolsterten Stühle nach 4711, und die Kellnerinnen sehe ich immer mit ältlichen Schleifen am Hinterkopf, auch wenn dort keine sind. D – … wie »Die starke Linke« »Die starke Linke« ist eine Skulptur von Alfred Hrdlicka in Wuppertal-Unterbarmen. Hrdlicka war Kommunist und liebte Engels. Als die ineinander verschlungenen Körperteile seiner Marmorskulptur 1981 auf einem Stück Rasen zwischen Oper und Engelshaus enthüllt wurden, gab es mehr Ärger als Begeisterung. Aus der Mitte reckte sich ein linker Arm gen grauen Himmel über Wuppertal, nicht fordernd genug, um das Wetter an diesem Nachmittag zu ändern. Aber klar genug in seiner Aussage. Es galt, die Ketten aller Arbeiter allüberall auf der Welt zu sprengen. »Auch Bankiersfrauen haben nichts zu verlieren als ihre Ketten«, hat bei der Einweihung jemand in mein Ohr gemurmelt, der später mein Freund wurde. »Aber Engels kann man nicht erkennen«, hat laut ein anderer neben mir gesagt, den ich nie wiedersah. Der Generalsekretär des Staatsrats der Volksrepublik China, Herr Ma Kai, hat neulich Wuppertal mit der Bemerkung verlassen, die verarmte Stadt könne auf seine Unterstützung zählen, wenn es darum gehe, sie für ihre chinesischen Besucher schöner zu machen. Er will Wuppertal einen richtigen Engels schenken, mit langem Mantel und nachdenklich verschränkten Armen, groß wie ein Mao, also mindestens vier Meter hoch, das Ganze

45


aber noch ohne Sockel gerechnet. Trotz der Schriften von Engels stecken die Wuppertaler nämlich in einem wirtschaftlichen Tief. Der Rat der Stadt hat dem Geschenk also zugestimmt, obwohl der kommende Engels aus Shanghai und aus Bronze etwas asiatisch aussehend und ziemlich korpulent sein soll. E – … wie Else Lasker-Schüler Weihnachten 1968 habe ich unter dem Christbaum ein Gedicht von Else LaskerSchüler aufgesagt. »Von drauß’ vom Walde komm ich her« habe ich mit Hilfe meiner Großmutter ersetzt durch »Ich habe zu Hause ein blaues Klavier«. Else Schüler, später verheiratete Lasker, wurde 1869 in Wuppertal-Elberfeld auf halbem Hang in der Sadowa-Straße geboren. Sie hat gelebt in Berlin, Zürich und Jerusalem, war zweimal verheiratet, einmal mit Herrn Lasker aus Wuppertal, mit dem sie von Wuppertal nach Berlin ging, einmal mit Herwarth Walden, der jünger war als sie und für den sie ihr Geburtsdatum fälschte. Mit ihm lebte sie in Berlin zusammen, bis »seine Nächte nicht mehr schwarz, sondern blond waren«. Sie bekam einen unehelichen Sohn, Paul, der – eigentlich jüdisch – katholischer Priester werden wollte, dann aber mit achtundzwanzig Jahren starb. Sie selber musste im Alter von fünfundsechzig Jahren Deutschland verlassen und ist 1945 in Jerusalem gestorben. In einer Welt des Tausches hat immer der das Nachsehen, der gibt. Der Liebende ist aber allemal der mehr Liebende, und gerade in der Liebe wird der Liebende ins Unrecht gesetzt und bestraft. Ja, das habe ich, die Gedichte von Else Lasker-Schüler lesend, erfahren, bevor mich das Leben Ähnliches lehrte. F – … wie Friedhof Brändströmstraße Mein Onkel Walther war dort Friedhofswärter und verheiratet mit Tante Paula, die so klein war, dass sie mit den Füßen nicht auf den Boden kam, wenn sie auf einem Stuhl in ihrer Küche saß. Paula und Walther waren die Eltern von Christel, die auch nicht größer wurde als ihre Mutter, aber Sommersprossen hatte. Mit Christel spielte ich in der Leichenhalle gleich unter der Küche von Paula und Walther, wenn es draußen zu heiß, zu kalt oder zu nass war. Wir ließen unsere Bälle gegen die Särge titschen. Niemand sagte etwas dagegen.

46

G – … wie Hannelore G. Hannelore G. wohnt in Elberfeld in der Maréestraße und tanzte in »Kontakthof«, einem Stück von Pina Bausch für Damen und Herren über sechzig. Alles Laien, alle so betagt wie begabt. Jetzt, wo die Zeit der internationalen Tourneen vorbei ist, schreibt Hannelore G. an ihrer Familiengeschichte mit dem Titel »Nicht von schlechten Eltern«. Die langen grauen Haare, die ihr eine Hauptrolle beim Wuppertaler Tanztheater einbrachten, hat sie immer noch. Ihr Mann sagt: »Meine Frau ist genauso schön wie früher, sie braucht nur etwas länger.« H – … wie Heini & Co. Mein Freund C. eröffnete mit seinem Freund Heini Mitte der achtziger Jahre in Wuppertal-Elberfeld in der Obergrünewalder Straße gleich neben der Szenekneipe »Zum Köhlerliesel« einen Buchladen: »The Bookery that Jams«. Jeder Buchrücken ein Wegweiser ins Unbekannte! Jeder! C. und sein Mitbuchhändler Heini saßen bis spät in die Nacht an einem blauen Tischchen und machten ihre Abrechnungen. Bald waren sie pleite. Heini ging fort, um von Blixa Bargeld, Sänger der »Einstürzenden Neubauten«, in Wien das Dichten zu lernen. Mein Freund C. blieb allein zurück. Es kamen weiter Leute in den Laden, aber keine Kunden. Man trank Kaffee und las in den Büchern, aber ohne sie beim Anschauen zu weit auseinanderzubiegen. Bücherrücken sind Engelsrücken. An seinem 27. Geburtstag meldete mein Freund C. Konkurs an und emigrierte mit mehreren Tonnen Papier in die Schweiz. I – … wie Ira Meine Freundin Ira, die eigentlich in Berlin, Hamburg und auf Sylt lebt, fährt seit Weihnachten letzten Jahres ständig ins Tal. »Du fährst zu oft nach Wuppertal«, sagte ich letzte Woche zu ihr. »Klingt wie ein Krimi«, sagte sie. J – … wie Jan Minarik Geboren ist er in Prag. Er war Star bei Pina Bausch und mein Lehrer, aber immer nur freitags und sonntags. In der stillen Wittensteinstraße, die parallel zur Friedrich-EngelsAllee verläuft, hatte er zwei Zimmer mit einem Durchbruch zu einem Ballettsälchen umgebaut. Bei ihm habe ich gelernt, wo eine Bewegung anfängt und für die nächste

enden muss und dass New York sehr, sehr teuer ist. In Jan Minariks Wohnung ist heute eine Arztpraxis. Das Waschbecken auf dem Klo aber ist geblieben und aus Meißner Porzellan. K – … wie Kamillentee Kamillentee verkaufte meine Schwiegermutter an die Prostituierten in der Wesendonkstraße, wenige Schritte vom Schauspielhaus und gleich bei der Wupper. In jener Apotheke arbeitete sie in den fünfziger Jahren, weil sie eigentlich hatte Ärztin werden wollen. L – … wie Langeweile »Langeweile« war der Arbeitstitel einer Diplomarbeit, die meine beste Freundin Barbara an der Uni Wuppertal in Soziologie schreiben wollte. Sicher ein Thema, das zum Betoncampus dieser Bergischen Universität passte. Ich erinnere mich an das Motto ihrer Arbeit: Langeweile haben wir nur, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten. M – … wie »Mittagspause« Die Band, bei der Peter Hein gemeinsam mit dem DAF-Sänger Gabi Delgado-López sang, gründete sich in Wuppertal – so denke ich. Aber kann sein, dass ich mir dies auch nur wünsche und meine Erinnerung sich entsprechend inszeniert. Die Band selber ist sich ganz sicher, dass sie sich 1978 in Düsseldorf gegründet hat, um sich in der Silvesternacht 1979 aufzulösen. »Fehlfarben«, wieder mit Peter Hein, entstand. Sie sind nicht ganz so alt wie die Stones, kriegen die Bude noch immer voll und singen auch noch immer: Es geht voran. Meine Wünsche bleiben. Wünsche sind potentielle Handlungen. N – … wie neunzehnhundertfünfundsiebzig 1975 habe ich im Alter von sechzehn vor dem Bühneneingang des Opernhauses Wuppertal meine Zahnspange aus dem Mund genommen, um – aus einer alten Kindergewissheit heraus – dort, also »bei Pina«, vorzutanzen. Denn etwas stimmte an dieser Art von Tanz und Theater für mich. Genauer wusste ich es nicht zu sagen. In meinem besten Trikot aus dem Kinderballett stand ich damals an der Stange und wartete zwischen lauter Tänzern, die mir gefährlicher und gefährdeter zugleich zu sein schienen, als ich es jemals sein würde, auf


Frau Bausch. Sie betrat den Saal, ich glaube, mit Zigarette, zog einen der schmutziggelben Fenstervorhänge beiseite, sah in die Runde und kam dann auf mich zu: Wie alt bist du denn? Achtzehn, log ich. Sie küsste mich auf die Stirn. Okay, sagte sie, du kannst heute mitmachen, und wenn du dann einmal achtzehn bist, kommst du wieder. O – … wie Oberbarmen Bis Wuppertal-Oberbarmen saß ich neulich mit zwei alten Leuten im ICE an einem Vierer-Tisch. Wenn alte Leute im Zug sitzen, riecht es oft nach Banane. Sie reisen noch richtig. Sie fahren nicht schnell von da nach dort, wie ich. Sie essen geräuschvoll die Brote von daheim, auch wenn sie eine halbe Stunde nach dem Frühstück noch keinen richtigen Hunger haben. Sie essen, weil sonst die Welt zu weit und böse ist. Wenn sie essen, wird sie kleiner und weniger gemein, wird sie zur Stube, wird der Zug zu einem alten Fernzug mit roten Plüschsitzen und der Zugbegleiter zu einem Herrn Schaffner, dem man die Kneifzange von früher an den Mundwinkeln noch ansieht. Als der Zug von neulich mit mir und den

beiden alten Leuten durch Oberbarmen fuhr, standen sie nervös auf, zogen sich an und gingen mit ihrem Gepäck zur Tür, um rechtzeitig in Wuppertal-Elberfeld aussteigen zu können. Dort standen sie dann, eine Viertelstunde lang. Eine Viertelstunde zu früh eben. P – … wie Post/Sophienstraße Die Sophienpost in der Sophienstraße / Elberfeld gibt es nicht mehr. Die Frau mit der Hasenscharte an Schalter drei, auch die gibt es nicht mehr. Q – … wie Quantenschaum Quantenschaum ist auch ein Zirkus, der eines Tages durch Wuppertal zog. R – … wie Robert-Daum-Platz In der Nähe des Robert-Daum-Platzes liegt das Hotel »Hanseatic« und passt genau hierher. Irgendwie liegen alle Zimmer nach hinten hinaus, und der Blick aus dem Fenster zieht sich nach einem halben Meter verletzt zurück, wenn er sich an der feuchten Wand des Nachbarhauses gestoßen hat. Das Schnurtelefon träumt unter einer Staubschicht, die Bettwäsche ist weiß und

geflickt, auf der Fensterbank blüht eine Amaryllis rot zwischen den gelben Blättern vom vergangenen Jahr, und wenn man ganz großes Pech hat, steht auf dem Fernseher, der nicht funktioniert, immer noch das gerahmte Foto von einem weißen Spitz. S – … wie Schwebebahn Schwebebahn, ach dazu ist eigentlich schon alles gesagt worden, wenn auch nicht von allen. Doch nur wenige wissen, dass Tuffi, das Elefantenbaby, das am 21. Juli 1950 aus dem vorderen Waggon sprang, später in einem Zirkus auftrat, also nachdem es als Werbeträger für die Schwebebahn versagt hatte. Trotz seiner Elefantendepression, die vielleicht noch mit dem Sprung zusammenhing, lernte Tuffi Kopfstand und BlumensträußeÜberreichen, bis er im fortgeschrittenen Alter wegen Unberechenbarkeit an einen Zoo gegeben wurde, wo er lange nicht starb, aber regelmäßig Handtaschen nebst Inhalt fraß, die er staunenden Besucherinnen mit einem Rüsselschlenker entriss. (An dieser Stelle unter »S« hätte ich hier auch über Schwarzer, Alice, schreiben können, habe ich aber nicht.)

47


T – … wie Tante Dolores Tante Dolores hatte einen Hund namens Marx, Sohn eines Schäferhundes namens Engels. Marx verschwand eines Tages nahe dem Autobahnkreuz Sonnborn. Tante Dolores hatte den Verdacht, er sei von Bayer zwecks schlimmer medizinischer Experimente entführt worden. U – … wie Ulrike Meinhof Ulrike Meinhof, geboren in Oldenburg, lebte in Wuppertal, als sie jung war. Ihre Pflegemutter Renate Riemeck übernahm 1949 nach dem Tod der Mutter die Vormundschaft für Ulrike Meinhof. Anders als sie in ihrer Autobiographie »Ich bin ein Mensch für mich« schreibt, war Riemeck nicht sehr widerständig, sondern sogar Mitglied der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen. Als sie die pubertierende Ulrike nach Wuppertal holte, war Renate Riemeck Dozentin an der Pädagogischen Hochschule, bis sie, wenn ich mich richtig erinnere, vom Dienst suspendiert wurde, weil sie tätig war für eine Tarnorganisation der verbotenen KPD. V – … wie Vohwinkel Vohwinkel – da sitzen sie noch immer wie früher am Schwebebahnhof herum, die schlecht gelaunten Jugendlichen, noch ohne Bart, aber nach Rasierwasser stinkend. Sie haben ein Problem: nämlich kein Auto, um rasch von hier fortzukommen. W – … wie »Wuppertaler Hof« Der »Wuppertaler Hof« war ein Hotel

neben dem Opernhaus, in dem meine erste Schwiegermutter, Tochter eines Heringshändlers und geboren gegenüber der Stadthalle, 1939 ihren Abschlussball hatte. Einen »Wuppertaler Hof« gab es auch in der polnischen Kleinstadt Os´ wi ec˛ im, die zwischen 1941 bis 1945 eine deutsche Kleinstadt namens Auschwitz war. »Wuppertaler Hof« hieß dort am Markt das beste Hotel am Platz. Auch der Inhaber dort wie hier war der Gleiche.

bebahn die Verkehrsmittel sind, die versprechen, dass sie einen nach Hause bringen. Und jetzt sind wir da, wo alle herkommen und wo alle hinwollen. HEIMAT. Was das für mich ist? Zu vieles. Aber Heimat ist auch da, wo man sagen kann, die Frau da drüben, die trug als Mädchen mal eine Zahnspange.

X – … wie XXL XXL war die Torte im Kulturpalast für die Diseuse Georgette Dee in der Luisenstraße nach ihrem Auftritt in Wuppertal-Elberfeld. Ist sie ein Mann oder eine Frau, fragte meine Mutter und bot ihr das erste Stück Torte an. Kulturpalast, fragten die übrigen bergischen Nachbarn immer wieder, die ebenfalls zur Eröffnung geladen waren, Kulturpalast, was soll das denn heißen? Der Laden war tatsächlich keine 30 × 2 m groß. Und Georgette Dee? Sie würde heute bestimmt nicht mehr für eine Torte auftreten. Y – … wie ??? … ich erynnere mich nicht … Z – … wie Zahnspange Im Alter zwischen zehn und sechzehn fuhr ich einmal im Monat von Schwelm nach Wuppertal-Elberfeld, erst mit der Straßenbahn, dann über Oberbarmen weiter mit der Schwebebahn. Heute denke ich, dass Straßenbahn und Schwe-

Eigentlich Heimat, Nordrhein-Westfalen literarisch Herausgegeben von Bettina Fischer und Dagmar Fretter in der Schriftenreihe Literatur der Kunststiftung NRW ISBN 978-3-940357-45-8

6./7. und 13./14. Dezember 2014, geöffnet von 11–19 Uhr Eintritt: 4 € | Dauerkarte: 6 € | Kinder bis 12 Jahre frei | Kombiticket ÖPNV: 6 €, erhältlich über www.wuppertal-live.de Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | Anfahrt und Parken: www.schloss-luentenbeck.de

48


Verrücktes Blut Das Theater als moralische Anstalt Von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, frei nach dem Film „Heute trage ich Rock“ Regie: Raik Knorscheidt Bühne: Iljas Enkaschew Kostüme: Mariola Kopczynski Fotos: Martin Mazur Besetzung: Mirca Szigat (Frau Kehlich) Lara Sienczak (Mariam) – Nadine Thiele (Latifa) – Benedict Schäffer (Musa) Lars Grube (Bastian) – Alexander Bangen (Hakim) – Björn Tappert (Ferit) Robert Flanze (Hasan)

Mirca Szigat, Björn Tappert, Benedict Schäffer, Lars Grube Foto: Martin Mazur

In seiner neuen Reihe „Starke Stücke“ präsentierte das TiC-Theater am Samstagabend ein wirklich starkes Stück: „Verrücktes Blut“. Ich mag dieses Theaterstück nicht. Es nahm mir schon in den ersten Minuten die Ruhe. Sein Tumult und seine ungebremste Aggressivität strapazieren die Nerven. Zwei Stunden lang. Ich mag seine Botschaft nicht, denn sie beunruhigt mich. Es bedrängt mich, weil die meisten seiner Charaktere so schrecklich wirklichkeitsnah an den fürchterlichen Klischees kleben, die sie da wie im tatsächlichen Alltag für die Realität halten. Ich mag dieses Stück nicht, weil es mir plakativ und unübersehbar eine real existierende Parallelwelt präsentiert, die ich nicht sehen will, der ich nicht ausweichen kann. Und ich mag es nicht, weil ich es nicht mag, den Spiegel meiner eigenen Vorurteile vorgehalten zu bekommen. Das liegt nun nicht daran, daß ich als Cineast Vorbehalte gegen die Umsetzung der Filmvorlage von Jean-Paul Lilienfeld für die Bühne hätte. „Verrücktes Blut“ hat außer einer Grundidee nichts, aber auch nichts mit dem Film „Heute trage ich Rock“ zu tun. Das selbstgemachte französische Problem mit chancenlosen und kriminellen

jugendlichen Franzosen kolonialer afrikanischer und arabischer Herkunft hat mit dem deutschen Problem einer oft bewußt zur Schau gestellten kulturellen und intellektuellen Ignoranz der zweiten und dritten Generation unterprivilegierter Einwanderer aus islamischen Ländern des Nahen Ostens nur rein äußerlich Gemeinsamkeit. Nurkan Erpulat und Jens Hillje taten gut daran, dem Thema ein „deutsches Gesicht“ zu geben. Dieses deutsche Gesicht mag ich nicht. Aber: ich mag die nach ihrer großartigen Lady Milford wieder einmal hinreißende Mirca Szigat, die den bebenden Wahnsinn der angesichts der Dummheit und des Machotums ihrer radebrechenden, gewalttätigen Schüler verzweifelnden Lehrerin Sonia Kehlich in unerhörtem Facettenreichtum körperlich spürbar und seelisch schmerzend vermittelt. Ich mag Lara Sienczak, die zuletzt als Schillers Luise Miller überzeugte und nun der kopftuchtragenden, nur scheinbar stolzen Muslima Maria, unter dem bis in die Schulklasse reichenden Druck der männlich dominierten moslemischen Parallelgesellschaft zerrissenen Ausdruck gibt. Ich mag Nadine Thiele, weil sie der provokant-doofen, heftig

49


begrapschten Unschuld der proletarischen Latifa stumpfes Profil und provozierend(en) Körper gibt. Ich mag Robert Flanze, der als sich hinter seiner kurdischen Herkunft versteckender Jammerlappen Hasan überzeugt wie jüngst als Schillers Ferdinand, ebenso wie ich den ebenfalls Schiller-erfahrenen Alexander Bangen mag, dessen Hakim mit heruntergelassener Hose ruckzuck seine prahlerische Männlichkeit einbüßt. Das ist nicht komisch, wie einige Lacher in der Premiere wohl glaubten, das ist höchst dramatisch. Daß Bangen komisch sein kann, hat er zuletzt in „Spiel´s nochmal, Sam“ bewiesen. Ich mag Lars Grube, der die Schwierigkeit bewältigt, plump den einzigen deutschen Proleten unter türkischen und arabischen Wirrköpfen zu verkörpern, und ich mag Björn Tappert, der einen Ferit von Gnaden gibt, so schmierig und hinterlistig, aber auch feige und angepaßt, wie er eben überall in dieser Mischgesellschaft herumhängt. Und ich mag den abgrundtief bösen, grandios gewalttätigen, verlogenen Moslem-Macho Musa – d. h., den direkt mag ich natürlich nicht, weil er mir Angst einflößt. Aber seinen explosiven Darsteller Benedict Schäffer in der Rolle mag ich, einen hoch begabten und vielseitigen jungen Schauspieler.

50

Raik Knorscheidt hat das Drama um eine aus dem Ruder laufende Deutschstunde, in der Mirca Szigat al. Sonia Kehlich dieser ignoranten Bande von Spackos Schillers „Die Räuber“ und sein „Kabale und Liebe“ nahebringen möchte, in einem bis aus Nötigste reduzierten Bühnenbild (Iljas Enkaschew) inszeniert. Die den auf den Punkt getroffenen Kostüme (Mariola Kopczynski) illustrieren perfekt das Personal des Stücks, das 1:1 dem der Realität entspricht. Als der Lehrerin bei einer Auseinandersetzung mit Musa, der sie unverblümt mit dem Tod bedroht, aus dessen Tasche eine geladene und entsicherte Pistole vor die Füße fällt, sie diese ergreift, damit Musa verletzt sodann mit der Waffe ihre Schüler in Schach hält, sie zu Schiller, ordentlicher Akzentuierung der deutschen Sprache und zu diversen Bekenntnissen zwingt, beginnt ein Sprachunterricht der besonderen Art. So wie sie die Schüler hält das Stück seine Zuschauer in Schach. Entkommen unmöglich. Raffiniert läßt Knorscheidt zwei Ebenen entstehen – einmal die von Dummheit, Dünkel und Machismo gesteuerten Gewaltausbrüche mit ihrer Fäkalsprache und Bedrohlichkeit samt ihrer nun

bewaffneten Antwort; dann plötzlich für überraschende Momente Schiller in reinster Form. Die Darsteller vollziehen diesen Wandel von der Gosse zum Hehren und zurück überzeugend, ja ergreifend. Als Kunstgriff flicht Knorscheidt friedvolle deutsche Volkslieder ein, die unter flackerndem Neon-Licht überhöhte Spannungen brechen. Bewundernswürdig entäußern sich hier acht Darsteller über zwei Stunden an die Grenzen gehend emotional, ein physischer wie psychischer Kraftakt. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie die dramatis personae aus dieser blutigen Nummer wohl rauskommen mögen. Knorscheidt hat das mit einem genialen Streich gelöst. Gezeigt wird Theater in seiner elementaren Form, Theater wie es sein muß, Theater, das mitnimmt. Frank Becker Weitere Informationen und Termine: www.tic-theater.de

Mirca Szigat, Benedict Schäffer Foto: Martin Mazur


Literat mit Haut und Haar Michael Zeller zum 70. Geburtstag Laudatio bei der Verleihung des Andreas Gryphius-Preises

Michael Zeller Marta Kijowska hielt diese Rede 2011 im Düsseldorfer Gerhart Hauptmann-Haus. Die Beste Zeit dankt ihr für den Abdruck des Textes (leicht gekürzt). Marta Kijowska schreibt regelmäßig für die Frankfurter Allgemeine und Neue Zürcher Zeitung und gilt als führende Vermittlerin von polnischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Im Frühjahr erschien ihre Biographie des polnischen Untergrundkämpfers Jan Karski. Seit 2011 liegen von Michael Zeller weitere Bücher vor, u. a. der Gedichtband „wie es anfängt : wie es endet“ und die Erzählung „Abhauen! Protokoll einer Flucht“. In diesem Jahr 2014 ist sein sechster Schulhausroman herausgekommen, zusammen mit Wuppertaler Schülern erzählt, „Das Geheimnis des Omar“, und gerade jetzt im Herbst die Erzählung „BruderTod. Ein Kinderleben“.

Ein Laudator mag das Recht und das Privileg haben, seiner Lobrede auf den Preisträger eine persönliche Bemerkung voranzustellen. Meistens geschieht dies zum Schluss – ich aber möchte, wenn Sie gestatten, genau damit beginnen. Meine Bekanntschaft mit Michael Zeller dauert schon an die fünfzehn Jahre. Unsere ersten Kontakte waren beruflicher Natur – wie das so manchmal zwischen Schriftstellern und Journalisten passiert –, mit der Zeit ist daraus eine Freundschaft geworden. Wir sehen uns nicht sehr oft, meistens nur kurz und an verschiedenen Orten. Doch wenn ich an diese Begegnungen zurückdenke, stelle ich fest, dass mich fast jede in irgendeiner Weise bereichert hat – um neues Wissen, einen frischen Gedanken, den Blick aus einer ungewöhnlichen Perspektive. So habe ich gleich bei unserer ersten Begegnung erfahren, was einen guten Schriftsteller ausmacht. Als ich nämlich Michael Zeller auf seine mittlerweile hervorragenden Kenntnisse der polnischen Literatur ansprach, bekam ich folgendes zu hören: „Goethe hat mal gesagt: Für jedes Buch, das ich schreibe, muss ich 100 oder gar 500 Bücher gelesen haben. Jeder Literat ist auch ein hochgradiger Leser, und wer das nicht ist, ist meiner Meinung nach kein guter Literat. Wir leben alle in Wortzusammenhängen“, meinte er ferner, „man muss wissen, was die Kollegen schreiben, was vor hundert Jahren geschrieben worden ist oder eben was in einem Land wie Polen literarisch passiert.“ Ich konnte also sofort spüren: Hier sprach jemand, dem der Umgang mit Literatur längst ins Fleisch und Blut übergegangen ist, der sie nicht nur als Handwerk betreibt, sondern in ihr auch eine Lebensform sieht. Es hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre – schließlich hatte ich es mit einem Autor zu tun, der lange als Literaturkritiker und als Hochschullehrer gearbeitet hatte. Jahrelang war Michael Zeller Literaturdozent an den Universitäten Bonn und Erlangen, hat sich an der Letzteren mit einer Arbeit über die Gegenwartslyrik habilitiert. Seine akademische Laufbahn hat übrigens auch eigene literarische Früchte getragen: Einige Jahre nach der Trennung von der Universität legte Zeller nämlich einen

Roman vor, der ihn prompt bekannt machte und bis heute als eines seiner bekanntesten Werke gilt: Follens Erbe, eine Geschichte aus dem Universitätsmilieu, die vor dem Hintergrund des vom Terrorismus geprägten Herbstes 1977 spielte. Der Held des Romans, ein Assistent am Germanistischen Institut der fiktiven Universität Winkeln, trägt unverkennbar autobiographische Züge: Sein Leben nimmt eine plötzliche Wende, als er – von dem politischen Klima jener Monate angeregt – das Seminarprogramm ändert und seine Studenten anstelle der Dichtung eines Klassikers die Lyrik einer Gegenwartsautorin diskutieren lässt. Als ihm folglich die Sympathie für die Mitglieder der RAF angelastet wird, gibt er klein bei und zieht sich in den literarischen Elfenbeinturm zurück. Auch Michael Zeller reagierte damals auf die politischen Ereignisse, indem er mit seinen Studenten die Polit-Lyrik von Erich Fried, etwa das Gedicht Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback, diskutierte. Seinen daraus entstandenen Konflikt mit den Vorgesetzten löste er allerdings anders als sein künftiger Protagonist. Irgendwann merkte er nämlich, dass er aus diesem „Erlanger System“, wie er den fränkischen Hochschulbetrieb nannte, ausbrechen wollte. So kehrte er der Universität den Rücken zu und wurde freier Schriftsteller. Einige Jahre später erschien der besagte Roman. Für viele war es damals ein Grund, in dem Buch eine Art Abrechnung zu sehen, doch Michael Zeller sah es anders: Er wollte einfach, wie er beteuert, aus diesem geschlossenem Raum Universität nach außen in die Gesellschaft Signale geben, zeigen, wie das Innenleben einer Hochschule wirklich aussieht. Die Trennung von der Universität bedeutete für Zeller den Beginn einer ganz neuen Existenz. Offiziell hatte er seinen Wohnsitz nach wie vor in Nürnberg, in Wirklichkeit aber führte er ein Wanderleben, ständig auf der Suche nach neuen Motiven, Eindrücken, Begegnungen. Dabei ließ er keine Gelegenheit aus, die Reisemöglichkeiten, die sich einem Autor bieten, zu nutzen: Arbeitsstipendien, Aufenthalte in Künstlerhäusern und längere Lesereisen gehörten bald genauso selbstverständlich zu seinem Alltag wie

51


52

Um 1985 zur Zeit von Follens Erbe. Foto privat

1990, Wiedergänger. Foto: Yvonne Böhler

seine markant gelbe Reiseschreibmaschine. Er hatte auch schnell gemerkt, dass er sich unterwegs sehr viel wohler fühlte als an einem festen Ort. So kultivierte er auch bewusst dieses Unterwegssein, das für ihn eine Art Lebensform und auch eine Form des Arbeitens geworden war. Einige Jahre später, als die Berliner Mauer und andere Symbole der politischen Teilung Europas verschwanden, kam eine neue Lust hinzu: Sie ergab sich aus der Tatsache, dass – wie er es einmal formulierte – „die Westfixierung gebrochen war“, dass seit dem Sturz des Kommunismus die Westeuropäer die Möglichkeit hatten, den östlichen Teil Europas kennen zu lernen. Er empfand es nach eigenen Worten als einen großen Glücksfall, fast als eine zweite Geburt, und fing auch sehr bald an, diese Möglichkeit zu nutzen. Die erste Ostreise führte ihn nach Weimar, wo er im Frühjahr 1990 Zeuge der ersten demokratisch durchgeführten Wahlen war. Das literarische Ergebnis dieser Reise war der Essay Weimar. Deutscher Musenort, in dem er einerseits den Untergang eines Systems und die Auflösung eines Staates festhielt und andererseits die Geschichte der Stadt reflektierte. Schon ein Jahr später – im Mai 1991 – ging es aber weiter in Richtung Osten, und diesmal sollte es für Michael Zeller eine richtige Entdeckungsreise werden. Denn es standen ihm einige Monate in Krakau bevor, einer Stadt, in der alles

achtungen durchaus noch eine zweite Inspirationsquelle, auf die Michael Zeller von Anfang an zurückgreift. Nämlich die Geschichte. Er schreibt zwar keine historischen Romane im klassischen Sinne des Wortes, doch er lässt sie oft auf zwei ineinanderfließenden Ebenen spielen: in der Gegenwart und in der Vergangenheit. In seinem Uni-Roman Follens Erbe etwa porträtierte er den Hochschullehrer und Demagogen Karl Follen, eine längst in Vergessenheit geratene Gestalt aus dem deutschen Vormärz. In Der Wiedergänger, einem Roman aus dem Medizinermilieu, erzählte er, im Mittelalter beginnend, die Geschichte der Pest nach. Und in Die Sonne! Früchte. Ein Tod verfolgte er zwar die Pariser Spuren der expressionistischen Malerin Paula Becker-Modersohn, sorgte aber durch seine Erzählart dafür, dass der Leser die Situation dieser zwischen verschiedenen Rollen zerrissenen Frau als unverändert aktuell empfand. Auch als er erstmals nach Krakau fuhr, wollte Michael Zeller einen Roman schreiben, in dem Spuren der Vergangenheit in die Gegenwart hineinfließen. Hat das womöglich auch damit etwas zu tun, dass er in Breslau, dem heutigen Wroclaw, geboren wurde? Und dazu kurz bevor die deutsche Bevölkerung, also auch die Familie Zeller, die Stadt verlassen musste, womit ein langes Kapitel der Geschichte dieser Stadt zu Ende ging? Wie dem auch sei: Nach einer histori-

fremd war: die Topographie, und vor allem die Menschen, ihre Lebensweise, ihr Verhalten, ihre Sprache, ja ihr Aussehen. „Das Licht in den Augen der Menschen hier“, wird er später in einem Roman schreiben, „nie so gesehen bisher: das helle Blau und Grau und Grün, allesamt dem Wasser nah – Seen im Sommer, morgens.“ Alles war also neu und ungewöhnlich. Doch auch in diesem Fall haben die Neugier und die Lust am Entdecken, Registrieren und Erleben die Überhand gewonnen. Nicht zufällig eilte Michael Zeller der Ruf eines Meisters der Alltagsbeobachtungen, der präzisen Menschenbeschreibungen und scharfen Milieustudien voraus. Schon sein erster Gedichtband von 1981, Aus meinen Provinzen, bestand aus – wie Karl Krolow es damals formulierte – „trocken konstatierenden, gleichwohl höchst engagierten Strophen aus dem Alltag“, die, „bisweilen eine lässige Bitterkeit“ hätten. Und auch in seine Prosa ließ Zeller von Anfang an, sprich: seit dem Roman-Erstling Fehlstart-Training, prägnante Beweise seiner Beobachtungsgabe einfließen. Mit der Zeit wurden sie nur stilistisch immer reifer, zeugten von der Beherrschung immer neuer literarischer Formen, zu denen mittlerweile gar vierfüßige Jamben gehören – wie in dem Band Mein schöner Ort. Gesänge aus dem deutschen Alltag von 2001 nachzulesen ist. Es gibt aber neben den Alltagsbeob-


schen Idee für seinen Krakau-Roman brauchte er nicht lange zu suchen – sie wurde ihm von seinem damaligen Wohnort Nürnberg geliefert. An wen hätte er auch sonst denken sollen, wenn nicht an Veit Stoß, den berühmten Holzschnitzer, der beiden Städten gleichermaßen verbunden war? Diese Idee war für ihn zwar nur eine Art Rettungsanker – für den Fall, dass ihm zu dieser fremden, bis vor Kurzem noch kommunistischen Stadt nichts anderes einfallen sollte –, aber sie war da. Allerdings nicht für lange. Sobald er nämlich in Krakau eintraf und seine Unterkunft in der Nähe der Königsburg verließ, um einen ersten Stadtspaziergang zu machen, hatte er sofort das Gefühl, mitten in Alt-Europa, sprich: zu Hause zu sein. Natürlich waren die Spuren des Kommunismus noch deutlich sichtbar, und den Menschen lagen Namen wie „Solidarnosc“ oder „Jaruzelski“ ganz selbstverständlich auf der Zunge, doch zugleich hielt seit einiger Zeit spürbar das Neue Einzug. Und die daraus resultieren Spannungen und Widersprüche faszinierten Michael Zeller doch viel mehr als der mittelalterliche Holzschnitzer. Zu seinem Beobachtungsposten erklärte er das am Hauptmarkt gelegene „Café Europa“. Dort bezog er nun täglich Stellung, um seine autodidaktischen Polnisch-Übungen zu zelebrieren und vor allem einen Blick auf die Stadt zu genießen, deren Zauber er bald in literarischer Form einfangen sollte. So entstand der Roman Café Europa, dessen Protagonist, ein Autor namens Walter Hornung, zwar ebenfalls die Absicht bekundet, über Veit Stoß zu recherchieren, in Wirklichkeit aber sein Augenmerk sofort auf die Gegenwart richtet. Es sind vor allem die Menschen, die ihn interessieren, zumal er bald die Befangenheit eines Fremden verliert und mit der größten Selbstverständlichkeit die Treffs der Krakauer Literaten, Künstler und Studenten aufsucht. Man fragt sich gar zu Beginn, weshalb Michael Zeller sein Buch einen Roman statt einen Reisebericht nennt, so realitätsnah ist das Bild Krakaus wiedergegeben, so leicht manche Figur zu identifizieren, so deutlich die eine oder andere Situation als sein eigenes Erlebnis zu erahnen. Doch nein, er versteckt sich beharrlich hinter

Um 2000. Lesung vor Schülern in Düsseldorf. Foto: Hans-Jürgen Bauer seinem Protagonisten, den er dafür mit einer imponierenden Beobachtungsgabe ausstattet. Hornung registriert jedes Detail, kleine Unzulänglichkeiten und Eitelkeiten eingeschlossen. Und doch wird er nach und nach mit der Vergangenheit – mit der Geschichte also – konfrontiert. Immer wieder begegnet er Menschen, die von einem gewissen Henry Wohlgast erzählen, einem amerikanischen Literaturwissenschaftler, der zwei Jahre zuvor Krakau besucht hat und den eine geheimnisvolle Aura umgibt. Jeder kennt ihn, jeder hat ihn ein wenig anders erlebt, für jeden ist er ein Rätsel geblieben. Doch gerade deshalb zieht er Hornung immer mehr in seinen Bann. Sie werden sich niemals begegnen, der Deutsche und der Amerikaner, der nach Krakau gekommen war, um etwas über seine jüdische, in einem Konzentrationslager ermordete Mutter zu erfahren. Dennoch wird Wohlgast für Hornung zu einer Art Mythos, zur Personifizierung dessen, was die Tragik und Verworrenheit der europäischen Geschichte ausmacht. Denn er soll nicht nur nach den Spuren seiner Mutter, sondern auch nach dem Grab eines 1914 gestorbenen, deutschsprachigen Dichters gesucht haben, in dem man leicht Georg Trakl erkennt. Er war bekanntlich im Ersten Weltkrieg als Sanitätsleutnant in Galizien stationiert und starb in einem Krakauer Krankenhaus an einer Überdosis Kokain.

Ein Gemeinschaftsgrab auf dem Zentralfriedhof Rakowice wurde für die nächsten elf Jahre seine letzte Ruhestätte. Henry Wohlgast hat weder das Grab der Mutter noch das Trakls gefunden, und auch seine eigene Spur verliert sich irgendwann, doch seine Anwesenheit hat auch nachhaltig Wirkung. „Wohlgasts Hinterlassenschaft“ nennt Walter Hornung diese Wirkung für sich. Ab irgendwann geht es ihm nämlich nicht mehr allein um den geheimnisvollen Fremden – das neue Spiel heißt „Identitätssuche“, mit der bekanntlich Wörter wie „Unterwegssein“ oder „Fremdheit“ zusammenhängen. Er verlässt Krakau, fährt aber nicht nach Deutschland zurück – sondern nach Breslau, dem heutigen Wroclaw, von wo seine Familie kurz nach seiner Geburt hatte fliehen müssen. Wie einst die des Autors. Als Michael Zeller 1997 erneut nach Krakau kam – diesmal gleich für zehn Monate –, hatte er die europäische Geschichte, genauer den jüdischen Teil dieser Geschichte, gleichsam ständig vor Augen. Seine Wohnung befand sich in einem Haus, das Krakaus Partnerstadt Nürnberg gehört und mitten im ehemaligen Judenviertel Kazimierz liegt. Auch dieser Aufenthalt trug freilich literarische Früchte: Seine „Krakauer Geschichten“ Noch ein Glas mit Pan Tadeusz – so der Name des Titelhelden eines Nationalepos von Adam Mickiewicz – sind

53


voller Exkursionen in die Geschichte und Literatur. Doch im Gegensatz zu manchem Autor, der in solchen Fällen mit effektvollen Gedankensprüngen nicht zuletzt seinen Kosmopolitismus zu beweisen sucht, ist Zeller ganz auf das Polnische konzentriert, bemüht sich, das Spezifische der polnischen Geschichte, das Besondere der polnischen Kultur, das Einzigartige der polnischen Mentalität zu begreifen und wiederzugeben. Vor allem jedoch ist er wieder mal ein exzellenter Beobachter, der das Leben in Krakau, die Art der Menschen, den ganz banalen Alltag, die noch so unwichtigen oder skurrilen Begebenheiten mit einer, wie es scheint, niemals nachlassenden Aufmerksamkeit registriert. Hier eine kleine Kostprobe: „Über altes Pflaster auf der Straße schritteln gebückte, zerbrechliche Menschen an mir vorbei, Männer wie Frauen, mit vogelartigen, zerzausten Köpfen, die nach Jahrzehnten feinster Denkarbeit aussehen. Zu meiner Überraschung verwandeln sich diese Mumien im Gespräch meist in liebenswürdig lebendige, witzige, geistvolle Figuren, ganz nach dem Instant-Prinzip: als seien Worte wie heißes Wasser, das Trockenpulver auflöst und bekömmlich macht.“ Wenn das nicht an Alfred Döblins berühmten Bericht Reise in Polen erinnert! Allerdings mit einer Einschränkung: Während Döblin, bei aller Neugier, stets einen Hauch von Distanziertheit und Überlegenheit an den Tag legt, nimmt Zeller jede Gelegenheiten wahr, auf Menschen zuzugehen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, die Nuancen ihres Verhaltens zu studieren. Man spürt, dass er fest entschlossen ist, seine AußenseiterPosition so weit wie möglich aufzugeben, und dass er es genießt, in der „fremden Schönheit“ – wie der Krakauer Dichter Adam Zagajewski es einmal nannte – einzutauchen. Es war zu erwarten, dass diese polnischen Eskapaden – denn es folgten weitere – Michael Zeller zu einem neuen Buch anregen würden. Und so kam es auch: Im Jahre 2003 erschien sein Roman Reise nach Samosch, ein Buch, das, dem Titel zum Trotz, von dem Genre des Reiseromans so weit entfernt ist wie nur möglich. Denn es handelt sich hier wieder einmal um eine Reise

54

in die Vergangenheit, genauer: um das Schicksal dreier Generationen einer deutschen Familie: Ihre Geschichte, durch die sich leitmotivisch die Berührung mit Polen zieht, beginnt während des Zweiten Weltkriegs, endet in der Gegenwart und ist voller folgenschwerer Begegnungen und chancenloser Beziehungen. Die Handlung spielt ebenso in einigen Städten der deutschen Provinz wie in Frankfurt, Krakau und New York. Nur im titelgebenden „Samosch“ (wie die ostpolnische Stadt Zamosc heißt) spielt sie bezeichnenderweise nicht. Mit gutem Grund: Der Ort, der im Roman für die Überlappung der deutschen und der polnischen Geschichte steht – dort war während des Zweiten Weltkriegs der älteste Protagonist, Hellmut Anschütz, stationiert –, ist vielmehr ein Symbol der Sehnsucht nach einem Zustand, der in der Sprache der Väter noch pathetisch „Versöhnung“ hieß, während die Söhne ihn schlicht als „Neuanfang“ bezeichnen und mit ihm entsprechend lässig umgehen: Der jüngste Sprössling der Familie macht sich nämlich auf den Weg nach „Samosch“, doch statt dort – und damit in der Vergangenheit seiner Vorfahren – anzukommen, findet er unterwegs seine eigene, durch eine polnische Studentin reizvoll personifizierte Gegenwart. Um all das zu erzählen, hat Michael Zeller dem Buch eine angenehm einfache, klare Form gegeben: Es ist ausschließlich als Ich-Monolog angelegt, wobei in jedem der fünf Teile eine andere Figur das Wort ergreift. Dieser fünffache Wechsel erlaubt es Zeller einerseits, eine Fülle der Fakten unterzubringen, andererseits durch sprachliche Meisterschaft zu glänzen: In dem jeweiligen Stil der fünf Monologe, sprich: in der Ausdrucksweise, Intonation und Assoziationswelt jeder Figur, spiegelt sich eine andere Epoche der deutschen Kriegs- und Nachkriegsrealität wider. Ein schönes Buch, von den mir bekannten das schönste. Das Nachbarland Polen ist also im Laufe der letzten zwanzig Jahre zu einem dauerhaften gedanklich Dialogpartner, sozusagen, von Michael Zeller geworden. Was nicht bedeutet, dass sie ihn jedes Mal zu einem eigenständigen Buch inspiriert. Oft vermischt er polnische und nichtpolnische Schauplätze und Motive. Wie

zum Beispiel in dem Band Und nächstes Jahr in Jerusalem, dessen „Geschichten am Weg“, wie er sie nennt, zwischen Israel, Deutschland, Amerika und Polen spielen. Und das bedeutet auch nicht, dass ihn kein anderes osteuropäisches Land interessiert. Im Sommer 2004 etwa hat er sich nach Bosnien aufgemacht, um in Sarajevo und an manchem anderen Ort in den Alltag einzutauchen. Das Ergebnis war der schmale Band Granaten und Balladen, ein aus kurzen Skizzen und Betrachtungen bestehendes „bosnisches Mosaik“, wie es im Untertitel heißt. Es erzählt vom Leben in einem Land, in dem die Menschen das Trauma des Krieges zu vergessen und sich in dem veränderten Europa zurechtzufinden versuchen. Michael Zeller begegnet ihnen, wie immer, offen und aufmerksam und schreibt über sie voller Objektivität und Empathie zugleich. Mag sein, dass darin ein Widerspruch liegt, doch Widersprüchliches scheint ihn ohnehin seit eh und je zu faszinieren. Auch danach sucht er gern in osteuropäischen Gefilden. Das bewies er vor Kurzem erneut: als Herausgeber des Bandes Zwischen den Fronten, einer gekürzten Fassung der Kriegstagebücher von Gerhard Nebel – einem heute zu Unrecht vergessenen Schriftsteller (und 1950 Träger des ersten Kunstpreises der Stadt Wuppertal). Nun liegen diese Tagebücher, die lange Zeit als verschollen galten, in einem Band als Neuausgabe wieder vor. Und diese editorische Großtat ist Michael Zeller zu verdanken. Ich bezweifle allerdings, dass er von uns Dankbarkeit erwartet. Denn eine der Eigenschaften, die mich persönlich – um an den Anfang meiner Ausführungen anzuknüpfen – an Michael Zeller immer wieder überrascht, ist sein Mangel an Eitelkeit. Wie heißt es doch bei Andreas Gryphius? „Du siehst, wohin du siehst nur Eitelkeit auf Erden. / Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein.“ Für unseren heutigen Preisträger gilt es mit Sicherheit nicht. Genieß also den Preis. Und ich freue mich mit Dir und gratuliere Dir ganz herzlich. Marta Kijowska


Something Stupid oder Molière mit Selfie „Der Menschenfeind“ Amüsement mit Biß – frei nach, aber dicht bei Molière Neu gefaßt von Claudia Sowa Inszenierung: Claudia Sowa Bühne: Peter Strieder Kostüme: Lolita Erlenmaier Licht & Ton: Nils Blumenschein Regieassistenz: Kim Preyer Besetzung: Björn Lukas (Alceste) Célimène (Verena Sander) – Aydin Isik (Philinte) – Anne Schröder (Eliante) – Björn Lenz (Oronte/Alcaste) – Claudia Sowa (Arsinoe)

... nach dem Sonett. v. l.: Björn Lenz, Aydin Isik, Björn Lukas Foto: Frank Becker

Vorspiel auf dem Theater Schon allein das schlagfertige „Vorspiel auf dem Theater“ zwischen Alceste und Philinte sowie mit dem pseudolyrischen Fant Oronte vor geschlossenem Vorhang, nur eine Armlänge vom Publikum, hätte den Besuch des „Menschenfeind“ im WTT gelohnt. Hier zeigten drei Schauspieler im nahtlosen Übergang die Verschmelzung des Mimen mit der Rolle. Ein Bonbon. Der erfolgreiche Dichter Alceste (Björn Lukas), der sich nach lautstarkem Bekunden nur der Wahrheit verpflichtet sieht, tatsächlich aber ein undiplomatischer, rechthaberischer Wadenbeißer ist, steckt seinem Naturell geschuldet in mancherlei Dilemmata. Wegen Mißbrauchs des eigenen Namens durch einen Dilettanten liegt er mit jenem vor Gericht – und beleidigt den Richter. Von dem eitlen poetischen Stümper Oronte (Björn Lenz), dem er wie gefordert, aber nicht erwünscht, den ehrlichen, vernichtenden Kommentar zu dessen

Sonett gibt, wird er seinerseits wegen Ehrabschneidung vor Gericht gezerrt. Und dann ist da noch die zauberhaft kokette Célimène (Verena Sander / heute Abend: Lola Blau), die er zu lieben glaubt, die aber leichtfertig mit seinen Gefühlen (und denen aller anderen) ihr höfisches Spiel treibt. Was braucht es mehr, um einen Mann endgültig zum Misanthropen zu machen? Björn Lukas gibt dem gradlinig Figur und Ausdruck, ein Alceste, so gültig heute wie 1666. Allerbeste Unterhaltung Molières Komödie ohne Happy End bietet eben auch 350 Jahre später reichlich Stoff für eine Gesellschaftssatire, weil sich Wahrheit und Verstellung im sozialen Miteinander, das sie geistreich durchleuchtet, hier am Beispiel der Upper Class, nicht geändert haben. Claudia Sowa hat den Text auf der Basis der Enzensberger-Übersetzung deutlich eleganter, um einiges gekürzt und leichtfüßiger bearbeitet, den Stoff samt der

55


angeprangerten Dekadenz mit gehörigem Pfiff auch ins sprachliche Heute übertragen, ohne auf das entscheidend wichtige Versmaß zu verzichten und in opulenter Ausstattung (Bühne: Peter Strieder / Kostüme: Lolita Erlenmaier) für das Westdeutsche Tournee Theater inszeniert. Durch die originelle Verschmelzung des gepuderten barocken Bildes mit technischem Heute (Plattenspieler, Telefon, Türklingel, DigitalSelfie) und das Einbringen übermütiger Choreographien zu Raffaella Carràs „Far l´amore“ und Sinatras „Something Stupid“ (hörenswertes, göttlich schiefes Duett Philinte/Eliante) hat der Klassiker ein Format bekommen, das generationenübergreifend allerbeste Unterhaltung bietet. Komödianten Das Ensemble entfaltet trotz auf sieben Rollen für sechs Schauspieler geschrumpftem Personal mit viel Spielwitz die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Heucheleien und Intrigen unter der Leuchtschrift

56

„Ego“ wie beim Schlürfen der Hausmarke gleichen Namens. Zwischen den lautstarken verlogenen Freundschaftsbekundungen allenthalben (unser Alceste natürlich ausgenommen) entspinnt sich ganz leise eine zarte Liebe zwischen dem derben Philinte, Alcestes einzigem wirklichen Freund und der zagen Eliante, die von Anne Schröder ganz zauberhaft stammelnd gegeben wird. Komödianten sind sie alle, durch und durch. Björn Lenz darf das gleich zweimal beweisen, in dem pikierten Oronte nämlich und dem Travolta-Verschnitt Acaste – und besteht in beiden Fällen, zum großen Amüsement des Premierenpublikums im ausverkauften Saal. Den Vogel allerdings schießt Regisseurin Claudia Sowa als Arsinoe ab, eine vertrocknete, frömmlerische alte Jungfer, nichtsdestoweniger fiebernd notgeil, im elisabethanisch streng hochgeschlossenen schwarzen Gewand. Ihre Auftritte, in denen sie mit ungeheurer Bühnenpräsenz die Szene durch kleinste Gesten, die Spra-

che des Körpers, feinste Mimik, mit dem raschen Auf und Ab von Stimmung und Stimme sowie spitzen „Huchs“ beherrscht, wurden zu den gefeierten Höhepunkten des Abends. Von der Kunst der leisen Andeutung bis zum rauschenden Abgang spielt sie köstlich überschminkt die ganze Klaviatur des Theaters. Es gibt auch eine Vorstellungen zu Silvester im WTT. Frank Becker Westdeutsches Tourneetheater Remscheid Weitere Info: www.wtt-remscheid.de

v. l.: Björn Lenz, Verena Sander, hinten: Björn Lukas, Aydin Isik, Anne Schröder Foto: Frank Becker


Gedankenstriche Julia malt graue Schatten um die Buchstaben auf dem Umschlag ihres gelben Reclamheftes. Wenn man an alle Ecken der Zeichen kurze Striche wie Accent aigus malt und diese miteinander verbindet, werden die Buchstaben dreidimensional. Und Buchstaben von ihrer Zweidimensionalität zu befreien, hat etwas Beruhigendes, findet Julia. Sie ist gerade dabei, dem O... Leben einzuhauchen, als der Professor erklärt, dass das O ein Symbol für die Schwangerschaft Marias darstellt. Sie malt dem O Augen und einen geraden Strich als Mund, denn sie möchte keinen schwangeren Bauch auf ihrem Reclamheft.

Marina Jenkner

Gerade als sich Julia dem Titel der zweiten Erzählung graphisch zuwenden will, hört sie ihre Mitstudenten blättern und sie fragt ihre Nachbarin nach der Seite. Mitte von fünf, erfährt sie, schlägt auf und überlegt, ob die Buchstaben zu klein sind, um sie zum Leben zu erwecken. Der Satz in der Mitte, um den es geht, umfasst nur vier Zeilen und scheint auf den ersten Blick harmlos. Aber der Satz ist skandalös, besonders für das 19. Jahrhundert, hört sie den Professor sagen, und dann, dass man es hier mit dem gewaltigsten Gedankenstrich der Literaturgeschichte zu tun habe. Mit dem Gewalt-igsten, sagt er und freut sich über sein Wortspiel. Julia liest den Satz: „Hier – traf er, da bald darauf ihre erschrockenen Frauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen; versicherte, indem er sich den Hut aufsetzte, daß sie sich bald erholen würde; und kehrte in den Kampf zurück.“ Der Professor redet von dem Kunstgriff Kleists, eine Vergewaltigung auf diese Art und Weise zu umschreiben, und Julia beschließt, die Buchstaben nicht zum Leben zu erwecken. Und das F steht in älteren lyrischen Werken für den überführten Täter, erläutert der Professor. Julia hält krampfhaft ihren Bleistift und unterstreicht den Satz. Sie liest ihn noch ein zweites und ein drittes Mal. Der Professor spricht über die Macht der patriarchalischen Gesellschaft, über Graf F... als Repräsentant des Krieges und über das Gewalt- und Kriegsvokabular. Julia möchte aufspringen

und hinausrennen, aber sie sitzt starr auf ihrem Stuhl und traut sich kaum zu atmen. Dass sie sich bald erholen würde. Als ob das so einfach wäre. Und überhaupt, was ergötzt sich der Professor eigentlich so an diesem einen Satz? Hört das denn nie auf? Da hilft nur Kühnheit und Gewalt; allein wenn sie die Fäuste ballt. Indes ich führe weiter Krieg, erkämpfen will ich mir den Sieg. Liebesdichtung des Mittelalters ist das. Tactus et actus. Und schließlich muss ich Zutritt mir erzwingen. Militia veneris, Kriegsdienst für die Liebe – der Begriff stammt von Ovid. Julia bohrt die Spitze ihres Bleistiftes durch die Seiten ihres Reclamheftes. Es sind ja doch alles nur Gedankenstriche. Das sind die Tore durch die es sich immer wieder einschleicht. Dabei hat es hier nichts zu suchen. Man hatte ihr damals gesagt, dass es lange dauern würde. Dass es vielleicht ein Leben lang wiederkehren würde. Sie hatte sich daraufhin in die Schwebebahn gesetzt und war den ganzen Tag hin und her gefahren. Die Talachse entlang von Vohwinkel nach Oberbarmen und wieder zurück und wieder hin und wieder zurück. Das monotone, immer gleiche Rattern hatte etwas Beruhigendes und solange sie dort oben schwebte, hatte sie das Gefühl, über den Dingen zu stehen und sich nicht mit den Problemen in der Welt unter ihr auseinandersetzen zu müssen. Es war ein heller, sonniger Tag gewesen, aber sie hatte das Wetter als scheinheilig empfunden. Auch heute zeigt sich der Himmel wolkenlos. Julia blickt aus dem Fenster. Sie starrt durch die Scheibe hindurch und doch nicht dahinter. Die Stimme des Professors scheint Julia in weiter Ferne. Ihr ganzer Körper ist auf einmal wie taub und sie fühlt nichts mehr. Völlige Gleichgültigkeit. Julia kommt alles unwirklich vor, vollkommen losgelöst. Als wäre sie selbst gar nicht real. Sie hätte Lust, sich die Spitze des Bleistiftes in die Haut zu bohren. Dann wäre da wenigstens der Schmerz, an den sie sich halten könnte, und der ihr das Gefühl geben würde, zu existieren. Lieber Schmerz als dieses Nichts. Aber in ihrer absoluten Passivität

57


scheint ihr selbst zum Heben des Bleistiftes die Kraft zu fehlen. Es ist das Rücken der Stühle, das Julia in die Uni zurückholt und ihrem Körper wieder Leben einhaucht. Ihre Kommilitonen verlassen den Raum, der Professor sammelt seine Bücher und Gedankenstriche zusammen und tut es ihnen gleich. Julia bleibt noch einen Moment sitzen, blickt durch den leeren Raum. Dann packt sie ihre Tasche und steht auf. Sie nimmt ihr Reclamheft und betrachtet die Titelbuchstaben, denen sie Leben eingehaucht hat. Sie hätte es nicht tun sollen. Beim Rausgehen wirft sie das Heft in den Papierkorb neben der Tür. Der Flur ist lang und fahl das Licht. Wie immer zählt Julia in Gedanken die Schritte bis zur Tür. Mit Zahlen im Kopf fällt es ihr leichter den langen Gang zu durchqueren. Am Ende des Flures hält sie inne. Was kann Kleist denn dafür, denkt sie und kehrt um. Gelb liegt er zwischen zerknüll-

58

tem Papier und dem Kerngehäuse eines Apfels. Sie befreit ihn aus dem Eimer und legt das Heft auf einen Tisch. Schnell verlässt sie den Raum und zählt wieder die Schritte bis zur Flurtür. Vielleicht möchte es jemand anderes lesen, der kein Problem damit hat. Marina Jenkner Fotos: John Oechtering

Marina Jenkner geboren 1980 in Detmold 1999 Abitur in Detmold lebt seit 1999 in Wuppertal 1999 - 2004 Studium der Germanistik, Kunst- und Designwissenschaften und Architektur an der Bergischen Universität Wuppertal. Literaturwissenschaftliche Magisterarbeit zum Thema „Baustelle Berlin - Reflexionen eines Umbruchs in Literatur und Film“ 2004 Abschluss als Magistra Artium Praktika und Nebentätigkeiten in verschiedenen PR- und Werbeagenturen seit 2005 Arbeit als Texterin, seit 2006 freiberufliche Texterin, Schriftstellerin und Filmemacherin Künstlerische Tätigkeiten: 2006: Lyrik-Foto-Band „WUPPERlyrik“ 2007: Kurzgeschichtenband „Nimmersatt und Hungermatt“ Lesungen und Schreibworkshops in Schulen, seit 2001: 21 Kurzfilme und den Langspielfilm „Blaue Ufer“ Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS), seit 9/2014 Sprecherin des VS Wuppertal


Red Hook, NYC Kings County, New York: Pioneers und Entrepreneurs Voraussagen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Diese Woody Allen und gelegentlich auch dem Baseball-Spieler Yogi Berra zugeschriebene Einsicht ist einer der wichtigeren Gründe, warum Unternehmer – allen voran erfolgreiche Unternehmer – von ihren weniger risikofreudigen Zeitgenossen bewundert und vielleicht auch manchmal beneidet werden. Im Heimatland des unternehmerischen Wagemuts bedient man sich dieser Tage einer der französischen Sprache entliehenen und fast nur mit dem Unterton der Bewunderung auszusprechenden Bezeichnung: Entrepreneur. Früher hätte man vielleicht vom Pioneer gesprochen; dazu gleich noch ein Beispiel.

Der Entrepreneur, so könnte man sagen, macht Voraussagen auf einen bestimmten Lauf der Dinge in der Zukunft und sieht Chancen, wo andere eher Risiken sehen. Die Entwicklung von Red Hook gibt hierfür einiges Anschauungsmaterial. Red Hook liegt in Kings County, also in Brooklyn und damit im bevölkerungsreichsten der fünf Stadtbezirke von New York City. Die Ortsbezeichnung geht auf das holländische Roode Hoek zurück und meint zum einen den durch rote Tonerde geprägten Boden, zum anderen die geographische Form einer Ausbuchtung, gleich gegenüber der größten Insel im natürlichen Becken des New Yorker Hafens. Dadurch gewann Red Hookwährend des Zeitalters der Kanonen an strategischer Bedeutung. Während der Revolutionskriege baute man darum ein Fort, nannte es “Fort Defiance”, was man frei mit Trutz- oder Trotzburg übersetzen könnte. Historiker schwärmen heute noch von den überaus wirksamen Geschützen der Festung in Red Hook. Das Zeitalter der Industrialisierung brachte dann Eisen und Stahl nach Red Hook,

sehr prominent ab den 1860er Jahren in Gestalt der Firma Pioneer Iron Works. Sie waren Pionier in der Stahlverarbeitung und noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutende Hersteller großer und größter Konstruktionen, die oft in den angrenzenden Brooklyn Navy Yards zu fertigen Schiffen verbaut werden konnten. In diesen Jahren etwa einen Handel mit Schrauben oder Unterlegscheiben zu betreiben, hätte weder als sonderlich innovativ, noch als unternehmerisch riskant gegolten. Dazu bedurfte es dem gelegentlich mit „Strukturwandel“ bezeichneten Aussterben ganzer Produktionszweige in den USA seit den 1970er Jahren und der folgenden Entstehung industrieller Brachen. Ob es in den 1980er oder 1990er Jahren unternehmerische Versuche einer Re-Industrialisierung gegeben hat, ist nicht überliefert. Wenn ja, waren sie nicht erfolgreich. Als eine der ersten folgenreichen unternehmerischen Entscheidungen in der jüngeren Geschichte Red Hooks gilt hingegen 2006 die Eröffnung einer Filiale

59


der aus Manhattan stammenden Lebensmittelkette Fairway, einem Pionier des Einzelhandels. Fairways Slogan “Like No Other Market” könnte man vielleicht auch bei IKEA auf Reklameschildern lesen. Die 2008 in Red Hook eröffnete Niederlassung des schwedischen Möbelhauses wurde rasch sehr erfolgreich und zählt mittlerweile zu den fünf umsatzstärksten Filialen weltweit. Mit IKEA kam auch eine neue Verkehrsanbindung nach Red Hook, die von NY Waterway betriebene IKEA-Fähre. Sie ergänzte die 2008 bereits zwei Jahre bestehenden direkten Seewegverbindungen von Red Hook ins englische Southampton bzw. deutsche Hamburg, denn seit 2006 legt die im Linienverkehr der Cunard fahrende Queen Mary II in New York nicht mehr in Manhattan an, sondern fährt zum Brooklyn Cruise Terminal am Ende der Pioneer Street. Die Queen Mary ist zwar für den ÖPNV nicht so relevant wie die IKEA-Fähre, doch ist auch sie ein sichtbares Zeichen der Renaissance von Red Hook, das nahverkehrstechnisch einstweilen nur durch die beiden Buslinien B61 und B77 erschlossen ist. Neben Makro-Entrepeneuren wie Fairway, Cunard oder Ikea, vielleicht sogar durch diese ermutigt, sieht Red Hook seit einigen Jahren eine dynamische Blüte von Klein- und Kleinstunternehmungen Zum Beispiel Thomas Warnke. Thomas Warnke kam 1999 mit einem Stipendium des DAAD nach New York, um an der Parsons School of Design seinem Architektur-Diplom der Fachhochschule Hamburg noch einen Master hinzuzufügen. Ihn faszinierte an Parsons einerseits die an deutschen Fachhochschulen eher untypische Integration von bildender Kunst und Design in die Architektur, andererseits hatte er durch zwei Berufsjahre in Hamburg bereits genügend Bodenhaftung. Schließlich lernte er rasch die frische unternehmerische Luft der Stadt lieben. Er ist – wie so viele – in New York geblieben und hat seinen Weg oben: Red Hook: in guten wie in schlechten Zeiten Mitte: Pioneer Iron Works: heute Center of Arts and Innovation unten: Fairway: Like no other Market

60


gemacht. Einen Weg, der zunehmend den Geist von Entrepreneur und Pioneer verband. 2008, unmittelbar vor der Wirtschaftsund Finanzkrise, kaufte Thomas sein erstes Haus. “Charming 2 Story Carriage House from 1899 – Needs TLC”, $760.000, stand in einer Anzeige auf Craigslist, dem Schwarzen Brett des 21. Jahrhunderts. $760.000 war ebenso rasch verstanden wie das Baujahr. Ein zweistöckiges, ehemaliges Kutschenhaus war beim ersten Vorbeifahren mit dem Fahrrad zu erkennen gewesen und nach einer Begehung mit dem Verkäufer wurde auch klar, was sich hinter “charming” und der Abkürzung “TLC” verbirgt. TLC heißt ausgesprochen “tender loving care” und so umsorgen Eltern in der Regel ihre an Grippe erkrankten Kindern. In der Immobilienbranche benutzt der Verkäufer die Kombination beider Attribute eigentlich nur dann, wenn er den Wert des Objektes mit Grundstückspreis minus Abrisskosten umschreiben möchte. Doch Abriss stand für Thomas nicht zur Debatte. Dazu ist er zu sehr Architekt und Visionär. Die Umsetzung der Visionen schlugen noch einmal mit etwa $250.000 für Materialkosten und Fremdleistungen zu Buche. Um das notwendige Maß von Selbstausbeutung und Leidensfähigkeit beim Leben auf der Baustelle hüllt er mittlerweile lieber den Mantel des Vergessens, denn im Sommer 2010 waren die Arbeiten zum Abschluss gekommen und Thomas lebte in einem Haus, für das ein Käufer wenig später $1,55 Mio. zu zahlen bereit war. Das ließ dann auch die Selbstausbeutung wieder in einem anderen Licht erscheinen und legte den nächsten Schritt nahe: den Kauf eines weiteren Objektes mit Spielraum für Visionen; wegen des geringen finanziellen Rahmens wieder “in need of TLC”. $730.000 war 2012 der Einstiegspreis in die zweite Unternehmung. Sanierung und Ausbau schlugen mit weiteren oben: Erfolgreiche Kleinunternehmen: Restaurant Botanica neben Cacao Pietro Mitte: Caco Pietro: Schokoladenmanufaktur in Red Hook unten: 161 Goffey Street: große Fenster und elegante Korrosion

61


$270.000 zu Buche und bereits im Juli 2013 entschied sich Thomas gegen $1,3 Mio. für einen Ausstieg, denn für eine deutlich bessere Preisentwicklung fehlte dem Haus etwas an „Qualität der Lage“.

62

Zudem war ihm ebenfalls 2012 ein anderes Haus in deutlich besserer Lage und ebenso deutlich unter Marktwert angeboten worden. Ein Haus, das, nach seiner nun auch an der rauen Wirklichkeit gehärteten Einschätzung, einen aufwändigeren Umbau durchaus lohnen würde. Thomas‘ drittes Haus,

nun auf der Coffey Street, ist inzwischen fertig geworden und es ist vorsichtig ausgedrückt nicht weniger als spektakulär. Zwei seiner ästhetischen Vorlieben sind gleich auf den ersten Blick zu sehen: korrodierter Stahl und große Fenster. Den architektonischen Clou zu sehen, braucht es allerdings eine


oben: Souterrain als Wohnbereich: hier lassen sich lange Kaminabende genießen

nebenstehende Seite oben links: Innovation oder Wiederentdeckung? Toilette im Treppenhaus oben Mitte: Skulptur oder Beleuchtung? Lichtleiste im Treppenhaus oben rechts: Landhaus in der Stadt: Gartenansicht von 161 Coffey Street unten: Eingangsebene: Altes kombiniert mit Warnke-Entwürfen

Einladung einzutreten. Erst dann fällt das um 90 Grad gedrehte, in die Gebäudemitte verlagerte und ganz in Stahl gehaltene Treppenhaus auf. Es nutzt nicht nur die schmale Gebäudefläche deutlich besser als die auf solchen Grundrissen üblichen “Railcar Apartments”, wo die zentraleren Räume Durchgänge zu den Räumen auf beiden Stirnseiten bilden. Es bietet auch Raum für die dezenten Toiletten und die Möglichkeit das ganze Treppenhaus mit einer durchgehenden Leiste von Leuchtstoffröhren zu beleuchten, wie sie sich Dan Flavin wohl nicht besser hätte ausdenken können. Die einzelnen Räume verspringen gegenüber dem Treppenhaus jeweils um eine halbe Etage, wirken wie funktional getrennte Kuben und bleiben dennoch optisch mit einander zu einem Gesamteindruck verbunden. Die an sich eher bescheidenen Grundflächen setzen sich dabei in viele Außenflächen – Gärten, Balkone und Terrassen – fort, die ihrerseits Thomas‘ Liebe zum Detail und seine Präferenzen für Materialien zeigen, die lieber elegant verwittern, statt ihrer Umwelt die hochglanzpolierte Stirn zu bieten. Die Aussicht vom Dachgarten auf

den Freedom Tower in Downtown Manhattan ist dann schlicht „priceless“, wie man hier so sagt, und doch trudeln bei Thomas bereits Anfragen ein, beim Aufruf welcher Zahl er den Möbelwagen bestellen würde. Im Augenblick möchte er allerdings erst einmal die Situation genießen, gelegentlich zu einem Barbeque in den Garten einladen und die Räume auch als Ausweis seiner Fähigkeiten und künstlerisch-gestalterischen Visionen nutzen. Vielleicht sagt aber bald schon jemand „vier“. Dann würde sich Thomas vermutlich im benachbarten Quartier Gowanus nach einer neuen Herausforderung umschauen. Bis es soweit ist, wird er neugierige Gäste zu den Kernöffnungszeiten des Einrichtungshauses von der IKEA-Fähre abholen, ihnen das 2011 eröffnete Pioneer Works Center for Arts and Innovation und die dortigen Kunstausstellungen zeigen, wird sie wahlweise den in der lokalen Distille Widow Jane gebrannten Whiskey oder die nebenan produzierte Schokolade probieren und schließlich auch noch einen Blick auf die wohl nicht mehr allzu ferne Zukunft werfen lassen.

63


oben: Mann mit Hund: Thomas Warnke oben rechts: Priceless: Blick vom Dachgarten auf die Skyline von Downtown Manhattan unten rechts: Keine Angst vor IKEA: Küchenzeile in der 161 Coffey Street

Gleich neben dem Brooklyn Cruise Terminal entsteht nämlich in einem der riesigen und noch leer stehenden Lagerhäuser ein Komplex mit Lofts, 60 an der Zahl, in der ersten Ausbaustufe und noch viel, viel Platz für mehr. 160 Imlay Conversion heißt es etwas nichtssagend nach der Straßenadresse 160 Imlay Street. Mit dem Bezug der ersten Einheiten werde laut Prospekt für 2016 gerechnet und die bislang geplanten Eigentumswohnungen seien bereits zu mehr als 70% verkauft. Wäre das nur einigermaßen zutreffend, würde sicherlich als einer der nächsten Schritte ein regelmäßiger Service von NY Waterway angeboten und der Immobilienmarkt damit richtig Fahrt aufnehmen; wie zuletzt schon in Williamsburg und Long Island City.

64

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, der regelmäßig jedes Jahr durch die HurricanSeason führt. Wem jetzt die Frauennamen Kathrina, Irene und Sandy in den Sinn kommen, liegt sicher nicht völlig falsch, denn tropische Wirbelstürme mit diesen Namen haben an der US-amerikanischen Ostküste in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen gesorgt und das Akronym FEMA landesweit bekannt gemacht. FEMA steht für “Federal Emergency Management Agency” und die Meinung von FEMA zu Red Hook lautet schlicht “Flood Zone A”. Bei Sandy hieß das Zwangs-Evakuierung, vollgelaufene Keller und Wasserwege, wo kurz vorher noch Straßen waren. In den Diskussionsforen der Wochen nach Sandy war die Rede von langfristiger Aufgabe tiefliegender Regionen wie Red Hook

oder aber Flutschutzmaßnahmen, für die freilich die notwendigen Finanzmittel noch zu suchen wären. Thomas Warnke sieht das eher entspannt. Für ihn waren die verheerenden Auswirkungen von Sandy eine Verkettung ungünstiger Umstände und kein Zeichen von sprunghaft gestiegenen Risiken in Wassernähe infolge des Klimawandels und somit auch für Red Hook. Wenn er unter schlaflosen Nächten leidet, dann sind die „normalen“ Probleme des Architektektenalltags: Scherereien mit den Baubehörden, Terminverzüge, Kostenüberschreitungen, Handwerkerpfusch. Sorgen also, denen sich auch die Pioniere und Entrepreneure Red Hooks nicht entziehen können.

Stefan Altevogt Fotos: Karl-Heinz Krauskopf


Jazz Was ich von Jazz hielte. Die Frage traf mich wie ein Blitz. Ich fühlte in diesem Augenblick, dass ich schon immer auf diese Frage gewartet hatte. Mit mir würde endlich einer zu Wort kommen, der mit diesem Thema ziemlich objektiv umgehen konnte.

Karl Otto Mühl Karl Otto Mühl wurde am 16. 2. 1923 in Nürnberg geboren. 1929 folgte der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Militär, 1942 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht. Am Carl-Duisberg-Gymnasium holt er 1948 das Abitur nach, danach Werbe- und Verkaufsleiter in Maschinen- und Metallwarenfabriken. Erst in der Mitte der 60er Jahre gelingt es ihm wieder, kontinuierlich zu schreiben. Zwischen 1964 und 1969 entsteht der Roman »Siebenschläfer« (veröffentlicht 1975), mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch. Seitdem veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den Eduard von der Heydt-Preis.

Ich kann nämlich darauf hinweisen, dass ich Jazz kaum kenne, selten gehört habe und schon gar nichts davon verstehe. Wenn es von Geschworenen verlangt wird, ein möglichst distanziertes Verhältnis zur Untat zu haben und sich von Informationen abzuschirmen, nun, ich kann in diesem Falle die gleiche Distanz bieten. Übrigens hatte ich die Frage auch mein Leben lang gefürchtet. Bei jeder Frage, die Musik betrifft, konnte herauskommen, dass ich von Musik überhaupt nichts verstehe. Bisher kommt man in meinem Umkreis nicht auf den Gedanken, weil ich ja manchmal ins Konzert gehe. Nun aber, da ich den Sachverhalt öffentlich zugebe, wird man es freilich merken. Ich muss auch gestehen, dass ich falsch singe, und erschwerend kommt hinzu, dass ich häufig singe. Meine Mutter sang besonders falsch, und zwar immer beim Bügeln; und mein Vater sang ebenfalls falsch, was aber in seinem Gesangverein nicht weiter auffiel. Dafür könnte es mehrere Gründe geben. Auch in der Schule wurde mir meine Unmusikalität bestätigt. Trotzdem musste ich manchmal in Zeugnis-Nähe einige Strophen allein singen, genau wie die Mitschüler. Ich wartete dann kalt vor Entsetzen auf den Augenblick, wo ich vortreten und singen musste. Dies alles möchte ich als Beweis meines objektiven und distanzierten Verhältnisses zur Musik und zum Jazz vorbringen. Um mich auch weiterhin eng an das Thema zu halten, erwähne ich kurz, was ich über Jazz weiß. Obwohl ich damals, vor Jahrzehnten also, beim Sender-Suchen immer über Jazz hinweggedreht habe, um

einprägsame, solide Musik wie »Hörst du mein heimliches Rufen« und dergleichen zu finden, weiss ich doch aus dem kurzen Hinhören, dass die Jungens ein ziemliches Tempo vorlegen. Das scheint mir eine durchgängige Eigenart beim Jazz zu sein. Wenn es Günstiges über Jazz zu sagen gab, so wurde es jedenfalls meiner Generation in den Dreißiger Jahren im HitlerReich versehentlich nicht nahegebracht. Wir Jungen zwischen zehn und achtzehn hörten viel von hassenswerten Menschentypen: Juden, Schiebern, geilen Mönchen, Edelweißpiraten, warmen Brüdern, Roten und – jetzt kommt es: Stenzen, Jimmyboys, Jazz-boys, Swing boys. Bestimmt hörten diese Kerle Jazz. Ich kannte sie nicht, aber es war sicher nicht recht, verderbte Musik zu hören, statt Lehrern und Vorgesetzten Freude zu machen. Ich hatte Freunde, die manchmal rätselhaft lächelten, wenn sie von Bücher- und Schalplatten-Liebhabereien sprachen. Manchmal sprachen sie davon, dass sie abends lange gesessen hätten – sie hätten Schallplatten gehört, Radio gehört – und hier kam das Lächeln. Später begriff ich, dass sie englische Sender angehört hatten. Sie sprachen es nicht aus. Trotzdem fühlten die meisten, dass diese da dem Lasziven, Verbotenen und Verderbten zuneigten, was nicht gut sein konnte. Marschieren und Sport treiben, das gab einem Leben Wert. So kam es, dass Jazz zwar hier und dort erwähnt wurde, aber er schwebte herrenlos im Raum. Angeblich hatte niemand damit zu tun. Ein junger Mann namens Rudi Dohmen verdrängte mich bei meinen Bemühungen um eine Gastwirtstochter namens Milly. Ich kam nicht zum Zuge, übrigens auch andere vor mir nicht. Angeblich trug sie äußerst widerstandsfähige Elastik-Unterhosen, die fest zu ihr hielten und die Bewerber in Verlegenheit brachten. Dieser Rudi, Sohn eines Hoteliers in Hagen, der kam zum Zuge. Von ihm sagte man, dass es bei ihm Partys mit Tanz und

65


Jazz gebe, und das im Kriege. An ihm erkannte ich, dass lose Sitten und Jazz zusammen auftreten können. Erfreulicherweise muss dies auch Milly erkannt haben, denn sie heiratete bald darauf einen Kriegsberichterstatter. Rudi aber führte weiterhin ein lustiges Leben mit Jazz und Tanz, und die Nazis schienen es nicht zu bemerken. Schließlich war die Familie reich und spendabel. Ich bleibe weiterhin beim Thema. Mir fällt ein, dass ich Jazz schon früh im Kino gesehen und gehört habe. In amerikanischer Gefangenschaft sahen wir viele Musikfilme. Ich meine, die Musiker hätten auf mich den Eindruck von lässigen Intellektuellen gemacht, um nicht zu sagen von nachlässigen. Ich meine, sie wirkten sehr spielerisch, also zu unernst. Schon damals fühlte ich, dass man mit so einer Haltung keinen Zugang zu ernsteren und tieferen Gefühlsbereichen finden kann. Dazu bewegte sich an den Spielern ständig etwas, Hand oder Fuß, oder beides, und das wirklich ohne Not. Vom mangelnden Ernst habe ich schon gesprochen. Ich muss aber auch beklagen, dass ich beim Jazz den Zug zur Größe vermisse. In all den Jahren, die meinen ersten Eindrücken folgten, habe ich nie einen hallenden Akkord, nie eine große Geste in Jazz-Musik entdeckt. Es gibt

da einfach keine schönen Stellen wie bei »Freude schöner Götterfunken«, Stellen also, bei denen unsere Gesichter einen edlen Ausdruck annehmen. Was ich dem Jazz ebenfalls vorwerfen muss, ist die Tatsache, dass ich ihm völlig gleichgültig bin. Durch die Klänge der Jazz-Musik empfange ich weder Liebe noch Verwöhnung; sie schnattert ungerührt vor sich hin, und scheint mich nicht zu bemerken. Diese Menschen, die Jazz-Musik machen, erwecken den Eindruck, dass sie mich verachten. Wahrscheinlich haben ihre Vorgesetzten, wenn sie denn solche haben, das gleiche Gefühl. Diese Menschen tun so, als erlebten sie Freiheit, Autonomie, Heiterkeit. Damit setzen sie der Jugend unnötige Flausen in den Kopf, locken mit unerreichbaren und verderblichen Zielen, machen sie die Sekundärtugenden vergessen und dazu auch noch die Pensionsansprüche.

Ich darf zusammenfassen: Jazz ist lieblos, läßt Größe und Ernst vermissen, ist kindisch, spielerisch, flüchtig, vergänglich; also, ich müßte wirklich überlegen, wann und wo Jazz angebracht wäre. Vielleicht nach einer Operation, aus der Narkose erwachend ...? Gedämpftes Fiedeln, Trompeten, Taktschlagen, wie die Laute piepsender und schriller Vögel über einer Lichtung im Zauberwald; geschäftig zwitschernd in Ohnmacht und kindlicher Freude, während sich neue, noch namenlose Gebilde und Organe der Schöpfung unter dem Regenbogen entfalten, so wie sich eine Blüte bewegt und öffnet. Karl Otto Mühl Foto: Frank Becker

Die Jazzer tun so, als seien sie nicht wie wir ständig nach etwas süchtig, und schon gar nicht nach Lob und Anerkennung von maßgebenden Persönlichkeiten. Aber nur mit einem gewissen Maß von solchen Süchtigkeit ist es ja schließlich möglich, Menschen zu nützlichen und disziplinierenden Zwecken heranzuziehen.

Die neue Sento von Occhio: Außen einzigartiges Design, innen revolutionäre L E D-Technologie, kombiniert mit innovativen Bedienfunktionen, höchster Lichtqualität und herausragender Lichtabbildung in einem multifunktionalen System, das gleichermaßen für den Wohn- und Objektbereich geschaffen ist. Die Vielfalt der Sento bietet einzigartige Flexibilität in der individuellen Lichtgestaltung. Somit wird der Umgang mit Licht zur puren Freude. Die Modularität des Systems bietet zudem eine einzigartige Vielfalt: Neben einer umfangreichen Auswahl an Wand-, Decken- und Pendelleuchten stehen Tisch-, Steh- und Leseleuchten zur Verfügung. Das Ergebnis: maximale Gestaltungsfreiheit für den Anwender.

66

perfect light Wir haben das Licht für Sie neu erfunden. Sento – die LED Revolution.

Occhio »next generation« LED: Effizienzklasse A+ / A.

Frank Marschang e.K. Karlstraße 37, 42105 Wuppertal Tel. 0202-24 43 440 info@lichtbogen-wuppertal.de www.lichtbogen-wuppertal.de Di – Fr 10 – 13 Uhr und 14 – 18.30 Uhr Sa 11 – 16 Uhr und nach Vereinbarung


Jean-Laurent Sasportes Ausstellung im ort – Begegnungen Polaroids aus 30 Jahren Der Tänzer Jean-Laurent Sasportes ist nicht nur Mitglied des Wuppertaler Tanztheaters Pina Bausch der ersten Stunde und prägte etliche Stücke entscheidend mit. Er ist auch ein leidenschaftlicher Fotograf, der über einen Zeitraum von zehn Jahren (1985 bis 1995) unzählige Momente und Begegnungen auf Tourneen mit dem Tanztheater und bei eigenen Projekten in Polaroid-Fotografien

festgehalten hat. Prominente Menschen wie Butoh-Legende Kazuo Ohno, Modemacher Yohji Yamamoto, Fotograf Helmut Newton und viele mehr. Pina Bausch und die Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie und andere Künstlerkollegen wie seinen langjährigen Duo-Partner Peter Kowald. Flüchtige Zufallsbegegnungen in einer Flamenco-Bar in Barcelona oder auf einem Markt in der Tschechoslowakei. Ob berühmt oder gänzlich unbekannt spielt für Sasportes keine Rolle - jede Begegnung ist es wert, festgehalten zu werden.

Noch bis Ende des Jahres zeigt die Peter Kowald Gesellschaft im ORT, Luisenstraße 116, eine umfangreiche Ausstellung mit rund 400 Polaroid-Porträts von Jean Laurent Sasportes. Geöffnet ist zu den Veranstaltungen im ORT. Die Ausstellung endet offiziell am 22. November mit einer Finissage (16-20 Uhr). Danach ist sie noch bis Ende des Jahres zu den Veranstaltungen zu sehen. Anne-Kathrin Reif Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

67


Kongeniale Freunde Das Kunstmuseum Bonn erinnert mit einer hinreißenden Doppelausstellung an die Künstlerfreundschaft zwischen August Macke und Franz Marc

August Macke, Gemüsefelder, 1911

68

Trotz der Strahlkraft der Farben und der scheinbaren Unbeschwertheit zahlreicher Bilder ist die aktuelle Ausstellung „August Macke – Franz Marc. Eine Künstlerfreundschaft“ im Kunstmuseum Bonn von Tragik überschattet. Denn sie erinnert im „Themenjahr 1914“ an den

frühen Tod des siebenundzwanzigjährigen August Macke nicht einmal zwei Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges, wie auch daran, dass Mackes Freund Franz Marc im März 1916 ebenfalls Opfer der Waffen wurde. Thema der Bonner Schau ist die exemplarische Freundschaft zweier


linke Seite link: August Macke, Selbstbildnis mit Hut, 1909 linke Seite rechts: August Macke, Bildnis Franz Marc, 1910 links: August Macke, Drei Akte mit blauem Hintergrund, 1910 Mitte: Franz Marc, Akt mit Katze, 1910

Avantgarde-Maler, die 1910 begann und nach viereinhalb Jahren ein jähes Ende fand. Zwischen den beiden Stationen „Erste Begegnungen“ und „Bilder vor dem Krieg“ entwickelt sich über zwei Etagen ein aus neun Etappen bestehender Parcours,

der das Gemeinsame und Trennende dieser beiden Künstlerpersönlichkeiten anschaulich vor Augen führt. Während sich Mackes Werk im Gewand eines farbenflammenden, heiteren Fauvismus, partiell durchmischt mit kubistischen Elementen, darstellt, zeugen manche

Franz Marc, Pferd in Landschaft, 1910

69


70


Bilder Marcs, die alles andere als die Werke eines harmlosen Tiermalers sind, von düsteren Vorahnungen und können zum Teil als Vorboten des Großen Krieges gelesen werden – den der Künstler übrigens für unvermeidbar hielt und als große „Reinigung“ geradezu herbeisehnte, um ein neues „Europa des Geistigen“ möglich zu machen,. Wie sehr der 1880 geborene Franz Marc anfänglich vom Impressionismus beeinflusst war und sich auch am Jugendstil orientierte, wird im ersten Raum der Bonner Ausstellung deutlich. So lässt eine in hellen Tönen gehaltene Aktkomposition von 1909/10, die badende Frauen am Strand zeigt, entfernt an Kompositionen von Ludwig von Hofmann und Ferdinand Hodler denken. Schon früh, gegen Ende des ersten Jahrzehnts, kristallisiert sich in Form von Pferde-, Reh- und Katzendarstellungen Marcs ureigene Thematik, das Thema Tier, heraus. Zur selben Zeit findet der sieben Jahre jüngere, zunächst ebenfalls impressionistisch malende Macke zu erstaunlich kompakten, festen, flächenbetonten und durch kräftige Konturen artikulierten Kompositionen – Landschaften, Stillleben, Figuren – , die ihn als einen Künstler zeigen, der im Begriff ist, Eigenes zu formulieren und sich selbst zu finden. Die Erstbegegnung der Künstler im Januar 1910 in München war der Beginn einer tiefen Freundschaft, in die übrigens die Frauen der Künstler, Maria Marc und Elisabeth Macke, einbezogen wurden. Bei gegenseitigen Besuchen und im Rahmen eines regen Briefwechsels kam es zu einem produktiven Austausch künstlerischer Ideen, der beiden Malern Ansporn und Bereicherung war. Im Jahr 1912 entstand sogar ein Gemeinschaftswerk, als beide Künstler in Mackes Atelier in Bonn gemeinsam das fast vier Meter hohe Wandbild „Paradies“ malten, mit dem sie ihrer Sehnsucht nach einer Welt zum Ausdruck brachten, in der Mensch und Tier, eingebettet in eine intakte Natur, miteinander im Einklang leben (in der Ausstellung als 1:1-Reproduktion). Zu Beginn der 1910er Jahre experimentierten Macke und Marc mit Bildfor-

Franz Marc, Die gelbe Kuh, 1911

71


men des französischen Fauvismus und gelangten, auch unter dem Einfluss des sog. Orphismus von Robert Delaunay, zu einer Reinheit der Farbe, die u. a. das Resultat einer systematischen Beschäftigung mit Farbtheorien war. Im Unterschied zu Macke, der sich im Hinblick auf bildästhetische Kriterien primär für die unmittelbare sinnliche Erscheinungsweise der Farben interessierte, ging

72

es Marc eher um die Farbe als Trägerin symbolischer Bedeutungen oder, anders gesagt, um eine Metaphysik der Farben. In dieser Hinsicht bewegte er sich in der Spur seines Münchner Künstlerkollegen Wassily Kandinsky, der – inspiriert von Theosophie und Anthroposophie – in seinen künstlerischen Arbeiten und theoretischen Schriften nach dem „Geistigen in der Kunst“ strebte und

Franz Marc, Der Tiger, 1912

dieses „Geistige“ in der Abstraktion bzw. in der Gegenstandslosigkeit suchte. Ende 1911 und Anfang 1912 fanden die ersten von Kandinsky und Marc organisierten Ausstellungen der neu gegründeten Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ statt, im Mai 1912 erschien der berühmte


gleichnamige Almanach, ein Programmwerk der Avantgarde, in dem die Kunst der Naturvölker ebenso wie Kinderzeichnungen und bäuerliche Hinterglasbilder als Referenzphänomene für eine „neue Kunst“ aus dem Geist des Ursprünglichen und Unverbrauchten aufgerufen wurden. Macke war mit einem Aufsatz über Masken beteiligt. Im übrigen kam es zwischen Marc und Macke aber zu Unstimmigkeiten , weil sich letzterer weder in einer Ausstellung der Gruppe noch im Almanach hinreichend vertreten fand. Für Kandinsky, den Marc sehr verehrte, fand Macke in einem Brief an den Freund wenig schmeichelhafte Worte. Zwar betonte er, Kandinskys Werke durchaus zu schätzen, doch – so Originalton – „fehlbar ist auch dieser Papst. Und er tut oft wie ein Papst.“ Trotz allem blieben Marc und Macke in unverbrüchlicher Freundschaft miteinander verbunden. Die Kunst Franz Marcs ist spirituelle Vertiefung und Transzendierung, jene August Mackes „Vergegenwärtigung. [...] Macke richtet sich im Diesseits ein, Marc träumt sich hinüber ins Jenseits mit der Kunst als der ‚Brücke ins Geisterreich“ – so der Kurator der Ausstellung Volker Adolphs im Katalog. Es ist diese dialektische Spannung, die die gesamte Ausstellung durchzieht und den Besucher dauernd vor die Frage stellt, ob er sich mehr an Mackes Fest der Farben berauschen oder ob er an Marcs „Wesensschau“ teilhaben soll. Denn Marc ist kein Tiermaler im üblichen Sinne, sondern ein Künstler, der

das Tier als „unverdorbenes“ Naturwesen begreift und bewusst dem zivilisatorisch überformten, vermeintlich vernunftgesteuerten Menschen entgegenstellt. Ja er scheidet, anders als Macke, den Menschen zunehmend aus seinem Motivrepertoire aus und ersetzt ihn konsequent durch Darstellungen von Tieren. Die einfühlende Hinwendung zum Tier entsprach der romantischen Weltsicht des Malers und verweist auf einen zeittypischen antizivilisatorischen Impuls, der sich umstandslos im übergreifenden Kontext der Kulturkritik und der Lebensreformbewegung der Jahre um 1900 verorten lässt. Marcs Pferde, Rehe, Gazellen, Kühe, Füchse, Tiger und all die anderen Tiere präsentieren sich in expressiver, antinaturalistischer Farbigkeit, die in nahezu jedem Einzelfall symbolisch gedeutet werden kann. Dabei spielen neben Blau, der Farbe der Romantik, auch Rot und Gelb als die beiden anderen Grundfarben eine herausragende Rolle, ergänzt durch die Sekundärfarbe Grün als Mischung aus Blau und Gelb. Unter dem Einfluss des Frühkubismus von Picasso und Braque verband Marc ab etwa 1912 die leuchtende Farbigkeit des Fauvismus mit einer facettenreichen geometrisierenden Bildarchitektur (Der Tiger, 1912), und Anregungen des italienischen Futurismus führten bald darauf zu einer stärkeren Rhythmisierung und Dynamisierung der Kompositionen. In den späten Arbeiten aus den Jahren 1913/14 – etwa „Die Vögel“ (1914) – häufen sich spitze, gleichsam splitternde

Formen, die nicht nur die existentielle Gefährdung der Tierwelt signalisieren, sondern wie apokalyptische Ahnungen der heraufziehenden „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts anmuten. Besonders deutlich wird dies in einem der bekanntesten Gemälde von Franz Marc aus dem Jahr 1913, dem der Freund Paul Klee den Titel „Tierschicksale“ gab und auf dessen Rückseite Marc den Text „Und alles Sein ist flammend Leid“ niederschrieb – ein Hauptwerk, das in der Bonner Ausstellung leider fehlt. Abgesehen von August Mackes letzten, in düsteren Farben gemalten Bild „Abschied, Straße mit Leuten in der Dämmerung. Mobilmachung“ (ebenfalls nicht in Bonn) ist bei ihm von den Bedrohungen angesichts des nahenden Krieges nichts zu spüren. In farbenprächtigen Kompositionen zeigt der Künstler flanierende Damen vor Schaufenstern, Spaziergänger an Flüssen, Seen und in Parklandschaften, einen Seiltänzer auf dem Jahrmarkt, Zirkusartisten in der Manege, Menschen und Tiere im Zoo. Die Bilder entwerfen eine harmonisch gestimmte bürgerliche

unten links: August Macke, Hutladen, 1913 unten Mitte: August Macke, Seiltänzer, 1914 unten rechts: August Macke, Blick auf eine Moschee, 1914

73


August Macke, Promenade, 1913

Freizeitwelt, in der Konflikte, Zerstörung und Tod offenbar keinen Platz haben. Dies gilt auch für die zum Teil tektonisch streng gebauten, in glühenden Farben strahlenden Aquarelle, die Macke im Frühjahr 1914 auf der legendären TunisReise (gemeinsam mit den Malerfreunden Paul Klee und Louis Moilliet) schuf und die in der Bonner Ausstellung wie Juwelen aufleuchten. Das ist pure Lust am Sehen und bedingungslose Hingabe an die Farbe. Wenn Paul Klees berühmt gewordener Tagebucheintrag vom 16. April 1914: „Die Farbe hat mich. [...] Sie hat mich für immer. [...] Ich bin Maler“, in ganz besonderer Weise auf einen der

74

drei Tunesien-Reisenden zutrifft, dann auf August Macke. Nach dessen Rückkehr aus Nordafrika folgten Monate intensiven Schaffens, in denen sich der Maler – ähnlich wie Marc – auch mit Möglichkeiten der gegenstandslosen Malerei auseinandersetzte. Doch die Uhr lief ab. Im August 1914 trat Macke in München zum Kriegsdienst an, am 26. September fiel er in der Champagne. Franz Marc, der selbst nicht einmal zwei Jahre später durch Granatsplitter zu Tode kam, schrieb in seinem Nachruf auf den Freund: „Der gierige Krieg ist um einen Heldentod reicher, aber die deutsche Kunst ist um einen Helden ärmer geworden.“

August Macke – Franz Marc. Eine Künstlerfreundschaft Kunstmuseum Bonn Friedrich-Ebert-Allee 2, 53113 Bonn www.kunstmuseum-bonn.de bis 04. Januar 2015 danach vom 28. 1. – 3. 5. 2015 in der Städtischen Galerie im Lenbachbaus München Katalogbuch erschienen im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 360 Seiten, in der Ausstellung 34,– Euro, im Buchhandel 39,80 Euro Rainer K. Wick alle Fotos © Rainer K. Wick


Der Arp ist da! Der Max ist da! Die Künstlerfreundschaft von Hans Arp und Max Ernst in einer Doppelausstellung in Brühl und Rolandseck

Max Ernst Museum Brühl, Blick in die Ausstellung ,Der Arp ist da‘

Kurz nachdem sich der 1891 in Brühl bei Köln geborene Max Ernst im Jahr 1922 in Paris niedergelassen hatte, entstand dort ein großformatiges Bild mit dem Titel Rendezvous der Freunde, auf dem sich der Künstler im Kreise seiner dadaistischen und – späteren – surrealistischen Freunde porträtierte. Er selbst sitzt auf den Knien Dostojeweskis, im Hintergrund erscheinen Raffael als Vollender des Klassischen in der Malerei der italienischen Hochrenaissance und der Begründer der „Pittura metafisica“ Giorgio de Chirico als Vorreiter des Surrealismus. Johannes Theodor Baargeld figuriert als Mitbegründer der Kölner Dada-Gruppe, Paul Éluard, Philippe Soupault, Louis Aragon und André Breton treten als zentrale Figuren der zwei Jahre danach, 1924, gegründeten Surrealisten-Gruppe auf, und am rechten Bildrand hat als einzige Frau Gala Éluard Platz gefunden, die eine Affäre mit Max Ernst hatte und später Salvador Dalí heiratete. Es handelt sich bei diesem Gemälde

um einen kunstgeschichtlich traditionsreichen Topos, nämlich den des Freundschaftsbildes. Berühmt ist etwa das „Mantuaner Freundschaftsbild“ von Peter Paul Rubens (um 1604). Besondere Bedeutung gewann das Freundschaftsbild in der Romantik und im Kreis der sog. Nazarener. Im frühen 20. Jahrhundert sind dann Oskar Kokoschkas Gruppenbild „Die Freunde“ (1917) und Ernst Ludwig Kirchners „Eine Künstlergemeinschaft (Die Maler der Brücke)“ von 1925 hervorzuheben. Was das „Rendezvous der Freunde“ anbelangt, so ist interessant, dass in der zweiten Reihe unmittelbar hinter Max Ernst stehend eine Person auftaucht, die der Künstler im Jahr 1914, noch vor dem Großen Krieg, kennengelernt hatte und mit der er eine lebenslange, mehr als 50 Jahre andauernde Freundschaft pflegte: der Künstler Hans Arp. So ist es sicherlich alles andere als zufällig, dass Ernst im Bild den Freund

75


links außen: Hans Arp im Juni 1954 mit seiner Bronze ,Ptolemäus I‘ (1953) Foto Katalog links: Max Ernst im Juni 1954 mit seiner Bronze ,The King playing with the Queen' (1944) Foto Katalog unten links: Max Ernst, hier ist noch alles in der schwebe, 1920 (,Fatagaga‘, der Text von Hans Arp) unten rechts: Max Ernst, les moeurs des feuilles aus ,Histoire Naturelle‘, 1926

in seiner unmittelbaren Nähe platziert hat. Dem hundertjährigen Jubiläum des Beginns dieser exemplarischen Künstlerfreundschaft ist nun eine Doppelausstellung im rheinland-pfälzischen Arp Museum in Rolandseck und im nordrhein-westfälischen Max Ernst Museum in Brühl gewidmet. Ergänzt durch hochkarätige Leihgaben präsentiert dazu das Max Ernst Museum aus seinen Beständen Arbeiten von Ernst in Rolandseck, das ArpMuseum zeigt repräsentative Exponate aus seiner Sammlung in Brühl. Die

76

Entfernung zwischen beiden Museen beträgt nur rund 40 Kilometer, und ein Besuch beider Ausstellungen lässt sich verkehrstechnisch gut miteinander verbinden, da das Max-Ernst Museum in unmittelbarer Nähe des Brühler DB-Bahnhofs liegt und das Arp-Museum mit seinem eleganten Richard Meier-Neubau sogar über einen eigenen Gleisanschluss verfügt (25 Minuten Fahrzeit mit der Mittelrheinbahn).

Abgesehen von den biographischen Verflechtungen zwischen den beiden Künstlern, die Julia Freiboth und Jürgen Pech in dem voluminösen Katalogbuch minutiös dargestellt haben, sind vor allem die künstlerischen Gemeinschaftsprojekte und Parallelaktivitäten von Interesse, die die Koordinaten der Doppelausstellung in Brühl und Rolandseck bestimmen. Schon Anfang der 1920er Jahre setzte eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem 1886 in Straßburg geborenen Hans Arp und dem fast sechs Jahre


jüngeren, anfänglich den Rheinischen Expressionisten um August Macke nahestehenden Max Ernst ein. So entstanden 1920 vor dem Hintergrund der Erfahrung der Sinnlosigkeit des Krieges die ersten dadaistischen Fatagaga-Collagen – Kollektivschöpfungen, bei denen die Zusammenarbeit der Künstler darin bestand, dass Ernst die Collagen anfertigte und Arp dazu kurze, syntaktisch zum Teil korrekte, semantisch aber äußerst verrätselte Texte verfasste. „Fatagaga“ ist die Abkürzung von „Fa brication de ta bleaux ga sométriques ga rantis“. Und so wie sich in dieser Wortprägung die ganze Absurdität des Dadaismus äußert, die nichts anderes war als der Aufschrei der Künstler und deren Antwort auf den Irrsinn des Weltkriegs und dessen Folgen für Individuum und Gesellschaft, so sind diese Fotomontagen in ihrer Heterogenität und Disparatheit auch im Bildnerischen und Sprachlichen Ausdruck einer fremd gewordenen, unbegreiflichen Wirklichkeit. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Fotocollage hier ist noch alles in der schwebe aus dem Jahr 1920, die, den Surrealismus vorwegnehmend, vor der Himmelsfolie in der Begrifflichkeit Hans Arps einen schwebenden „Skelettfisch“ und einen „Darmdampfer“ zeigt. Max Ernst hat in dieser Arbeit einen Ausschnitt aus dem Foto eines britischen Gasbombenangriffs verwendet, um 180 Grad gedreht und die Giftwolke so angeordnet, dass sie anscheinend aus dem „Schornstein“ des „Darmdampfers“ ausgestoßen wird. Für Max Ernsts 1926 unter dem Titel Histoire naturelle (Naturgeschichte) publizierte Frottagen, GraphitstiftDurchreibungen, die dem surrealistischen Credo vom sog. Psychischen Automatismus sehr nahekamen, schrieb Hans Arp einen kongenialen Einführungstext, der selbst als „literarische Frottage“ (Thomas Lischeid im Katalog) gelesen werden kann, und 1930 schuf Ernst unter Verwendung alter Holzstiche fünf surrealistische Collagen zur Illustration des Gedichtbandes weisst du schwarzt du von Hans

Arp, deren stilistische Verwandtschaft mit seinen berühmten Collageromanen aus den späten 1920er und frühen 1930er Jahren unverkennbar ist. 1939 folgte unter dem Titel L’homme qui a perdu son squelette (Der Mann, der sein Skelett verlor) ein literarisches Gemeinschaftsprojekt, an dem nicht nur Arp und Ernst mitwirkten, sondern an dem auch andere Dadaisten und Surrealisten wie Marcel Duchamp, Paul Éluard sowie Leonora Carrington beteiligt waren und das als Produkt eines aus dem Unbewussten gespeisten kollektiven Schreibprozesses auch aus produktionsästhetischer und kunstsoziologischer Sicht von besonderem Interesse ist.

Hans Arp Fleur-marteau, Formes terrestres 1916

77


Im Jahr 1954 erhielten auf der XVII. Biennale in Venedig als Anerkennung für ihr Lebenswerk Hans Arp den Großen Preis für Skulptur, Max Ernst den Großen Preis für Malerei (obwohl er in Venedig auch Skulpturen ausstellte) und Joan Miró den Großen Preis für Grafik. Im Zentrum der aktuellen Doppelausstellung stehen nun, 50 Jahre danach, in Brühl Arbeiten von Arp und in Rolandseck Arbeiten von Ernst, die auf der Biennale präsentiert wurden. Neunzehn der seinerzeit in der Lagunenstadt gezeigten vierundzwanzig Werke von Hans Arp bilden den Kern der Brühler Ausstellung – Freiplastiken und bemalte Holzreliefs mit frei fließenden, biomorphen Formen, wie sie typischer für das Œuvre des Künstlers nicht sein könnten. Was hier dem Kurator Jürgen Pech gelungen ist, ist eine bemerkenswerte Teilrekonstruktion der damaligen Schau, die auch auf der Grundlage erhaltener alter Fotos möglich wurde. Im Unterschied dazu sind dokumentarische Fotografien der Abfolge der Werke von Max Ernst an den Wänden und der Aufstellung der in Venedig ausgestellten Steinskulpturen und Bronzeplastiken des Künstlers nicht überliefert, so dass für die Präsentation in Rolandseck der Aspekt einer historischen Rekonstruktion nicht maßgeblich sein konnte. Neben bedeutenden Gemälden von Ernst aus den 1940er bis 1960er oben: Max Ernst, Un abgrégé d'histoire universelle, 1953 links außen: Hans Arp, Fruit de pagode sur coupe, 1934 links. Hans Arp, Ptolémée, 1953 rechte Seite oben: Max Ernst, Jeune femme en forme de fleur, 1944 rechte Seite unten: Max Ernst, The King playing with the Queen, 1944

78


lerfreundschaft, die als die längste, spannendste und facettenreichste des 20. Jahrhunderts gelten kann. Rückblickend erinnerte sich Max Ernst nach mehr als 40 Jahren an seine Erstbegegnung mit Hans Arp 1914, beide hätten sich damals „an der Hand“ genommen“ und einen „Freundschaftspakt“ geschlossen, der erst mit dem Tod von Arp im Jahr 1966 sein Ende fand. Rainer K. Wick

Jahren zeigt das Arp Museum auch einige herausragende Plastiken, u. a. die eindrucksvolle Bronze The King playing with the Queen von 1944. Zu einer letzten großen Parallelaktion von Arp und Ernst kam es im Jahr 1960 in einer Doppelausstellung der beiden Künstler in der Kölner Galerie Der Spiegel, die einmal mehr die geistige Verwandtschaft der beiden Freunde und eine Vorstellungswelt aufscheinen ließ, die durch das Spielerische, durch Humor und feine Ironie geprägt war. Es handelte sich um ein Ereignis, das – so Jürgen Pech im Katalog – zu einem „Fest der Freundschaft“ wurde. Einer Künst-

Max Ernst Museum Brühl des LVR Max-Ernst-Allee 1, 50321 Brühl Arp Museum Bahnhof Rolandseck Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen bis 22. 2. 2015 Katalogbuch „Der Arp ist da! Der Max ist da!“, 352 S., 39,90 Euro, ISBN 978-3-944453-03-3 Mit Ausnahme der Porträtaufnahmen von Hans Arp und Max Ernst alle Fotos © Rainer K. Wick

79


80


AUFBRUCH Reden gegen Nebelw채nde sprachlose Stadt im Morgenrauch Geheimnisse hinter grauem Vorhang Dunstgeister spielen Blinde Kuh Apoll verschiebt die Nebelfetzen Stadtahnung in tr체bem Dampf Nebelschleiertanz der Geister Lichtgestalten brechen Grau Talstadtmomente breiten sich aus Dunstgeister ziehen hinter die Berge Hochfenster spiegeln Morgensonne und ich werfe meine Worte in den Wind. Marina Jenkner

Elisabeth Heinemann, Foto: Regenstimmung

81


Freund Hein Keine Abrechnung, keine Bilanz Kennen Sie das auch, daß Sie manchmal lange um ein Buch herumschleichen, zögern, mit der Lektüre zu beginnen, den durch den Klappentext bereits sichtbaren Faden aufzunehmen? Es mag verschiedene Gründe dafür geben - sei es, daß Sie sich an den Stoff seiner Größe wegen nicht herantrauen, sei es, daß Sie dem Thema oder dem Autor zu nahe sind und es scheuen, durch das Überschreiten einer Tabu-Grenze zu tief in dessen Fühlen einzudringen. So erging es mir mit Michael Zellers jüngstem Buch, seiner literarischen Familienaufstellung „BruderTod – Ein Kinderleben“.

Michael Zeller „BruderTod“, Ein Kinderleben © 2014 Universitätsverlag Brockmeyer, 142 Seiten, Klappenbroschur – 14,90 Euro ISBN 978-3-8196-0971-8 Weitere Informationen: www.michael-zeller.de www.brockmeyer-online.de

Der Tod ist eine so unerhörte numinose Größe, daß der Verstand, gibt er sich auch wissenschaftlich aufgeklärt, sich davor strecken muß. Größer noch ist das Scheitern vor dem Begreifen des zu frühen Todes eines vertrauten Menschen, zumal wenn dieser seinen Abschied selbst gewählt hat. Das nämlich hatte Michael Zellers älterer Bruder Hellmut im Januar 1957 getan, als 17-jähriger. Schon der Umschlagentwurf des Buches schmerzt, zeigt auf grauem Grund das durchgerissene, nur flüchtig wieder zusammengelegte Foto eines offen lächelnden Knaben mit ordentlich gescheiteltem Haar. Am unteren Rand des Fotos eine handschriftliche Widmung aus dem Jahr 1950. Für den gewählten Buch-Titel hat Michael Zeller die beiden Worte, die ihn seit damals mehr als nur beschäftigen, die ihn verfolgen, bedrängen und umtreiben so zusammengeschoben, wie der Betrachter es gerne mit dem zerrissenen Foto täte: „BruderTod“. Michael Zeller spricht in seinem Buch über den Bruder, aber doch über sich. Über den Tod schreibt er, über den Freitod, schreibt gegen ihn an, der ihn seit dem selbst gezogenen Schlußstrich Hellmuts als ewiger Schatten begleitet. Es ist weniger ein schriftstellerischer, denn ein seelischer Kraftakt. Als einfühlsamer Rechercheur geübt, hat Zeller sich in vielen seiner Romane bewiesen. Hier nun aber breitet er vor sich auf dem Tisch die Wirklichkeit aus: was von Hellmuts Leben aus dessen schmalem Nachlaß, vom im Krieg vermißten „Papi“, den

82

er nie hat sehen dürfen, seiner spät aus dem Nebel der Geschichte freigelegten Breslauer Herkunft, von den nicht unbedingt harmonischen Erinnerungen an die dominante Mutter, von Zeitzeugen und historischen Dokumenten auf ihn übergekommen ist. Seine Leser läßt er an diesem intimen Puzzle seines Lebens teilnehmen. Ein mutiger Schritt. Ist es, auf der Schwelle zu seinem 70. Geburtstag, eine Bilanz? Eine Abrechnung? Wohl nicht. Es ist der Versuch einer Befreiung, getragen von dem Wunsch, auf der Suche nach der verlorenen Seele des Bruders die eigene von großem Druck zu befreien. Das „Warum“ über Hellmut Zellers Freitod bleibt letztlich unbeantwortet. Der entscheidende Schlußstein muß trotz aller Mühen verloren gegeben sein. Es kann Michael Zeller, dessen jahrzehntelange Qual man aus jeder Seite, jeder Zeile liest, nicht leicht gefallen sein, dieses Buch zu schreiben, zu viele Wunden schlägt es neu, zu wenig Trost war auf dem dornigen Weg der Suche nach Spuren und Antworten wirklich zu finden, hat er auch einige wertvolle Menschen dabei getroffen, die ihm wohltaten. Daß er aber auch auf die Schicksale vieler anderer seines persönlichen Umfeldes, bzw. dem Hellmuts gestoßen ist, die sich selbst das Leben nahmen, hat es gewiß nicht leichter gemacht. Das auf der Rückseite des Buches wiedergegebene Zitat spricht für sich: „Jeder Selbstmord ist mir, soweit ich das behaupten darf, ein vertrautes Erleben. Brüderlich nah. Selbstmörder sind meine Brüder, alle.“ Licht ins Dunkel des letzten Geheimnisses eines Menschen zu bringen, endgültig mit dessen Tod ins Reine zu kommen, kann wohl nicht gelingen. Denn: du rechnest nicht mit dem Tod ab. Er tut das zu gegebener Zeit - mit dir. Ich bin fast sicher, Michael Zeller hätte seinem einen Hauch von Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ tragenden, bewegenden Buch auch den Titel „Freund Hein“ gegeben, wäre der nicht schon von Emil Strauß besetzt gewesen. Frank Becker


Paragraphenreiter Kann ich auch Steuern sparen, indem ich anderen Kunst nahe bringe?

Susanne Schäfer, Steuerberaterin Geschäftsführerin der Rinke Treuhand GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/ Steuerberatungsgesellschaft

Aber gewiss doch! Allerdings in erster Linie dann, wenn ich ein eigenes Unternehmen betreibe. Wussten Sie zum Beispiel, dass Sie – – als selbständiger Frisörmeister Ihre Mitarbeiter in die Wuppertaler Aufführung des Barbier von Sevilla und nachher noch zu einem lecker Essen einladen können? – als Inhaber eines gutgehenden Boxstudios jedem Kunden eine Taschenbuchversion von Goethes Faust schenken können? – als in eigener Praxis tätiger Urologe jeden Ihrer Mitarbeiter mit einem Ticket für die Pissarro-Ausstellung im Von der Heydt-Museum überraschen können? Und dass die Kosten hierfür im Rahmen Ihrer Steuererklärung als Betriebsausgaben steuermindern geltend gemacht werden können? Und dass Ihre Mitarbeiter und Geschäftspartner für diese zusätzliche Annehmlichkeit weder Lohn- oder Einkommensteuer, noch Sozialversicherungsbeiträge bezahlen müssen? Der gemeinsame Opern- mit anschließendem Restaurantbesuch ist steuerlich eine sogenannte Betriebsveranstaltung. Sofern eine solche nicht mehr als zweimal im Jahr stattfindet, die Teilnahme allen Mitarbeitern offen steht und die Kosten insgesamt 110 Euro je Mitarbeiter nicht übersteigen, wirken sich eben diese Kosten zwar positiv, d. h. steuermindernd beim Arbeitgeber, nicht jedoch negativ, d. h. steuererhöhend, beim Arbeitnehmer aus. Das gleiche gilt für Geschenke an Geschäftspartner, sofern ihr Wert 35 Euro im

Jahr und Geschenke an Arbeitnehmer, sofern ihr Wert 44 Euro im Monat oder 40 Euro je geschenkwürdigem Anlass nicht übersteigt. Gerade vor Weihnachten tun sich hier doch für jeden Unternehmer und Freiberufler ungeahnte Möglichkeiten der Kulturförderung auf! Sofern Sie Ihren Lebensunterhalt allerdings als angestellter Versicherungs-Sachbearbeiter, als Besitzer diverser Mietshäuser oder als Rentier aus den Erträgen Ihres umfangreichen Aktienvermögens bestreiten, ist es nicht ganz so einfach, gleichzeitig anderen eine Freude zu machen, die Kunst zu fördern und Steuern zu sparen. So sind Geschenke an Kollegen oder an Geschäftspartner des Arbeitgebers nur sehr eingeschränkt steuerlich absetzbar. Einer soeben aus dem Krankenhaus entlassenen Mieterin dürfen Sie laut Finanzgericht München allenfalls in Ihrer Eigenschaft als Privatperson einen Blumenstrauß schenken, die Kosten hierfür aber nicht von den steuerpflichtigen Einnahmen abziehen. Und Werbungskosten zu Kapitalvermögen werden grundsätzlich sowieso nicht mehr anerkannt. Aber machen Sie sich doch einfach selbst eine Freude: Die Mitgliedschaft in der Konzertgesellschaft Wuppertal kostet beispielsweise im Jahr nur 55 Euro, die auch für Privatpersonen in vollem Umfang steuerlich absetzbar sind. Und ein tolles Konzert gibt es gratis dazu.

SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN in WUPPERTAL

LUISE KIMME CARIBBEAN OAK TONY CRAGG PARADOSSO 25.10. 2014 - 11.1. 2015 skulpturenpark-waldfrieden.de

Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal · 0202 47898120

83


Der Fleck

Falk Andreas Funke, Schreiber und Leser, Jahrgang 1965, geboren und geblieben in Wuppertal, Deutschland. Sachbearbeiter in der Arbeitsverwaltung. Seit 2001 Veröffentlichungen in diversen Anthologien, Zeitschriften und beim Westdeutschen Rundfunk. 2001 – 2007 Mitarbeiter des Satiremagazins „Italien“, Wuppertal. Bislang drei Bücher, zuletzt Krause der Tod und das irre Lachen Buchtitel: Tier und Tor, 2004; Ballsaal für die Seele, 2010 (jeweils Turmhut-Verlag), Krause, der Tod und das Irre Lachen (Verlag Thomas Tonn, 2012)

In dem Moment, als sich Karl Salz mit Soße bekleckerte, wurde ihm bewusst, dass er ohne Gepäck angereist war. Er hatte also keine Hose zum Wechseln dabei. Er würde den Rest des Seminartages mit dem Flecken auf dem Hosenstoff unter den Kollegen sein, würde der Fleck die Blicke anziehen, würde er, der Befleckte, in heißer Peinlichkeit baden. Er würde am Abend nach Hause fahren müssen. Um zu packen. Er hatte ja noch nicht einmal eine Zahnbürste mitgenommen. Rein gar nichts. Das würde den Feierabend kosten, weil er ja noch am selben Abend wieder zurückfahren musste: das Bildungszentrum lag zwischen den Städten, umgeben von Feldern und verstreuter Industrie und war von seinem Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur umständlich zu erreichen. Deshalb hatte er sich ein Zimmer geben lassen. Sich auf das Ausschlafen gefreut. Auch, um abends mal ein paar Glas Bier mehr als in der Woche üblich trinken zu können: an der Bar im Aufenthaltsraum, wo die Kollegen sich nach Unterrichtsende treffen würden; was sollte man hier auch sonst unternehmen, nach dem Abendessen, wenn die Nacht noch vor einem lag und man der Einsamkeit des nüchternen Zimmers im Schlaftrakt aus dem Weg gehen wollte? Der Fleck schloss ihn aus. Von den Kollegen. Von deren Heiterkeit, die die Tischgemeinschaft während des Mittagessens in der Kantine produzierte, indem sie leicht frivole Bemerkungen hin – und herfliegen ließ. Auch er hatte ein Bonmot beigesteuert, ein ziemlich erfolgreiches sogar, aber das Lustigkeitszentrum bildete ein dicker Kollege aus dem Rheinland, selbstironisch mit seiner Leibesfülle kokettierend. So äußerte er etwa den Wunsch, die Heimleitung möge doch in den Nasszellen der Unterkünfte, also speziell in seiner Nasszelle, einen Ganzkörperspiegel anbringen lassen. Er sagte: Janzkörperspiejel. Dass der Dicke den Begriff Heimleitung verwandte, war Karl Salz aufgefallen, denn das Wort passte nicht recht auf das übermodernisierte Bildungszentrum. Es klang zu sehr nach Jugendherberge. Aber jetzt, da er sich befleckt hatte, spielte das keine Rolle mehr. Er ging nach Tisch nicht mit den anderen rüber in den Aufenthaltsraum,

84

wo man den Rest der Mittagspause noch mit kollegialem Kaffeetrinken verbringen konnte. Er ging auf die Toilette, wo er am Waschbecken versuchte, mit Flüssigseife, die er auf ein Papierhandtuch tropfen ließ, den Flecken zu entfernen. Aber er verrieb ihn nur. Machte ihn größer, etwas blasser zwar, doch deutlich platzgreifender. Er erinnerte sich, dass es ihm noch nie gelungen war, auf solche Weise einen Flecken zu entfernen, und er ärgerte sich, dass er wieder auf den Gedanken hereingefallen war, diesmal könnte es ihm gelingen. Vielmehr noch ärgerte er sich über seine Selbstvergessenheit. Dass er sich beim Essen keine Serviette auf den Schoß gelegt hatte. Nur weil er sich vorgekommen wäre wie ein sabbernder Greis. Und dass er ohne Gepäck angereist war, das machte ihn geradezu ratlos vor sich selbst. Wo hatte er seinen Kopf gehabt? In welchen Tagträumen hatte er das Haus verlassen? Er sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Er fühlte sich alt. Der Karl Salz, der ihm aus dem Spiegel entgegenblickte, war grau und verlebt. Sein dreizehnter Geburtstag fiel ihm ein. Als er sein erstes Schamhaar entdeckte. Im verschlossenen Badezimmer. War es das mit der Kindheit? Wie ernst der Klang der Zahl Dreizehn war. Das konnte er heute noch nachfühlen. Nachhören. Jetzt, in den Spiegel blickend, in sein graues Gesicht, fragte er sich, wie wohl das Vergreisen beginnen würde. Mit dem Vergessen. Ja. Er hatte vergessen zu packen. Überhaupt vergessen, wie er in das Bildungszentrum gekommen war. Er war hier auf einem Computerlehrgang. Von seiner Firma bezahlt. Und das, obwohl ihm eigentlich schon die Puste ausging – bei diesem Rattenrennen, als das er seinen Arbeitsalltag empfand. Lohnte sich ein Buchhaltungscomputerlehrgang, so eine Investition in ihn, Karl Salz, für die Firma überhaupt noch? In der letzten Stunde vor der Mittagspause hatte er aufgegeben. Seine Hände ruhten auf seinem Schoß, während die Kollegen weitertippten. Geborene Buchhalter. Das war er nicht. Zahlenkolonnen machten ihn unsicher. Seekrank. Er wartete auf das Ende der Stunde. Wie von Bord eines


schwankenden Schiffs tretend, würde er diesen Schulungsraum verlassen. Den Morgen abhaken. Und versuchen, den Kopf frei zu bekommen, damit er beim Essen in der Kantine nicht dasäße wie ein geprügelter Hund. Der Wasserhahn besaß keine Drehgriffe. Dazu war er zu modern. Karl Salz fuchtelte mit den Händen vor ihm herum, da wo er eine Lichtschranke vermutete, doch kein Wasser floss. So, wie er da jetzt stand und fuchtelte, hatte das was von Slapstick. Und es war ihm bewusst. Er versuchte es komisch zu finden. Er versuchte, sich anzulächeln im Spiegel. Aber er glaubte sich dieses Lächeln nicht. Als er den Toilettenraum verließ, hörte er, wie hinter ihm das Wasser anging und ins Becken rauschte. Als wollte es ihn verhöhnen. Er zuckte mit den Schultern. Sah an sich herab. Was war eigentlich so schlimm an diesem Flecken? Er musste an die Hausfrauenweisheit denken, dass man bestimmte Flecken mit Salz beseitigt. Mit Salz! Sein Name kam oft genug ins Spiel. Das Salz in der Suppe. Das Salz der Erde. Und dann auch noch Karl. Wer hieß denn heute noch Karl? Er sah sich um. Kein Mensch auf dem Gang. Wahrscheinlich waren alle schon wieder in den Unterrichtsräumen. Gab es hier keinen Gong mehr? Ihm fiel nicht mehr ein, wo sein Unterrichtsraum war. Er hatte wirklich keinen Glanztag erwischt. Er würde wohl mehrere Türen ausprobieren müssen. Entschuldigungen murmeln. Ihm graute vor dem Bildschirm. Vor den Zahlenkolonnen. Er würde direkt nach dem Schulungsende aufbrechen müssen. Und er wusste nicht, wann hier ein Bus abfuhr. Das war also auch noch herauszubekommen. Er ging über den Flur, der vom Foyer in den Unterrichtstrakt einmündete. So lang war dieser Flur, dieser Gang, dass dessen Ende nur noch als Lichtfleck erkennbar war, wo eine Glastüre in den Park führte. Karl Salz stellte sich vor, er sei in einem Raumschiff. Er, der Kommandant, auf dem Weg zur Brücke. Die Vorstellung half ihm, den Anflug von Panik zu verdrängen, die ihn angesichts des Kursnachmittages befiel. Das Ohnmachtsgefühl, nicht mehr mitzukommen, die Demütigung vor sich selbst und den anderen. Er

würde dasitzen, wie er in der Schule dagesessen hatte, während der Klassenarbeit, deren Fragen in eine Welt gehörten, die ihm nicht zugänglich war. Dafür hatte er sich seine eigene Welt geschaffen. In der konnte er alles sein, was er wollte. Auch Kommandant eines Raumschiffs. Das hatte er sich bewahrt. Obwohl es ihm in seinem Erwachsensein nicht ganz geheuer war. Aber was war schon geheuer? Dieses Bildungszentrum war es nicht. War es nie gewesen. Und er kannte es, dieses Bildungszentrum. Hier hatte er einen Teil seiner Ausbildung absolviert. Und es roch hier. Roch noch immer so wie vor beinahe dreißig Jahren, als er sich zum ersten Mal über diesen Gang bewegte, zur ersten Unterrichtsstunde. Es war der Geruch, der von einem frisch verlegten Teppichboden aufstieg. Etwas Künstliches. Kunststoffmäßiges Fluidum. Etwas, das nicht gesund sein konnte. Er musste lächeln. Der Teppichboden war längst entfernt. Aber der Geruch war noch in der Luft. Er fragte sich, wie ein Geruch in der Luft andauern kann, wenn seine Ursache seit Jahren beseitigt ist. Er blieb stehen, musste stehen bleiben, angehalten von einem Schreckensstoß, der ihn durchfuhr, als wäre er unvermutet in ein Kühlhaus getreten. Zwei gelbe Hände ragten hinter dem Wägelchen herauf, das eine Putzfrau auf dem Gang hatte stehen lassen. Hände, die verzweifelt und schon erstarrt in die Luft griffen, Hände, die noch um Oberwasser rangen, Hände eines Ertrinkenden. Handschuhe, aber ja, nur knallgelbe Gummihandschuhe. Die Putzfrau hatte in wahrscheinlich ganz unmakaberer, nur pragmatischer Absicht, ihre Reinigungshandschuhe über die Stiele je eines Wischmopps gezogen. Und das Ensemble so stehen lassen. Karl Salz atmete aus. Atmete aus und auf. Schüttelte den Kopf. Fasste sich an die Gesäßtasche, wie er es mehrmals täglich tat, um sich des Vorhandenseins seines Portemonnaies zu vergewissern. Neue Schreckenskälte durchfuhr ihn, blitzschnell von den Haarspitzen bis unter die Fußnägel: es fehlte! Mit allen Karten, die ihn auswiesen als das, was er war. Die ihn berechtigen, Geld abzuheben oder in einen Bus zu steigen. Und er würde heute ja noch in einen Bus steigen müssen. Um

nachhause zu fahren. Um sein Gepäck zu holen. Das Portemonnaie! Hatte er es im Unterrichtsraum gelassen? In der Manteltasche? Auf dem Zimmer? War er überhaupt schon auf dem Zimmer gewesen? Dann hätte er einen Schlüssel haben müssen, den er gewohnheitsmäßig in die rechte vordere Hosentasche gesteckt hätte. Aber da war kein Schlüssel! Er hatte feste Plätze für die Dinge, hatte sie immer gehabt, denn es gab ihm Sicherheit, seine Sachen an zugriffsbereiten Plätzen zu wissen. Und wenn er ihn fühlte, den Schlüsselbund in der rechten Hosentasche und das Portemonnaie in der Gesäßtasche, dann war ein Teil seiner Welt in Ordnung; darum musste er sich schon mal keine Sorgen machen, aber jetzt, da er mehrmals mit der Hand die Hosentaschen entlangfuhr – und weder Kleinmetall noch ausgebeultes Leder spürte – war ihm ein Teil seiner Grundsicherheit abhanden gekommen, ja, seine Welt geriet aus den Fugen: wie konnte er in der Fremde sein (und das war hier die Fremde) und nicht einmal sein Geld, seine Karten, seine Schlüssel standen ihm zur Verfügung. Beruhigung konnte ihm jetzt nur sein Mantel geben; der musste noch im Schulungsraum hängen. Ein Griff in die Innentasche würde ihn beides vorfinden lassen, Schlüsselbund und Portemonnaie, er würde ihn klimpern hören, den Schlüsselbund, hoffentlich, aber nun, da er schon im Unterrichtstrakt angekommen war, konnte er sich nicht mehr erinnern, hinter welcher Tür sein Schulungsraum lag. Was war nur los mit ihm? Erlitt er gerade einen Anfall akuter Demenz? Für einen Alptraum war er zu wach. Dauerte es zu lange. Obwohl es ein Traumgefühl oder vielmehr ein Träumergefühl war, das er kannte, das er oft genug ins Erwachen hineintrug: Du bist nicht vollständig. Du kannst so nicht sein. Was dir fehlt, schließt dich aus. Buchstäblich. Buchstäblich war das jetzt sein fehlender Schlüssel, der ihn aus seiner Wohnung, seinem Zufluchtsort, ausschloss. Er öffnete eine Türe. Irgendeine. Aufs Geratewohl. Dabei fiel ihm ein, dass er als Kind nicht gewusst hatte, ob es Geratewohl oder Geradewohl heiße. Und eigentlich wusste er es immer

85


noch nicht. Licht. Die niedrigstehende Nachmittagssonne schien durch die Fensterreihe des Schulungsraums, so dass er die Kursteilnehmer an den Tischen nur als Silhouetten wahrnehmen konnte. Schattengestalten, die sich ihm, dem unerwartet Eintretenden, zuwandten. Er blinzelte, fragte nach seinem Kurs. Wusste plötzlich nicht mehr, wie dieser Kurs hieß. Blieb mitten in seiner Frage stecken. Zahlenkolonnen. Es ging im Kurs um Zahlenkolonnen. Mehr fiel ihm nicht ein. Er bekam eine Antwort, aus der er schließen konnte, dass er hier falsch war. Er entschuldigte sich, trat zurück und schloss die Türe. Ihm wurde heiß. Nicht nur, dass es blamabel war, wie ein Idiot vor fremden Leuten zu stehen, etwas von Zahlenkolonnen zu faseln und abgewiesen zu werden. Nein. Er verstand die Welt nicht mehr. Sich und die Welt. Wo war er hineingeraten? Warum konnte er sich nicht mehr erinnern? Karl Salz. Das war sein Name. Ja. Und er war hier auf einem Computerkurs, bei dem es um Zahlenkolonnen ging. Er und Zahlen. Zahlen sagten ihm nichts. Dass er zehn Finger hatte, wusste er und das musste doch reichen. Weiter den Gang runter. Nächste Tür. Er blieb davor stehen und schaute an sich herab. Sah den Flecken. Den zerriebenen Flecken. Der war noch da. Aber, was war sonst noch da? Seine Erinnerung an den Unterrichtsraum. Weggewischt. Er schloss die Augen. Öffnete sie wieder und sah auf die Tür. War es die Tür, hinter der er den Vormittag verbracht hatte? War es der Raum, in dem am Kleiderhaken sein Mantel hing? Der Mantel, in dessen Taschen er – hoffentlich – sein Portemonnaie und seinen Schlüsselbund finden würde? Er griff zur Klinke. Zögerte. Zog seine Hand zurück und klopfte an. Wartete. Wartete auf ein Herein. Das Herein kam nicht. Stattdessen Geräusche. Geräusche unklarer Art. Wurden da Möbel verrückt? Ein Stuhl über den Boden gezogen? Er klopfte wieder und öffnete ohne weiteres Warten die Tür. Und wieder blendete ihn die Nachmittagssonne. Was er mit verkniffenen Augen sah, hätte ein Bett sein können. Ein Bett, das mitten im Zimmer stand, ein Zimmer, das kleiner war als ein Unterrichtsraum. Vielleicht nur ein Gruppenraum. Um

86

das Bett standen Leute. Silhouetten. Nachmittagssonnenstrahlenumkränzt. Die Leute schienen sich um jemanden zu kümmern, der in dem Bett lag. Die Köpfe der Leute wandten sich ihm zu. Man schaute ihn an. Er wollte wieder nach seinem Kurs fragen, doch eine Stimme kam ihm zuvor. Im Ton dieser Stimme lag ein Vorwurf. Und Gereiztheit. Sehen Sie denn nicht? – Nein, er sah nicht. Er wurde geblendet. Aber er wusste, dass er hier wieder chancenlos war. So ein Psychokurs, sagte er sich. So ein scheiß Psychokurs, in dem einem etwas klar gemacht werden sollte, was wohl besser unklar bliebe. Wie man in unwahrscheinlichen Extremsituationen reagieren würde. Peinlichkeit vorprogrammiert. Die Vorstellung, dass er, Karl Salz, in einem Bett liegend von Kollegen und einem Psychologen umstellt sein könnte, ließ ihn erschaudern. Er wandte sich ab. Musste sich abwenden. Und gehen. Dabei sagte er, sagte er laut und überdeutlich, während eine Wut in ihm aufstieg, plötzlich und heiß: Scheiß Psychokurs! Es war ihm egal, dass man ihn hörte. Nein, er wollte es. Hier wurde etwas gespielt, das ihn abstieß. Heftig schloss er die Türe. Um die nächste regelrecht aufzureißen. Er brauchte jetzt einen Gegenstand, auf den er seine Wut richten konnte. Die Wut blieb. Er würde den nächsten Unterrichtsraum nicht wie ein fragender Bittsteller betreten. Weil er mit blendender Sonne rechnet, beschirmt er seine Augen vorsorglich mit der linken Hand. Aber das einzige Licht fällt aus seinem Rücken vom Flur in den Raum ohne Fenster. Kaum etwas ist zu sehen, zu erkennen nichts. Da aber hat er schon einen Schritt hinein getan und stößt gegen etwas. Etwas Hartes. Ein plötzlicher Schmerz im rechten Schienbein. Ein unglaublich aggressiver, gleißender Schmerz. Für einen Sekundenbruchteil sieht sich Karl Salz als Soldaten, als stürmenden Soldaten, den eine feindliche Patrone trifft. Beim Versuch, sich zu bücken, um die Schmerzstelle mit der Hand zu überdecken, rammt er mit der Stirn eine Stange – vielleicht einen Kleiderständer – etwas, das mit Geschepper zu Boden geht. Karl Salz flucht. Hält

sich mit der einen Hand den Kopf, mit der anderen das Schienbein. Steht da als verzerrtes Fragezeichen. Der Schmerz sticht unter dem Fleck auf der Hose. Als hätte der Schmerz den Flecken gesucht, um einen passenden Ort zu haben. Eine Abstellkammer. Karl Salz ist in eine Abstellkammer geraten. Er verspürt das Verlangen, nach etwas zu schlagen. Etwas zu bestrafen. Jemandem einen Schmerz zuzufügen, der mit dem seinen vergleichbar ist. Der immer noch sticht – in nähmaschinenartigem Stakkato. Kindisch. Er denkt: Kindisch, als er sich aufrichtet, um die Abstellkammer mit einem Rückwärtsschritt wieder zu verlassen. Und ist schwach in den Beinen. Mit einem Mal. So schwach, dass er sich setzen müsste. Eine Hand. Er spürt eine Hand. Auf seiner Schulter. Und noch eine Hand auf der gegenüberliegenden Hüfte. Jetzt eine Stimme. So nah an seinem Ohr, dass er zusammenfährt. Nicht die Berührung durch die Hände lässt ihn zusammenfahren, sondern die Nähe der Stimme an seinem Ohr. Eine Frauenstimme, warm und in bedauernder Weise anklagend. Wie man auf ein Kind einspricht, das einen enttäuscht hat. So spricht die Stimme zu ihm. Er hört Wörter. Versteht die Wörter. Doch sie ergeben keinen Sinn für ihn. Für ihn nicht. Aber Herr Salz, sagt die Stimme, den Schwerpunkt der Betonung – der Bedauerungsbetonung – auf seinen Namen, auf das Wort Salz gelegt. Aber Herr Salz. Wo wollen Sie hin? Mal wieder auf Wanderschaft? Ich bin es, die Schwester Basira. Wollen Sie mich nicht mehr kennen? So, jetzt kommen Sie mal mit mir. Ach, haben Sie sich mal wieder beim Essen bekleckert? Die schöne Hose. Die müssen wir wechseln. Wo Sie doch Besuch haben. Aber ja. Der junge Mann. Ihr Enkel? Er wartet schon seit dem Mittagessen auf Sie. Und er hat Blumen mitgebracht. Falk Andreas Funke


Nowhere Man „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ mit Marina Matthias Frauenzimmer müssen lieben... ...wo sie nicht siegen können.

Peter Hacks hat seinen Monolog „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ „ein Zweipersonenstück, welches in Wirklichkeit ein Einpersonenstück ist, das in Wirklichkeit ein Zweipersonenstück ist“ genannt. Das Teo Otto Theater Remscheid hat damit – dank einer wunderbaren Darstellerin und feinfühliger Regie von Volker Lippmann – mit dem Gastspiel der aus Remscheid stammenden Schauspielerin Marina Matthias, brillant eingefaßt in die Lennon/McCartney-Titel „Nowhere Man“ und „Don‘t Let Me Down“ vor ausverkauften Haus einen veritablen Erfolg verbuchen können.

Szenenfotos mit Marina Matthias

Charlotte von Stein hat den jungen Goethe in Weimar 1776 unter ihre Fittiche genommen, um den „Grobian – Flegel aus Philosophie“ gesellschaftsfähig zu machen. Doch darauf beschränkte sich die Verbindung zwischen dem ungehobelten 26-jährigen Rauhbein und der sieben Jahre älteren,

verheirateten Frau nach kürzester Zeit nicht mehr. Das Verhältnis zwischen Goethe und der Dame von Stand, dem Lotte offenbar keinen entscheidenden Widerstand entgegensetzt, währt 10 Jahre, bis der Dichter der öffentlichen Affäre durch seine Flucht nach Italien ein Ende setzt. Simpel gesagt: er hat sich verdrückt. „Ohne Erlaubnis!“ kocht Charlotte. Der desavouierten Charlotte gibt die Weimarer Gesellschaft die Schuld an Goethes Weggang, der in Stadt, Staat und Hof empfindlich fehlt. He’ s a Real Nowhere Man Hier setzt Peter Hacks’ brillantes Kammerspiel ein. Ein zierlicher Schreibtisch, zwei Täßchen Mokka, ein Stuhl, ebenso transparent wie der Tisch. Im Hintergrund eine Tafelwand, sowie ein Kühlschrank, in dem (…kennst Du das Land…) Zitronen und Goethes Bildnis aufbewahrt werden. Ein netter Gag. Die Ausstattung entspricht in schlichter Perfektion der treffsicheren Inszenierung – beides Volker Lippmann.

87


seine Frau – wer will mich aufhalten?“, denn „es ist ein wundervolles und einmaliges Glück, von einem Dichter geliebt zu werden!“. Marina Matthias´ Lotte ist nach anfänglicher bebender Wut stolz und süffisant, witzig (wenn ihr das Goethesche Hessisch Babbeln so gar nicht gelingt) und zornig, elegant, empört und scharfsinnig. Eine kalte briefliche Dusche aus Rom läßt sie bitter verstehen, daß die Realität eine eigene Sprache spricht. Goethe berichtet vom Wetter, anstatt den erhofften brieflichen Antrag zu machen – „Don´t Le Me Down…“. Eine Paraderolle für eine blutvolle Darstellerin, ein intelligentes Theatervergnügen ersten Ranges. Letzte Kreidestriche auf der Tafelwand gehen alle an: „Warum ist nur Alles für uns Alle so viel zu schwer?“ Ein gelungener Theater-Sonntagnachmittag. Frank Becker Fotos Wolfgang Weimer

Charlotte hat sich gewappnet, legt Briefe zum Beweis vor, daß es zwischen ihr und Goethe nie einen „Roman“ gegeben habe. Und doch stellt sich in der Rechtfertigung – Lippmann setzt das Publikum in ansteigenden Reihen auf der Vorbühne an die Stelle der von

Hacks vorgesehenen Stoffpuppe, zu der Lotte statt ihres gehörnten Ehemanns spricht – sehr schnell heraus, daß sie Goethe nicht nur erlegen und Geliebte gewesen ist. Sie wäre jetzt sogar bereit, gegen alle Konventionen zu verstoßen: „Ich werde Goethe heiraten! Ich bin

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet Täglich neu – mit großem Archiv Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografie – Reise

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb www.musenblaetter.de

88


Keramik statt Rüben „Bessere Hälften“ stellt unser Autor vor. Komplementär in diesem Fall: Heinz Gerd Mencke, gelernter Gärtner und ehemaliger Chef des Gartencenters Bellandris-Mencke in Haßlinghausen

Mit 17 lernte sie ihren späteren Mann kennen, der als Gärtner ein Jahr in Dänemark und danach weitere zwölf Monate in den Oststaaten der USA sein Handwerk in fremden Ländern studierte. Heinz Gerd Mencke war damals 23, als er auf Margrethe Larsen traf. Margrethe heißt auch die dänische Königin, und Larsen ist in unserem nördlichen Nachbarland so verbreitet wie hierzulande Schmitz oder Schmidt. Margrethe kam in Sengeløse bei Kopenhagen zur Welt. Auf einem Bauernhof. Schon als Kind war ihr klar, dass die Landwirtschaft nicht ihre Welt werden würde. Dänin ist sie übrigens, auch wenn das Ehepaar Mencke immer in Wuppertal zu Hause war, geblieben, doch hofft sie auf eine Möglichkeit, im kommenden Jahr zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen zu können. Margrethe und Heinz Gerd Mencke sind sich gegenseitig bessere Hälften. Für sie ist er und für ihn ist sie „min bedre halvdel“. Nach der Mittleren Reife lernte sie Industriekauffrau und arbeitete nach der Heirat in der Bundesrepublik als Faktoristin, eine paar Jahre auf dem Blumengroßmarkt Oberbarmen. „Doch Bürokram war nicht mein Ding. Mich zog es mehr zum Design, so dass ich mich in Wochenendkursen der Meisterschule zur Floristin weiterbildete.“ Das Gestalten hat sie vererbt: an die Tochter Karina, die gemeinsam mit ihrem dänischen Mann, Marcus Mencke-Vagnby, unter anderem Kaffeekannen und Lampen designet und mittlerweile auch eine kleine Möbelmanufaktur betreibt. Töchterchen Nikka, neun Monate, ist der Stolz der Großeltern wie auch die Enkelkinder Louisa, Jonathan und Emilia aus der Ehe von Karinas Bruder Heiko und dessen Frau Konny. Heiko Mencke, vom Studium her Betriebswirtschaftler, leitet heute das MenckeGartencenter in Haßlinghausen. Menckes sind viel gereist, sowohl in Deutschland als auch in fremde Länder und andere Kontinente. Zum Beispiel nach Brasilien, wo Schulfreunde ihres Mannes eine Fabrik für Füllfederhalter

aufgebaut haben (und in vorgerücktem Alter jetzt zurück nach München gehen), in die USA und nach Kanada, nach Spanien oder Marokko, Italien und Korsika sowie den hohen Norden: außer Dänemark eben Schweden, Norwegen, Island, Grönland und Finnland sowie ins Baltikum. Beliebte Ziele waren auch München, der Bodensee oder – nach der deutschen Vereinigung – Mecklenburg-Vorpommern. Mit Sprachen kommt man besser an: Sie beherrscht Englisch, Spanisch und Deutsch, Heinz Gerd kann sich fließend in den Fremdsprachen Dänisch und Englisch ausdrücken. Lang ist die Liste der Sportarten, die sie ausgeübt hat oder weiter ausübt: Laufen, Rückengymnastik, Pilates, Schwimmen, Fahrradfahren, Skifahren (Abfahrt wie Langlauf ), tänzerische Gymnastik, Handball. Sie liest neben skandinavischen Krimis (beispielsweise Jussi Adler-Olsen) mit Vorliebe den Dänen Hans Christian Andersen und den kürzlich verstorbenen Deutschen Siegfried Lenz, dessen „Deutschstunde“ sie rühmt. Wer zwei Kinder „ordentlich aufgezogen“ hat (Mencke über Mencke), der kann, dachte sie sich, seine Erfahrungen auch weitergeben. Zum Beispiel bei der Betreuung von jungen Patienten bei den Helios-Kliniken oder der Telefonberatung des Kinderschutzbundes. Für die Arbeit beim Kindernotruf oder dem Eltern-Telefon wird man eigens ausgebildet. Reden lassen, beruhigen, beizeiten Beratungsstellen nennen, das hat sie gelernt. Zu gebürtigen Däninnen und Dänen hält sie über den Dänischen Klub, der in Düsseldorf seine Heimat hat, Kontakt. In diesem Rahmen feiert man Mittsommer wie die Schweden oder die Finnen, und zwar an einem Freitag oder Samstag Ende Juni. Eine große Puppe in alten Klamotten, die mit Heu ausgestopft ist, Kopftuch und mitten im Gesicht eine Knollennase trägt, wird mit viel Gesang und dem Verzehr geistiger Getränke auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Möglichst am Rhein.

89


Und wo hält sie sich im Wupper-Tal gerne auf? Sie mag das „Schmuckstück“ Stadthalle, Engelshaus und Industriemuseum und – vor allem im Frühjahr – die Hardt. Ein beliebter Anlaufpunkt ist die VHS in Elberfeld, wo die beiden Menckes über einen sehr langen Zeitraum aktiv in der Politischen Runde der VHS mitgemischt haben. Das erste Jahr in Deutschland, erinnert sie sich, war schwierig, zumal sie sich an das Deutsche erst gewöhnen musste – auch an das „Sie“. In Nordeuropa ist man schnell beim „Du“. Doch ein neuer Freundeskreis war rasch geschaffen, auch über ihr Interesse am Tanz, ein Sport, der sie ihr ganzes bisheriges Leben begleitet hat. Der verstorbene Vater war schon Vorsitzender eines Volkstanzklubs, die Mutter, mittlerweile 89, tanzt immer noch. Und Margrethe machte bei einer regionalen

90

Ausscheidung über Kinder auf dem Land den 1. Platz bei einem Tanzwettbewerb, den sogar das dänische Fernsehen übertrug. Da war sie gerade zehn Jahre jung. Am 11. April 1970 haben Menckes geheiratet. Er kam mit dem Auto nach Sengeløse. Und wurde mit der deutsch-dänischen Vergangenheit konfrontiert. Der Schwiegervater sagte zu ihm: „Heute vor 30 Jahren sind die Deutschen bei uns einmarschiert.“ Von Ressentiments hat er dennoch wenig gespürt. Heinz Gerd und Margrethe lieben den legendären Film „Tage des Zorns“, übrigens eine dänisch-deutsche Produktion von 2006 (siehe etwa www. artechock.de/film/text/kritik/t/tadezo. htm), in dem der Kampf der Untergrundkämpfer Flammen (die Flamme) und Citronen (die Zitrone) geschildert wird. In dem skandinavischen Land

werden übrigens die Kollaborateure, die ihr Geld mit den Deutschen gemacht haben, „Gulaschbarone“ genannt. Ab und an bringt man kleine Trophäen aus der Ferne mit nach Hause: Sie besitzen das Buch „Giving“ des ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton mit persönlicher Unterschrift – sie sind ihm bei einer Lesung in einer Kopenhagener Buchhandlung begegnet. John F. Kennedys ehemaligen Berater Arthur Schlesinger haben sie ebenfalls kennenlernen können, und zwar an der Cornell University of New York. Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt und lässt ihn nicht in Sengeløse oder an der Hainstraße versauern. Matthias Dohmen Fotos: Karina Mencke


Musik vermitteln, Kultur vernetzen Der Wuppertaler Musik- und Konzertpädagoge Raphael Amend im Gespräch

Das Wort „Musikvermittlung“ ist in Mode gekommen. Für einen „der meistverwandten Begriffe im Musikleben“ hält ihn inzwischen das Deutsche Musikinformationszentrum, das auch darauf hinweist, wie es dazu gekommen ist: Publikumsschwund und Überalterung bei klassischen Konzerten und die Marginalisierung des Musikunterrichts in den Allgemeinbildenden Schulen zwangen Intendanten, Generalmusikdirektoren, Orchester, Theater und Stadtverwaltungen aktiv zu werden und neue Wege zu einem jungen Publikum zu suchen. Einer, der solche Wege mit Enthusiasmus und gleichzeitiger Selbstverständlichkeit geht, ist der gebürtige Wuppertaler Raphael Amend. Die Geige ist sein Instrument – die Weitergabe seiner Freude an klassischer Musik sein Beruf. Konzerteinführungen, die die Ohren kitzeln Begonnen hat alles während seines Studiums der Allgemeinen Musikerziehung an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Wuppertal. Dort entwickelte er ab 2007 im Rahmen eines Studienprojekts unter der Leitung der Professorin Sarah Semke das bis heute existierende Programm „Philharmonikus“ für das Orchester Hagen: kindgerechte Konzerteinführungen mit Studierenden der Musikhochschule vor den Symphoniekonzerten. Das Maskottchen Philharmonikus, ein Äffchen mit großen Ohren (damit es besonders gut zuhören kann), singt und musiziert mit Kindern im Grundschulalter und begleitet den folgenden gemeinsamen Konzertbesuch mit den Eltern oder Großeltern. Inzwischen haben Sarah Semke und Raphael Amend ein ähnliches Angebot für das Sinfonieorchester Wuppertal geschaffen: Der „Ohrenkitzel im Sinfoniekonzert“ wartet zwar nicht mit einem musikalischen Äffchen auf, begeistert aber sein junges Publikum gleichfalls mit Aktivitäten wie Body-Percussion, dem Spiel auf Orff- oder anderen einfachen Instrumenten und gemeinsamem Singen. Während im Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertal der erste Teil

der Sonntagsmatinee des Orchesters läuft, lernen die jungen Zuhörer auf spielerische Weise wichtige Themen oder Rhythmen der Komposition kennen, die sie später im Konzertsaal hören. Das ist dann nicht selten ein gewichtiges Stück wie eine Beethoven- oder Mozart-Sinfonie oder auch „Le sacre du printemps“ von Strawinsky. „Dazu erzählen wir den Kindern auch eine Geschichte ... manchmal eine ganz einfache: zum Beispiel über einen Prinz und eine Prinzessin in ihrem Schloss. Ziel ist es, dass die Kinder ins Konzert gehen und Melodien oder Rhythmen wieder erkennen. Wenn ich das beobachten kann, ist das für mich das Schönste.“ Konzerte – mit und ohne Geschichten Seit November 2011 vermittelt Raphael Amend aber auch eine Musikgattung an ein junges Publikum, die den Ruf des Komplizierten besitzt und so manchem erwachsenen Konzertgänger zu anspruchsvoll ist. Im Rahmen der Kammermusikreihe „Saitenspiel“ in der Historischen Stadthalle Wuppertal, die fünfmal im Jahr sonntags um 18 Uhr stattfindet, kommen am darauf folgenden Montag bis zu 300 Grundschulkinder in den Genuss eines Schulkonzerts, bei dem man den Musikern einmal ganz genau auf die Finger schauen darf. Bereits sein erstes Schulkonzert in dieser Reihe durfte Raphael Amend über ein Stück konzipieren, das man normalerweise nicht als Repertoire für Acht- bis Neunjährige auswählen würde: Bartóks Streichquartett Nr. 3. „Da war von Anfang an klar: Wenn ich zu einem Bartók-Streichquartett eine Geschichte spinne, geht der Fokus verloren. Deshalb geht es in diesen Konzerten viel mehr um Spieltechniken: Was kann man mit so einem Streichinstrument alles machen? Wie funktioniert es? Was kann ich alles an so einem Instrument entdecken?“ Trotzdem bleibt das Mitmachen in den „Saitenspiel“-Schulkonzerten ein entscheidendes Element: Rhythmen werden entdeckt und nachgeklatscht, musikalische Themen zu eingängigen Texten gesungen. Wichtig ist Raphael Amend das genaue Hinschauen und Hinhören – und so

91


regelmäßig Schulkonzerte – in einem großen, aber nicht zu großen Rahmen. Auch hier richtet sich die Vermittlung nach dem Charakter der jeweiligen Werke: „Zum Beispiel hat das Sinfonieorchester gestern Tschaikowskys ‚Nußknacker’ als Schulkonzert gespielt – da ist die Geschichte von E.T.A. Hoffmann automatisch dabei. Die Schlacht der Mäuse gegen die Soldaten dauert fast fünf Minuten; die habe ich einfach spielen lassen. Da ist es schöner, die Geschichte zur Schlacht zu erzählen, als auf technische Einzelheiten einzugehen.“ In Workshops werden die Lehrer auf einige Elemente des Konzerts vorbereitet – oft ist dies ein Lied, das vorab einstudiert und dann gemeinsam im Konzert gesungen wird. Zur Musikvermittlung zählt für Raphael Amend auch das Programm der von ihm moderierten „Musikalischen Kaffeetafel“ in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Neben Kaffee und Kuchen erhalten die Zuhörer – zumeist der Generation „über 60“ angehörend – einen weiteren Mehrwert: Eine Moderation mit spannenden Details und Hintergrundinformationen zu den gespielten Werken und den hochkarätigen jungen Musikern (aus den Gesangs- und Instrumentalklassen der Wuppertaler Musikhochschule). Die Bergische Musikschule und eine Kiste voller Musik

dürfen immer wieder Kinder auf die Bühne des Mahler Saales in der Historischen Stadthalle, um den Musikern über die Schulter oder in die Noten zu schauen. Und Amend selbst ist mit Mikrofon im Auditorium unterwegs, um die jungen Zuhörer nach ihren Beobachtungen zu befragen. Erstaunlich, dass bei diesen scheinbar so komplexen Stücken in den Schulen keine besondere Vorbereitung auf den Konzertbesuch stattfinden muss.

92

„Das Schöne an den Kammerkonzerten ist, dass die Kinder wie ein leeres Blatt da reingehen. Ich liebe die Überraschung in so einem Schulkonzert. “ Der Erfolg der kammermusikalischen Schulkonzerte brachte Amend 2012 auch eine entsprechende Einladung des Wuppertaler Sinfonieorchesters ein: Dieses spielt im 400 Plätze fassenden Mendelssohn Saal der Historischen Stadthalle

Bei aller Vielfalt der Aktivitäten als Konzertpädagoge: Im Hauptberuf ist Raphael Amend Geigenlehrer an der Bergischen Musikschule Wuppertal und dort seit 2012 Leiter des Fachbereichs „Koordination mit allgemeinbildenden Schulen“, einer Position, die trotz aller finanziellen Nöte der Stadt Wuppertal neu geschaffen wurde. Hier koordiniert er die Projekte JeKi (Jedem Kind sein Instrument), JEKISS (Jedem Kind seine Stimme), SingPause und weitere Angebote der Bergischen Musikschule. „Jede Schule hat andere Bedürfnisse. Deshalb gibt es die ,Bergische Musikkiste’: Eine Vielfalt von Angeboten, von profilgebenden Projekten wie dem Instrumentalen Klassenunterricht bis zu ganz kleinen Sachen wie einem Workshop im Instrumentenbasteln oder ein Bandcoaching. Zum Glück


haben wir tolle Sponsoren, zum Beispiel die Jackstädt-Stiftung, die Sparkasse oder Knipex. Und auch viele, die gar nicht genannt werden wollen.“ Ein Problem für die wirklich nachhaltige Arbeit ist in Wuppertal – wie auch anderswo – das G8-Abitur. Vielen begabten Schülern fehlt ab einer bestimmten Klassenstufe die Zeit zum Üben – oder zur Teilnahme an Jugendorchestern oder anderen Ensembles. „Inzwischen geht die Bergische Musikschule deshalb sogar direkt in die weiterführenden Schulen und bietet dort den Instrumentalunterricht an.“ Für Raphael Amend ist es aber damit nicht getan: „Wir versuchen, noch weiter nach draußen zu gehen. Das heißt: auch zu den Erwachsenen. In Altenheime. In Gruppen mit Demenzkranken. Es gibt viel zu tun.“ Ausstrahlung und Vernetzung Als bahnbrechendes Ereignis für das Wuppertaler Musikleben darf man das erfolgreiche erste gemeinsame Familienmusikfest des Sinfonieorchesters Wuppertal und der Bergischen Musikschule am 26. Oktober 2014 bezeichnen: Auf Einladung des Orchesters präsentierte sich die Musikschule in der Historischen Stadthalle Wuppertal – und machte damit die engen Beziehungen zwischen den Institutionen deutlich. Nicht nur unterrichten viele Orchestermusiker an der Bergischen Musikschule, auch das dreiköpfige Education Team des Sinfonieorchesters Wuppertal (die allesamt hauptberuflich Mitglieder des Orchesters sind) arbeitet eng mit Raphael Amend zusammen. „Eine unfassbare Logistik steckte hinter diesem Familienmusikfest. Das hat das Education Team unglaublich toll gemacht. Und unser Jugendorchester war so glücklich, einmal im großen Saal der Stadthalle spielen zu dürfen ...“ Eine überwältigend erfolgreiche Aktion, die neues Publikum angelockt hat, von der alle Seiten profitiert haben – und die deshalb unbedingt wiederholt werden soll. Die spannende Frage aber bleibt: „Was passiert in 20 Jahren – gehen die Kinder, denen wir heute unsere speziellen Programme präsentieren, dann ins Konzert?

Ich bin mir nicht so sicher. Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, dass sich der normale Konzertbetrieb ändern, öffnen muss. Mir selbst als Konzertbesucher gefällt es ja auch, wenn ich irgendwas dazu bekomme. Etwas, das eine echte Beziehung zwischen Bühne und Publikum aufbaut. Eine solche Beziehung zum Publikum kann man auch ohne Worte über die Musik herstellen. Das ist zum Beispiel das Schöne bei der Salonmusik, die ich durch meinen Geigenprofessor Albrecht Winter lieben gelernt habe und jetzt in meinem eigenen Salon-Ensemble ,O là là‘ spiele. Da kann ich mich als Stehgeiger zum Publikum hinbewegen, mit ihm in Verbindung treten. Die Frage ist: Wie schaffe ich so etwas in der ,ernsten‘ Musik? Und irgendwann sollte es dann egal sein, in ,Ernste‘ und ,Unterhaltende‘ Musik zu trennen.“

gen, was sie – auch gemeinsam – leisten und leisten wollen. Und mit den ,Freien‘ in Wuppertal kooperieren.“

Wuppertals Kulturleben macht momentan eher negative Schlagzeilen. Für Raphael Amend stellt sich die Situation differenzierter dar: „Als städtischer Angestellter der Musikschule habe ich den Einblick und verstehe ich, warum manche Dinge nicht gehen. Natürlich macht das auch Sorge. Aber die Freie Szene in Wuppertal ist sehr stark und kreativ. Viele Firmen und wohlhabende Privatleute engagieren sich, das ist einfach unglaublich. Und die drei großen Musikinstitutionen in Wuppertal – Sinfonieorchester, Hochschule, Musikschule – müssen einfach noch viel mehr auf sich aufmerksam machen, zei-

Nächste Musikalische Kaffeetafel: So, 14. Dezember, 15.30 Uhr: „Es kommt ein Schiff geladen – Vokale Schätze im Advent“

In diesem Sinne ist „Musikvermittlung“ tatsächlich mehr als ein Modewort. Es geht um nichts weniger als um die gesellschaftliche Bedeutung von Musik in einer Stadt. Elisabeth von Leliwa Fotos: Romano Amend Nächster Ohrenkitzel im Sinfoniekonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal: So, 22. 2. 2015, 11 Uhr: Haydn – Das Wunder Nächste Saitenspiel-Schulkonzerte: Mo, 2. 3. 2015, 10 und 12 Uhr: Beethoven – Erzherzog-Trio

Informationen auch zu zahlreichen weiteren Angeboten im Bereich der Musikvermittlung finden Sie auf: www.wuppertaler-buehnen.de www.bergischemusikschule.de www.stadthalle.de www.saitenspiele.eu

93


Schwebeleben Neuer Schwebebahnkalender 2015 von Bjørn Ueberholz

Die überaus erträgliche Leichtigkeit des Schwebens ist das rote Band, das sich wie ein Faden durch den neuen Kalender von Bjørn Ueberholz zieht. Von der grünen Rosenau bis zur engen Kaiserstraße bildet die Bahn dabei die Konstante in den vielfältig kontrastierenden Umgebungen, die das Wuppertal

so reizvoll machen. Junge, frische Architektur wie an der Junior-Uni oder an der Ohligsmühle trifft auf altehrwürdige Fassaden wie am Landgericht. Unaufgeregt passiert die Bahn das bayer‘sche Industrie-Labyrinth gleichermaßen wie die wuchtigen Trägertürme am Alten Markt. Historische Gebäude-Arrange-

Schwebeleben 2015 13 Fotografien von Björn Ueberholz

94


ments am Wupperufer der Hofaue profitieren ebenso von modernen farbigen Lichtinstallationen wer alte neue Schwebebahnhof an der Werther Brücke. Und am Opernhaus beäugt der Kaiserwagen neugierig die Cragg-Skulptur „I’m alive“ – es ist ja schließlich auch das eigene Motto…

Björn Ueberholz Fotografien leben selbst von ihrer Formensprache. So wie die Motive dynamisch in Szene gesetzt werden, so wie sie den Blick sogartig in den Horizont ziehen, entwickeln sie ein Eigenleben, ein schwebendes zumal. Wie also sollte der Kalender anders heißen? Hendrik Walder

Schwebeleben ist in limitierter Auflage bei „Rundschau-Reisen“, Werth 100 und bei TOP Reisen, Rathaus Galerie oder beim Verlag HP Nacke zum Preis von 18.90 Euro erhältlich.

95


Neue Kunstbücher Ausschnitt, Einblick Vier neue Monographien in vier Medien vorgestellt von Thomas Hirsch

Ein schönes Katalogbuch. Die Monographie zu Édouard Vuillard, erschienen anlässlich der Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur und publiziert im feinen Schweizer Verlag Nimbus, belegt, dass konventionelle Ausstellungskataloge mit einem unspektakulären Cover Meisterleistungen sein können. Zudem ist das Werk von Vuillard in Teilen noch zu entdecken. Fast könnte man sagen, es ist etwas, jedenfalls in Deutschland, in Vergessenheit geraten. Der Katalog fokussiert nun das Werk der Zeit von 1893 bis 1910, in der Vuillard seine Bildauffassung klärte. Ausgebildet in Paris an der École des BeauxArts, befindet sich Édouard Vuillard (1868-1940) zeitlebens mitten im Zentrum der dortigen Avantgarde. Selbst zwar äußerst zurückhaltend, ist er der mondänen Pariser Gesellschaft verbunden, von der er Bildnis-Aufträge entgegennimmt. Die menschliche Gestalt – oft mit Verwandten und Freunden, zeitweilig mit Kinderbildnissen, zeitweilig mit Akten – wird sein zentrales Sujet. Mit seinen Freunden Pierre Bonnard und Félix Vallotton gehört er zur Gruppe der Nabis. Seine Malerei selbst ist einerseits duftend, mit dem Pinsel getupft und spätimpressionistisch, dabei beeinflusst vom Japonismus. Andererseits ist Vuillard die längste Zeit ein Meister des Verhaltenen, er malt in Grau und Braun in pastellenen Tönen

96

mit gedämpften Farbkontrasten. Farbe, Licht, Schatten greifen ineinander, und es ist bemerkenswert, wie die Figuren mit ihrem Wohnraum verschmelzen und die Umgebung selbst in knapper Andeutung verbleibt: Vuillard transzendiert die Szenen, er schafft Intimität und formuliert auf eine Inhaltlichkeit hin. Herausragend ist in diesen Jahrzehnten nicht nur sein Beitrag zur Figur im Interieur, sondern auch, wie im Exterieur der malerische Blick über die Dächer in die Landschaft schweift. Das sind zwei Aspekte, die in dieser Monographie mit ihrer motivischen Gliederung Vertiefungen erfahren. Ein wunderbarer Trick ist die Gegenüberstellung mit Malereien von Bonard und Vallotton, die noch für das Eigene und den zeitlichen Zusammenhang sensibilisieren. Unglücklich ist freilich – auch wenn dies durch das Konzept der Ausstellung vorgegeben sein mag –, dass bildnerische Hinweise (z. B. Marginalabbildungen) auf das spätere Werk fehlen. So endet dieses wichtige Buch dort, wo es am spannendsten ist. D. Schwarz (Hg.), Édouard Vuillard 1868-1940, 252 S. mit 140 Farbabb., Klappenbroschur, 28 x 21,5 cm, Nimbus, 29,80 Euro

für seine repräsentativen Funktionsbauten – Regierungsgebäude, Theater, Museen – ersetzt er den rechten Winkel durch geschwungene Linien. Ausschweifende Rampen und Treppen initiieren ein Wechselspiel von Innen und Außen. Überhaupt kennzeichnet die Flächen, Lichtöffnungen und Räume eine noble Großzügigkeit. Und mithin scheinen die Gebäude oder einzelne ihrer Baukörper zu schweben oder kurz davor, vom Boden abzuheben. Mit seinen Bauten zur neuen Hauptstadt Brasilia bewährt sich Niemeyer zudem als Stadtplaner, der immer die Umgebung einbezieht und auf diese reagiert. Das vorliegende Buch nun bringt uns Niemeyer als Persönlichkeit und als Architekt, noch innerhalb des Fachdiskurses, näher. Erstaunlicherweise aber gibt es der Abbildung, also auch der fotografischen Umrundung der Bauten, nur wenig Platz. Das, was in so mancher Architekten-Monographie des Guten zuviel ist, ist hier leider etwas knapp geraten. P. Andreas/I. Flagge (Hg.), Oscar Niemeyer, 144 S. mit zahlr. Farb- und s/w-Abb., Klappenbroschur, 28 x 22 cm, Birkhäuser, 36,95 Euro

Ebenfalls von mehreren Seiten – hier mit einer Vielzahl an Textbeiträgen – nähert sich eine handliche, bei Birkhäuser in überarbeiteter Auflage erschienene Monographie dem brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer (19072012). Der engagierte Kommunist war ein Weltstar in der Architektur. Bekannt

Zu den aktuellen Neuerscheinungen gehört eine Monographie zur österreichischen Zeichnerin und Malerin Martha Jungwirth (geb. 1940). Dass Jungwirth über ihr Heimatland hinaus nicht so bekannt ist, mag daran liegen, dass sie in den weniger auffälligen Medien Zeichnung und Aquarell arbeitet, ihre Werke


rinke.eu

BERATUNG FÜR EINE SICHERE ZUKUNFT. RINKE TREUHAND GmbH

ABBILDUNG DER VERGANGENHEIT >>> UNSERE KERNKOMPETENZ BEGLEITUNG IN DER GEGENWART >>> UNSERE QUALITÄT BLICK IN DIE ZUKUNFT >>> UNSERE SPEZIALITÄT

EFFEKTIV MIT PRIVATER STEUERBERATUNG

Hingegen muss man Jürgen Teller nicht mehr vorstellen. Seit über einem Jahrzehnt gehört der in London lebende, 1964 in Erlangen geborene Teller zu den populärsten Künstlern mit Fotografie. Vielleicht wäre zu klären, welchem Genre

er zuzurechnen ist. Ist er Mode-, überhaupt Werbefotograf, Lifestyle-Chronist für Magazine (so hat er angefangen) oder doch primär Künstler mit einem spezifischen, mehr oder weniger konzeptuell zu verstehendem Repertoire? Er wendet sich wie Tillmans oder Michailow dem Alltäglichen in einer vermeintlich lakonischen, oft an den Schnappschuss erinnernden Weise zu, welche Ungeschöntes und Intimes fokussiert. Vielleicht weist Jürgen Teller vor allem darauf hin, dass die Lager und Grenzen heute durchlässig sind, im Fluss der Informationen und Nachrichten sich alles im Unterbewussten sammelt. Dieses fotografische „All-Over“ kennzeichnet auch das opulente Buch, das, verlegt bei Steidl, zu Tellers letztjähriger Ausstellung im Institute of Contemporary Arts in London erschienen ist. Designed von Teller selbst, entspricht es der dortigen installativen Konzeption, bei der Teller Fotos, die in Magazinen erschienen sind, an die Wände tapeziert hat. Im Buch überlappen sich vermeintlich kunterbunt die Aufnahmen aus unterschiedlichen Motivgruppen und Jahren. Dann aber stellen wir fest, dass die gleichen Models und Celebrities und die gleichen Kampagnen wiederkehren und dass auch eigene Ausstellungssituationen integriert sind. Und auch wenn das Buch das Ausschnitthafte betont, vermittelt es recht authentisch Tellers bildnerische Sicht auf unsere Gesellschaft. Der Ausruf „Woo!“ ist als Titel okay. Jürgen Teller, Woo! 336 S., durchgehend farbig, Hardcover mit Schutzumschlag, 34 x 25,5 cm, Steidl, 40,- Euro

WIRTSCHAFTSPRÜFUNG · STEUERBERATUNG · UNTERNEHMENSBERATUNG

weitgehend abstrakt und außerhalb jeder Mode sind und die Künstlerin insgesamt als Einzelgängerin zu verstehen ist. Der Start ihrer Karriere war indes fulminant: 1977 wurde Jungwirth zur documenta nach Kassel eingeladen, innerhalb der Abteilung zur Zeichnung. Da hatte ihr Werk bereits unterschiedliche Verfahren und Gestimmtheiten eingeschlagen. Neben Malereien mit Grafit und Pastellkreide waren karge Bleistiftzeichnungen entstanden, zu sehen waren biomorphe Fragmente ebenso wie Schilderungen einer faktischen Räumlichkeit, allerdings in der Abbreviatur, mit großer begrifflicher Offenheit. Der spontane Gestus, entwickelt aus dem Radius des eigenen Körpers, ist ebenso von Anfang an bildstiftendes Verfahren wie die kontrollierte Setzung, die zu einer konstruktiven Stabilität führt. In den 1980er-Jahren und mit der Intensivierung der Aquarellmalerei kehrt dann die Leichtigkeit in die Kunst von Jungwirth ein. Neben der Abstraktion erstellt sie allmählich auch figurative und landschaftliche Darstellungen … Bis heute bewegt sich die Kunst von Martha Jungwirth in diesen Volten des Zeichnerischen: Sie zeigt Verdichtung und Auflösung, spontanen Impuls und dezidierte Ausformulierung auf dem weißen Papiergrund. Mit der Verwendung von Ölfarbe kommt Farbigkeit hinzu; schwarze Tusche wiederum trägt bei der linearen Zeichnung zu einer Konturierung des Figürlichen bei. Wie variantenreich und konsequent unberechenbar das nun ausfällt, das veranschaulicht der Ausstellungskatalog der Kunsthalle Krems, der zur aktuellen Retrospektive von Jungwirth an diesem Ort entstanden ist. Hierzulande wurde das grundsolide, klar strukturierte Buch bei Kerber verlegt. Hoffen wir, dass es zur Bekanntheit der Künstlerin auch in Deutschland beiträgt. Martha Jungwirth: Retrospektive, 200 S. mit 144 Farb- und 38 s/w-Abb., Klappenbroschur, 25,5 x 21 cm, Kerber, 29,90,Euro

97


Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen Schöffling II: Ein Katzen-Märchen Ob es in England Gespenster gibt? Aber gewiss doch! Der Schlossverwalter von Kenilworth, Jam McDamn, jedenfalls lässt keine Führung aus, ohne auf den schlosseigenen Geist hinzuweisen. Ob seine miauende Begleiterin Minnie auch an Gespenster glaubt, bleibt in der Schwebe, Katzen geben bekanntlich wenig von sich preis. Und tatsächlich: Herausgefordert von McDamn rafft sich das Gespenst Nickel von Kenilworth zu einem letzten verheerenden Zauber auf und verwandelt ihn in einen Kater, der nun sein Leben in Italien fristet, Minnie dagegen in ein bernsteinblondes Mädchen in Indien.

Schöffling I: Ein Katzen-Kalender Vielen Freunden des mal schnurrenden, mal fauchenden Stubentigers ist er seit Jahren ein ständiger Begleiter durchs Jahr. Elke Heidenreich verschenkt den Literarischen Katzenkalender regelmäßig. Auf 52 Blättern sieht man Katzen auf Bäumen und in Küchen, in Kartons und auf Sofas, allein, zu zweit und in Gruppen, stolz erhobenen Hauptes, mit Katzenbuckel und steil stehendem Schwanz, alle Viere von sich gestreckt oder im Sprung begriffen, auf Parkbänken und Handtüchern. Gedanken und Erlebnisse, die allerdings in der überwiegenden Zahl der Fälle keinen oder nur sehr umwegigen Bezug zum Foto haben, steuern 2015 unter anderem bei: Marc Aurel, Wilhelm Busch, Hilde Domin, Heinz Erhardt, Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine, Ernest Hemingway („Eine Katze führt zur nächsten“), Ernst Jünger, Friederike Kempner, Sören Kierkegaard, Friedrich Nietzsche, Novalis, Cesare Pavese, Gerhard Polt („Wenn ich der Katze zuschaue, wie die Katze nichts macht, bin ich praktisch fast mit der Katze auf einer Stufe“), Wilhelm Raabe (zu einer Katze, die in einem Buch „blättert“), Eugen Roth, Arthur Schopenhauer, Seneca, William Shakespeare, Leo Tolstoi und Christa Wolf, die an den „Ahnherrn“, den Kater Murr, erinnert. Es macht Laune, am frühen Montag das Blatt für die laufende Woche umzuklappen. Julia Bachstein (Hrsg.), Der literarische Katzenkalender 2015, Frankfurt am Main: Schöffling 2014, 52 Bl., 21,95 Euro

98

In Rom gerät der Verzauberte auf das Katzenforum, eine Art UNO der Kater und Kätzinnen, aber zum guten Schluss auf verschlungenen Wegen und nach allerhand Abenteuern und einem furiosen Schlussakkord genau wie Minnie an die alte Wirkungsstätte. „Die von brillanter Wortartistik nur so schwirrende verwandlungstolle Katzenpièce, ein Solitär vom Schlage des Kater Murr, reiht sich pfeilgerade in den Märchenschatz von Weltrang“, befand die Rezensentin der „Frankfurter Rundschau“, Erika Deiss. Wie recht sie hat!

Peter Rühmkorf, Auf Wiedersehen in Kenilworth. Ein Katzen-Märchen in dreizehn Kapiteln, Frankfurt am Main: Schöffling 2014, 159 S., 9,95 Euro

Schöffling III: Eine Katzen-Kunde Bei den Kelten und den Germanen genoss, bei Hindus und Moslems genießt die gemeine Hauskatze einen quasi religiösen Status, und wer selbst ein solches Tier jemals zum Gefährten gehabt oder Monica Huchels Buch mit Empathie gelesen hat, kann das gut verstehen. Bei Huchels gab es viele Katzen, und die Autorin beschreibt ihre Wesenszüge, ihre Verspieltheit, ihre beizeiten auftretende Arroganz, ihre Krankheiten und ihre (wechselnden) bevorzugten Speisen mit viel Liebe. Auf Marcel Proust verweist sie ebenso wie auf Elisabeth Hauptmann, Ingeborg Kaschnitz, Konstantin Paustowski oder den großen französischen Lyriker und Dichter der „Blumen des Bösen“: „Auch Baudelaire sagt von der Katze, der geheimnisvollen, der seraphischen Katze, ihre Stimme schläfere die ärgsten Leiden ein, sie bedürfe keiner Worte, um die längsten Sätze zu sprechen, und in ihr sei alles, gleichwie in einem Engel, von Zartheit wie von Harmonie durchwirkt.“ Im Register finden wir Begriffe wie Antiflohhalsband, Katzenklo und Katzenorgeln, Musik, Staupe oder Zusatzfütterung. Nur der Untertitel! Der Schriftsteller Peter Huchel taucht zwar auf dem Einbandfoto auf, nämlich mit seinem Kater Fürst Myschkin, im Übrigen aber nur beiläufig und zuerst auf Seite 60. Dem Buch, dessen Erstausgabe drei Dezennien zurückliegt, sind noch viele Leserinnen und Leser zu wünschen.

Monica Huchel, Fürst Myschkin. Peter Huchel und seine Katzen. Frankfurt am Main: Schöffling 2014, 159 S., 9,95 Euro


Kulturnotizen Zimt,Glanz & Vivaldi im Advent auf Schloss Lüntenbeck. Traditionsreicher Weihnachtsmarkt versetzt Besucher in genüssliches Staunen.

Termine des Verbandes deutscher Schrifsteller Bergisches Land (VS) und der Autorengemeinschaft „Literatur im Tal“ und ihrer Mitglieder Dezember 2014 Montag, 1. 12. 2014, 19.30 Uhr: 9. Öffentliche Werkstattlesung mit Friederike Zelesko, Ruth Velser und Jürgen Kasten. Moderation: Torsten Krug. Eintritt frei. Literaturhaus Wuppertal, Friedrich-EngelsAllee 83, Wuppertal-Unterbarmen. Mittwoch, 3. 12. 2014, 16.00 Uhr: Lesung von Hermann Schulz. Gemeindezentrum am Eckbusch, Am Eckbusch 29, Wuppertal-Katernberg.

Jedes Jahr im Advent zieht es die Menschen nach Wuppertal Lüntenbeck, wenn an zwei Wochenenden (6./7. und 13./14. Dezember 2014) einer der schönsten Weihnachtsmärkte Deutschlands öffnet. Zahlreiche Anbieter sorgen mit ihren Auslagen und Leckereien in Schlosshof und Garten für Atmosphäre. Anspruchsvolles Programm und gastronomische Leckereien bilden den Rahmen zum Genießen und Verweilen. Romantik und Besinnlichkeit verspricht der be- und verzaubernde Weihnachtsmarkt auf Schloss Lüntenbeck. Seit über 30 Jahren und jedes Jahr öffnet der Markt seine Pforten an gleich zwei Adventwochenenden für die ganze Familie. Die Magie des historisch-festlichen Ambiente zieht die Besucher in ihren Bann und begeistert charmant durch seine ausgewogene Mischung aus Kunst und Handwerk, schmackhaften Leckereien, karitativen Aktionen und märchenhafter Unterhaltung.

Adventsveranstaltung durch ein besonderes Gastronomieangebot.

Weihnachtszauber an jeder Ecke Verteilt auf knapp 100 individuelle Stände findet man die ganz besonderen Geschenke. Wenn auch Trends und Geschmäcker sich immer wieder wandeln, in einem ist man sich hier stets treu: Kunsthandwerk statt Massenkonsum und klangvoll dezente Barockmusik statt lautem Getöse. Auf den Märkten des Schloss Lüntenbeck wird großen Wert gelegt auf individuell gefertigte Artikel wie zum Beispiel Designerschmuck, Gefilztes, Gestricktes, Geschmiedetes, Handwebwaren, Keramik, Kerzen, Seifen, Weihnachts- und Winterdekoration, Weihnachtsgebinde, Weihnachtskugeln und vieles mehr. Abgerundet wird diese

An allen Wochenenden spielt der Kiepenkasper viermal vor auf dem Schlosshof vor dem Publikum

Samstag, 6. 12. 2014, 18.00 Uhr: Lesung von Christiane Gibiec nach dem Büchermarkt in der Pauluskirche. Moderation: Wolf von Wedel. Pauluskirche, Pauluskirchstraße 8, Wuppertal-Unterbarmen. Dienstag, 9. 12. 2014, 16.00 Uhr: Lesung von Matthias Rürup im Rahmen der Autorenlesungen der Friedrich-Spee-Akademie. Eintritt frei. Literaturhaus Wuppertal, Friedrich-Engels-Allee 83, WuppertalUnterbarmen. Freitag, 12. 12. 2014, 19.30 Uhr: Literatur auf der Insel. Gast: Bodo Kirchhoff. Moderation: Torsten Krug, Katrina Schulz. Café Ada, Wiesenstraße 6, Wuppertal-Elberfeld.

Termine: 6./7. Dezember und 13./14. Dezember 2014 — jeweils von 11.00 – 19.00 Uhr Eintritt: Tageskarte 4 Euro, Dauerkarte 6 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei. Kombiticket: Eintritt+Bus+Bahn für nur 6 Euro über www.wuppertal-live.de Kontakt: Tel.: 0202/ 2987 687 www.schloss-luentenbeck.de www.wuppertal-live.de

Januar 2014 Dienstag, 13. 1. 2015, 19.30 Uhr: Engelsgartentexte. Die Wuppertaler Lyrikerinnen Karla Schneider, Ingrid Stracke, Dorothea Müller und Marina Jenkner treffen auf Mathilde Wesendonck. Moderation: Dorothea Renckhoff. Ankerpunkt/ Theater am Engelsgarten, Engelsstraße 10, Wuppertal-Barmen. Samstag, 17. 1. 2015, 17.00 Uhr: Literatur auf dem Cronenberg. Lesung von Dorothea Müller. Moderation: Marina Jenkner. Fotostudio Hensel, Hauptstr. 1, Wuppertal-Cronenberg.

99


Kulturnotizen

Peter Kowald Gesellschaft/ort e.V. Veranstaltungskalender Dezember 2014 / Januar 2015 Donnerstag, 4. Dezember, 20 Uhr: Filmreihe cine:ort _ „Aber das Wort Hund bellt ja nicht“ Vier Jahre lang begleitete Bernd Schoch das renommierte Schlippenbach-Trio auf seiner „Winterreise“ und macht visuell hörbar, was selbst Tonaufzeichnungen fehlt. Mit fragmentierten Bildaufnahmen und dem Fokus auf dem einzelnen Musiker und seinem Instrument gelingt es dem Film, die künstlerische Kommunikation und das Zusammenwirken des Trios einzufangen, das sich in einem konstanten Wechsel zwischen Routine und dem Aufbruch ins Neue befindet. Denn wie kaum ein anderer Musikstil lebt der Free Jazz mit seiner freien Improvisation vom Moment des Spiels. (D 2011, 48 Minuten). Samstag, 6. Dezember, 20 Uhr: Schlippenbach-Trio

Alexander von Schlippenbach – Piano, Evan Parker – Saxophon, Paul Lovens – Schlagzeug Sie gehören zu den „Urgesteinen“ und immer noch führenden Akteuren der freiimprovisierenden Musik: Alexander von Schlippenbach, Evan Parker und Paul Lovens. Der 1938 in Berlin geborene, klassisch ausgebildete Pianist Alexander von Schlippenbach ist neben Peter Brötzmann und Peter Kowald einer der ersten deutschen Jazzmusiker gewesen, die seit Mitte

100

der 1960er Jahre eine neue Spielweise, frei von allen rhythmischen und melodiösen Konventionen in Deutschland entwickelt hat. Legendär ist seine 1966 beim Jazzfest Berlin aufgeführte Suite „Globe Unity“ mit einer Free Jazz Big Band, die später vor allem in Wuppertal im Rahmen von jährlichen Free Jazz Workshops in den 1970er Jahren vor Ort live bei der Entwicklung neuer Stücke zu erleben war. Schon seit Ende der 1960er Jahre arbeitet Schlippenbach mit dem Aachener Schlagzeuger Paul Lovens zusammen und seit den 1970er Jahren ist der Engländer Evan Parker immer wieder in unterschiedlichen Projekten und Bands mit Schlippenbach zu hören. Ein Konzert des legendären Trios im Dezember in Peter Kowalds ORT hat mittlerweile schon Tradition und gehört stets zu den Höhepunkten im Jahresprogramm. Sonntag, 21. Dezember, 20 Uhr: ort workshop ensemble / öffentliche Probe Im Oktober 2014 formierte sich das „ort workshop ensemble“ um den Wuppertaler Saxophonisten Wolfgang Schmidtke. Einmal im Monat laden die Musiker dazu ein, an der Entstehung von Musik teilzuhaben. „Die Idee ist,

um schließlich irgendwann zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen,“ erklärt Wolfgang Schmidtke. Er lässt damit eine Tradition aufleben, die Peter Kowald mit seinem „ort ensemble“ während seiner legendären Aktion „365 Tage am ORT“ im Jahr 1994 begründet hatte. Das „ort workshop ensemble“ wartet dabei mit Starbesetzung auf: Wolfgang Schmidtke (Saxophon) und Jan Kazda (Bass), zwei „Dinosaurier“ der Szene, treffen auf zwei herausragende Protagonisten der jüngeren Generation, Maik Ollhoff (Schlagzeug) und Roman Babib (Piano). Donnerstag, 8. Januar, 20 Uhr: Christoph Irniger_PILGRIM Irnigers Quintett PILGRIM, das seit 2009 besteht, hat sich über die Jahre neu gruppiert und zu einer der aufregendsten Ensembles des jungen europäischen Jazz entwickelt. Die fünf Musiker stammen aus unterschiedlichen Teilen der Schweiz. Sie treten in verschiedenen Gruppen auf der ganzen Welt auf und haben in ihren noch jungen Karrieren Gelegenheit gehabt, mit Jazz-Größen wie Dave Douglas, Nasheet Waits, Dave Liebman oder Joey Baron zu lernen und zusammen zu spielen. Das aktuelle Album „Italian Circus Story“ atmet ein mediterranes Flair. Die Kompositionen lassen viel Platz für

Christoph Irniger – Tenorsaxophon, Stefan Aeby – Piano, Dave Gisler – Gitarre, Raffaele Bossard – Bass, Michi Stulz – Schlagzeug

Wolfgang Schmidtke – Saxophon, Roman Babik – Piano, Jan Kazda – Bass, Maik Ollhoff – Schlagzeug Musik einmal nicht als fertiges Produkt zu präsentieren. Das Publikum kann miterleben, wie man in einer Band diskutiert, problematisiert, sich verbal Gedanken über einen Entwicklungsprozess macht,

Spontanität und Improvisation. Fertige Noten sind für Christoph Irniger nichts anderes als eine „Überschrift, ein Thema einer möglichen Geschichte oder eine Tür, die in einen weiteren musikalischen Freiraum führt“, schrieb der Jazzkritiker Franz X. Zipperer einst. Egal, welcher Musiker ein Thema aufgreift, er wird die Geschichte jeweils anders erzählen. Auf ihrer umfangreichen CD-Release-Tour


durch Deutschland, Schweiz, Belgien und die Niederlande machen die fünf Schweizer am 8. Januar Station in Peter Kowalds ORT in Wuppertal. Donnerstag, 15. Januar, 20 Uhr: Der 1991 verstorbene Trompeter Miles Davis gilt als der wohl bekannteste und einflussreichste Jazzmusiker der letzten 50 Jahre. Der Film „The Miles Davis Story“ macht sich auf die Suche nach dem Menschen hinter dem öffentlichen Bild und nach seiner Musik. Dabei wird kein Schlüsselereignis seiner Lebensgeschichte, die zugleich eine Geschichte des Jazz ist, ausgelassen: von seinen Anfängen gemeinsam mit Charlie Parker und Dizzy Gillespie als 19jähriger Student an der Juilliard School of Music über die legendären cool recordings 1949, seine Zusammenarbeit mit Gil Evans, sein wegweisendes Landmark 1950s Quintet mit John Coltrane und sein Quintett der 1960er Jahre mit Herbie Hancock und Wayne Shorter bis zur Entwicklung des Jazz hin zu Fusion und Funk. Ein Film von Mike Dibb, USA 2002, 125 Minuten (Untertitel deutsch). Donnerstag, 22. Januar, 20 Uhr: Gedankensprünge. Philosophie des Jazz – Daniel Martin Feige im Gespräch mit Michael Rüsenberg

Daniel Martin Feige Zum Auftakt der neuen Gesprächsreihe „Gedankensprünge“ im ORT mit dem renommierten Musikjournalisten Michael Rüsenberg ist mit Daniel Martin Feige der derzeit wichtigste Vertreter der JazzPhilosophie in Deutschland zu Gast. 2014 erschien bei Suhrkamp Wissenschaft sein wegweisendes Buch „Philosophie des Jazz“. Daniel Martin Feige, 38, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich „Ästhetische Erfahrung im Zeichen

der Entgrenzung der Künste“ an der FU Berlin und hat vor der akademischen Laufbahn ein Leben als professioneller Jazzpianist geführt. Der Gastgeber Michael Rüsenberg, geboren 1948, ist Hörfunkjournalist mit Schwerpunkt „Jazz“ und „Klangkunst“ seit 1972 (vor allem WDR, aber auch HR, NDR, SWR). Er publizierte drei Studien zur Musiksoziologie (1974, 1978, 1986) und ist Mitherausgeber des „Funkkolleg Musik“ (Schott, 2011). 1989 wurde er mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Ende Januar 2015 wird er mit WDR-Jazzpreis für sein journalistisches Lebenswerk geehrt. Freitag, 30. Januar, 20 Uhr: Joscha Oetz Quintett_Perfektomat Von den letzten 15 Jahren hat der Kölner Kontrabassist und Komponist Joscha Oetz fünf im kalifornischen San Diego und sieben in Lima, Peru, zugebracht. Vor allem den peruanischen Einfluss kann man sehr deutlich hören in der Musik, die er heute komponiert. Im Projekt PERFEKTOMAT verbinden in einer Traumbesetzung fünf Spitzen- Musiker die Klänge und Rhythmen der Küste Perus mit europäischer Sensibilität. PERFEKTOMAT entfacht ein Freudenfeuer an vorwärtsweisendem, mitreißendem Jazz.

Perfektomat, Foto: Gerhard Richter Niels Klein – Saxophon, Simon Nabatov – Piano, Laura Robles – Cajon/Perkussion, Joscha Oetz – Kontrabass, Bodek Janke – Schlagzeug Ein kaleidoskopisches Spiel zwischen einfach und komplex, entspannt, ambitioniert und weltgewandt

Peter Kowald Gesellschaft / Ort e.V. Anne-Kathrin Reif Luisenstr. 116, 42103 Wuppertal www.kowald-ort.com

Wuppertal – Eine magische Stadt Kalender 2015 Photographien können Kunst sein – oder auch nicht. Städte können magisch sein – oder auch nicht. Die in diesem Kalender vereinigten Photographien von Olaf Joachimsmeier – 24 Stadtansichten auf Wuppertal – sind Kunst und sie zeigen, dass Wuppertal eine magische Stadt ist. Photographien können manipulieren und im schlimmsten Falle lügen, sie können schönen, aufhübschen oder sogar visuell potemkinsche Dörfer inszenieren. All das tut Olaf Joachimsmeier nicht. Er kontrastiert Monat für Monat je zwei Ansichten auf die Stadt, die widersprüchlicher nicht sein könnten: Im Juni schwebt

R HIMSMEIE

OLAF JOAC SICHTEN IN 24 ANNDER 2015 DIE STADT KALE L TA ER WUPP

die Schwebebahn zwischen der in olivgrünes Licht getauchten Wupper und einem blauen Himmel mit heiteren Kumuluswolken. Sie schwebt zwischen den im satten Grün stehenden Bäumen und Büschen entlang der Lebensader der Stadt, der Wupper. – Ein Idyll, eine photographische Allegorie auf die Leichtigkeit des Seins. Aber: So ist Wuppertal nicht. Oder: So ist Wuppertal; aber eben nicht nur. Ab sofort erhältlich:

Wuppertal – Die Stadt in 24 Ansichten Kalender 2015 mit 24 Fotografien von Olaf Joachimsmeier und einem Text von Heiner Bontrup Verlag HP Nacke 42285 Wuppertal, Friedrich-Engels-Allee 122 Telefon 02 02/28 10 40, Fax 02 02/8 31 67 verlag@hpnackekg.de 24,80 Euro · ISBN: 978-3-942043-46-5

101


Kulturnotizen TalTonTheater Spielplan Dezember 2014 / Januar 2015 Dezember Fr, 5. 12., 20:00 Uhr „Oh Tannengrau'n!“ Weihnachten – Das Musical Weitere Aufführungen: Sa, 6. 12., 20:00 Uhr / Fr, 19. 12., 20:00 Uhr / Sa, 20. 12., 20:00 Uhr Sonntag, 7. 12., 18:00 Uhr, Minestrone „Bunbury“ von Oscar Wilde / Theaterverein Minestrone zu Gast „Wollen Sie aus Ihrem Alltag ausbrechen und ein anderer sein? Diese beiden tun es: Der Gentleman vom Land geht sich in der Stadt amüsieren. Und der Genleman aus der Stadt flüchtet sich vor unangenehmen Verpflichtungen auf's Land. Doch dann begegnet ihnen die Liebe und ihr Doppelleben droht aufzufliegen. Für beide wird es immer wichtiger Ernst zu sein....“ Freitag, 12. 12., 20:00 Uhr „Der nackte Albatros“ Premiere in guten wie in schlechten Zeiten ... Weitere Aufführungen: Sa, 13. 12., 20:00 Uhr, / 14. 12., 15:00 Uhr Samstag, 3. 1., 20:00 Uhr „Christopher Köhler Comedy-Magic-Show“ Ein „zauberhafter“ Start ins Jahr 2015!

Freitag, 16. 1. 2015, 20:00 Uhr „Mörderkarussell“ Screwball-(Krimi-)Komödie Weitere Aufführungen: Samstag, 17. 1., 20:00 Uhr / So, 18. 1., 18 Uhr Freitag, 23. 1., 20:00 Uhr TTT · Michael Hans Herrmann – „... schief ins Leben gebaut!“ Humorvoller Abend mit Kästner, Ringelnatz und Wilhelm Busch Ein Abend voll meisterhaften Humors: Der intelligente Witz von Ringelnatz, der tiefsinnige Humor von Kästner, die weltbekannten derben Späße aus der Feder von Wilhelm Busch. Eine heitere Betrachtung des Lebens! Der Schauspieler und Regisseur Michael Hans Herrmann ließt und interpretiert diese wundervollöen Dichter und Denker. Ein Abend voll meisterhaftem Humor. Samstag, 31. 1. 2015, 20:00 Uhr „Herbstzeitlose“ Premiere herzhaft komisch & bitter süß TalTonTHEATER Wiesenstraße 118, 42105 Wuppertal, www.taltontheater.de Preise: VK Typ A: 17,-/15,- VK Typ B: 15,-/12,- AK Typ A: 18,50-/15,- AK Typ B: 16,50-/12,- /// kontakt@taltontheater.de Kartentelefon: 0211 27 4000 /// online

Gedok Veranstaltungen Dezember 2014 / Januar 2015 Sabine Bohn: „Some things to declare“, Einzelausstellung im Kunstmuseum Solingen, Wuppertaler Straße 160, 6. 12. 2014 bis 21. 1. 2015 Cornelia Ernenputsch: „So lange ich lebe“, Einzelausstellung in der CityKirche WuppertalElberfeld, Kirchplatz 1, 22. 11. bis Ende Dezember 2014 Do, 22. Januar 2015, 19 Uhr, Bibiliothek der Bergischen Universität Wuppertal, Gaußstraße 20, 42117 Wuppertal Do, 22. Jan. 2015, 19 Uhr,, Bibiliothek der Bergischen Uni - Else Lasker-Schüler. Ein Abend zum 70.Todestag Christiane Gibiec liest aus ihrem biografischen Roman „Else blau“. Prof. Dr. Andreas Meier stellt die Kritische Ausgabe der Werke der Dichterin vor. Moderation: Dr. Christine Hummel. 28. Jan. 2015, Von der Heydt-Museum, 15 Uhr Ausstellung „Pissarro - der Vater des Imressionismus“, Eintritt 12 E pro Person, Führung 60 E, wird umgelegt. Treffpunkt: 14.30 Uhr im Museums-Foyer. Anmeldung bis16. 1. 2015 bei Ursula Hillers per Telefon oder Fax: 02052/3330 GEDOK Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V., Gruppe Wuppertal www.gedok-wuppertal.de

Schloss Grünewald in SG-Gräfrath Wir sind Weihnachten...;-)

Fr. - So. 12. - 14.12. 19. - 21.12. www.Romantischer-Weihnachtsmarkt.net 102


Programm Dezember 2014 / Januar 2015 Di, 2. 12. 2014, 9:00 Uhr - 10:45 Uhr /// Theater am Engelsgarten /// Der gestiefelte Kater /// nach Motiven aus dem Volksmärchen der Brüder Grimm, Fassung von Peter Raffalt /// Familienstück ab 7 Jahren

Weitere Aufführungen: Di, 2. 12. 2014, 12:00 Uhr - 13:45 / Mi, 3. 12. 2014, 9:00 Uhr - 10:45 Uhr / Mi, 3. 12. 2014, 12:00 Uhr - 13:45 Uhr / Do, 4. 12. 2014, 9:00 Uhr - 10:45 Uhr / Do, 4. 12. 2014, 12:00 Uhr - 13:45 Uhr / Fr, 5. 12. 2014, 9:00 Uhr - 10:45 Uhr / Fr 5. 12. 2014, 12:00 Uhr 13:45 Uhr / Mi, 10. 12. 2014, 9:00 Uhr 10:45 Uhr / Mi, 10. 12. 2014, 12:00 Uhr 13:45 Uhr / Do, 11. 12. 2014 9:00 Uhr / Do 11. 12. 2014 12:00 Uhr - 13:45 Uhr / Fr 12. 12. 2014, 9:00 Uhr - 10:45 Uhr / Fr, 12. 12. 2014, 12:00 Uhr - 13:45 Uhr / Mi 17. 12. 2014, 9:00 Uhr - 10:45 Uhr und 12:00 Uhr - 13:45 Uhr / Do, 18. 12. 2014, 10:00 Uhr und 14:00 Uhr / Fr, 19. 12. 2014, 9:00 und 12:00 Uhr / Do, 25. 12. 2014, 15:00 und 18:00 Uhr / Fr, 26. 12. 2014, 15:00 und 18:00 Uhr / Sa, 27. 12, 2014, 16:00 und 19:30 Uhr /// Alle Aufführungen im Theater am Engelsgarten Do 4. 12. 2014 17:00 Uhr - 18:00 Uhr / City-Kirche Elberfeld /// Das literarische Solo /// Uwe Dreysel liest seine Lieblingslektüre Fr, 5. 12. 2014, 19:30 Uhr /// Opernhaus /// Wiederaufnahme-Premiere / Hänsel und Gretel /// Engelbert Humperdinck (1854-1921) / Märchenspiel in drei Bildern; Libretto von Adelheid Wette. In deutscher Sprache mit Übertiteln „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald es war so finster und auch so bitterkalt.“

Fast jeder kennt die Zeilen des Kinderliedes, das die Geschichte des Geschwisterpaares Hänsel und Gretel beschreibt. Doch anders als im Märchen werden die beiden in Humperdincks Märchenspiel nicht von einer bösen Mutter weggejagt, sondern nur zum Beerensammeln in den Wald geschickt. Das Unheil nimmt dennoch seinen Lauf, als Hänsel und Gretel sich im Wald verirren und in die Fänge der bösen Hexe geraten, die die Kinder in ihr leckeres Knusperhäuschen lockt. Doch wer bis zur letzten Strophe singt, weiß, dass Hänsel und Gretel am Ende die Hexe überlisten und wohlbehalten nach Hause zurückkehren. Humperdinck schrieb ursprünglich nur ein kleines Singspiel für die Kinder seiner Schwester Adelheid Wette und arbeitete Volkslieder wie „Suse, liebe Suse“ oder „Ein Männlein steht im Walde“ ein. Die ganze Familie war von dem Kinderstück so begeistert, dass Humperdinck sich dazu bereit erklärte, eine ganze Oper daraus zu entwickeln – mit Hilfe von allen Familienmitgliedern. / Hänsel und Gretel ist somit in jeder Hinsicht ein „Familienstück“. Weitere Aufführungen: So, 7. 12. 2014, 18:00 Uhr / 10. 12. 2014, 19:30 Uhr / Fr, 12. 12. 2014, 19.30 Uhr / So, 14. 12. 2014, 18:00 Uhr /// Alle Aufführungen im Opernhaus

Pina40. Tanztheater Wuppertal – Pina Bausch Kalender 2015

Ein Jahr lang feierte das weltberühmte Tanztheater Pina Bausch Wuppertal sein 40jähriges Bestehen mit einem reichhaltigen Festival. Höhepunkte des Jubiläums zeigt der neue Kalender „Tanztheater Pina Bausch Wuppertal“ 2015 mit Fotografien von Jochen Viehoff. Die Szenenfotos aus den Stücken Nelken (1982), Wiesenland (2000), Für die Kinder von gestern, heute und morgen (2002), Café Müller (1978) und Das Frühlingsopfer (1975) wurden jeweils einen Tag vor der Premiere im Schauspielhaus Wuppertal aufgenommen. Mit sensiblem Gespür für die Dramatik der Bewegung interpretiert der Fotograf zentrale Momente des unvergleichlichen Tanztheaters von Pina Bausch.

Sa, 6. 12. 2014, 19:30 Uhr /// Theater am Engelsgarten /// Die schöne Müllerin / Liederzyklus von Wilhelm Müller und Franz Schubert / Ein Abend für neun SchauspielerInnen. Am Flügel: Christoph Schnackertz / Der Dichter Wilhelm Müller (1794 – 1827) und der Komponist Franz Schubert (1797 – 1828): Nur durch Zufall nahm der Komponist Notiz vom Dichter – und war hingerissen. So entstanden zwei der wichtigsten Liederzyklen der Musikgeschichte: Die schöne Müllerin und Die Winterreise.

Ab sofort erhältlich:

Pina40. Tanztheater Wuppertal – Pina Bausch

Weitere Aufführungen: So, 7. 12. 2014, 18:00 Uhr / Sa, 20. 12. 2014, 19:30 Uhr / So, 21. 12. 2014, 18:00 Uhr / So, 28. 12.

Kalender 2015, Fotos Jochen Viehoff Format 470 x 300 mm, VK 18,90 Euro Verlag HP Nacke Wuppertal ISBN: 978-3-942043-47-2,

103


Kulturnotizen 2014, 18:00 Uhr / 3. 1. 2015, 19:30 Uhr / So, 11. 1. 2015, 18:00 Uhr / Sa, 17. 1. 2015, 19.30 Uhr / So, 25. 1. 2015, 18:00 Uhr / Alle Aufführungen im Theatr am Engelgarten Sa, 6. 12. 2014, 19:30 Uhr /// Opernhaus /// Alle Jahre (schon) wieder / Eine etwas andere Lesung zum Advent mit Eva Scheurer und Rudolf Kowalski Sa 13. 12. 2014, 19:30 Uhr /// Theater am Engelsgarten /// Minna von Barnhelm / Ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Neben Geld und Ehre ist das Stück eine der hinreißendsten Liebesgeschichten der deutschen Bühnenliteratur. Und ein grandioses Stück gegen den Krieg. Weitere Aufführungen: So, 14. 12. 2014, 18:00 Uhr / So, 4. 1 2015, 16:00 Uhr / Mi, 7. 1. 2015, 19:30 Uhr / Do, 8. 1. 2015, 19:30 Uhr / So, 18. 1. 2015, 16:00 Uhr / Mi, 21. 1. 2015, 19:30 Uhr / Do, 22. 1. 2015, 19:30 Uhr / Mi, 21. 1. 2015, 19:30 Uhr / Fr, 23. 1. 2015, 19:30 Uhr / Alle Aufführungen im Theater am Engelsgarten M ,o

15. 12. 2014, 16:00 Uhr /// Opernhaus /// Premiere / Alice im Wunderland / Kinderoper von Andreas N. Tarkmann (Musik) und Jörg Schade (Text) nach dem gleichnamigen Buch von Lewis Caroll / Auftragskomposition der Wuppertaler Bühnen /// Die bekannte Geschichte des englischen Autors Lewis Carroll dient als Vorlage für die Reise durch eine Fantasiewelt, die von vielen lustigen, wunderlichen und seltsamen Figuren bevölkert wird. Auf der Spur eines sprechenden Kaninchens purzelt Alice mitten hinein in die Geschichte und eine Welt, die von der „Herz-Königin“ nicht gerade herzlich regiert wird und alle vor ihrem Urteil zittern müssen. Wird der Grinsekatze dabei das Lachen vergehen, der verrückte Hutmacher seine Teestunde unterbrechen müssen und Alice am Ende selbst in Gefahr geraten? – All das und vieles mehr erzählt die Oper mit hinreißend mitreißenden Melodien / Weitere Aufführungen: Mo, 15. 12. 2014, 16:00 Uhr / Di, 16. 12. 2014,16:00 Uhr /

104

Mi, 17. 12. 2014, 10:00 und 15:00 Uhr / Do, 18. 12. 2014, 10:00 und 14:00 Uhr / Sa, 20. 12. 2014, 15:00 Uhr / So, 21. 12. 2014, 11:00 Uhr /Do, 25. 12. 2014, 14:00 und 17:00 Uhr / Fr, 26. 12. 2014, 14:00 und 17:00 Uhr / Sa, 27. 12. 2014, 14:00 und17:00 Uhr / 28. 12. 2014, 14:00 und 17:00 Uhr / Fr, 2. 1. 2015, 15:00 Uhr / Sa, 3. 1. 2015, 15:00 Uhr / So, 4. 1. 2015, 14:00 und 17:00 Uhr Sa, 20. 12. 2014, 21:00 Uhr /// Nachtfoyer /// Cafè ADA Di, 13. 1. 2015 20:00 Uhr /// Engelsgartentexte / Ankerpunkt / Richard Wagners unerfüllte Liebe. Wuppertaler Lyrikerinnen von heute treffen (auf) Mathilde Wesendonck. Di, 20. 1. 2015, 20:00 Uhr /// Hollywood auf dem Johannisberg /// Historische Stadthalle Mi, 28. 1. 2015, 16:00 Uhr /// Club Theater Silber /// Opernhaus Sa, 31. 1. 2015, 21:00 Uhr /// Nachtfoyer /// Cafè ADA

Spielplan Dezember 2014/Januar 2015 So, 7. 12. 2014, 11:00 Uhr // Historische Stadthalle 2. Familienkonzert A Christmas Carol // Mit Musik von Carl Davis / Christian Schruff, Moderation, Sinfonieorchester Wuppertal, Leitung Lancelot Fuhry Mo, 8. 12 . 2014, 20:00 Uhr // Historische Stadthalle 2. Kammerkonzert

Kammermusik des Barock mit Werken von Bach und Telemann // Udo Mertens, Flöte, Axel Heß, Violine, Jens Brockmann, Viola, Michael Hablitzel, Violoncello, Alexander Puliaev, Cembalo So, 14. 12. 2014, 11:00 Uhr / Historische Stadthalle 4. Sinfoniekonzert Albert Roussel »Suite en fa« op. 33 // Ernest Chausson »Poème« für Violine und Orchester // Pablo de Sarasate »Zigeunerweisen« op. 20 // Hector Berlioz Auszüge aus »Roméo et Juliette« /1. L’Introduction / 2. Scherzo (la reine Mab) / 3. Scène d’amour / 4. Roméo seul Edoardo Zosi, Violine / Sinfonieorchester Wuppertal / Jacques Mercier, Leitung Weitere Aufführung: Mo, 15. 12. 2014 20:00 Uhr Do 25.12.2014 18:00 Uhr / Historische Stadthalle 2. Chorkonzert // Georg Friedrich Händel »Der Messias« orchestriert von W. A. Mozart /// Nohad Becker, Sopran, Jasmin M. Hörner, Sopran, Christian Rathgeber, Tenor, Thomas Laske, Bass, Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal / Sinfonieorchester Wuppertal / Ralf Otto, Leitung Do, 1. 1. 2015, 18:00 Uhr / Historische Stadthalle Neujahrskonzert Sinfonieorchester Wuppertal Toshiyuki Kamioka, Leitung Unter der Leitung von Toshiyuki Kamioka erklingt ein wie gewohnt gemischtes Programm aus Wien und Umgebung. Mo, 19. 1. 2015, 20:00 Uhr / Historische Stadthalle 3. Kammerkonzert Christine Altmann, Violoncello / Vera Milicevic, Violoncello / Karin Nijssen-Neumeister, Violoncello / Jin Joo Jhon, Violoncello / Hartmut Müller, Moderation Di, 20. 1. 2015, 20:00 Uhr / Historische Stadthalle Hollywood auf dem Johannisberg Filmmusik-Hits / Sinfonieorchester Wuppertal / Nic Raine, Leitung / Moderation So, 25. 1. 2015, 11:00 Uhr / Historische Stadthalle /// 5. Sinfoniekonzert Liza Ferschtman, Violine, Sinfonieorchester Wuppertal, Toshiyuki Kamioka, Leitung / Weitere Aufführung: Mo, 26. 1. 2015, 20:00 Uhr, Historische Stadthalle


Red Dot Award 2014 Preisgekröntes Design für die Region Er ist einer der international bedeutendsten Designpreise und steht für höchste Designqualität: Der Red Dot Design Award. Zwei Wuppertaler Agenturen erhielten ihn nun für das Corporate Design für „Die Bergischen Drei“ – der Tourismusmarke der Städte Remscheid, Solingen und Wuppertal. Erfolgreiche Kooperationen führen zu exzellenten Ergebnissen – und in gleich mehrfacher Hinsicht ist der Red Dot Design Award, der dieses Jahr nach Wuppertal geht, das Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Da ist zum einen die Bergische Entwicklungsagentur, eine Gesellschaft der sellschaft der Städte Remscheid, Solingen und Wuppertal. Sie vergab den Auftrag, ein Corporate Design für die Tourismusregion des Bergischen Städtedreiecks zu erstellen, an eine weitere Kooperation – nämlich die der Wuppertaler Designbüros Illigen Wolf Partner und Büro Longjaloux.

Das Team entwickelte den Namen „Die Bergischen Drei“ und gestalteten Logo, Geschäftspapiere, Broschüren, Landkarten, Wegweiser, den Internetauftritt und weitere Kommunikationsmittel. Die Gestaltungsrichtlinien wurden dokumentiert. Nach diesen Regeln erstellen Designer der Bergischen Entwicklungsagentur die Publikationen in Eigenregie und im einheitlichen Look. Illigen Wolf Partner und Büro Longjaloux gehören mit mehreren Jahrzehnten Marktpräsenz zu den etablierten Wuppertaler Designbüros. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Corporate Identity und Corporate Design, Kommunikationsdesign, Webdesign, Produktdesign, Fotografie und Messedesign sowie die konzeptionell-strategische Beratung. Sie betreuen öffentliche Auftaggeber, Dienstleister und Unternehmen der Konsum- und Investitionsgüterbranche. Targets Fotografien von Herlinde Koelbel 31. Oktober 2014 – 11. Januar 2015 In ihrem neuen, international angelegten Kunstprojekt TARGETS beschäftigt sich die Fotografin Herlinde Koelbl mit militärischer Ausbildung und den kulturellen Unterschieden, die sich in den jeweils landestypischen Schießzielen widerspiegeln. Die Fotografien, die in einen Zeitraum von sechs Jahren in fast 30 Ländern entstanden, werden im Erinnerungsjahr an den Ersten Weltkrieg in der Bundeskunsthalle zu sehen sein. Herlinde Koelbl fotografierte ihr erstes TARGET vor

Target 1, Libanon (Ausschnitt) Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH Museumsmeile Bonn, Friedr.-Ebert-Allee 4, 53 53113 Bonn, www.bundeskunsthalle.de

e Gedic

hte

Dirk Longjaloux, Kendra Rickert, Jörg Illigen, Rick Wolf (v.l.n.r.). Foto: Anette Hammer

über drei Jahrzehnten. Das Schießziel war eine zerschossene, durchlöcherte Blechfigur in einer Ackerfurche – für die Fotografin Symbol für Gewalt und Tod. Vor sechs Jahren nahm sie das Thema wieder auf und begann ihr internationales Fotoprojekt TARGETS. Herlinde Koelbl bereiste fast dreißig Länder, um die Ziele zu dokumentieren, auf die Soldatinnen und Soldaten weltweit konditioniert werden zu schießen. Eine Ausstellung der Kunstund Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum, Berlin

Störrisch

Karl O

Mühl -

hl

che Ge

dichte

nebst ei nigen n achgela Gedich ssenen ten ein es gew Friedri issen H ch Kem errn pner

N im Buchhandel Neu K Karl Otto Mühl SStörrische Gedichte N Nebst einigen nachgelassenen Gedichten eines gewissen Herrn G Friedrich Kempner F

2 2014 Verlag HP Nacke Wuppertal V 556 Seiten, Klebebindung, 6,50 Euro IISBN 978-3-942043-40-3

Verlag

HP Nac

ke Wup

pertal

Die neueste Veröffentlichung von Gedichten zeigt einmal mehr die ungebrochene Produktivität des Autors, den es in den letzten Jahren immer wieder zur kleinen Form – dem Aphorismus oder dem Gedicht – drängt. Eine Verdichtung von Erlebtem und Gedachtem, die dem Lesepublikum eine Freude sein möchte

Störris

Karl Otto

So ein Krieg kommt über Nacht. Manchmal wird man totgemacht. macht. Hinterher wird vielen klar, dass es gar nicht nötig war.

tto Mü

Verlag H

P Nack

e

105


Kulturnotizen Akademie Plus Veranstaltungen Januar 2015

Keine Veranstaltungen im Dezember Fotobuch aufgrund der großen Nachfrage bieten wir im Januar noch einmal Klicken statt Kleben Das Fotobuch als Schatzkiste persönlicher Erinnerungen Fotos, Postkarten, Briefe, Kunstwerke und Liedtexte stecken voller Geschichten. In diesem Seminar bringen Sie Ihre Erinnerungen an einen Ausflug, ein Familienereignis, einen Ort oder an etwas ganz anderes in Buchform. Mit anregenden Kreativ- und Schreibübungen begleiten wir Sie Schritt für Schritt zu Ihrem persönlichen Fotobuch. Sie lernen, wie Sie Erinnerungsgegenstände fotografieren oder einscannen, Ihre digitalen Bilder bearbeiten und die passenden Texte formulieren. Am Ende des Seminars werden Sie Ihre Fotobuchdatei drucken lassen können. Bitte bringen Sie Texte, digitale Bilder, Fotografien und Gegenstände mit, die Ihnen für Ihre persönliche Schatzkiste wichtig sind.

Museum Folkwang Los Carpinteros – Helm/Helmet/Yelmo

„Romantischer Weihnachtsmarkt“ Schloss Grünewald

Auf Einladung des Museum Folkwang hat das kubanische Künstlerduo Los Carpinteros (Dagoberto Rodríguez Sánchez, geb. 1969, und Marco Antonio Castillo Valdés, geb. 1971) an zentraler Stelle innerhalb der Schausammlung eine Installation geschaffen, die für die von Karl Ernst Osthaus begonnene Sammlung Archäologie, Weltkunst, Kunstgewerbe einen neuen Ort und eine neue Form der Präsentation bereit stellt.

Ein Weihnachtsmarkt mit ganz besonderem Ambiente an der Stadtgrenze zu Wuppertal-Vohwinkel. Am 3. und 4. Advent wird das historische Gelände in Solingen-Gräfrath mit knisternden Feuerkörben und Lichtinstallationen in eine traumhafte Stimmung versetzt. 110 Künstler, Kunsthandwerker und moderne Designer bieten je Wochenende ausschließlich selbst gefertigte Stücke an. Mit kulinarischen Köstlichkeiten und anspruchsvoller Gastronomie. Mehr Infos unter: www.romantischer-Weihnachstmarkt.net oder www.facebook.com/omms.net 12. – 14. Dezember (3. Advent) und 19. – 21. Dezember 2014 (4. Advent) Öffnungszeiten: Fr. 14 – 21 Uhr und Sa + So 11 – 20 Uhr Eintritt: 7 Euro (Kinder bis einschließlich 16 Jahre frei)

In der Werkstatt: Produktion der Holzkonstruktion, © Museum Folkwang/Los Carpinteros, 2014

Anschrift: Schloss Grünewald, Haus Grünewald 1 in 42653 SolingenGräfrath

Termin: 12. – 16. Januar 2015, Montag, 15 Uhr bis Freitag, 13 Uhr

Für alle, die gerne mit dabei sein möchten, finden sich weitere Informationen auf der Webseite www.akademieremscheid.de unter Fachbereiche/Akademie Plus oder telefonisch unter 02191-794 212.

106

Computersimulation: Helm/Helmet/Yelmo © Museum Folkwang/Los Carpinteros, 2014 Die Installation Helm/Helmet/Yelmo, gleichzeitig Skulptur und Ausstellungsarchitektur, ist Kreuzungspunkt verschiedener Deutungsangebote, die sich auf das Museum und seine inszenatorischen Mitteln beziehen. Geschickt werden unterschiedliche kulturelle, politische sowie ökonomische Instrumentalisierungen dieser Institution durchmischt. Museum Folkwang - Ein Museum der Stadt Essen – www.museum-folkwang.de Museumsplatz 1, 45128 Essen, 0201/88-0

Veranstalter: OpenMind ManagementService Anke Peters Unterkohlfurth 45 in 42349 Wuppertal Telefon: 0202 / 870 64 18, Fax: 0202 / 870 64 19, Mobil: 0171 / 88 28 320 mail@omms.net / www.omms.net


„Die Beste Zeit – Das Magazin für Lebensart“ erhalten Sie ab sofort:

Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal Telefon (0202) 31 72 98 9 www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Museums-Shop Turmhof 8 42103 Wuppertal Telefon (0202) 563-6231 www.von-der-heydt-museum.de

Bürobedarf Illert Grabenstraße 4 · 42103 Wuppertal Telefon (0202) 97 65 808 www.buero-illert.de

Bücher Köndgen Werth 79 · 42103 Wuppertal Telefon (0202) 24 800-50 www.koendgen.de

Bahnhofsbuchhandlung im Barmer Bahnhof Winklerstraße 2 · 42283 Wuppertal Telefon (0202) 59 53 85

Wohn- und Objektbeleuchtung

Friseursalon Capilli

Karlstraße 37 · 42105 Wuppertal Telefon (0202) 2 44 34 40 www.lichtbogen-wuppertal.de

Heinrich Wermann Manteuffelstr. 2, 42329 Wuppertal Telefon (0202) 30 13 22

Friedrich-Ebert-Str. / Ecke Laurentiusstr. 12 42103 Wuppertal Telefon (0202) 30 40 01 www.mackensen.de

25 Jahre

Druckservice HP Nacke Mediapartner · Druck · Verlag

Immanuelskirche Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal Telefon (0202) 28 10 40 www.hpnackekg.de

Hauptstraße 17 42349 Wuppertal Telefon (0202) 47 28 70 www.nettesheim.com

Wuppertal-Barmen 42275 Wuppertal Telefon (0202) 64 19 69 www.immanuelskirche.de

Ronsdorfer Bücherstube Christian Oelemann Staasstraße 11 42369 Wuppertal Telefon (0202) 2 46 16 03 www.buchkultur.de

Museumshop Kunstmuseum Solingen

Akademie Remscheid Kerstin Hardenburg Glücksbuchladen Friedrichstr. 52, 42105 Wuppertal, Tel. 372.900.58 www.gluecksbuchladen.de

Wuppertaler Str. 160 42653 Solingen Tel. 0212/258140 www.museum-baden.de

Begegnungsstätte Alte Synagoge Genügsamkeitstraße, 42105 Wuppertal Telefon: 0202-563.2843 oder 563.2958 www.alte-synagoge-wuppertal.de

Küppelstein 34 42857 Remscheid Telefon (02191) 794-0 www.akademieremscheid.de

Abonnieren Sie

DIE BESTE ZEIT und Sie erhalten das Magazin 6 x jährlich für 4,50 Euro pro Ausgabe incl. Porto bequem per Post ins Haus geliefert. Einfach anrufen, eine Mail versenden oder online über unsere Web-Seite unter Abonnement: www.diebestezeit.net bestellen.

Verlag HP Nacke Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal Telefon: 0202 – 28 10 40 info@diebestezeit.net Fax: 0202 - 8 31 67

107


Der Tipp für alle ab 60 Mit dem BärenTicket sind Sie im ganzen VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und in der 1. Klasse . Wir sind für Sie da ! MobiCenter Barmen , Alter Markt 10 · 42275 W uppertal MobiCenter Elberfeld, Wall 31 · 42103 W uppertal Telefon 0180 6 504030 (Festnetz 0,20 €/Anruf; Mobil 0,60 €/Anruf)

E-Mail: mobicenter@wsw-online.de 108 www.wsw-online.d e


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.