Das Goetheanum – Sonderheft Grundeinkommen

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enno schmidt

VOM ZEITGEIST Eine Idee wirkt. Wenn sie etwas geistig Wesentliches ist, dann wirkt sie und kann nicht anders. Frei ist nur der Mensch. – Und kann nicht anders.

«Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist», sagte Victor Hugo. Das galt für die Idee der Aufklärung, der Abschaffung der Sklaverei, der Demokratie, der Menschenrechte, auch für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens gilt es. Sie ist die gleiche, nur heute. «Unglück macht Menschen. Wohlstand macht Ungeheuer.» Auch das ist ein Zitat von Victor Hugo. Eine Idee wirkt. Wenn sie etwas geistig Wesentliches ist, wenn sie wesenhaft ist, dann wirkt sie und kann nicht anders. Sie wirkt in den jeweiligen Verhältnissen der Zeit. Wie sie sich auswirkt und verwirklicht, hängt davon ab, was Menschen ihr entgegenschaffen, wie sie damit umgehen und was sie an ihrer Energie hervorbringen, was sie ihr einverleiben. Das kann heilend sein oder zerstörerisch. Der Mensch ist da frei. Sonst niemand. Eine Idee wirkt und ist nicht frei, das auch bleiben zu lassen. Es ist nicht die Frage, ob ein Grundeinkommen kommt, sondern wie. Das ist für den Menschen eine Bewusstseinsfrage. Auf die Bewusstseinsentwicklung wirkt die Idee des Grundeinkommens ein. Umso mehr Bewusstsein die Menschen entwickeln, umso mehr wird die Vollbeschäftigung deutlich. Oder wie Benediktus Hardorp es ausdrückt: «Es gibt so viel Arbeit, wie es Menschen gibt.» Jeder bringt seine auf die Erde mit. Seine Sensibilitäten, seine Suche, sein Feuer, seine Wahrnehmung und Ziele. Entwicklung ist alle Tätigkeit. Umso mehr Bewusstsein in der Seele, umso mehr rückt auch als Arbeit in den Vordergrund, was vorher als bloßes Leben verlief. Umso mehr Bewusstsein, umso offen individueller auch die Lebenswege. Und umso brüchiger, komplexer und schwieriger, sie für sich selbst zu finden. Umso mehr braucht es Kraft aus eigenem Willen, die Entwicklung intrinsischer Motivation, den Mut auch, selbst zu denken. Und ein Bürgerrecht, welches diese Beweglichkeit frei gibt. Es mag überzogen klingen, aber was da mit der Idee des Grundeinkommens und seiner Einführung auf einen zukommt, ist: Selbsterkenntnis – Welterkenntnis. Das kann einen auch ärgerlich stimmen. Zwar ist das Grundeinkommen, einmal eingeführt, nur ein Grundeinkommen. Auch nicht spannender als die Demokratie, wenn sie Alltag geworden ist. Aber im Stadium der Idee, die noch keine äußere Form im alltäglichen irdischen Verhältnis hat, erscheint sie

besonders deutlich, erscheint sie auch übergroß. Ein Mensch, der noch nicht geboren ist, scheint auch zu groß für die irdischen Verhältnisse. Wie soll das gehen? Was ist, wenn die Verantwortung ihm nicht abgenommen ist? Wenn im Rahmen eines bedingungslosen Grundeinkommens ihm die Verantwortung für sich und sein Tun und Lassen nicht gemildert und gelenkt wird durch Auftragsbestimmung von außen, wenn seine Lebensmöglichkeit nicht fest verbunden ist damit, etwas abzuliefern, was bezahlt wird? Wenn er sich durchschaffen muss zur Unternehmung seines Lebens aus eigener Einsicht? Keine Schonung für Doppelgänger mehr? Das ist risikoreich und anstrengend auch, weil es immer wieder auf das Schwächste rekurriert, das Ich. Das ist nicht zu verwechseln mit der Stärke angeeigneter Selbstverständnisse. Diese Selbstverständnisse bröckeln unter der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Und man muss die Welt neu denken, sich selbst auch, und zwar aus selbst erzeugtem Denken, wofür man die eigene Anschauung durchschauen muss, was unbequem ist, weil man sie dann auch erweitern muss. Man kann es auch nicht nur für sich denken, so ein Grundeinkommen, sondern muss es für alle denken. Für andere also auch. Was ganz besonders offenlegt, in welcher Kulturepoche man selbst lebt. Man kann es auch nicht nur als Auszahlung denken, sondern muss es gewissenhaft auch als Einzahlung denken. Man muss Steuern denken, Zusammenhänge denken, Wirtschaft denken – man muss einfach raus aus der Hängematte. Wenn es um Entwicklung geht, sind das einige Punkte von denen, die unvermeidbar sind. Es wäre vernünftig, ihnen Formen entgegenzubringen, die sie ermöglichen. Dass wir im Überfluss leben, wo früher Mangel bestand, liegt heute weniger am fleißigen Einsatz von Menschen und mehr an optimierten Methoden und Maschinen. Was uns abgenommen wird, nutzen wir aber nicht, um uns Wichtigerem zuzuwenden, um diesen Wohlstand aus der alten Arbeit in neue Arbeit zu investieren, in die, wo die Rationalisierung ihre Grenze hat, in die, wo der Fortschritt alte Sozialformen weggeräumt hat und keine neuen schafft, in die Arbeit, die im Gleichschritt mit der Technik Bewusstseinsleistung verlangt bis ins Intimste der eigenen Lebensführung und bis in das hautnah Erlebbare der globalen Geschehnisse für jeden.

DAS GOETHEANUM 25 | 2011

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