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Hintaus

KOLUMNE Thomas Weber

Thomas Weber,

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Herausgeber weber@biorama.eu

LEBT UND ARBEITET IM ANTHROPOZÄN

Vom Menschen geformt, vom Menschen bedroht: Das Marchfeld, dem die Bundeshauptstadt bereits weite Teile abgerungen hat, ist auch früher immer wieder unter die Räder gekommen.

IIch lebe nicht nur im Anthropozän, ich wohne auch dort. »Ich wohne da, wo kein Mensch Urlaub macht« heißt das auf Facebook. Gemeint ist: im Marchfeld. Auf dieser Facebookseite posten eine lokalpatriotische Eingeborene und ein zugezogener Naturfotograf fast ein wenig trotzig Bilder; wie zum Beweis, dass auch eine intensiv vom Menschen geformte Kulturlandschaft ihre Reize hat; dass sich auch einer Agrarsteppe mit Zersiedelungseinsprengseln schöne Momentaufnahmen abringen lassen. Nichts hier ist nicht vom Menschen geformt. Bei den weitläufigen Feldern und Schottergruben ist das offensichtlich. Aber auch die naturnah anmutenden Föhrenwäldchen entstammen der Aufforstungsagenda Maria Theresias. Ihr gelang es, die Ernährung der Kaiserinnenstadt abzusichern, indem sie durch trockenheitstolerante Bäume die Wanderdünen stoppte und einer Verwüstung Einhalt gebot.

Selbst der Nationalpark Donau-Auen, letztlich eine Wildnis am Strom, entstammt der bewussten Entscheidung, die einstigen Jagdreviere des Hochadels (die historisch nur deshalb nicht gerodet wurden, weil es dort besonders große Hirsche zu erlegen gab) auch in der Zweiten Republik nicht der Wasserkraft zu opfern. Teile davon sind renaturiert. Aber sowohl Donau als auch die rückgebaute Uferlandschaft sind in ihrer heutigen Form ohne menschliches Zutun undenkbar. Und ohne menschliches Zutun (und regelmäßige Schotterbeigaben) würde der artenreiche Auwald verlanden, austrocknen. Diese »Zweite Natur« zeigt – überaus sehenswert – die heurige Landesausstellung. Dass die Natur, die im ursprünglichen Arbeitstitel für die Landesausstellung noch an vorderster Stelle stand, nun in »Marchfeld Geheimnisse. Mensch. Kultur. Natur« an die letzte Stelle gerückt ist, ist wahrscheinlich konsequent. Denn ein wenig ist die Natur hier immer unter die Räder gekommen. Weitgehend entwaldet war die Gegend wahrscheinlich schon zur Römerzeit. Im 20. Jahrhundert war es der intensive Ackerbau, der die davor dominierende Weidehaltung verdrängte. Heute herrscht der massivste Interessenskonflikt zwischen Siedlungs- und Straßenbau auf der einen und Naturschutz und Landwirtschaft auf der anderen Seite. Es ist ein Kampf um die besten, fruchtbarsten Böden Österreichs – der sich übrigens auch in der Bundeshauptstadt ankündigt: in Wiens transdanubischem Stadterweiterungsgebiet Donaufeld. Es ist ein klares Versäumnis der Landesausstellung, dass sie letztlich negiert (und vermutlich aus landespolitischer Selbstbeschränkung verschweigt), dass weite Teile des heutigen Wiens zum Marchfeld gehören. Eigentlich hätte das berücksichtigt gehört.

Doch immerhin: Die Záhorie, der slowakische Teil der

Tiefebene, die wir in Österreich Marchfeld nennen, wird mitgedacht. Und die Schnellbahnlinie S1 endet seit einiger Zeit nicht mehr in Gänserndorf, sondern führt direkt bis Marchegg. Damit taucht der Ausstellungsort auf der Wiener Öffi-Landschaft auf – und die Landesausstellung ist perfekt öffentlich angebunden. Ein klares Entschärfen eines Konflikts.