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KLETZENZUCKER

Kletzen statt kleckern

Text von

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KARIN WASNER

Fesch sind sie nicht und hip auch nicht. Die Kletzenbirne ist braun und verschrumpelt und als alte Obstsorte am Verschwinden. Im Gailtal arbeiten zwei dagegen.

In jedem Gasthaus in Kärnten gibt es Kletzennudeln, aber Kletzen kriegt man nirgends!« Leopold Feichtinger hat ein Herz für Rares. Sieben alte Kletzenbirnbäume stehen noch auf den Streuobstwiesen seines Biohofs »Echt Krass« oberhalb von Hermagor. »Seltsam, oder?« Die Kletzen dafür werden lieber im Großmarkt gekauft. »Die alten Obstbäume schneidet man um, weil die Früchte, die ungenutzt zu Boden fallen, die Wespen anlocken.«

Die braunen, nicht sehr ansehnlichen Dörrbirnen, die er im November in Händen hält, sind das Ergebnis vieler Stunden Arbeit. »Das tut sich halt keiner mehr an.« Er schon. Seit kurzem gibt es am Bauernmarkt in Hermagor wieder heimische Kletzen von seinem Hof. Gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Petschacher wird händisch geern-

Durch Veredelung

kann Phlipp Bodner die alten Obstbäume sortengleich vermehren. Während der Winterruhe ist die richtige Zeit, um Reiser zu schneiden.

tet, im selbstgebauten Trockner gedörrt und verarbeitet. Die beiden BiologInnen betreiben eine kleine Landwirtschaft im Gailtal. »Oben Obst, unten Schaf!« Zwischen ausladenden Obstbäumen weiden Krainer Steinschafe. Eine alte Rasse, die einst die bedeutendste Schafrasse des Alpenraums war. Inzwischen ist sie – verdrängt von Hochleistungszuchtrassen – ähnlich wie die Kletzenbirne vom Aussterben bedroht.

Nach dem Studium hatten sich die beiden »zuagroasten« NiederösterreicherInnen in den Kopf gesetzt, eine Landwirtschaft zu betreiben. »Fünf Jahre lang haben wir einen passenden Platz gesucht, an dem wir unsere Ideen und Projekte verwirklichen können.« Gelandet sind sie im Kärntner Süden mit drei Hektar Eigengrund. Die Streuobstwiesen, die seine Schafe jausnen, gehören ihnen nicht. »Wir machen nur die Grünraumpflege.« Leopold und Ulrike kümmern sich um die Bäume und pflegen die Wiesen. Im Gegenzug dafür dürfen sie das Obst ernten. »Die BesitzerInnen sind froh, dass es Verrückte wie uns gibt, die das noch machen.« Gemeinsam nimmt sich das Paar regionaler Kulturgüter wie der Kletzenbirne an, die zu aufwendig und deshalb unmodern geworden sind.

Bis zu eine Tonne Früchte kann ein mächtiger Birnen-Hochstamm produzieren. Von 850 Kilo frischen Früchten bleiben nach dem Dörren nur etwa 100 Kilo Kletzen. »Da ist nach viel Arbeit nur wenig übrig.« Mit Olivenerntenetzen, die etwa zwei Wochen unter den oft 15 Meter hohen Bäumen liegen, wird von September bis Oktober geerntet. »Die Kletzenbirne kann man nicht pflücken. Du wartest, bis sie reif vom Baum fällt.« Alle zwei Tage werden die Netze geleert. Sind die Birnen reif, sind sie innen braun und weich. Danach wird immer wieder von Hand verlesen und in einer Dörranlage getrocknet. »Und im November wird Kletzenbrot, Reindling oder Ulrikes Geheimrezept – Kanelboller mit Kletzen – gebacken!« Bei seiner Mission für die kleine, schrumpelige Birne bekommt Leopold Unterstützung von der Initiative Slow Food. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, besondere regionale Spezialitäten als Kulturgut zu bewahren. Noch vor 70 Jahren war Dörrobst ein wichtiger Teil der bäuerlichen Selbstversorgung. Kletzen waren neben

Honig die wichtigste Zuckerquelle und ein unverzichtbarer Vitaminlieferant für den Winter. »Die Kletzen wurden früher zu Mehl gemahlen und in Kuchen und Süßspeisen verwendet.« Über die Jahre verschwanden die Kletzenbirnbäume. Der Zucker kommt aus Rübe und Rohr, das Holz der mächtigen Hochstämme ist einfacher und schneller zu Geld zu machen als die kleinen Früchte. »Sind die Bäume weg, sind die Sorten weg.« Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gehen die Streuobstbestände in ganz Europa stark zurück. Von insgesamt 37 Millionen Streuobstbäumen, die es noch vor 60 Jahren in Österreich gab, sind nur mehr 4,5 Millionen übrig. Allein zwischen den Obstbaumzählungen 1967 und 1988 halbierte sich der Bestand auf rund 12,5 Millionen Bäume. Die selten gewordenen Wiesen und ihre Obstbäume sind charakteristische Elemente unserer Kulturlandschaft – und Hotspots der Biodiversität. Derzeit setzt sich die Arge Streuobst für eine Anerkennung der Streuobstwiese als immaterielles Kulturgut bei der Unesco-Kommission ein. Gemeinsam mit dem Umweltdachverband wurde vor einem Jahr der »Internationale Tag der Streuobstwiese« ins Leben gerufen, der den Wert der Flächen für die Tier- und Pflanzenwelt und die Gesellschaft europaweit bewusst machen soll. Leopold kennt die Argumente, denen die Bäume zu oft zum Opfer fallen. »Die ›machen Mist‹, stehen der neuen Straße oder dem nächsten Zubau im Weg.« Das Wissen um die Verarbeitung der Früchte fehlt ebenso wie der Wille, viel Arbeit und Zeit aufzuwenden.

Gemeinsam mit Boku-Absolvent Philipp Bodner arbeitet Leopold Feichtinger daran, den alten Birnbaumbestand im Gailtal zu bewahren. »Wenn die Früchte wieder genutzt werden, dürfen auch die Bäume stehenbleiben.« 140 Bäume hat Philipp Bodner im Rahmen seiner Diplomarbeit im Bereich Nutzpflanzenwissenschaft im Gailtal bestimmt und kartiert – eine erstaunliche Zahl für die kleine Region. Bis zu 300 Jahre alt sind manche Bäume. Einige von ihnen wurden entlang einer Eisenbahnroute gepflanzt, zu Zeiten der Donaumonarchie auch für die

Philipp Bodner und Leopold Feichtinger

bringen die Kletzenbirne zurück.

Versorgung des Wiener Marktes. Die Eisenbahn gibt es schon lange nicht mehr, die Bäume sind noch da.

Rote Pichlbirne, Römische Schmalzbirne oder Speckbirne. 20 unterschiedliche Sorten fand der junge Agrarwissenschaftler auf seinen Touren durch die Obstwiesen der Region. Von ihnen schneidet Bodner Edelreiser und vermehrt sie. Mit der Agrarökologin Eva Hinterbichler betreibt er die Biobaumschule »Fruchttrieb« in Kötschach-Mauthen. »Wir vermehren regionale Sorten und legen großen Wert auf ihre Echtheit.« Deshalb verwenden sie bei ihren Jungbäumen nur Edelreiser von pomologisch verifizierten Mutterbäumen. Gemeinsam arbeiten sie dafür, die genetische Vielfalt heimischer Obstarten für die Zukunft zu bewahren. Dieses Jahr verkauft er erstmals wieder Jungbäume der raren Kletzenbirnensorten. Für Leopold Feichtinger ein Schritt in die richtige Richtung. »Jetzt sind die selten gewordenen, alten Sorten gesichert und können sogar wieder neu gepflanzt werden.«

echtkrass.at fruchttrieb.at kulturerbe.argestreuobst.at Ein Schluck Hochprozentiges von der Kletzenbirne schmeckt Ulrike Petschacher nicht nur in ihrem Kletzennudel-Rezept.

Regionale Mehlspeisküche

Slow-Food-Köchin Ingeborg Daberer und Edelgreißler Herwig Ertl kochen mit Dörrbirnen. So entstehen die berühmten Kletzennudeln.

Kandierte Orangen und Zitronen ade! Hier folgen zwei Rezepte für Kletzenbrot und Kletzennudeln, die mit ausschließlich heimischen Zutaten auskommen.

Kärntner Kletzennudeln

ZUTATEN

TEIG

300 g Mehl 200 ml lauwarmes Wasser 1 Ei 1 TL Salz

FÜLLE

250 g getrocknete

Kletzenbirnen

280 g Bröseltopfen 16 g Staubzucker 1 Prise Salz ½ TL Zimt 1 Messerspitze

Nelkenpulver

80 g zerlassene Butter

zum Servieren

ZUBEREITUNG

Über Nacht die Kletzen in kaltem Wasser einweichen. Am nächsten Tag Stiele entfernen und in Wasser weich kochen, pürieren und zusammen mit Topfen und Zucker verrühren.

Für den Teig Mehl, Ei, Salz und Wasser in einer Schüssel zu einem glatten Teig kneten und für eine Stunde zum Ruhen in den Kühlschrank stellen. Auf einer bemehlten

Arbeitsfläche den Teig zu einer Rolle formen, in zwei Zentimeter dicke Scheiben schneiden und zwei Millimeter dick auswalken (für kreisförmige Nudeln mit einem Glas ausstechen). Fülle in die Mitte platzieren, einschlagen und die Tasche an den Rändern zudrücken. Jetzt wird »gekrendelt«. Dafür nimmt man eine Ecke am Teigrand und faltet diese von unten nach oben, so entsteht der hübsche Rand. Die Teigtaschen in kochendem Salzwasser kurz aufkochen lassen. Dabei umrühren, damit sie nicht aneinanderkleben. 10 bis 12 Minuten in siedendem Wasser ziehen lassen, bis sie oben schwimmen. Mit zerlassener Butter, Zimt und Zucker auf einem Teller servieren.

KLETZENBROT

ZUTATEN

FRÜCHTEANSATZ

(Stehzeit mind. 24 Stunden bei Raumtemperatur)

300 g Kletzenbirnen 300 g gedörrte

Zwetschken

300 g gedörrte Feigen 1 Handvoll Rosinen 1 Handvoll Walnüsse 1 Messerspitze Zimt ¼ l Rum

TEIG

250 g Roggenmehl 100 g glattes Weizenmehl 1 Würfel frischer

Germ (Hefe)

1 TL Salz 1 TL Brotgewürz 1 TL Staubzucker ¼ l lauwarmes Wasser

ZUBEREITUNG

Obst und Nüsse kleinschneiden und gemeinsam mit dem Zimt in ein großes Gefäß geben und mit Rum übergießen. Nach mindestens 24 Stunden bei Raumtemperatur sollten die Früchte die Flüssigkeit aufgesaugt haben. Roggen- und Weizenmehl vermischen und aufhäufen, in der Mitte eine Mulde formen und Germwürfel hineinbröckeln. Salz, Brotgewürz und Staubzucker hinzugeben. In die Mitte etwas lauwarmes Wasser gießen und für ein paar Minuten stehen lassen, bis der Germ aufgelöst ist. Wasser mit dem Teig vermengen. Zum Schluss sollte es ein glatter und kompakter Teig sein. Den Teig zugedeckt bei Raumtemperatur aufgehen lassen. Nach etwa einer halben Stunde sollte sich der Teig verdoppelt haben. Dann nochmals durchkneten und erneut für ca. 15 Minuten gehen lassen. Den Teig wieder durchkneten und in zwei gleich große Hälften teilen. Auch den Früchteansatz in zwei Gefäße aufteilen. Nun die Teige ausrollen, darauf den Früchteansatz geben und miteinander verkneten. Wenn sich der Teig mit den Früchten gut vermischt hat, die Masse zu Stollen formen, in etwas Mehl wälzen und auf ein Backblech legen.

Die beiden Stollen lässt man nun nochmals für ein paar Minuten aufgehen. Bevor die Stollen ins Backrohr kommen, mit Wasser bestreichen, damit sich eine schöne Kruste bildet. Bei 150–160 °C die Stollen bei Umluft etwa 45 bis 50 Minuten lang backen.