5 minute read

Gendersensible Sprache: Wie

Wen wie korrekt ansprechen – und warum

GESCHLECHTERSENSIBLE SPRACHE

Advertisement

Dass die deutsche Sprache tatsächlich eine schwere Sprache ist, beweisen die Fragen, die sie im Alltag immer wieder aufwirft. Und das nicht nur bei Menschen, die sie gerade neu erlernen. Doch abgesehen von Uneinigkeiten über Grammatik und Rechtschreibung gibt es auch immer wieder Diskussionen darüber, wie sie sich verändert. Ein Thema, über das in diesem Kontext aktuell besonders häufig debattiert wird, ist die gendersensible Sprache. So haben auch wir, die Redaktion des Kemptener Stadtmagazins 0831, uns kürzlich dazu entschlossen, in einen Sprachgebrauch überzugehen, der alle Geschlechter gleichermaßen ansprechen soll. Wir waren mit Pia Wirth, Mitglied der Access Allgäu Area, im Gespräch über den Hintergrund sowie die Pro- und Kontraargumente des Genderns.

Mehr Informationen über das Engagement und aktuelle Aktionen des Kollektivs findet ihr auf der Homepage, zu der ihr über diesen QR-Code gelangt und auf der Instagram-Seite @aallgaeua. So beispielsweise auch zum Aufruf von Acces Allgäu Area-Mitglied Anu, zur Gründung eines Empowerment Space für BIPoC im Allgäu.

Was genau ist Access Allgäu Area?

Access Allgäu Area ist ein Kollektiv, das sich, kurzgesagt, für feministische Themen und gegen jegliche Form der Diskriminierung und Marginalisierung einsetzt. Derzeit besteht die Gruppe aus 20 Personen. Uns ist es wichtig, als Gruppe heterogen aufgestellt zu sein, um möglichst viele Perspektiven abzubilden. Daher freuen wir uns sehr über Neumitglieder. Besonders ansprechen möchte ich dabei BIPoC (Black, Indigenous and People of Color), Menschen mit Behinderung, LGBTQIA* und Männer.

Seit wann engagierst du dich für die Organisation?

Ich war bei der Gründung im Juni 2020 mit dabei. Mein persönlicher Beweggrund war die Tatsache, dass sich unsere Gesellschaft nach dem Tod von George Floyd, den Black-Lives -Matter-Demonstrationen und den damit einhergehenden Solidaritätsbekundungen ziemlich schnell wieder back to business bewegt hat. Es wurde immer wieder betont, dass Deutschland kein Rassismusproblem habe und das hat mich ehrlich gesagt richtig wütend gemacht. Wir haben in Deutschland, insbesondere im Allgäu, wirklich einiges aufzuarbeiten und wir von AAA finden, es ist jetzt Zeit miteinander zu sprechen, die rosarote Brille abzusetzen und sich auch den unbequemen Wahrheiten zu stellen.

56

Was hat dich dazu bewegt, dich für Frauenrechte stark zu machen?

Die eigenen Privilegien und Grenzen zu erkennen, war wohl maßgeblich. Ich hatte das Glück, mehrfach privilegiert aufzuwachsen, als Frau stößt man im Laufe des eigenen Lebens aber fast zwangsläufig an eine gläserne Decke. Das betrifft maßgeblich die mangelnde, reale Gleichstellung in Bezug auf Gehälter, Aufstiegsperspektiven, Macht, Einfluss. Durch Sexismus und übergriffiges Verhalten bekommst du als Frau in vielen Lebenssituationen zu spüren, wie stark unsere Gesellschaft durchzogen ist von toxischen, patriarchalen, rassistischen und marginalisierenden Strukturen. Du merkst, wie stark du selbst davon geprägt bist und wie sehr auch viele deiner Mitmenschen darunter leiden. Bei der Sprache fängt für mich alles an. Das Thema Gendern im Sprachgebrauch ist ein wichtiger und längst überfälliger Schritt und kommt nun, nach jahrzehntelangen Kämpfen der Aktivist:innen, endlich in unserer Gesellschaft an. Auch ich habe es noch nicht zu 100 Prozent intus, aber ich bemühe mich und die wachsende Akzeptanz macht Hoffnung.

Was setzt du dem Argument, dass Frauen ja „mitgemeint” seien, entgegen?

GESCHLECHTERSENSIBLE SPRACHE

Jetzt seid ihr gefragt!

Was denkt ihr darüber, dass wir dazu übergegangen sind, geschlechtersensible Sprache zu verwenden? Ist es euch in der letzten Ausgabe schon aufgefallen? Ob als dm an unsere Instagram-Seite 0831_stadtmagazin, als E-Mail an 0831@liveinverlag.de oder als Postkarte an unsere Redaktionsadresse, wir freuen uns auf euer Feedback!

Dass eine Vielzahl an Umfragen und Studien Gegenteiliges belegt. Diese zeigen, dass ein großer Teil der Frauen nicht mitgedacht wird und sich nicht mitgemeint fühlt, wenn er nicht mit angesprochen wird. Das generische Maskulinum ist ein Konstrukt, das die Verwendung der männlichen Form als Norm festlegt und Frauen damit zur Abweichung macht. Geschlechtergerechte Sprache bedeutet, dass alle Geschlechter sprachlich gleichermaßen sichtbar sind. Ich mache Menschen, die noch fremdeln oder nicht verstehen, um was es geht, keinen Vorwurf, aber ich appelliere an alle, sich dem Thema zu öffnen.

Weshalb brauchen wir das Gendersternchen beziehungsweise den -Doppelpunkt?

Seit Ende 2018 umfasst das Personenstandsgesetz die sogenannte dritte Option und Personen können sich als „divers“ eintragen oder ihre Geschlechtsidentität mit „keine Angabe“ offenlassen. Viele Menschen sind sich zwar noch immer nicht im Klaren darüber oder lehnen dies ab, aber wir leben schon lange nicht mehr in einer Welt, die nur zwei Geschlechter zulässt. Geschlechtergerechte Sprache bezieht also auch diejenigen mit ein, die sich nicht eindeutig einem biologischen oder sozialen Geschlecht zuordnen können oder wollen. Es gibt inzwischen unzählige Worte zur Identifikationsmöglichkeit, die unter dem Überbegriff „Divers“ zusammengefasst werden. Facebook bietet derzeit beispielsweise 60 zur Wahl an. Die Vielfalt der Bezeichnungen, von „nichtbinär“, „geschlechtslos“, „geschlechts-nonkonforme Personen“, „genderfluid“ bis hin zu „genderqueer“ ,beweist, wie dringend der Bedarf ist, die gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen zu öffnen. Dabei ist die Frage nicht, wie viele Menschen betroffen sind, sondern ob wir diese in unserer Gesellschaft berücksichtigen wollen oder nicht.

Manche Menschen warnen vor einer Veränderung der deutschen Sprache durch das Gendern. Was sagst du dazu?

In diesen Diskussionen wird häufig die Tatsache verkannt, dass Sprache sich ohnehin konstant verändert. Seien es Worte, die aus anderen Sprachen adaptiert oder neu etabliert werden, so zum Beispiel das „Googeln“. Aber auch Abkürzungen beziehungsweise neue Schreibweisen werden in unserer Kommunikation schnell zum Standard. Gendersensible Sprache zu sprechen, verlangt von Sprechenden und Schreibenden, sich Gedanken darüber zu machen, wen sie wirklich ansprechen möchten und wen nicht. Sie schafft Platz für Menschen mit unterschiedlichen Identitäten. Um dies sichtbar zu machen, müssen wir richtig über Dinge reden können, das erfordert die sprachliche Möglichkeit. Abschließend kann man sagen, dass die Sprache unser Bewusstsein und damit ebenso unser Denken und schlussendlich unser Handeln formt.

Mehr Informationen über das Engagement und aktuelle Aktionen des Kollektivs findet ihr auf der Homepage, zu der ihr über diesen QR-Code gelangt und auf der Instagram-Seite @ aallgaeua. So beispielsweise auch zum Aufruf von Acces-Allgäu -Area-Mitglied Anu, zur Gründung eines Empowerment Space für BIPoC im Allgäu.

Interview Julia Linckh

Eine Hilfestellung im Umgang mit gendersensibler Sprache sowie nützliche Tipps und Tricks zur Vermeidung von ungelenken Formulierungen bietet das Genderwörterbuch.