Surprise 564/23

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Strassenmagazin Nr. 564 1. bis 14. Dez. 2023

CHF 8.–

davon gehen CHF 4.– an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Weihnachtszeit

Von Herzen Ein Adventskalender voller Gedanken und Ausblicke


Der Verkauf des Strassenmagazins Surprise ist eine sehr niederschwellige Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen und den sozialen Anschluss wiederzufinden.

Gutes tun – sinnvoll schenken

Ein Strassenmagazin kostet 8 Franken. Die Hälfte davon geht an den*die Verkäufer*in, die andere Hälfte an den Verein Surprise.

Surprise bietet armutsbetroffenen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Geschenken von Surprise unterstützen Sie uns dabei. Geben einen coolen Look: Die SURPRISE-MÜTZEN

Alle Verkäufer*innen tragen gut sichtbar einen Verkaufspass mit einer persönlichen Verkaufsnummer. Diese ist identisch mit der Nummer auf dem Magazin.

Das Heft erscheint alle 2 Wochen. Ältere Ausgaben werden nicht verkauft.

Geben warm: Die SURPRISE-HOODIES

Gibt andere Perspektiven: Ein SOZIALER STADTRUNDGANG

TITELBILD: NIKLAS WESNER

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info@surprise.ngo

Editorial

Dies ist ein Aufhänger Wir haben mit diesem Heft einen Adventskalender für Sie gemacht. Das ist jetzt vielleicht keine grosse Überraschung. Und doch: Alles, wirklich alles, kommt diesmal anders daher als sonst. Wir haben Cartes blanches verteilt, und so gehen nun vierzehn verschiedene Türen auf. Nach Albanien etwa, wo nicht nur die selbstverständliche Koexistenz der Religionen beeindruckt, sondern auch die Einsicht erschüttert, wie undifferenziert der Blick von aussen auf den Balkan oft ist. Zum Internationalen Tag der Menschenrechte werfen wir einen Blick auf die Kraft geduldiger Bildwelten in einer zerrissenen Welt und auf die Notwendigkeit, die Menschlichkeit darin präsent zu halten. Und unser Sozialzahl-Kolumnist Professor Carlo Knöpfel beleuchtet mit der Situation der Working Poor ein sozialpolitisches Problem und erhellt gleichzeitig die Dynamik der laufenden Debatte.

Auch unsere Verkäufer*innen haben Beiträge verfasst. Seynab Ali Isse schreibt über den Zukunftstag ihrer Tochter. Und stellt dabei die Frage, wie junge Menschen wie sie, die mit einer Behinderung leben, eine sinnvolle Lebensgestaltung für sich einfordern können. Michael Hofer lackiert sich die Fingernägel, und man staunt, wie viele Themen in dieser Entscheidung stecken. Nicolas Gabriel bewegt sich in fast schon transzendenten Sphären, während der Text der Autorin Rebekka Salm aus anderen Gründen nicht ganz fassbar scheint. All das können Sie sich an die Wand hängen: Sie finden die Markierung für den Nagel mittig im Rand des Heftes. Wir wünschen viel Freude beim Lochen und damit bis zur nächsten Ausgabe, dem zweiten Teil unseres Adventskalenders. DIANA FREI Redaktorin

Illustration Niklas Wesner studierte Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Er illustriert Artikel für Magazine und NewsPortale.

5 Dominik Bloh

Noch eine Chance 7 Klaus Petrus

Paule 9 Michael Hofer

Der Nagellack Rebekka Salm

Chrüüfzere

13 Nicolas Gabriel

Winter im Traum

Surprise 564/23

27 Christoph Keller

Zukunftstag

Im Tram

15 Fokus Surprise

Sascha Lara Bleuler

29 Martina Caluori

Nur eine kleine Sache

Den Blick schärfen

Zeitgeflüster

19 Franzsiska Tschinderle

Allah oder Gott? In Albanien nicht so wichtig

11 Florian Wüstholz

Boden, der gut tut

21 Seynab Ali Isse

hier lochen

23 Diana Frei

Jenseits der Materie 25 Carlo Knöpfel

Wie die Schweiz zu ihren Working Poor kam

31 SurPlus Positive Firmen Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren

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Noch eine Chance

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Surprise 564/23

Gestern war ein verregneter Sonntag. So richtig gemütlich, einladend zum Liegenbleiben. Wie schön, dass ich heute die Möglichkeit dazu habe. Am Nachmittag bin ich dann aber doch noch rausgegangen, denn es stand ein Gespräch mit dem Deutschlandfunk an. Vor dem Interview wollte ich noch bei meiner Lieblingspizzeria etwas essen, keine 100 Meter von den «Palmen aus Stahl» entfernt, nach denen mein Buch heisst. An diesem Ort habe ich meine letzten drei Winter auf der Strasse verbracht. Ich kehre immer noch hierher zurück. Die Pizzeria gab es damals noch nicht, sie ist erst vor kurzem eröffnet worden. Während die Pizza im Ofen liegt, gehe ich raus, eine rauchen. Aber mein Feuerzeug geht nicht. Ich schaue mich nach anderen Menschen um, von denen ich womöglich Feuer kriegen könnte. Da entdecke ich eine Frau und gucke sie an. «Brauchst du Feuer?», fragt sie. «Dann komm her.» Sie sitzt im Rollstuhl. Ich komme näher. Ein Fuss fehlt. Der andere guckt nackt aus dem schwarzen Hosenbein heraus. Sie beginnt zu weinen und zu schluchzen. Ihr scheint es grade gar nicht gut zu gehen. «Was ist denn los?», frage ich, als ich das Feuer nehme. «Kann ich dir auch irgendwie helfen?» Sie sieht aus wie ein begossener Pudel, ein trauriger. Es ist seltsam, wie lange es manchmal dauert, bis man etwas völlig Offensichtliches klar erkennt: Sie ist total durchnässt, genauso wie der Schlafsack, der aus der Tasche guckt, die an ihrem Sitz hängt. Sie erzählt mir, wie sie eingeschlafen ist, auf derselben Pritsche, auf der ich auch schon gelegen habe. Keiner hat sie geweckt. Sie ist buchstäblich im Regen liegengelassen worden. Wahrscheinlich nicht nur heute. Ich habe mich hingehockt, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. Und entdecke hinter dem Rollstuhl ein kleines Wollknäuel, ein zweiter begossener Pudel. Nasses welliges Fell. Kleine Knopfaugen. «Das ist Minka.» Ihre Stimme wird ganz weich. Während sie über Minka spricht, ziehen sich ihre Mundwinkel nach oben zu einem kleinen Lächeln. Minka springt um mich herum und lässt sich gerne bekuscheln. Minkas Freude macht auch die Frau im Rollstuhl glücklich. Minka sage ich, mein Name ist Dominik. Daraufhin stellt sich auch Angelina vor. Seit 18 Jahren macht sie Platte, wie man in Deutschland sagt, wenn Menschen auf der Strasse schlafen. Vier Jahre davon ist sie mit Minka unterwegs. Man gewöhnt sich an alles, sagt sie, als ich sie auf ihren nackten Fuss anspreche. Ich weiss, was sie meint. Keine drei Meter neben uns läuft die Polizei Streife. Die Beamten würdigen Angelina keines Blickes. Dabei bräuchte es nur eine

Frage, mehr wünsche ich mir gar nicht. Ein kurzes «Hallo, kann man Ihnen helfen?» Aber die Menschen gucken weg, sie wollen die Not nicht sehen. Drinnen wartet meine fertige Pizza, ausserdem eine Redakteurin und ein Aufnahmegerät auf mich. Aber ich will Angelina nicht nochmal im Regen stehen lassen. Ausserdem würde sie gerne einen Kaffee trinken. Mit Milch und Zucker, wenn es geht. Es gibt hier auch gute Pizza, versuche ich ihr schmackhaft zu machen, und zähle alle Sorten auf, die mir einfallen. Sie soll Auswahl haben. Und Vorfreude isst mit. Sie wählt Tomate-Mozzarella. Ausgezeichnet. Wir rollen in den Laden. Der Betreiber freut sich, er bittet sie herzlich herein. Der Laden ist voller Menschen. Wir sitzen mit der Redakteurin in einer Ecke im hinteren Teil, wo es ruhiger ist. Wir essen zusammen und quatschen. Sie erzählt aus ihrem Jetzt. Ich berichte aus meiner Vergangenheit. Mich berührt das. Sie erzählt von ihren Problemen im Rollstuhl. Wie schwer es ist, ihre Sachen zu transportieren. Dass die Leute bei ihr sofort ablehnend sind, weil sie alles Schlimme, was sie verdrängen, in einer Person sehen können: So wie Angelina will keiner sein. Aber sie will weitermachen, bis es vorbei ist. Als nächstes geht sie in den Waschsalon, ihre Sachen und den Schlafsack trocknen. Ich gebe ihr noch ein bisschen Geld mit. Und wir rauchen noch eine zusammen. Bevor ich wieder reingehe und sie sich auf den Weg macht, sagt sie noch: «Das Lachen darf man nie verlieren, sonst hat man nichts mehr.» Ich hoffe, wir begegnen uns jetzt öfter. Angelina ist eine tolle Frau. Hoffentlich kriegt sie noch eine Chance. Ich nehme mir vor, meine Umgebung stets achtsam wahrzunehmen, die Augen offen zu halten. Mein Leben ist heute viel besser. Deshalb sehe ich mich in der Verantwortung, wenn ich Menschen in Not sehe oder Menschen, die nicht selbständig ihre Würde aufrechterhalten können, mein Bestes zu tun, um die Situation für sie zu verbessern. Und ich wünsche mir, dass viele Menschen es genauso machen. Eine Chance zu bekommen ist so wichtig.

DOMINIK BLOH lebte über zehn Jahre – schon als Teenager – auf der Strasse. Er hat seine Geschichte aufgeschrieben, auf kleinen Zetteln, noch als Obdachloser. Daraus entstand das Buch «Unter Palmen aus Stahl», das zum Spiegel-Bestseller und in Deutschland zur Schullektüre wurde.

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Paule Der Ort: Restaurant da Toto, Bözingenstrasse 139, 2504 Biel. Die Personen: Maurice, 78, Stammgast und Rocker im Rentenalter; Lado, 16, Mops und Hund von Maurice; Hella, etwa um die 80, früher Stewardess; Paule (Alter unbekannt, abwesend), Chihuahua und Hund von Hella; Daniel, etwa um die 30, Hellas Enkel. Der Rahmen: Maurice sitzt allein an einem Zweiertisch, trinkt einen Roten, Lado liegt unterm Tisch und röchelt, Hella betritt das Restaurant, derweil Daniel noch nach einem Parkplatz sucht. Maurice und Hella sehen sich zum ersten Mal. Vifes Kerlchen, ihr Hundi (Hella beugt sich hinunter, schnippt mit den Fingern in Richtung Lado, der knurrt). Oha, und ein wilder dazu! Weiss Gott ein alter Knochen, zweimal die Huft operiert, die Nase ... Ja, diese Möpse. ... und den Rücken, den hat er gebrochen, er fiel mal die Treppe runter. Sicher das Alter. Chöit dänke, da war er noch ein Jungspund. Hat den Tritt verfehlt, dieser Pajass. Ich sage ja immer, der Lado ist ein Träumer. Eh ja, der überlebt mich noch, gell du! Lado heisst du also, ein schöner Name. Meiner hat Diabetes. Ohje. Ein Chihuahua, auch in Rente (beide lachen).

Apropos, die Pizza ist gut hier, die kommt subito aus dem Ofen. Und einen Hauswein haben sie jetzt auch, ganz neu, gut und günstig, den müsst Ihr probieren. Ui, Alkohol vertrage ich schon lange nicht mehr. Vielleicht nehme ich die Teigwaren, Pizza hatte ich letzte Woche. Und dann ab nach Haus. Zu Paule oder zum Mann? (beide lachen) Den Paule retten. Aber Ihr Mann ist schon recht zu ihm, oder? Jaja, nur: Der schweigt meinen Paule den ganzen Abend an, das arme Tier. Ehnu. Ah, mein Enkel ist da. Dann einen Schönen noch und bon app. Alles Gute Ihnen (Hella schielt unter den Tisch, Lado knurrt). Und dir auch, du Hübscher.

2

Aus dem Tierschutz? Nein, aus einer Zucht im Elsass, war nicht günstig. Die Operationen vom Lado auch nicht, im Fall. Meiner kam mit acht Wochen zu mir, seitdem sind wir ein Päärli. Ich holte mir den Lado aus dem Tierheim, als ich den Töff abgeben musste. Mops statt Harley (Hella lacht). Eine Rakete ist der Lado ja schon nicht. Gell Grunzi. Grunzi? «Mops» kommt aus dem Niederländischen «moppern» und heisst «grunzen» (Maurice lacht). Das wusste ich nicht, interessant. Zum Glück haben unsere Hunde kleine Beine. Ich meine, in unserem Alter ... Säget nüd, sonst bräuchten wir lange Leinen (beide lachen). Meiner ist ein Kläffer. Lebt er denn noch? Und wie. Und wo ist er jetzt? Daheim ist der Paule beim Mann. Der Hund heisst Paule? Oder öppe Ihr Mann? Der Hund ist der lustige Paule, mein Mann ist der tierische Ernst (Hella lacht). Ach so. Ernst mag ihn nicht, er ist eifersüchtig. Auf den Paule? (Maurice trinkt aus) Präzis auf den Paule. Weil, wir verstehen uns so gut, der Paule weiss immer, wie es mir tut. Der Ernst ist manchmal, wie soll ich sagen, so grantig. Ich will noch was erleben, wissen Sie? Dann soll Paule ihn mal ins Füdle beissen (beide lachen, Maurice bestellt sich noch ein Glas Wein). Also Biss hätte er!

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Daniel hat inzwischen sein Auto parkiert und zwei Tische weiter Platz genommen, Hella setzt sich dazu, die beiden blättern in den Menükarten. Und? (Daniel schubst seine Grossmutter an) Jaja. Jetzt sag schon: Pferdeschwanz, Ledergilet, was ist das für einer? Nicht so laut. Hast seinen Mops gesehen, den Lado? Nein.

Ein Fescher ist er. Lustig, interessant, sehr, sehr aufmerksam. Der Mops? (Daniel grinst) Natürlich nicht. Der Mann. Und wie heisst er? Weiss nicht. Ah, du kennst den Mops beim Namen, den Herrn aber nicht? Ich glaube, er ist so ein einsamer Wolf. Von einer Frau hat er jedenfalls nichts berichtet. Fuhr bis vor kurzem noch eine Harley, stell dir vor! Ach was. Der hatte bestimmt ein aufregendes Leben, das steht in seinem Gesicht. Auf seinem T-Shirt ist so ein Indianer auf einem Pferd. Und Schneid hat er, das merkst du sofort. Ist er denn von hier? Ich würd’s meinen. Hmm. Denkst, ich darf den Wirt fragen, ob er öfter hier ist mit seinem Lado? Du könntest ihn selber fragen (Daniel zwinkert Hella zu). Er ist doch grad am Zahlen, das wäre aufdringlich. Dann frag den Wirt. Vielleicht kommt er ja immer am selben Tag hierher, was meinst? Du fragst mich Sachen, Grossmutter. Sag nicht Grossmutter. Was haben wir denn heute? Es ist Dienstag. Prima.

KL AUS PETRUS ist Co-Redaktionsleiter des Strassenmagazin Surprise, Autor von «Am Rand» (Christoph Merian Verlag 2023) und trinkt hin und wieder einen Roten im da Toto.

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Der Nagellack Ich habe mir die Fingernägel lila lackiert. Ich dachte, das ginge gar nicht für mich, weil ich Nägel kaue. Aber Claudio von der Klimabewegung sagte mir, gerade deswegen solle ich es tun. Das schütze auch vor dem Nägelkauen. Ich habe das schon immer getan. Aus Nervosität, unter Druck, im Stress. Der Nagellack ist ein Schutz, für die Nägel und für mich, damit ich mich nicht selbst zerstöre.

3

In der Klimabewegung haben viele lackierte Fingernägel. Schwarz, blau, bordeauxrot. Die Farbe spielt eigentlich keine Rolle. Die farbigen Fingernägel stehen für eine offene Gesellschaft, auch für eine Form von Zugehörigkeit zur Gruppe, wobei es auch viele Klimaaktivist*innen gibt, die sich die Nägel nicht lackieren. Pflegepersonal etwa darf gar nicht, wegen der Hygienevorschriften im Beruf. Bis vor Kurzem war es üblich, dass nur Frauen sich die Nägel lackieren. Später sah ich Männer, die es taten, und färbte meine Fingernägel auch. Ich erhielt dafür hauptsächlich positive Reaktionen. Ich habe meinen Nachbarn darauf angesprochen, wie er meinen Nagellack fände. Er machte einen Spruch und sagte, wenn er Rosa wäre, hätte er mich gefragt, ob ich wegen dem Barbie-Film auf die Idee gekommen wäre. Aber er fand es gut. Als ich ein Kind war, da gab es nur wenige Männer mit langen Haaren, bei Frauen war es normal. Bei meinen Freund*innen, da gibt es nicht nur Mann oder Frau, Er oder Sie. Das wäre in meinen Augen nicht korrekt, weil es auch Transmenschen und nonbinäre Menschen gibt. In meinem Umfeld bezeichnen sich viele Menschen als nonbinär. Gewisse Leute meinen, dass ein Mann zwingend eine Frau brauche, aber Liebe kann genauso zwischen zwei Männern oder zwei Frauen oder zwischen nonbinären Menschen bestehen. Es gibt viele Kategorien und Schubladen, die Geschlechterstereotypen bedienen. Noch vor fünfzehn Jahren hiess es, Technik und Fussball sei nur etwas für Männer. Heute sehen wir, dass Frauen beides genauso gut können. Meine Mutter war Maschinenbauzeichnerin und sie war immer Feministin. Die Nägel lackiert hätte sie sich nie, dafür tue ich es jetzt.

MICHAEL HOFER verkauft Surprise in Oerlikon und ist Teil der Produktion «beyond the material/Verschenkte Erinnerungen» im Sogar Theater (siehe Tag 11).

Chrüüfzere D Chilchenuhr hett churz vor achti und im Chinderzimmer chäibet myni Chlyyni no immer uf em Chinderbett umme wie en chäärige Chirsichlöpfer. E Chilbi isch das, säg ich euch. Chääferig wie si isch, chrääsmelet si us eigener Chraft uf en umgcheerte Chratte näb em chriesböimig Chaschte, chniempet sich cherzegraad aane und chalbernäärscht denn wie nes chaabisdrööligs Chäigeli über s chloobige Kchaanapee derap ufe Chacheliboode, zmitz is Chlötzli-Chrausimausi, dezwüüsche Chrükcherli und verdrukcheti Chröömli, alles chrüzwyys. Wie das chäibed, chläppered und choldered, chasch chuum glaube. Es Chrippischrappis het si gmacht bim ummechalbere und ummechuugele, das Chrüüschelihäxli.

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«Mach kchäi Chabis, Chnüschperli», hani chooblig gchäibed und ha ufe Liechtschalter drükched und s Chämmerli isch dutzwytt chäibemeesig choolbrandschwarz worde. Do isch dä chlyy Chnopf z Chopfede ufs Chopfchüssi gchläädered wie ufe Chanzle, het sich haupthööchlig und z chnüünlige aaneghökchled und het mit syyne Chueöigli so gross wie Choolchöpf gkchlimpered und gchüüscheled: «Chunnsch mi cho chrüüfzere, Mami?» Ui, was cha das Chutschi chüenzle und chüüderle noch allne Noote. «Du chrampfchruttige Chnüüderi», hani drum gchittered und däm Chnööpflibyyger s chruushöörige Chöpfli gchrääbeled. «Es isch doch scho chyttig. Und was zum chöödrige Chrottestächer isch denn Surprise 564/23

‹chrüüfzere› für es chäibs Chäppelerzügs? Isch das Chuuderwältsch?» «Chrüüfzere isch e chäibe chöischtligi Sach», isch es choo wie us dr Chäpselibischtoole und debyy isch mir das Chützli ufd Schänkchel gchläädered und het sich zhächligedikch an mich aanegchnuuschded wie ne Chlette. «Chasch mi drum bissoguet so lang chrüüfzere wies bruucht, um mit eme Chüechliseechter e Chrueg Chrälleliwasser zchluuribelze?» «Äch chumm, du chlyyne Chluuri», hani gchlööned, «chasch nid äifach chly chrööse. Und was isch denn das Chogechäibs, das Chrüüfzere?» S Chindli het chatzefrüntlig syn Chambe uf mini Chittelfäkchte gchiered. Do hani in deere chäibe chaltlächtige Chäldnacht aagfange, sys Chruuseltschüppli z chnöötsche und z chüüderle. Jo, die ganzi chrooschpelig Chüürpse vo däm chlyyne Chlaus hani gchrööieled und gchräsmeled. «Isch das chrüüfzere?», hani gchüüscheled und ha mit mine Chlööpe die chöischtlige Chaabisblätter gchrüüseled, gchriibeled und gchramsled. «Chasch dänkche», het dä chyydigi Chnoorzchopf gkchichered. «In däm Fall isch das chrüüfzere», hani gchischpered und ha s chnuschprig Chyyni gchnätted und gchrüüscheled und mit myne chnöpfige Chlöpfer, fascht scho Chnölpifinger syys, e chlyy uf em Chiifer ummekchlympered.

«Chaabis, Mami, het dä chatzenöigligi Chaschper gchäischbered. Hesch Chuuder in de Oore? Chrüüfzere söllsch mi, chumm.» «Chas ächt syy, dass das chrüüfzere isch?», hani fangs chäibedäig gchyyschtered und ha die chäche Chnüü vo däm chummlige Chnülli gchlütterled, gchnutte und gchnöötscht und die verchruschtete Chlekch hani gstryychled. Jo s ganze chöischtlige, gschmökchige und choge choschtbaare Chind hani phäckled und gchnuddled und churzschpitz chreftig an mi aaanegcheesed und ha gchlischpled: «Oder ächt das? Isch das churzamänd das Chrüüfzere, Chindgottes?»

Chöit dir euch voorstelle, was mir dä chlyy Chrott churz vor Mitternacht ändlich chogechäibelyys zur Antwoort gchuuched het? Chhh. Chhh. Chhh.

REBEKK A SALM publizierte ihren DebütRoman «Die Dinge bei Namen» 2022 im Knapp-Verlag. Im nächsten Frühling erscheint ihr Zweitling «Wie der Hase läuft».

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das literarische theater

Verschenkte 9. — 16. Dezember 2023

Erinnerungen Geschenk-Ausstellung und Lesungen mit Surprise-Verkäufer:innen Josefstrasse 106, 8005 Zürich www.sogar.ch 9


Der Nagellack Ich habe mir die Fingernägel lila lackiert. Ich dachte, das ginge gar nicht für mich, weil ich Nägel kaue. Aber Claudio von der Klimabewegung sagte mir, gerade deswegen solle ich es tun. Das schütze auch vor dem Nägelkauen. Ich habe das schon immer getan. Aus Nervosität, unter Druck, im Stress. Der Nagellack ist ein Schutz, für die Nägel und für mich, damit ich mich nicht selbst zerstöre.

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In der Klimabewegung haben viele lackierte Fingernägel. Schwarz, blau, bordeauxrot. Die Farbe spielt eigentlich keine Rolle. Die farbigen Fingernägel stehen für eine offene Gesellschaft, auch für eine Form von Zugehörigkeit zur Gruppe, wobei es auch viele Klimaaktivist*innen gibt, die sich die Nägel nicht lackieren. Pflegepersonal etwa darf gar nicht, wegen der Hygienevorschriften im Beruf. Bis vor Kurzem war es üblich, dass nur Frauen sich die Nägel lackieren. Später sah ich Männer, die es taten, und färbte meine Fingernägel auch. Ich erhielt dafür hauptsächlich positive Reaktionen. Ich habe meinen Nachbarn darauf angesprochen, wie er meinen Nagellack fände. Er machte einen Spruch und sagte, wenn er Rosa wäre, hätte er mich gefragt, ob ich wegen dem Barbie-Film auf die Idee gekommen wäre. Aber er fand es gut. Als ich ein Kind war, da gab es nur wenige Männer mit langen Haaren, bei Frauen war es normal. Bei meinen Freund*innen, da gibt es nicht nur Mann oder Frau, Er oder Sie. Das wäre in meinen Augen nicht korrekt, weil es auch Transmenschen und nonbinäre Menschen gibt. In meinem Umfeld bezeichnen sich viele Menschen als nonbinär. Gewisse Leute meinen, dass ein Mann zwingend eine Frau brauche, aber Liebe kann genauso zwischen zwei Männern oder zwei Frauen oder zwischen nonbinären Menschen bestehen. Es gibt viele Kategorien und Schubladen, die Geschlechterstereotypen bedienen. Noch vor fünfzehn Jahren hiess es, Technik und Fussball sei nur etwas für Männer. Heute sehen wir, dass Frauen beides genauso gut können. Meine Mutter war Maschinenbauzeichnerin und sie war immer Feministin. Die Nägel lackiert hätte sie sich nie, dafür tue ich es jetzt.

MICHAEL HOFER verkauft Surprise in Oerlikon und ist Teil der Produktion «beyond the material/Verschenkte Erinnerungen» im Sogar Theater (siehe Tag 11).

Chrüüfzere D Chilchenuhr hett churz vor achti und im Chinderzimmer chäibet myni Chlyyni no immer uf em Chinderbett umme wie en chäärige Chirsichlöpfer. E Chilbi isch das, säg ich euch. Chääferig wie si isch, chrääsmelet si us eigener Chraft uf en umgcheerte Chratte näb em chriesböimig Chaschte, chniempet sich cherzegraad aane und chalbernäärscht denn wie nes chaabisdrööligs Chäigeli über s chloobige Kchaanapee derap ufe Chacheliboode, zmitz is Chlötzli-Chrausimausi, dezwüüsche Chrükcherli und verdrukcheti Chröömli, alles chrüzwyys. Wie das chäibed, chläppered und choldered, chasch chuum glaube. Es Chrippischrappis het si gmacht bim ummechalbere und ummechuugele, das Chrüüschelihäxli.

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«Mach kchäi Chabis, Chnüschperli», hani chooblig gchäibed und ha ufe Liechtschalter drükched und s Chämmerli isch dutzwytt chäibemeesig choolbrandschwarz worde. Do isch dä chlyy Chnopf z Chopfede ufs Chopfchüssi gchläädered wie ufe Chanzle, het sich haupthööchlig und z chnüünlige aaneghökchled und het mit syyne Chueöigli so gross wie Choolchöpf gkchlimpered und gchüüscheled: «Chunnsch mi cho chrüüfzere, Mami?» Ui, was cha das Chutschi chüenzle und chüüderle noch allne Noote. «Du chrampfchruttige Chnüüderi», hani drum gchittered und däm Chnööpflibyyger s chruushöörige Chöpfli gchrääbeled. «Es isch doch scho chyttig. Und was zum chöödrige Chrottestächer isch denn Surprise 564/23

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REBEKK A SALM publizierte ihren DebütRoman «Die Dinge bei Namen» 2022 im Knapp-Verlag. Im nächsten Frühling erscheint ihr Zweitling «Wie der Hase läuft».

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Boden, der gut tut Manche behaupten, Jäten sei etwas vom Meditativ­ sten, das es auf unserer schönen Welt gibt. Man könne so wunderbar in sich gehen, wenn man mit der Pendelhacke zwischen Reihen von Zwiebeln, Kohlrabi, Rüebli und Fenchel durchrattert. Einat­ men, bücken und Beikraut aus der Erde klauben, ausatmen. Einatmen, Schweiss abwischen, ausatmen. Ich finde Jäten vor allem mühsam – und mache es trotzdem. Bis vor ein paar Jahren bestand mein Pflanzen­ reich aus Terrakottatöpfen auf dem Balkon. Pflanz­ fertige Erde aus dem Supermarkt kaufen, Setzlinge rein, giessen, fertig. Jäten unnötig. Es wurde aber auch nicht viel geerntet. Hier auf dem Acker von «TaPatate!» im frei­ burgischen Wallenbuch muss schon etwas mehr rausspringen als die vierzehn Cherrytomaten, die ich jeweils Ende September in meiner Balkon­ plantage pflücken konnte. Und so baue ich nach dem ewigen Jäten auf dem Feld einen halben Tag lang das Gewächshaus um – die Tomaten brauchen Platz und Luft. Immerhin wollen rund hundert Men­ schen im Umkreis von Bern jede Woche einen Sack voll Gemüse kriegen. Sie alle sind Teil einer Gemein­ schaft, die eine Solidarische Landwirtschaft leben will. Sind sie auch Teil einer besseren Landwirt­ schaft? Die Idee dahinter: Landwirt*innen und Kon­ sumierende spannen zusammen. Man gründet zum Beispiel einen Verein und pachtet ein Stück Land. Die Vereinsmitglieder zahlen einen Jahresbeitrag. Dieser soll die Kosten für die Produktion von Ge­ müse und Obst decken: für die Löhne der Gemüse­ gärtner*innen, für Saatgut, Dünger und Maschinen. Ungefähr 40 solcher Initiativen gibt es gemäss der

Pech – ausser die Mäuse. Das Risiko wird auf viele Schultern verteilt. Und die Freude ebenso. Nur Gurken im Winter kann man sich gleich abschminken. Auch die Solidarische Landwirtschaft braucht et­ was, damit überhaupt Gemüse wächst: Boden. Welt­ weit wachsen rund 95 Prozent unseres Essens im Bo­ den. Er reinigt unser Trinkwasser und speichert CO². Er ist Lebensraum für unzählige Arten. Ohne ihn gäbe es kein menschliches Leben – und trotzdem geht es dem Boden in der Schweiz und überall auf der Welt schlecht. Denn wir tragen ihm wenig Sorge. Es lohnt sich, uns am heutigen Weltbodentag die Bedeutsam­ keit unserer Lebensgrundlage vor Augen zu führen. Oder wie oft denken wir an die Gesundheit der Böden? «Der Boden muss als die am wenigsten gewürdigte natürliche Ressource bezeichnet werden», schrieb das Bundesamt für Umwelt 2017 in einem Bericht über den Bodenzustand in der Schweiz. Unser Umgang da­ mit sei nicht nachhaltig und «die langfristige Erhal­ tung der Bodenfunktionen» infrage gestellt. Hinter dem poetischen Behördendeutsch steckt die Beobachtung eines weltweiten Trends: Die Qua­ lität der Böden sinkt. Überall auf der Welt gibt es Überdüngung, Pestizideinsatz, Verdichtung durch schwere Maschinen, Erosion und Landschaftsver­ lust infolge Überbauung oder Versiegelung. Die Fol­ gen sind Ernteausfälle, Rückgang der Biodiversität, Überschwemmungen, Hunger und Kosten von 300 Milliarden Euro pro Jahr. Wir zerstören langsam unsere Lebensgrundlage. Und merken es kaum. Vielleicht kommt die Solidari­ sche Landwirtschaft da gerade recht. Sie verspricht ein wiederzugewinnendes Verhältnis zu unserer Nah­ rung. Und zu dem Boden, auf dem sie wächst. Sie soll uns zeigen, was es braucht, damit wir satt werden.

Arbeit wie ich – nur viel effizienter. Aber effizient heisst auch: nicht so umweltschonend, nicht so nachhaltig, nicht so bodenfreundlich. Studien haben ergeben, dass es den Böden im bio­ logischen und biodynamischen Anbau deutlich bes­ ser geht, als wenn konventionell gearbeitet wird. Kon­ ventionell heisst meist: mineralische Dünger aus umweltzerstörendem Bergbau, schwere Traktoren, die den Boden verdichten und das Leben für Kleintiere und Mikroorganis­ men erschweren. Und: Pestizide, Fungizide, Herbizide, Akarizide. Wachsen darf nur, was wir für «nützlich» befinden – was unseren Richtlinien und Kriterien entspricht, was an­ schliessend auf unseren Tellern landet. Natürlich frage ich mich auch: Können 40 Ini­ tiativen in der Schweiz mit ihren je rund 100 Mit­ gliedern daran etwas ändern? 4000 Idealist*innen gegen die Macht der Agrarindustrie? Das gelingt kaum. Aber es vermittelt wieder mehr Verständnis und Wertschätzung für die bäuerliche Arbeit und die Leistungen unserer Natur. Klar, wir alle wissen, dass die Milch nicht aus dem Regal kommt. Aber wussten Sie, wie viel Arbeit in einem Kilo Bohnen steckt? Im Supermarkt kostet es 13 Franken. Ist das wirklich ein angemessener Preis? Nur bei Spargel sind sich inter­ essanterweise alle bewusst, dass sich die Ernte nie­ mand freiwillig antut – und dafür Erntehelfer*innen aus dem Ausland kommen. Erntehelfer*innen, deren Arbeitsbedingungen denkbar problematisch sind. Wo wir schon beim Preis sind. Solidarische Landwirtschaft bedeutet leider auch: ziemlich teu­ res Gemüse. Bio – vielleicht sogar Demeter – ist um Welten teurer als konventionell angebaute Pro­ dukte. Der Preis spiegelt wider, was es kostet, wenn

Kooperationsstelle für Solidarische Landwirt­ schaft in der Schweiz. Jede besitzt ihre Eigenart. Das kommt daher, dass Solidarische Landwirt­ schaft auch bedeutet: zusammensitzen, diskutieren, gemeinsam entscheiden. Was soll angebaut wer­ den? Und wie viel davon? Unter welchen Be­ dingungen? Wie sorgen wir dafür, dass es auch im Winter immer etwas für die Mit­ glieder gibt? Welchen Lohn kann man zahlen? Wie hoch soll der Jahresbeitrag sein? Sollen je nach finanziellen Verhält­ nissen unterschiedliche Beiträge möglich sein? Und wie viele Halbtage soll jedes Mitglied im Jahr auf dem Feld mithelfen? Mitbestimmung und Gemeinschaft sind Teil des Ganzen: Alles, was auf den Feldern wächst, wird gleichmässig an die Mitglieder ver­ teilt. Quillt das Lager mit Kartoffeln über, heisst das: fleissig Rösti machen. Machen sich die Mäuse am Broccoli zu schaffen, haben alle

Es ist Frühling. Nach einer kalten einstündigen Velo­ fahrt ins Grüne setze ich mich in die Morgensonne und putze den frisch geernteten Lauch. Der Nebel hängt noch ein bisschen über den Feldern, doch die Arbeit wärmt mich auf. Jeder Lauch geht durch meine Finger, bevor er ins Körbchen kommt. Wenn ich ihn ein paar Tage später wieder aus meinem Gemüsesack holen werde, ist es wie ein Wiedersehen. Ein schönes Gefühl. Dann geht es ans Anpflanzen. Mit der Hacke lo­ ckere ich den Boden auf – 30 Meter hin und 30 Me­ ter zurück. Als Nächstes kommt organischer Dünger drauf. Dann wird jeder Salatsetzling von Hand an­ gepflanzt und die Erde festgedrückt. Das Massband liegt daneben. Immer brav Abstand halten, damit die Köpfe später genügend Platz haben. Die Arbeit ist schön. Sie ist schweisstreibend. Ich gebe es zu, es ist meditativ. Mein Blick schweift aufs Feld nebenan. Dort wird konventionell ange­ baut. Ein Traktor rollt vorbei und lockert das riesige Feld in wenigen Minuten auf. Er macht die gleiche

wir unsere Böden, unsere Umwelt, unsere Mit­ lebewesen und ­menschen nicht kaputt machen wollen. Wenn wir die echten Kosten nicht einfach auf die Zukunft oder andere abwälzen. Hilft aller­ dings wenig, wenn das Portemonnaie dünn ist. Ist Solidarische Landwirtschaft ein Wohlfühlprojekt für Wohlstandsver­ wöhnte? Vielleicht. Manche Initiativen passen immerhin die Beiträge an die ökonomischen Möglichkeiten der Mitglieder an. Wer wenig verdient, zahlt auch weniger – und erhält am Ende trotzdem gleich viele Gurken und Zucchetti. Solidarischer ginge natürlich immer noch.

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FLORIAN WÜSTHOLZ ist freier Journalist und schreibt über Umwelt- und Klimathemen. Der Internationale Weltbodentag ist am 5. Dezember.

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ADVENTSKALENDER 1.–23.12.2023, 17:00–17:30 Uhr, Eintritt frei Jeden Tag ein neuer Beitrag aus Oper, Schauspiel, Ballett, Theater Public und Kooperationspartner:innen des Theater Basel. Alle Einnahmen fliessen in den Topf ‹Eins mehr›. Sie schenken damit ein Ticket an Menschen, die sich einen Theaterbesuch gerade selbst nicht leisten können. Photo aus ‹Der Barbier von Sevilla›: Ingo Höhn

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Winter im Traum Meine Mutter und ich haben eine besondere Beziehung. Als ich im Al­ ter von fünf Jahren war, sprang gedanklich in etwa folgende Frage von ihr zu mir herüber: Wirst du mir helfen, wenn ich durchs lange, dunkle Tal meines Lebens muss? Klar doch, sandte ich ebenso lautlos das Echo.

In ihrem Zimmer weisse Pflanzen, Ruten mit Zweiglein, Beeren, viel­ leicht Blättern. Alle und alles daran weiss. Das ist ja je länger je mehr zu einer ihrer Lieblingsfarben gerade bei Kleidern geworden (ansons­ ten Gelb, Orange, Grün, alles Pastell).

Tatsächlich habe ich sie ein Vierteljahrhundert später nach ihren zehn Psychi­Jahren weitere achtzehn Pflegeheim­Jahre begleitet. Ich lernte dabei all die steinalten Leute kennen, die mir den Weg ins glückliche Jetzt wiesen.

Und künstliche Schneeflocken rieselten fein durch den Raum. Dazu ein weisses Schäflein, künstlich kunstvoll auch dieses.

Nun hatte ich kürzlich den folgenden Traum. Als ich aufwachte, nahm ich gleich Schreibmaterial, um ihn festzuhalten. Ich weiss ja: Träume haben die Kraft, wahrer als die Wirklichkeit zu sein.

Ich sagte: Maman, es ist ja fast alles weiss bei dir.

Wir lebten wieder zusammen. Meine Mutter hatte eines der grösseren Zimmer in einer ärmlichen, aber nicht armen Wohnung. Mit Doppel­ bett, just neben dem Bad.

Ich erschrak und war verzaubert zugleich.

Sie meinte: Ja, dies ist mein Lebenswinter. Ich bereite mich vor.

NICOL AS GABRIEL, Surprise-Verkäufer, für seine liebe Mutter (Mireille), die lautlos, fernab im fernen Frankreich, von dannen zieht.

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Fokus Surprise

Nur eine kleine Sache Ein aromatischer Tee, ein schöner Spruch, etwas zum Spielen oder das klassische «Schöggeli» mit Weihnachtsmotiv: Viele haben heute früh ein Kartontürchen oder ein kleines Säckchen geöffnet, neugierig den Inhalt entnommen und sich darüber gefreut. Womit es offiziell ist: Der Advent ist da, das Warten auf Weihnachten hat begonnen. Aber was bedeutet diese besondere Zeit eigentlich, für uns alle und natürlich insbesondere für Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind? Vorweihnachtliche Stimmung sieht im Idealfall so aus: Man besorgt in geschäftigen Einkaufsmeilen die Geschenke, über die sich die Liebs­ ten hoffentlich freuen werden; man macht es sich gemeinsam auf dem Sofa gemütlich und macht ein Spiel oder schaut einen spannenden Film; oder man beobachtet dick eingepackt auf einem Winterspazier­ gang die letzten Blätter beim Purzeln. So sähe sie aus, die schöne Zeit voller Vorfreude auf die Feierlichkeiten rund um die Weihnachtstage – natürlich ist es manchmal etwas hektisch, aber das Schöne überwiegt.

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Leider sieht die Realität vor allem für armutsbetroffene und sozial ausgegrenzte Menschen anders aus. Das Geld reicht kaum für den täg­ lichen Bedarf und ganz sicher nicht für den Kauf von Geschenken – insbesondere, da nun schon das zweite Jahr in Folge die Lebenskosten stark gestiegen sind, etwa durch Mieterhöhungen und teurere Kran­ kenkassenprämien. Wer Familie tausende Kilometer entfernt in einem Krisengebiet hat, kann sich nicht entspannt zurücklehnen. Selbst der Winterspaziergang kommt nicht für alle Menschen infrage, und wes­ sen Gesundheit diesen nicht zulässt, sitzt in der dunklen Jah­ reszeit womöglich oft einsam zuhause. Der Advent ist deshalb auch eine besonders herausfordernde Zeit des Jahres, in der der Unterschied zwischen «dazugehören» und «nicht teilha­ ben» nochmals deutlicher wird. Die Zeit vor Weihnachten ist es aber auch, in der ausser­ gewöhnlich viele Menschen Solidarität zeigen: Mit freiwilligen Arbeitseinsätzen, grösseren oder kleineren Spenden oder ein­ fach ein paar netten Worten. Viele denken an ihre weniger privilegier­ ten Mitmenschen und helfen, wo sie können. Das spüren auch wir bei Surprise jedes Jahr. Im Advent freuen sich unsere Verkäufer*innen über einen besonders erfolgreichen Heftverkauf und für den Verein ist es die spendenintensivste Zeit. Das haben wir Ihnen zu verdanken, liebe Leser*innen und Spender*innen! Ohne Ihre Unterstützung wäre es uns nicht möglich, nun schon 25 Jahre lang unserer Arbeit für und mit armutsbetroffenen und sozial ausgegrenzten Menschen nachzugehen. Neben der Produktion und dem Verkauf des Strassenmagazins gehören dazu die Sozialen Stadt­ rundgänge in Bern, Basel und Zürich, die Strassenfussball­Liga und der Strassenchor. Surprise betreibt zudem das Solidaritätsnetzwerk Café Surprise, das über geschenkte Getränke auch Menschen mit we­ nig Geld den Aufenthalt in Cafés gestattet und auf diese Weise Begeg­ nungen möglich macht. Alle unsere Angebote werden sozialarbeiterisch begleitet und die Teilnehmer*innen nachhaltig in ihren Lebenssitua­ tionen unterstützt. Dies wäre ohne Ihre Grosszügigkeit und Solidari­ tät nicht möglich – und dafür danken wir Ihnen ganz herzlich. Wir wünschen Ihnen und der gesamten Surprise­Familie eine ge­ ruhsame Adventszeit mit schönen Momenten und voller Solidarität und Zuversicht – so wie es den Kindern in den Bilderbüchern erzählt wird. Und zwar ganz gleich, woher Sie kommen, wie viel Sie haben, was Sie können oder woran Sie glauben.

NICOLE AMACHER,

Co-Geschäftsleiterin Verein Surprise

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Allah oder Gott? In Albanien nicht so wichtig Seit ich im Februar 2022 nach Albanien gezogen bin, wird mir immer wieder dieselbe Frage gestellt, meist begleitet von einem zutiefst besorgten Blick: Wie geht es dir als Frau in einem muslimischen Land? Wenn mir diese Frage gestellt wird, dann erzähle ich von einer Reise in den katholisch geprägten gebirgigen Norden Albaniens. Dort begegnen einem die meisten Kopftücher, sage ich. Alte Frauen binden sie sich zum Schutz gegen Wind und Wetter um. In der Regel schaut mein jeweiliges Gegenüber dann verdattert. In Albanien leben auch Katholik*innen? Und Muslimas tragen keine Kopftücher? Ja, also in Wien, wo ich studiert habe, sieht man mehr Frauen mit Kopftuch als in Tirana. Wenn ich dann noch hinzufüge, dass Albaniens Hauptstadt im Dezember einem OutdoorChristkindlmarkt gleicht und alle Punsch mit Alkohol trinken, tritt die ultimative Verwirrung ein. Ja, woran glauben die Albaner*innen denn? Für das Online-Magazin Die Republik habe ich einmal Albaniens Ministerpräsidenten Edi Rama interviewt und ihm dieselbe Frage gestellt. «Europa ist unsere Religion», gab er damals als Antwort. Seit Juli 2022 führt Albanien Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union. Zur EU zu gehören, ist der tiefe Wunsch sämtlicher Generationen – von jungen Studentinnen bis zu alten Männern auf dem Land. Ganz nebensächlich erwähnte Rama, dass er selbst Katholik, seine Frau Muslima und die Kinder aus der vorherigen Ehe orthodox seien. «Unser gemeinsames Kind wird irgendwann einmal entscheiden, was er sein möchte», so Rama zu mir, «vielleicht wird er buddhistisch oder jüdisch.» Der Balkan gilt vielen stereotyp als Hort religiöser und ethnischer Konflikte. Das hat mit den Kriegen in den Neunzigerjahren zu tun. Albanien, ein Land, das übrigens nie Teil von

Einparteienherrschaft. 1967 erklärte er Albanien zum ersten atheistischen Staat der Welt und liess ganz im Sinne von Karl Marx verkünden: Religion ist Opium fürs Volk! Hoxha liess Kirchen und Moscheen zerstören und Geistliche exekutieren oder einsperren. Wer eine Bibel oder einen Koran zuhause hatte, kam ins Gefängnis. Die Religion der Albaner*innen war fortan: der Marxismus-Leninismus. Hoxhas Atheismus-Kampagne war brutal und menschenfeindlich. Niemand wünscht sich diese Zeit zurück. Doch obwohl man danach eine Gegenreaktion hätte erwarten können, setzte nach der Wende keine Radikalisierung ein. Ja, einige arabische Staaten und auch die Türkei haben Moscheen gebaut und religiöse Vereinigungen gegründet. Und ja, es gibt heute ganz sicher mehr strenggläubige Menschen als vorher. Aber wen wundert das? Nach der Wende war all das, was unter Enver Hoxha verboten war, interessant und neu: der Kapitalismus und Coca-Cola ebenso wie der Gang in die Kirche oder Moschee. Auch Sinn musste neu gesucht werden, denn was vorher Dogma war, galt nun nicht mehr. Albanien hat heute, anders als im Rest Europas oft ängstlich angenommen, kein Islamismus-Problem. Ganz im Gegenteil. Als im August 2021 in Afghanistan die Taliban die Macht übernahmen, wurden tausende Menschen von dort evakuiert und in Hotels an Albaniens Küste untergebracht. Ich habe viele dieser Geflüchteten getroffen und interviewt. Unter ihnen waren Basketball-Spielerinnen, Staatsanwältinnen und Lehrerinnen, die vor einem Regime flohen, das Frauen degradiert und zuhause einsperren lässt. Sie flohen vor dem religiösen Wahn der Islamisten und fanden in Albanien einen sicheren Hafen. Es gab damals in Albanien keine Partei, die Stimmung gegen die Menschen machte, und auch keine rassistisch aufgeladenen Demonstrationen. Der Bürgermeister eines aufnehmenden Ortes erklärte mir, die Geflüchteten könnten so lange bleiben, wie sie möchten.

Jugoslawien war, blieb dieser Hass erspart. In dem 2,8-Millionen-Einwohnerland leben vier Konfessionen neben- und miteinander. Rund sechzig Prozent der Bevölkerung sind muslimisch, zehn Prozent katholisch sowie sieben Prozent albanisch-orthodox. Dazu kommen noch rund zwei Prozent Bektashi, das ist ein Sufi-Orden, der wie alle muslimischen Ordensgemeinschaften bei der türkischen Republikgründung durch Mustafa Kemal Atatürk verboten wurde und sich daraufhin nach Albanien zurückzog. Dort war er schon zu osmanischer Zeit gut etabliert gewesen. Albaniens Monarchie Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts stand für religiöse Toleranz. Im Zweiten Weltkrieg nahm Albanien auch – obwohl faschistisch besetzt – Jüd*innen auf, die vor den Nazis flohen. Bis heute spürt man diese Offenheit. Mischehen sind üblich, das gemeinsame Feiern religiöser Feste auch. Meine Nachbarn sind christlich-orthodox, wissen aber genau Bescheid, wann Bajram ist – so nennt man hier die religiösen Feste der Muslime. Man bringt sich gegenseitig bemalte Eier und Süssspeisen vorbei. Ich höre in Tirana vieles (Autolärm, Presslufthammer, Feuerwerk, laute Popmusik in den Cafés, Kirchenglocken), aber nur selten oder sehr, sehr leise einen Muezzin. Selbstverständlich gibt es Moscheen, aber ich habe in Albanien noch nie jemanden kennengelernt, der oder die fünf Mal am Tag betet. Viele geben ganz offen zu, dass sie gar nicht wissen, wie das geht. Albanien ist ein unaufgeregt säkulares Land. Wer die Gründe dafür sucht, muss zurückblicken. Der Islam kam im 15. Jahrhundert mit den Osmanen hierher. Davor glaubten in dem Land die meisten ans Christentum – sie lebten orthodox und katholisch. Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts wie an anderen Orten Europas auch auf dem Balkan die Nationalbewegungen erstarkten, nahm der Zugriff des Osmanischen Reichs auf die Region immer weiter ab. Eine der Voraussetzungen für einen unabhängigen albanischen Staat war das Wohlwollen der Grossmächte Italien, Österreich-Ungarn, Frankreich und Russland, eine andere die religiöse Harmonie innerhalb des Landes. Zu gross war die Sorge, dass Katholik*innen gegen Orthodoxe und schriftgläubige Muslime gegen andersgläubige Minderheiten kämpften. Aus dieser Zeit stammt der Satz: «Die Religion der Albaner ist das Albanertum.» Damit ist gemeint: Nicht eine Religion, sondern eine gemeinsame Sprache war das Fundament des neuen Staates. Und dieser Staat war wichtiger als die Frage, wie zu Gott gebetet wurde. Ein weiterer Grund für die religiöse Indifferenz vieler Albaner*innen liegt in der Zeit des Sozialismus stalinistischer Prägung (1944 – 1992). Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Diktator Enver Hoxha an die Macht und errichtete eine brutale

Das Schönste aber ist, dass es innerhalb der Konfessionen in Albanien keine Konkurrenz zu geben scheint. Weder strebt die Mehrheit der Muslime eine klare Führungsposition an, noch klagen die Katholik*innen darüber, diskriminiert zu sein. Alle sind gleich viel wert, was sich auch im Wohnzimmer meiner Nachbarn, die albanisch-orthodox sind, zeigt. Vergangene Woche luden sie mich auf ein Glas Limoncello ein und ratterten auswendig die religiösen Feiertage herunter. Jede Konfession hat ihre eigenen – aber alle haben frei.

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FR ANZISK A TSCHINDERLE ist Journalistin mit Schwerpunkt Balkan. Sie lebt in Tirana und hat 2022 ein Buch über Albanien veröffentlicht.

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it VisNICHTS 10.11.2023

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Zukunftstag Meine Tochter hat am Zukunftstag im November drei verschiedene Arbeitsstellen besucht, alle bei uns in der Familie. Den Vormittag über kam sie mit mir Surprise verkaufen. Weil sie mit einer Entwicklungsstörung lebt und ihr Menschenmassen schnell zu viel werden, standen wir in Effretikon statt am Hauptbahnhof Winterthur, wo ich meistens verkaufe. Es war das erste Mal, dass sie arbeiten ging, und sie hat ihre Kleidung sorgfältig auf das Surprise-Rot abgestimmt, die rosa Jacke angezogen und den rosa Rucksack mitgenommen, damit es zur Surprise-Weste passte. Ich sagte zu ihr: «Das ist heute deine Arbeit!» und habe selber nicht verkauft. Es lief gut, und sie war stolz darauf. Danach gingen wir ins Zürcher Sogar Theater zur Probe. Ich spiele im Dezember in einer Produktion mit, die in Kooperation mit Surprise entsteht. Wir waren zur Textbesprechung da, haben die Abläufe vorbesprochen und die Bühne angeschaut. Dann ging sie in den Elektrobetrieb, in dem ihr grosser Bruder seine Lehre gemacht hat und heute arbeitet. Sie hat sich alle Werkzeuge angeschaut und wahnsinnig viel gefragt, was ist das, wozu verwendet man jenes. Die Abläufe und Maschinen interessierten sie. Sie hat überall Fotos gemacht: Verkauf, Theater, Elektrobetrieb. Nachdem sie in der Schule all die Aufnahmen gezeigt und von drei Arbeitsplätzen erzählt hatte, rief mich die Lehrerin an und fragte mich, ob das denn stimme, ob ich jetzt auch Schauspielerin sei. Das war lustig. Meine Tochter ist nun 16. Ihre Zukunft ist für mich mit grossen Fragen und Druck verbunden. Ich suche einen Ort, an dem sie trotz ihren Einschränkungen eine Chance hat, etwas aus ihrem Leben zu machen. Ihre Lehrpersonen haben Erfahrung

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mit Jugendlichen mit besonderen Bedingungen. Trotzdem beschäftigt es mich sehr. Kann sie eine berufliche Tätigkeit finden oder bleibt diese Tür verschlossen? Wer wird uns unterstützen im Wunsch, ihren Alltag sinnvoll zu gestalten? Sind es die Ärzte, die IV? Sind es Behindertenorganisationen? Soziale Arbeitgeber*innen, die einen Versuch mit ihr wagen? Oder muss ich mich allein auf die Suche machen? Der Zukunftstag hat meiner Tochter Einblick in Jobs gegeben, die vielleicht unrealistisch für sie sind, vielleicht aber auch nicht. Ein Faktor ist, welche Fähigkeiten sie mitbringt. Ein anderer, wie gross der Mut und die Möglichkeiten sind, Menschen wie ihr eine Arbeit anzuvertrauen. Ihre drei grössten Stärken sind übrigens: Neugier, Fröhlichkeit und dass sie offen auf Menschen zugehen kann.

Den Blick schärfen Das Weltgeschehen hielt uns auch dieses Jahr in Atem, sprang uns an die Gurgel, drückte uns die Kehle zu und stellte uns für ein paar Schrecksekunden die Luft ab. Die Schockstarre geht zuweilen über in Empörung, und immer wieder ergreift uns das Gefühl, nicht wirklich zu verstehen, wie uns und dieser Welt geschieht. Im gesamten politischen Spektrum herrscht eine tiefe Verunsicherung, wie man mit den Forderungen nach der Verteidigung «unserer Werte» umgehen soll. Bewegungen, die sich auf Nation, Religion oder Ethnie berufen, verführen ihre Anhänger*innen mit einem heimeligen Identitätsgefühl, das zugleich Ausgrenzungen zementiert. Wir sehnen uns nach einer Navigationshilfe inmitten des unübersichtlichen medialen Getöses. Die Debatten in den Sozialen Netzwerken toben teils so laut, dass leise Stimmen schlicht überbrüllt werden. Dieser oftmals aus dem Kontext gerissenen Flut von Meinungen, Bildern, Videos können Filme – Spielfilme wie Dokumentarfilme – mit differenzierten, geduldigen Bildwelten begegnen, welche dem Bedürfnis nach einer vertieften Auseinandersetzung mit der Welt gerecht werden. Wir beim Human Rights Film Festival Zurich glauben daran, dass die emotionale Kraft der Filme und der dunkle Raum des Kinos uns ermutigen, genauer hinzuschauen. Wie das Unsagbare sichtbar machen? Das Kino der Menschenrechte setzt sich seit jeher künstlerisch mit diesem Spannungsfeld auseinander. Es wirft einen neugierigen Blick auf Menschen, die mit den festgefahrenen Zuschreibungen ringen und zeigen, dass Identitäten doch auch verästelt und kompliziert sind. Es Surprise 564/23

mutet naiv an zu denken, dass Filme und Diskussionen die Welt verändern können, doch sie ermöglichen ein Eintauchen in andere Wirklichkeiten und schärfen unseren Blick. Oft zeigen die Protagonist*innen solcher Geschichten, dass Widerstand gegen willkürliche und strukturelle Gewalt schmerzhaft, aber auch kreativ und humorvoll sein kann. Ich denke an den unvergesslichen Moment, als der ägyptische Satiriker Bassem Youssef anlässlich der Premiere von «Tickling Giants» am Festival zu Gast war. Er erklärte stimmig, wie Satire und Humor starke Waffen sind, um den Mächtigen dieser Welt die Stirn zu bieten und sie letztendlich zu Fall zu bringen. Youssefs Biografie zeigt exemplarisch, wie jemand politische Verantwortung wahrnimmt und selbst unter Lebensgefahr nicht aufgibt. Unser Filmfestival setzt diesem ungebrochenen Mut ein Denkmal und ist ein Versuch, durch die Kraft des Kinos den Widrigkeiten der Welt etwas entgegenzusetzen: Es muss heftig geträumt werden, bevor sich der Fokus verschiebt, das Verschwommene deutlich wird und die Wahrnehmung sich verändert.

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SEYNAB ALI ISSE verkauft Surprise in Winterthur und ist in der Produktion «beyond the material/Verschenkte Erinnerungen» im Sogar Theater zu sehen (siehe Tag 11).

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Ausbeutung ist immer noch in Mode. Zum Beispiel in Kambodschas Textilindustrie. Deshalb kämpft Solidar Suisse weltweit für faire Arbeitsbedingungen. In über 60 Projekten setzen wir uns mit lokalen Partnerorganisationen für soziale Gerechtigkeit und gegen extreme Ungleichheit ein.

SASCHA L AR A BLEULER ist die Direktorin des Human Rights Film Festival Zurich.

Zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember zeigt das HRFF das Drama «Io Capitano» im Kino Riffraff in Zürich. Das Festival findet vom 4. bis 10. April 2024 statt.

Ihre Spende hilft! solidar.ch

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Jenseits der Materie Es gibt Gegenstände, die sind nicht bloss sie selbst. An ihnen hängt ein Herz. Das Herz des Menschen, dem sie gehören, oder des Menschen, der sie erschuf. Diese Zeilen hat Nicolas Gabriel geschrieben, der bei der Rudolf-Brun-Brücke in Zürich Surprise verkauft. Es ist die kleine Geschichte zu einem Pflanzenbuch, das im Dezember Teil einer Geschenke-Installation im Zürcher Sogar Theater sein wird: Dort werden unterschiedliche Gegenstände ausgestellt, zusammen mit den verschriftlichten Erinnerungen oder Geschichten, die damit verknüpft sind. Selbstgestrickte Socken etwa, die an die 26 Enkelkinder der eigenen Grossmutter erinnern, weil diese das ganze Jahr über Socken stricken musste, um an Weihnachten jedem ein Paar schenken zu können. Oder das Bündner Birnbrot, dessen Geheimrezept der Vater – ein Bäckermeister – letzten Endes in einer Bäckerei in Biel preisgab, weil er selber eine Mehlallergie entwickelte und das Geheimnis daher nicht mehr wahren musste. Eine Elmex-Zahnspülung wiederum erinnert daran, dass Zahnsanierungen Geld kosten, das nicht alle zur Verfügung haben, und erzählt gleichzeitig von einer zarten Freundschaft mit einem obdachlosen Kollegen. Was in den Tagen der installativen Theaterproduktion «beyond the material» laufend im Theatercafé entsteht,

wird am Abend auf der Bühne zur szenischen Lesung: Die Geschichten werden miteinander verwoben, weitergesponnen und musikalisch eingebettet. Persönliche Erinnerungen fächern die unterschiedlichsten Lebenswelten auf und lassen hie und da ein Stück Zeitgeschichte anklingen. Es ist ein Donnerstagmorgen in der Bar des Theaters, die Schauspielerin Rahel Hubacher empfängt die Surprise-Verkäufer*innen und Stadtführer Seynab Ali Isse, Heini Hassler, Michael Hofer, Hans Peter Meier und Georges Meier nacheinander. Es soll um ihre Lebensthemen gehen und um die Frage, an welche materiellen Gegenstände sie geknüpft sind. An eine Coca-Cola-Flasche zum Beispiel. Aber die kleine aus dickem Glas, 2 Deziliter. Die schön geschwungenen Linien der Form, der weisse Schriftzug: Diese Flasche steht für ein Lebensgefühl, sagt Georges Meier. Als Kind verband er damit den Luxus, im Restaurant ein CocaCola trinken zu dürfen, was selten vorkam und wenn, dann nicht, ohne zuhause vorher viel Wasser getrunken zu haben («Nicht, dass ihr zu stark Durst habt, es gibt dann nur eins»). Coca-Cola stehe für Freiheit und für ein Amerika, wie er sich das als Kind vorgestellt habe, sagt Meier. «Ein Lebensgefühl, das es eigentlich gar nicht gibt. Ein Konstrukt», sagt er und kommt trotzdem in Fahrt, erzählt von den Highways und dem unendlichen Horizont, die er aus dem Fernsehen kannte und welche die sprichwörtlichen unbegrenzten Möglichkeiten versprachen, die dem Bub, wohnhaft zwischen den Bündner Bergen, so verlockend schienen. Meier war ein wissbegieriges Kind. «Ich bin ein Produkt von dem, was ich lese. Ich lese alles», sagt er. Alles über Geschichte, Philosophie, Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften. Warum er nicht Wissenschaftler geworden sei, fragt Hubacher. Er habe ein Problem in der Leistungsgesellschaft, sagt Meier. Er war Legastheniker, Stotterer, die Mutter sagte jeweils: «Alles, was du weisst, nützt dir nichts.» Sie hatte recht, den Lehrer interessierte es nicht. Meier machte eine kaufmännische Lehre und arbeitete bei der Bank, bis er bei einer Umstrukturierung seine Stelle verlor. In dieser CocaCola-Flasche, der kleinen à 2 dl, steckt seine Geschichte.

Seynab Ali Isse hat Musik mitgebracht, Hubacher hatte sie darum gebeten. Der Song hört sich süsslich melodisch an, und nun schaut sich die Schauspielerin die zugehörigen Gesten bei Ali Isse ab. Die Interpretin im Video richtet an die Adresse der Männer klare Worte mit viel Witz: «Ich schiesse die Goals, während du schläfst.» Als Geschenk, das ausgestellt wird, passt dazu das «Hareem Al Sultan Parfümöl», das im Internet als «luxuriöser und raffinierter Duft» beworben wird, «mit dem sich jeder selbstbewusst und glamourös fühlen kann». Seynab Ali Isse träufelt es am Freitagabend jeweils in den Staubsauger, wenn sie ihre Wohnung putzt. Und wenn eine ganze Gruppe von Bekannten und Verwandten zu ihr zu Besuch kommt, hat sie danach Kopfschmerzen, weil alle dasselbe Hareem Al Sultan aufgetragen haben. Ein Geschenkgegenstand jedenfalls, der ein Gefühl von Zuhause vermittelt. Hans Peter Meier sitzt am Tisch mit den tiefen Furchen in der Holzstruktur und überlegt. «Geschenke, Materielles, damit kann ich eigentlich wenig anfangen», sagt er

dann. «Das Glück findest du in dir selber, und wenn du es da nicht findest, dann findest du es nirgends auf der Welt.» Meier will Frieden und ein respektvolles Miteinander schenken. Er wird im Café zum Gespräch empfangen, durch die Geschichten führen, die sich hier im Verlauf der Installation ansammeln und Begegnungen schaffen. Denn was steht hinter dem Materiellen? Die Beziehung, der Austausch, das Gespräch.

DIANA FREI ist Co-Redaktionsleiterin des Strassenmagazin Surprise und hat bei dieser Produktion mitgearbeitet.

«beyond the material / Verschenkte Erinnerungen», ab Sa, 9. Dezember, Sogar Theater, Josefstrasse 106, Zürich, mit Rahel Hubacher, Mara Miccichè (Musik), Seynab Ali Isse, Georges Meier, Heini Hassler, Nicolas Gabriel und Michael Hofer. Bringen Sie ein eigenes Geschenk für die Geschichten-Sammlung mit oder kommen Sie mit leeren Händen und offenem Geist vorbei. www.sogar.ch

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12 Wie die Schweiz zu ihren Working Poor kam Wir befinden uns in den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Die Schweizer Wirtschaft ist im Umbruch. Die Arbeitslosenzahlen erreichen Höchstwerte. Die Prekarisierung der unteren Mittelschicht schreitet voran. Nach dem Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR sucht das Land nach Orientierung. In diesen Krisenjahren erarbeitet die neu gegründete Stabsstelle Grundlagen von Caritas Schweiz ein Positionspapier über Working Poor in der Schweiz. Das Dokument bekommt den vielsagenden Titel: «Trotz Einkommen kein Auskommen». An einer Medienkonferenz wird die Studie am 11. November 1998 vorgestellt. Die Resonanz ist überwältigend. Kaum eine Tageszeitung, kaum ein Radiosender berichtet nicht über die neu entdeckten «Working Poor» in diesem Land. Es folgen Anfragen über Anfragen für Referate und Podiumsdiskussionen. Die starke Beachtung des Positionspapiers von Caritas Schweiz hat zwei Gründe. Am Wochenende vor der Publikation fand der jährliche Kongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB statt. Die Gewerkschaften sahen sich in der Defensive. Die hohen Zahlen an Stellenverlusten nagten am Vertrauen der Erwerbstätigen. In dieser Situation rang sich der SGB zu einer Vorwärtsstrategie durch. Gegen interne Bedenken verabschiedete der Kon-

Offen blieb mit dieser Forderung auch, ob diese 3000 Franken tatsächlich existenzsichernd sind – und für wen. Neue Fragen kamen in dieser Debatte auch auf: Zunächst musste geklärt werden, wann ein Haushalt überhaupt zu den Working Poor gezählt wird. Muss in einem Working-Poor-Haushalt mindestens eine Person vollzeiterwerbstätig sein oder können auch zwei Teilzeitstellen kumuliert werden? Wie sieht es bei Alleinerziehenden aus? Reicht hier ein Beschäftigungsgrad von 50 Prozent? Endlich wurde eine Brücke zur Familienpolitik geschlagen: Wenn Löhne schon nicht existenzsichernd sind, dann müssen WorkingPoor-Familien vom Sozialstaat unterstützt werden. Plötzlich diskutierte man über die Einführung von nationalen Ergänzungsleistungen für armutsbetroffene Familien (FamEL). Das Vorhaben scheiterte allerdings nach jahrelanger Diskussion in der nationalrätlichen Kommission für Gesundheit und soziale Sicherheit am Nein eines CVP-Politikers. Heute haben erst vier Kantone eine FamEL, in mehreren Kantonen steht dieses Anliegen noch auf der sozialpolitischen Agenda. Schliesslich wurde ein dritter Aspekt der Lebenslage «Working Poor» zum Thema, der bereits im Titel der Caritas-Studie anklang: Es geht nicht nur um die Höhe der Löhne, sondern vor allem um die Höhe des frei verfügbaren Einkommens. Was bleibt übrig, wenn die Krankenversicherungen, die Steuern und die Mieten gezahlt sind? Mit dem Fokus

gress eine zentrale Forderung: «Kein Lohn unter 3000 Franken». Von der erfolgreichen Kampagne werden vor allem die Frauen profitieren. Die Studie von Caritas Schweiz liefert die wissenschaftliche Begründung, die zahlenmässigen Schätzungen und die narrativen Argumente zu dieser gewerkschaftlichen Kampfansage. Natürlich werden sofort Stimmen laut, die darin ein abgekartetes Spiel zwischen Caritas und SGB vermuten. Dabei wissen beide Seiten nichts vom Ansinnen der anderen. Die historische Koinzidenz dieser beiden Ereignisse ist aber so zufällig nicht. Das Thema liegt in der Luft. Trotzdem kann dieses Zusammentreffen allein die grosse Resonanz nicht erklären. Dazu kommt ein zweiter Faktor. Working Poor gibt es schon lange in der Schweiz. Verschiedene kantonale und nationale Armutsstudien hatten längst auf dieses Phänomen hingewiesen, aber niemand griff die Thematik ernsthaft auf. Erst die Publikation von Caritas Schweiz brachte das Thema auf die politische Agenda, weil damit ein weitverbreitetes Verständnis von Armut in aller Deutlichkeit infrage gestellt wurde: Wer arbeitet, kann nicht arm sein. Working Poor kann es mit dieser Deutung von Prekarität gar nicht geben. Die Schätzungen von Caritas Schweiz aber zeichneten ein anderes Bild: Mindestens fünf Prozent der Bevölkerung im Erwerbsalter zählten damals zu den Working Poor. Dies entsprach rund 250 000 Personen, die in Working-Poor-Haushalten lebten. Natürlich wurden diese Schätzungen angezweifelt, was wiederum dazu führte, dass das Bundesamt für Statistik seitdem Zahlen zu Working Poor erheben muss. Sie machen deutlich, dass rund vierzig Prozent aller armutsbetroffenen Menschen in Working-Poor-Haushalten leben. Damit konnte das Thema politisch nicht mehr auf die Seite geschoben werden. Angesichts der folgenden heftigen Debatte über die Working Poor in der Schweiz forderte sogar der damalige Direktor des Arbeitgeberverbandes existenzsichernde Löhne! Nur liess er wohlweislich offen, für wen dies gelten solle: Nur für jene Person, die erwerbstätig ist, oder für die ganze Familie, die von diesem Einkommen leben muss? An zahlreichen Veranstaltungen wurden diese Fragen verhandelt. Auffällig waren dabei einige argumentative Pirouetten vonseiten der Wirtschaft. Denn bis heute gibt es kein Gesetz, das die Arbeitgeber*innen verpflichtet, existenzsichernde Löhne zu bezahlen. Löhne werden ausgehandelt: individuell oder kollektiv. Hier fand die Forderung des SGB ihren Platz. «Kein Lohn unter 3000 Franken» liess offen, ob dieses Ziel über Verhandlungen im Rahmen der Sozialpartnerschaft oder als nationaler Mindestlohn durchgesetzt werden solle.

auf die Kaufkraft wird deutlich, dass nicht nur der Arbeitsmarkt und die Lohnpolitik das Ausmass der Working-PoorProblematik bestimmen, sondern auch die Familienpolitik, die Steuerpolitik, die Gesundheitspolitik und die Wohnraumpolitik eine Rolle spielen. Die Gewerkschaften forcierten in den folgenden Jahren die politische Auseinandersetzung. Obwohl die SGB-Initiative zur Einführung eines schweizweiten Mindestlohns abgelehnt wurde, führten einzelne Kantone trotzdem Minimallöhne ein. In einigen Branchen (Gastronomie, Detailhandel) konnten die tiefsten Erwerbseinkommen erhöht werden. Doch der grosse Erfolg blieb aus. Noch immer ringt die Schweiz mit dem hohen Anteil an Working-Poor-Haushalten in der Armutsbevölkerung, noch immer existiert ein Tieflohnsektor. Nur etwas ist in den letzten Jahren dazugekommen. Die Vertreterinnen der feministischen Ökonomie haben mit Vehemenz darauf hingewiesen, dass «arbeiten» mehr ist als «erwerbstätig sein». Die unbezahlte Care-Arbeit muss in der Diskussion um die Working Poor einbezogen werden. Damit erhält das Dogma: «Wer arbeitet, kann nicht arm sein» nochmal eine ganz andere Bedeutung.

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DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

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Im Tram – Hey, und sonst so? – Naja, mit diesem Krieg wieder, oder besser: mit diesen Kriegen, es zieht mich runter. – Sag nichts, ich habe aufgehört, Nachrichten zu schauen, schon gar nicht mehr irgendwelche Newsportale. – Es macht dich fertig. – Total, hey. (Längeres Schweigen) – Und dann noch dieser Scheiss mit dem Klima, was haben sie gesagt? Das heisseste Jahr überhaupt, seit sie mit den Messungen begonnen haben? – Ja, so was. – Frage mich manchmal echt, wie das sein wird, wenn wir mal dreissig sind, fünfunddreissig, so. – Und? – Das ist in elf Jahren, hey, dass wir dann dreissig sind, also dann ist 2034. Wird wahrscheinlich einfach dann total heiss sein die ganze Zeit, also kein Winter mehr, kein Schnee. – Tschüss Snowboarden, oder? (Längeres Schweigen) – Meine Schwester liest grade ein Buch, von einem Amerikaner, Robinson, Kim Stanley Robinson, glaube ich. Und der meint, die Zeit, in der wir leben, sei eine schlammige Zeit, eine Zeit, in der alles so verschlammt. – Also wir stecken im Schlamm? – Ja, und diejenigen, die an dem festhalten, wie es heute ist, also in dieser Verschlammung bleiben wollen, die nennt er Zombies. Die Zombies, die wollen, dass alles so bleibt wie jetzt, sie haben keine Ahnung, wollen auch keine haben. – Wie dein Alter, der sich jetzt grad wieder einen neuen SUV gekauft hat. – Echt hey. – Dass der auch so ein Zombie ist! – Ja, dass diese Generation, die meint, es müsse alles so weitergehen, man könne einfach so weitermachen, also die Generation unserer Eltern und auch Grosseltern, dass die alle schon Zombies sind. – Stolpern quasi scheintot in die Zukunft. – Also meine Schwester hat beim Abendessen dann den Anfang eines Kapitels vorgelesen, sie kam zu der Stelle, wo dieser Robinson schreibt, dass es Millionen Tote geben werde, wenn wir so weitermachen, also wenn wir weiterhin Öl und Gas und Kohle verbrennen, und jeder so dumm ist, das zu tun. – Dein Alter ist sicher schier durchgedreht. – Hey, er ist so stolz auf sein neues Auto, es ist riesig, es ist schwer, er sagt, es sei das geilste Auto, das er je gefahren sei. – Und dann kommt deine Schwester mit diesem Robinson. Surprise 564/23

– Ich glaube, er hätte ihr am liebsten eine gehauen, aber er ist nur aufgestanden und hat die Tür zugeknallt. – Und deine Schwester? – Hat weiter vorgelesen, obwohl meine Mutter schon gesagt hat, sie soll aufhören. Sie hat vorgelesen, dass es Aufstände geben wird, dass Menschen auf der ganzen Welt sich wehren werden, dass sie Privatflieger zum Absturz bringen, indem sie Schwärme von Drohnen in die Triebwerke lenken, und Luxusjachten versenken. – Echt? – Ja, meine Schwester sagt, es habe schon angefangen. Sie hat mir ein Video geschickt, schau mal. (Die beiden beugen sich über das Handy) – Shit! Die versprayen die ganze Jacht, krass! Und dann fährt die Jacht aus dem Hafen, die flüchtet ja. Wer macht so was? – Eine Gruppe aus Spanien, die haben auch schon Tankstellen orange besprayt und so, und in Deutschland gab es auch schon so Aktionen, schau. (Die beiden schauen wieder aufs Handy) – Gegen die Reichen also. – Ja. Meine Schwester sagt, dass ein Prozent der Reichsten so viele Treibhausgase in die Luft jagt wie die fünfzig Prozent der Ärmsten. Ein Prozent gegen fünfzig. – What? – Hey, wir müssen aussteigen. (Beide steigen aus)

CHRISTOPH KELLER, ist Autor, Reporter und Podcaster. Zuletzt ist von ihm der Roman «Afrika fluten» im Rotpunkt Verlag erschienen.

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Zeitgeflüster Wie Marshmallows schmelzen in Gedankenschnee, Sterne spucken Zuckerwatte im bizarren Reigen, der traurige Triumph, Nilpferde im Nebel, im Gedankenstaub der Versäumnisse ersticken die glitzernden Sterne.

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Die Stelzen des Vergessens, ein geheimer Kaktusgarten gen Himmel, während Schatten in Seifenblasen neben Neon-Kolibris auf Wassermelonenblättern schlüpfen. Der Traum der Wale singt in Perlmuttwellen, Lieder aus Kakaobohnen und Pfefferminz auf dem Pfad der Obskurität, Menschen verloren in der Wirrnis des Menschseins.

MARTINA CALUORI, 1985, lebt als Autorin in der Schweiz. Ihr neues Buch, «Ich weine am liebsten in Klos», wurde diesen Herbst veröffentlicht.

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#562: Arbeitszwang für Asylsuchende

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«Nicht nur gratis Arbeitskräfte»

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Danke für den Artikel über die obligatorischen Arbeitseinsätze. Erwähnenswert dazu ist, dass die Gemeinden für diese Integrationsprogramme teuer bezahlen müssen. Die verantwortlichen Firmen bekommen nicht nur gratis Arbeitskräfte (je nach Auftragslage sitzen die Leute, die sie zu beschäftigen hätten, auch nur herum), sondern kassieren noch Beiträge von den Gemeinden. RENATA ZEHTABCHI, ohne Ort

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

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#Strassenmagazin

«Für mich ist das alles negativ» Seit 25 Jahren kaufe ich Surprise, weil ich die Verkäufer*innen unterstützen möchte. Vor allem nach den letzten Nummern möchte ich nun aber doch einmal bemerken, dass ich das Heft am liebsten nicht kaufen und den Verkaufenden nur das Geld geben würde. Ich tue es nicht, weil sie dann wahrscheinlich traurig wären, dass ich das Heft, das sie verkaufen, nicht lesenswert finde. Im Sommer war das Heft wie in den letzten Jahren mit Kurzgeschichten gefüllt, von denen keine die Zeit wert war, die ich zum Lesen brauchte. In der Nummer 560 berichteten Sie über angeschwemmte Leichenteile, dann zeigten Sie 18-mal den Schlafplatz eines Obdachlosen und abstossende Fotos von Zillig, den Sie als Künstler bezeichnen. Für mich ist das alles negativ, und es ist nicht so, dass ich diese Artikel brauche, um genug über die grossen Probleme informiert zu sein, die es auf unserem Planeten gibt. Warum füllen Sie das Heft nicht mit Infos, die Ihren Leserinnen und Lesern etwas bieten, die die Zeit zum Lesen wert sind? Themen über Soziales, über was getan werden müsste, dass weniger Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, darüber wie Kriege vermindert werden könnten, die zu all den Flüchtlingen führen. Sie könnten dazu Personen interviewen, die auf diesen Gebieten kompetent sind. Sie könnten Bücher besprechen, die solche Themen gut behandeln. Sie könnten über Organisationen und Betriebe schreiben, die wertvolle Arbeit leisten, die geschützte Arbeitsplätze haben und diese so fördern. Solche Artikel würden uns ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Surprise zu einem Stern am Pressehimmel, zu einer wirklichen Überraschung machen. JÜRG HAURI, ohne Ort

Anm.d.Red.: Es ist eine stetige Herausforderung, konstruktiv über unsere Kernthemen Armut und Ausgrenzung zu berichten, aufzuzeigen, was zur Lebensrealität der Menschen gehört, die das Strassenmagazin verkaufen. Nicht immer lässt sich alles positiv drehen, manchmal geht es auch nur ums Hinschauen, damit niemand und kein Missstand vergessen geht, manchmal können wir aber auch Lösungsansätze formulieren. Aufzuhören, über das zu berichten, was uns um uns herum nicht gefällt, empfänden wir als Kapitulation. Surprise 564/23

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