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Vor Gericht

Weniger Wohnungen 1

Alle 19 Minuten verliert Deutschland eine Sozialwohnung: 2021 gab es bundesweit noch 1,1 Millionen Wohnungen mit Sozialbindung – 27369 weniger als im Jahr zuvor. 21468 Sozialmietwohnungen wurden 2021 neu gebaut. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der SPD hervor. 1980 gab es noch rund 4 Millionen Sozialwohnungen – allein im Westen. Durch den Umbau von Büros, die wegen Homeoffice unnötig wurden, könnten 1,9 Millionen neue Wohnungen entstehen, so die Gewerkschaft IG Bau, weitere 1,5 Millionen durch Dachaufstockung.

ASPHALT, HANNOVER

Weniger Wohnungen 2

Mindestens 13000 Haushalte in Not warten in Hamburg auf eine passende Wohnung – Tendenz steigend. Darauf hat das Hamburger Bündnis für eine soziale Wohnungspolitik hingewiesen. Zu den Betroffenen gehören Wohnungslose, alleinerziehende Frauen, Menschen mit Mietschulden oder mit Assistenzbedarf. Sie sind nicht nur arm, sie können auch die Wohnungssuche nicht allein meistern. Deshalb erhalten sie einen Dringlichkeitsschein, damit ihnen die Ämter eine Wohnung vermitteln. Zum wiederholten Male hat der Hamburger Senat vergangenes Jahr sein selbst gestecktes Ziel von 300 neuen Wohnungen für diese Personengruppe verpasst. Lediglich 101 Sozialwohnungen mit entsprechender Bindung wurden fertiggestellt.

HINZ & KUNZT, HAMBURG

Bedrohte Inseln

Kennen Sie Vanuatu, das Land aus 83 Inseln, weit abgelegen im Pazifik? Längst sollten die Porträts der rund 300 000 Ni-Vanuatu, wie sich die Bewohner*innen des Inselstaats nennen, auf Flugtickets und Steak-Verpackungen gedruckt werden, wie die Bilder schwarzer Lungen auf Zigarettenschachteln. Denn diese Menschen stehen an vorderster Front der Klimakrise.

Vanuatu ist, da sind sich Versicherungen, NGOs und die UNO in ihren Risikoerhebungen einig, das am stärksten von Naturkatastrophen bedrohte Land. Inselstaaten sind ohnehin exponiert. Durch den Klimawandel werden Wirbelstürme noch heftiger, Regenfälle extremer. 2015 vernichtete Zyklon Pam über 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts, etwa 450 Millionen Dollar. 90 Prozent der Gebäude der Hauptstadt Port Vila lagen in Trümmern. 2020 brachte Zyklon Harold Tod und Verwüstung. Auch der Anstieg des Meeresspiegels trifft Vanuatu hart. Die flachsten Eilande werden verschwinden. Auf den anderen versalzen erst das Grundwasser, dann die Böden – die Äcker werden unfruchtbar, die Inseln unbewohnbar. Laut Weltklimarat droht dies schon in diesem Jahrhundert. Passend, dass sich der Weltgebetstag 2021 Vanuatu widmete. Das Motto: «Worauf bauen wir?»

Diese Frage stellten sich 27 vanuatuische Jus-Student*innen der University of South Pacific schon 2019. Und fassten einen Plan: Sie wollen ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs IGH zum Klimawandel erwirken. Als oberstes Gericht der UNO ist der IGH in Den Haag auch das höchste Weltgericht, und Rechtsgutachten zu völkerrechtlichen Fragen zählen zu seinen Hauptaufgaben. Diese sind zwar nicht bindend, jedoch prägend fürs internationale Recht. Es ist unbestritten, dass bezüglich des Klimawandels Klärungsbedarf besteht: Wie kann Klimaschutz juristisch mit der Achtung der Menschenrechte verknüpft werden? Und ganz konkret: Wie sind vulnerable Staaten wie Vanuatu geschützt? Wie werden sie entschädigt dafür, dass der Klimawandel ihre Volkswirtschaften bedroht, die auf Landwirtschaft und Tourismus beruhen? Wer kommt für die Kosten auf? Jetzt, nicht 2040. Zumal sie selbst nichts für ihre missliche Lage können: Alle Inselstaaten zusammen verursachen nur 0,26 Prozent aller CO2-Emissionen.

Damit aber der IGH ein Rechtsgutachten zum Thema ausarbeitet, muss die Mehrheit der UNO-Generalversammlung einem entsprechenden Antrag zustimmen. Bezüglich Klima drängte Palau schon 2012 auf eine Klärung durch den IGH. Doch schon vor der Abstimmung zeichnete sich ab, dass das Anliegen keine Chance hat. Jetzt darf man gespannt sein, wie es Vanuatu mit demselben Anliegen ergeht. So weit sind die pazifischen Student*innen mit ihrem Plan nämlich gekommen. Sie haben ihre Regierung dazu gebracht, die Initiative zur Einholung eines IGH-Rechtsgutachtens zum Klimawandel einzubringen. Die UNO-Vollversammlung wird am 13. September 2022 eröffnet. Daumen drücken!

YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in Zürich.