Surprise 528/22

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Strassenmagazin Nr. 528 1. bis 14. Juli 2022

CHF 6.–

davon gehen CHF 3.– an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Obdachlosigkeit

Was Olten braucht Ob Notschlafstelle oder Essenstruck – Hilfe kommt in Solothurn vor allem von privater Seite. Seite 8


Kultur

Solidaritätsgeste

STRASSENCHOR

CAFÉ SURPRISE

Lebensfreude

Entlastung Sozialwerke

BEGLEITUNG UND BERATUNG

Unterstützung

Job

STRASSENMAGAZIN Information

Zugehörigkeitsgefühl Entwicklungsmöglichkeiten

STRASSENFUSSBALL

Erlebnis

Expertenrolle

SOZIALE STADTRUNDGÄNGE Perspektivenwechsel

SURPRISE WIRKT Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

Helfen tut gut. Zeit, zuzuhören. Zeit, abzuwarten. Zeit für Rückschläge. Zeit, zu helfen. All das gibt es in der Sozialberatung und -begleitung, die Surprise an seinen drei Standorten in Basel, Bern und Zürich anbietet. Die Verkäufer*innen des Strassenmagazins sowie die Stadtführer*innen, die Spieler*innen des Strassenfussballs und die Chormitglieder erhalten hier nicht nur ihre Hefte, gratis Kaffee oder Internetzugang, sondern wenden sich mit ihren Sorgen und Fragen an die Surprise-Mitarbeiter*innen. Ob bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, bei Schulden, beim Umgang mit Behörden und administrativer Korrespondenz, bei familiären Krisen oder Suchtproblemen – für rund 450 armutsbetroffene Menschen ist diese umfassende und niederschwellige Begleitung eine unentbehrliche Stütze im Alltag.

Surprise hilft individuell und niederschwellig. Spenden Sie heute. Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 surprise.ngo/spenden


TITELBILD: DRES HUBACHER

Editorial

Verdrängung und Vereinzelung Braucht Olten eine Notschlafstelle? Diese Frage bewegt die Stadt seit mehreren Jahren. Sichtbare Obdachlosigkeit gibt es hier kaum. So können Entscheidungsträger*innen und Wohnbevölkerung gut verdrängen, dass sich die Betroffenen zu­sätzlich zu ihrer prekären ­Situation dazu genötigt sehen, andernorts Hilfe zu suchen. Ausserkantonal. Denn solange keine belastbaren Zahlen zu ­Obdachlosigkeit zur Verfügung stehen, ist es einfach zu behaupten: Es gibt hier keinen Bedarf. Nun haben Forschende der FHNW erstmals schweizweite Angaben geliefert. Das Ergebnis suggeriert, was zuvor bereits Thema war: Dass es in Olten wohl Bedarf gibt, so wie es auch schon mal eine Notschlafstelle gab. Damals in den 1990ern, als die Drogenszene entgleiste. Doch das haben die Anwohner*innen in böser Erinnerung, dahin will man nicht zurück. Statt nun aber auf den Zug der Housing-FirstIdee aufzuspringen und auch suchterkrankten Obdachlosen bedingungslos Wohnraum zur Ver­ fügung zu stellen – der bisher vielversprechendste

4 Aufgelesen 5 Was bedeutet eigentlich …?

Ruhestand

5 Vor Gericht

Eins zu Eins

6 Verkäufer*innenkolumne

Familiengeschichten

7 Die Sozialzahl

Die Willkür von Armutsgrenzen

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8 Obdachlosigkeit

Der Fall Olten

14 Serie: Die Unsichtbaren

Nannys

Weg zurück in die sogenannte Mitte der ­Gesellschaft –, setzt man in Olten bisher auf Verdrängung. Und überlässt das Feld Privaten, ab Seite 8. Im nächsten Teil unserer Serie zu unsichtbar ­gemachten, prekär beschäftigten Arbeiter*innen geht es um Nannys: Kinderbetreuerinnen im ­Privatbereich, die auf Abruf und unter schwer einsehbaren Bedingungen Care-Arbeit für ­gutbezahlte Führungskräfte leisten. Weil Nannys schlecht organisiert sind, fehlen Mechanismen gegen Ausbeutung und Übergriffe, ab Seite 14. Wir verabschieden uns mit dieser Ausgabe von unserer langjährigen Illustratorin Rahel Nicole ­Eisenring, die zuletzt die Kolumne von Fatima Moumouni bebildert hat. Wir wünschen ihr für ihren weiteren Weg alles Gute. Auch die ­Rubrik «Was bedeutet eigentlich ...?» ­ erscheint in dieser Ausgabe zum letzten Mal. SAR A

WINTER SAYILIR

Redaktorin

16 Interview VPOD

24 Veranstaltungen

17 Daten und Fakten

25 Tour de Suisse

18 Marseille

Gentrifizierung

22 Ausstellung

Pörtner in Bülach

26 SurPlus Positive Firmen

27 Wir alle sind Surprise Am Ursprung des kreativen Impulses Impressum

23 Buch

Die Spur der Buchstaben

Surprise abonnieren 30 Nachruf

Eva Rita Herr

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Menschen in Würde

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1 Brian und sein Hund verkauften 2016, als das Foto entstand, The Big Issue auf den Strassen von Soho.

Der britische Fotograf Marc Davenants hat sechs Jahre Porträts von obdachlosen ­Menschen gemacht, um die Auswirkungen der Wohnungs­ krise speziell in London zu dokumentieren. Mit seinem Projekt ­«Outsiders» versucht er nach eigenen Angaben, die Menschen in ihrer Würde zu zeigen. «Es ist ziemlich einfach, Fotos von Menschen zu machen, die elend und wie Opfer aus­ sehen. Das wollte ich nicht, ich wollte im Gegenteil die Un­ verwüstlichkeit dieser Menschen zum Ausdruck bringen.»

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2 John ist langzeitobdachlos, Newcastle, 2021. 3 Paul mit einer Ausgabe des Big Issue in London, 2016.

THE BIG ISSUE, LONDON

Krisenfeste Grundversicherung

Engpässe

Demokratie in Gefahr

Angesichts der Corona-Pandemie und den Preis­ anstiegen bei Energie und Nahrungsmitteln fordert die Diakonie Deutschland eine an die Inflation ­angepasste Grundver­sicherung und gesetzlich festgeschriebene Regelung für soziale Notlagen. Damit wenden sie sich gegen das bisherige Konzept von Einmalzahlungen, die in den ­Augen der ­Diakonie «etwas von Almosen haben». Konkret ­fordern sie eine Unterstützung von Betroffenen mit 100 Euro zusätzlich pro Monat.

400 Millionen Menschen vor allem in Afrika und dem Nahen Osten versorgte die ukrainische Getreideproduktion bisher. Ökonom*innen befürchten infolge des Krieges in der Ukraine einen kurzfristigen Anstieg der Zahl der Hungernden um 100 Millionen weltweit.

45 Prozent der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie – jedenfalls noch. Gemäss einer britischen Studie zum jährlichen Demokratieindex steigt der Anteil der auto­ ritär regierten Staaten kontinuierlich an. Die ersten Plätze der ­Rangliste belegen Norwegen und Neuseeland, die letzten Nord­ korea, Myanmar und Afghanistan.

HINZ & KUNZT, HAMBURG

BODO, BOCHUM/DORTMUND

MEGAPHON, GRAZ

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Was bedeutet eigentlich …?

Ruhestand Ein Lebensende in Würde beinhaltet ein ausreichendes Mass an Ruhe und Erholung. So zumindest dachte man Mitte des 20. Jahrhunderts, als in den meisten westlichen Ländern Rentenversicherungen geschaffen wurden. In der Schweiz trat 1948 die AHV in Kraft. Es dauerte allerdings relativ lange, bis die Altersrenten so ausgestaltet waren, dass sie zum Leben reichten. 1970 war noch immer jeder zweite 70-jährige Mann erwerbstätig. Grund für die schleppende Entwicklung waren Vorbehalte gegenüber den gesundheitlichen Gefahren eines «Lebens in Müssiggang» – wie etwa Alkoholsucht oder Depressionen. Unter anderem dank der Schaffung von Ergänzungsleistungen ver­ besserte sich die finanzielle Situation der Rentner*innen, die Erwerbsquote nahm ab. Um Einsamkeit und Ausgrenzung vorzubeugen, wird heute versucht, den Übergang in den Ruhestand besser vorzubereiten. Rentner*innen sollen aktiv und gesellschaftlich gut integriert bleiben – durch Hobbys, ehrenamtliche Tätigkeiten oder Betreuung etwa von Enkelkindern. In der Zukunft droht, wieder länger Erwerbsarbeit leisten zu müssen. Grund dafür ist die steigende Lebenserwartung und damit auch die längere Bezugsdauer der Renten. Als die AHV geschaffen wurde, konnten sich Neurentner*innen auf im Schnitt 12,4 (Männer) bzw. 14 Jahre (Frauen) im Ruhestand freuen. Heute sind es 20,8 bzw. 23,6 Jahre. Das ist ökonomisch problematisch, denn immer mehr ältere Menschen haben bereits vor der Pensionierung Mühe, sich im Berufsleben zu halten. Ein Ausweg wäre eine zusätzliche Finanzierung der Renten. EBA Quellen: René Knüsel: Ruhestand. In: Wörterbuch der Sozialpolitik. Zürich und Genf, 2020; Bundesamt für Statistik. Surprise 528/22

Vor Gericht

Eins zu Eins Inzwischen ist die Geschichte fünf Jahre her. Eine nächtliche Verkehrskontrolle in der Agglomeration Zürich, bei der sich eine brasilianische Staatsangehörige nicht ausweisen konnte, führte damals zu sechzehn (!) Anzeigen. Seither wird verhandelt, ob nun die Polizei in jener Nacht unverhältnismässig gehandelt hat – oder ob sich ein heute 77-Jähriger und seine Ehefrau der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte schuldig gemacht haben. Bei der Kontrolle sagte die Brasilianerin, ihre Dokumente befänden sich in der Wohnung einer Landsfrau und deren Ehemanns in der Stadt. Weil die Polizei den Verdacht hegte, sie halte sich illegal in der Schweiz auf, fuhren sie mit ihr zu der Wohnung. Es ist nach zwei Uhr, als es beim befreundeten Paar sturmläutet und der damals 72-jährige Geschädigte schlaftrunken und verärgert die Tür öffnet. Für mehr Ärger sorgt der Anblick der aufgelösten Freundin, flankiert von zwei Kantonspolizisten, die um Einlass bitten, um die Ausweispapiere der Frau zu kontrollieren. Das könne man doch nächstentags auf dem Posten erledigen. In dem Fall, erwidert der Polizist, müssten sie die Frau mitnehmen, bis die Papiere vorlägen. Darauf antwortet der Geschädigte ungehalten, man sei doch kooperativ. Seine Frau, inzwischen auch im Türrahmen aufgetaucht, redet auf Portugiesisch auf ihre Freundin ein und packt sie am Arm. Dasselbe tut der Polizist und zieht die Frau in Richtung Ausgang. Der damals 72-jährige Geschädigte zeternd hinterher. Dem Polizisten erscheint das alles bedrohlich und er pfeffert dem Mann eine Ladung Tränengas ins Gesicht.

Vor Gericht zeigt sich der Beamte überzeugt, der ältere Herr habe ihn angreifen wollen – und der Pfefferspray sei für beide das ungefährlichste Mittel gewesen, die Situation zu entschärfen. Alles vorschriftsgemäss, strikt nach Reglement. Falsch, sagt der Geschädigtenanwalt. Die Polizei hätte gar nicht dort sein dürfen. Wegen der so genannten «Nachtschranke», wonach die Polizei nur in den dringendsten Fällen nachts und an Wochenenden Privatwohnungen aufsuchen soll. Das Verhalten des Polizisten sei mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht zu vereinbaren. Auf dieses Argument geht der Rechtsvertreter des Polizisten nicht ein. Er verweist auf das impulsive Gebaren des Geschädigten. Der Angesprochene illustriert die Worte des Anwalts mit Schnauben und Pusten. Das findet der zuständige Einzelrichter erst amüsant, dann nervig. Er droht, den Mann aus dem Saal zu werfen. Schliesslich gibt dieser Ruhe, und der Anwalt des Polizisten bringt sein Plädoyer für einen Freispruch zu Ende. Dieser ergeht dann auch prompt. Dass die Polizisten die Wohnung in der Nacht aufgesucht haben, sei zweckmässig gewesen. Die Identität so zu überprüfen sei definitiv die weniger einschneidende Massnahme gewesen als eine Nacht im Gefängnis. Es habe Widerstand gegeben, einen Tumult. Der Polizist habe in dieser Situation annehmen dürfen, dass er angegriffen werde. Also Freispruch. Dem Geschädigten bleibt ein dicker Trost: Er ist schon zuvor vom Vorwurf der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte freigesprochen worden.

Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


ILLUSTRATION: KATHRIN HEIERLI

Verkäufer*innenkolumne

Familiengeschichten Es wird einem nicht nur Gefreutes in die Wiege gelegt bei der Geburt. Mein Vater starb mit nicht einmal 49 Jahren an Herz­ versagen. Damals war ich 15 Jahre alt, und in der Zeit zeigte ein junger Bursche keine Emotionen, obwohl ich sehr am Vater gehangen habe. So habe ich die Trauer und den Schmerz hinunter­ geschluckt. Wir waren sechs Kinder, ich bin der Zweitälteste und hatte drei Brüder und zwei Schwestern. Der älteste Bruder war ein Jahr älter als ich. Er verstarb 2010, er hatte Diabetes. Über viele Jahre musste er dreimal wöchentlich an die Nieren­waschanlage. Mein jüngster Bruder Werner, Jahrgang 1958, verstarb am 1. Februar 2014, dem 80. Geburtstag meiner Mutter. Werner 6

hatte um die Jahrtausendwende einen Schlaganfall erlitten, sich dann allerdings wieder erholt. Er bekam einen elektri­ schen Rollstuhl bekommen und war im Fridlihuus in Glarus ­soweit aufgehoben. Für die Mutter war das natürlich schlimm, als die Kinder vor ihr starben. Dass ich heute meine Mutter betreuen kann und regelmässig vorbeigehe, ist für mich eine Freude, keine Pflicht. Ich habe offenbar die besseren Gene ­bekommen als meine Brüder, ich habe also Glück gehabt. So liegen Glück und Unglück oft nahe beiei­ nander. Dabei habe ich lange Zeit alles andere als ­gesund gelebt, es hätte mich auch erwischen können. Seit 14 Jahren schaue ich auf mich, weiss es zu schät­ zen, dass ich soweit gesund bin.

Ich habe auch Freunde, die gesund­ heitliche Probleme haben und im Heim leben. Auch da ist es mir wichtig, dass ich sie besuche – weil ich es will, nicht weil ich das Gefühl habe, ich müsse das tun. Wäre es anders, wäre es für beide Seiten nur eine Pflichtübung. Ich glaube aber, das merkt man, wenn so etwas nicht von Herzen kommt. ­ HANS RHYNER, 68, ist Surprise Stadtführer in Zürich und verkauft Surprise in ­Schaffhausen und in Zug. Er schaut zu seinem Kollegen Peter, der seit einer Hirnblutung im Rollstuhl sitzt. Peter war der erste Surprise-Verkäufer in Schaffhausen, jetzt begleitet er Hans beim Verkauf.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die Illustration zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration. Surprise 528/22


INFOGRAFIK: BODARA ; QUELLE: HÜMBELIN, OLIVER & LEHMANN OLIVIER TIM (2022): SCHÄTZUNG DER ZAHL DER MENSCHEN IN FINANZIELL SCHWIERIGEN LEBENSLAGEN KNAPP OBERHALB DER ARMUTSGRENZE. BERNER FACHHOCHSCHULE / CARITAS SCHWEIZ (2022): WENN DAS GELD KAUM ZUM LEBEN REICHT. CARITAS-POSITIONSPAPIER ZU HAUSHALTEN KNAPP OBERHALB DER ARMUTSGRENZE. LUZERN, CARITAS-VERLAG.

Die Sozialzahl

Die Willkür von Armutsgrenzen Wer wissen möchte, wie viele Armutsbetroffene ein Land hat, kommt nicht darum herum, eine Einkommensgrenze zu ­ziehen, die arme von nichtarmen Personen trennt. Bis heute gibt es keine breit anerkannte wissenschaftliche Methode zur Bestimmung dieser Einkommensgrenze. Jede sozialpoli­ tische Festlegung des Existenzminimums ist daher nicht frei von Willkür. Die meisten Kantone, aber auch das Bundesamt für Statistik sowie die Mehrheit der Forschenden orientieren sich an den Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozial­ hilfe SKOS. Demnach ergibt sich das soziale Existenzminimum aus der Summe von Grundbedarf, Miete, Kranken­ kassenprämie und situationsbedingten Leistungen. Weil die Miete und die Krankenkassenprämie vom Wohnort abhängig sind, berechnet das Bundesamt für Statistik ­gesamtschweizerische Durchschnitte. Im Jahr 2020 betrug die Armutsgrenze durchschnittlich 2279 Franken pro Monat für eine Einzelperson und 3963 Franken pro Monat für einen Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern. Wie sensitiv die Zahl der Armutsbetroffenen auf die Festlegung der Armutsgrenze reagiert, zeigt exemplarisch eine Studie der Berner Fachhochschule, die in einem Positionspapier von Caritas Schweiz zusammengefasst wird. Die Studie basiert auf Steuerdaten des Kantons Bern für das Jahr 2015. Ausgewer­ tet wurden die Einkommensdaten von Haushalten mit ­Personen im Erwerbsalter. Rentner*innenhaushalte wurden nicht berücksichtigt.

Wird die Armutsgrenze gemäss den SKOS-Richtlinien verwendet, beträgt die Armutsquote im Kanton Bern im Untersuchungs­jahr 7,7 Prozent. Bei einer Anhebung der Armutsgrenze des oben angegebenen sozialen Existenzminimums um 100 Franken (für eine Einzelperson und äquivalent für grössere Haushalte) steigt diese auf 8,7 Prozent. Bei einer Erhöhung um 500 Franken verdoppelt sich die Armutsquote nahezu und beträgt 14,4 ­Prozent. Wird die Grenze angewendet, die bei der Berechnung von Ergänzungsleistungen massgeblich ist und die nochmal 130 Franken höher ist, so steigt die Armutsquote auf 18,3 Prozent. Über diese vier Stufen hinweg nimmt die Zahl der armuts­ betroffenen Personen im Kanton Bern für das Jahr 2015 von 53 430 auf 126 308 zu. Diese Sensitivitätsanalyse zeigt in aller Deutlichkeit, dass sehr viele Haushalte in der Schweiz ein Einkommen erzielen, dass nur knapp über dem sozialen Existenzminimum der SKOS liegt. Bei kleinsten Veränderungen der Einkommenssituation oder unerwarteten Ausgaben können diese Haushalte in die Armut abrutschen. In dieser Zone der Armutsgefährdung finden sich besonders viele Familien. Kinder führen nicht nur zu Mehrkosten, sondern oft auch zu tieferen Einnahmen, wenn die Eltern ihr berufliches Engagement einschränken müssen, um ihren Nachwuchs zu betreuen. Sozialpolitisch liegt auf der Hand, was zu tun wäre. Man müsste schweizweit die Ergänzungsleistungen auf Familien in schwierigen finanziellen Verhältnissen ausweiten. Das Anliegen scheiterte vor 20 Jahren auf Bundesebene. Vier Kantone kennen dieses Instrument inzwischen. Ein neuer Anlauf für eine nationale Regelung ist dringend geboten.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Armutsquote und Zahl der Armutsbetroffenen bei verschiedenen Armutsgrenzen im Kanton Bern, 2015

Anzahl Armutsbetroffene Armutsquote in Prozent

7,7 %

14,4 %

18,3 %

8,7 %

53 430 60 436 99 235 126 308 Armutsgrenze nach SKOS

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Armutsgrenze + 100 Franken

Armutsgrenze + 500

Ergänzungsleistungs-Grenze

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Obdachlose? Hier doch nicht! Notschlafstelle Bürgerliche, Gewerbler*innen und Kirchenleute wollen

Süchtige aus Oltens Altstadt weghaben. Nun laufen sie auch gegen die Eröffnung einer Notschlafstelle Sturm. Warum nur? TEXT ANDRES EBERHARD

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FOTOS DRES HUBACHER

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Wenn es warm ist, trifft sich die Szene gern im Schatten der grossen Bäume vor St. Martin in der Oltner Innenstadt. Surprise 528/22

«Nein» – so antwortete Oltens Regierung auf die Frage im Parlament, ob die Stadt eine Notschlafstelle brauche. Und führte aus: «Obdachlosigkeit zu verhindern, ist in erster Linie Aufgabe der betroffenen Personen selber.» Das war vor fünf Jahren. Nun könnte dennoch bald eine Notschlafstelle eröffnen. Dann nämlich, wenn die Stadt das Gesuch des privaten Vereins Schlafguet für die Umnutzung eines Reihenhauses bewilligt. Das ist jedoch kein politischer Entscheid, zumindest sollte es keiner sein. Bei der Betriebsbewilligung geht es um Dinge wie Qualifikationen, Hygiene oder Meldescheine. Die Deutlichkeit, mit der sich die Stadt aus der Verantwortung zog, hatte einen Vorteil. Jene Bürger*innen, welche die Einrichtung einer Notschlafstelle in Olten für notwendig erachteten, wussten, dass sie nach anderen Lösungen suchen mussten. Es formierte sich eine Gruppe aus sozialen und religiösen Kreisen, die das Projekt vorantrieb und sich im Verein Schlafguet organisierte. Bei den Immobilienverwaltungen stiessen sie zwar nicht auf aktiven Widerstand, aber doch auf höfliches Desinteresse. Einen Standort zu finden, stellte sich in der Folge als schier unmöglich heraus. Ursprünglich für den Winter 2017 geplant, zögerte sich die Eröffnung der Notschlafstelle hinaus. Jahr für Jahr, Winter für Winter. «Es war nicht so, dass jemand gegen das Projekt an sich war, zumindest wurde uns das nicht offen gesagt», sagt Timo Probst, Vorstandsmitglied des Vereins Schlafguet. «Man nannte wirtschaftliche Gründe. Da wir einen befristeten Vertrag anstrebten, waren wir mit einer Jahresmiete von rund 10 000 Franken schlicht kein interessanter Mietbewerber.» Als zweiter Grund sei der unpassende Mieter*innen-Mix genannt worden. Eine Gruppe Obdachloser, wo passt sie schon hin? Und dann ist da noch die Frage, ob es in Olten und Umgebung überhaupt Obdachlose gibt, die eine Notschlafstelle nutzen würden. Sie ist nicht unberechtigt. «Wir wissen es nicht», sagt Probst. Wo Zahlen fehlen, haben Behauptungen leichtes Spiel. Solange die Betroffenen weitgehend unsichtbar bleiben und nicht oder nur sehr spärlich auf offener Strasse übernachten, ist die These einfach zu vertreten, dass es gar kein Problem gebe. Und folglich keine Lösung vonnöten sei. Auch in Olten. Ein Spaziergang durch die Stadt bietet eine Mischung aus Postkartenidylle und geschäftiger Mobilität. Die alte Holzbrücke

über die Aare, die Altstadt, dazu der Bahnhof, wo schweizweit am zweitmeisten Züge verkehren, die Lage als Durchgangsort und geschäftlicher Treffpunkt in der Mitte der wichtigsten Deutschschweizer Städte. Gebrochen wird das Bild durch einige Bettler*innen am Bahnhof und eine Szene von Süchtigen vor der katholischen Kirche St. Martin mitten in der Altstadt. Doch nachts sind die Gassen so gut wie leer. Es ist schwer abzuschätzen, wie gross das Potenzial für eine Notschlafstelle in Olten ist. Obdachlose sind selten sichtbar. Sie kommen mal hier und mal da unter, eine Nacht bei Bekannten, die nächste in der Notschlafstelle, die übernächste im Park. Der Verein Schlafguet schreibt in seinem Konzept, dass manche Obdachlose aus der Region Olten/Solothurn derzeit wohl in anderen Notschlafstellen übernachten würden, etwa in Baden, Biel und Basel. Jedoch heisst es aus Baden, dass nur rund 10 Prozent der insgesamt rund 2500 Nächte pro Jahr auf Gäste von ausserhalb des Kantons Aargau entfallen. Woher genau, wird nicht erfasst. In der Basler Notschlafstelle wiederum kamen zwischen 2018 und 2021 insgesamt lediglich acht Personen aus dem Kanton Solothurn unter, wie das städtische Sozialamt auf Anfrage mitteilt. Und in Biel sind es etwa zwei pro Monat, wie es auf Anfrage heisst. Das alles ist nicht viel. Und doch gibt es gute Gründe zur Annahme, dass es Bedarf gibt. Im Februar dieses Jahres lieferte eine Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz erstmals Zahlen zur Obdachlosigkeit in der Schweiz. Fazit: Rund 3810 Menschen sind hierzulande ohne Wohnung, weitere 16 000 sind davon bedroht. Kaum vorstellbar, dass ausgerechnet der Kanton Solothurn eine Ausnahme darstellt. «Da die Solothurner gewohnt sind, sich ohne Notschlafstelle zu organisieren, würden sicher noch mehrere sichtbar werden, wenn es endlich eine geben würde», vermutet Andrea Zaugg vom Sleep-In Biel. Die Notschlafstellen in vergleichbar grossen Kleinstädten wie Baden (AG) oder Weinfelden (TG) sind denn auch relativ gut ausgelastet. In Baden, wo es dreizehn Plätze in Notschlafstelle sowie der für längere Aufenthalte gedachten Notpension gibt, waren in den letzten beiden Jahren im Schnitt rund 50 bis 60 Prozent der Betten belegt, kalte Winternächte waren häufig ausgebucht. Wie in Olten hatte es auch die Stadt Baden privaten Vereinen überlassen, das Projekt ins Rollen zu bringen und zu 9


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1 Die Stadtküche in Olten bietet mehr als nur günstiges Essen: auch Billard und Jass kann man hier spielen. Oder einfach sein. 2 Georg Huber erinnert sich noch an die alte Notschlafstelle und die chaotischen Zustände damals. Heute wäre das anders, ist er überzeugt. 3 In dieses Reihenhaus will der Verein Schlafguet einziehen, die Nachbarn sind nicht begeistert.

finanzieren. Die anfängliche Skepsis ist nach einer dreijährigen Projektphase aber gewichen. Vor wenigen Wochen beschloss der Stadtrat, das Projekt fortan mit jährlich 150 000 Franken zu unterstützen. So könnte es auch in Olten geschehen. Gewissheit wird aber erst die Praxis bringen. «Wenn wir in drei Jahren kaum Gäste haben, dann schliessen wir die Notschlafstelle wieder und ich bin zufrieden, dass es offenbar keine Menschen gibt, die auf warme Betten angewiesen sind», sagt Probst von Schlafguet. Auf diesen Zeitraum ist das Projekt vorerst begrenzt, dann wird Bilanz gezogen. In Notschlafstelle und Notpension werden je acht Personen unterkommen können, zudem gibt es Platz für Dauermieter*innen. Erinnerungen an Oltner Drogenszene «Gibt’s wieder eine Notschlafstelle? Das wusste ich gar nicht», sagt Georg Huber, 56, genannt «Schorsch», sein halbes Leben lang war er heroinsüchtig, vor drei Jahren der Entzug mit Methadon, seither nur noch ab und zu ein Rückfall mit Kokain. Heute lebt Huber in einer Wohnung im nahen Hägendorf, bezieht eine IV-Rente wegen der Drogen und des kaputten Rückens, und er leidet an Leberzirrhose und Krebs. Huber hofft, dass er es auf die Liste für 10

eine Lebertransplantation schafft. Mit seiner Vorgeschichte ist das aber nicht ganz einfach, denn dafür muss er vollständig clean sein. «Das ist sicher eine gute Idee», sagt Huber zu den Plänen für eine Notschlafstelle. Er sitzt in der Stadtküche, wo er fast täglich herkommt, ein bis zwei Franken für einen Salat, drei bis sechs Franken für etwas Warmes. Dessert darf er nicht, denn Diabetes hat er auch. Manchmal spielt er hier eine Partie Billard oder klopft einen Jass. Die Räume der Suchthilfe, zu denen auch die Stadtküche gehört, sind sein zweites Wohnzimmer. Huber erinnert sich noch an die alte Notschlafstelle, sie schloss 1999. In den Neunzigerjahren hatte sich in der Stadt Olten eine vergleichsweise grosse Drogenszene getroffen, Süchtige reisten aus Zürich und Basel an. Was in Zürich der Platzspitz war, war in Olten der Gleisspitz. Die Notschlafstelle befand sich unmittelbar daneben. «Ich schlief da auch hin und wieder, weil es gleich nebenan Stoff gab», sagt Huber, der damals ein fixes Zimmer im Männerwohnheim bewohnte, das jedoch ausserhalb gelegen war. Eine Zeit lang war Huber obdachlos, er schlief in einem Zelt am Gleisspitz. Ähnlich wie in anderen Schweizer Städten sei die Situation in der

Szene damals ausser Kontrolle geraten. «Es wurde von früh bis spät gedealt, es gab Schlägereien, Überfälle und es war ein Riesen-Krach.» Huber kann nachvollziehen, dass die Notschlafstelle auch aus Rücksicht auf die Anwohnenden schliesslich geschlossen wurde. Es sind Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der Oltner*innen eingebrannt haben. Droht erneut ein Chaos wie damals, mit herumliegenden Spritzen, Lärm, Drogenhandel? Und nun sogar neben einem Schulhaus und einer Kirche? Das fürchten Nachbar*innen des Hauses an der Bleichmattstrasse 21, wo die Notschlafstelle einziehen soll – gleich eingangs des Schöngrund-Quartiers, einem der besseren der Stadt. Zwei hier ansässige bürgerliche Politiker haben deswegen kürzlich im Stadtparlament eine Interpellation eingereicht. Sie wollen von der Regierung wissen, wie diese die Sicherheitslage im Quartier gewährleisten will, und warnen vor «Drogen-Handel und anderen Aktivitäten». Eine (zu?) rigide Hausordnung Die Packung Magnum-Zigaretten hat Georg Huber während des rund einstündigen Gesprächs unberührt vor ihm auf dem Tisch liegen lassen. Erst gegen Ende steckt er sich eine an. Spritzen auf dem SchulSurprise 528/22


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«Heute ist eine andere Zeit. Auf öffentlichen WCs oder in Parks, sowas kommt heute praktisch nicht mehr vor.» GEORG HUBER

hausgelände? Das hält er für unwahrscheinlich. «Heute ist eine andere Zeit», sagt Huber. Die Süchtigen würden sich heute ihre Drogen in der Apotheke oder bei den Abgabestellen abholen. Danach würden sie entweder gleich auf der Abgabestelle konsumieren oder aber nach Hause gehen. Einen Fixer-Raum gibt es auch neben der von der Suchthilfe betriebenen Stadtküche. «Auf öffentlichen WCs oder in Parks, sowas kommt heute praktisch nicht mehr vor.» Der Umgang mit Drogen ist aber womöglich die Achillesferse des Projekts. Denn um auf die Unsicherheiten und Surprise 528/22

Ängste der Bevölkerung einzugehen, will der Verein Schlafguet eine vergleichsweise rigide Hausordnung durchsetzen. So ist der Konsum von Alkohol und Drogen aller Art verboten. Fachleute vermuten, dass deshalb manche die Notschlafstelle meiden werden. «Diese Menschen sind chronisch suchtkrank», sagt Ursula Hellmüller, Geschäftsleiterin der Fachstelle Suchthilfe Ost. «Wenn ein Süchtiger die Wahl hat zwischen einem Bett bei einem gewalttätigen Bekannten und einer Notschlafstelle mit Drogenverbot, dann wird er mit Sicherheit ersteren wählen.» Dennoch begrüsst auch Hellmüller das Projekt, denn es ist ein Fortschritt im Vergleich zur jetzigen Praxis der Stadt: Zurzeit vermittelt das Sozialamt ein Hotelzimmer, wenn jemand dringend ein Obdach braucht. Dort ist aber keine professionelle Betreuung möglich. Im Gegensatz zur Notschlafstelle, wo jede Nacht ein Zweierteam, bestehend aus einer Fachperson sowie jemand Freiwilligem, vor Ort sein soll. Noch besser fände Hellmüller, wenn Obdachlosigkeit auch im Kanton Solothurn mit dem Ansatz «Housing First» bekämpft würde, also der bedingungslosen Abgabe von Wohnraum an Obdachlose. Einer der beiden Parlamentarier, welche die Notschlafstelle bekämpfen, ist Urs

Knapp (FDP). Er wohnt knapp 400 Meter vom designierten Standort entfernt. Auf Anfrage verweist er auf bereits erschienene Medienberichte. In einer Reportage des Stadtmagazins Kolt äussert sich die ehemalige Grüne-Stadträtin Iris Schelbert, die im Quartier lebt: «Ich bin links und ich bin grün – aber ich will die Notschlafstelle trotzdem nicht.» In einem Artikel der Neuen Oltner Zeitung wird hingegen die Rolle des Stadtrats generell hinterfragt. Denn dieser hat seit Jahren Einsitz in der «Stiftung für Raum für soziale Projekte». Just diese Stiftung ist Besitzerin der betreffenden Liegenschaft und will sie dem Verein Schlafguet für den Betrieb einer Notschlafstelle vermieten. Guter Stoff für eine Lokalposse. Wer vertritt hier welche Eigeninteressen? Wer spielt ein doppeltes Spiel? Bei der Diskussion über die Notschlafstelle geht es letztlich um die übergeordnete Frage, wie die Stadt mit Menschen umgeht, die nicht ins Bild der eigenverantwortlichen, erfolgreich-leistungsorientierten Bürger*innen passen. Darüber wird in Olten zurzeit sehr intensiv diskutiert. Denn vor der katholischen Kirche St. Martin in der Altstadt trifft sich eine Szene von Süchtigen. Einige Zeit lang war diese auch am Ländiweg zwischen Bahnhof und alter Brücke anzutreffen. Versuche, sie zu ver11


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drängen, sind nichts Neues. Die Süchtigen würden «Besucherinnen und Besuchern keinen positiven ersten Eindruck von Olten» vermitteln und ausserdem Passant*innen «verunsichern», hiess es in einer Interpellation vor zehn Jahren. Ihr Verfasser: Urs Knapp. Nun wollen Gewerbler*innen, Politiker*innen und Kirchenleute die Süchtigen weghaben aus der Altstadt. «Das Einkaufserlebnis ist infrage gestellt», sagte ein Coop-Vertreter anlässlich eines Podiums zum Thema, und die Präsidentin der Christkatholischen Kirchgemeinde stellte fest: «Es findet quasi eine Beschlagnahmung des Raumes statt, der ihnen nicht gehört.» Seit Ende des letzten Jahres prangt eine Verbotstafel vor der Kirche, die für laute Musik, Littering oder streunende Hunde auf dem Grundstück der Kirchgemeine Bussen bis zu 2000 Franken androht. Missionare stehen bereit Joachim Wasslowski empfängt in weissem Hemd, bügelfrischer Hose und einer Sonnenmütze mit der Aufschrift «Israel Defence Force», der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. In seinem Opel Frontera hängen zwei kleine Israel-Flaggen. «Ich bin ein bisschen Fan», sagt er. Als Wasslowski davon hörte, dass selbst die christkatholische Kir12

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«Das Einkaufserlebnis ist infrage gestellt», sagte ein Coop-Vertreter anlässlich eines Podiums zum Thema.

che wegen der Obdachlosen die Polizei rufe, schritt er zur Tat. Er möchte Obdachlosen einen Platz in dieser Gesellschaft geben – und initiierte das Projekt «Superbus». Wasslowski lebte einst zehn Jahre lang auf der Strasse und war alkoholsüchtig. In Zürich stellte er auf dem Areal der damaligen Gassenküche an der Nordstrasse sein Zelt auf. Auch Surprise-Hefte verkaufte er während einiger Jahre. «Ich weiss aus eigener Erfahrung, was Obdachlose brauchen», sagt er. In seinem «Superbus» – ein dreizehn Meter langer Truck-Anhänger mit eingebauter Küche – möchte er aus überschüs-

sigen Lebensmitteln Essen kochen und kostenlos an Obdachlose abgeben. Zudem will er Seelsorge leisten und den Menschen bei Problemen mit Ämtern behilflich sein. Im Gespräch sinniert er bereits weiter, träumt von Touren in andere Städte sowie von Arbeitslosenprojekten. Doch zuerst muss er überhaupt einmal einen Standort für seinen Truck finden. Von der Stadt Olten kriegte er eine Abfuhr. In einem Zweizeiler habe man ihm mitgeteilt, dass kein Bedarf bestehe. «Dabei sehe ich doch mit eigenen Augen, dass es Menschen gibt, die eine warme Mahlzeit brauchen», sagt er. Nun sucht Wasslowski auch in anderen Städten nach einem Standort für seinen Truck. Es gibt da noch die religiöse Seite von Wasslowski. Sie verleiht dem Projekt einen Beigeschmack. «Wir möchten das Interesse am Heiligen Land fördern und Gottes Liebe teilen», lautet der erste Satz seiner Konzeptidee. Und so geht es fort: «Neben Suppen und Tee gehört die Seelsorge zum Angebot. Gespräche und Gebete bilden die Grundlage.» Zusätzlich zur Obdachlosenhilfe plant er mit «Shalom Music» Konzerte mit israelischen Künstler*innen. Wasslowski steht nun vor seinem von Witterungsspuren gezeichneten Truckanhänger auf dem Parkplatz einer Transport-Firma in Rothrist, im Hintergrund rauschen Güterzüge vorbei. Er Surprise 528/22


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4 Joachim Wasslowski träumt davon, anderen mit Essen und Evangelium zu helfen. 5 Noch hat Wasslowskis Superbus keinen Standplatz, um mit der Essensausgabe zu starten. Olten erteilte eine Absage. 6 Wer von den Menschen an der Kirche eine neue nächtliche Schlafgelegenheit oder Essen von Wasslowski in Anspruch nähme, bleibt fraglich.

erzählt von seinem Glauben, dass er keiner Gemeinde angehöre und sich als einen Nachfolger von Jesus Christus bezeichne. Im Obdachlosen-Projekt würden neben ihm drei Personen aus Freikirchen und Pfingstgemeinde mitmachen. «Uns eint der Glaube, aber wir glauben unterschiedlich.» Er selber beispielsweise würde sich bei den Festen am Judentum orientieren, andere feierten Weihnachten und Ostern wie Christen. Geht es Wasslowski bei der Obdachlosenhilfe ums Missionieren? Er wehrt ab. «Es ist nicht unser Ziel, die Leute zu bekehren», sagt er. «Wir werden das Evangelium verkünden, aber wenn jemand das nicht hören will, ist er dennoch eingeladen, bei uns zu essen.» Kirche nicht per se ein Problem Dass die religiöse Schiene Obdachlose sehr wohl abschrecken könnte, findet Ex-Junkie Huber. «Die Leute wollen sich nicht vollquatschen lassen.» Allerdings würden auch andere Stellen, wo man in der Stadt gratis essen könne, von kirchlichen Kreisen organisiert – so etwa die Essensausgabe beim katholischen Kloster oder jene bei der Freikirche Vineyard. Was es tatsächlich noch nicht gebe in Olten, seien kostenlose warme Gerichte. In der Restessbar oder bei Tischlein Deck dich werden höchstens belegte Brötchen ausgegeben. Surprise 528/22

Im Schatten einiger Bäume vor der Kirche St. Martin in der Altstadt sitzen zwei bis drei Dutzend Männer und Frauen. «Die Polizei, das sind liebe Sieche», sagt einer von ihnen, während er mit den Händen einen Knäuel Tabak zerzaust. «Die kennen uns alle, schauen uns zu», sagt er und zeigt auf Häuserecken, wo angeblich Videokameras installiert sind. «Kürzlich gab mir einer sogar drei Stutz.» Vereinzelt spricht die Polizei Wegweisungen aus, gemäss der Stadtregierung käme das bei den Betroffenen aber gut an, da es sich immer um dieselben zwei bis drei Männer handle, die pöbeln. Auch eine Truppe der Sicherheit, Intervention und Prävention (SIP) sucht regelmässig vor Ort auf der Gasse das Gespräch mit den Menschen. In der Posse um die Notschlafstelle verhielt sich die Stadtregierung lange passiv. Kürzlich aber hat sie sich fast unbemerkt auf eine Seite geschlagen. In ihrer Antwort auf die Interpellation der Projekt-Gegner sprach sie zwar von «verständlichen Bedenken» und «nachvollziehbaren Ängsten». Sie schrieb aber eben auch: «Der Stadtrat anerkennt, dass mit dem vorgeschlagenen Konzept eine existierende Lücke im Sozialsystem geschlossen werden kann.» Nun gelte es herausfinden, wie gross diese Lücke sei. Der zuständige Sozialdirektor Raphael

Schär-Sommer (Grüne) ergänzt auf Anfrage, dass eine Zusammenarbeit mit dem Verein Schlafguet bei der Suche nach Notwohnungen für mittel- bis längerfristige Aufenthalte vorstellbar sei. «Wenn wir in solchen Situationen an eine professionelle Organisation verweisen können, ist das für die Menschen in Notlage angenehmer als temporäre Lösungen in Hotels oder Ähnlichem.» Fünf Jahre, nachdem sie Obdachlosigkeit den Betroffenen selber in die Schuhe schob, hat Oltens Regierung damit eine erstaunliche Kehrtwende vollzogen. Wie die Gegner*innen reagieren werden, die auf Verdrängung aus sind, ist noch offen. Das Oltner Parlament, wo Bürgerliche und Linke exakt je die Hälfte aller Sitze innehaben, befasste sich nach Redaktionsschluss mit der Interpellation. Allerdings sind seine Möglichkeiten beschränkt: Schliesslich handelt es sich um ein privates Projekt, an dem sich die Stadt nicht finanziell beteiligt.

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Serie: Die Unsichtbaren Wer sind die Menschen, an welche die Schweizer Mittelschicht immer mehr Arbeiten delegiert? Und wieso tut sie das? Eine Artikelreihe über neo-feudale Strukturen und ihre Hintergründe.

Kinderbetreuung massgeschneidert Nannys werden immer beliebter, sie gelten als anpassungsfähig und zeitlich flexibel. Doch die Arbeit im ­Privathaushalt ist anfällig für Ausbeutung. Untereinander sind die Kinderbetreuerinnen kaum vernetzt. TEXT ANINA RITSCHER

Wenn Luisa Vogt* ihren Arbeitsplatz verlässt, stellt sie sich manchmal eine Linie auf der Strasse vor dem Haus vor. Sobald sie die Linie übertritt, lässt sie die Arbeit emotional hinter sich. Den Trick lernte sie, als sie einen Jungen mit einer geistigen Behinderung betreute. «Seine Gesundheit beschäftigte mich auch nach Feierabend», sagt Vogt, Mitte 50, hochgestecktes Haar und helle Bluse. Seit über zwanzig Jahren arbeitet sie mit Kindern. Erst sorgte sie für ihre eigenen, dann für die von Freund*innen und schliesslich für die Kinder von Fremden. In dieser ganzen Zeit war sie allein verantwortlich für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Kleinen, dauerverfügbar für andere. Sie putzte Nasen, klebte Pflaster, klopfte den Dreck von Kinderknien. Vogts Arbeitsplatz ist das Familienleben anderer Leute. Was sie macht, nannte sich früher Kindermädchen, heute heisst es Nanny. Vogt macht all das, was die Eltern tun würden, wenn sie nicht bei der Arbeit wären. Sie holt die Kinder ihrer Arbeitgeber*innen vom Musikunterricht ab, bringt sie zur Physiotherapie, fragt Vokabeln ab, hilft bei den Hausaufgaben. Sie kocht, bastelt, arbeitet auch mal im Garten, wäscht ab, räumt Spielsachen weg. Meistens ist sie zehn Stunden am Stück bei ihren Arbeitgeber*innen im Haus, manchmal länger. Rund fünf Prozent der Kinder unter dreizehn Jahren werden in der Schweiz von Au-pairs, Nannys oder Babysitter*innen betreut – Tendenz steigend. Die Medien berichten gar von einem Nanny-Boom. Denn in immer mehr Familien arbeiten beide Elternteile in hochbezahlten Stellen. Diese verlangen eine Flexibilität, welche Kindertagesstätten nicht immer anbieten können. An manchen Wohnorten gibt es zudem kaum öffentliche Kinderbetreuung. Nannys hingegen passen sich an die individuellen Bedürfnisse an. Vor allem Akademikereltern Früher, als ihre eigenen Kinder klein waren, arbeitete Vogt als Tagesmutter. «Jahrelang war meine Stube ein Kinderspielplatz», sagt sie. Das wollte sie irgendwann nicht mehr. Doch die Arbeit mit Kindern gefiel ihr. Also tauschte sie, sobald ihre Kinder älter waren, ihre eigene gegen die Stube anderer Familien. Zum Beispiel diejenige von Katrin Sommer*. Sie und ihr Mann zogen vor einigen Jahren aufs Land. Doch im Dorf gibt es keine Kindertagesstätte, und sie fanden keine Tagesmutter, die sich um ihre drei Kinder gleichzeitig kümmern konnte. «Uns blieb nur die Option, eine Nanny einzustellen», sagt Sommer. Also recherchierte sie im Internet und stiess dort auf eine Nanny-VermittSurprise 528/22

FOTO DANIEL SUTTER

lung in der nächstgelegenen Kleinstadt. So fanden sie Luisa Vogt. Seit fast drei Jahren betreut nun Vogt die Kinder der Familie Sommer, einen Tag pro Woche. Daneben hilft sie von Zeit zu Zeit bei weiteren Familien aus. Meistens ist sie vom Frühstück bis zum Abendessen bei den Familien zuhause und zuständig für alles, was dazwischen passiert. Bei einigen Familien fallen Aufgaben neben der Kinderbetreuung an. Als ein Kind etwa Verdauungsprobleme hatte, führte Vogt ein Protokoll über seine Ernährung. Bei einer Familie macht sie gelegentlich die Wäsche. «Einige Familien sagen: Mach während des Tages, worauf du Lust hast. Andere haben genaue Vorstellungen, wie der Tagesablauf der Kinder zu sein hat.» Die Familien schätzten vor allem ihre Anpassungsfähigkeit, sagt Vogt. Mal dauert eine Sitzung abends länger als geplant. Mal steht ein Elternteil auf dem Nachhauseweg im Stau. Dann bleibt sie so lange, bis einer von beiden nach Hause kommt. Und wenn Katrin Sommer etwa morgens früher aus dem Haus muss, sitzt auch Vogt schon früher am Frühstückstisch. «Ich richte mich nach den individuellen Bedürfnissen der Familie», sagt sie. Dieser «Luxus» kostet. Fast vierhundert Franken pro Tag bezahlt Familie Sommer für das sorgenfreie Rundumpaket. Das können sich nur wenige leisten. «Würde ich als Verkäuferin arbeiten, wäre es wohl rentabler, selbst zuhause zu bleiben», sagt Sommer. Ab drei Kindern hätten sich die Kosten im Vergleich zur Kitabetreuung für sie selbst aber gelohnt. Laut einer Untersuchung der pädagogischen Hochschule Bern hat die Mehrheit der Eltern, die eine Nanny engagieren, einen Hochschulabschluss. Vielleicht auch deswegen behagt Sommer die Bezeichnung «Nanny» nicht richtig. «Das klingt so nach Grossbritannien und als sähen wir uns als etwas Besseres», sagt sie. Gegenüber ihrem Umfeld spricht sie lieber von einer Tagesmutter, die zu ihr nach Hause kommt. Dabei ist der Unterschied bedeutend. Als Tagesmutter war für Vogt klar: Sie arbeitet bei sich zuhause und dort gelten ihre Regeln. Als Nanny ist das anders. Auch wenn sie selbst mal nicht mit den Gepflogenheiten in den Familien einverstanden ist: Vogt mischt sich nicht in das Familienleben und die Erziehung ihrer Arbeitgeber*innen ein. Manchmal bedeutet das aber, dass sie mehr Stress aushalten muss. Eine Familie etwa habe in einem Haus mit vielen Treppen gewohnt und keine davon war für Kleinkinder abgesichert. «Da konnte ich nicht ruhig bleiben und war den ganzen Tag angespannt.» Manchmal gehen die Wünsche der Eltern zu weit. Zum Beispiel, als eine Familie von Vogt verlangte, mit den Kindern für die Schule zu lernen. Akademikereltern würden von ihren Kindern oft schu15


lische Höchstleistungen erwarten, sagt Vogt. Das mache sie nicht mit: «Abfragen ist ok – aber ich bin doch keine Nachhilfelehrerin.» Eine Studie im Auftrag der Stadt Zürich zeigte: Die Ansprüche an Nannys sind sehr verschieden. Einige Familien engagieren sie als Ferienbegleitung oder als Animateur*innen. Andere brauchen «Notfall-Nannys», die kurzfristig einspringen können. Dritte wünschen sich eine Nanny mit Fremdsprachenkenntnissen, um den Kindern eine weitere Sprache mit auf den Weg zu geben. Schlecht geschützt Gerade Familien, deren eigene Muttersprache nicht Deutsch ist, engagieren gerne Nannys, die ihre Sprache sprechen. Mitunter Sans-Papiers, wie Bea Schwager von der Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich berichtet. Diese sind besonders schlecht vor Ausbeutung geschützt. Von allen Jobs im Bereich Hausarbeit, die Sans-Papiers in der Schweiz machen, gehört Kinderbetreuung zu den am schlechtesten bezahlten: Nur 11 Franken erhielten sie im Jahr 2004 durchschnittlich, wie eine Studie der Sans-Papiers-Anlaufstelle Basel herausfand. Oft haben diese Frauen in ihrem Herkunftsland eigene Kinder, die sie durch die Betreuung fremder Kinder finanziell unterstützen. Doch auch Menschen mit Aufenthaltsrecht sind bei der Arbeit im Privathaushalt Risiken ausgesetzt, denn hier kommt das Arbeitsrecht nicht zur Anwendung. Lediglich der auf Bundesebene geregelte Mindestlohn muss eingehalten werden, nicht aber weitere Bestimmungen wie Pausen, Arbeitszeit oder Ferien. Diese werden auf kantonaler Ebene zwar festgelegt, können aber durch einen Arbeitsvertrag unterboten und so ausgehebelt werden. Am anfälligsten für Ausbeutung ist das Modell der «Live-in-Nanny» oder der klassischen Au-pair, die bei der Familie wohnen und rund um die Uhr auf Abruf sind. Viele bieten ihre Dienste privat über Onlineplattformen wie etwa care.ch an und handeln die Bedingungen mit den Familien individuell aus. Vogts Situation dürfte eher die Ausnahme sein: Sie ist bei der hauseigenen Nanny-Vermittlung einer lokalen Kindertagesstätte angestellt und dort sozial- und unfallversichert. Der Lohn wird monatlich auf ihr Konto überwiesen, selbst dann, wenn die Familien zu spät bezahlen. Zwischen 24 und 30 Franken pro Stunde – je nachdem, wie viele Kinder auf einmal sie betreut. Die Familien bezahlen zusätzlich für die Vermittlung und die Adminis­tration, die von der Kindertagesstätte übernommen werden. Die meisten Kinderbetreuerinnen in Privathaushalten sind von den Familien direkt angestellt. Unter anderem wegen dieser oft informellen Arbeitsverhältnisse ist über die Situation von Nannys in der Schweiz wenig bekannt. Es gibt nur eine Handvoll wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema. Auch die Gewerkschaften tappen weitgehend im Dunkeln, denn Nannys sind schlecht vernetzt. Die meisten von ihnen sind Einzelkämpferinnen. Die Arbeit im Privathaushalt, so die Studie der Stadt Zürich, führe zu «entgrenzten Arbeitsverhältnissen» – die Trennung zwischen Privatem und Beruflichem ist schwer zu ziehen. Das macht auch die Vermittlung manchmal schwierig, wie eine Angestellte von Vogts Nanny-Vermittlung sagt. Familien hätten etwa Bedenken, eine Nanny aus demselben Dorf einzustellen – der Einblick ins Familienleben sei zu privat und die Gefahr zu gross, dass sich etwas herumsprechen könnte. Dabei gelte bei ihnen die Schweigepflicht: Wenn Luisa Vogt morgens die imaginäre Linie vor ihrem Arbeitsplatz übertritt, lässt sie ihr eigenes Privatleben zurück und fügt sich in das Privatleben ihrer Arbeitgeber*innen ein. 16

«Mit schwierigen Situationen konfrontiert» Gewerkschaftssekretärin Martina Flühmann vom VPOD erreicht Nannys nur vereinzelt. Wer sind die Menschen, die typischerweise als Nannys arbeiten? Was fast alle verbindet: Es sind Frauen. Ansonsten sind die ­Geschichten und Lebenssituationen sehr verschieden. Sie sind jung, älter, Schweizerinnen, Migrantinnen oder Sans-Papiers. Einige verfügen über sehr spezialisierte Ausbildungen in der Kinderbetreuung, andere wiederum über keine berufsbezogene Qualifikation. Mit welchen Problemen wenden sich Nannys an Sie? Die Probleme sind vielfältig wie: In welchem Umfang dürfen Überstunden angeordnet werden und wie werden diese abgegolten? Wie werden kurzfristige Absagen angerechnet? Oder wie grenzt man den Arbeitsbereich ein? Es gibt selten einen Stellenbeschrieb. Das kann dazu führen, dass Nannys neben der Kinderbetreuung auch viele Hausarbeiten übernehmen. Auch die berufliche Vorsorge ist oft Thema. Viele Nannys arbeiten tiefprozentig in unterschiedlichen Privathaushalten und die einzelnen Auftraggeber*innen sind je nach Höhe des Lohns nicht beitragspflichtig. Die Gefahr der Altersarmut ist so gross. Wie können sich Nannys gegen Ausbeutung wehren? Grundsätzlich können sie sich arbeitsrechtlich als auch kollektiv wehren. Manchmal ist die Hemmschwelle hoch, da die Arbeitsverhältnisse oft auch sehr persönlich sind. In einigen Fällen hängt zudem die Aufenthaltsbewilligung vom Arbeitsverhältnis ab und bei den «Live-in-Nannys» sogar das Dach über dem Kopf. Da sie alle allein arbeiten, fühlen sie sich auch in schwierigen Situatio­ nen allein. Nannys sind selten gewerkschaftlich organisiert. Warum? Es ist in diesem Beruf besonders schwierig, weil die Arbeiterinnen stark vereinzelt sind. Sie haben keine Kolleginnen vor Ort, mit denen sie sich austauschen könnten. Hinzu kommen Arbeitszeiten, die oft bis in den Abend hinein gehen und zusätzliche unbezahlte Care-Arbeiten zuhause. Da bleibt wenig Zeit für gewerkschaftliche Vernetzung. Es ist aber gerade der Austausch, der die gemeinsamen Probleme und Forderungen zutage fördert.

Die Unsichtbaren — eine Serie in mehreren Teilen — Teil 1/Heft 522: Reinigungspersonal — Teil 2/Heft 524: Care-Arbeiterinnen — Teil 3/Heft 526: Klärwerkfachleute — Teil 4/Heft 528: Nannys Wir lagern immer häufiger unliebsame oder wenig angesehene Arbeiten an andere aus: Putzen, Ernte, Care-Arbeit, Müllabfuhr. Wir möchten wissen, wer diese Arbeiten verrichtet und unter welchen Bedingungen. Und was dies für Folgen hat.

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Freiheit durch Kinderbetreuung Die Erwerbsquote der Frauen steigt. Zudem wird immer mehr Flexibilität gefordert, was den Bedarf für Betreuung in die Höhe treibt: aufgefangen durch Kitas, Tagesmütter, Nannys und Grosseltern.

1,4 Mio.

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990 CHF Können Arbeitgeber*innen bei «Live-in-Nannys» für Kost und Logis pro Monat am Gehalt in Abzug bringen.

Tagesmütter sind von rund 160 Organisationen schweizweit angestellt und betreuen ca. 30 000 Kinder. Neben den Kindertagesstätten zählen auch sie zur familienergänzenden Betreung.

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Der Graubereich Knapp zwei Drittel der Kinder unter 13 Jahren werden in der Schweiz familienergänzend betreut. Bei den 0–3-Jährigen sind es 71 Prozent. Rund 5 Prozent werden 2018 in der Schweiz von Au-pairs, Nannys oder Babysittern betreut. 6,3 Prozent nutzen Tagesmütter bzw. Tageseltern.

Personen betreuen Kinder unter 15 Jahren. Dafür reduzierten 60,5 Prozent aller erwerbstätigen Frauen und 14,4 Prozent aller Männer 2018 ihre Arbeitszeit.

20 20

QUELLEN: BFS; STATISTA; KIBESUISSE.CH; NZZ; CREDIT SUISSE; KINDERTAGESSTÄTTEN; GEMEINDEN; KANTONE

INFOGRAFIK MARINA BRÄM

Auslän derinnen: 56,1% Au slän deri nnen : 48,5% Sch weiz erinn en: 49,8% Auslä nderinne n: 52,5%

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40% Aller Kinder unter 3 Jahren werden auch von ihren Grosseltern betreut.

26,6 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz haben Betreuungspflichten für Kinder unter 15 Jahren. Erwerbssituation Schweiz Eltern mit Kind(ern) unter 13 Jahren, 2020 14,5% 34,4

27,8

Mütter mit Partnerschaft 21,6%

43,5

1 11,3

Alleinlebende Mütter

23,5 11,0

81,0%

Väter mit Partnerschaft 71,5%

Alleinlebende Väter Vollzeit (90–100%) Teilzeit (50–89%)

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Preisunterschiede Kitas Schweiz Elterntarife pro Kind und Tag, 2021

23,3

13,6

2

1 Bern:

3 3,1

9,5

Teilzeit (<50%) Erwerbslos, Nichterwerbspersonen

4

Max. CHF 130

Min. CHF 10

2 Zürich:

CHF 127

CHF510

3 Schwyz:

CHF 110

CHF584

4 Bellinzona:

CHF 70

CHF510

Min. Tarif = Bei voller Subventionierung Max. Tarif = Mediantarif ohne Subventionierung bzw. minimale Subventionierung

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Es bleibt ein Schnäppchenmarkt, wenn auch in aufgehübschtem Ambiente: der neue Marché de la Plaine.

Wenn Marseille sich schön macht Gentrifizierung Man kann sich gegen Verdrängung wehren, zeigen Marktleute in Südfrankreich.

Charme und Vielfalt verdankt das Quartier ihrem Durchhaltevermögen. TEXT CLARA HELLNER

FOTOS ALICE DELANGHE

FRANKREICH

Marseille

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Drei Jahre und sieben Monate. Dass sie so lange nicht zurückkommen würden, hätten die Marktleute nicht gedacht. Damals, im Oktober 2018, als sie ihre Tapeziertische zusammenklappen, ihre Pavillonschirme zusammenfalten und alles in weisse, zerbeulte Lieferwagen räumen mussten, um den Platz freizumachen für Bulldozer. Heute, an einem Dienstagmorgen im Mai, sitzen Nahema und Jamel auf einem Platz in der Marseiller Innenstadt an einem Bistrotisch, vor sich einen Espresso im Pappbecher. Die beiden, sie sorgfältig geschminkt in feiner Bluse, er in Poloshirt und Jogginghose, sind die Gewerkschaftspräsident*innen der Marktleute. Sie stellen sich mit Vornamen vor, Marktleute duzen sich. Während sie Kaffee trinken, bauen ihre Kolleg*innen vor ihnen vier Reihen Marktstände auf. Es ist der Tag, für den die beiden dreieinhalb Jahre mit Demonstrationen, Blockaden, Diskussionen mit der Stadtverwaltung gekämpft haben – der Tag der Rückkehr des Marseiller Schnäppchenmarkts auf diesen Platz. Kein anderer Ort eignet sich besser, um zu erzählen, worum es geht im Streit darüber, wem die Stadt am Mittelmeer eigentlich gehört. «Place Jean-Jaurès», benannt nach dem grossen französischen Sozialisten, steht in den Stadtplänen der Tourist*innen. La Plaine, sagen die Marseillais, vom okzitanischen lo Plan, das Plateau. In der dicht bebauten Stadt öffnen sich hier auf einmal die fünfstöckigen Wohnhäuser und geben den Blick frei auf den Ort, der ein Schmelztiegel der Stadt war. «Dieser Platz ist eine Art Marseille en miniature», sagt Jamel, und dann erzählen Nahema und er von früher. Von der Zeit, als die Plaine noch ein Parkplatz voller Schlaglöcher und Bäume war, auf dem sich zwischen kreuz und quer parkenden Autos Gangs und Ultras vom Fussballverein Olympique Marseille wie auch junge Familien zum Sonntagspicknick trafen. Im Staub spielten die Alten Pétanque, Kinder dribbelten Bälle hin und her. Und dreimal die Woche drängelten sich die Marktleute mit ihren weissen Bussen auf den Platz. Dann kamen Menschen aus allen Vierteln Marseilles, um günstig alles Notwendige zu erstehen. Vor sechs Jahren kündigte die Stadtverwaltung an, den Platz aufwendig renovieren zu wollen. Das sahen viele Kritiker*innen als Teil eines aggressiven Umbauplans der rechtskonservativen, als korrupt geltenden Stadtregierung. Seine Reputation als schmutzige Kriminellenhochburg schützte Surprise 528/22

Marseille in den 1980er- und 1990er-Jahren vor den Mechanismen der Gentrifizierung, vor Investoren und Tourismus. Ab den 2000er-Jahren jedoch schien der Bürgermeister im Eiltempo aufholen zu wollen, sorgte etwa für den Bau einer TGV-Strecke Paris–Marseille, investierte in ein teures Museum. In den Strassen zwischen der Plaine und dem arabisch geprägten Quartier Noailles war der Wandel besonders sichtbar, Künstler*innen und sogenannte «bourgeois bohème» zogen ein, Gutverdienende aus Paris kauften Wohnungen, hippe Bars und Conceptstores eröffneten. Schon bald wurde die Plaine und ihr unglamouröser Schnäppchenmarkt zum Symbol der gezielten Verdrängung vieler Marseillais – und des Widerstands. «Dass alle Stände um acht Uhr verkaufsbereit sind, hätten wir uns nicht erträumt», sagt Nahema, langer Zug an der Zigarette, zufriedener Blick über vier Reihen Schirme und Tische, 202 Stände insgesamt, jeder sechs Meter Verkaufsfläche. Nahema verkauft seit 24 Jahren Croissants im Zwölferpack auf dem Platz, die Arbeitszeiten als Marktverkäuferin passten damals besser zu den Abholzeiten von Krippe und Schule ihrer drei Kinder als die des Bäckerbetriebs, wo sie vorher arbeitete. Jamel war noch ein Kind, acht Jahre alt, als sein Bruder anfing, Hemden und Parfum auf der Plaine feilzubieten. Die Familie wohnte nur eine Strasse weiter, sein grosser Bruder drückte Jamel Münzen in die Hand, damit er sich eine Pizza kaufen konnte. Er spielte mit den anderen Jungs Fussball und kletterte auf dem Spielplatz herum. Mit siebzehn eröffnete er seinen eigenen Stand, statt wie seine Freunde eine Ausbildung zu machen. Es gefiel ihm, sein eigener Chef zu sein. Lavendelkissen statt Schnäppchen Hunderte, tausende Male hat Jamel, der heute in seinen Vierzigern ist, seit all den Jahren morgens Kaffee bei Abdel getrunken, im Café auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Regelmässig quollen die Mülleimer vor leeren Bierdosen über, Hochstromkabel lampten aus den Pfeilern der Strassenlaternen, manchmal holte jemand bei Auseinandersetzungen ein Messer hervor. Aber er erzählt lieber anderes: von den Sardinages, dem traditionellen Sardinengrillen sonntags, vom Gemeinschaftsgefühl, dem unangemeldeten Karnevalsumzug. Es lässt sich in Planungsdokumenten der Stadt nachlesen, wovon derweil die Re-

«Ich kann nicht einfach zusehen, ich habe den Mix an Menschen auf dem Markt zu gern.» JAMEL , MARK TGEWERKSCHAF TLER

gierung unter Bürgermeister Jean-Claude Gaudin träumte: von «Aufwertung» der Stadt, von der «Wiederherstellung» ihrer «wirtschaftlichen und touristischen Attraktivität». Das Budget der Ausschreibung von September 2015 lag bei 11,5 Millionen Euro. Die Marktleute sollten während der Bauarbeiten auf ein Dutzend andere Märkte in der Stadt aufgeteilt werden. Es war ein offenes Geheimnis, dass der Bürgermeister touristische Märkte bevorzugte, wie es sie in der Provence überall gibt, mit Lavendelkissen, Biogemüse und Strandtüchern. Die Gewerkschaft der Marktleute, bis dahin ein schläfriger Verein, dessen Hauptfunktion in einer günstigen Versicherung bestand, hielt daraufhin eine Generalversammlung auf der Plaine ab. Jamel liess sich zum Vizepräsidenten wählen. «Als ich von den Machenschaften des Bürgermeisters hörte, wusste ich, ich kann nicht einfach zusehen», sagt er. «Ich habe den Mix an Menschen auf dem Markt zu gern, jeder spricht eine andere Sprache.» Einige Monate vor dem geplanten Beginn der Bauarbeiten verabredeten sich die Marktleute zum ersten Mal für eine Demonstration. Sie bildeten eine Kette zerbeulter Kastenwagen, die für mehrere Stunden die Stadt lahmlegte, eine der grössten Autobahnen blockierte, den alten Hafen. Sie waren nicht allein. Über 5000 Menschen unterschrieben eine Petition, die der Stadt vorwarf, mit der auf zweieinhalb Jahre geplanten Baustelle den Markt und das Leben im Viertel zu ersticken. Sie sprachen sich gegen das Fällen der 87 Bäume auf dem Platz aus, gegen die Aufhebung der kostenlosen nächtlichen Parkplätze, gegen das Entfernen des Boulodrome, erhöhte Pachtpreise für die Kioske sowie die 21 angekündigten Überwachungskameras. Mehrere Tausend zogen durch die Stadt, in die Hände klatschend: «Wir sind alle Kinder der Plaine!» 19


Nach einer besonders langen Blockade der Marktleute im Oktober 2018 – der geplante Baubeginn rückte immer näher – lud der Bürgermeister die Gewerkschaftler*innen zu Gesprächen ein. Die Standbetreiber*innen beschlossen, den Markt auf der Plaine nur zu räumen, wenn sie alle am selben Ort Stände zugeteilt bekommen würden. Es waren harte Diskussionen. Das Handy von Nahema klingelte in dieser Zeit ohne Pause, bis spät in die Nacht riefen ihre Kolleg*innen an. «Manchmal sassen wir von 8 bis 21 Uhr in Meetings, auch während des Ramadan», sagt Jamel. «Ich hab damals meine Ehe riskiert. Meine Frau drohte mir, sich scheiden zu lassen.» Am Ende eines dieser Diskussionstage sagte die zuständige Politikerin Marie-Louise Lota der Lokalplattform Marsactu: «Der Markt auf der Plaine ist passé.» Die Marktleute hätten genug Zeit gehabt, um die Vorschläge des Bürgermeisters zu überdenken – etwa, dass ein kleiner Teil der Stände während der Bauarbeiten bleiben könnte. Doch die Gewerkschaftler*innen wollten eine Lösung für alle. Am nächsten Tag bauten Nahema, Jamel und alle anderen ihre Stände trotzdem auf. Am Nachmittag kam ein neuer Vorschlag der Stadtverwaltung: Die Marktleute würden je einen Stand auf zwei anderen Märkten ausserhalb der Innenstadt zugesichert bekommen, sollten sie die Plaine räumen. Sie stimmten zu. Am 11. Oktober 2018 räumten sie ein letztes Mal ihre Waren in die Kastenwagen. Einen knappen Monat später stürzten in der Rue d’Aubagne in unmittelbarer Nähe zur Plaine zwei Häuser in sich zusammen. Zwei von mehreren Tausend Sozialbauten, die der Stadt lange als baufällig bekannt waren. Neun Menschen starben in den Trümmern. Die ersten beiden identifizierten Opfer kannte jede*r auf der Plaine. Selbst Anwohner*innen, die den Umbauplänen bislang zwiespältig gegenübergestanden hatten, verloren nun die Geduld. Der Platz wurde zum Ort, von dem aus die «Marches de la colère» loszogen, Wutmärsche gegen die Stadtregierung, auf denen an manchen Tagen bis zu 8000 Menschen teilnahmen. Immer wieder warfen Demonstrant*innen die Bauzäune auf der Plaine um, bis die Stadt für mehrere Hunderttausend Euro zweieinhalb Meter hohe Betonmauern aufstellen liess. An den Tagen, an denen sie nicht demonstrieren gingen, taten die Marktleute, was sie immer taten, bauten ihre Tapeziertische auf und versuchten mit guten An20

geboten zu locken – nur waren sie nun an Orten, wo die Kunden sie nicht kannten, auf den ihnen zugewiesenen zwei anderen Märkten, der eine in Nähe des alten Industriehafens, der andere in Richtung des Meeres und der reicheren Viertel. Dass die meisten von ihnen heute wieder auf der Plaine stehen, haben sie auch der Bürgermeisterwahl 2020 zu verdanken. Damals musste der rechtskonservative Jean Gaudin nach 25 Jahren gehen. Eine Koalition aus Grünen und Sozialist*innen folgte. Von da an, da sind sich Jamel und Nahema einig, änderten sich die Verhandlungen mit der Stadt. Die Angestellten der neuen Bürgermeisterin hörten zu, erklärten den aktuellen Stand der Bauarbeiten. Danach, sagt Jamel, hing nicht mehr die unausgesprochene Drohung in der Luft, dass sie vielleicht nicht zurückkommen dürften. Kämpfen um jeden Millimeter Jetzt ging es nur noch darum, wann und wie. Die Bauarbeiten wurden abgeschlossen, der Platz wiedereröffnet. Doch die Rückkehr der Marktleute verschob sich um Wochen, Monate, ein halbes Jahr. Denn auf den von der Baufirma angefertigten Marktplänen hatten nicht alle 238 Stände Platz. Wenige Wochen vor der angekündigten Eröffnung des Marktes organisierten Nahema und Jamel wieder Demonstrationen. Die Stadt zeigte sich einsichtig, die letzten Tage vor der Eröffnung trafen sie sich jeden Tag mit der Stadt, um Stände auf dem Papier hin- und herzuschieben, bis es passte. «Wir haben gekämpft», sagt Nahema. Sie steht auf. Mit Jamel möchte sie kontrollieren, dass alle auf dem Platz stehen, den die neue Marktordnung vorsieht, die sie mit der Stadtverwaltung erarbeitet haben. «Breitere Gassen als früher, aber weniger Meter für die Stände», sagt Nahema. Es ist inzwischen elf Uhr, viele Menschen schieben sich den Ständen entlang, Mütter mit Kindern im Buggy, ältere Frauen mit Kopftuch. Überall erkennen sich Besucher*innen und Marktleute wieder, die drei Jahre Pause sind wenig im Vergleich zu teils Jahrzehnten Verkaufsbeziehung. Die geübten Rufe der Verkäufer schallen über die Gänge. «Allez allez allez, les clients, vous n’allez pas le regretter!» Nahema und Jamel sagen hier und da hallo, geben Wangenküsschen. Sie kommen auch an Jamels Stand vorbei, Kleider hängen orange, lila, rosa von einem gros­ sen Pavillonschirm, sein Bruder berät die

«Es ist immer noch ein Souk», hört man einen im Vorbeigehen zufrieden sagen, das arabische Wort für Markt benutzend. Kundinnen. Ein Kollege geht auf Jamel zu, murmelt ein paar Worte auf Arabisch, drückt ihm eine Tüte in die Hand: drei kleine Plastikflaschen Olivenöl, von seiner Familie aus Algerien. «Die Anerkennung der anderen macht mich stolz, klar», sagt Jamel, hängt die Tüte an eine der Kleiderstangen. Ein paar Meter weiter steht Nahemas Sohn hinter Verkaufstischen voller Familienpackungen Schokolade, Kekse und Croissants im Zehnerpack. Nahema beginnt, ihrem Sohn beim Auspacken zu helfen. Währenddessen diskutiert sie mit Jamel weiter über Kolleg*innen, die unzufrieden sind, weil sie weniger Platz haben. Viele der Besucher*innen, die sich heute an die Tische drängen und mit gros­ sen weissen Plastiktüten voller Unterwäsche, Make-up, Putzmittel und neuen Sandalen den Markt verlassen, sind euphorisch. «Es ist immer noch ein Souk», hört man einen im Vorbeigehen zufrieden sagen, das arabische Wort für Markt benutzend. Obwohl der neue Platz mit dem spiegelglatten, sonnenreflektierenden Beton ein wenig aussieht wie alle modernen Plätze. Mit neu installierten Überwachungskameras an allen Strassenecken. Und häufigen Polizeikontrollen. Kurz vor Mittag sitzt Nahema versteckt zwischen Lastenwagen im Schatten eines Baumes und raucht eine Pausenzigarette. «Es ist, als wären wir nie weggewesen», sagt sie. Es klingt eher müde als triumphierend. Sie denkt schon an die nächsten Treffen mit der Stadtverwaltung, an die Diskussionen über die zwanzig Marktleute, die keine festen Standplätze haben und bislang nicht auf die Plaine zurückkehren durften. Jamel ergänzt: «Sie können den Platz verändern, aber wer ihn benutzt, das können sie nicht bestimmen.» Aber nun werde er seinen Gewerkschaftsposten erst einmal aufgeben, er habe seiner Frau versprochen, nach dem ersten Markttag eine Pause einzulegen. Surprise 528/22


Als Gewerkschaftspräsidentin hat Nahema (links) sich gemeinsam mit Jamel (oben rechts, mit einem Freund) um die Organisation der Proteste und der Verhandlungen mit der Stadt gekümmert. Der Marché de la Plaine bietet keine Lavendelkissen oder Strandtücher, dafür Waren des täglichen Bedarfs für die Menschen, die rund um das Quartier leben und arbeiten.

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Die Ausstellung «Bang Bang» wurde vom kollektiven Netzwerk Performance Chronik Basel initiiert. Die Gruppe forscht seit 2006 mittels Oral History zur Performance-Kunst. (Im Bild: Madison Bycroft.)

Die australische Künstlerin Madison Bycroft geht in ihren Performances oft von Texten und Theorien aus. Hier in «uncommitted barnacle» von 2021.

Am Ursprung des kreativen Impulses Ausstellung Das Museum Tinguely zeigt Performance-Kunst. «Bang Bang –

translokale Performance Geschichte:n» konzentriert sich auf die Schweizer Szene, thematisiert aber auch den internationalen Kontext. TEXT MONIKA BETTSCHEN

«Der Reiz der Performance liegt für mich darin, dass sie selbstmotiviert entstehen kann, ohne ein Aussenauge in Form einer Regie oder eines Feedbacks», sagt Andrea Saemann, Mitinitiantin der Ausstellung «Bang Bang – translokale Performance Geschichte:n» und selber Performance-Künstlerin. «Ich entdeckte diese Kunstrichtung für mich, als ich in Zürich Mitte der 1980er-Jahre eine Protestaktion miterlebte, bei der Aktivist*innen die Kanzleiturnhalle verhüllten. Ich sah, wie diese Leute Prozesse sichtbar machten, für kurze Zeit eine andere Realität schufen und Handlungsmöglichkeiten aufzeigten», erinnert sich Saemann. Die Ausstellung im Museum Tinguely zeigt denn auch, dass Aktivismus zwar ein kleiner, aber auch prominenter Teil dieser Kunstgattung ist, die einem sowohl in Kunsträumen als auch im öffentlichen Raum begegnen kann. Das Projektteam, dem neben Andrea Saemann auch Lena 22

Eriksson, Séverine Fromaigeat, Muda Mathis und Chris Regn angehören, schuf den Rahmen, in dem in Basel PerformanceKünstler*innen über die Sommermonate ihr Schaffen zeigen. Performances öffnen unverhoffte Zeitfenster und erschaffen situationsbezogen etwas Neues, das sich, im Gegensatz zu einem Gemälde oder zu einem Theaterstück, weder konservieren noch vermarkten lässt. «Während den Anfängen in den 1960er-Jahren war Performance noch geprägt von Happenings, Sit- und Sleepins. Das waren die Pionier*innen. Ich gehöre der zweiten Generation an, wollte deren Spuren lesen und daraus etwas Eigenes schaffen», sagt Saemann. «Heute beeinflusst Social Media die künstlerische Erfahrung. Die jungen Künstler*innen zeigen sich im Wissen um das Aussenauge. Sie spielen damit und hinterfragen so den Zeitgeist.» Surprise 528/22


BILD(1): ALESSANDRO SALA, COURTESY CNTRALE FIES, BILD(2): ROBERTA SEGATA, COURTESY CENTRALE FIES BILD(3): PHILIP MESSMANN

Die Spur der Buchstaben Buch Hassan Zahreddine verknüpft die Lebens­ geschichte und das Druckgewerbe seines Vaters zu einer Erzählung von der Macht und Magie der Wörter. Wohl kaum jemand erinnert sich daran, wie er das Sprechen gelernt hat. Vielleicht erzählen die Eltern davon, vom ersten Wort, den ersten unbeholfenen Sätzen. Von diesem Riesenschritt, der wie das Laufen lernen die Welt erweitert. Aber vielleicht gibt es eine Erinnerung an die erste Begegnung mit Buchstaben. An die allerersten Schritte in eine Welt, die noch viel grösser sein kann als alles, was jemals mit Laufen, Fahren oder Fliegen erreicht werden kann. Eine Welt, die alles sein kann, von sachlich bis magisch. Die Geschichte aus dem Libanon, die Hassan Zahreddine erzählt, berichtet von einer solchen Welt, die beides hat, das Sachliche und das Magische. Denn als der junge Zineddine, genannt Zin, zum ersten Mal eine Druckerei betritt, ist der erste Eindruck recht prosaisch. Ein ohrenbetäubender Lärm, der beängstigend ist. Hier soll er arbeiten, um schon früh zum Unterhalt der armen, vielköpfigen Familie beizutragen. Aber die Angst weicht rasch, und die erwachende Neugier schafft Raum für die Magie. Denn hier sieht Zin zum ersten Mal Buchstaben, metallene Lettern, die aus dem Setzkasten herausgesucht und zu einem sinnvollen Ganzen zusammengesetzt werden müssen. Zu Wörtern und Sätzen, die mit mächtigen Maschinen auf Papier gedruckt werden. Um das zu können, folgt Zin der Spur der Buchstaben. Überall begegnen sie ihm, über den Geschäften, auf Briefmarken und in Büchern oder Zeitungen. Zin lernt lesen, schreiben und bald auch die Macht der Wörter kennen, als ein Flugblatt, das in seiner Druckerei entstanden ist, die Menschen zum Streik aufruft. Hassan Zahreddine erzählt in seinem Buch die Lebensgeschichte seines Vaters, der sich als Drucker für Gerechtigkeit eingesetzt, den Menschen eine Stimme gegeben hat. Von seinem Vater hat Zahreddine die Liebe zur Drucktechnik geerbt, sich aber dazu entschieden, Druckkünstler zu werden. Um sich dem Leben seines Vaters und dessen Beruf möglichst anzunähern, hat er die alte Kunst des Mezzotinto gewählt. Dabei wird eine Kupferplatte erst aufgeraut, um dann auf ihr zu zeichnen, eine langwierige, zeitaufwendige Arbeit. Entstanden sind ausdrucksstarke Bilder, die dichte Atmosphäre mit feinsten Details vereinen. Begleitet werden diese Druckwerke von zarten Strichzeichnungen und schlichten Texten. Dabei verbinden sich diese Bilder, Zeichnungen und Buchstaben und die wunderbare Gesamtgestaltung zu einem anregenden Kinderbuch und zu einem Kunstwerk für Bibliophile. CHRISTOPHER ZIMMER

Der Däne Esben Weile Kjær verbindet unterschiedliche Medien wie Skulptur, Video und Performance. Dieser Einblick in eine seiner Arbeiten von 2021 heisst Hardcore Freedom.

«Bang Bang – translokale Performance Geschichte:n», Ausstellungsprojekt von Revolving Histories/Performance Chronik Basel und Museum Tinguely, bis So, 21. August, Di bis So, 11 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Museum Tinguely, Paul Sacher-Anlage 2, Basel. www.tinguely.ch Surprise 528/22

FOTO: ZVG

«Bang Bang» ist keine historische Aufarbeitung, sondern zeigt viel Zeitgemässes. Das Ausstellungsprogramm macht in sieben Themenkapiteln die grosse Vielfalt der Gattung greifbar. LiveEvents zeugen von einer lebendigen Szene. Sie werden zum Teil in Zusammenarbeit mit PANCH veranstaltet, dem Performance Art Netzwerk Schweiz, dem auch Andrea Saemann angehört: «Wir haben uns als Verein organisiert, da wir uns inhaltlich und was die Rahmenbedingungen für Performance-Kunst betrifft für mehr Sichtbarkeit und Anerkennung einsetzen möchten. Während meiner Ausbildung bei Marina Abramović erlebte ich, wie man während einer Performance einen Raum baut, ein geistiges Konstrukt. Es fühlt sich an, als erlebe man alles in Zeitlupe. Diese tiefgreifende Erfahrung führt so dicht an den Ursprung des kreativen Impulses heran wie kaum eine andere Kunstform.»

Hassan Zahreddine: Zin. Eine Geschichte aus dem Libanon. Baobab 2022. CHF 29.90

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Winterthur «Wahlfamilie – Zusammen weniger allein», Ausstellung, bis So, 16. Okt., Di bis So, 11 bis 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Fotomuseum Winterthur, Grüzenstrasse 44 + 45. fotomuseum.ch

Musikerin und Künstlerin Stella Glitter. Und das Schweizer Kunst­ kollektiv moilesautresart entdeckte in Lichtensteig schon vor längerer Zeit das Vogelnest – woraus die Installation «Speuzli» entstand. Es geht einerseits um Vogelarten, die mit Spucke Kleinstteile zusam­ menkleben und damit futuris­ tische Architekturen kreieren, an­ derseits um Vogelnester, die von Menschenhand geschaffen wer­ den. Eine eigene Patisserie ist aus der Beschäftigung mit dem Phä­ nomen «Vogelnest» auch hervor­ gegangen. DIF

Luzern «Felsenwelt» und «Arktis-Ausstellung», täglich 10 bis 18 Uhr (Sommersaison bis 31. Okt.), Gletschergarten Luzern, ­Denkmalstrasse 4. gletschergarten.ch

Die Wahlfamilie ist ein soziales und kulturelles Konstrukt – das auch fotografisch immer wieder verhandelt wird. Zeitgenössische Fotograf*­ innen lassen neue «Familienbilder» entstehen, die Alternativen zum bürgerlichen Verständnis von Familie ermöglichen. Der Fotograf Mark Morrisroe zeigt beispielsweise Zusammenhalt abseits von Verwandtschaft, porträtierte seine Freund*innen und Liebhaber*innen – die dabei die Idee von Wahlfamilie verkörpern. Andere Künstler*innen setzen sich mit ihrer eigenen (biologischen) Familiengeschichte auseinander. So spielt bei Alba Zari die Aufarbeitung der eigenen Familienhistorie mittels Aufnahmen aus dem Familienarchiv und fotografischen Zeitdokumenten eine Rolle. Anhand von Text- und Bildfragmenten erkundet die Künstlerin, die in eine christlich-fundamentalistische Sekte hineingeboren wurde, die Ge­ schichte ihrer Familie und dabei ihre eigene Identität. Weitere Künst­ ler*innen setzen sich und ihre Familienmitglieder in teils aufwendig arrangierten Umgebungen in Szene – und reflektieren dabei die Rollen der einzelnen Familienmitglieder. Charlie Engman beispielsweise insze­ niert seine «Mom» in Umgebungen, die wenig mit unserer Vorstellung der Alltagsrealität einer Mutter gemein haben. «Wahlfamilie» zeigt unter anderem auch Arbeiten von Aarati Akkapeddi, Richard Billingham, Larry Clark, Seiichi Furuya und Nan Goldin. DIF

Lichtensteig SG «Kultur verussen», Musik, Wort und Kunst unter freiem Himmel, Do, 14. bis Sa, 16. Juli. rathausfuerkultur.ch

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Lichtensteig ist ein pittoreskes Städtchen mit historischem Stadt­ kern, das für ein paar Tage zum Kunstort wird. Der hiesige, umtrie­ bige Verein Rathaus für Kultur hat ein Programm mit Spoken Word, Musik und einer ortsspezifischen Kunstinstallation auf die Beine ge­ stellt. Da macht am Donnerstag die Sängerin und Geigenspielerin Kate Birch zusammen mit Clemens Ku­ ratle an Schlagzeug/Synths ent­ rückten Indie Pop, und am Freitag liest die Autorin Ilia Vasella aus ihrem Debütroman «Windstill», für den sie die literarische Aus­ zeichnung der Stadt Zürich erhal­ ten hat. Begleitet wird sie von der

Im Luzerner Gletschergarten be­ ginnt der Fels von seiner Ge­ schichte zu erzählen: von der Ent­­ stehung des Luzerner Sandsteins am Meeresstrand über seine Auf­ faltung zum Alpengebirge bis hin zu seiner Modellierung durch die Gletscher der Eiszeit. Durch die unterirdische Felsenwelt führt eine Reise durch Raum und Zeit, von Epoche zu Epoche, verschieden in Haptik, Wandprojektionen und Klang. Neu eröffnet ist auch die Arktis-Ausstellung zur internatio­ nalen MOSAiC-Expedition des deutschen Alfred-Wegener-Insti­ tuts. Um die vom Klimawandel bedrohte arktische Natur geht es, und auch um die Menschen, die sich 2019/20 auf der grössten For­ schungsreise aller Zeiten in einer der lebensfeindlichsten Zonen der Erde aufgehalten haben. Was be­

deutet die Polarnacht für die For­ scher*innen, die Natur, die Tech­ nik? Was passiert, wenn stets Nacht oder Tag herrscht? Aus der ganz­ jährigen Expedition resultierten enorme Datenmengen und neue Erkenntnisse zum Klimawandel. Und Gedanken zum Einfluss des Menschen auf die biologischen, geologischen und atmosphäri­ schen Prozesse der Erde. DIF

Zürich und ganze Schweiz / Liechtenstein «Songmapp», klingende Smartphone-Landkarte songmapp.ch

Erfunden hat die Songmapp der Musiker, Komponist und Klein­ künstler Markus Schönholzer (er macht oft Musik für die Bühne, u.a. für die Theatergruppe Mass&Fie­ ber). Nun schickt uns Schönholzer also spazierenhören. So wird ein Ort zur digitalen Bühne: Die App führt via GPS punktgenau an be­ stimmte Orte. Dort ist dann über Kopfhörer der eigens für diesen Ort geschriebene Song oder die Kurzgeschichte zu hören. Nur hier. Einmal gehört, sind die Stücke dann aber auf dem Smartphone gespeichert, und man kann sie be­ liebig wiederhören. Der Aussen­ raum wird zum lebendigen Büh­ nenbild. Schönholzer hat für die Stadt Zürich 12 Songs geschrieben. Auch Kurzgeschichten gibt es zu hören, zum Beispiel der Reigen «11 Leben» von Ralf Schlatter: ein Spa­ ziergang von der Maternité des Triemli-Spitals bis zum Friedhof Sihlfeld. Hörziele gibt es aber in der ganzen Schweiz und in Liech­ tenstein. DIF

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BILD(1): DIANA MARKOSIAN UND GALERIE LES FILLES DU CALVAIRE, BILD(2): HANES STURZENEGGER, BILD(3): GLETSCHERGARTEN LUZERN, BILD(4): ADRIAN ELSENER

Veranstaltungen


«Bülach STADT» steht auf langen grünen Fahnen, falls jemand die Orientierung verloren hat und sich in einem Dorf oder einer anderen Stadt wähnt. Nur wer mit dem Auto kommt, sieht das Anschlagbrett für die Veranstaltungen und Vereine. Ein Papperlapapp-PapaSamstag findet statt. Freund*innen der Live-Musik können zwischen einem Fado-, einem Americana- und einem Klassikabend auswählen. Eine Woche später ist im Nachbardorf Flohmarkt. An den Tischen des Grossverteiler­ restaurants werden die Menüs eines nahegelegenen Imbissstandes verzehrt und per Selfie festgehalten. Die Vorbeigehenden wünschen guten Appetit, man kennt sich.

Tour de Suisse

Pörtner in Bülach Surprise-Standorte: Einkaufszentrum Sonnenhof Einwohner*innen: 22617 Sozialhilfequote in Prozent: 2,0 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 29,0 Auszeichnung: Bülach gilt wegen der zahlreichen Läden für nach­ haltigen und sozialverträglichen Konsum als «Fair Trade Town».

Der Bahnhof Bülach hat etwas Verworrenes. Er liegt zwischen den Geleisen, ­Strassen führen verkehrsgartenartig um Kurven und ziehen Kreise. Gefahren wird grundsätzlich schnell, die Velostation trägt den Namen «Reissverschluss», ­dahinter liegen verwunschene Gärten und eine Scheune, auf deren Wand Titel alter Comicmagazine gemalt sind. Ein verwittertes Bänklein zwischen Unter­ führungseinfahrt und Bahnhofsring bietet Aussicht auf einen Lindenbaum, eine Kirchturmspitze und einen Wohnblock. Ein durchaus reizvolles Arrangement. Der Weg zum Einkaufszentrum Sonnenhof führt vorbei an einem Restaurant ­namens Yin-Yang. Etwas gar gross und mächtig wirkt das Gebäude der Bank, ­deren Ruf gelitten hat in den letzten Monaten, ach was, Jahren. Sie bildet mit Surprise 528/22

­ etallbänken die Begrenzung eines M ­Einkaufszentrumsvorplatzes, der irgendwie fehlgeplant wirkt. Einzig ein kleines Kind mit einem Stoffelefanten unter dem Arm findet Gefallen daran und überquert ihn immer wieder auf nur ihm bekannten Wegen. «286 m2 Ladenfläche warten auf Ihre Idee», steht an der Fassade. Ideen gibt es wahrscheinlich genug, nur scheitern sie an der Wirtschaftlichkeit. Die Surprise-Verkäuferin sitzt am Eingang, warm eingepackt, am Morgen war es noch kühl. Die Einkaufswägelchen stehen unter einem gläsernen ­Giebeldach, am Velounterstand wurde ein Hakensystem montiert, das kon­ sequent ungenutzt bleibt. Ganz im Gegensatz zu den gegenüberliegenden Tischchen der Konditorei. Die Kirchenglocken läuten mitten am Nachmittag, eine ­Beerdigung wahrscheinlich.

Einer dieser neuen, mit kleinen breiten Reifen versehenen Elektroroller fährt über den Platz. Der junge Mann darauf ist sich sicher, dass es sich dabei um ein cooles Fahrzeug handelt. Das Werturteil der Gesellschaft steht indessen noch aus. Gut möglich, dass diese Fahrzeuge bald der Kategorie «affig» zugeteilt ­werden und in Vergessenheit geraten oder aber in jene der Dinge vorstossen, von denen wir uns fragen, wie wir ohne sie zurechtkamen. Letztes ist definitiv der Fall bei Rollkoffern, die von ebenfalls jungen Männern über das Pflaster ­gezogen werden und beträchtlichen Lärm verursachen. Allerdings haben sich diese aufgrund ihrer Funktionalität, nicht ihrer Ästhetik verbreitet. Vor dem Sonnenhof fahren die Postautos ins Umland. Das Geschäft zumachen musste Kleider Keller, während Brunner’s Bodywear weiter oben an der Bahnhofstrasse noch die Stellung hält.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist. 25


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Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit.

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Stadt Illnau-Effretikon

02

Gemeinnütziger Frauenverein Nidau

03

hervorragend.ch | Grusskartenshop

04

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05

Gemeinnützige Frauen Aarau

06

Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-Rüti

07

Sterepi, Trubschachen

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TopPharm Apotheke Paradeplatz

09

Ref. Kirche, Ittigen

10

Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

11

Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Zürich

12

Madlen Blösch, Geld & so, Basel

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Fontarocca Natursteine, Liestal

14

Maya-Recordings, Oberstammheim

15

tanjayoga.ch – Yoga in Lenzburg & Online

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Brother (Schweiz) AG, Dättwil

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Breite-Apotheke, Basel

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Michael Lüthi Gartengestaltung, Rubigen

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Cornelia Metz, Sozialarbeiterin, Chur

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AnyWeb AG, Zürich

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Farner’s Agrarhandel, Oberstammheim

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BODYALARM - time for a massage

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Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo

Einige unserer Verkäufer*innen leben fast ausschliesslich vom Heftverkauf und verzichten auf Sozialhilfe. Surprise bestärkt sie in ihrer Unabhängigkeit. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkäufer*innen zusätzliche Unterstützung. Sie erhalten ein Abonnement für den Nahverkehr, Ferienzuschlag und eine Grundausstattung an Verkaufskleidung. Zudem können bei finanziellen Notlagen aber auch für Gesundheits- oder Weiterbildungskosten weitere Unterstützungsbeiträge ausgerichtet werden. Die Programmteilnehmer*innen werden von den Sozialarbeiter*innen bei Surprise eng begleitet.

Eine von vielen Geschichten Ricardo Da Costa verliess 2003 GuineaBissau, wo seine Familie immer noch lebt. Der Mechaniker arbeitete zuerst als Bauarbeiter in Portugal und Italien. 2013 kam er in die Schweiz. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurden ihm alle Wertsachen gestohlen und er stand er ohne Papiere da. Auf der Gasse lernte er einen Strassenmagazin-Verkäufer kennen und verkauft seither auch. «Ich bin froh, bei Surprise zu sein», erzählt Ricardo. «Manchmal komme ich traurig ins Büro und gehe mit einem Lächeln auf dem Gesicht wieder raus.» SurPlus ist für ihn eine grosse Unterstützung: Das ÖV-Abo ermöglicht Mobilität beim Heftverkauf und bei Schwierigkeiten stehen ihm die Mitarbeitenden mit Rat und Tat bei.

Weitere SurPlus-Geschichten lesen sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 21 Verkäufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

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ILLUSTRATION: CORNELIA SCHWAGER

Wir alle sind Surprise

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Wir alle sind Surprise #519: Lebendig begraben

Cornelia Schwager aus Flaach fühlte sich vom Text der anonym ver­öffentlichten Verkäufer*innen-Kolumne in Ausgabe 519 derart berührt, dass sie ihre Erfahrung im Rahmen ihres Illustrations­studiums in den auf den Seiten 27 und 28 abgedruckten Comic­streifen übersetzte. DIE REDAK TION

#524: Editorial

«Immer ähnliche Schicksale»

«Wütend, ratlos, verzweifelt»

Was mache ich mit Surprise? Bei mir liegt die Zeitschrift meistens auch ein paar Tage herum, bis ich mich aufraffe, einen Blick reinzuwerfen, sie zu durchzublättern und zwei bis drei Berichte zu lesen. Sobald ein Blatt eine Serie hat (Tour de Suisse), ist man sogar eher bereit, das Blatt durchzublättern. Bei den anderen Berichten ist es so, dass man irgendwie uninteressiert geworden ist, wenn man jahrzehntelang immer von ähnlichen Schicksalen liest. Ich freue mich einfach, meiner Surprise-Verkäuferin ein wenig unter die Arme greifen zu können mit dem Kauf und einem kleinen persönlichen Aufpreis.

Sie fragen mich als Leser, was Surprise mit mir macht. Darauf antworte ich Ihnen gerne, denn ich bin einer von denen, die alles von vorne bis hinten lesen. Surprise macht mich wütend, ratlos, verzweifelt. Ich habe das Heft jahrelang abonniert, obwohl ich jetzt in Deutschland wohne (die Schweiz ist für einen Rentner zu teuer!). Jetzt habe ich das Abo gekündigt, weil ich nichts mehr über das Elend der Welt lesen möchte, ohne dass gleichzeitig auch revolutionäre Lösungsansätze skizziert werden.

TONY, Rentner, 55 Jahre Gewerkschafter

Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 43 321 28 78 M+41 79 797 94 10 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Sara Winter Sayilir (win) Diana Frei (dif), Klaus Petrus (kp) Reporter*innen: Andres Eberhard (eba), Lea Stuber (lea) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

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Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Alice Delanghe, Kathrin Heierli, Clara Hellner, Dres Hubacher, Anina Ritscher, Hans Rhyner, Daniel Sutter, Stefan Vecsey Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck AVD Goldach Papier Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach Auflage 29 100 Abonnemente CHF 189, 25 Ex./Jahr Helfen macht Freude, spenden Sie jetzt. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

Also ich packe es meistens erstmal weg, nachdem ich Surprise gekauft habe. Meistens in meinen Reisebeutel. Wenn ich es dann wiederentdecke, ist das eigentlich immer eine freudige Überraschung! Die Themen sind ja häufig recht zeitlos, und der Journalismus frei und unvoreingenommen. Ich habe noch nie eine Ausgabe ungelesen weggeworfen und (vielleicht fehlt mir da das Vorstellungsvermögen) kann gar nicht glauben, dass jemand das Heft ungelesen wegwirft. Da würde ich dem Verkäufer das Geld ja noch eher schenken. VALENTIN, ohne Ort

P. JUD, Stühlingen

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel

«Recht zeitlos»

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäufer*innen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

Rechnungsadresse: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort Telefon E-Mail Datum, Unterschrift 528/22

Bitte heraustrennen und schicken an: Surprise, Münzgasse 16, CH-4051 Basel, info@surprise.ngo

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ILLUSTRATION: STEFAN VECSEY

Nachruf

Eva Rita Herr «Schlagfertig war sie», sagt Surprise-Verkäufer Urs Saurer, der im Surprise-Büro in Basel sitzt und versucht, Eva Herr zu beschreiben. Sie als Mensch zu ­fassen. Sie war oft hier, um neue Hefte zu holen, hat schier immer verkauft an ihrem Standort vor der ­Buchhandlung Bider & Tanner in der Basler Aeschenvorstadt – und doch, so scheint es, weiss kaum jemand etwas Verlässliches über sie, über ihr Leben. Das Paradox: Gerade dass wir kaum etwas Genaueres über sie wissen, sagt viel über sie aus. Es hat mit ihr als Mensch zu tun, der sie war, und vielleicht auch mit ­ihren Überzeugungen. «Geht dich nichts an», war meist die Antwort, wenn man ihr eine nur an­nähernd per­ sönliche Frage stellte. Und irgendwie nahm man ihr die brüske Antwort nicht übel. Sie zog ihre Grenzen, vielleicht wehrte sie sich dagegen, dass sich andere ein Bild von ihr machen wollten, vielleicht konnte sie auch ­einfach dem Small Talk nichts abgewinnen, jedenfalls schien die Abwehr immer eine klare Haltung zu sein. «Geht dich nichts an» war ein Statement, nicht etwa einfach eine Antwort oder eine Laune. Schnell fand man sich mit ihr stattdessen in grösseren weltanschaulichen Diskussionen wieder, in denen sie immer Recht behielt. Ob sie einen eindringlich vor Handystrahlungen warnte oder auch einiges anderes in der Welt leidenschaftlich kritisierte – etwas Schalkhaftes behielt sie sogar, wenn sie schimpfte. Gross­ gewachsen und hager, fiel sie auf. Eva war eine Verkörperung des Nonkonformismus. Das schien auch vielen Passant*innen rund um den ­geschäftigen Basler Bankenplatz Eindruck zu machen. Sie hatte viel Stammkundschaft und auch eine charmante Seite, sie war so manchen ans Herz gewachsen. Mit ihr konnte man über den Inhalt des Hefts disku­ tieren, das sie verkaufte. Sie las jede Surprise-Ausgabe von A bis Z. Dass sie nie Sozialhilfe bezog und ihre Einkünfte selbständig erwarb, war ihr wichtig. Nicht zuletzt daher rührte ihr Ehrgeiz beim Verkauf. Was es war, das sie dazu führte, Surprise zu verkaufen – auch das haben wir nie erfahren. In den internen Akten ist die Berufsbezeichnung «Fossilienjägerin» vermerkt, immer ­wieder mal war von einem Studium oder der ETH die Rede, wo sie ihre Ausbildung genossen haben soll. Richtig gerne unterhielt sie sich über Katzen. Während einer Zeit im Jura hatte sie offenbar deren zehn, und immer wieder nahm sie welche von der Strasse auf, kümmerte sich um sie und schaute, dass sie wieder zu Kräften kamen. 30

Eva Rita Herr (19. August 1959 bis 13. Mai 2022) kannten in Basel viele. An ihrem Standplatz vor der Buchhandlung Bider & Tanner am Bankenplatz gehörte sie zur Stadt. Fotografieren lassen wollte sie sich nie.

Ab und zu hat sie zudem eine Tochter erwähnt, aber auch nach den zwölf Jahren Surprise-Verkauf in Basel (und zwei Jahren in Zürich) blieb unklar, ob es doch zwei Töchter waren und vielleicht auch ein Sohn. Eva hatte ein Umfeld und eine Vergangenheit, die wir nie kennenlernten. Die allfälligen Kinder hatten jedenfalls eine Mutter, die ganz sicher eins war: cool. Genau so lautete denn auch einmal eine lapidare Selbstbeschreibung von Eva. Viel Gesichertes wissen wir nicht über sie. Aber dass auf dem Basler Vertriebsbüro der dienstälteste Verkäufer mit der Sozialarbeiterin zusammensitzt und sich einfallen zu lassen versucht, wo man noch etwas über sie herausfinden könnte, erzählt noch etwas anderes: Eva Herr war ein Mensch, der einen beeindruckte und interessierte. Dennoch lassen wir es so stehen, denn eins haben wir von ihr gelernt: Vielleicht geht es uns auch gar nichts an. Eva Herr wurde vor einigen Wochen bewusstlos aufgefunden und auf die Notfallstation gebracht, Mitte Mai haben wir tief betroffen ihren Namen in den ­Bestattungsanzeigen gelesen.

Text von DIANA FREI Surprise 528/22


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