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Strassenmagazin Nr. 527 17. bis 30. Juni 2022

CHF 6.–

davon gehen CHF 3.– an die Verkäufer*innen

Bitte kaufen Sie nur bei Verkäufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Fossile Brennstoffe

Der schmutzigste Ort der Schweiz Man wäre gerne grün. Aber eine Raffinerie bleibt eine Raffinerie. Auch in Cressier. Seite 8


SOZIALE STADTRUNDGÄNGE

R U O T NEUE EL S A B N I

ERLEBEN SIE BASEL, BERN UND ZÜRICH AUS EINER NEUEN PERSPEKTIVE. Menschen, die Armut, Ausgrenzung und Obdachlosigkeit aus eigener Erfahrung kennen, zeigen ihre Stadt aus ihrer Perspektive und erzählen aus ihrem Leben. Authentisch, direkt und nah. Buchen Sie noch heute einen Sozialen Stadtrundgang in Basel, Bern oder Zürich. Infos und Terminreservation: www.surprise.ngo/stadtrundgang


TITELBILD: KLAUS PETRUS

Editorial

Schmutzige Hände Als Reporter Christoph Keller und ich uns nach Cressier im Kanton Neuenburg aufmachen, sind wir sicher: Heute wird es schmutzig. Am Dorfrand steht die einzige Erdölraffinerie der Schweiz. Was sie pro Jahr an Schadstoffen produziert, entspricht den Gesamtemissionen von Costa Rica. Ziemlich viel also. Das weiss auch der Pressesprecher der Raffinerie, der uns freundlich empfängt, in Schutzanzüge kleidet und herumführt. Aber nicht ins Innere der Raffinerie, wo es kocht, dampft, pumpt und zum Himmel stinkt, sondern an die Ränder der Anlage – 100 Fussball­felder ist sie gross –, wo Vögel zwitschern und Frösche quaken, wo Abwasser geklärt und Erde gereinigt wird, wo die Welt wieder in Ordnung ist, sozusagen. Werden wir hier Zeugen eines ausgeklügelten «greenwashing»? Unweigerlich fragen wir uns, ob sich auch die Raffinerie von Cressier, wie so viele andere Konzerne, ein umweltfreundliches grünes Mäntelchen umhängen will. Lesen Sie unsere Reportage, ab Seite 8.

4 Aufgelesen 5 Was bedeutet eigentlich …?

Soziale Bewegungen 5 Vor Gericht

Gewalt im Namen des Bundes 6 Verkäufer*innenkolumne

Yin-Yang 7 Moumouni …

... Worst-CaseSzenario

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8 Fossile Brennstoffe

In der Schweizer Raffinerie 16 Corona

Lebenslang müde

An Klimakonferenzen wird gesagt, wir müssten die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 Prozent reduzieren. Was den Ausstieg aus der Erdölgewinnung bedeuten würde. Doch die meisten Expert*innen gehen davon aus, dass die Zukunft bis auf Weiteres fossil bleiben wird. Denn das «schwarze Gold» ist überall: im Benzin und Diesel ohnehin, aber auch im Asphalt. Und in ­Make-up, Shampoos, Putzartikeln und Kerzen. In Plastiktüten, Folien, Matratzen, Fensterrahmen und Gartenschläuchen. Und, grauselig genug, im Kaugummi. Einmal mehr, denke ich später auf der Rückfahrt, hängt alles an uns, an unserem Lebensstil und Konsumverhalten. Gut, vielleicht nicht alles. Gewiss sind auch hier globale Mechanismen am Werk, auf die wir nur wenig Einfluss haben. Aber ein bisschen schon. Und obgleich an diesem Tag kein Tropfen Erdöl an unseren Schutz­anzügen kleben bleibt, kommt es uns doch vor, als hätten wir Schmutz an unseren Händen.

KL AUS PETRUS

Redaktor

21 Warum die IV so streng ist

27 Tour de Suisse

23 Es kann auch gut laufen

28 SurPlus Positive Firmen

24 Kino

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren

Ein russischer Fiebertraum 25 Buch

Der digitale Blick 26 Veranstaltungen

Pörtner in Schaffhausen

30 Internationales Verkäufer*innen-Porträt

«Einen Tag nach dem anderen»

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Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Während Russland weiterhin die Ukraine bekriegt, tausende Menschen getötet werden und viele Millionen flüchten müssen, versucht eine Gruppe ukrainischer Künstler*innen in Victoria, British Columbia, ihr Land durch Musik und Tanz zu unterstützen. Die Veselka Dancers (das ukrainische Wort «veselka» bedeutet «Regenbogen») wollen nicht nur auf den

aktuellen Krieg aufmerksam machen, sondern auch auf die Rolle, die der ukrainische Tanz in früheren Kämpfen gespielt hat, wie ein Mitglied der Gruppe sagt: «Während der Sowjetzeit, in Vertriebenenlagern und in der Diaspora tanzten die Ukrainer*innen als eine Form der Unterstützung für ihre Verwandten und Lieben in der Heimat.» MEGAPHON, GRAZ

Zwei Drittel

Drei Viertel

Vier Fünftel

5,28 Milliarden Menschen haben weltweit Zugang zum Internet, das sind ungefähr 66 Prozent der Welt­ bevölkerung. In Nordamerika hatten 2020 rund 12 Prozent der Bevölke­ rung kein Internet. Dagegen waren zur selben Zeit in der Demokratischen Republik Kongo 81 Prozent der Bevölkerung offline. Das Land zählt zu den ärmsten der Welt.

132 von 180 Nationen verzeichnen eine klar belegbare Einschränkung der Pres­ sefreiheit, das sind drei Viertel aller Länder, wie die Organisation «Reporter ohne Grenzen« in ihrem neuen Bericht schreibt. Zum sechsten Mal in Folge liegt Norwegen bezüglich Pressefreiheit auf Platz 1. Im hintersten Teil der Tabelle be­ finden sich u.a. China, Iran, Eritrea und Nordkorea.

80 Prozent aller Deutschen können sich offenbar vorstellen, deutlich weniger Auto zu fahren, 40 Prozent glauben sogar, darauf verzichten zu können. Entsprechend hat der Verkehrsexperte der deutschen Regierung nun eine «Abschaffprämie» vor­geschlagen: 2000 Euro für jede Person, die ihr Auto abschafft bzw. ihren Wagen entweder verkauft oder die zumindest ein Jahr autofrei lebt.

ASPHALT, HANNOVER

BODO, DORTMUND

HINZ & KUNZT, HAMBURG

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Was bedeutet eigentlich …?

Soziale Bewegungen Protestaktionen wie Demonstratio­ nen, Besetzungen oder Blockaden streben gesellschaftlichen Wandel an. Dauern sie über einen längeren Zeitraum an, wird von einer Sozialen Bewegung gesprochen. Deren Ziel ist es, mit Aktionen «von unten» die Entscheidungsträger sowie die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Arbeiterbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts für den Aufbau des Sozialstaates sorgte. Die Menschen organisierten sich in Gewerkschaf­ ten. Dass diese zum Erreichen ihrer Ziele staatliche Regeln fordern und selbst Initiativen und Referenden einreichen, ist ein neues Phänomen. Weitere Beispiele für Soziale Bewe­ gungen sind die Frauen- sowie die Klimabewegung. Auch die Globali­ sierungskritik seit Ende der 1990erJahre kann als solche verstanden werden, wobei sie von links (Occu­ py-Proteste) wie auch von rechts (Kampagne gegen Personenfreizü­ gigkeit) unterstützt wird. Das Schweizer Politsystem ist wegen Föderalismus und direkter Demo­ kratie offen für Soziale Bewegungen. Volksinitiativen lassen auch radikale Politikvorschläge zu. Allerdings haben es deren Vertreter*innen vergleichsweise schwer, da die politische Kultur einen gemässigten Auftritt verlangt. Dass Soziale Medien die Bewegun­ gen positiv beleben, stimmt nur begrenzt. Zwar ermöglichen sie eine effizientere Kommunikation. Jedoch können sich Filterblasen bilden, in denen man sich nicht mehr mit unterschiedlichen Meinungen ausei­ nandersetzt. EBA Michelle Beyeler: Soziale Bewegungen. In: Wörterbuch der Sozialpolitik. Zürich und Genf, 2020; Bundesamt für Statistik. Surprise 527/22

Vor Gericht

Gewalt im Namen des Bundes Die mutmassliche Tat ist gravierend: Der Beschuldigte soll einen am Boden liegen­ den Mann gegen den Kopf getreten haben. Mit dem Tritt, so die Staatsanwaltschaft, habe er in Kauf genommen, dass der Ge­ schädigte schwere, gar lebensbedrohliche Verletzungen hätte erleiden können. Es blieb zum Glück bei einem Bruch des Un­ terkiefers, was die Behörde als versuchte schwere Körperverletzung einstuft – es dann aber in der Anklage bei einer einzigen A4-Seite belässt, wovon die Hälfte vom Ver­ halten des Opfers handelt: Der 34-jährige Asylbewerber habe in seiner damaligen Un­ terbringung Steine gegen die Scheiben ge­ worfen. Der Beschuldigte war einer der Si­ cherheitsmänner, die eingriffen. Vor Gericht sagt er: «Ich musste Gewalt einsetzen.» Um weiteren Schaden zu verhindern, habe er den Mann zu Boden gebracht und fixiert. Den Tritt gegen den Kopf bestreitet er. Überhaupt sei der Geschädigte bei der In­ tervention nicht geschlagen worden. Der heute 31-jährige Beschuldigte war als Angestellter eines privaten Sicherheits­ diensts in dem Bundesasylzentrum tätig – weshalb er als Beamter des Staatssekreta­ riats für Migration gilt. Die Sache ist also delikat, wie immer, wenn es um das staat­ liche Gewaltmonopol geht, gerade wenn es an Private delegiert wird. Trotzdem scheint dem Staat eine saubere Aufklärung des Falls nicht allzu wichtig zu sein. Beinahe wäre der Prozess geplatzt. Fast schon wi­ derwillig trägt der zuständige Staatsanwalt die Anklage vor, man könnte glauben, er plädiere für einen Freispruch. Vier Zeug*in­ nen hätten ausgesagt, keinen Fusstritt ge­ sehen zu haben. Wie es zur Gesichtsverlet­ zung gekommen sei, könne medizinisch nicht festgestellt werden.

Dem hält der Opfer-Anwalt entgegen: Drei der Zeug*innen seien ebenfalls Sicherheits­ beamt*innen, zwei tatbeteiligt. Zudem wür­ den sich ihre Aussagen widersprechen. Sein Mandant sei direkt nach dem Vorfall ver­ haftet worden. Andere Zentrumsmitarbei­ tende hätten ihn mit blutüberströmtem Gesicht im Streifenwagen sitzen sehen. Po­ lizeifotos zeigten die geschwollene linke Gesichtshälfte. Einen Arzt habe man ihm am nächsten Morgen verweigert. Der Kie­ ferbruch wurde nach der Haftentlassung im Spital festgestellt – und sofort operiert. Der Anwalt hat Fragen: Drei ausgebil­ dete Sicherheitsleute gegen einen Randa­ lierer? Faustschläge im Bauchbereich gegen einen am Boden liegenden Menschen? Auf die Füsse seien die Beamten gesessen, auf seinen Oberkörper, er habe kaum noch at­ men können. Warum? Notwehr, wie die Si­ cherheitsleute sagen? Wohl kaum, so der Anwalt. Für ihn ist klar: Hier wurde eine Grenze überschritten und das Geschehen danach vertuscht. Davon will der Strafverteidiger nichts wissen. Solche Bemerkungen und Verdäch­ tigungen seien deplatziert. Vielmehr habe der Asylbewerber den Tathergang drama­ tisiert, sich selbst als wehrloses Opfer dar­ gestellt. Der Zweck seiner Lügen? Damit er in seinem eigenen Fall besser dastehe. Er wurde nach dem Vorfall wegen Sachbe­ schädigung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte angeklagt – und schuldig gesprochen. Anders der Beschul­ digte im vorliegenden Fall: Bei ihm erging ein glatter Freispruch. Rechtskräftig sind beide Urteile noch nicht. Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


Yin-Yang

Viel zu oft gibt es Tage, an denen ich nicht an dieses Zeichen und seine Bedeutung denke. Dabei ist Yin-Yang doch meine Religion. Es beinhaltet all das, was mir hilft, die alltäglichen Ereignisse richtig einzuordnen. Wie jeden Morgen mache ich gleich nach dem Aufstehen meine zehn Minuten Chakra-Medi­ tation. Die Zeit gleich nach dem Aufstehen ist für mich wichtig, denn dann geht es am besten. Mein Bewusstsein ruht noch in meinem Körper und mein Geist springt noch nicht in der ganzen Weltgeschichte umher. Danach mache ich ein wenig Yoga. Diese halbe Stunde tut mir gut, denn so komme ich konzentrierter durch den Tag, oft auch ohne Rückenschmerzen. Aber eben auch hier: keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt immer wieder Tage, an denen ich beides ausfallen lasse. Und nun komme ich endlich zu meinem geliebten Yin-Yang-Zeichen. Einfach mal jeden Morgen mit diesem Kreis beginnen, der so

aussagekräftig ist, in dem alles im Gleichgewicht und doch voller Dynamik und Kraft ist. Dazu noch die kleinen Punkte, schwarz und weiss, ohne die ich keine Ruhe finden kann in meinem täglichen Dasein. Trotz aller grossen Religionen glaube ich am meisten an dieses kleine Yin-Yang-Zeichen und nehme mir einmal mehr fest vor, dieses Zeichen zu skizzieren. Ohne zu denken, nur um wahrzunehmen und mir den Tag zu erleichtern.

K ARIN PACOZZI, 55, verkauft Surprise in Zug. Yin-Yang hilft ihr, den «Monkey Mind» (zu Deutsch ungefähr «Affengeist») zu beruhigen. Der Begriff kommt aus der Meditationspraxis und meint eine geistige Unruhe, das Gefühl, als würde ständig ein wilder Affe im Kopf herumhüpfen.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die ­­Illustra­tion zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der ­Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

ILLUSTRATION: KATHRIN HEIERLI

Verkäufer*innenkolumne


ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

Eine Aneinanderreihung von Worten aus dem Stichwort-Repertoire, die vielleicht beide Seiten ansprechen: Geld und Diplome // Helfersyndrome //Kongo! Kongo! Koltan! // Bongo! Bongo! Alarm! Bei «Bongo» hatte sie kurz gestockt. Sie weiss nicht, ob das die Antirassist*innen überzeugt. Und die Dadaist*innen sind überhaupt nicht erfreut darüber, sogenannten «conscious rap» zu vernehmen. Die Poetin ist hin- und hergerissen und reimt: Dattel Dattel Dak Dak! // Dackel, Dackel Watsch Watsch!, für die Dadaist*innen und: Es ist echt jetzt Zeit // für Gerechtigkeit!, für die Antirassist*innen. Letztere sind verwirrt. Sie hätten gern mehr über den schrecklichen Koltanabbau im Kongo gehört. Andere scrollen schon auf dem Handy herum. Ein älterer Mann steht auf und grummelt: «Ich wusste es. Dada ist tot!»

Moumouni …

… Worst-Case-Szenario Die Poetin steht hinter dem Bühnenvorhang und linst nach draussen ins Publikum. Viele erwartungsvolle Menschen. Unangenehm, bei einem solch grossen Anlass nicht genau zu wissen, warum man eingeladen wurde. Sie hatte es einfach vergessen. Normalerweise lässt sich das relativ schnell an Setting und Publikum erkennen. Aber heute: schwierig. Ist es eine Rassismusveranstaltung? Die Poetin entdeckt einen «Refugees Welcome»-Aufkleber auf einer Tasche mit Fransen. Das könnte ein Hinweis sein. «Frau Mamudi, in zwei Minuten auf die Bühne», krächzt es aus den Laut­ sprechern im Backstage. Komisch, die Veranstalterin hatte ihren Namen falsch ausgesprochen. Ungewöhnlich für eine Rassismusveranstaltung. Dann wird es wohl doch ein Dada-Auftritt sein? Die Poetin war in den letzten Jahren ein Star des Schweizer Dada geworden. Als erste Schwarze Frau. Aber das ist egal, Surprise 527/22

denn Dadaist*innen sehen keine Farben und lieben gleichzeitig Afrika. Und das sollte auch so bleiben. Auf keinen Fall wollte sie auch im Dada die RassismusTante werden. Und auf keinen Fall wollte sie die Antirassist*innen mit Dada vergraulen: Jetzt keinen Fehler machen! Sie tritt auf die Bühne. «Ähm», beginnt sie. Im Publikum flüstert wer aufgeregt: «So heisst ihr Buch!» Stimmt. Ihr letzter Dada-Band hiess «Ähm 2000». Also Dada-Publikum? Sie ist noch unschlüssig und beginnt ins Mikrofon zu husten, um Zeit zu gewinnen. Jemand eilt auf sie zu und klopft ihr auf die Schultern. «Geht’s, Sister?» Ein paar Leute im Publikum husten euphorisch mit. Widersprüchliche Signale. Ein Alptraum: Offenbar sind Vertreter*innen beider Gruppen im Publikum! Die Poetin beschliesst: zweiter Anlauf.

Die Poetin fällt theatralisch auf die Knie, die vor Unglück anfangen zu schmerzen. Mit letzter Kraft bäumt sie sich auf und kräht: «Was wollt ihr denn, verdammt?» Das ist für alle zu viel. Wie in einem Wasserkocher fängt das Publikum an zu brodeln und schwappt fast über. Die Antirassist*innen schreien hassig: «One Love! One Love!» Die Dada­ ist*innen rufen: «Urallala! Urallala!» Die Veranstalterin wedelt mit einem vor Monaten unterschriebenen Vertrag und ruft wütend: «Eine ganz normale Le­sung!» Die Poetin hat die Kontrolle verloren. Dabei ist es ihre Lesung! Unverschämtheit! Mit neu entfachter Passion rennt sie ins Backstage, holt sich ihre After-Show-Pfeife, stürmt damit zurück auf die Bühne und schreit: «Feuer!», bis ihr jemand ein Streichholz zuwirft, das sie an ihren rauen Händen entfacht. Die Poetin setzt das Mikrofon in Brand und holt sich ein Buch, das sie wegen all der Auftritte nie hatte lesen können. Sie setzt sich neben die Bühne und schreit: «Heute lese ich! Was ich! Will!»

FATIMA MOUMOUNI

hat manchmal Alpträume. Dann überlegt sie, wie es wäre, wenn ihr Publikum diverser wäre. 7


Zuviel fürs Klima Fossile Brennstoffe Nirgendwo in der Schweiz

werden so viele Treibhausgase in die Luft gepustet wie in der Raffinerie in Cressier. Jetzt soll der Ort grün werden. TEXT CHRISTOPH KELLER FOTOS KLAUS PETRUS

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Kurz vor Mittag an diesem Donnerstag. Liegt das Dorf Cressier etwas verschlafen in der Maisonne, ein paar Rentner sitzen unter Sonnenschirmen vor der Pizzeria, die hier «Torino» heisst. Schilder weisen zu Weinkellern, und hinter dem markanten Schloss, an den sanft aufsteigenden Hügeln nichts als grün spriessende Rebberge, dann der Wald. Auch das Foto auf der Informationstafel am Ende der Rue Sans-Soleil zeigt nur das kompakte Dorfbild, den Bielersee im Hintergrund, auf dem Dorfplan existiert sie nicht: Die Raffinerie. Die sich auf der Ebene ausbreitet mit glitzernden, aufragenden Destillationstürmen, riesigen Tankanlagen, einem Hochkamin. Die zu hören ist von weit her, je nach Wind­ richtung lauter, und auch zu riechen. Eine Anlage so gross wie hundert Fussballfelder, im Verladebahnhof zwei Dutzend Geleise nebeneinander, vollgestellt mit Tankwagen, dazu eine Abfüllstation mit Autobahnzufahrt, und über allem die rauchende, zischende Fackel, das «Flaring». Wer sie betritt, die Raffinerie de Cressier, gerät in eine andere Welt. Muss sich einen Film über die Sicherheit anschauen, produziert von der Betreiberfirma VARO. Lernt, dass einer der obersten Werte hier die «Selbstbeherrschung» ist, auch und vor allem in brenzligen Situationen. Erfährt, wozu Augenspülstationen da sind und was beim Austritt von Schwefeldioxid zu tun ist. Muss dann einen Test bestehen, ob auch etwas hängen geblieben ist vom Film, bevor die Schutzkleidung an der Reihe ist: Stahlkappenschuhe, Übergewand, Helm, Schutzbrille, Gasdetektor, Badge, das Handy bitte dringend ausgeschaltet lassen. Funkengefahr. Auf einem Bildschirm die momentane Leistung der Solaranlage auf dem Dach, 23 000 Watt.

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Die Luft leicht ölig. In einem Gebäude, das den Charme der frühen 1960erJahre bewahrt, führt Senior Communication Advisor Daniel Märki ein ins Funktionieren dieser Raffinerie. Steht vorne, randlose Brille, eine Hand in die Hüfte gestemmt, die andere an einem Zeigestock, zeigt Schaubild um Schaubild, erläutert den dreistufigen Raffinerieprozess: wie man die, wie er sagt, «Suppe von Molekülen im Rohöl» über komplizierte Destillationsprozesse auftrennt in Schweröl zum Heizen, in Diesel und Benzin zum Fahren, und dass am Ende noch Gas übrigbleibt. Er spricht von «Biotreibstoffen», meint aber einfach Diesel und Benzin, denen ein Anteil von pflanzlichen Treibstoffen beigegeben wird, zwischen fünf und sieben Prozent. Daniel Märki erzählt auch vom Ursprung des Rohöls, aus Nigeria, aus den USA, das auf Tankschiffen geschippert und auf seiner letzten Reise über eine Pipeline angeliefert wird, von Fossur-Mer bei Marseille quer durch Frankreich, mit einer Abzweigung bei Langres und dann durch den Jura. Es fliesst Tag und Nacht, rund um die Uhr, 280 Arbeiter*innen verarbeiten das Rohöl, die Schichten dauern zwölf Stunden. Die Raffinerie liefere so, betont Daniel Märki, mehr als einen Viertel des Gesamtbedarfs der Schweiz an Treibstoffen, an Heizöl, und ein kleiner Anteil an Gas komme dazu. Nirgendwo ein Bildschirm, auch kein Schaubild, das erklärt, wie viel CO2 entsteht, wenn mit den «Endprodukten» der Raffinerie gefahren wird oder geheizt, die sogenannten Scope-3-Emissionen. Die Rechnung ist schnell gemacht, man kommt auf rund 8,3 Millionen Tonnen CO2, etwas mehr als einen Viertel aller Emissionen der Schweiz, die beim Heizen und im Verkehr entstehen. Dazu kommen die Emissionen der Raffinerie selbst, das macht nochmals zwischen 350 000 und 400 000 Tonnen CO2, wie Reinout Houttuin, Direktor der Raffinerie, gegenüber dem Schweizer Radio einräumte. Alles zusammengerechnet so viel, wie ganz Costa Rica in einem Jahr emittiert. Viel zu viel fürs Klima. Das weiss auch Daniel Märki, und darum bemüht er sich zu erklären, dass die Raffinerie de Cressier ihren Ausstoss an Treibhausgasen in nur zehn Jahren um 6,8 Prozent gesenkt habe, dass die Anlage zu den sichersten und saubersten in Europa gehöre, bei den Rankings in Sachen Nachhaltigkeit immer ganz oben stehe. Das schulde man auch diesem speziellen Standort hier, mitten zwischen zwei Seen, am Ufer der Thielle, in einer Landschaft, wo früher Pferde grasten, wo in Moorsümpfen Lurche und Frösche quakten und Libellen surrten.

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Davon ist auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen, auf dem Rundgang. Auf dem Rundgang, Daniel Märki voraus, sirren und fauchen die drei Destillationstürme, die unzähligen Vorheizkammern, die Dampfregler, die Überdruckventile, und je näher wir dem Kern der Anlage kommen, desto schlechter die Luft. Leicht schweflig, leicht bitter, mit einem Nachgeruch von Bitumen, ein Gemisch von Kohlenund Wasserstoff. Aber noch eindrücklicher die Rohre, regelrechte Bahnen. Sauber verlegt, sauber beschriftet, alle im rechten Winkel transportieren sie flüssige, gasförmige Moleküle, keiner der Stoffe ist harmlos. Sie führen in die gigantischen Tanks mit ihren schwimmenden oder festen Deckeln hinein oder hinaus, quer über betonierte Wannen, verlieren sich, überkreuzen sich, ein paar davon verlaufen sich über eine filigrane, spinnenartige Armatur zum Wald hin, wo das Flaring passiert, das Abfackeln mit einer Flamme, die zischend und tosend überflüssige Gase abbrennt. Aber es wachsen auch Gräser zwischen den Leitungen, in Abflusskanälen schwimmen grüne Algen, da und dort rosten die Ummantelungen, und alle paar Meter farbig markierte Messstationen. Sie erinnern daran, dass der Grundwasserspiegel nur zwei Meter tiefer liegt, dass die Anlage auf einen Seitenarm der Thielle gebaut ist, sozusagen auf Wasser. Hier kommt Michel Maurer ins Spiel. Michel Maurer, zerfurchtes Gesicht, Stoppelbart und hellwache Augen, ist Umweltingenieur und zuständig für alles, was aus der Raffinerie in die Luft geraten könnte, in den Boden, ins Wasser. Er hat bisher wenig gesagt, hat

aber extra ein altes Dokument herausgesucht, datiert vom 15. Dezember 1965: das Protokoll über die Umweltauflagen an die Raffinerie. Darin wurde Punkt für Punkt festgelegt, wo, wann, wie, welche Messungen die Raffinerie zum Schutz der Umwelt durchzuführen hat, es sei im Grunde immer sein «Pflichtenheft», sagt Michel Maurer, «aber natürlich ist es angepasst worden, den neuen Grenzwerten entsprechend, die strenger sind als damals». Theater ums Erdöl Damals, als der Erdölkonzern Shell bekanntgab, man wolle hier, zwischen Neuenburgersee und Bielersee, eine Raffinerie bauen, gab es noch gar keine Umweltgesetzgebung. Rundherum war die Verunsicherung riesig, es gab Opposition. Nicht beim Gemeinderat von Cressier, der nach dem Besuch anderer Raffinerien von Shell meinte, «das Personal der zukünftigen Raffinerie sowie die Bevölkerung von Cressier ist den Krebsgefahren weit weniger ausgesetzt als die Passanten in einer belebten Strasse». Aber in den umliegenden Dörfern, in Cressier selber, in Cornaux, Gampelen, Erlach, dort liess man sich nicht beschwichtigen, sogar die Stadt Biel erhob Einsprache. Und auch die Pipeline, mitten durch intakte Juralandschaften geführt, wurde bekämpft, während an der Thielle bereits die ersten Bagger auffuhren, den Torf abtrugen und tonnenweise Schotter eintrugen, die Fundamente für die Tankanlagen betoniert wurden. Und auch nach der Einweihung der Raffinerie mit Pomp und Prominenz rissen die Proteste nicht ab. In der Gemeinde Gals demonstrierten im August 1966 Grossräte und Gemeinderäte von Gals, Gampelen, Biel mit dreitausend anderen gegen die Lärm­

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Als bekannt wurde, dass die Raffinierie gebaut wird (Bild 1 und 4), gab es Widerstand, auch im Dorf Cressier (3). Die Verantwortlichen versuchten zu beschwichtigen, noch heute redet Pressesprecher Daniel Märki (2) von «Biotreibstoffen» und Michel Maurer (5), Umweltingenieur und der Mann für Biodiversität, präsentiert einen der 200 Nistkästen, die er am Rand des Geländes hat anbringen lassen. 12

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emissionen, gegen den Gestank der Raffinerie. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb vom «Zusammenprall zweier Daseinsformen», der ländlichen und der industriellen, und dass das deutlich geworden sei mit dem Theaterstück «Flüssiges Gold», das in den umliegenden Gemeinden gespielt wurde und das «Umfallen» der Gemeinderäte vor dem Erdölkonzern Shell zum Thema machte. Das Stück, hiess es, habe Hunderte von Familienmitgliedern «aufgewühlt», und es sei offensichtlich, wie gross die «Lebensangst» geworden sei. Shell rüstete nach, mit Lärmschutz, neuen Filtern, alles auf Druck der Bevölkerung, der Behörden. Die mahnten, setzten der Betreiberfirma Fristen, um so essenzielle Dinge wie die Abdichtung der Rohrtrassen gegen das Grundwasser endlich durchzuführen und etwas zu tun gegen die Flamme, die bis zu 25 Meter in den Himmel schlug, furchterregend, laut. Shell zögerte hinaus, liess es drauf ankommen, wie immer, und im November 1968 flossen dann 12 000 Liter Öl im Bahnhof Cornaux aus, man musste die Trinkwasserversorgung der Gemeinde stilllegen. Solche «Vorkommnisse» fehlen im PR-Buch «Quintessence», der firmeneigenen Geschichte der Raffinerie, immerhin gab es in den letzten Jahren kein «Vorkommnis» mehr. Aber Michel Maurer weiss um die Schwachstellen, die Risiken der Anlage, die Gefahren, die lauern. Sein monatlicher Rapport listet auf, was die unzähligen Messsonden im Boden an Daten liefern, ebenso die Sensoren für die Luftqualität. So schreitet er voran, erläutert die neue Anlage für das «Flaring», dass sie weniger Lärm mache, die Flamme sei jetzt viel kleiner. Wir folgen ihm entlang der riesigen Tanks, ein halbes Fussballfeld mit altertümlichen Pumpen, immer wieder Leitungen, überall Leitungen, und Wasser, in Kanälen gesammelt. Michel Maurer erklärt im Vorübergehen, wie der «Chapeau chinois» funktioniert, das Überdruckventil bei den Gastanks, er blickt hier und da in einen Schacht, wo das Grundwasser zu sehen ist, dann eilt er voraus, hinein in einen Wald. Und hier legt sich ein breites Lächeln auf sein Gesicht. Hier sprudelt es aus ihm heraus, wenn er erzählt, mit Blick auf dichtes Astwerk, dass er hier Bäume hat pflanzen lassen, Büsche, und dahinter eine Wiese mit, wie er sagt, hoher Biodiversität. An einem Baumstamm ein Nistkasten, Michel Maurer hebt sorgfältig den Deckel, zeigt uns die Jungvögel, erzählt, dass er etwa zweihundert solcher Nistkästen hat anbringen lassen, mit der Belegschaft der Raffinerie. Dann geht es durchs Gebüsch zu einem

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Frösche springen ins trübe Wasser seltene Lurche leben hier, und im kleinen Wald ringsherum vierzig verschiedene Vogelarten. Tümpel, Frösche springen ins trübe Wasser, dann weiter zum Nebenarm der Thielle, wo Fischreiher auf Holzstämmen stehen, die vom Biber umgelegt wurden, seltene Lurche leben hier, und im kleinen Wald ringsum vierzig verschiedene Vogelarten, darunter der seltene gelbfarbene Pirol. Noch mehr will uns Michel Maurer zeigen, er stapft durchs Gebüsch, wir stehen unverhofft vor einem grossen Klärbecken, das leicht mit Öl kontaminiertes Restwasser enthält, eine natürliche Reinigungsstufe, sagt Michel Maurer, und dass in diesem Wasser Mollusken lebten, geschützte Arten, zugleich eine Nahrungsquelle für die Fisch­reiher. Die Raffinerie, mit einem Mal, wird mit Michel Maurer zum Ökotop. Mit der Sense hat er einen Weg freigemacht zu einem Erdhaufen, lässt die Erde zwischen den Fingern zerbröseln, schnuppert daran und hält sie uns hin, wie zum Beweis, dass sein Verfahren zur natürlichen Entgiftung kontaminierter Erde mit Bakterien funktioniert. Aber schon geht er weiter, dem Erdwall entlang, alles dekontaminierte Erde, und wir gelangen zum Rand eines Feldes, wo noch in diesem Jahr die grösste bodennahe Solaranlage der Schweiz gebaut werden soll, 45 000 Quadratkilometer, 60 Prozent des Strombedarfs der Raffinerie, man habe auch hier, betont Michel Maurer, mit dem WWF zusammengearbeitet, um den Aspekt der Biodiversität zu berücksichtigen (der WWF hält in einer Stellungnahme fest, man sei mit der Raffinerie nie «eine Partnerschaft» eingegangen). Bloss keinen Schaden anrichten Hinter uns die Flamme, im Rücken das Sausen tausender Röhren, Destillatoren, linker Hand ist die Anlage zu sehen, wo die Pipeline aus dem Boden kommt, mitten auf einem Feld, wie ein gekrümmter Finger. «Und nun soll diese Raffinerie plötzlich grün werden, Michel Maurer?» «Sagen wir es so, wir sind stolz darauf, was wir hier erreicht haben. Dass wir der Natur ermöglicht haben, wie-

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der Fuss zu fassen, dass das Gelände ein klein wenig zu einem Ort der Biodiversität wurde, und ja, dass wir alles tun, um keinen Schaden anzurichten.» «Aber Sie würden gerne mehr tun.» «Das auf jeden Fall, klar.» «Können Sie denn auch Vorschläge machen?» «Ja, sicher, ich kann Dinge vorschlagen, klar. Und ein Teil meiner Vorschläge wurde auch realisiert.» «Das heisst, das Management hört auf Sie?» Vielleicht würde Michel Maurer an dieser Stelle gerne erläutern, wie weit sein Vorschlagsrecht tatsächlich geht, ob er zum Beispiel vorschlagen dürfte, dass man das CO2 beim Kamin abfängt und verarbeitet, zu synthetischem Treibstoff, vielleicht. Oder ob er dem Management vorrechnen darf, dass es energetisch gesehen absurd ist, aus Solarstrom Benzin herzustellen für Autos, die direkt mit Solarstrom viel effizienter fahren würden. Oder inwiefern die ganze Anlage für die Produktion so umgerüstet werden könnte, dass man mit Solarstrom, mit CO2 aus der Luft, mit Wasser aus der Thielle sogenannt «grünen Wasserstoff» herstellen könnte. Ob er dem Management klarmachen darf, dass diese Raffinerie gerade mal noch ein paar Jahre in Betrieb sein darf, wie tausend andere auch, wenn die Atmosphäre der Erde sich nicht um mehr als 1,5 Grad erhitzen soll, wenn wir den Kollaps des Klimas noch abwenden wollen. Aber VARO ist nun mal eine Erdölfirma. Eine Firma, die 2012 vom Rohstoffkonzern Vitol und dem Investmentunternehmen Atlas Invest gegründet wurde, um die Raffinerie in Cressier aus der Insolvenz zu retten. Der Insolvenz von Petroplus, die wiederum die Raffinerie von Shell erworben hatte, zwölf Jahre zuvor. VARO wollte es nicht bei Cressier belassen, sondern expandierte, nachdem der Finanzinvestor Carlyle von 2013 schrittweise die Aktienmehrheit erwarb, heute sind es

«Wir sind stolz darauf, was wir hier erreicht haben. Dass wir der Natur ermöglicht haben, wieder Fuss zu fassen.» MICHEL MAURER

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zwei Drittel. Und Carlyle, mit Sitz in Washington D.C., ist nicht irgendwer, sondern eine der mächtigsten Finanzgesellschaften, Carlyle verdient sein Geld vor allem mit Beteiligungen an Erdölkonzernen. Das Analystenkonsortium «Private Equity Stakeholder Projekt» zählt Carlyle zu den «Dirty Dozen», den zwölf schmutzigsten Finanzgesellschaften, Carlyle sei der Investor mit «dem grössten CO2-Fussabdruck» überhaupt, mit einem «fast unersättlichen Hunger nach fossilen Brennstoffen», heisst es in der Studie, und angefügt ist eine lange Liste von Umweltsünden bei den Firmen, an denen Carlyle beteiligt ist. Und doch hat sich Dev Sanyal, der CEO von VARO, der zuvor das Gasgeschäft und das Geschäft mit Solar und Windkraft bei BP leitete, für die Transformation in Richtung erneuerbare Energien ausgesprochen. Er liess bei seinem Antritt Anfang Jahr verlauten, man befinde sich in einem «äusserst spannenden Moment in der Energiebranche», es brauche jetzt «neue Kundenlösungen» und einen «Übergang». Was immer das heisst. Nicht nur Michel Maurer hält sich bedeckt, auch Daniel Märki, der Firmensprecher, will nicht viel sagen auf die Frage, wie VARO denn die Energiewende konkret schaffen wolle. Daniel Märki verweist lieber auf Projekte hier vor Ort, stellt sich auf eine Mauer, zeigt auf eine Baustelle und erklärt, man baue dort jetzt einen Anschluss für ein Fernwärmenetz, um mit der Abwärme aus der Raffinerie die Häuser in Cornaux zu heizen. So werde man die Energie noch effizienter nutzen können, das sei ein konkretes Projekt. Alles weitere, fügt er an, hänge vom Management ab, man erwarte eine entsprechende Mitteilung in den kommenden Wochen. Michel Maurer ist vorausgegangen, er blickt sich um, ob er den Wanderfalken sieht, wie er kreist. Am Hochkamin, der mehrfach höher gebaut wurde, um die Abgase der Raffinerie «noch besser» in der Luft zu verteilen. Dann hat er es eilig, er will nach Hause. Mit dem Fahrrad, wie jeden Tag, nach Neuchâtel, oder vielleicht fährt er hinüber nach Lugnorre, zum Haus seines Vaters, um noch ein wenig zu gärtnern. Dort, am Fuss des Mont Vully, blickt er auf den Murtensee, eine andere Landschaft. Während sich über die Raffinerie der Abend senkt, und schon wieder sind heute 68 000 Barrel durch die Pipeline gerauscht. So viel wie morgen auch wieder. Und übermorgen.

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Corona Rund 160 000 Menschen sind hierzulande drei Monate nach einer Covid-Infektion noch immer krank. Was passiert sozial mit ihnen, wenn sie ihr altes Leben nicht mehr meistern können?

Erst die Krankheit, dann die Armut Manche werden nach einer Virus-Infektion nie mehr gesund. Weil sie das nicht beweisen können, kriegen sie von der IV kein Geld. Droht dieses Schicksal nun auch bei Long Covid? TEXT ANDRES EBERHARD

Wie vom Lastwagen überfahren, sagen sie. Wie ein Motor, der aufs Drücken des Gaspedals nicht reagiert. Wie Batterien, die sich schnell entladen und unglaublich langsam wieder aufladen. Was Betroffene von Long Covid erzählen, kommt Petra Tobler bekannt vor. Die 45-Jährige ist chronisch erschöpft. Ob Spazieren, Lesen oder Zähneputzen: Selbst nach kleinsten Anstrengungen ist ihr Akku leer. Überanstrengt sie sich, büsst sie später dafür. Auslöser war das Epstein-Barr-Virus gewesen, der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Sie infizierte sich vor sechs Jahren – und erholte sich davon nie wieder. Viren mit Langzeitfolgen gibt es nicht erst seit Corona: Anfang des 20. Jahrhunderts kursierte die «europäische Schlafkrankheit», möglicherweise ausgelöst von der Spanischen Grippe. Auch andere SARS- oder MERS-Erreger, das von Zecken übertragene FSME, Influenza oder eben Epstein-Barr können Langzeitschäden verursachen, oft in Form einer chronischen Erschöpfung. Heute verbringt Petra Tobler 22 bis 23 Stunden pro Tag liegend im Bett oder auf dem Sofa und ihr Mann pflegt sie fast durchgehend. Seit Jahren hat sie kein Buch mehr gelesen, keinen Ausflug mehr gemacht, war sie nicht mehr auswärts essen. Die Energie, die ihr bleibt, nutze sie für das Nötigste, für Essen und Trinken, Toilettengänge, etwas Fernsehen und Aussenkontakt per E-Mail, schreibt sie mir in einer Nachricht. An guten Tagen gehe sie auch mal eine Viertelstunde in den Garten, an sehr guten Tagen Surprise 527/22

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reiche es für einen Spaziergang. Daraufhin vereinbaren wir ein kurzes Telefonat – doch nach diesem ersten Kontakt meldet sie sich während Wochen nicht mehr. Was es mit der durch Viren ausgelösten chronischen Erschöpfung auf sich hat, ist nicht vollständig erforscht. Bei Tobler lautete die Diagnose Myalgische Enzephalomyelitis (ME) – eine chronische Krankheit, die sehr schwer verlaufen und auch Nerven-, Hormon- und Immunsystem sowie Organe schädigen kann (siehe Kasten). Das Problem: Die Ursache der Krankheit ist bis heute nicht erforscht. Und damit gibt es auch keinen «Beweis» etwa in Form eines biologischen Markers. Das hat zur Folge, dass ME seit Jahren selbst unter vielen Ärzt*innen nicht ernst genommen und als psychisches Problem abgetan wird. Zwischen ME und Long Covid gibt es auffällige Parallelen. Erste Studien zeigen, dass etwa die Hälfte aller Long-Covid-Patient*innen die Diagnose-Kriterien für ME erfüllen. Für die einen bedeutet diese Ähnlichkeit eine Chance, für die anderen ist sie eine Gefahr. Entweder wird ME aufgrund der grossen Aufmerksamkeit für Long Covid den «Psycho-Stempel» endlich los. Oder aber Long Covid landet in derselben Schublade. Das Telefon klingelt. Am Apparat ist Petra Tobler, die Frau, die ich seit Wochen versuche zu erreichen. Für eine gute Stunde reiche die Energie, sagt sie am Telefon mit schwerem Atem, die müsse sie ausnützen. «Ich hatte einen schlimmen Crash», entschuldigt sie sich für die Funkstille. In solchen Momenten ertrage sie keine Geräusche, 17


kein Tageslicht, keine Temperaturänderungen. Sie liege dann einfach nur regungslos im Bett und könne weder sprechen noch laufen. Nur warten, bis die Schmerzen nachlassen und die Energie zurückkommt. Ein aktives, schönes Leben habe sie gehabt, früher. Als Verkäuferin im Luxussegment mochte sie es, sich in Businesskleidung zu werfen, richtete dafür zuhause gleich zwei Ankleideräume und ein Schuhzimmer ein. Einen grossen Teil ihrer freien Zeit verbrachte sie in der Natur, mit dem Hund in den Wald, ein Wochenende ins Tessin, Reisen, Ausflüge, Gartenarbeit. Dann, eines Morgens, sei sie mit Fieber aufgewacht und habe wochenlang praktisch durchgeschlafen. «Plötzlich war ich komplett weg vom Fenster.» Kochen, Putzen, Waschen, um all das musste sich nun ihr Mann kümmern. «Dafür bin ich ihm natürlich sehr dankbar. Aber Sie können sich vorstellen, dass diese Situation im Alltag zu Reibereien führt.» Selber aufs WC oder sich anziehen kann sie nicht mehr, unter die Dusche schafft sie es noch alle ein bis zwei Wochen, ansonsten müsse der Waschblätz reichen. «Ich fühle mich wie ein unmündiges Kind.» Ich habe Petra Tobler angerufen, weil ich von ihr wissen wollte, warum sie seit vier Jahren um Unterstützung der Invalidenversicherung IV kämpft. Wie die Sozialversicherung mit ME/CFS-Betroffenen umgeht (CFS ist das verwandte Chronic Fatigue Syndrome, siehe Kasten), könnte ein Hinweis darauf sein, was Long-Covid-Betroffene erwartet. Schliesslich geht es dabei auch um die Frage, was sozial mit den Menschen passiert, die durch ein Virus von ihrem alten Leben Abschied nehmen müssen. Tobler meldete sich vor vier Jahren bei der IV an. Daraufhin nahm sie an Wiedereingliederungsmassnahmen teil und musste mehrmals nach Bern reisen, um sich von Gutachter*innen medizinisch untersuchen zu lassen. Diese Termine seien für sie äusserst belastend und aus­ serdem entwürdigend gewesen, erzählt sie. «Da ich sagte, dass ich nicht alleine auf die Toilette könne, zogen sie mir den Arm nach hinten, was etwa bis zur Hüfte gelang. Im Gutachten schrieben sie dann, für das Abwischen des Hinterns würde das ja reichen, also sei ich sehr beweglich und nicht pflegebedürftig.» Long Covid wird kaum zu vielen IV-Renten führen Tobler hatte mit Unterstützung eines Anwalts darum gebeten, dass zumindest ein auf ME spezialisierter Arzt anwesend ist. Vergebens. Als sie das Gutachten in den Händen hält, traut sie ihren Augen nicht. Statt von ME sprechen die Ärzt*innen von einer psychisch bedingten Stresskrankheit, empfehlen Medikamente und einen Reha-Aufenthalt. Tobler sei «in angepasster Tätigkeit» zu 70 Prozent erwerbsfähig, das heisst in einer Arbeit mit genügend Ruhezeiten. Das würde just nicht für eine Teilrente reichen, die es ab 40 Prozent Erwerbsunfähigkeit gibt. Der abschliessende Entscheid der IV steht noch aus. Für Tobler, die zahlreiche Arztberichte sowie ein Gegengutachten einreichte, die bewiesen, dass sie physisch und nicht psychisch krank ist, der reine Hohn. Ihr Arzt Protazy Rejmer von der Seegarten Klinik in Kilchberg, einer der wenigen hiesigen ME/CFS-Spezialisten, sagt: 18

«Das Gutachten war zwar über 100 Seiten lang, inhaltlich aber lausig. Es transportierte per Copy-Paste veraltete Sichtweisen und zitierte erst noch falsch.» Er selber attestiert Tobler eine mittelgradige bis schwere Form der ME/CFS. «Arbeiten kann sie aus meiner Sicht nicht mehr.» Das Problem bei der Invalidenversicherung: Betroffene müssen in aller Regel ihre Krankheit beweisen können, ansonsten erhalten sie keine Unterstützung. Genau der Beweis gelingt ME-Betroffenen und ihren Ärzt*innen nicht. Eine von der Schweizerischen Gesellschaft für ME initiierte Umfrage unter ihren Mitgliedern ergab, dass die IV nur bei jeder vierten Anmeldung wegen ME eine Rente zusprach, der Rest wurde abgewiesen. Für jene, die an Long Covid leiden und die Rückkehr ins Arbeitsleben nicht schaffen, ist das keine gute Nachricht. Die IV werde sich bei Long Covid nicht anders verhalten als sonst, heisst gleich restriktiv wie immer, sagt auch Thomas Gächter, Professor für Staats-, Verwaltungsund Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich. «Das wird nun einfach einer grösseren Öffentlichkeit bewusst.» Seine Prognose für all jene, die wegen Langzeitschäden von Covid-19 anklopfen, ist düster: «Ein guter Teil wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit selber berappen müssen.» Und doch gibt es Grund zur Annahme, dass Long Covid nicht in derselben Schublade landen wird wie ME.

Was ist ME? Myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist eine chronische neuroimmuno­ logische Krankheit mit weltweit schätzungsweise 17 bis 24 Millionen Betroffenen, in der Schweiz sind es zwischen 16000 und 22000. Diese leiden unter einer verminderten Energiereserve und können sich auch im Schlaf nicht richtig erholen. Typisch für die Krankheit ist, dass sich die Symptome bei Überanstrengung verzögert verschlimmern, wobei es sich dabei um ganz alltägliche Aktivitäten handeln kann. ME ist derzeit nicht heilbar. Die einzige Therapie ist ein Einteilen der Kräfte und eine Behandlung der Symptome. Diese beinhalten Schmerzen am ganzen Körper und die Folgen eines gestörten Nerven-, Hormon- und Immunsystems. Die Ursache von ME ist nicht geklärt. Die Krankheit könne aber anhand von Symptomlisten diagnostiziert werden, die in internatio­ nalen Richtlinien festgehalten seien, sagt Arzt Protazy Reimer, einer der wenigen ME-Spezialisten in der Schweiz. Es handle sich nicht wie immer wieder vermutet um eine Ausschlussdiagnose. Ausserdem sei erwiesen, dass es sich bei ME primär nicht um ein psychisches Leiden handle. ME ist seit 1969 von der WHO anerkannt. Ende der 1980er-Jahre wurde die Diagnose um das Chronic Fatigue Syndrom (CFS) ergänzt. Viele Betroffene erachten dies als Verwässerung der Diagnose, da Fatigue auch Symptom anderer, insbesondere psychiatrischer Erkrankungen ist. Werden ME-Patient*innen für psychisch krank gehalten, kann dies für sie verheerende Folgen haben. Während beispielsweise bei einer Depression Bewegung und physische Anstrengung wirken, sind diese bei ME kontraproduktiv: Aktivierungstherapien führen dazu, dass sich ihr Erschöpfungszustand verschlimmert. EBA

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QUELLEN: HOCHRECHNUNG BASIEREND AUS UNTERSUCHUNGEN IN GROSSBRITANNIEN, UMFRAGE DER SCHWEIZERISCHEN GESELLSCHAFT FÜR ME

Vielleicht hat die grosse Aufmerksamkeit zur Folge, dass objektiv noch nicht nachweisbare Krankheiten entstigmatisiert werden. «Die Hoffnung steigt etwas», sagt Luzius Hafen. Er ist Anwalt spezialisiert auf Haftpflicht- und Versicherungsrecht. «Ich stelle fest, dass Beschwerdebilder wie ME ernster genommen werden als vor der Pandemie.» Dies habe einerseits damit zu tun, dass endlich viel breiter und intensiver geforscht werde. Andererseits handle es sich bei Long-Covid-Betroffenen um Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, teilweise sogar um Prominente, die «voll leistungsfähig waren und dann aus ihrem Leben rausgerissen wurden». Auch Protazy Rejmer stellt fest: «Der Mainstream der Medizin hat sich nie mit ME befassen wollen, aber das ändert sich langsam zum Besseren.» So seien in Zürich und Graubünden ME-Sprechstunden eingerichtet worden – zuvor war seine die schweizweit einzige gewesen. Bei ME-Betroffenen wie Tobler sei die Sache juristisch aber nach wie vor schwierig, weil sie bei der IV als «eingebildete Kranke» gelten würden, sagt Anwalt Hafen. «Die Menschen kurieren erst ihre Grippe aus und gehen erst spät in Behandlung, wenn sich ihr Zustand nicht verbessert», so Hafen. Deshalb sei es zwar naheliegend, aber eben nicht endgültig erwiesen, dass das Epstein-Barr-Virus tatsächlich der Auslöser für Toblers heutige Symptome ist. Besser nachweisbar dürften aufgrund der vielen Tests Ansteckungen mit Covid-19 sein. Dennoch erwartet auch Hafen wegen der aktuell sehr restriktiven IV-Praxis «nicht massenhaft Renten». «Grauenvolle Psychologisierung der Situation» Die Hoffnung ruht denn auch nicht unbedingt auf der Sozialversicherung, die ihre harte Praxis mittlerweile seit fast 20 Jahren entgegen aller Kritik durchsetzt. Sondern auf der Medizin. Die Aufmerksamkeit für Long Covid sorgt für politischen und gesellschaftlichen Druck, und der wiederum setzt Forschungsgelder frei, um das lange Zeit marginalisierte Problem der Langzeitschäden von Viren besser zu erforschen. Dies könnte Betroffenen tatsächlich viel bringen. Gelingt es ihnen zu beweisen, dass ihre Krankheit somatisch bedingt ist, stehen auch die Chancen auf eine IV-Rente besser. Genau diesen Weg streben die Long Covid-Verbände an. «Wir hoffen auf diagnostische Tests, wie sie beispielsweise in Deutschland bereits in Gebrauch sind», sagt Chantal Britt vom Verein Long Covid Schweiz. Britt spricht von einer «herablassenden, grauenvollen Psychologisierung der Situation». Man sage den Leuten, sie sollten sich anstrengen, sich richtig bewegen, an die frische Luft gehen, und es werde wieder gut. «Aber es wird eben nicht gut, im Gegenteil.» Was mit den Menschen passiert, die sich wegen Long Covid bei der Sozialversicherung anmelden, darauf haben IV-Gutachter*innen einen grossen Einfluss. Diese arbeiten derzeit an Empfehlungen, wie mit dem Phänomen umzugehen sei. «Damit sich eine Praxis entwickelt, die weder alle gesundschreibt noch alle invalidisiert», so Yvonne Bollag vom Basler Begutachtungsinstitut asim, mitverantwortlich für die Empfehlungen. Bollag appelliert Surprise 527/22

20 000 160 000 45 % 77 %

Menschen in der Schweiz leiden an der Krankheit ME, 17 Millionen sind es weltweit. (Schätzung)

Menschen in der Schweiz leiden 12 Wochen nach der Infektion mit Covid-19 an Symptomen.

der Long Covid-Patient*innen erfüllen die Diagnose-Kriterien für ME.

der Anträge von ME-Betroffenen auf eine IV-Rente werden abgelehnt.

insbesondere an Hausärzt*innen, Covid-Infizierte von allem Anfang an genau zu dokumentieren und den eigens für diese Zwecke erstellten sogenannten EPOCA-Bogen zu verwenden. Denn: «Wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Symptome durch ein Virus bedingt sind, dann werden sie im IV-Verfahren anders beurteilt.» Ob sich die IV-Gutachter*innen an die Empfehlungen halten werden, ist allerdings nicht sicher, da diese nicht verbindlich sind. Der Luzerner Anwalt Christian Haag vom Verband Covid Langzeitfolgen ist skeptisch. «Viele der 30 Gutachter-Institute arbeiten mit sogenannten Fluggutachter*innen aus dem Ausland, die sich jeweils nur 90 Tage in der Schweiz aufhalten.» Er fordert, dass sich eine einzige spezialisierte Gutachterstelle mit medizinisch sehr komplexen Beschwerdebildern wie Long Covid beschäftigt. Petra Tobler wartet auch nach vier Jahren noch immer auf einen Entscheid der IV. Angeblich soll dieser kurz bevorstehen, doch das wurde ihr schon oft gesagt. Der Kampf um die Rente kostet sie praktisch die gesamte Energie. «Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass Menschen, die Hilfe brauchen beim Anziehen oder auf 19


die Toilette gehen, die unterste Stufe erreicht haben und auf eine IV-Rente angewiesen sind?», fragt sie mehr rhetorisch. Eines ist klar: Wer nicht kämpft, geht leer aus. Aber nicht alle haben die Energie dafür. Vielen sage man bereits am Telefon, dass es schwierig werden würde, sagt Chantal Britt von Long Covid Schweiz. Wer es sich leisten kann, meldet sich gar nicht erst an und hebt sich die Kräfte auf, um gesund zu werden. Denn dafür ist ein jahrelanges Gerichtsverfahren, ja ein Kampf um die Existenz Gift. «Diese Menschen sind krank und stehen unter Druck vom Arbeitgeber, zurückzukommen. Sie hören von Ärzt*innen, dass sie eigentlich gesund seien. Sie zweifeln an sich selbst, fragen sich: Was habe ich nur? Warum schaffe ich das nicht? Dazu kommt der Druck von Versicherungen zu beweisen, dass sie wirklich krank sind. Dabei schaffen es viele nicht einmal, ein Formular auszufüllen», sagt Britt. Tobler sagt, es komme ihr vor, als sei das Ziel dieses endlosen Verfahrens, dass sie endlich aufgebe. «Für mich fühlt sich das an wie Erpressung.» Sie hofft, dass dieser Artikel etwas bringt. Nicht, weil sie Einfluss auf für ihr eigenes IV-Verfahren nehmen möchte – eher drohe sie sich selbst zu schaden, weswegen sie darum bat, ihre Geschichte unter einem Pseudonym publik zu machen. Doch sie hofft, dass ihr Fall in anderen etwas auslöst, dass diese von der Ungerechtigkeit erfahren, die sie und andere Betroffene erleben. Sie hofft, dass man ihr glaubt. «Ich bin einer jener schwerkranken Menschen, die von einem Tag auf den anderen einfach verschwinden.» Menschen wie Tobler verschwinden aber nicht nur von der Bildfläche und aus dem sozialen Leben. All jenen, die kein finanzielles Polster haben oder dieses aufgebraucht haben, droht auch Armut, wenn sie von der IV nicht unterstützt werden. Die Krankheit setzt eine Abwärtsspirale in Gang, die in Armut endet. Just um das zu verhindern, wurden die Sozialversicherungen geschaffen. «Die IV ist eine Versicherung, die doch recht häufig nicht versichert», sagt Rechtsprofessor Gächter. «Ich weiss mittlerweile schon gar nicht mehr, wie ich das meinen Studierenden erklären soll.» Für einmal etwas lauter sagt Tobler am Telefon: «Wer sich nicht wehrt, bekommt nichts. Und ich habe sonst nichts.» Wenn sie nur ein paar Franken auf der Seite hätte, «dann würde ich sofort mit diesem Kampf aufhören». Die 45-Jährige lebt vom Ersparten ihres Mannes, der 50 Prozent von zuhause aus arbeitet und sie daneben pflegt. Da Altersarmut vorprogrammiert sei, bleibe ihr nichts anderes übrig. Tobler hat keinen Anspruch auf Sozialhilfe. «Dafür müsste ich warten, bis das Ersparte meines Mannes aufgebraucht ist. Oder mich von ihm trennen.»

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Warum die IV so streng ist Weil die IV sparen muss, gibt es weniger Renten. Das dürfte nicht sein. TEXT ANDRES EBERHARD

Die Invalidenversicherung (IV) sitzt auf einem Schuldenberg von rund 10 Milliarden Franken. Diese schuldet sie ihrer «grossen Schwester», der AHV, seit diese ihr 2011 ein Darlehen gewährte. Seit Jahren lautet darum der von bürgerlichen Parlamentarier*innen forcierte Auftrag: Sparen. Doch wie spart man bei einer Sozialversicherung mit gesetzlichem Auftrag? Grundsätzlich hat sich an den Voraussetzungen für eine Invalidenrente seit Jahrzehnten nichts geändert. Dennoch stiegen die Renten in den 1990er-Jahren massiv an und gingen in den letzten 20 Jahren trotz Bevölkerungswachstum genauso drastisch zurück. Die IV feiert dies als Erfolg. In den letzten Gesetzesrevisionen wurde sie von einer Renten- zu einer Eingliederungsversicherung umgebaut. Dass weniger Renten gesprochen und mehr Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden, wünschen sich grundsätzlich alle. Doch dass die Integration tatsächlich so gut funktioniert, wie von der IV immer wieder betont wird, muss bezweifelt werden. Verschiedene Untersuchungen weisen auf einen eher bescheidenen Erfolg hin. Zudem postulieren zahlreiche an der Basis tätige Ärzt*innen und Therapeut*innen, dass gerade (Teil-)Renten vielen helfen würden, um gesund zu werden. Denn die finanzielle Unterstützung befreit die Betroffenen vom Druck, um ihre Existenz kämpfen zu müssen. Kritiker*innen vermuten darum viel eher, dass die IV auf Kosten kranker Menschen spart. Tatsächlich kamen in den letzten Jahren mehrere Skandale ans Licht: Gutachter*innen schrieben Menschen praktisch am Fliessband gesund und verdienten damit Millionen. Und indem sie zur Berechnung der IV-Renten unpräzise Zahlen verSurprise 527/22

wendet, rechnet die IV die Renten klein – mit der Folge, dass zahlreiche Geringverdiener keinen Anspruch haben. Stimmen diese Vorwürfe, verhält sich die IV gesetzeswidrig. Allerdings stützte das Bundesgericht bislang stets die umstrittene Praxis. An der Professionalität mancher Gutachter*innen hegte es zwar schon verschiedentlich Zweifel, grundsätzlich hält es die «Versicherungsmediziner*innen» aber noch immer für unabhängig, auch wenn viele von ihnen finanziell von der Versicherung abhängig sind. Auch den «Berechnungstrick» winkte das höchste Gericht kürzlich hauchdünn quasi mangels besserer Alternativen durch – mit einem 3:2-Mehrheitsentscheid (die SP-Richter waren dagegen, zwei von der SVP und einer von der CVP dafür). Wer mit dem Hund Gassi geht, hat Probleme Eine IV-Rente zu erhalten ist vor allem für jene schwieriger geworden, die an einer Krankheit leiden, welche objektiv nicht beweisbar ist – wie zum Beispiel ME (siehe Haupttext). Das Bundesgericht hat daran grossen Anteil. Zunächst stufte es solche Leiden als grundsätzlich «überwindbar» ein, woraufhin die IV für zahlreiche Krankheitsbilder während Jahren gar keine Renten mehr vergab. Vor einigen Jahren nahm das höchste Gericht dann einen Kurswechsel vor. Seither verlangt es für solche «unklaren Beschwerdebilder» eine Einzelfallprüfung. Was in der Theorie gut klang, änderte in der Praxis wenig. Eine Untersuchung der Universität Zürich zeigte, dass von 300 geprüften Fällen vor Gericht lediglich in einem Fall eine IV-Rente gesprochen wurde. Spezialisierte Anwält*innen kritisieren, dass sich auch mit der neuen Rechtsprechung immer etwas finden lasse, um den An21


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trag abzulehnen. «Geht jemand häufig in die Kirche, spaziert regelmässig mit dem Hund oder schreibt zu oft in eine Facebook-Gruppe, heisst es von der IV: ‹Wer das kann, kann auch arbeiten›», so der Luzerner Anwalt Christian Haag. Die IV-Stellenkonferenz teilt auf Anfrage mit: «Wer Anspruch auf eine Rente hat, der bekommt sie auch.» Geschäftsführerin Astrid Jakob sagt zur Kritik an der IV-Praxis: «Dass die IV restriktiver geworden ist, war ein politischer Entscheid. Es ist unser gesetzlicher Auftrag, die Entscheide umzusetzen. Eine Bewertung der Entscheide steht uns nicht zu. Kein Mitarbeiter bekommt einen Bonus, wenn er Renten streicht.» Aber: Die IV muss nach wie vor all jene unterstützen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen dauerhaft erwerbsunfähig sind. So steht es auch im Gesetz. Dabei darf keine Rolle spielen, wie viel Geld noch im «Kässeli» ist. «Die IV wird allerdings eher so geführt, als habe sie ein plafoniertes Budget», kritisiert Rechtsprofessor

Es kann auch gut laufen Eingliederung ist das oberste Ziel der IV. Das kann auch bei Long Covid funktionieren – mit viel Zeit und Geduld.

Die meisten Long-Covid-Betroffenen hoffen noch auf eine Rückkehr ins Arbeitsleben. Viele beziehen Krankentaggelder, die nach maximal knapp zwei Jahren auslaufen. Klappt die Wiedereingliederung bis dahin nicht, wird die Frage nach einer längerfristigen Existenzsicherung akut. 1776 Anmeldungen mit oder wegen Covid-19 erfasste die Invalidenversicherung im Jahr 2021. In rund 80 Prozent der abgeschlossenen Fälle sprach sie eine Eingliederungsleistung, nur die allerwenigsten Antragssteller*innen erhielten bislang eine Rente. Was es braucht, damit Wiedereingliederung gelingen kann, zeigt der Fall der Genferin Corinne Baudet, die im Oktober 2020 an Covid-19 erkrankte. Die 44-jährige Mutter war vor der Pandemie während 18 Jahren Klassenlehrerin, in der Freizeit fuhr sie gerne Ski, spielte Tennis und Theater. Nach der Covid-19-Infektion verlor sie alle Kraft. «Ich konnte über längere Zeit hinweg nicht einmal mehr meinen Sohn in die 200 Meter entfernte Schule begleiten», sagt sie. Nach einem halben Jahr machte sie im Rahmen einer therapeutischen WiedereinSurprise 527/22

Thomas Gächter von der Universität Zürich. Dabei dürfte sie durchaus ein Defizit machen. Denn: «In einem Sozialversicherungssystem darf die Finanzierung keine Rolle spielen, wenn die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind.» Gemäss Gächter überwälzt die Politik zurzeit den Spardruck der Verwaltungspraxis. Dies sollte nicht sein. «Damit das Gesetz eingehalten wird, müsste die Politik entweder für zusätzliche Finanzierung sorgen oder dann halt die Leistungen nach unten korrigieren.» In anderen Worten: Wenn die IV zu wenig Geld hat, müsste sie entweder dazu stehen, dass sie nicht alle unterstützt, die dauerhaft erwerbsunfähig bleiben, und dies ins Gesetz schreiben – zum Beispiel indem sie keine Teilrenten mehr ausrichtet. Oder aber sie müsste beispielsweise den Beitragssatz erhöhen. Beides wären politische Entscheide, die derzeit tabu sind. Und das werden sie so lange bleiben, wie die IV und das zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) so tun, als wäre alles in Ordnung.

gliederung die ersten Arbeitsversuche. Zunächst nur zwei Schulstunden pro Woche, immer montags und donnerstags. Sie amtete aber nicht als Klassenlehrerin wie zuvor, sondern als zusätzliche, unterstützende Lehrkraft. «Für mich war das sehr wichtig. Denn wenn es an einem Tag nicht ging, war das nicht so schlimm. Aber wenn ich da war, konnte ich stets helfen. Es gibt ja immer genug zu tun.» Selbst das kleine Pensum, inklusive zehnminütiger Autofahrt zur Schule, sei anfangs hart gewesen. Aber es habe ihr gutgetan, auch psychisch. «Ich muss mich niemandem gegenüber erklären, denn ich arbeite ja. Auch die Schüler*innen wissen zwar nicht, dass ich krank bin, aber es ist für sie normal, dass ich nicht immer da bin. Und wenn ich arbeite, vergesse ich Covid für einmal komplett.» Sie erachtet darum die Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit, wenn auch nur in minimalem Pensum, als notwendig für den Heilungsprozess. «Nicht zu schnell zu viel wollen» Seither baute Baudet ihr Pensum sachte aus. Zunächst erhöhte sie auf drei Schulstunden pro Woche, nach einem Jahr auf deren acht. «Das ist doch etwas. Ich kann zurückblicken und sehe die positive Entwicklung, auch wenn es immer mal wieder zu Rückschlägen kommt», sagt sie. Aus ihrer Erfahrung das Wichtigste: «Nicht zu schnell zu viel wollen. Man kann nichts erzwingen. Sonst bezahlst du später

dafür.» Das gelte nicht nur bei der Arbeit, sondern auch für die Freizeit. Sie erzählt, wie sie es einmal mit Skifahren probiert habe. «Wenn ich am Vormittag schlafe, kann ich nachmittags drei, vier Abfahrten machen. Am nächsten Tag muss ich mich dann aber ausruhen. Das heisst: Total braucht es zwei Tage für einige Schwünge.» Damit der Wiedereinstieg funktionieren kann, brauche es ein unterstützendes und wohlwollendes Umfeld, sagt Baudet. Mit dem Kanton als Arbeitgeber und der IV, die ihren Weg unterstützt, habe sie das. Sie glaubt aber auch, dass sich das gute Beispiel auf andere weniger privilegierte Berufe übertragen lasse – dann nämlich, wenn Menschen während der Wiedereingliederungsphase lediglich zur Unterstützung aufgeboten werden. «Auch ein Garagist ist froh, wenn einer mehr kommt. Dieser spielt anderen Mitarbeitenden Zeit frei. Und Reparaturen sind schneller erledigt.» Wichtig sei, dass den Betroffenen realistische Ziele gesteckt werden, dass sie nicht zu früh zu stark unter Druck geraten und sich für die Integration Zeit lassen können. Bis Oktober bezieht Baudet noch immer ihren vollen Lohn. Ab dann erhält sie mindestens für ein Jahr lang IV-Taggelder, sofern sie ihre Ziele erreicht. So ist es mit der kantonalen IV-Stelle und ihrem Arbeitgeber vereinbart. «Wie weit ich bis dahin bin und ob ich zumindest eine Teilrente brauchen werde, ist noch schwer vorauszusehen», sagt sie. EBA 23


Ein russischer Fiebertraum Kino Im Film «Petrov’s Flu» des russischen Systemkritikers Kirill Serebrennikov erkrankt eine Familie im

postsowjetischen Russland an einer Grippe. Symptome sind Halluzinationen und Gewaltfantasien. TEXT MONIKA BETTSCHEN

Ein Linienbus schlingert in einer russischen Stadt durch die eisige Neujahrsnacht. Eine als Schneemädchen Snegurotschka verkleidete Frau mit blonder Zopfperücke kontrolliert die Tickets der mehrheitlich alkoholisierten Fahrgäste. Im Mittelgang wird Petrov, ein hagerer Mann Mitte 30, von Hustenanfällen geschüttelt, worauf ihm eine Frau ihren Sitzplatz anbietet, da er ihrer Meinung nach Krebs habe. «Nein, Grippe», antwortet Petrov und hangelt sich mühsam weiter. Ein anderer Fahrgast lamentiert mit schwerer Zunge über den maroden Zustand des Landes. «Früher durften wir alle kostenlos in Urlaub reisen. Alles diente dem Wohl des Menschen. Und jetzt? Gorbatschow hat das Land verkauft, Jelzin hat es versoffen.» Rund um Petrov, der sich als Mechaniker und Comiczeichner über Wasser hält, erklingt ein antisemitisch-rassistisches Klagelied gegen alle, die gerade angeblich das Sagen haben. Das Ende der Schimpftirade dringt nur noch wie durch Watte zu Petrov durch: «Alle, die jetzt an der Macht sind, müsste man an die Wand stellen!» Kaum sind die Worte gesprochen, wird der Bus angehalten und Petrov von einem maskierten Mann aufgefordert, sich einem Erschiessungskommando anzuschliessen. Wenig später exekutiert er Männer und Frauen in Anzügen und Pelzjacken. Danach geht die Busfahrt weiter, als wäre nichts gewesen. War alles bloss eine Halluzination? 24

Neue Fahrgäste steigen ein. Ein Mädchen bietet einem betagten Mann ihren Platz an. Der Alte bedankt sich und beginnt, sie verbal zu belästigen. Ein Jüngling hört das und schlägt den Senioren, sodass diesem das Gebiss aus dem Mund fällt. Petrov steckt die Prothese ein. Dann lässt er die Neujahrsnacht hustend und saufend mit seinem Kumpel Igor in einem Leichenwagen ausklingen. Die mysteriöse Grippe, die Petrov und seine Familie plagt, eröffnet kleine Fluchten, in denen das Unbewusste mit aller Macht hervorbricht. Bei Petrovs Frau, energisch gespielt von Chulpan Khamatova, manifestiert sich die Krankheit im Töten gewalttätiger Männer. Ihre Taten kündigen sich jeweils dadurch an, dass sie vorher ihre Brille absetzt. Zwischen Traum und Wirklichkeit «Petrov’s Flu» des russischen Film-, Opern- und Theaterregisseurs Kirill Serebrennikov ist eine Verfilmung des Buches «Petrov hat Fieber. Gripperoman» von Alexei Salnikov und stand 2021 in Cannes im Wettbewerb um die Goldene Palme. Der Film überwältigt und überfordert stellenweise mit einer überbordenden Fülle an Rückblenden, historischen Bezügen und Gewaltausbrüchen. Dreh- und Angelpunkt ist ein Neujahrsfest, das Petrov als Kind besuchte. Figuren von damals tauchen wieder auf und Erinnerungen drängen in die Gegenwart, als sein Sohn die Feier Surprise 527/22


Der digitale Blick Buch Selina Ursprung sieht durch Überwachung­s­

kameras in die Waschsalons der Welt und erschafft eine Galerie des Alltäglichen. Bilder entstehen aus Beobachtungen. Lange Zeit verliefen diese analog, mit den Augen. Inzwischen aber sehen wir immer mehr mit einem digitalisierten Blick auf die Welt, durch Smartphones, Laptops & Co. Ein Trend, der nicht zuletzt durch Covid verstärkt wurde. Und potenziert. Denn immer häufiger findet dieser Blick in geschlossenen Räumen statt. Und selbst wenn wir von dort aus die ganze Welt sehen können, gerät diese doch in eine immer weitere, entrückte Ferne. Selina Ursprung ist Illustratorin und hat aus der Not des Covid-Diktats eine kreative Tugend gemacht. Nach ihrem Erstling «Mit blauem Pulli und Falafelfladenbrot», in dem sie den Blick auf Imbissbuden in Biel, Bern und Berlin richtete, widmet sie sich in ihrem aktuellen Buch «Waschen und Falten» den Waschsalons rund um den Erdball. Möglich gemacht hat dies das Projekt Insecam, das weltweit grösste Verzeichnis öffentlich zugänglicher Überwachungskameras mit Zugang zu unzähligen Lokalitäten. Von ihrer Zeichenstube aus hat sie sich ein Jahr lang zu unterschiedlichen Zeiten virtuell mit Waschsalons in den verschiedensten Zeitzonen verbunden – von Frankreich über die Slowakei bis Japan, Südkorea oder Thailand, von Weltstädten wie Paris oder Tokio bis in die Provinz. Auch in «Waschen und Falten» richtet sich der Fokus auf das Alltägliche mit all seiner Banalität und all seinem verborgenen Reiz. Dabei ist den Waschsalons kaum anzusehen, wo sie sich befinden. Überall ähneln sie sich, mit ihren Fliesen, Waschmaschinen und Trocknern – und den Menschen, die alle mit Warten beschäftigt sind. Und damit, die Zeit irgendwie zu füllen, mit Essen und Trinken, Plaudern und Schlafen, mit dem allgegenwärtigen Blick auf das Smartphone, allein oder in Gesellschaft, mit Kind oder ohne. Manche wissen, dass sie im Visier einer Kamera stehen. Aber nicht, dass Big Brother eine Zeichnerin vom Jurasüdfuss ist, die einen verspielt kreativen Voyeurismus betreibt. Und die einiges, was sie nach dem Prinzip Zufall sieht, mit Buntstiften festhält. Kleine Gesten – darunter auch mal ein Mittelfinger zur Kamera hin oder ein Posieren in der Waschtrommel – und kleine Geschichten, bis hin zur kurzen Romanze, zu einem Kuss ohne Maske, weil gerade niemand hinsieht. Und plötzlich verwandeln diese Skizzen das Digitale zurück ins Analoge und dieses Buch in eine Galerie bunter Porträts von Momentaufnahmen des Alltäglichen, die flüchtig sind, aber vielleicht auch für immer als Schatten im Netz bleiben. CHRISTOPHER ZIMMER FOTO: ZVG

ebenfalls besuchen will. «Petrov’s Flu» ist ein 146 Minuten andauernder unwirklicher Zustand – als würde man nach einer Operation zu sich kommen und sich fragen, wie man nur an diesen seltsamen Ort gelangen konnte. Die Realität blitzt ab und zu zwischen Traumbildern auf und entgleitet wieder. Der Film blickt tief in die russische Volksseele. So taucht etwa das Gebiss des alten Mannes aus dem Bus immer wieder auf und entwickelt in Petrovs Fieberträumen ein Eigenleben. Als Traumbild wird Zahnverlust in der Tiefenpsychologie oft mit Verlustängsten in Verbindung gebracht. Und tatsächlich kann man sagen: Russland hat aus der Sicht der Figuren, die sich hier in die Sowjetzeiten zurücksehnen, seinen Biss verloren. Eine Haltung, die einen vor dem Hintergrund des tobenden Krieges in der Ukraine erschauern lässt. Kirill Serebrennikov war von 2012 bis 2021 künstlerischer Leiter des Gogol Center Moskau, Russlands führendem Avantgarde-Theater. 2017 wurde er der Veruntreuung von Geldern angeklagt, doch viele glauben, dass der systemkritische und schwule Künstler aus rein politischen Gründen zu Hausarrest und einer dreijährigen Bewährungsstrafe, verbunden mit einem Ausreiseverbot, verurteilt wurde. Heute lebt er in Deutschland. Und es zieht ihn auch weiterhin zu brisanten Stoffen: Sein neuester Film «Tchaikovsky’s Wife» thematisiert die Homosexualität des russischen Komponisten, dessen «Schwanensee» zu einem der bekanntesten Ballette der Welt gehört.

Selina Ursprung: Waschen und Falten. edition clandestin 2022 CHF 29.00

«Petrov’s Flu», Regie: Kirill Serebrennikov, mit Semyon Serzin, Chulpan Khamatova u.a. Schweiz, Frankreich, Russland, Deutschland, 2021, 146 Minuten. Der Film läuft ab 23. Juni im Kino. Surprise 527/22

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Fribourg Festival Belluard Bollwerk International, Mi, 23. Juni bis Sa, 2. Juli, Festivalzentrum Derrière-les-Remparts 14. belluard.ch

Das Festival Belluard versammelt hochkarätige Bühnenprojekte, die sich mit politischen, feministischen bis queeren Themen beschäftigen und über Identitätsformen im weitesten Sinn nachdenken. 26 Projekte sind diesmal dabei, ein Beispiel ist «Told by my Mother» des libanesischen Choreografen Ali Chahrour, eine Narration über Liebe und Gewalt. Das Stück wurzelt in seiner eigenen Familiengeschichte, bedient sich aber auch bei einer Vielzahl von Tragödien über die zerstörerische Kraft von Konflikten. Wie in einem Familienporträt, einem schmerzerfüllten Gesang oder in einem wiedergutmachenden Tanz nimmt sich das Stück der Lebenden an und singt Wiegenlieder für die Toten. Angeregt vom politischen, sozialen und religiösen Kontext Beiruts, wo er lebt und arbeitet, untersucht Chahrour die tiefe Verbindung von Tradition und Moderne. Die aus Martinique stammende Regisseurin Rébecca Chaillon wiederum geht von der Schwarzen Identität und dem Blick auf den Körper aus und verwebt ihre Themen zu einem Stück zwischen kompromissloser Performance, militantem Theater, afrofuturistischer Poesie, burleskem Quiz und befreiendem Zirkus. Mit Wucht und Bühnenpräsenz erzählt sie ausgeschwiegene Geschichten, denkt über die Kreolisierung nach, malt sich eine neue Zukunft aus und emanzipiert sich von der Gewalt, die der Rassismus geboren hat. DIF

Basel Bildrausch – Filmfest Basel, Mi, 22. bis So, 26. Juni, Festivalzentrum Stadtkino Basel, Klostergasse 5. bildrausch-basel.ch

Die niederländisch-peruanische Filmemacherin Heddy Honigmann hat Generationen von (Dokumentar-)Filmer*innen geprägt. Das Festival ehrt die soeben 70-jährig Verstorbene für ihr Lebenswerk – es steht für ein humanistisches

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Filmschaffen, das um die Kraft der Erinnerung und den unbedingten Lebenswillen kreist. Zu sehen sind vier von Honigmanns filmischen Meilensteinen aus den Jahren 1988 bis 1999: Sie spannen den Bogen von einer leidenschaftlichen Affäre in Amsterdam über das Schicksal eines alternden holländischen Paares in Neuschottland bis hin zu widerständigen Taxifahrern in Lima und den UN-Friedenstruppen auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt. Honigmanns Produzent*innen Suzanne van Voorst und Pieter van Huystee werden in Basel anwesend sein. Und im Fokus-Programm der neuen künstlerischen Leiterin Susanne Guggenberger geht es um Wunden wie um Wunder der menschlichen Existenz: In «Hot in Day, Cold at Night» folgen wir einem jungen Paar, das wegen fehlender Arbeit,

sich anhäufender Rechnungen und nicht mehr funktionierender Kreditkarten in Bedrängnis gerät. Der koreanische Film zeigt letztlich das Gesicht einer Gesellschaft, in der Teile der Bevölkerung zunehmend zurückgelassen werden. «Republic of Silence» der syrischen Filmemacherin Diana El Jeiroudi wiederum folgt den nonlinearen Spuren der Erinnerung, indem sie ihre Erzählung zwischen der Vorstellung eines erfüllten Lebens in Damaskus, der Familie, die in Syrien mit den brutalen Folgen des Kriegs unter Assad konfrontiert ist, und ihrem Leben im Berliner Exil pendeln lässt. DIF

Zürich «litafrika – Poesien eines Kontinents», bis So, 4. September, Di bis Fr, 12 bis 18 Uhr, Do bis 22 Uhr, Sa/So 11 bis 17 Uhr, Strauhof, Augus­tinergasse 9. strauhof.ch

Bern Kunstraum Zehendermätteli durchgehend und Literatursommerfest am Fr, 19. Aug., Reichenbachstrasse 161. zehendermaetteli-imglueck.ch jetztkunst.ch Dies hier ist kein White Cube. Für den Kunst­raum Zehendermätteli haben die Künstler*innen ortsspezifische Werke geschaffen oder dann bestehende Werke aus dem eigenen Fundus passend zum Ort platziert, und die Absicht dabei ist durchaus eine grösstmögliche Distanz zu institutionellen Rahmenbedingungen. Der Kunstraum ist 365 Tage im Jahr offen, unentgeltlich zugänglich – und er verändert sich laufend durch den Wechsel der Kunstschaffenden und der Jahreszeiten. Hier soll Kunst von jungen, aufstrebenden Künstler*innen gedeihen und solche von bereits etablierten weiterwachsen. Im August sogar mit Text und Musik: Am Literatursommerfest mit dabei sind Matto Kämpf, Pedro Lenz, Peter Bichsel und Wildi Blaatere, Fitzgerald & Rimini, Manuel Stahlberger und Cruise Ship Misery. DIF

Aargau/Lenzburg «Power Aargau», Energieprojekt, bis So, 3. Juli, Kanton Aargau und Stapferhaus Lenzburg, Bahnhofstrasse 49. poweraargau.ch Die Ausstellung im Strauhof spannt einen Bogen von postkolonialen Klassikern bis zur aktuellen Slamund Spoken-Word-Szene; Ausgangspunkt ist die monumentale Anthologie «Afrika im Gedicht», die der Schweizer Publizist Al Imfeld 2015 herausgegeben hat. Sie umfasst die Zeit von 1960 bis 2014 in mehr als 550 Gedichten aus allen Teilen Afrikas. Die Ausstellung im Strauhof inszeniert nun exemplarische Gedichte in den Originalsprachen und in deutscher Übersetzung, Dichter*innen geben Einblick in ihr Schaffen. Der europäische Blick auf den Kontinent ist ja nicht ganz unproblematisch. Er wird daher immer auch hinterfragt und Vermittlung und Rezeption im deutschen Sprachraum werden mit thematisiert. Die Ausstellungs­ trilogie entsteht im engen Dialog mit interkontinentalen Partner*innen; für den ersten Teil sind es Literaturschaffende von der Côte d’Ivoire, aus Ghana, Kenia und Südafrika. DIF

Das Thema Energie ist brisant. Es geht dabei um Klima, Sicherheit, Abhängigkeit, Wohlstand und um Politik, bis hin zu Krieg und Frieden. Die Aargauer*innen denken einen Monat lang intensiv über Energie nach, auch deshalb, weil ihre Wohngegend der Schweizer Enegiekanton schlechthin ist. Jede dritte Kilowattstunde, die in der Schweiz produziert wird, kommt von hier. Das Projekt Power Aargau stellt über 60 Audiogeschichten zum Thema Energie bereit, erst via Plakate im ganzen Kanton, danach weiterhin online. Sie machen sicht- und hörbar, wie und wo die Energie den Aargau und seine Bevölkerung prägt. Die Interviews mit Protagonist*innen aus dem ganzen Kanton entstanden in Zusammenarbeit mit Schulklassen. Zudem wird das Stapferhaus Lenzburg am 2./3. Juli zum Energiezentrum mit etlichen Veranstaltungen. Hier sprechen Expert*innen und die Bevölkerung über die Herausforderungen und Chancen, die uns allen bevorstehen. DIF

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BILD(1): MYRIAMBOULOS, BILD(2): HEDDYHONIGMANN, BILD(3): ZVG

Veranstaltungen


eine zu sehen, zwischen einem Laden namens «Zebra» und dem Restaurant «Falken». Angekündigt sind das Jazzfestival, der Tag der offenen Museen, das «Stars in Town Festival» und ein Slow-up Event, wie Velotouren auch genannt werden. Radfahren ist populär. Tätowierte Frauen stossen Vintage-Velos, die wahrscheinlich älter sind als ihre Besitzerinnen. Eine Gruppe Elektrofahrradtourist*innen trifft sich an einem der Brunnen. Ein Mann schiebt sein mit der maximal möglichen Anzahl Taschen bepacktes Velo vorbei, er ist auf einer mehrtägigen Velotour mit Zelt, Kocher und Proviant. Wenn nur die Route nicht gegen den Wind verläuft. Eine Gruppe älterer britischer Rennvelo­ fahrer taucht auf, wahrscheinlich führt hier die Route vom oder zum Rheinfall durch, den sich niemand entgehen las­sen kann.

Tour de Suisse

Pörtner in Schaffhausen Surprise-Standort: Manor Einwohner*innen: 36952 Sozialhilfequote in Prozent: 3,79 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 28,4 Anzahl Kühe im Kanton Schaffhausen: 2638

Das Problem der ausgestorbenen Innen­ stadt kennt man in Schaffhausen nicht. An diesem sonnigen, windigen Vormittag wird flaniert, was das Zeug hält. Läden und Cafés sind geöffnet. Eine elegante Dame gönnt sich ein vor­mit­täg­li­ch­es Bier, aber nicht das der Schweizer Gross­ brauerei, sondern das italienische. Das passt, weht doch ausser dem Wind auch ein Hauch von Italianità durch die his­ torischen Gassen. Im nicht echt italie­ nischen Café sitzen echt italienische Männer und rauchen. Ein kleiner Traktor karrt einen langen Stand mit italieni­ schem Gelato herbei, gleich dahinter be­ findet sich ein italienischer Speziali­ tätenladen. Als besonders lecker erweist sich dann aber kein italienischer, sondern ein mexikanischer Imbiss, gleich beim Bahnhof. Surprise 527/22

Ein Tourist studiert einen dieser kleinen Stadtpläne, die in Hotels und Tourismus­ büros verteilt werden. Zu hören sind neben dem lokalen Dialekt auch jener der angrenzenden Region Deutschlands und eine Menge anderer Sprachen. Eine kosmopolitische Kleinstadt. Neben den schön geschmückten Fassaden gibt es Brunnen, einen davon mit einem Namen, der wahrscheinlich in ab­ sehbarer Zeit geändert werden wird. Auch die Häuser tragen Namen, wie «Zum Riesen» oder «Zur kleinen Kante». An einem wird auf der Fassade des Bürger­ meisters gedacht, der dort gewohnt und an der Schlacht von Grandson teilgenommen hat. Lange her ist das. Von den modernen Fassadenbeschriftungen, auch als Sprayereien bekannt, ist nur

Offenbar verfügt die Altstadt über ein Stammpublikum. Die Leute, die auf den Bänken sitzen, grüssen solche, die vorbei gehen. An Ständen gibt es frisches Gemüse und Erdbeeren aus der Region zu kaufen. Wer bald einen Kinderwagen benötigt, kann sich hier einen Eindruck verschaffen, es kommen innert kurzer Zeit praktisch alle gängigen Modelle vorbei. Vor dem Reisebüro wird posiert, ohnehin wird viel auf Handys geschaut, telefo­ niert und Wege erkundet, was angesichts des Windes einfacher ist als mit dem Stadtplan. Beliebt ist auch die analoge Tafel, auf der die Sehenswürdigkeiten sowie die kulinarischen und kulturellen Highlights eingetragen sind. Dort treffen sich die Leute zum Rauchen, es sind Einheimische, die wissen, wo sie stehen. Ein grosser Lastwagen taucht auf und stört die Fussgängeridylle, der Chauffeur verschwindet und kehrt nicht zurück.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist. 27


IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit.

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Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist. 01

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02

Gemeinnützige Frauen Aarau

03

Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-Rüti

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Sterepi, Trubschachen

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TopPharm Apotheke Paradeplatz

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Ref. Kirche, Ittigen

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Stoll Immobilientreuhand AG, Winterthur

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Arbeitssicherheit Zehnder GmbH, Zürich

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Madlen Blösch, Geld & so, Basel

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Fontarocca Natursteine, Liestal

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Maya-Recordings, Oberstammheim

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tanjayoga.ch – Yoga in Lenzburg & Online

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Scherrer & Partner GmbH, Basel

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Brother (Schweiz) AG, Dättwil

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Breite-Apotheke, Basel

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Michael Lüthi Gartengestaltung, Rubigen

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Kaiser Software GmbH, Bern

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Cornelia Metz, Sozialarbeiterin, Chur

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AnyWeb AG, Zürich

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Farner’s Agrarhandel, Oberstammheim

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BODYALARM - time for a massage

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Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden

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WBG Siedlung Baumgarten, Bern

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unterwegs GmbH, Aarau

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Hedi Hauswirth Privatpflege Oetwil a.S.

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo

Einige unserer Verkäufer*innen leben fast ausschliesslich vom Heftverkauf und verzichten auf Sozialhilfe. Surprise bestärkt sie in ihrer Unabhängigkeit. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkäufer*innen zusätzliche Unterstützung. Sie erhalten ein Abonnement für den Nahverkehr, Ferienzuschlag und eine Grundausstattung an Verkaufskleidung. Zudem können bei finanziellen Notlagen aber auch für Gesundheits- oder Weiterbildungskosten weitere Unterstützungsbeiträge ausgerichtet werden. Die Programmteilnehmer*innen werden von den Sozialarbeiter*innen bei Surprise eng begleitet.

Eine von vielen Geschichten «Noch nie habe ich irgendwo länger gearbeitet als bei Surprise» sagt Roberto Vicini. Seit über 15 Jahren verkauft der 60-Jährige das Strassenmagazin in der Zürcher Innenstadt. Dabei nimmt er sich gerne Zeit für einen Schwatz und steckt seine Kundschaft mit seinem Lachen an. Er braucht nicht viel, lebt sehr bescheiden. Dennoch ist Roberto Vicini froh um die zusätzliche Unterstützung im SurPlus-Programm. Er ist viel mit dem ÖV unterwegs, um an seinen Verkaufsplatz zu kommen. «Obwohl es nur kurze Strecken sind, schlägt der Ticketpreis schnell auf mein kleines Budget». Neben dem Abonnement für den Nahverkehr erhält der Surprise-Verkäufer zudem 25 bezahlte Ferientage und ist bei Krankheit sozial abgesichert.

Weitere SurPlus-Geschichten lesen sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 21 Verkäufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

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Wir alle sind Surprise #523: Tabula Rasa

#522: Ukraine-Kommentare

«Trägt nicht zum Klimaschutz bei»

«Wäre dies alles nötig gewesen?»

Leider sind die Genossenschaften nicht immer Teil der Lösung, sondern oft Teil des Problems. Im Zürcher Kreis 4 plant die Genossenschaft GBMZ einen Ersatzneubau («Siedlung Stüdliweg») mit genau der Argumentation, die in Ihrem Artikel beschrieben wurde. Dafür soll die historische Blockrandbebauung mit dem höchsten Erhaltungsziel «A» abgerissen werden. Der bisherige begrünte Innenhof soll mit einem mehr als fünfstöckigen Hofgebäude zugebaut und zugepflastert werden – und die Stadt Zürich will das mit Hilfe einer Änderung der Bauzonenordnung ermöglichen! Ein ohnehin sehr dicht besiedeltes Gebiet und eingetragener «Hotspot» würde so nahezu komplett versiegelt; das letzte bisschen Grün weit und breit würde vernichtet. Das trägt nicht zum Klimaschutz bei, im Gegenteil. Zudem hat die Stadt vor, auf einen Mehrwertausgleich zu verzichten. Das heisst: Einen Nutzen dieses 85-Millionen-Projekts haben nur die Genossenschafter*innen der GBMZ. Die Steuerzahlenden gehen leer aus. Verdichtung soll der Erreichung unserer Klimaziele dienen. Sie sollte deshalb in Quartieren wie zum Beispiel dem früheren Industriegebiet im Kreis 5 stattfinden, wo sie sozialverträglich und ohne Abrisse und graue Energie möglich wäre. Statt Hochhäuser lässt die Stadt hier aber fünfstöckige Häuser bauen. Mangelnde Verdichtung im Kreis 5, dafür Vernichtung von Grünraum und klimaschädliche Verdichtung im Kreis 4 – das ist blanker Unsinn.

Ich möchte Ihnen für Ihre differenzierten und überaus empathischen Beiträge zum Ukraine-Krieg danken! Beide Kommentare sind wertvolle Beiträge zur Friedensbewegung und zur Sensibilisierung gegenüber von Nationalismus und Entwertung. Sie beide schaffen es, die Situation ohne Schuldzuweisungen zu analysieren und ein Zeichen für Menschlichkeit zu setzen. Als Mutter von zwei wehrpflichtigen Söhnen (der eine macht im Moment die Rekrutenschule) geht mir der Krieg sehr nahe und ich bin bestürzt, wie viele Menschen nicht eine diplomatische Friedenslösung als Ziel sehen, sondern die Idee haben, dass die Ukraine aufgerüstet werden muss und gewinnen kann und soll. Ich bin in Gedanken oft bei allen Müttern, welche ihre Söhne verlieren. Diese Tausende jungen Männer, welche einrücken müssen, andere umbringen müssen oder selbst umgebracht werden oder die versehrt nach Hause kommen und ihr Leben lang mit diesen schrecklichen Erinnerungen weiterleben müssen. Wäre dies alles wirklich nötig gewesen?

S. BONIN, Zürich

Die Redaktion

K. MET TLER, ohne Ort

Korrigendum In der Rubrik Aufgelesen auf Seite 5 der letzten Ausgabe hat sich ein Fehler eingeschlichen: Der zitierte Beitrag «Wem gehört Österreich?» entstammt nicht wie angegeben dem Strassenmagazin Bodo, sondern der Strassenzeitung 20er aus Tirol. Wir bitten um Nachsicht für dieses Versehen.

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 43 321 28 78 M+41 79 797 94 10 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Klaus Petrus (kp) Sara Winter Sayilir (win), Diana Frei (dif) Reporter*innen: Andres Eberhard (eba), Lea Stuber (lea) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

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Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Kathrin Heierli, Christoph Keller, Pär Ljung, Opak, Karin Pacozzi, Sandra Pandevski Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck AVD Goldach Papier Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach

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FOTO: PÄR LJUNG

Internationales Verkäufer*innen-Porträt

«Einen Tag nach dem anderen»

«Schon fast ein Jahr verkaufe ich nun Faktum. Auf die Idee gekommen bin ich dank eines anderen Verkäufers, Krister. Wir lernten uns vor vielen Jahren in einem Gemeindezentrum in Göteborg kennen, das Unterkunft und Essen anbietet sowie Projekte wie Töpfern, Mu­ sizieren und Basteln fördert. Ich war dort ehrenamtlich tätig, habe hinter der Theke gearbeitet und Sandwiches gemacht. Ursprünglich war das Haus für Men­ schen mit psychischen Problemen gedacht, inzwischen ist es aber für alle offen. Ich bin in Kungälv im Südwesten von Schweden auf­ gewachsen und hatte eine schöne Kindheit. Als ich jünger war, in den 1970er-Jahren, bin ich oft Radrennen gefahren. Ich trainierte neben der Schule sehr hart und habe auch ein paar Rennen gewonnen – eines in Skåne und eines in Göteborg. Aber in meinen Zwan­ zigern habe ich damit aufgehört, da wurde anderes wichtig: Ich lernte ein Mädchen kennen und zog zuerst nach Göteborg, dann nach Oslo. In der Innenstadt von Oslo hatte ich einen eigenen Laden, das war in den 1980er-Jahren. Ich verkaufte allerlei Schnickschnack, aber es lief nicht so gut. Am Ende musste ich einen Kredit aufnehmen, konnte aber mein Geschäft damit nicht retten. Also musste ich Konkurs anmelden und verschuldete mich. Von da an ging es langsam aber sicher abwärts. Ich war oft arbeitslos oder hatte nur kleine Jobs, mit denen ich mich kaum über Wasser halten konnte. Dann, im Jahr 2007, ist mir etwas Schlimmes zugesto­s­ sen. Auf dem Weg von der Kneipe nach Hause griffen mich zwei oder drei Leute an, schlugen mich zusam­ men und raubten mich aus. Ich war lange im Spital und musste viel Reha machen, weil ich meinen Gleichge­ wichtssinn verloren hatte. Jetzt ist alles wieder mehr oder weniger in Ordnung. Aber eine normale Arbeit – zum Beispiel im Büro oder in einem Unternehmen – kann ich trotzdem nicht machen. Heute bekomme ich eine Invalidenrente, das reicht nur knapp zum Überleben. Dank Faktum kann ich ein wenig Geld dazuverdienen. Ich versuche, an sechs Tagen in der Woche zu verkaufen. Den Sonntag mache ich in der Regel frei, denn diese Zeit brauche ich für mich. Nor­ malerweise arbeite ich drei bis vier Stunden pro Tag und verdiene dabei 100 Kronen pro Stunde, das sind etwa 10 Franken. 30

Lasse Andersson, 63, verkauft die schwedische Strassenzeitung Faktum in Olskroken und Göteborg und liebt Fernsehsendungen zu historischen Themen.

Meine Eltern und meine Schwester sind verstorben, aber ich habe noch Kontakt zu meinen drei Neffen. Einer von ihnen hat meinem Sohn geholfen, den Füh­ rerschein zu machen, was mich sehr gefreut hat. Mein Sohn heisst Dylan. Er ist 18 Jahre alt und spielt sehr gut Fussball. Er ist Stürmer bei der U18 von Häcken, das ist eine der besten Jugendmannschaften in ganz Schweden. Vor ein paar Wochen haben sie gegen Elfsborg gespielt, eine andere sehr gute Mannschaft, und er hat zwei Tore geschossen. Wenn ich Zeit habe, schaue ich ihm beim Spielen zu, so sehen wir uns. Er lebt bei meiner Ex-Frau. Wir verstehen uns sehr gut und sind immer noch befreundet. Das ist schön. Ich habe eine Mietwohnung im Zentrum von Göteborg, dort wohne ich schon seit 37 Jahren. Und dort möchte ich auch bleiben, solange es geht. Wenn ich zuhause bin, sehe ich viel fern: Nachrichten, Serien und vor allem Dokumentarfilme. Am liebsten mag ich Sendungen zu historischen Themen. Früher habe ich gerne gelesen, doch heute fehlt mir die Geduld dafür und ich langweile mich schnell. Ich möchte meine Zeit nicht vergeuden, sondern lieber etwas tun, das mir etwas bringt – zum Beispiel der Verkauf von Faktum. Ich mag die Orte, an denen ich das Heft anbiete, und ich habe gute Stamm­ kund*innen, mit denen ich mich auch unterhalten kann. Ich hoffe, dass ich das noch lange tun kann. Erwartungen ans Leben habe ich kaum. Ich nehme einen Tag nach dem anderen. Aufgezeichnet von SANDR A PANDEVSKI Übersetzt von KL AUS PETRUS Mit freundlicher Genehmigung von FAK TUM / INSP.NGO

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TITO

VOM OBDACHLOSEN ZUM STADTFÜHRER Eine Podcastserie von Surprise in fünf Teilen Episode 1

Episode 4

ABSTURZ

KOMPLIMENT

Episode 2

Episode 5

AUFSTIEG

PREMIERE

Episode 3

CHEFIN

JETZT N ÖRE REINH

Auf Spotify, Apple Podcasts und www.surprise.ngo/tito

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Kultur Kultur Kultur

Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste

STRASSENSTRASSENCHOR STRASSENCHOR CHOR

CAFÉ CAFÉ SURPRISE CAFÉ SURPRISE SURPRISE

Lebensfreude Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Entlastung Sozialwerke Entlastung Sozialwerke Sozialwerke

BEGLEITUNG BEGLEITUNG UND BEGLEITUNG UND BERATUNG UND BERATUNG BERATUNG

Unterstützung Unterstützung Unterstützung Job Job Job

STRASSENSTRASSENMAGAZIN STRASSENMAGAZIN MAGAZIN Information Information Information

SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT

ZugehörigkeitsZugehörigkeitsgefühl Zugehörigkeitsgefühl gefühl EntwicklungsEntwicklungsmöglichkeiten Entwicklungsmöglichkeiten möglichkeiten

STRASSENSTRASSENFUSSBALL STRASSENFUSSBALL FUSSBALL

Expertenrolle Expertenrolle Expertenrolle SOZIALE SOZIALE STADTRUNDSOZIALE STADTRUNDGÄNGE STADTRUNDGÄNGE GÄNGE PerspektivenPerspektivenwechsel Perspektivenwechsel wechsel

Surprise Surprise unterstützt unterstützt seit seit 1998 1998 sozial sozial benachteiligte benachteiligte Menschen Menschen in in der der Schweiz. Schweiz. Unser Unser Angebot Angebot wirkt wirkt in in doppelter doppelter Hinsicht Hinsicht – – auf auf den den armutsbetroffenen armutsbetroffenen Menschen Menschen und auf auf die Gesellschaft. Gesellschaft. Wir Wir arbeiten arbeiten nicht nicht gewinnorientiert, gewinnorientiert, finanzieren finanzieren uns uns ohne ohne staatliche staatliche Gelder und und sind sind auf auf Spenden Spenden und Fördergelder Fördergelder angewiesen. angewiesen. Spenden Spenden auch Sie. und Surprisedie unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot Gelder wirkt in doppelter Hinsicht – und auf den armutsbetroffenen Menschen auch Sie. surprise.ngo/spenden || Spendenkonto: Spendenkonto: PC PC 12-551455-3 12-551455-3 || IBAN IBAN CH11 CH11 0900 0900 0000 0000 1255 1255 1455 1455 3 3 surprise.ngo/spenden und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

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Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise


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