GISAlab: Geteilte (in)Kompetenzen

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Geteilte (in)Kompetenzen 01.07.2021 – 29.08.2021 Graz Museum Gotische Halle


Wenn sich die Kompetenten und Inkompetenten begegnen. Oder: Wenn die Wissenschaft auf Kunst trifft. Erfahrungsgemäß studiert nur ein kleiner Teil eines Maturajahrganges ein technisches oder naturwissenschaftliches Fach. Unter den Mädchen ist der Prozentsatz dann noch geringer. Vor allem in technischen und techniknahen Branchen macht sich der Fachkräftemangel längst bemerkbar und qualifizierter Nachwuchs wird gesucht. Die Allgegenwärtigkeit von Technik in unserem Alltag ist ein weiterer Grund, sich stärker in technischen Berufen zu engagieren. Frauen nutzen Technik ebenso wie Männer, wirken an ihrer Gestaltung aber immer noch zu wenig mit. Hier liegt für Mädchen und junge Frauen, ein breites Potenzial, das bisher ungenutzt geblieben ist. Da sich die Stadt Graz als Ort der Forschung und Innovation entwickelt und weiter entwickeln möchte, ist es unverzichtbar, Frauen bzw. junge Mädchen in diese Bereiche intensiver einzubeziehen. Diverse Quellen der Kreativität sollen sich mit den Elementen der Wissenschaft und Technik bzw. der Neuen Technologien verbinden. Das Projekt „Geteilte (in)Kompetenzen“ versucht eine offe2

ne Struktur zu generieren, die kollektive kreative Prozesse pflegt und das Vernetzen von Frauen, Wissen und Institutionen aus den breiten Bereichen der Wissenschaft und Technik unterstützt. Eine Umgebung, die aber auch Platz für das „unqualifizierte Wissen“ und für „Nicht-Expert_innen“ bietet, welche vor allem in der Wissensvermittlung eingesetzt werden sollen. Dafür wurden Kunstschaffende engagiert, die auf das Thema bezogen in ihrer Rolle als Workshopleiter_innen bzw. Vermittler_innen für die Sensibilisierung aller Beteiligten sorgten. Die Idee dieses Projektes bestand darin, einen Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen und auch Inkompetenzen zu initiieren. Es sollte ein Begegnungsfeld mit Künstler_innen, Technikerinnen und Schülerinnen geschaffen werden, ohne vorab einem bestimmten Ziel dienen zu müssen. Das Projekt wurde in drei Phasen realisiert. Zuerst wurden die Inkompetenzen benannt und aufgezeigt, diese dann mit kompetenten Personen geteilt. Der Fokus lag dabei nicht auf akademischen Methoden und Disziplinen, sondern vielmehr auf dem Anliegen, den Beobachtungen, Fähigkeiten, der Neugierde und Selbstreflexion, der Verwirrung und Ungewissheit.


In der ersten Phase widmete sich das Projekt dem Thema Luftverschmutzung in der Stadt. Dieses wurde in Form von Workshops, von Künstler Niki Passath und Künstlerin Ulla Rauter mit Schulmädchen im Alter zwischen 9 und 16 Jahren realisiert. Von einer Hands-on-Mentalität ausgehend, haben sie gemeinsam mit Schülerinnen aus Graz Objekte geschaffen, die hier im Raum zu Schau gestellt sind. In der zweiten Phase des Projektes führte das Künstlerduo „diSTRUKTURA“ Interviews mit Frauen aus Graz, die in einem internationalen Technologieunternehmen als Technikerinnen tätig sind. Das Duo „diSTRUKTURA“ befragte sie über die Schwierigkeiten, Chancen und Herausforderungen, die sie als Frauen, in einer noch immer männerdominierten Technikwelt haben. Anhand der Interviews wurden von 16-jährigen Schülerinnen jene Spazierrouten in der Stadt Graz erstellt, die jeweils einer der interviewten Technikerinnen gewidmet sind. Die Schülerinnen haben beim Gehen dieser Routen ihr eigenes Videomaterial erstellt, welches nachher mit den Interviews kombiniert wurde und in der Ausstellung zu sehen ist. Der dritte Teil des Projektes ist einem Austausch zwischen Kompetenten und Inkompetenten aus dem Bereich Kunst und Wissen-

schaft gewidmet. Die Künstlerin Tanja Vujinović beschäftigt sich mit der Frage, wie ein Garten der Zukunft ausschauen könnte. Doch ihre Kunstproduktion ist nicht Ergebnis einer einzigen Künstlerin, die Interesse an den neuesten naturwissenschaftlichen Errungenschaften hat. Es haben auch umgekehrt Naturwissenschaftler_innen und Techniker_innen mitgewirkt, ein Kunstwerk zu erzeugen. Sie forschten gemeinsam, verwendeten dabei unterschiedliche Werkzeuge und Methoden, verändern die Maßstäbe des Experiments in zeitgenössischer Kunst und Wissenschaft, eichten und justieren Kunst und Wissenschaft miteinander neu in ihrer Rolle als Gestalter von Erfahrungen. Das Projekt „Geteilte (in)Kompetenzen“ kann als ein Experiment verstanden werden, als ein Versuch, die Querverbindungen herzustellen und die Besucher_innen dazu zu bewegen, die Welt, in der wir leben neu zu denken. Es soll zwar von einem Punkt ausgehend möglich sein, nach mehreren Seiten und in verschiedenen Richtungen zu gehen, es mögen aber dann doch alle Wege zusammenzuführen, die gleichermaßen teils von der wissenschaftlichen oder technischen oder künstlerischen Seite kommen. Mirjana Peitler (Kuratorin) 3


Upcycling Sound Ulla Rauter (Österreich) ...mit Ajla Pehlić(15), Ilajda Mehić (9), Lara Kremenović (12), Leandra Feist (12) Das Projekt Upcycling Sound lenkt die Aufmerksamkeit auf jene Geräusche, die als Nebenprodukte und Begleiterscheinungen der Luftverschmutzung entstehen und verwendet sie als Ausgangsmaterial für eine akustische Transformation des Ortes. Die Ausgangsgeräusche werden dabei in Echtzeit durch verschiedene Filter und digitale Klangprozesse geschickt und so in ähnliche, aber positiv empfundene Klänge verwandelt. So wird z.B. Verkehrslärm vorbeirauschender Autos - die dominanteste akustische Begleiterscheinung der Luftverschmutzung in der Stadt - in Meeresrauschen umgewandelt. Tragbare Kästchen mit Kurbeldynamos machen die Stadt so durch Kopfhörer auf eine neue Art wahrnehmbar. Der veränderte Klang macht die Umgebung zur akustischen Utopie, ohne die Problematik selbst auszublenden. Im Workshop machten wir uns mit Mikrofonen und Aufnahmegerä4

ten auf die Suche nach Luftverschmutzungsgeräuschen in der Umgebung bzw. in der Grazer Innenstadt. Mit dem aufgenommenen Material experimentierten wir in der Open-Source-Software Pure Data. Anhand von Filtern und Effekten veränderten die Teilnehmerinnen den Charakter der Klänge nach ihren eigenen Ideen und Vorstellungen. Das Ganze wurde dann auf den Einplatinencomputern Raspberry Pi in Holzkästchen eingebaut und kann mit einem Kurbeldynamo hörbar gemacht werden. Schließt man die Augen und dreht an der Kurbel des Klangtransformators, dann wird aus dem Rauschen des Verkehrs einer stark befahrenen Straße das Rauschen brechender Wellen und aus Autohupen Walgesänge.


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Bestiarium Niki Passath (Österreich) …mit Ajla Alihodzić (15), Ena Šoše (13), Esma Ahmić (10), Eva (15), Hanna Akmadžić (11), Helena Raffel (12), Lana Balić (14), Lara Stradner (11), Lara Kremenović (12), Laura Ćertić (12), Leandra Feist (12), Lia (15), Lina (10), Marina (10), Nina Grassl (9), Sajra Redžepović (11), Sonja Hecher (13), Tara Kovacević (16) Auf der mechanischen und formalen Grundlage des Kunstprojektes „theatrum mundi“ wurden von den Workshopteilnehmerinnen (Schulmädchen neun bis 16 Jahre) im Rahmen unseres Vorhabens 15 bis 20 kinetisch-robotische Figuren erschaffen. Unser Projekt basiert auf der Grundidee sich mit der Luftverschmutzung von Graz auseinanderzusetzten. Die kleinen, mit Sensoren bestückten kinetischen Objekte (zwischen 20 und 40 Zentimeter hoch) sollen ihr Verhalten und ihre Bewegungen anhand der gemessenen Luftverschmutzung so ändern, dass die Qualität der Luft von diesen Bewegungen abgelesen werden kann. 6

Jede Figur wird von einem Motor bewegt, welcher über unterschiedliche Übersetzungen und Untersetzungen von Zahnrädern (in Verbindung mit Stäben) das entsprechende Bewegungsmuster erzeugt. Schlechte Luftqualität erzeugt schnelle, hektische Bewegungen, gute Luftqualität, langsame kontemplative Bewegungen.


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She In Tech diSTRUKTURA (Serbien) …mit Emelie Höbl (16), Kerstin Wielitsch (16), Kristina Cvetković (16), Maja Wastl (16), Marie Paikos (17), Matea Marić (15), Munirah Aliyu(16), Yana Ellmerer(16) Überblick & Zweck Im Rahmen des Projekts „She in Tech“ haben wir die Stellung von Frauen in der Welt der technischen Wissenschaften und des Ingenieurwesens erforscht. Obwohl es immer mehr Frauen gibt, die sich für ein Studium und eine Tätigkeit in diesen Bereichen interessieren, ist dieses Feld immer noch von Männern dominiert.

und Sigrid erzählen, wieso sie sich für diesen Bereich interessieren. Sie berichten von ihrem Werdegang in der Welt der Technik. Aus den Interviews stechen insbesondere zwei Problemaspekte hervor, der Gender Pay-Gap und der Mangel an Vorbildern.

Gemeinsam mit Frauen der Firma „Infineon Technologies“ in Graz haben wir nach den Gründen und Motiven für diese Ungleichheit und nach möglichen Lösungen gesucht. Ideen, die bei jungen Mädchen das Interesse an technischen Wissenschaften steigern könnten.

Um das Problem der Vorbilder zu thematisieren, wurden acht sechzehnjährige Schülerinnen des Lichtenfels-Gymnasiums in Graz eingeladen, an einem Workshop teilzunehmen. Wir haben ihnen die am Projekt beteiligten Ingenieurinnen als Vorbilder angeboten. Es ging darum, ihre in Interviews erzählten Geschichten mit dem Mitteln der Psychogeographie in die Stadt Graz einzuschreiben.

Vorgangsweise Zu diesem Zweck führten wir Interviews mit acht Frauen, die von ihren Erfahrungen als Ingenieurinnen berichten. Adelina, Daniela, Diana, Hui, Nerma, Preeti, Rabia

Durch das psychogeographische Experiment erstellten sie Routen durch die Stadt, die den Frauen und ihren Geschichten folgten. Ihre Aufgabe war es, eine Route von ihrem Zuhause zum Lieblings-

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ort der interviewten Technikerin herzustellen, ihren Spaziergang aufzuzeichnen, ihre Gedanken mitzuteilen und uns diese Videos zukommen zu lassen. Das wurde in die Videoinstallation eingebaut. Damit stiegen die Schülerinnen zu Koautorinnen und Kooperationspartnerinnen in einem künstlerischen Projekt auf; eventuell durch die Frauenvorbilder inspiriert, eine technische, oder wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen.

Ergebnis In dieser Ausstellung präsentieren wir die Geschichten der InfineonMitarbeiterinnen und die Videos, die während des Workshops entstanden sind. Sie sind in die Form einer Audio-Video-Installation gebracht, welche eine multimediale Kulisse darstellt, die auch Stadtpläne mit Wegen enthält, welche während des Workshops entstanden sind. 9


MetaGarden Sphere3 Island Tanja Vujinović (Slowenien) Das Werk ist eine Einheit und ist Teil des MetaGarden-Zyklus. Es ist eine Einladung, über die Ökologie der Welt und die Netzwerke, denen wir angehören, nachzudenken. Die Elemente der Installation – Brunnen, verschiedene Materialien und synthetische Pflanzen als Instrumente – sind von der Wissenschaft über nanostrukturierten Materialien inspiriert, der künstlichen Intelligenz und der Plasmaphysik. Einige Objekte innerhalb der Installation enthalten auf Titanplatten gewachsene Nanoröhren, die als schützende Grenze dienen, welche die Luft filtert. Eine der synthetischen Pflanzen basiert auf der Erforschung der Auswirkungen bestimmter Schallwellenlängen auf das menschliche Gehirn sowie auf unsere Stimmungen, Emotionen, auf unser Wohlbefinden. Sie fängt die Stimmen der Galeriebesucher ein, analysiert sie mit 10

einem trainierten tief-neuronalen Netzwerk und erzeugt einen monosphärischen Klang, der die Besucher subtil beeinflusst. Das Wasser innerhalb des zentralen Brunnens wird durch Plasma konditioniert (genau wie das Wasser, das von Blitzen getroffen wurde); es ist Wasser, dessen Chemie verändert wurde. Solche Prozesse könnten in der Natur Veränderungen des „Schmetterlingseffekts“ hervorrufen, die sich weiterhin durch unsere gesamten Ökosysteme ausbreiten. Ausgehend von der Bionik und dem Internet der Dinge wandeln die einzelnen Einheiten innerhalb der Anlage die Schwingungen in andere Energie- und Datenarten um und beeinflussen so ihre Umgebung. MetaGarden ist eine imaginär-reale Welt, die sowohl im virtuellen als auch im realen Raum existiert. Es ist in verwandte Sphären unterteilt. Der konzeptionelle Rahmen des Gartens erlaubt uns


auch, über die aktuellen Netzwerke nachzudenken, denen wir angehören. Sie scheinen oft auf den Grundlagen des sozialen Wohlergehens und der Fürsorge aufgebaut zu sein, doch diese schaden uns manchmal gleichzeitig und bedrohen unsere Privatsphäre sowie unsere existenzielle Handlungsfähigkeit. Spekulationen über die Systeme, an denen wir in Zukunft beteiligt sein werden, sind interessant, doch unsere Realität bietet viele uns noch unbekannte Richtungen unserer zukünftigen Entwicklung. Innerhalb von Gärten schmieden sich Verbindungen zwischen dem Organischen und dem Nichtorganischen. Im Laufe der Geschichte

erscheint der Garten als geschützte Umgebung, taucht immer wieder als besonderer Ort der Erholung und des Kontakts mit der Natur auf. In MetaGarden stellt sich die Frage: Wie werden unsere zukünftigen Gärten aussehen? Credits Sand, plasma-treated water, electronics, plexiglass, metals, 3D prints, LED lights, titanium substrate plates. 3D modelling: Tanja Vujinović Executive production: Tanja Vujinović, Jan Kušej Sound: LUZ1E, weitere Credits auf der Projekt-Website.

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Geteilte (in)Kompetenzen Ein Projekt des Girls_In_Science_and_Art_Labor Kontakt +43 650 46-32-141 info@gisalab.at www.gisalab.at Idee und Leitung: Mirjana Peitler Ausstellungsgrafik: Clemens Wihlidal Booklet: Der Krusche (kunstost.at) Umsetzung in Kooperation mit Graz Kulturjahr 2020 www.kulturjahr2020.at Zu Gast im GrazMuseum www.grazmuseum.at/ Mit einer Station im esc medien kunst labor https://esc.mur.at

Impressum 2021, GISAlab Mirjana Peitler, 8010 Graz Im Web unter www.gisalab.at Im Rahmen von Graz Kulturjahr 2020

GISAlab bedankt sich bei allen Schülerinnen, bei Prof. Josef Pichlbauer (BG/BRG Lichtenfels), bei Reni Hofmüller und beim Verein „esc medien kunst labor“ für die gute Zusammenarbeit in der Abwicklung der Workshops.


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