IPPNW-Report „Gesundheitliche Folgen von Abschiebung“

Page 59

DIE GESUNDHEITLICHEN FOLGEN VON ABSCHIEBUNGEN

9. Im Einsatz gegen Abschiebung: Bilanz einer Sozialarbeiterin

Liebe Kolleg*innen, ich berichte hier von einem Fall, der mich in den letzten Monaten und bis heute beschäftigt, der mich an meine Grenzen gebracht, aber auch viel gelehrt hat. Ich arbeite als Sozialarbeiterin auf einer allgemeinpsychiatrischen Station mit einer Behandlungseinheit für Frauen mit psychischen Krisen in Schwangerschaft und Stillzeit. Frau R., Anfang zwanzig wurde von ihrem Mann ins Krankenhaus gebracht, da sich ihre seit langer Zeit bestehenden Symptome in den Wochen zuvor massiv verschlimmert hatten. Sie war im 5. Schwangerschaftsmonat. Zur Symptomatik gehörten massive Ängste, Albträume, dissoziative Zustände, Phoneme wie imperative Stimmen und Schatten, Suizidgedanken. Wir diagnostizierten und behandelten im Verlauf eine Posttraumatische Belastungsstörung und depressive Episode.

Lage, sich um Alltag, Organisatorisches und Versorgung des Kindes ausreichend zu kümmern. Letztendlich blieb sie bis einige Wochen nach der Geburt mit ihrer Tochter bei uns und wurde nach insgesamt sechs Monaten Behandlung in eine Mutter-Kind-Einrichtung entlassen. In der sozialarbeiterischen Begleitung des Falles erlebte ich eine große Bandbreite an Unterstützung, aber auch Ablehnung und vor allem Überforderung aus dem System. Der Anwalt des Paares war nur teilweise unterstützend. Auch ein Anwalt aus Schweden konnte nicht viel ausrichten. Eine engagierte Sozialarbeiterin erklärte sich bereit, eine Petition zu starten, die von verschiedenen Einzelpersonen und Gruppen verbreitet und von ermutigend vielen Personen unterschrieben wurde. Zwar wurde über den Fall bisher in den Petitionsaus-

In der sozialarbeiterischen Begleitung des Falles erlebte ich eine große Bandbreite an Unterstützung, aber auch Ablehnung und vor allem Überforderung aus dem System.“ Nach wenigen Wochen der Behandlung wurde der Mann der Patientin in der Nacht aus der Asylunterkunft nach Schweden abgeschoben, woraufhin die Patientin erneut in eine schwere Krise geriet. Die Abschiebung des Ehemannes hatte zudem die Konsequenz, dass die Patientin und ihr Ungeborenes ohne Versorgung und Unterstützung blieben. Die Patientin ist nicht in der

schüssen nicht positiv entschieden, aber die dadurch entstandene Zusammenfassung des Falls und Öffentlichkeit bewirkte, dass sich verschiedene Unterstützer*innen meldeten. Zum Beispiel nahm eine Bundestagsabgeordnete Kontakt zu uns auf, die den Fall beim BAMF kritisch hinterfragte. Verschiedene Jurist*innen stellten sich zur Verfügung, bei rechtlichen Fragen zu unterstützen und eine unabhängige Beratung für Geflüchtete nahm sich ebenso dem Fall an. Im Endeffekt ging es weniger 59


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.