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Im Einsatz gegen Abschiebung: Bilanz einer Sozialarbeiterin

9. Im Einsatz gegen Abschiebung: Bilanz einer Sozialarbeiterin

Liebe Kolleg*innen,

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ich berichte hier von einem Fall, der mich in den letzten Monaten und bis heute beschäftigt, der mich an meine Grenzen gebracht, aber auch viel gelehrt hat.

Ich arbeite als Sozialarbeiterin auf einer allgemeinpsychiatrischen Station mit einer Behandlungseinheit für Frauen mit psychischen Krisen in Schwangerschaft und Stillzeit.

Frau R., Anfang zwanzig wurde von ihrem Mann ins Krankenhaus gebracht, da sich ihre seit langer Zeit bestehenden Symptome in den Wochen zuvor massiv verschlimmert hatten. Sie war im 5. Schwangerschaftsmonat. Zur Symptomatik gehörten massive Ängste, Albträume, dissoziative Zustände, Phoneme wie imperative Stimmen und Schatten, Suizidgedanken. Wir diagnostizierten und behandelten im Verlauf eine Posttraumatische Belastungsstörung und depressive Episode. Nach wenigen Wochen der Behandlung wurde der Mann der Patientin in der Nacht aus der Asylunterkunft nach Schweden abgeschoben, woraufhin die Patientin erneut in eine schwere Krise geriet. Die Abschiebung des Ehemannes hatte zudem die Konsequenz, dass die Patientin und ihr Ungeborenes ohne Versorgung und Unterstützung blieben. Die Patientin ist nicht in der Lage, sich um Alltag, Organisatorisches und Versorgung des Kindes ausreichend zu kümmern. Letztendlich blieb sie bis einige Wochen nach der Geburt mit ihrer Tochter bei uns und wurde nach insgesamt sechs Monaten Behandlung in eine Mutter-Kind-Einrichtung entlassen.

In der sozialarbeiterischen Begleitung des Falles erlebte ich eine große Bandbreite an Unterstützung, aber auch Ablehnung und vor allem Überforderung aus dem System.

Der Anwalt des Paares war nur teilweise unterstützend. Auch ein Anwalt aus Schweden konnte nicht viel ausrichten. Eine engagierte Sozialarbeiterin erklärte sich bereit, eine Petition zu starten, die von verschiedenen Einzelpersonen und Gruppen verbreitet und von ermutigend vielen Personen unterschrieben

In der sozialarbeiterischen Begleitung des Falles erlebte ich eine große Bandbreite an Unterstützung, aber auch Ablehnung und vor allem Überforderung aus dem System.“

wurde. Zwar wurde über den Fall bisher in den Petitionsausschüssen nicht positiv entschieden, aber die dadurch entstandene Zusammenfassung des Falls und Öffentlichkeit bewirkte, dass sich verschiedene Unterstützer*innen meldeten. Zum Beispiel nahm eine Bundestagsabgeordnete Kontakt zu uns auf, die den Fall beim BAMF kritisch hinterfragte. Verschiedene Jurist*innen stellten sich zur Verfügung, bei rechtlichen Fragen zu unterstützen und eine unabhängige Beratung für Geflüchtete nahm sich ebenso dem Fall an. Im Endeffekt ging es weniger

darum, dass wir die Petition gewinnbringend irgendwo eingereicht haben, sondern wir erreichten viel symbolträchtigen und praktischen Support und Vernetzung mit anderen Akteur*innen.

Zwar ist der Mann unserer Patientin noch in Schweden, wurde aber bisher dank dem Engagement einer schwedischen Aktivist*innengruppe noch nicht weiter nach Afghanistan abgeschoben. Das Verfahren beim BAMF läuft weiterhin.

Für mich als Sozialarbeiterin war die Unterstützung durch und Abstimmung mit erfahrenen Kolleg*innen und Jurist*innen aus dem Bereich sehr hilfreich und das Engagement ermutigend und motivierend.

Ein weiteres Problem zeigte sich in der Versorgung von Mutter und Kind. Aufgrund der Symptomatik und der Schilderungen von Patientin und Ehemann sowie den Mitarbeiter*innen der Asylunterkunft, wurde uns schnell klar, dass eine Entlassung zurück in diese Unterkunft mit selbständiger Versorgung des Säuglings, zudem ohne die Unterstützung des Ehemannes, nicht möglich war. Ich stieß jedoch zunächst auf große Zurückhaltung aus dem Hilfesystem. Die Anfragen beim Jugendamt mit Bitte um Unterstützung bei der Organisation einer passenden Hilfe wurden zunächst von Schreibtisch zu Schreibtisch geschoben. Dann wurde versucht, den Fall dem Bereich Eingliederungshilfe und somit in die Zuständigkeit des LAF zuzuordnen. Nach einigem Nachdruck kam es schließlich zu einer Helfer*innenkonferenz. Dort wurde relativ schnell klar, dass eine Mutter-Kind-Einrichtung nötig war. Eine geeignete Einrichtung zu finden, die sich den Fall zutraute, wurde zum nächsten Problem. Aufgrund des Traumahintergrunds und der Sprachbarriere trauten sich verschiedene Träger die Hilfe nicht zu. Das Jugendamt tat sich schwer mit der Kostenübernahme für Dolmetscher*innen, was jedoch dringend notwendig war. Bis ein geeigneter Platz gefunden wurde, war das Kind bereits geboren. In der Mutter-Kind-Einrichtung scheinen die Patientin und ihre Tochter nun gut aufgehoben zu sein.

Als weiterer deutlich unterstützender Faktor zeigte sich eine rechtliche Betreuung, welche wir aufgrund der zahlreichen Behördenangelegenheiten beantragten. Die Betreuerin war sehr engagiert und entlastend! Auch die „Frühen Hilfen“ halfen mit Recherchen und praktischen Tipps.

Ich wage zum Ende meines Berichts eine Einschätzung dazu, wie derartige Fälle nicht nur die Betroffenen und die Helfer*innen, sondern auch das Sozialsystem belasten: Mit der Unterstützung ihres Ehemannes und ohne durch seine Abschiebung zusätzlich destabilisiert zu werden, wären eine so lange Behandlung und so teure 24h-Betreuung nicht notwendig gewesen.

Zum Ende möchte ich euch Mut machen: Auch wenn man manchmal das Gefühl hat allein dazustehen, sich nicht genug auszukennen und nicht genug tun zu können – es gibt oft Wege und vor allem ein riesiges Netzwerk an Unterstützer*innen.