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Klage auf Gesundheitsversorgung

Patient ohne Aufenthaltsstatus klagt auf Zugang zum Gesundheitssystem

Gemeinsam mit einem Mann aus dem Kosovo gehen Ärzte der Welt und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Sachen Zugang zu Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere neue Wege: Im Mai 2022 reichten sie eine strategische Klage auf eine Gesundheitsversorgung für Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus beim Verwaltungsgericht Frankfurt ein. Ziel ist es, die Meldepflicht im Gesundheitswesen zu kippen.

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Der 44-jährige, schwer herzkranke Kläger stammt aus dem Kosovo und kam 1997 als Kriegsflüchtling nach Deutschland. Wie die Frankfurter Rundschau berichtete, wurde er 2017 nach 20 Jahren in den Kosovo abgeschoben, weil er nach einem Umzug versäumt hatte, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Um wieder nach Deutschland zurückzukehren, blieb ihm nur die irreguläre Einreise. Seitdem ist er de facto von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Als er einen Herzinfarkt erlitt, erhielt er im Krankenhaus eine Privatrechnung von 5.800 Euro, die er nach und nach abzuzahlen versucht. Medikamente, Kontrolluntersuchungen und eine womöglich nötige zweite Operation – all das bleibt ihm faktisch verwehrt. Denn um zu einem Arzt oder einer Ärztin gehen zu können, braucht er einen Behandlungsschein vom Sozialamt, das wiederum laut Paragraf 87 des Aufenthaltsgesetztes verpflichtet ist, seine Daten an die Ausländerbehörde zu übermitteln.

Ich lebe und arbeite seit dreißig Jahren in Deutschland und bin schwer herzkrank. Ich möchte ohne Angst vor Abschiebung einen Behandlungsschein beim Sozialamt beantragen – damit ich zum Kardiologen oder ins Krankenhaus gehen kann. Dafür klage ich vor Gericht“, so der Kläger gegenüber der Presse.

„Das Recht auf eine medizinische Grundversorgung ist Ausdruck der Menschenwürde und steht allen Menschen zu – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Es ist ein Armutszeugnis für Deutschland, dass Schwerkranke, Schwangere und Kinder hier faktisch nicht zum Arzt gehen können, wenn sie keinen Aufenthaltstitel haben“, sagt Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin der GFF gegenüber der Presse. Vermutlich leben hunderttausende Menschen ohne Papiere in Deutschland. Die Meldepflicht im Gesundheitswesen ist in Europa einzigartig – und laut der Gesellschaft für Freiheitsrechte auch verfassungswidrig, weil sie die Menschenwürde einschränke. Gleich zwei Grundrechte würden verletzt: das Recht auf Gesundheitsversorgung und auch das Recht

auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten. „Die Sozialämter nehmen die Daten zum Zweck der Gesundheitsversorgung auf, die Ausländerbehörde soll damit aber unerlaubte Aufenthalte aufdecken und Abschiebungen ermöglichen. Diese Zwecke widersprechen sich. Darüber hinaus wird das Ziel der Übermittlungspflicht, irreguläre Aufenthalte aufzudecken, nicht erreicht, weil die Betroffenen abgeschreckt werden und sich erst gar nicht ans Sozialamt wenden“, schreiben Ärzte der Welt und GFF.

Gegen diese Übermittlungspflicht richtet sich die Klage. Kurzfristiges Ziel des Eilantrags ist es, dass das Verwaltungsgericht der Sozialbehörde untersagt, die Daten des Klägers an die Ausländerbehörde zu übermitteln. Die Klage zielt langfristig aber darauf ab, die aufenthaltsrechtliche Meldepflicht vom Bundesverfassungsgericht grundlegend überprüfen zu lassen. Die IPPNW ist Teil des Kampagnenbündnisses „GleichBeHandeln“, das die Abschaffung der Meldepflicht zum Ziel hat, und von Ärzte der Welt koordiniert wird. Letztes Jahr konnte die Kampagne erreichen, dass die Überarbeitung des Paragraphen 87 in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen wurde. Doch passiert ist bisher nichts. Daher begrüßt die IPPNW diesen wichtigen juristischen Schritt umso mehr.

„Wir erleben immer wieder, wie die Angst vor einer Abschiebung zur Chronifizierung von Erkrankungen und zu Zeitverzug bei dringend benötigten Therapien führt“, erklärt Carlotta Conrad (IPPNW). Die vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärzt*in und Patient*in dürfe niemals durch staatliche Eingriffe gestört werden. „Das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung muss endlich für alle Menschen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gelten.“

Weitere Infos: gleichbehandeln.de

Anne Jurema ist Referentin für soziale Verantwortung bei der IPPNW.