Forum 170/2022 – Das Magazin der IPPNW

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IPPNW-STUDIERENDE ORGANISIERTEN EINE BIKETOUR GEGEN ATOMWAFFEN – 25.02.22 IN BERLIN

Keine Sicherheit durch nukleare Abschreckung

B

is 1994 waren sowjetische Atomwaffen in der Ukraine stationiert – heute wird argumentiert, Russland hätte die Ukraine nicht angegriffen, wären diese noch immer im Land. Diese Argumentation stimmt nicht, weil die Ukraine zu keinem Zeitpunkt Zugang zu den sowjetischen Atomwaffen hatte. Sie waren lediglich auf ukrainischem Territorium stationiert. Also: Welche Rolle spielt nukleare Abschreckung? Der Besitz von Atomwaffen würde Kriege zwischen den Großmächten verhindern, heißt es oft. Atomwaffen würden „strategische Stabilität“ bewahren und „Sicherheit schaffen“. Einen Beweis dafür gibt es nicht – lediglich die Korrelation der Existenz von Atomwaffen und der Tatsache, dass ein Dritter Weltkrieg (noch) nicht stattgefunden hat. Beispiele für Angriffe und Kriege gegen Atommächte hingegen gibt es genug.

Atomwaffen machen den Krieg explosiv China entsandte 1950 während des Koreakriegs 200.000 Soldaten gegen die Truppen Südkoreas und der Atommacht USA. Argentinien marschierte 1982 auf den britisch kontrollierten Falkland-Inseln ein, und der Irak feuerte nach der US-amerikanischen Invasion von 1991 auf die Atommacht Israel. Indien und Pakistan greifen einander in Kaschmir an, obwohl beide Atomwaffen besitzen. Die Atommächte, allen voran Russland und die USA, haben seit Beginn des Atomzeitalters zahlreiche Stellvertreterkriege geführt. Rückblickend sehen wir, dass Atom-

Atomwaffen machen den Krieg explosiv waffen in Vietnam, Afghanistan oder im Irak nicht zu einem Ende der Gewalt beigetragen haben – im Gegenteil. Anstatt Sicherheit zu schaffen, macht der Besitz von Atomwaffen diesen Krieg über alle Maßen explosiv. Es ist naiv zu erwarten, dass der Einsatz von Atomwaffen verhindert wird, solange an der „nuklearen Abschreckung“ festgehalten wird. Denn die Gefahr von menschlichen oder technischen Fehlern ist extrem hoch. Sollte es zu einem Erstschlag kommen, können Automatismen und eine Eskalation zu einem globalen Atomkrieg führen.

Maßnahmen wie ein rechtlich bindender Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen durch die NATO und Russland könnten folgen. Ein neues nukleares Wettrüsten in Europa hat längst begonnen. Auch Deutschland plant die erste nukleare Aufrüstung seit dem NATO-Doppelbeschluss 1979. So sollen die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen ab 2023 durch aufgerüstete Bomben ersetzt und neue Kampfjets für deren Einsatz angeschafft werden. Putin hatte bereits 2015 angekündigt, dass er auf diese Aufrüstung mit Gegenmaßnahmen reagieren würde.

Ukrainekrieg löst Bewaffnungsreflex aus

Wie könnte Deutschland deeskalieren?

Ausgelöst durch das unberechenbare Verhalten Russlands erleben wir derzeit einen Bewaffnungsreflex aller direkt und mittelbar beteiligten Staaten. Ein Denk- und Handlungsmuster der Kriegslogik: der Mythos der „erlösenden Gewalt“. In der Friedenswissenschaft ist das der erste Schritt zur absoluten Eskalation. Ein Krieg, an dem vier Atomwaffenstaaten beteiligt sind, würde das Ende unserer Welt bedeuten.

Deutschland kann zur Deeskalation des Konflikts beitragen. Ein Verzicht auf atomare Aufrüstung und der Abzug der US-Atomwaffen würden Deutschland sogar sicherer machen. Denn die Atomwaffen in Büchel eignen sich nicht zur Abschreckung. Da ihr Standort bekannt ist, wären sie im Kriegsfall eines der ersten Angriffsziele. Ihr Abzug würde den Weg freimachen für den deutschen Beitritt zum UN-Atomwaffenverbot. Auf lange Sicht ist der Atomwaffenverbotsvertrag die einzige Antwort auf die Doktrin der nuklearen Abschreckung und die einzige Garantie für echte gemeinsame Sicherheit.

Deshalb muss ein Weg gefunden werden, beidseitig gesichtswahrend zu einem Waffenstillstand zu gelangen. Dazu müssen alle diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der OSZE ausgeschöpft und muss auf vielfältige, gleichzeitig anwendbare Lösungsansätze gesetzt werden. Im Ukrainekrieg könnte der Einsatz von Mediator*innen wie dem UN-Generalsekretär oder der Generalsekretärin der OSZE, Russland und die USA im ersten Schritt dazu bewegen, die Atomwaffen aus der erhöhten Alarmbereitschaft zu nehmen. Vertrauensbildende 25

Dr. Angelika Claußen ist Vorsitzende der deutschen IPPNW.


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