Schwache Schüler - Stark machen

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SCHWACHE SCHÜLER – STARK MACHEN BDA/BDI-Tagungsdokumentation 15. Juli 2009 | Haus der Deutschen Wirtschaft | Berlin


SCHWACHE SCHÜLER – STARK MACHEN BDA/BDI-Tagungsdokumentation 15. Juli 2009 | Haus der Deutschen Wirtschaft | Berlin


INHALT

I. Vorwort Dr. Gerhard F. Braun | Vizepräsident der BDA..............................................................

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II. Prof. Dr. Thomas Rauschenbach | Direktor des Deutschen Jugendinstituts (DJI): Schwache Schüler – Herausforderung für das Schul- und Ausbildungssystem......

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III. Statements der Podiumsrunde „Was hilft schwachen Schülern in die Ausbildung?“..................................................

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IV. Foren................................................................................................................................ Forum I: SCHULEWIRTSCHAFT – Leitfaden zur Berufsorientierung......................... Forum II: Jungen – das schwächere Geschlecht?....................................................... Forum III: Übergänge erfolgreich gestalten..................................................................

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V. „Schwache Schüler – stark machen“ – Politische Positionen von BDA/BDI..............

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I. VORWORT Schwache Schüler bilden mit rund 20 % nach wie vor eine große Problemgruppe. Bislang ist es nicht gelungen, diese Zahl deutlich und dauerhaft zu senken. Von PISA 2000 bis PISA 2006 ist der Anteil der leistungsschwächsten 15-jährigen Jugend­lichen nur von 23 % auf 20 % gesunken – das ist keine Wende.

Schüler ausdrücklich zu ihrem Thema. Ausbildungsreife und Berufsorientierung sind dabei keine „Spezialthemen“, die nur den Arbeitgeber interessieren, sondern sie sind Voraussetzungen für eine gelingende Lebensbewältigung der jungen Menschen. Ausbildungsreife und Lebensbefähigung gehören untrennbar zusammen.

Dies sind nicht alleine die Erkenntnisse der empirischen Bildungsforschung, sondern auch der Betriebe. Unsere Unternehmen berichten sogar von einem weiteren, erkennbaren Leistungsabfall der Ausbildungsplatzbewerber im untersten Leistungsspektrum. Dies bestätigte zuletzt die Umfrage der Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU) unter Ausbildungsleitern rheinland-pfälzischer Unternehmen: Drei Viertel der Betriebe gaben an, seit vielen Jahren standardisierte Einstellungstests durchzuführen und somit empirisch gehaltvolle Aussagen zur Qualifikation von Schulabgängern treffen zu können. Die Kenntnisse der Jugendlichen im Rechnen, Lesen und Schreiben sind aus Sicht von rund zwei Dritteln der Befragten zurückgegangen. Außerdem stellte jeder zweite Betrieb eine Verschlechterung der sozialen Kompetenzen fest. Es fehle an Ausdauer, Belastbarkeit und Eigeninitiative; zudem hätten Konzentrationsfähigkeit, logisches Denken, Lese- und Ausdrucksvermögen abgenommen.

Daher engagieren sich BDA/BDI in vielfältiger Hinsicht, um die Förderung schwacher Schüler voranzubringen. Die Siegerschulen unseres Wettbewerbs „Starke Schule“ zeigen, dass es Schulen gibt, die sich vorbildhaft die Förderung schwacher Schüler zum Ziel gemacht haben und dies sehr erfolgreich umsetzen. Ihnen gelingt es nicht nur, die Ausbildungsreife der Jugendlichen sicherzustellen, sondern jeden einzelnen Schüler individuell zu fördern. Die Frage darf nicht lauten „Wie vermittle ich den Stoff an den Schüler?“, sondern „Was braucht dieser Schüler?“ Wichtig ist daher eine persönliche Begleitung, Beratung und Betreuung jedes einzelnen Schülers z. B. durch Lernbegleiter oder Mentoren von Anfang bis Ende seiner Schullaufbahn. Lehrer dürfen dabei nicht Einzelkämpfer bleiben, sondern übernehmen z. B. durch Jahrgangsteams gemeinsam Verantwortung für einen Schülerjahrgang, beobachten und unterrichten gemeinsam.

Für diese Schulabgänger wird die Schwelle in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zur Hürde oder sogar zur Stolperfalle. Um schulische Defizite nachzubessern und den Übergang in den Ausbildungsmarkt zu begleiten, ist eine Vielzahl von Übergangsangeboten entstanden. Aber sie sind immer weiter spezialisiert worden und verfehlen zum Teil ihre Wirkung. Unter den Jugendlichen mit schwachen Schulleistungen sind überproportional häufig Kinder aus bildungsfernen und Migrantenfamilien vertreten. Eine besondere Gruppe sind Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Ins Blickfeld sind neuerdings zunehmend auch die Jungen gerückt, die sich insgesamt offensichtlich mit der Schule schwerer tun als die Mädchen. Die Wirtschaft braucht qualifizierte, motivier­ te und engagierte junge Menschen, um sich weiterzuentwickeln und zukunftsfähig zu bleiben, und macht daher die Förderung der schwachen

Ziel muss es sein, die individuellen Stärken der Schüler zu erkennen, weiter zu stärken und gleichzeitig ihre Schwächen auszugleichen. Frühe­praxisnahe Berufsvorbereitung spielt dabei in zweifacher Hinsicht eine zentrale Rolle. Intensive Praxiserfahrung steigert die Lernmotivation der Schüler und führt ihnen konkret vor Augen, wofür das Gelernte in der Praxis angewendet werden kann. Ebenfalls trägt es zu einem guten Übergang von Schule in Ausbildung bei. Damit dies gelingt, ist eine konsequente Öffnung der Schule zum regionalen Umfeld notwendig. Ausbildungsreife bedeutet dabei nicht nur, dass junge Menschen über eine schulische Grundbildung verfügen, sondern sie schließt soziale Kompetenzen mit ein. In der Schule müssen daher ebenfalls Zuverlässigkeit, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit vermittelt werden. Um diese Ziele erfolgreich umzusetzen, spielen die Lehrer eine Schlüsselrolle. Dies beginnt bei ihrer Aus- und Weiterbildung, die sie besser

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auf ihre verantwortungsvolle und schwierige Rolle vorbereiten muss. Eine konsequentere Orientierung am späteren Berufsalltag ist ebenso notwendig wie ihre Befähigung, die Schüler auch in heterogenen Lerngruppen individuell und passgenau zu fördern. Die dafür notwendigen Fortbildungen müssen sich am Bedarf der einzelnen Schule und ihrer Schüler orientieren. Schulentwicklung und Profilbildung tragen dazu bei, dass sich die interne Kommunikation an Schulen verstärkt und die Transparenz über die Aufgaben eines jeden zunimmt.

Um mehr Raum für individuelle Förderung zu schaffen, müssen Ganztagsangebote bedarfsgerecht ausgebaut werden. Dies ist besonders für eine konsequente Sprachförderung notwendig, die vom Kindergarten bis zur Berufsschule sichergestellt werden muss. Ein starker Start in die Ausbildung ist besonders wichtig, um eine erfolgreiche Integration schwacher Schüler in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Folgende Leitlinien müssen dabei berücksichtigt werden:

Lehrer an Schulen, die durch einen hohen Anteil an schwachen Schülern besonders belastet sind, sind oft besonders motiviert und engagieren sich für ihre Schüler. Sie benötigen daher eine besondere Unterstützung – durch gesellschaftliche Anerkennung einerseits, und finanzielle Belohnungen ihrer Leistung andererseits. Damit sich die Lehrer auf den Unterricht konzentrieren können, muss die Schule die Möglichkeit haben, bei Bedarf Sozialpädagogen, Psychologen oder mehr Lehrer einzustellen. Schulen brauchen Handlungsmöglichkeiten, um individuell auf ihre Schüler und ihr Bedarfsprofil eingehen zu können.

Selbstständigkeit ist auch in der Mittelverwendung gefordert: Schulen brauchen ein Globalbudget und sollen selbst entscheiden, wie sie dies am besten einsetzen. Das Budget der Schulen sollte daher nicht – wie bisher – in Stellen zugewiesen werden, sondern in Geld, um diese Flexibilität des Mitteleinsatzes zu erreichen. Die Höhe des zugewiesenen Budgets muss sich an den Schülern und ihrem speziellen Förderbedarf orientieren. Hier sind gezielte Investitionen in Schulen mit Risikoklientel notwendig. Ein hoher Anteil schwacher Schüler belastet Schulen stärker und muss auch bei der Leistungsbewertung der Schulen besser berücksichtigt werden. Die Bewertung der Leistungsfortschritte von belasteten Schulen ermöglicht ein gezielteres Vorgehen bei der Qualitätsverbesserung der Ergebnisse.

Präventiv ansetzen – Ausbildungsreife in der Schule sicherstellen Praxisnah ansetzen – zum Lernen motivieren Übergänge systematisieren – Transparenz schaffen Angebote differenzieren – Einstiegsmöglichkeiten schaffen

Zu diesem Thema werden wir zunächst einen Vortrag von Prof. Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, hören und anschließend gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft, Politik, Pädagogik und Schulen diskutieren. Zielführende Lösungsansätze werden am Nachmittag in drei verschiedenen Foren vorgestellt werden. Wohin die Richtung gehen soll, wird am Ende des Tages im Schlusswort resümiert werden.

Dr. Gerhard F. Braun | Vizepräsident der BDA

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II. PROF. DR. THOMAS RAUSCHENBACH | DIREKTOR DES DEUTSCHEN JUGEND­INSTITUTS (DJI): SCHWACHE SCHÜLER – HERAUS­FORDERUNG FÜR DAS SCHUL- UND AUSBILDUNGSSYSTEM1 Auf den ersten Blick scheint alles klar. Das deutsche Schulsystem bringt einfach zu viele schwache Schüler2 hervor, die den Anforderungen des heutigen Arbeitsmarktes nicht gewachsen sind. In der Folge steht dadurch eine inakzeptable Menge an nicht oder nur schwer vermittelbaren jungen Men­schen vor den Toren der beruflichen Ausbildung, die aufgrund dessen mit einem enormen Zusatzaufwand im so genannten „Übergangssystem“ fit gemacht werden soll. Und anschließend erweisen sich die nicht bzw. geringfügig Ausgebildeten mit Blick auf eine erfolgreiche und dauerhafte Platzierung auf dem Arbeitsmarkt, das belegen die Befunde der Arbeitslosenstatistik, dann ebenfalls als die Verlierer. Auch wenn an dieser Lesart der Ausgangsproblematik einiges richtig ist, halte ich es dennoch für lohnenswert, dieses einfache UrsacheWirkung-Schema noch einmal et­was genauer unter die Lupe zu nehmen, tun sich dabei doch Facetten auf, die die Thematik in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. In Anbetracht dessen werfe ich daher zunächst einen Blick hinter die Kulissen der schulischen Ausbildung, um auf diese Weise mögliche strukturelle Anteile an der Produktion des „schwachen Schülers“ prüfen zu können. Danach gilt es Bilanz zu ziehen hinsichtlich des Übergangs von der Schule in die berufliche Ausbildung und den damit verbundenen Pro­blemen. Da sich in dieser Hinsicht eine Wende abzeichnet, will ich den Blick zugleich nach vorne lenken: Wie werden sich die nächsten Jahre in diesem Punkt entwickeln? Abschließend werde ich einige Überlegungen zur Verbesserung der Lage der „schwachen Schüler“ im Schul- und Ausbildungssystem anstellen. Insgesamt lasse ich mich von der Idee leiten, dass ein breiter gesellschaftlicher Konsens besteht, dass alle jungen Menschen so qualifiziert werden sollten, dass sie in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbsarbeit zu bestreiten.

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1. Die „schwachen Schüler“ – ein Blick hinter die Kulissen Üblicherweise werden in Deutschland die „schwachen Schüler“ gleichgesetzt mit Schulabgängern ohne Schulabschluss; diese werde ich der Einfachheit halber auch in den Mittelpunkt rücken. Allerdings werden hinsichtlich des Bildungsniveaus, über das eine Person verfügt, inzwischen zwei Dimensionen unterschieden: Zum einen be­trifft dies die erreichten Zertifikate bzw. Bildungsabschlüsse und zum anderen die Kompetenzen, über die Personen im Vergleich zu anderen Personen zu einem bestimm­ten Zeitpunkt verfügen. Wie die PISA- oder IGLU-Studien wiederholt gezeigt haben, sind Zertifikate und Kompetenzen häufig nicht deckungs­gleich. Der Tendenz nach gibt es beispielsweise mehr kompetenz­schwache Personen als junge Menschen ohne einen Schulabschluss. In Deutschland ist der Anteil der Gruppe derer, die über die erste PISA-Kompetenzstufe nicht hinausgekommen ist, jedenfalls mehr als doppelt so groß als es die amtliche Schulstatistik auf der Basis der Schulabschlüsse nahe legt. Praktisch heißt das, dass es einen Teil von Jugendlichen gibt, die zwar einen Schulabschluss erreichen, jedoch im unteren Kompetenzbereich bei den Messergebnissen der PISA-Studien liegen. Und zugleich gibt es Schulabbrecher oder Jugendliche ohne einen Schulabschluss, die nach den Befunden der PISA-Leistungstests jedoch durchaus über ausreichende Kompetenzen verfügen. Hinsichtlich der Zertifikate, also der for­ma­ len Bildungsabschlüsse, will ich jedoch zunächst vier Befunde mit Blick auf die fehlenden Schulabschlüsse zusammenstellen.

Eröffnungsvortrag auf der Tagung „Schwache Schüler – stark machen“ der BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

am 15. Juli 2009 in Berlin, basiert zum Teil auf Buchbeitrag: Schwache Schüler. Über folgenreiche Inszenierungen und Ambivalenzen eines Konstrukts. In: Anne Honer, Michael Meuser, Michaela Pfadenhauer (Hrsg.): Fragile Sozialität. Inszenierungen, Sinnwelten, Existenzbastler. Festschrift für Ronald Hitzler zum 60. Geburtstag. (Im Erscheinen) 2

Die Kategorie des „schwachen Schülers“ ist selbstverständlich nicht geschlechtsspezifisch konnotiert, auch wenn sich in dieser Hinsicht

interessante Zusammenhänge zeigen. Infolgedessen wird der Begriff, soweit dies nicht ausdrücklich anderweitig betont wird, geschlechtsneutral verwendet.

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1. Anteil der Schüler ohne Hauptschulabschluss: Nach den Daten der KMK haben 2007 etwas mehr als 70.000 Personen die allgemeinbildenden Schulen ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Das entspricht einem Anteil von 7,7 % an der altersentsprechenden Bevölkerung. Ein Blick auf die Entwicklung in den letzten 10 Jahren macht dabei zweierlei deutlich: zum einen, dass der Anteil der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss sich durchweg in Größenordnungen zwischen 7 und 10 % bewegt, also kein neues Phänomen ist (das gilt auch für die Jahre davor); zum anderen, dass – im Gegenteil – der Anteil seit 2001 mit einem Spitzenwert von 9,7 % bis zum Jahr 2007 auf immerhin 7,7 %­ und damit um 20 % gesunken ist. Zumindest der letzte Befund eines sinkenden Anteils der Abgänger ohne Hauptschul­abschluss ist ein kleiner

Lichtblick, zu­mal hinzukommt, dass der Anteil der Abgänger mit Hauptschulabschluss zeitgleich ebenfalls von über 27 % auf ca. 24 % abgenommen hat. Zusammengenommen heißt das, dass die Gruppe der jungen Menschen, die das allgemeinbildende Schulwesen maximal mit einem Hauptschulabschluss verlässt – und aus dem sich das Potenzial der so genannten „schwachen Schüler“ zu­allererst rekrutiert –, zwischen 2001 und 2007 von über 35 % auf zuletzt rund 31 % gesunken ist. Ob in dieser abnehmenden Kurve erste Erfolge eines erhöhten bildungspolitischen Engagements für schwache Schüler zum Ausdruck kommen, oder ob dies lediglich eine schul­ immanente Reaktion auf die harsche Kritik im Anschluss an PISA ist, lässt sich anhand dieser Zahlen nicht beantworten. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

Abb. 1: Quote der Abgänger ohne Hauptschullabschluss (1998 –2007; in % an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Kultusministerkonferenz KMK 2009.

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2. Schüler ohne Hauptschulabschluss nach Schulart: Aufschlussreich ist unterdessen ein Blick auf die Schulart, aus dem die jungen Men­ schen ohne einen Hauptschulabschluss abgehen. Ich konzentriere meinen Blick dabei auf den Anteil der Abgänger aus den Son­der- und Förderschulen. Während 1998 diese Schulform knapp 35.000 Personen ohne einen Abschluss verließen, was einem Anteil an der Gruppe aller Schüler ohne Hauptschulabschluss von fast 42 % entspricht, waren dies 10 Jahre später, 2007, bei insgesamt sinkenden Gesamtzahlen etwas mehr als 38.000 und da­ mit immerhin 54 % an allen jungen Menschen ohne Schulabschluss (KMK 2009, S. 346). Mit anderen Worten: Die Mehrheit der jungen Menschen ohne Schulabschluss kommt inzwischen nicht mehr aus den Hauptschulen, sondern aus den Förderschulen. Dieser Befund wird aus meiner Sicht sozialund bildungspolitisch in seiner Tragweite noch gar nicht richtig zur Kenntnis genommen, zumal sich

viele Studien der neueren Bildungsforschung wie beispielsweise PISA, das neue Bildungspanel oder der Bildungsbericht mit dem Thema Förder- und Sonderschulen ausgesprochen schwer tun, sprich: diese Form der Schule gar nicht oder nur ungenügend ins Blickfeld rücken. Und, um das in aller Deutlichkeit zu sagen: Bei den hier im Mittelpunkt ste­henden Schülern aus den Förderschulen geht es im Schwerpunkt nicht um geistig oder schwer mehrfach behinderte junge Menschen, bei de­nen aufgrund ihrer kognitiven Einschränkung diese Entwicklung erwartbar ist (diese bilden innerhalb der Gruppe eine deutliche Minderheit). Vielmehr befinden sich weit mehr als die Hälfte der Förderschüler in Schulen für Lernbehinderte sowie in Förderschulen mit dem Schwerpunkt der sozialen und emotionalen Entwicklung, den früheren „Schulen für Erziehungshilfe“ (vgl. BBE 2008, S. 67).

Abb. 2: Quote der Abgänger ohne Hauptschulabschluss nach Schulform (1998 –2007; Anteile an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Kultusministerkonferenz KMK 2009.

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Das sind Schulformen, bei denen am ehesten von einer seelischen, psycho-sozialen, jedenfalls nicht von einer organischen Behinderung auszugehen ist. Und im Lichte der international neu entfachten Diskussion um Inklusion bedeutet das, dass die Bil­dungspolitik sich um diese Gruppe der „schwachen Schüler“ in den Förderschulen weitaus mehr kümmern muss. Obgleich die LehrerSchü­ler-Relation in diesen Schulen mit 1 zu 11 etwa doppelt so gut ist wie in durchschnittlichen Hauptschulen (vgl. KMK 2009, S. XI), werden die Schüler dadurch zumindest nicht so gefördert, dass sie eine höhere Wahrscheinlichkeit erlangen, auf diesem Wege der besonderen Förderung einen Hauptschulabschluss zu erlangen. Mehr noch: So stellt der Bildungsbericht 2008 fest: „Im Förderschwerpunkt Lernen besteht in zehn Ländern die Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erwerben nicht. Auch dies macht die Zuweisung von Schülerinnen und Schülern mit Lernschwie-

rigkeiten an eine För­derschule zu einer besonders schwerwiegenden Entscheidung“, so das Fazit des Bildungsberichts (BBE 2008, S. 89). Umgekehrt heißt das aber zugleich, dass aus den Hauptschulen unter dem Strich weitaus weniger Schüler die Schule ohne einen Abschluss verlassen, als dies gemeinhin angenommen wird (rund 12 %; Krekel/Ulrich 2009, S. 30). Nur gut jeder dritte jun­ge Mensch ohne einen Schulabschluss war am Ende seiner Schulzeit an einer Hauptschule. Wer also etwas an der Situation der Gruppe der „schwachen Schüler“ ändern will, darf sein Augenmerk nicht ausschließlich auf die Hauptschulen richten. 3. Schüler ohne Hauptschulabschluss nach Geschlecht: Der Blick auf Geschlecht fördert den inzwischen nicht mehr sonderlich überraschenden Befund zutage, dass es sich bei den

Abb. 3: Absolventen ohne Hauptschulabschluss nach Geschlecht und Herkunft (2006; Anteile an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Bildungsbericht 2008.

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Schülern ohne Hauptschulabschluss mehrheitlich um männliche Jugendliche handelt. Von den 7,7 % Abgängern ohne Hauptschulabschluss des Jahres 2006 waren 63 % männlich und 37 % weiblich (BBE 2006, S. 274). Oder in altersentsprechenden Relationen ausgedrückt: 5,3 % der weiblichen, aber 8,7 % der männlichen Schüler ohne Migrations­hintergrund hatten keinen Hauptschulabschluss, während die Relation bei den Schülern mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit bei 12,7 % weiblichen gegenüber 19,2 % männlichen jungen Menschen lag. Das sind schon deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Hierin spiegelt sich nochmals der inzwischen allgemeine Be­fund wider, dass sich die männlichen Schüler im schulischen System offenkundig schwerer tun.

4. Schüler ohne Hauptschulabschluss nach Migrationshintergrund: Kompliziert wird die Lage des Konstrukts vom „schwachen Schüler“ schließlich mit Blick auf den Migrationshinter­ grund als letztem Befund zu den Abgängern. Zu dieser Frage liegen nach wie vor keine Daten auf der Basis der Schulstatistik vor – ein m. E. unhaltbarer Zustand im Lichte der erheblichen Anteile dieser Gruppe an den aktuellen Problemen des Bildungswesens (Staatsangehörigkeits- vs. Migrationskonzept). Infolgedessen muss ich mich bei dieser Frage an den Bildungsbericht und die dort zugrunde ge­legten Daten des Mikrozensus von 2005 anlehnen. Auf dieser Datenbasis wird sichtbar, dass der Anteil junger Menschen ohne Hauptschulabschluss unter Migrationsgesichtspunkten inakzep­

Abb. 4: 25- bis 35-Jährige ohne allgemeinbildenden Schulabschluss nach Migrationshintergrund (2006; Anteile an altersgleicher Wohnbevölkerung)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005.

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tabel stark variiert. Während sich das Problem fehlender Schulabschlüsse in der Altersgruppe der 25- bis 35-Jäh­rigen bei den Personen ohne Mi­grationshintergrund in diesem Alter nur noch bei knapp 2 % und bei Spätaussiedlern bei weniger als 3 % bewegt, liegt der entspre­chende Anteil bei allen jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund zusammen bei immerhin gut 9 % und bei den Tür­ken bei sage und schreibe rund 18 %. Diese haben somit im Schnitt eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit die Schule ohne Abschluss zu verlassen wie die Migranten insgesamt und eine zehn Mal höhere Wahrscheinlichkeit als die Jugendlichen ohne Migrationshintergrund. Das sind schon beachtliche Differenzen. Daraus folgt zweierlei: Zum einen müssen wir – und hierin könnte ein wichtiger Impuls einer nachhaltigen Wirkung zur Reduktion der Gruppe „schwacher Schüler“ in Deutschland liegen –

eine besondere Aufmerksamkeit auf jene Kinder ohne Hauptschulabschluss richten, die einen Mi­ grations­hintergrund haben – allen voran gilt dies für Schüler mit türkischem Hintergrund. In diesen Gruppen finden sich die zertifikatsbezogenen Schüler überdurchschnittlich häufig. Zum anderen muss dabei aber auch innerhalb dieser Gruppe die besondere Situation der jungen Menschen mit Migrationshinter­grund beleuchtet werden, die in Förderschulen unterrichtet werden, da bei ihnen die Gefahr besonders groß ist, dass hier sprachliche und soziokulturelle Gründe zu einer Überweisung auf die Förderschule beitragen, sprich: dass Lernschwierigkei­ten hier nicht unbedingt auf kognitive Defizite zurückzuführen sind, sondern es sich zumindest potenziell um Fehlallokationen handeln könnte. Jedoch bleibt dieser thematische As­pekt in der bundesdeutschen Bildungsforschung und Bildungspolitik bis heute eher im Dun­keln.

Abb. 5: Entwicklung der Anteile der Risikogruppen in Deutschland anhand unterschiedlicher Kompetenzbereiche in den PISA-Studien*

* Zu den Risikogruppen zählen diejenigen Schüler, die die Kompetenzstufe II nicht erreichen.

Quelle: PISA 2000, 2003, 2006.

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5. Schwache Schüler im Lichte kompetenzorientierter Befunde: Wie bereits eingangs erwähnt lässt sich das Problem der „schwachen Schüler“ schlussendlich nicht allein auf die Gruppe jener Jugendlichen reduzieren, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Zumindest hat uns PISA gelehrt, dass die Gruppe der Risikoschüler deutlich größer ist als die Zahl der Schüler ohne Hauptschulabschluss. Anhaltspunkte hierfür liefern die PISA-Studien, denenzufolge sich so genannte „PISA-Risikogruppen“ identifizieren lassen, die anteilsmäßig deutlich oberhalb der Quoten von Schulabgängern ohne Schulabschluss liegen. Hierbei zeigt sich, dass über die verschiedenen Kompetenzbereiche hin­weg, nach wie vor knapp 20 %, also jeder fünfte Jugendliche jener Risikogruppe angehört, die dauerhaft nicht nur mit schulischen, sondern anschließend auch mit Problemen in Ausbildung und Beruf zu rech­nen hat, von sonstigen, allgemeinen Le­bens­pro­ble­men mal ganz abgese­hen. Schule befördert in der Biografie von Kin­ dern eine wichtige Weichenstellung: im günstigen Fall eine gut ausgestattete Ba­sisqualifizierung für einen zwar nicht gesicherten, aber doch erwartbaren beruf­lichen Werdegang, im ungünstigen Fall einen prekären Schulverlauf mit stigmatisierenden und folgenreichen Nebenwirkungen auf die anschließende Lebens­führung. Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigt sich allerdings auch bei diesen Da­ten, da sich bei den PISA-Befunden zwischen 2000 und 2006 ein leichter Rückgang andeutet, der immerhin dafür sprechen könn­te, dass sich auch in der Gruppe der „schwachen Schüler“ we­nig­stens in kleinen Dosierungen die Lage etwas verbessert (wie wir dies bereits bei den Quoten ohne Schul­abschluss gesehen haben). Hier gilt es die nächsten PISA-Ergebnisse abzuwarten. Bilanziert man die Befunde dieses Abschnitts mit Blick auf die „schwachen Schüler“ insgesamt, so zeigt sich, dass erstens das Thema der Förderschulen, also der Schulform, künftig stärker beachtet werden muss, dass zweitens die bloße Erhöhung der Anteilsquoten erfolgreicher Hauptschulabschlüsse allein nicht weiterhilft, sofern dies nicht zugleich mit einem Zugewinn an Kompetenz einhergeht, dass drittens männliche Jugendliche

in der Gruppe der schwachen Schüler stärker vertreten sind als junge Frauen, dass sich viertens hinter den Kulissen des „schwachen Schülers“ eine Zusatzhürde für Her­an­wachsende mit Migrationshintergrund im Allgemeinen sowie mit türkischem Migrationshintergrund im Be­sonderen auftut. Und hierbei liegt es – auf der Basis anderer Befunde – nahe, dass diese Auffälligkeiten wiederum eng mit dem Schulabschluss der Eltern konfundieren. Oder allge­meiner: dass der Einfluss der Her­kunftsfamilie, also des sozialen Hintergrunds für eine erfolgreiche Bildungsbiografie offenkundig genauso wichtig oder gar wichtiger ist als die Schule selbst. Deshalb dürfen wir auch die nicht-schulischen Aspekte bei der Suche nach Antworten auf die Bil­dungsmisere nicht aus dem Blick verlieren.

2. Die Übergänge – über Hürden und Chancen Wir alle wissen, dass beim Übergang an der ersten Schwelle, also von der Schule in die berufliche Ausbildung, nicht die Devise gilt „neues Spiel, neues Glück“. Auch wenn es keinen streng-linearen Zusammenhang zwischen schulischen Abschlüssen und der erfolgreichen Einmündung in die berufliche Ausbildung gibt (also etwa keine staatlich regulierte Zuweisungspraxis existiert), so sind diese Zertifikate aber dennoch wichtige Op­tionsscheine für den Eintritt in die berufliche Ausbildung. Für sich genommen eröffnen sie zwar noch keine Garantie für einen sicheren Ausbildungsplatz, da zugleich – und das macht die Rede vom „schwachen Schüler“ so ambivalent – daneben der Frage einer ausreichenden Zahl an betrieblichen, außerbetrieblichen oder vollzeitschulischen Ausbildungsplätzen eine ganz ent­scheidende Rolle mit Blick auf das Ausmaß der vermittelten Bewerber zukommt. Mit an­deren Worten: Neben den unbestritten vorhandenen kompetenzbedingten Aus­bil­dungs­losen gibt es seit Jahren auch eine erhebliche Zahl an marktbedingten Ausbildungslosen. Vor diesem Hintergrund will ich wenigstens zwei Befunde kurz in den Mittelpunkt rücken.

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1. Lage und Zukunft auf dem Ausbildungsmarkt: Spätestens seit Ende des letzten Jahrhunderts gibt es in der beruflichen Ausbildung ein deut­liches Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage an Ausbildungsplätzen. Die Folge war, dass die Zahl der jungen Menschen im Übergangssystem stark angestie­ gen ist – von knapp 350.000 im Jahre 1995 bis auf über 500.000 Personen ab 2004 –, einem Übergangssystem, das im Übrigen gar kein kohärentes System, sondern ein unverbundenes

Bündel an Maßnahmen der schulischen und beruflichen Qualifizierung unterhalb eines Berufsabschlusses ist. Diese ungünstige Entwicklung hängt vor allem mit dem Anstieg der Ausbildungswilligen zusammen, also der Gruppe der nichtstudienberechtigten Abgänger aus den all­gemeinbildenden und beruflichen Schulen zuzüglich der unversorgten Altbewerber: Lag deren Zahl nach Berechnungen des Bundesinstituts für berufliche Bildung nach der „erweiterten Variante 1“3 1995 noch bei

Abb. 6: Anteil der Neuzugänge nach dualer Ausbildung, Schulberufs­ system und Übergangssystem (Deutschland; 1995 –2006)

Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, eigene Berechnungen und Schätzungen auf Basis der Schulstatistik; Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen, eigene Aktualisierung.

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Variante 1 umfasst alle Schulabgänger und Schulabsolventen – auch die ohne erfolgreichen Abschluss – und wird daher als „erweiterte

Variante“ bezeichnet.

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rund 800.000, so ist dieser Wert ab 2004 auf rund 1 Million gestiegen. Bei der etwas „engeren Variante 2“4 stieg die Zahl im gleichen Zeitraum von 700.000 bis auf 880.000. Mit diesem Verlauf auf Seiten der Nachfragenden hat die Entwicklung des Angebots an Ausbildungsplätzen – sowohl im Rahmen der dualen Ausbildung als auch des Schulberufssystems – nicht Schritt gehalten, so dass unter dem Strich eine rechnerische Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nicht nur unübersehbar, sondern auch immer größer wurde.

Diese Ausbildungsmisere mit einer nicht un­erheblichen Zahl an marktab­hängigen Aus­ bildungs­lo­sen befindet sich jedoch inzwischen an einem Wendepunkt. Demzufolge kehren sich in den nächsten Jahren – zuallererst und in massivem Umfang in Ostdeutschland – die Verhältnisse aufgrund der demografischen Entwicklung und dem zu erwartenden Rückgang der nichtstudienberechtigten Schulentlassenen um. So würde bei der „erweiterten Variante 1“ auf der Basis der rund 820.000 Ausbildungsplätze, die in den letzten beiden Jahren zur Verfügung

Abb. 7: Entwicklung von Ausbildungsplatzangebot und Ausbildungsnachfrage (1998–2008)

In Anlehnung an: Krekel/Ulrich (2009): Jugend ohne Berufsabschluss. Tabelle 1/S. 43f.

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Variante 2 umfasst nur Schulabsolventen mit einem erfolgreich abgelegten Schulabschluss und wird daher als „engere Variante“ bezeichnet.

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standen, ab dem Jahre 2014 die Nachfrage für viele Jahre und in wachsendem Maße unter dieser zur Verfügung stehenden Zahl an Ausbildungsangeboten liegen, während dieser Wert im Falle der „engeren Variante 2“ bereits in diesem Jahr unterboten würde. Und selbst unter der Annahme, dass die duale Ausbildung in den nächsten Jahren wieder auf ihren schlechtesten Wert der letzten 15 Jahre zurückfallen würde – nämlich auf rund 560.000 Ausbildungsplätze – hieße das, dass die Nachfrage das Angebot gemäß der „erweiterten Variante 1“ Ende des nächsten Jahrzehnts, in der „engeren Variante 2“ jedoch be­reits ab 2010 unterschreiten würde (in den neuen Ländern, das nur am Ran­de, realisiert sich diese Entwicklung noch wesentlich deutlicher und schneller).

Im Lichte dieser sich abzeichnenden Entwicklungen scheint mir das Fazit von Krekel und Ulrich daher mehr als ­berechtigt. Zitat: „Nach Über­win­dung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise sind deshalb die Voraussetzun­gen für einen raschen Abbau des Ungleichgewichts von Ausbildungsplatz­angebot und ‑nach­­frage sehr gut. Aus den de­­mografischen Veränderungen erwächst eine Sche­renöffnung, welche die Verhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt umkehren und in ein Ungleichgewicht zu Lasten der Betriebe überführen wird“ (Krekel/Ulrich 2009, S. 24), so das Fazit des informativen Kurzgutachtens.

Abb. 8: Prognose zur Entwicklung von Ausbildungsangebot und Ausbildungsnachfrage (2005–2020; ab 2008 Prognose)

In Anlehnung an: Krekel/Ulrich (2009): Jugend ohne Berufsabschluss. Tabelle 1/S. 48f. Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, eigene Berechnungen und Schätzungen auf Basis der Schulstatistik; Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen, eigene Aktualisierung.

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2. Ausbildungslose und fehlende Berufsabschlüsse: Auch wenn sich damit das Verhältnis von Angebot und Nachfrage in den nächsten Jahren erheblich verschieben wird, ist damit das Thema der „schwachen Schüler“ selbstverständlich nicht einfach vom Tisch, obgleich sich deren Stellung auf dem Ausbildungsmarkt allein unter quantitativen Gesichtspunkten deutlich ver­ bessern wird. Bestehen bleibt vorerst das Dilemma der steigenden Anforderungen in der dualen Ausbildung einerseits bei einem nicht unbedingt verbes­­serten Kompetenzprofil auf Seiten der Schüler andererseits. Deshalb will ich, wenn auch retrospektiv, den Blick nochmals sowohl auf die Einmün­dung in den Ausbildungsmarkt als auch auf das Ende der fehlenden Be­rufsabschlüsse werfen.

(a) Zunächst zur Einmündung in den Ausbildungsmarkt. An dieser ersten Schwelle werden in schonungsloser Form die fatalen Fol­gen eines fehlenden oder geringen Schulabschlusses – bei einem zu geringen Ausbildungsangebot – offenkundig. So mussten 2006 drei von vier Jugendlichen ohne einen Hauptschulabschluss und immerhin jeder zweite junge Mensch mit einem Hauptschulab­schluss zunächst in das Übergangssystem ausweichen – und selbst ein Viertel der Schüler mit einem Realschulabschluss traf die­ses Schicksal. An diesem Beispiel wird noch einmal die prekäre Entwicklung für Schüler der Förder- und Hauptschulen auf dem Ausbildungsmarkt deutlich (leider können die aller Wahrscheinlichkeit

Abb. 9: Verteilung der Neuzugänge in der Berufsbildung nach Sektoren und schulischer Vorbildung (2000–2006)*

* Ohne Neuzugänge mit sonstigen Abschlüssen. Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, eigene Berechnungen und Schätzungen auf Basis der Schulstatistik; Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen, eigene Aktualisierung.

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nach noch einmal verschärften Bedin­gungen der Ausbildungseinmündung für junge Menschen mit Migrationshintergrund und bildungsfernem Elternhaus nicht gesondert aufgezeigt werden). In dieser Hinsicht muss Deutschland aufpassen, dass eine große Gruppe Ausbildungsloser nicht dauerhaft ohne Perspektive blei­bt und damit zu Verlierern der Gesellschaft wird, zu Verlierern, die niemals in der Lage sein werden, ihr Leben wirtschaftlich – und dann meist auch privat – selbst in die Hand zu nehmen. (b) Verschärft wird diese Gefahr noch zusätzlich, wenn man auf das Ende der beruflichen Ausbildung schaut, sprich: auf die Gruppe der Ausbildungslosen, also jener Per­sonen, die vermutlich dauerhaft über keinen beruflichen Ausbildungsabschluss verfügen wird. Im­merhin hatten in

Deutschland 2007 fast 16 % bzw. rund jede 6. Per­­ son im Alter zwischen 25 und 35 Jahren demnach keine abgeschlosse­ne Berufsausbildung. Dieser Wert spreizt sich indessen dramatisch, wenn man ihn nach dem Migrationshintergrund aufschlüsselt. Demzufolge haben gut 15 % der Personen ohne Migrationshintergrund keinen Berufsabschluss, während dies bei den Spätaussiedlern auf 28 % und bei Personen mit türkischem Migrationshintergrund auf sa­ge und schreibe 57 % hochschnellt. Dies zeigt einmal mehr, was sich bereits am Ende der Schule abgezeich­net hat: die besondere Stellung der jungen Menschen mit Mi­grations­ hin­ter­grund auch bei der Gruppe, die evtl. für immer ohne Berufsausbildung bleibt. Dies kann auf

Abb. 10: 25- bis 35-Jährige ohne beruflichen Abschluss nach Migrations­hintergrund (2005; in % der altersentsprechenden Bevölkerung; N = 45,3 Mio.)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2005.

Schwache Schüler – stark machen

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Dauer­ nicht gut gehen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf und hierauf muss ein besonderes Augenmerk gerichtet werden. Aus Zeitgründen muss ich auf eine weitergehende Analyse der Daten zum Über­gang verzichten. Aber hinweisen will ich wenigstens auf den Umstand, dass wir dringend mehr empirisches Wissen über die ungleiche Wirkung so­wohl der unterschiedlichen schulischen Aktivitäten an der ersten Schwelle als auch mit Blick auf die diversen Maßnahmen des Übergangs­systems benötigen. Zu heterogen und zu pauschal sind die gegenwärtigen Befunde zur Leistungsfähigkeit des Übergangssystems, zu teuer für die Gesellschaft und zu folgenreich für die Betroffenen ist die unüberschaubare Vielfalt der einzelnen Maßnahmen, als dass wir einfach zur Tagesordnung übergehen können. Was wir aber sagen können, nicht zuletzt durch das Übergangspanel und die lokalen Übergangsstudien des Deutschen Jugendinstituts, ist, dass die Landschaft in dieser Hinsicht weitaus differenzierter ist, als sie bisweilen öffentlich wahrgenommen und diskutiert wird. Hier hilft ein einfaches Schwarz-Weiß-Schema nicht weiter.

3. Herausforderungen für das Ausbildungs- und Beschäftigungs­­ system Ich will abschließend wenigstens ganz kurz einige Überlegungen andeuten, die m. E. wichtig sind, sofern eine grundlegende Weichenstellung mit Blick auf die Verbesserung der Lage der „schwachen Schüler“ erreicht werden soll. Auf die besondere Herausforderung in Sachen Förderschule habe ich bereits hingewiesen; hierauf werde ich nicht noch einmal gesondert eingehen. Ich beschränke mich auf drei Hinweise. 1. Auch bei diesem Thema gilt, dass wir mit Blick auf die Vermeidung von Bildungsbiografien, wie die, die sich im Bild und Konstrukt des „schwachen Schülers“ ausdrücken, früh ansetzen müssen. „Bildung von Anfang an“ ist in diesem Zusammenhang die viel zitierte Zauberfor­mel, die nicht auf eine frühe schulische Bildung abzielt, sondern die konsequent die altersgerechten Mög-

lichkeiten der lebensweltlichen Förderung, der situationsorien­tierten Anregung und der spielerischen Weltaneignung in den Blick nimmt. Die Förderung des Aufwachsens in der Familie und in der Kinder­tagesbetreuung müssen in diesem Zusammenhang gleichermaßen in den Blick genommen wer­den; nur der Blick auf das eine oder das andere, wie dies bisweilen zu beobachten ist, verschenkt in dieser Hinsicht we­sentliche Impulse. Für diese Sichtweise kann man nicht nur den amerikanischen Nobelpreis­träger James Heckman an­führen, der – zugespitzt formuliert – zu dem Fazit kommt, dass im Grunde genommen bis zur Einschulung alle we­sentlichen Weichen gestellt sind. In die gleiche Richtung weisen die PISA- und IGLUStudien mit ihren starken Indizien einer enormen Wirkung, die eine gute Kindertagesbe­ treuung entfalten kann. Demnach finden sich bei Kindern, die mehr als ein Jahr einen Kindergarten besucht haben, auch noch einige Jahre später höhere Kompetenzwerte. Dabei werden die verstärkten Bemühungen um eine gezielte frühe Sprachförderung ganz un­übersehbar zusätzliche wichtige Impulse setzen. Aber ich warne davor, die gesam­te Frage der frühkindlichen Förderung und der verbesserten Integration von Kindern mit Migrationshintergrund auf das Thema Sprachförderung zu verengen. Dazu sind die anderen Facetten der Bildung, Betreuung und Erziehung viel zu wichtig. 2. Die Daten und Befunde aus den großen vergleichenden Leistungsstudien weisen immer wieder darauf hin, dass es keineswegs allein die Schu­le ist, die über das Leistungspotenzial und das Kompetenzniveau der jungen Menschen entscheidet. Im Gegenteil: Die Familie und die soziale Herkunft erweisen sich als weitaus stärkere Einflussfaktoren zur Er­klärung der in Deutschland besonders stark anzutreffenden Leistungsunter­schiede. Ich lese diesen Befund auch als einen Hinweis auf die Bedeu­­tung dessen, was ich mit Alltagsbildung umschreiben würde, also je­ ner Sorte von Bildung und Befähigung, die nicht in das Korsett der schu­lischen Unter-

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richtsfächer eingebunden ist, die aber eine elementare Voraussetzung für eine allgemeine Lebensführungskompetenz junger Menschen ist – und in den heutigen modernen Bedingungen des Aufwachsens keineswegs mehr selbstverständlich in allen Fällen vermittelt wird. Mehr noch: Das Potenzial der realisierten oder eben nicht realisierten Alltagsbildung scheint mir einer der wesentlichsten Faktoren zu sein, die die Existenz des „schwachen Schülers“ erklärt und zugleich zu dessen Überwindung beitragen kann. Eine wichtige Antwort in diesem Zusammenhang kann das Konzept der Ganz­tagsschule sein, sofern dieses so intelligent und weitsichtig gestaltet wird, dass es in den nichtunter­richt­li­chen Teilen des Ganztagsan-

gebots die Potenziale einer Alltagsbildung nutzt und auf diese Weise junge Menschen in einem weit größeren Horizont kompetent macht als dies üblicherweise im normalen Unterricht möglich ist. Ich bin zutiefst überzeugt, dass dies bei vielen Jugendlichen, die wir als „schwache Schüler“ kategorisieren, mehr bewirken kann als die alleinige Ausrichtung auf die Leistungssteigerung im gewöhnlichen Fachunterricht. 3. Schließlich geht es bei den anstehenden Herausforderungen um die Mög­lichkeiten und Instrumente einer verbesserten Förderung der „schwa­chen Schüler“ im engeren Sinne. Ich will dabei gar nicht auf die Instrumen­te im Einzelnen eingehen, sie hier lediglich summarisch auflisten, seien es Mentorensysteme

Abb. 11: Durchschnittliche PISA-Punkte in Abhängigkeit von der Dauer des Kindergartenbesuchs (Deutschland; 2003)

Quelle: Berechnungen des IW auf Basis der PISA-Daten 2003.

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und betriebliche Patenschaften für einzelne Schulen, sei es ein regionales Übergangsmanagement, das sich gezielt institutionell und persönlich um den Übergang von der Schule in die Ausbildung kümmert, seien es unterschiedlichste Hilfestellungen und zusätzliche individuelle Unterstützungsangebote bei den Übergängen, seien es Betriebspraktika, modularisierte akku­mu­lierbare Ausbildungselemente, Teilzeitausbildungen oder schließlich Kompetenzfeststellungsver­fahren, die das tatsächliche Ausmaß nur bedingt ausbildungsfähiger junger Menschen auch jenseits von erreichten Zertifikaten sichtbar macht.

Aspekte des Übergangs, also der Lage der Förderschulen ebenso wie die sich verändernden Rahmen­be­dingungen der Ausbildungslandschaft. In jedem Fall müssen wir uns jedoch darauf einstellen, dass in wenigen Jahren das Thema der „schwachen Schüler“ in einem völlig veränderten Kontext diskutiert wird. Diese Entwicklung sollte frühzeitig antizipiert wer­den, ohne die aktuellen Anstrengungen der verbesserten Integration und Förderung junger Menschen aus dem Auge zu verlieren.

Insgesamt, und damit komme ich zum Schluss, wäre es sicherlich sinnvoll, zunächst das Konstrukt vom „schwachen Schüler“, das die Lage vielleicht allzu sehr individualisiert, zu ergänzen durch ein Profil der persön­lichen Stärken und Fähigkeiten. Zugleich, auch das dürfte deutlich geworden sein, sollten wir den Blick bei diesem Thema konsequent weiten auf die gesamte Lebenssituation der jungen Menschen, um so auch die außerhalb der Schule brach liegenden Möglichkeiten der All­tags­bil­dung verstärkt einzubeziehen. Darüber hinaus geht es aber auch um eine verstärkte Einbeziehung der institutionellen

Literatur Autorengruppe Bildungsberichterstattung (BBE) (2008): Bildung in Deutschland 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (BBE) (2006): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag. Krekel, Elisabeth M./Ulrich, Joachim Gerd (2009): Jugendliche ohne Berufsabschluss. Handlungsempfehlungen für die berufliche Bildung. Kurzgutachten (für die Friedrich-Ebert-Stiftung). Berlin: Verlag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Kultusministerkonferenz (KMK) (2009): Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen der Schulen 1998 bis 2007. Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz (Dokumentation Nr. 186) (März 2009).

Schwache Schüler – stark machen

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III. STATEMENTS DER PODIUMSRUNDE „WAS HILFT SCHWACHEN SCHÜLERN IN DIE AUSBILDUNG?“ Prof. Dr. Thomas Wöller, Kultusminister des Freistaates Sachsen „In Sachsen liegt die Zahl der Mittelschüler ohne Abschluss bei 5 % und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Der Erfolg unseres Bildungssystems wird auch durch die Ergebnisse von PISA bestätigt. Dazu haben vor allem unsere engagierten Lehrerinnen und Lehrer beigetragen. Der Lehreraus- und -weiterbildung wird künftig eine Schlüsselrolle zukommen. Hier sind auch die Universitäten gefragt, die der Lehrerbildung größere Aufmerksamkeit schenken müssen, z. B. in Form von Zentren für Lehrerbildung. Dabei darf jedoch nicht nur die Sicherung des quantitativen Bedarfs an Lehrern eine Rolle spielen. Gerade die pädagogische Eignung der Lehrkräfte muss im Vordergrund stehen, und der Lehrerberuf mehr gesellschaftliche Anerkennung erhalten, damit wir die Geeignetsten für die Schule gewinnen. Stabile und verlässliche Rahmenbedingungen gehören ebenfalls zu den Merkmalen erfolgreicher Schulpolitik. Sie sind auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das klar gegliederte sächsische Schulsystem leistungsfähig und auch im internationalen Vergleich konkurrenzfähig ist.“ Dr. Gerhard F. Braun, Vizepräsident der BDA: „Zwar gibt es große regionale Unterschiede, was den Bildungserfolg einzelner Bundesländer betrifft. Doch auch innerhalb einer Region, ja sogar innerhalb einer Stadt ist die Qualität der einzelnen Schulen höchst unterschiedlich. Dies zeigt, dass die Schulleitung für den schulischen Erfolg ihrer Schülerinnen und Schüler von größter Bedeutung ist. Als pädagogische Leitfigur repräsentiert sie die Schule nach außen und ist Vorbild für Schüler und Lehrer. Deshalb ist Auswahl, Vorbereitung und Qualifizierung von Schulleitungen besonders wichtig. Damit die Schulen auf die konkreten Bedürfnisse ihrer Schüler eingehen können, brauchen sie jedoch auch mehr Unabhängigkeit und Kompetenzen, zum Beispiel in Personal- und Budgetfragen. Denn die Schulleiter und Lehrer vor Ort wissen am besten, wie ihre Schüler zu fördern und zu fordern sind. Das Konzept der Selbstständigen Schule muss daher noch konsequenter in die Praxis umgesetzt werden.“

Dr. Bernd Baasner, Bildungsleiter Currenta GmbH „Die Bayer AG hat eine über 30-jährige Erfahrung bei der Beurteilung von Schülerqualifikationen, denn diese bilden einen Schwerpunkt in unseren Einstellungsverfahren. Mathematischnaturwissen­schaftliche Kompetenzen sind dabei für uns besonders wichtig. Hier stellen wir jedoch zunehmend Defizite beim Basiswissen der Schüler fest, so dass wir nicht immer alle freien Ausbildungsplätze mit geeigneten Bewerbern besetzten können. Schüler mit soliden Kenntnissen in diesem Bereich haben daher bei uns beste Chancen auf einen Ausbildungsplatz und können sicher sein, dass sich ihnen auch nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung zahlreiche Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt bieten werden. So möchte ich junge Menschen ausdrücklich dazu ermutigen, sich für eine Ausbildung im MINT-Bereich zu entscheiden. Um schwache Schüler besser fördern zu können, haben praktische Tätigkeiten eine nicht zu unterschätzende Schlüsselrolle. Einen Beitrag dazu liefert eine starke Kooperation von Schulen und Betrieben. Hier passiert bereits eine Menge, z. B. in Form einer Unternehmenspatenschaft. Ein anderes Engagement zeigen wir in unserem „Starthilfe Programm“, in dem solche Schüler ein Jahr lang besonders gefördert werden, die auf Anhieb keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, da ihre Qualifikation für eine Ausbildung noch nicht ausreicht.“ Hans Weißmann, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) „Die Anforderungen, die eine erfolgreiche Ausbildung an die Jugendlichen stellt, haben sich im Laufe der Zeit verändert. Es wird immer wichtiger, auch komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Daher ist oft die Rede von wissensorientierten Ausbildungsberufen. Die Schulen müssen die Jugendlichen so qualifizieren, dass sie dazu in der Lage sind, die Anforderungen einer Ausbildung zu meistern. Dazu gehört jedoch nicht nur die fachliche Qualifikation. Besonders wichtig sind auch die sozialen und persönlichen Kompetenzen der Auszubildenden. Ich finde, der Begriff „Alltagsbildung“ beschreibt dies sehr gut. Dazu gehören Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, und dass man in schwierigen Zeiten auch durchhalten kann.“

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Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstitut (DJI) „Die Familie ist die wichtigste Bildungsinstanz, da sie die Basis für alle Bildungsprozesse schafft. In dieser Hinsicht kann die Leistungsfähigkeit der Familie im Einzelfall jedoch höchst unterschiedlich sein. Bei schwachen Schülern fehlen häufig die entsprechenden Grundlagen an Urvertrauen, Anerkennung und Förderung. Sie schleppen bisweilen eine Hypothek mit ins Leben, die sie später nur noch schwer einlösen können. Alle Bildungsinstitutionen müssen sich daher der Herausforderung stellen, einer gewachsenen und wachsenden Heterogenität der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zu begegnen. Dies gilt vom Kindergarten bis zum Übergang in den Beruf. Bildung bedeutet daher auch nicht allein, über einen Schulabschluss, über Zertifikate zu verfügen. Vielmehr sollte sie sehr viel breiter verstanden werden. Bildung muss Kinder und Jugendlichen befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, mit den Erwartungen der Wirtschaft und Gesellschaft zurechtzukommen sowie an der Gestaltung unserer Gesellschaft aktiv teilzunehmen. In diesen Punkten hat sich Deutschland endlich auf den Weg gemacht.“ Birgit Berendes, Leiterin der Möhnesee-Schule­ (Bundessieger Hauptschulpreis 2007) „Um unsere Schüler optimal zu fördern, haben wir besonders ihre Zeit nach der Schule im Blick. Wichtige Kooperationspartner sind dabei Unternehmen und Betriebe. Durch Einblicke in die Praxis erkennen die Schüler, welche Kenntnisse und Fertigkeiten im späteren Berufsleben gefragt sind. Jeder Schüler hat Stärken! Wir versuchen gemeinsam, diese Stärken herauszufinden und ihre Entwicklung zu dokumentieren. Die Motivation der Schüler ist besonders wichtig, damit sie Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten entwickeln und Mut, ihre eigene Zukunft zu gestalten.“

Gerhard Bold, Leiter Fritz-Walter-Schule für Lernbehinderte (Bundessieger „Starke Schule“­ 2009) „Kein Kind darf verloren gehen. Dies gilt besonders für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dass unsere Fritz-Walter-Schule für Lernbehinderte als Bundessieger des Wettbewerbs „Starke Schule“ 2009 ausgezeichnet wurde, bestätigt unser Konzept zur Förderung schwacher Schüler. Dabei setzen wir vor allem darauf, den Schülern Selbstvertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu vermitteln. Dabei helfen konkrete Lerninhalte wie z. B. ein Schulgarten, eine intensive Berufsorientierung und enge Zusammenarbeit mit Betrieben. Durch strukturiert angebotene Tätigkeiten wie z. B. die Computer AG werden realistische Übungsmöglichkeiten als Vorbereitung auf die Arbeitswelt geschaffen, und diese können durch die Jugendlichen im Rahmen von Tages- oder längeren Betriebspraktika angewendet werden. Auch durch ein intensives Sozialtraining werden persönliche Kompetenzen der Jugendlichen nachhaltig gestärkt und Schlüsselqualifikationen für ein soziales Miteinander vermittelt. Wir sind stolz darauf, dass wir auf diese Weise einen Großteil unserer Schüler in reguläre Ausbildungsverhältnisse vermitteln können.“

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IV. FOREN Forum I: „SCHULEWIRTSCHAFT“ – Leitfaden zur Berufsorientierung Der Übergang von der Schule in das Berufsleben spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunftsperspektiven junger Menschen. Folglich ist die Förderung des individuellen Berufswahlprozesses gerade auch von schwächeren Schülern eine zentrale Aufgabe der Schulen. Doch noch immer wissen viele Schulabgänger am Ende ihrer Schullaufbahn nicht, welchen beruflichen Weg sie einschlagen sollen. Oft brauchen sie mehrere Anläufe, um in die richtige Ausbildung zu starten, weil sie beispielsweise die Anforderungen des Ausbildungsberufs nicht erfüllen. Das führt zu Frustration und es geht viel Zeit verloren. Was fehlt, ist eine fundierte, systematische Berufsorientierung, die bereits ab Klasse 5 beginnt und alle Fä-

cher in die Berufswahlvorbereitung mit einbezieht. Gute Berufsorientierung heißt, dass die Schüler die unterschiedlichen Arbeitswelten sowie ihre eigenen Fähigkeiten und Interessen kennen. Dafür braucht es frühzeitige Einblicke in die Arbeitswelt und eine kontinuierliche individuelle Förderung der Handlungskompetenz der Schüler. Nach wie vor sind die Vorgaben zur Berufsorientierung in den Bildungsplänen der Länder wenig konkret, wird Berufsorientierung an vielen Schulen noch nicht systematisch umgesetzt und überwiegt die Durchführung von Einzelmaßnahmen. Deshalb haben die Bertelsmann Stiftung und die Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT in Zusammenarbeit mit der MTO-Psychologische Forschung und Beratung GmbH einen Leitfaden zur Berufsorientierung für allgemeinbildende Schulen entwickelt.

Das Qualitätsleitbild für die Berufsorientierung an Schulen

Qualitätssicherung bei der Planung

Qualitätssicherung bei der Umsetzung Dimension 1 Unterrichtliche Aktivitäten

Kommunikation

Durchführung einer Statusanalyse

Bildung einer Koordinationsgruppe

Projektmanagement

Dimension 2 Außerunterrichtliche Aktivitäten

Orientierung an den Dimensionen des Qualitätsrahmens

Dimension 3 Kooperation Schule – Wirtschaft

Entwicklung eines Qualitätsleitbilds Erstellung einer Prozess­ dokumentation

Evaluation und Verbesserung

Dimension 4 Kooperation Schule – weitere Partner

Grafik: MTO GmbH

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Der Leitfaden Berufsorientierung richtet sich an Schulleitungen und Lehrkräfte aller weiterführenden Schulen, die sich den Herausforderungen der Berufsorientierung ihrer Schüler stellen und an ihrer Schule eine systematische Berufsorientierung einrichten wollen. Der Leitfaden will Schulen dabei unterstützen, auf der Basis von Qualitätsmanagement ein umfassendes systematisches Gesamtkonzept zur Berufsorientierung zu planen und umzusetzen. Zugleich will er helfen, bereits vorhandene Berufsorientierungsaktivitäten an Schulen zu systematisieren und in ein Gesamtkonzept zu integrieren. Er bietet praktische Anleitungen und Unterrichtsmaterialien zur Umsetzung

einzelner Maßnahmen und zeigt, wie gute Berufsorientierung an Schulen aussehen kann. Der Leitfaden ist an allen weiterführenden allgemeinbildenden wie auch beruflichen Schulen einsetzbar. Er wurde im Vorfeld an Schulen unterschiedlicher Schularten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen erprobt, evaluiert und anschließend weiterentwickelt. Die Erprobung wurde durch die jeweilige Landesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT ermöglicht. In der Diskussion wurde festgestellt, dass es nur Schule, Wirtschaft und Eltern gemeinsam

Kooperationsprojekt der Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT mit der Bertelsmann Stiftung: Leitfaden zur Berufsorientierung. Praxisleitfaden zur Qualitätsbasierten Berufsorientierung an Schulen Der Leitfaden Berufsorientierung

bietet neben umfangreichen Informationen auch praktische Anleitungen sowie Arbeits- und Unterrichtsmaterialien zur Umsetzung einzelner Maßnahmen zur Berufsorientierung

gibt Schulen genauso wie einzelnen Lehrkräften eine umfassende Hilfestellung und unterstützt dabei sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene

hilft Schulen und Lehrkräften bei der systematischen Gesamtkonzeption ihrer Berufsorientierung und berücksichtigt dabei schon vorhandene Aktivitäten

dient als Ausgangspunkt bei der Einführung eines umfassenden Qualitätsmanagementsystems

ermöglicht es, die Berufsorientierungsaktivitäten in ein bereits bestehendes, schulisches Qualitätsmanagementsystem zu integrieren

ist praxiserprobt und bundesweit einsetzbar.

Leitfaden Berufsorientierung. Praxishandbuch zur qualitätszentrierten Berufs- und Studienorientierung an Schulen. Hrsg. von Bertelsmann Stiftung, Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT und MTO Psychologische Forschung und Beratung GmbH, Gütersloh: Verlag der Bertelsmann Stiftung 2009, 144 S. mit CD-ROM, 30 €. ISBN: 978-3-89204-972-2. Bestellungen unter: www.bertelsmann-stiftung.de.

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gelingen kann, jungen Menschen mit Startschwierigkeiten frühzeitig ihre Stärken, Talente und Fähigkeiten bewusst zu machen sowie Möglichkeiten aufzuzeigen, in welchen Berufen sie diese einsetzen können. Berufsorientierung braucht auch die fachliche und überfachliche Verantwortung im Schulkollegium und die Weiterbildung und Unterstützung der Lehrkräfte mit entsprechenden Ressourcen. Notwendig ist eine dauerhafte Lernortkooperation von Schule und Betrieb. Sie müssen bei der Berufsorientierung starke Teams bilden. Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT fördert diese Teambildung und unterstützt die Schulen dabei, eine praxisorientierte Berufsorientierung umzusetzen. Es gibt eine gewachsene Bereitschaft von Betrieben und Unternehmen, Schulen vor Ort bei der Berufsorientierung zu unterstützen. Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT bietet interessierten Schulen Hilfestellung an, einen Kooperationspartner aus der Wirtschaft zu finden. Die Diskussionsteilnehmer sprachen sich für eine konkrete Verankerung der Berufsorientierung in den Bildungsplänen der Länder aus. Ebenfalls sollen die Lehrkräfte mehr Ressourcen bei der Umsetzung einer systematischen Berufsorientierung erhalten. Dazu gehören beispielsweise Fortbildungen in Form von Lehrerbetriebspraktika.

Forum II: Jungen – das schwächere Geschlecht? Nachdem lange Zeit die Förderung von Mädchen und jungen Frauen besondere Aufmerksamkeit erfahren hat, ist in den letzten Jahren ein Blickwechsel auf die Bildungsbedingungen der Jungen erfolgt. Diese sind unter den schwachen Schülern inzwischen überproportional häufig vertreten. Die Daten aus dem zweiten nationalen Bildungsbericht belegen deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So werden Jungen häufiger verspätet eingeschult und wiederholen öfter eine Klassenstufe als ihre Mitschülerinnen. Mehr Jungen (9 %) als Mädchen (5 %) verlassen die Hauptschule ohne Abschluss, und deutlich mehr Mädchen (36 %) als Jungen (28 %) schließen die allgemeinbildende Schule mit dem Abitur ab.

Nicht nur beim schulischen Bildungserfolg, sondern auch bei der Ausprägung bestimmter Kompetenzen lassen sich Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen beobachten. Laut IGLUStudie 2006 unterscheiden sich die Leseleistungen von Grundschülern zugunsten eines Leistungsvorsprungs der Mädchen, während PISA 2006 in Mathematik einen signifikanten Kompetenzvorsprung der Jungen belegt. Befunde aus PISA zeigen ebenfalls, dass auch die Motivation von Mädchen und Jungen unterschiedlich ist. 48 % der Mädchen, aber nur 25 % der Jungen benennen das Lesen als eines ihrer liebsten Freizeitbeschäftigungen. Demgegenüber besitzen Jungen ein deutlich ausgeprägteres Selbstkonzept im Bereich der Mathematik: Sie schätzen ihre eigenen Leistungen deutlich besser ein, als diese im Vergleich mit den Mädchen tatsächlich sind. Der Trend zur Wahl geschlechtstypischer Fächer setzt sich bei den Vertiefungsfächern in der Schule und der weiterführenden Ausbildung wie Studium oder Berufsausbildung fort. Während sich junge Frauen nach wie vor überwiegend für soziale Berufe oder eine Tätigkeit im Dienstleistungssektor entscheiden, geben junge Männer Studien- und Ausbildungsgängen den Vorzug, die auf technisch orientierte und IT-Berufe abzielen. Ein enges Berufswahlspektrum der Frauen, sowie eine Tendenz zu relativ schlecht vergüteten Berufen sind Gründe dafür, dass sie trotz ihres vergleichsweise höheren schulischen Bildungserfolgs bei Erwerbsbeteiligung und Einkommen weiterhin benachteiligt sind. Aus Sicht der Arbeitgeber muss eine gerechte Bildungsbeteiligung von Jungen und Mädchen gewährleistet werden. Nicht das Geschlecht, sondern die individuelle Begabung muss zum Ansatzpunkt der Förderung in der Schule gemacht werden. Dies gilt auch für die spätere Berufswahl, für die die Weichen bereits in der Schule gestellt werden. Noch immer entscheiden sich zu wenig junge Frauen für eine Tätigkeit im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Gerade hier bieten sich jedoch aufgrund des Fachkräftemangels hervorragende Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Im Forum wurde wissenschaftlich analysiert und praktisch diskutiert, welche Faktoren für den

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mangelnden Bildungserfolg vieler Jungen ausschlaggebend sind, und welche Lösungsansätze für eine gleichberechtigte Förderung von Mädchen und Jungen vorliegen. Die Möhnesee-Schule (Bundessieger Hauptschulpreis 2007) hat mit ihrem „7-Säulen-Modell“ ein überzeugendes Konzept vorgelegt, mit dem sie die Entwicklung individueller Potenziale der Schülerinnen und Schüler erfolgreich umsetzt.

ten. Darauf aufbauend erhalten die Schüler eine kontinuierliche Information und Beratung, die sie bei der Berufsorientierung unterstützten. „Schule vom Ende her denken“ heißt ein Kerngedanke der Möhnesee-Schule. Eine Allianz von Lehrern, Eltern, Arbeitsagentur, Unternehmen und Ehemaligen unterstützt bei der umfassenden Beratung. Die Förderung von Methodenkompetenz, Verantwortungsbewusstsein und Selbstständigkeit wird im Unterricht durchgängig gefördert und durch Projekte vertieft. Auf die unterschiedlichen Begabungen der Schüler wird durch Partnerschaften mit Betrieben aus der Region eingegangen. Vielfältige Praktika vermitteln praktische Arbeitswelterfahrung. Die regelmäßige Teilnahme am Girls’/Boys’ Day macht Mut, ‚untypische’ Berufe genauer in den Blick zu nehmen. Auch bei der Bewerbung für einen Ausbildungsplatz unterstützen Bewerbungsseminare, individuelle Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen oder auch der schuleigene „Ausbildungsatlas Möhnesee“.

Eine sorgfältige Analyse der Stärken jedes Einzelnen ab der 5. Klasse, sowie deren durchgängige Dokumentation mit Hilfe der Kompetenzmappe „Starke Seiten“ bilden den Grundstein der Förderung. Die individuellen Lernvoraussetzungen der einzelnen Schüler werden ernst genommen und in die Förderung einbezogen. Familiäre und schulische Bindungen, Pubertätsturbulenzen und die Beziehungsmatrix in frühen Jahren spielen dabei – nicht nur bei Jungen – eine besondere Rolle. Die Präsentation der persönlichen Talente vor Mitschülern, Lehrern oder Eltern schafft Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkei-

Das 7-Säulen-Modell der Möhnesee-Schule zur Berufs- und Arbeitsweltorientierung Zukunftsperspektive

Übergang und Nachbetreuung

Bewerbung und Vermittlung

Praktika

Förderung

Beratung

Information

Potenzialanalyse

Individuelle Potenzialentwicklung - passgenaue Berufe und Ausbildungen -

Quelle: Möhnesee-Schule (www.moehneseeschule.de).

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Forum III: Übergänge erfolgreich gestalten Der häufigste Weg junger Menschen in einen Beruf ist in Deutschland die duale Ausbildung, in die über 60 % eines Altersjahrgangs einmünden. Die duale Ausbildung ist damit die zentrale Quelle für Fachkräftenachwuchs. Sie eröffnet gute berufliche Perspektiven und integriert dabei ein breites Spektrum an Jugendlichen – Hauptschüler ebenso wie Abiturienten. Zu viele Jugendliche sind aber auf den Übergang in Ausbildung nicht ausreichend vorbereitet. Dies manifestiert sich zum einen darin, dass zu vielen Jugendlichen dieser Übergang nicht oder nur schwer gelingt. Dies zeigt sich in dem umfangreichen Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildung, das sich in den letzen Jahrzehnten gebildet hat. Auch bleiben rund 16 % der jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss. Zum anderen brechen zu viele Jugendliche ihre Ausbildung vorzeitig ab oder wechseln den Ausbildungsberuf, weil sie sich die Berufs- und Arbeitswelt dort anders vorgestellt haben. Aus Sicht der Arbeitgeber muss daher die Vorbereitung Jugendlicher auf den Übergang in Ausbildung verbessert werden. Hierbei muss frühzeitig angesetzt werden: Schulen müssen Einblicke in die Berufs- und Arbeitswelt eröffnen, damit die Jugendlichen wissen, was sie nach der Schule erwartet. Die Schüler müssen zudem für ihre eigenen Interessen, Stärken und Schwächen sensibilisiert und in die Lage versetzt werden, diese mit den Anforderungen von Berufen abgleichen zu können. Zudem ist Praxisnähe entscheidend: Gerade leistungsschwächere Jugendliche können vor allem durch einen konkreten Praxisbezug zum Lernen motiviert werden. So wird anschaulich, warum etwas gelernt wird; Erfolgserlebnisse stärken das Selbstbewusstsein der ansonsten häufig mit Misserfolgen konfrontierten Jugendlichen. Die zwei Praxisbeispiele, die im Forum „Übergänge erfolgreich gestalten“ vorgestellt wurden, haben gezeigt, wie eine frühzeitige Berufsorientierung in Schulen verankert wird bzw. wie durch eine betriebliche Berufsvorbereitung Jugendliche fit für die Ausbildung gemacht werden:

Das „Starthilfe-Programm (SHP)“ der Bayer AG fördert seit 1988 motivierte Jugendliche, deren Qualifikation für eine Ausbildung (noch) nicht ausreicht und die daher keinen Ausbildungsplatz bei Bayer bekommen haben. An verschiedenen Lernorten werden die Teilnehmer gezielt gefördert und so fit für eine Ausbildung gemacht: In der Ausbildungswerkstatt werden typische Arbeitsprozesse zum Beispiel im Labor oder in der Elektrowerkstatt vorgestellt und vermittelt und die Teilnehmer mit den in der chemischen Industrie wichtigen Sicherheitsvorschriften vertraut gemacht. Im betrieblichen Einsatz lernen die Teilnehmer den Berufsalltag kennen und sehen dort, wie wichtig soziale Kompetenzen wie Pünktlichkeit oder Teamfähigkeit sind. In der Kulturwerkstatt wird durch künstlerische Arbeiten die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen gefördert, die so zum Beispiel ihre Kreativität und ihr Selbstbewusstsein stärken können. In der Berufsschule erfolgt ein fachübergreifender Unterricht, in dem vor allem Wissensdefizite gezielt beseitigt werden. Das Programm wird komplett durch Bayer finanziert. Bisher wurden über 1.400 Jugendliche gefördert, von denen im Durchschnitt knapp 90 % in eine Ausbildung übernommen wurden oder in einem anderen Unternehmen einen Ausbildungsplatz gefunden haben (s. Tabelle). Das Programm wurde 2006 vom damaligen Vizekanzler Müntefering mit dem Preis „Beschäftigung gestalten – Unternehmen zeigen Verantwortung“ ausgezeichnet. Weitere Informationen unter www.ausbildung. currenta.de. Die Initiative „Zukunft fördern. Vertiefte Berufsorientierung gestalten“ unterstützt Schulen in Nordrhein-Westfalen bei der festen Verankerung von Berufsorientierung. Durch die Berufsorientierung sollen die Jugendlichen in die Lage versetzt werden, am Ende ihrer Schullaufbahn eine fundierte Berufswahl zu treffen. Getragen wird das Projekt von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (BA) sowie den Ministerien für Schule und Weiterbildung und für Generationen, Familie, Frauen und Integration in Zusammenarbeit mit der Stiftung Partner für Schule NRW. Das Projekt erfolgt auf Basis des § 421q SGB III, der eine hälftige Finanzierung von Maßnahmen zur erweiterten Berufsorientierung durch die BA vorsieht.

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Ein erfolgreicher Start: Das „Starthilfe-Programm (SHP)“ der Bayer AG bzw. CURRENTA GmbH Einstelljahr

Anzahl der Absolventen

Überleitung in fortführende Maßnahme

in %

1988/1989

5

5

100,00

1989/1990

10

10

100,00

1990/1991

11

9

81,82

1991/1992

44

42

95,45

1992/1993

54

37

68,52

1993/1994

42

35

83,33

1994/1995

51

42

82,35

1995/1996

49

43

87,76

1996/1997

49

38

77,55

1997/1998

46

41

89,13

1998/1999

50

37

74,00

1999/2000

45

35

77,78

2000/2001

43

39

90,70

2001/2002

75

63

84,00

2002/2003

72

63

87,50

2003/2004

72

58

80,56

2004/2005

167

148

88,62

2005/2006

178

153

85,96

2006/2007

179

147

82,12

2007/2008

195

168

86,15

Quelle: CURRENTA GmbH.

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Basis für die Zusammenarbeit zwischen BA und Land NRW ist die Rahmenvereinbarung „Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung“, die die Regionaldirektion und das Kultusministerium 2007 abgeschlossen haben. Im Rahmen von „Zukunft fördern“ wurden 10 Module zur vertieften Berufsorientierung (s. Kasten) entwickelt, die individuell von den Schulen je nach Bedarf und Schwerpunktsetzung abgefragt werden können.

bote festgeschrieben werden und dargelegt wird, wie die Module nachhaltig im Schulalltag verankert werden. 2009 – dem zweiten Projektjahr – haben bereits über 1.300 Schulen an dem Projekt teilgenommen und Module abgerufen. Weitere In­ formationen unter www.partner-fuer-schule.nrw.de.

Die Module beinhalten die finanziellen Mittel sowie Tipps und Beratungsangebote zur Umsetzung der jeweiligen Berufsorientierungs-Maßnahmen. Die Schulen, die Module nutzen, schließen mit der Stiftung Partner für Schule NRW eine individuelle Verpflichtungserklärung ab, in der die Umsetzungsaktivitäten und Unterstützungsange-

Zukunft fördern – 10 Module zur vertiefenden Berufsorientierung

Berufsorientierungsbüro (BOB) Berufsorientierung einen Raum geben

Berufsorientierungscamp Orientierung schaffen

Kompetenzfeststellungsverfahren in der Jahrgangsstufe 8 Kompetenzen individuell fördern

Vertiefte Berufs-­ orientierung an Förderschulen Mit Handicaps einen Weg in den Beruf finden

Förderkurse für Migrantinnen und Migranten Berufsorientierung über Sprache fördern

Schülerfirmen Selbstständigkeit erproben

Schülerbetriebspraktika im Ausland Horizonte erweitern

Duales Orientierungspraktikum in der Sekundarstufe II Studienorientierung schaffen

Theaterpädagogisches Berufswahltraining für Migrantinnen und Migranten Auftritt: Beruf

Sozialpraktikum Sozialkompetent in den Beruf

Quelle: www.partner-fuer-schule.nrw.de.

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V. „SCHWACHE SCHÜLER – STARK MACHEN“ POLITISCHE POSITIONEN VON BDA/BDI Schwache Schüler brauchen starke Schulen – Lageanalyse

Schulbildung zeit- und kostenintensiv ausgleichen und die notwendigen Kompetenzen nachträglich vermitteln müssen. Knapp 40 % der Jugendlichen befinden sich im Übergangssystem von Schule in Ausbildung. Die hohe Prozentzahl macht deutlich, dass die Vermittlung von Basiskompetenzen in der Schule nicht sichergestellt ist.

Schwache Schüler bilden mit etwa 20 % eine bedeutende Gruppe innerhalb des deutschen Schulsystems. Trotz oft intensiver Bemühungen durch Lehrkräfte und Schulen ist es bislang nicht gelungen, diese Zahl deutlich und in der Breite zu senken. Eine solide Schulbildung ist jedoch die Basis für den erfolgreichen Weg in den Beruf. Sie bildet den Grundstein für die weitere Ausbildung, den erfolgreichen Einstieg in den Arbeitsmarkt und die gesellschaftliche Teilhabe. Fehlende Ausbildungsreife oder ein Verlassen der Schule ohne Abschluss führen Jugendliche in Übergangsmaßnahmen, die die Defizite der

Nach dem PISA-Schock ist die Förderung von schwachen Schülern verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Zu oft wird sie dabei nur als Frage der Schulstruktur debattiert. Dabei gerät die tiefer gehende Frage nach zielführenden pädagogischen Konzepten aus dem Blick, mit denen der besondere Bedarf im unteren Leistungsbereich wirksam aufgegriffen werden kann.

Schule: Jungs dominieren in Förderschulen Schüler an allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2007/08 insgesamt

4.665.698

50,8

17.216

61,1

Grundschulen

1.588.969

51,0

Sekundarbereich I, darunter:

2.402.745

51,1

– Hauptschulen

498.100

56,0

– Schularten mit mehreren Bildungsgängen

159.863

53,2

– Realschulen

642.902

50,3

– Gymnasien

808.504

47,6

– Integrierte Gesamtschulen

210.866

51,1

Sekundarbereich II, darunter:

403.709

45,1

– Gymnasien

344.354

44,9

– Integrierte Gesamtschulen

34.841

45,2

Förderschulen

253.059

63,2

Vorschulen

Anteil der Männer in % Grundschulen: einschließlich integrierter Gesamtschulen, freier Waldorfschulen, Abendhauptschulen, Abendrealschulen; Sekundarbereich II: einschließlich Freier Waldorfschulen, Abendgymnasien, Kollegs; Ursprungsdaten: Statistisches Bundesamt. Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft, iwd, Jg. 35, Nr. 17.

Schwache Schüler – stark machen

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Gerade die Schulen, die einen besonders großen Teil schwacher Schüler aufnehmen, haben mit beträchtlichen Hindernissen zu kämpfen. Schulen in sozialen Brennpunkten oder mit hohem Förderbedarf werden pauschal als „Restschulen“ abgewertet. Das oft sehr hohe Engagement der Lehrkräfte wird dagegen wenig gewürdigt. Diese Doppelbelastung hält viele Lehrer davon ab, die Tätigkeit an einer solchen Schule aufzunehmen. Zudem sehen sie sich durch ihre Ausbildung nur unzureichend auf die pädagogischen Herausforderungen ihres anspruchsvollen Arbeitsalltags vorbereitet. Nachdem über Jahre die Förderung von Mädchen ein besonderer Schwerpunkt war, sind nun die Jungen zur neuen Problemgruppe des Bildungssystems geworden: Unter den schwachen Schülern sind sie inzwischen überproportional vertreten. Im Schuljahr 2007/08 waren 56 % aller Hauptschüler und rund 63 % aller Förderschüler männlich. Zudem besuchten mit einem Anteil von 45 % deutlich weniger junge Männer die gymnasiale Oberstufe als junge Frauen. Jungen wiederholen häufiger eine oder mehrere Klassen und verlängern damit ihre Schulzeit. Mädchen interessieren sich dagegen nach wie vor kaum für Studien- und Ausbildungsgänge im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Unter den schwachen Schülern sind Jugendliche mit Migrationshintergrund besonders stark vertreten. An der Hauptschule sind sie mit 50 % über-, am Gymnasium mit 9 % unterrepräsentiert. Ihre Anteile an der untersten Leistungsstufe bei PISA und an den Ausbildungsabbrechern sind überproportional hoch. Sprachliche Defizite, ein sozial schwaches Elternhaus und kulturelle Unterschiede tragen dazu bei, dass Migrantenkinder vielfach bereits vor dem Eintritt in die Schullaufbahn durch schlechtere Startchancen in ihrer Bildungsbiographie benachteiligt sind. Auch im Übergangssystem von Schule in Ausbildung sind jugendliche Migranten mit 60,5 % überproportional vertreten. Dass der Bildungserfolg in Deutschland von der sozialen Herkunft so stark abhängt wie in kaum einem anderen Land, wie die PISAErgebnisse 2006 bestätigen, zeigt dringenden Handlungsbedarf.

Der Anteil der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist in den letzten Jahren auf rund 5 % aller Schüler gestiegen. Sie bilden einen beträchtlichen Teil der Risikogruppe. Aufgrund zu niedriger Kompetenzniveaus bleiben sie meist ohne regulären Schulabschluss und haben nur geringe Chancen auf eine Berufsausbildung. Deutschland hat im Dezember 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und damit die Weichen für ein verstärkt gemeinsames Lernen von Jugendlichen mit und ohne Behinderungen gestellt. Doch auch hier bleiben Fragen nach einer optimalen Förderung, unabhängig von der Frage des inklusiven Unterrichts, unbeantwortet.

Lösungsansätze Gerade schwache Schüler dürfen nicht mehr wie bisher den Anschluss an die Wissensgesellschaft und den Einstieg in das Berufsleben verlieren. Wir müssen ihr Potenzial erkennen, wertschätzen und bestmöglich entfalten. Zentral ist dabei eine schulische Bildung, die den individuellen Bedürfnissen schwacher Schüler entspricht und ihnen zuverlässig die Kompetenzen vermittelt, die sie zur erfolgreichen Aufnahme einer Ausbildung befähigen. Besonderes Augenmerk muss dabei auf diejenigen Kinder und Jugendlichen gelegt werden, die aufgrund von Migrationshintergrund, Geschlecht oder sonderpädagogischem Förderbedarf spezieller Unterstützung bedürfen. Um dieses Ziel zu erreichen ist es unabdingbar, dass alle beteiligten Akteure und Institutionen kooperieren und reibungslose Übergänge an den Schnittstellen zwischen Schule, Berufsbildung und Arbeitsmarkt ermöglichen. Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“ (Dresdner „Bildungsgipfel“) hat die gemeinsamen bildungspolitischen Ziele und Maßnahmen des Bundes und der Länder festgehalten und dabei insbesondere im Blick auf die schwachen Schüler entscheidende Eckpunkte definiert. Die deutsche Wirtschaft unterstützt die beschlossenen Ziele und Maßnahmen und begleitet die Umsetzung, die nun konsequent erfolgen muss.

Schwache Schüler – stark machen

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Individuelle Förderung umsetzen Die Frage, wie man schwache Schüler wirksam stärken kann, wird oft als Frage der Schulform diskutiert und mit der Frage nach der Zukunft der Hauptschule verknüpft. Aber nicht die Schulform ist die entscheidende Größe, sondern die Frage nach pädagogischen Konzepten, die gezielt gerade den schwachen Schülern helfen. Die Einführung von integrativen Schulformen und -systemen alleine ist noch keine Lösung für das Problem der schwachen Schüler: Sie brauchen in jeder Schule - ob Hauptschule oder schulformübergreifende Schule - gezielte Angebote und Ansätze. Schwachen Schülern hilft nur eine individuelle Förderung, die nicht in den herkömmlichen Strukturen möglich ist. Gefragt ist vielmehr ein Mix von Einzelmaßnahmen, Förderangeboten und Begleitungen, die unter dem gemeinsamen Nenner der individuellen Förderung stehen:

neue Formen der Lernbegleitung kontinuierliche Einzelbetreuung individuelle Beobachtung systematische Diagnostik Förderpläne und Zielvereinbarungen Portfolios für die Bildungsbiografie verantwortliche Pädagogen z. B. in Jahrgangsteams dichte Betreuungsrelationen Praxiserfahrung als Lernmotivation anschauliches, handlungsorientiertes Lernen

Eine Differenzierung ist also notwendig – mehr als eine reine Binnendifferenzierung im Unterricht, aber jenseits der Schulformdebatte als zielgruppenorientiertes Vorgehen in der Einzelschule. Gefragt sind eigene Ansätze für schwache Schüler im Fachunterricht wie im Bildungsverlauf.

Schüler mit besonderem Förderbedarf brauchen eine gute und enge Betreuung und Begleitung durch pädagogisch kompetente Vertrauenspersonen. Dies kann z. B. durch ein festes Team von Lehrkräften einer Jahrgangsstufe, durch ein Klassenlehrersystem oder auch durch über mehrere Schuljahre hinweg gleich bleibende Lernbegleiter und Mentoren geschehen. Wichtig ist, dass das Kind und der Jugendliche in seiner ganzheitlichen Persönlichkeit mit Schwächen und Stärken gesehen und ebenso kontinuierlich wie gezielt unterstützt wird. Eine systematische Diagnostik ist der erste Schritt für ein gezieltes Vorgehen in der Förderung. Daraus lassen sich Förderpläne ableiten, die mit Zielvereinbarungen zwischen Lehrkräften und Schülern – unter Einbeziehen der Eltern – verbindlich gemacht werden können. Portfolios und ähnliche Instrumente dokumentieren die Erkenntnisse und Erfahrungen ebenso wie sie besondere Leistungen oder überfachliches, auch außerschulisches Engagement der Schüler festhalten. Viele Schulen haben bereits aus der Praxis heraus Konzepte entwickelt und umgesetzt; die vorhandenen guten Modelle und die von der Pädagogik entwickelten neue Konzepte müssen durch die Bildungspolitik aufgegriffen, weiter verbreitet und nachhaltig verankert werden. Es muss nicht sein, dass jede Schule das Rad neu erfindet, sondern bewährte Konzepte und Modelle auf ihre spezifische Bedarfssituation hin adaptiert und anpasst.

Schwache Schüler – stark machen

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Intensive Praxiserfahrungen stärken die Lernmotivation, besonders gilt dies für Praxiserfahrungen im Betrieb. Idealerweise wird im Fachunterricht aufgegriffen, was in der Praxis an Fragestellungen auftaucht (z. B. in Mathematik und Naturwissenschaften). Schwachen Schülern kommt ein umfassender Bildungsbegriff zugute. Wer in Mathematik nicht vom Fleck kommt, aber im Sport gut ist, hat dort Erfolgserlebnisse, die zu einem guten Selbstvertrauen beitragen und für die Lernmotivation genutzt werden können. Schulen bestätigen dies immer wieder – das Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken ist als eigener Erfolgsfaktor von großer Bedeutung für die Bildungsbiografie. Be-

sondere Projekte der Schulen wie z. B. eine Musical-Aufführung, ein Sportfest oder ein Kochwettbewerb stärken die Identifikation der Schüler mit der Schule und im Effekt auch die Bereitschaft, im Unterricht mitzumachen. Das Ganztagsangebot muss weiter konsequent ausgebaut werden. Dadurch wird die Lernzeit der Schüler erhöht, mehr Vielfalt geschaffen und eine aktive Lernbegleitung über den Unterricht hinaus möglich. Gerade schwache Schüler brauchen Gelegenheiten, ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend durch pädagogisches Personal weiter gefördert zu werden. Insbesondere Schüler mit Migrationshintergrund profitieren durch ein längeres gemeinsames und angeleitetes Lernen.

„Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ Individuelle Förderpläne und Zielvereinbarungen Zweiter Preisträger des Jahres 2009 ist die Hauptschule Coerde bei Münster in Nordrhein-Westfalen. Obwohl die Schule unter extrem schwierigen Bedingungen arbeitet, gelingt es ihr, ein uneingeschränkt positives Klima zu schaffen, das den Umgang der Lehrer, Schüler und auch Eltern miteinander spürbar prägt. Durch eine hervorragende Vernetzung ist die Schule geradezu der Mittelpunkt des Stadtteils. Die Berufsorientierung ist systematisch und praxisnah aufgebaut und wird gemeinsam mit zahlreichen außerschulischen Partnern, insbesondere auch Betrieben, verwirklicht. Schülerfirmen, die Zusammenarbeit mit dem Berufskolleg und die Stärkung der Sozialkompetenzen ermöglichen hohe Übergangsquoten von bis zu 50 % eines Jahrgangs in Ausbildung bzw. das Berufskolleg. Auffällig ist die enge Zusammenarbeit mit den Eltern; beim Zeugnissprechtag werden Zielvereinbarungen mit den Schülern und Eltern schriftlich festgehalten und kontinuierlich überprüft. Abschluss und Anschluss für Sonderschüler Mit der Fritz-Walter-Schule aus Kaiserslautern in Reinland-Pfalz hat eine Sonderschule für Lernbehinderte 2009 den dritten Platz erreicht. Die Schule legt Wert darauf, ihre Schüler bei ihrer individuellen leistungsmäßigen Ausgangslage abzuholen und bietet im Rahmen ihres Schulprogramms umfangreiche und spezielle Fördermaßnahmen, um den Jugendlichen Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Mit einem breit aufgestellten Programm der Berufsvorbereitung – u. a. mit Schülerfirmen, Praxistagen, Blockpraktika, Sozialtraining – gelingt es, bis zu 40 % der Abgänger in reguläre Ausbildung zu vermitteln. 90 % werden außerdem im freiwilligen 10. Schuljahr zum Hauptschulabschluss geführt. Informationen auch unter www.starkeschule.ghst.de

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Für Kinder aus bildungsfernen und aus Migrantenfamilien ist die Sprachförderung von elementarer Bedeutung. Sie muss schon vor Schulbeginn im Rahmen der vorschulischen Bildung beginnen und ist durch die Schulzeit – bis in die Berufsschule hinein – weiter zu verfolgen. Mehr denn je nehmen die Schulen heute auch Erziehungsaufgaben wahr. Insbesondere für Schüler aus einfachen Verhältnissen und Migrantenkinder ist die Schule in der Vermittlung sozialer Kompetenzen und der „ungeschriebenen Gesetze“ und Spielregeln unserer Gesellschaft unersetzbar. Die Vermittlung von Kompetenzen wie Konzentrations- und Teamfähigkeit, Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein sowie eine demokratische Werteerziehung sind gefordert. Zur Dokumentation, Motivation und Transparenz der personalen und sozialen Kompetenzen sind „Kopfnoten“ ein geeignetes Instrument. Die breite Verwirklichung neuer Lehr- und Lernformen und einer handlungsorientierten Kompetenzvermittlung einerseits und einer individuellen Lernbegleitung andererseits wird das schulische Niveau steigern und das Erreichen der Standards für den Hauptschulabschluss sichern.

für Risikoschüler zu intensivieren. Dies muss ein prioritäres Thema auch in der Forschungsförderung von Bund und Ländern sein.

Mädchen und Jungen fördern Nähere Untersuchungen des unterschiedlichen Bildungserfolgs von Jungen und Mädchen zeigen, dass Mädchen bei gleichen Ausgangssituationen durch ihre überfachlichen Kompetenzen in der Schullaufbahn eher weiterkommen als Jungen. Faktoren wie Selbstdisziplin, Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Ausdauer sind bei ihnen stärker vorhanden. Als Pluspunkt der Mädchen erweist sich das selbstgesteuerte Lernen. Daher muss die Vermittlung von Methodenkompetenzen an die Jungen in der Schule mehr an Bedeutung gewinnen. Demgegenüber ist der wachsende Anteil weiblicher Lehrkräfte für den Lernerfolg der Jungen nicht entscheidend. Dennoch bleibt die Forderung nach einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis, vor allem in frühen Bildungsphasen in Kindergarten und Grundschule im Kollegium für die Erziehungsaufgabe und die Rollenvorbilder wichtig.

Die empirische Bildungsforschung und wissenschaftliche Pädagogik ist aufgefordert, die Suche nach wirksamen pädagogischen Konzepten

Beispiel Girls’ Day Bei der Berufsorientierung muss die Motivation von Mädchen für naturwissenschaftlich-technische Berufe gestärkt werden. So findet seit neun Jahren in Mit-Trägerschaft der BDA der bundesweite „Girls’Day – Mädchenzukunftstag“ statt. Diese Initiative hat sich als wirksames Instrument erwiesen, junge Frauen für technische und naturwissenschaftliche Berufe zu interessieren. Schülerinnen ab der 5. Klasse können sich in Unternehmen, Verbänden, Forschungseinrichtungen und Universitäten über MINT-Berufe informieren. Mit über 9.000 Veranstaltungen, an denen ca. 126.000 Schülerinnen teilgenommen haben, wurde 2009 ein neuer Teilnahme-Rekord aufgestellt. Bis heute konnte bereits bei über 800.000 Mädchen Neugierde für Tätigkeitsfelder geweckt werden, in denen ihre Kompetenzen besonders gefragt sind. Immer mehr Schulen bieten parallel zum Girls’ Day einen Boys’ Day an. Dabei werden Jungen an vermeintlich „weibliche“ Berufe im sozialen und Dienstleistungsbereich herangeführt.

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Für die Förderung der Bildungsbeteiligung von Jungen ist darüber hinaus notwendig: Pädagogische Konzepte, die Verhaltensweisen von Jungen aufgreifen Selbstverantwortetes Lernen und Methodenkompetenzen stärken Schulung der sprachlichen Kompetenzen, anregende Literatur zur Lesemotivation Männliche Pädagogen und Lernbegleiter vom Kindergarten bis zum Schulabschluss Rhythmisiertes Lernen mit Bewegungs-, Sport- und Spielphasen

Rahmenbedingungen für starke Schulen verbessern Jedes Schülerprofil ist anders, die Heterogenität der Lernvoraussetzungen bei Kindern und Jugendlichen deutlich gestiegen. Die einzelne Schule ist stark, wenn sie sich auf diese Voraussetzungen flexibel und bedarfsorientiert einstellt und auch einstellen kann. Daher ist die Selbstständige Schule auch ein entscheidender Schlüssel für die Förderung schwacher Schüler. Die selbstständige Schule analysiert ihren Standort und ihre besonderen Bedingungen und orientiert sich auf dieser Basis an den Zielen, die sie für sich und ihre Schüler erreichen will. Die Zielorientierung schafft ein systematisches und

effizientes Vorgehen und macht zudem das Lehrerkollegium erst zu einem Team, das an einem Strang zieht. Die Schulleitung ist der pädagogische Motor der Schulentwicklung. Die Schulen brauchen daher ein Budget, das ihren Handlungsbedarf und das Schülerprofil aufgreift und sich auf die soziale Zusammensetzung der Schülerschaft bezieht. Sie muss über die Verwendung selbst entscheiden können – auch über die Umsetzung in Stellen oder Sachmittel. Ob die Schule mehr Lehrer, mehr Sozialpädagogen oder besondere Ausstattung braucht, weiß sie selbst am besten. Engagierte, motivierte und pädagogisch gut ausgebildete Lehrkräfte sind die Voraussetzung für eine solche Förderung. Die Selbstständige Schule sucht sich das pädagogische Personal aus, das zu ihrem Profil am besten passt, und setzt es ein. Lehrkräfte gerade für schwache Schüler brauchen eine praxisnahe Ausbildung, die sie gut auf den Schulalltag und die Bedürfnisse ihrer Schülerschaft vorbereitet. Mit einer effektiven Ausbildung und einer Bezahlung, die sich an den Anforderungen und Leistungen statt am Status der Schulform orientiert, wird der Lehrerberuf wieder attraktiver werden – insbesondere auch an belasteten Schulen mit einem hohem Anteil schwacher Schüler.

Starke Schulen zeichnen sich aus durch

individuelles Eingehen auf ihre Schüler und ihre Bedürfnisse

systematisches Vorgehen

Erfolgskontrollen und ständige Weiterentwicklung

Nachhaltigkeit im Projektangebot

frühe und betriebsnahe Berufsvorbereitung

Öffnung und Kooperation mit dem lokalen Umfeld

Kreativität und Einfallsreichtum

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Starker Start in die Ausbildung – Lageanalyse Die duale Ausbildung in Deutschland ist die zentrale Quelle für gut ausgebildeten Fachkräftenachwuchs. Sie eröffnet den ausgebildeten jungen Menschen gute berufliche Perspektiven und integriert gleichzeitig ein breites Spektrum an Jugendlichen: So sind 17 % der Auszubildenden Abiturienten, 36 % Jugendliche mit Realschulabschluss und 28 % verfügen über einen Hauptschulabschluss. Nicht allen Jugendlichen gelingt aber ein reibungsloser Übergang von der Schule in Ausbildung. Die größte Herausforderung ist es, dass viele Jugendlichen ohne das erforderliche Rüstzeug an dieser Schwelle stehen. So verlassen rund 8 % der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss. In den letzten Jahren hat sich ein umfangreiches Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildung entwickelt. Dennoch gelingt es einer zu großen Zahl von Jugendlichen nicht, einen Berufsabschluss zu erreichen. Mit vielfältigen Maßnahmen der Länder, der Bundesagentur für Arbeit (BA) und Programmen des Bundes sollen Jugendliche fit für die Ausbildung gemacht werden. Mehrere Milliarden Euro werden hierfür pro Jahr ausgegeben – nach der Schule als Reparaturmaßnahme für Defizite, die vorher entstanden sind. Dieses System ist allerdings aufgrund einer hohen Vielfalt an Maßnahmen wenig transparent. Dadurch sind auch die vermittelten Kompetenzen oft wenig sichtbar; zudem fehlen systematische Übergänge. Trotz guter Beispiele im Übergangssystem ist daher zu konstatieren, dass das Ziel, den Weg in Ausbildung und zu einem Berufsabschluss zu ebnen, vielfach nicht erreicht wird. So bleiben von den 20-29-jährigen jungen Menschen rund 15 % ohne Berufsabschluss. Nicht wenige Betriebe stehen auch aus diesem Grund vor erheblichem Nachwuchsmangel für ihre Ausbildung. In den letzten Jahren ist daher – z. B. durch den Innovationskreis Berufliche Bildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) – eine intensive Debatte geführt worden, wie die Strukturen der Ausbildung und des Übergangssystems angesichts unterschiedlicher

Möglichkeiten der Jugendlichen verändert werden müssen, damit die Integration in Ausbildung und Beschäftigung überall gelingt. Erste Ergebnisse dieser Diskussion werden aktuell erprobt bzw. in Förderansätzen berücksichtigt.

Leitlinien Insbesondere vor dem Hintergrund der rückläufigen demografischen Entwicklung und immer weniger Fachkräftenachwuchs, aber auch aus sozialen Gründen können und wollen wir es uns nicht länger leisten, dass zu vielen Jugendlichen der Übergang in Ausbildung nicht gelingt und sie dauerhaft ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine sonstige auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Qualifikation bleiben. Es muss gelingen, möglichst alle Jugendlichen zum Berufsabschluss zu führen bzw. sie ihren Möglichkeiten und Potenzialen entsprechend – auch im Rahmen von Teilqualifizierungen – zu fördern. Hieraus ergeben sich im einzelnen folgende Ziele und Leitlinien: Präventiv ansetzen – Ausbildungsreife in der Schule sicherstellen Schulen müssen optimal auf den Übergang in Ausbildung vorbereiten und die Ausbildungsreife der Schulabgänger sicherstellen. Hierzu gehören neben den Kulturtechniken auch die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse und eine fundierte Berufsorientierung. Es geht darum, grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge zu kennen, insbesondere auch die Rolle und Funktionsweise von Betrieben. Zudem muss jeder junge Mensch einen Überblick über die beruflichen Chancen und Möglichkeiten (inkl. der entsprechenden Ausbildungswege) haben sowie die eigenen Interessen und Stärken kennen und mit den Anforderungen von Berufen abgleichen können. Dies ist eine zentrale Basis für eine fundierte Berufswahl, die dazu beiträgt, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Praxisnah ansetzen – zum Lernen motivieren Gerade leistungsschwächere Jugendliche können vor allem durch einen konkreten Praxisbezug zum Lernen motiviert werden. So wird anschaulich, warum etwas gelernt wird. Zudem stärken Erfolgserlebnisse das Selbstbewusstsein der ansonsten häufig mit Misserfolgen konfrontierten

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J­ ugendlichen. Daher sollte gerade die Qualifizierung von lernschwachen Jugendlichen in Schule, Berufsvorbereitung, Ausbildung und Nachqualifizierung stark an der Praxis ausgerichtet bzw. möglichst direkt in der betrieblichen Praxis erfolgen – nur im Ausnahmefall außerbetrieblich und dann unbedingt mit Praxisphasen verknüpft. Neben dem Motivationseffekt bringen frühzeitige Kontakte mit Betrieben vielfach einen „Klebeeffekt“ mit sich, d. h. die Jugendlichen können sich in der betrieblichen Praxis bewähren und steigern damit ihre Chancen, direkt in Ausbildung übernommen zu werden. Übergänge systematisieren – Transparenz schaffen Für leistungsschwache Jugendliche, denen der Eintritt in Ausbildung aufgrund bestehender Defizite trotz intensiver schulischer Vorbereitung nicht auf Anhieb gelingt, brauchen wir passende Übergänge. Neben dem direkten Praxisbezug sollten solche Angebote differenziert auf die Problemlagen der Jugendlichen eingehen können. Denn es kann ihnen einerseits an fachlichen bzw. sprachlichen Voraussetzungen fehlen, die eine fachbezogene Nachhilfe erfordern. Andererseits können soziale Probleme auch eine sozialpädagogische Unterstützung erforderlich machen. Hierauf muss das Übergangsangebot differenziert eingehen können. Darüber hinaus müssen die Kompetenzen, die in der Übergangsphase vermittelt werden, so transparent sein, dass insbesondere Betriebe erkennen können, welche Voraussetzungen der Jugendliche mitbringt, und ggf. einzelne fachliche Inhalte auf eine Ausbildung anrechnen können. Ermöglicht wird so eine engere Verknüpfung mit der Ausbildung, die Doppelqualifizierung vermeidet. Angebote differenzieren – Einstiegsmöglichkeiten schaffen An der Schwelle hin zur Ausbildung stehen Jugendliche mit unterschiedlichem Begabungspotenzial und Interessen. Gleichzeitig gibt es berufliche Tätigkeiten mit unterschiedlichem Anforderungsprofil. Auch einfache Tätigkeitsfelder wird es weiterhin geben, die allerdings höhere Ansprüche als früher an die Arbeitnehmer stellen und daher eine Qualifizierung erfordern. Ausbildungs- bzw. Qualifizierungsmöglichkeiten

müssen stärker diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht werden und dafür differenziert gestaltet werden können. Die Ausbildung selbst muss durch Differenzierungsmöglichkeiten auch leistungsschwächeren Jugendlichen mehr Einstiegschancen eröffnen. Auch muss für Jugendliche, die (zunächst) keine vollständige Ausbildung schaffen, die Vermittlung von Teilqualifizierungen ermöglicht werden. Teilqualifizierungen und entsprechende Zertifikate sollten auch in der Nachqualifizierung im Sinne einer „2. Chance“ für Personen ohne Berufsabschluss strukturbildendes Element werden.

Handlungsschwerpunkte Berufsorientierung muss fest im Schulalltag verankert und in Kooperation mit der Wirtschaft umgesetzt werden. Dazu gehört insbesondere ein fächerübergreifender Praxisbezug, Betriebserkundungen, Bewerbungstrainings, eine gute Vor- und Nachbereitung von Betriebspraktika der Schülerinnen und Schüler, die Nutzung entsprechender Weiterbildungsangebote durch Lehrerinnen und Lehrer (z. B. auch in Form von Betriebspraktika) sowie eine gemeinsame Projektarbeit mit Unternehmen. Zudem sollte es an jeder Schule einen bzw. mehrere Ansprechpartner geben, die für nachhaltige Kontakte zu Betrieben im Schulumfeld zuständig sind. Auch sollten regelmäßige Kontakte zu den Eltern gepflegt werden, um sie über den Leistungsstand ihrer Kinder sowie deren möglichen weiteren Bildungsweg zu informieren. Die Wirtschaft steht den Schulen für diese Aufgabe als verlässlicher Partner zur Verfügung. Dies geschieht insbesondere über das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT. Die Wirtschaft sagt insbesondere zu, jeder interessierten Schule mindestens einen Partner aus der Wirtschaft zu vermitteln. Auch der „Nationale Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“ (Ausbildungspakt) hat sich das Ziel gesetzt, in Kooperation mit der Kultusministerkonferenz (KMK) das Thema Ausbildungsreife und insbesondere Berufsorientierung zu stärken. Die Paktpartner haben 2006 den „Kriterienkatalog Ausbildungsreife“ vorgelegt,

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der anschaulich darlegt, welche Anforderungen die Wirtschaft an ihre künftigen Auszubildenden stellt. Um eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildungsreife der Schulabgänger zu erreichen, haben Paktpartner und Kultusministerkonferenz (KMK) gemeinsam konkrete Umsetzungsschritte erarbeitet und in Form des Leitfadens „Schulen und Betriebe als Partner – Ein Handlungsleitfaden zur Stärkung von Berufsorientierung und Ausbildungsreife“ präsentiert. Im Februar 2009 wurde das gemeinsame Konzept „Berufswegeplanung ist Lebensplanung“ vorgestellt. Ziel dieser Initiativen ist die feste Verankerung von Berufsorientierung und Berufswegeplanung im Schulalltag – in Kooperation mit externen Partnern insbesondere der Wirtschaft. Zur präventiven Unterstützung nicht nur leistungsschwächerer Jugendlicher auf ihrem Weg in Ausbildung gehört auch der Einsatz von

Mentoren/Paten bzw. Berufseinstiegsbegleitern. Sie können über berufliche Chancen und Möglichkeiten informieren und eigene Erfahrungen weitergeben. Zudem können sie Betriebskontakte herstellen und Türen öffnen. Für diese Aufgabe sollten insbesondere auch verstärkt Menschen mit Migrationshintergrund als Vorbilder gerade für Jugendliche, die ebenfalls einen Migrationshintergrund haben, gewonnen werden. Zu begrüßen ist der Ansatz der Bundesagentur für Arbeit (BA), im Rahmen der Förderung der erweiterten vertieften Berufsorientierung (§ 33 i. V. m. § 421q SGB III), Schüler frühzeitig auf einen gelungenen Übergang in Ausbildung vorzubereiten. Die Länder werden durch die 50%ige Finanzierung durch die BA nicht aus ihrer Verantwortung für die Sicherstellung von Ausbildungsreife inkl. Berufsorientierung entlassen. Es werden vielmehr wichtige Impulse gesetzt, damit diese

Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT ist ein kompetenter Ansprechpartner, wenn es darum geht Schule und Wirtschaft zusammenzubringen. Durch zahlreiche Projekte und Aktivitäten werden der Austausch und die Kooperation zwischen Schulen und Unternehmen gefördert – und das bundesweit. SCHULEWIRTSCHAFT gestaltet die Zukunft der Jugendlichen in Partnerschaft: durch die Verbesserung des Übergangs von Schule in Beruf oder Studium, die Stärkung der ökonomischen Bildung und die Unterstützung der Persönlichkeitsbildung. Schul- und Unternehmensvertreter übernehmen damit gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung. Mit seiner über 50-jährigen erfolgreichen Arbeit hat SCHULEWIRTSCHAFT Vertrauen und breite Akzeptanz bei den Beteiligten und darüber hinaus aufgebaut. Daten und Fakten: Das Netzwerk SCHULEWIRTSCHAFT wirkt als Multiplikator von Bundes- über Landesebene direkt bis an die Basis: 22.000 ehrenamtlich Aktive in Kooperation mit 8.000 Unternehmen kombiniert gleichberechtigt wirtschaftliche und pädagogische Perspektiven Allein­stellungsmerkmal: branchen- und schulartübergreifende Zusammenarbeit bündelt hohe Kompetenz und Erfahrung steht mit über 50 Jahren erfolgreicher SCHULEWIRTSCHAFT-Arbeit für Kontinuität erzeugt mit den Aktivitäten hohe Resonanz: bundesweit 3.500 Presseclippings im Jahr, 190.000 Teilnehmer pro Jahr, 110 Anfragen pro Tag Kontakt: schulewirtschaft@arbeitgeber.de bzw. www.schule-wirtschaft.de

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Aufgabe nachhaltig und in der Fläche verankert ist. Hierauf muss durch eine gezielte Förderung insbesondere systematisch und dauerhaft angelegter Projekte hingewirkt werden. Eltern stehen in der Verantwortung, ihre Kinder auf dem Weg zur Ausbildung zu begleiten und sie nach ihren Möglichkeiten zu unterstützen. Hierzu gehört die Nutzung von Informations- und Beratungsangeboten der Schule, der Arbeitsagenturen oder Jugendhilfeeinrichtungen. Auch können Eltern ihre eigenen beruflichen Erfahrungen an ihre Kinder weitergeben. Wichtig sind in diesem Zusammenhang gezielte Informationsangebote für Migranten – Jugendliche wie Eltern –, da diese das deutsche Bildungs- und Ausbildungssystem sowie die damit verbundenen Chancen nicht so gut kennen. Um besonders schwache Schülerinnen und Schüler durch frühzeitigen Praxisbezug zu unterstützen und zu fördern, sollten Praxis- bzw. Kooperationsklassen bedarfsgerecht angeboten werden. Hier werden Praxisphasen im Betrieb von ein bis zwei Tagen kombiniert mit Unterricht, gezielter Nachhilfe und ggf. sozialpädagogischer Begleitung. Erfahrungen mit solchen Projekten zeigen, dass Schüler, die zuvor keinen Schulab-

schluss zu erreichen drohten, so zu einem hohen Anteil zu einem Schulabschluss und in Ausbildung geführt werden können. Ist vor der Ausbildung aufgrund von besonderen Defiziten eine Berufsvorbereitung erforderlich, muss diese so praxisnah wie möglich ausgestaltet sein. Die mit dem Ausbildungspakt eingeführten, mittlerweile im SGB III verankerten (allerdings falsch finanzierten) betrieblichen Einstiegsqualifizierungen (EQ) sind hier Vorbild, denn sie haben sich als erfolgreiche Brücke in Ausbildung bewährt. Die Begleitforschung hat gezeigt, dass bis zu 75 % der teilnehmenden Jugendlichen anschließend in Ausbildung münden und die anbietenden Betriebe entweder neu in Ausbildung eingestiegen sind oder ihr Ausbildungsangebot gesteigert haben. Zu begrüßen ist zudem, dass im SGB III auch die Möglichkeit geschaffen wurde, Einstiegsqualifizierungen mit den sog. ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) zu flankieren, damit Betriebe bei besonders schwierigen Jugendlichen mit den damit verbundenen Herausforderungen nicht alleine gelassen werden. Für Betriebe bietet sich mit den Einstiegsqualifizierungen die Chance, angesichts sinkender Bewerberzahlen auch schwächere Jugendliche als potenzielle Auszubildende kennen zu lernen.

„BiK – Berufsvorbereitung in Kooperationsklassen“ von Südwestmetall Berufsvorbereitung in Kooperationsklassen (BiK) erleichtert Schülerinnen und Schülern den Über­gang von der Schule in die Arbeitswelt. Dies wird durch die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit in enger Zusammenarbeit mit den Betrieben erreicht. Mit dem Angebot BiK im Rahmen der Initiative START 2000 Plus unterstützt Südwestmetall die Reformkonzepte einer arbeitsweltoffenen Hauptschule. Durch das Kooperationsklassenmodell wird die Verzahnung zwischen Hauptschule, Berufsschule und Betrieb besonders gefördert. BiK unterstützt schwächere Hauptschüler und begleitet diese in Kooperationsklassen bei der Entwicklung von Sozialkompetenzen sowie beim Übergang in die Ausbildung. Dabei werden die Potenziale der Schülerinnen und Schüler entdeckt und entwickelt. Die Jugendlichen werden in ihrer Berufsfindungsphase individuell beraten. Bei Praktika und anderen Kontakten mit der Wirtschaft unterstützt BiK, sich in der ungewohnten Umgebung zurechtzufinden. In Projekten, Seminaren und Einzelgesprächen erhalten die Jugendlichen zusätzliche Hilfen zur Berufsorientierung. Insgesamt wurden seit September 2000 bereits mehr als 1.600 Schülerinnen und Schüler der Kooperations­klassen betreut.

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Um Jugendliche mit unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen in Ausbildung integrieren und den unterschiedlichen Anforderungen der betrieblichen Praxis entsprechend ausbilden zu können, sollten verstärkt differenzierte Ausbildungsangebote entwickelt werden. Zweijährige Ausbildungsberufe bieten hierzu gute Möglichkeiten und sollten auf breiterer Basis und verbunden mit der Anrechnungsmöglichkeit auf einen dreijährigen Ausbildungsberuf (Beispiel: Verkäufer/-in – Kaufmann/-frau im Einzelnhandel) geschaffen werden. Weitere Differenzierungs- und Einstiegsmöglichkeiten bieten der Einsatz und die Zertifizierung

von bundesweit einheitlichen Ausbildungsbausteinen. Verstärkt sollten daher dort, wo sinnvoll und von der Branche gewollt, Ausbildungsberufe – unter Beibehaltung des Berufsprinzips – in bundesweit einheitliche Bausteine gegliedert werden. Dadurch können Teilqualifikationen transparent und nutzbar gemacht werden. Zu begrüßen ist die entsprechende Empfehlung des Innovationskreises Berufliche Bildung des BMBF vom Sommer 2007 und die aktuell auf dieser Basis erfolgende Erprobung von Ausbildungsbausteinen in 14 Ausbildungsberufen im Rahmen des Förderprogramms „JobstarterConnect“.

„Chance Plus“ der Deutschen Bahn AG Das Programm „Chance Plus“ der Deutschen Bahn AG bietet Praktikanten Einblicke in Berufsbereiche mit Zukunft und ist eine Maßnahme im Rahmen des „Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland“. Jugendliche, die noch nicht über die nötige Ausbildungsreife verfügen und nicht in eine Ausbildung vermittelt werden konnten, erhalten mit „Chance Plus“ die Möglichkeit, ein Berufsbild kennenzulernen, das auch längerfristig eine gute berufliche Perspektive bietet. Über die Laufzeit des Programms von maximal 12 Monaten wechseln sich theoretischer Unterricht und Praxiseinsätze ab. Die Praktikanten werden von Beginn an in den Berufsalltag eingebunden und schaffen sich so eine Orientierung in dem jeweiligen Tätigkeitsfeld. Mit dem Mix aus allgemeinbildender und fachspezifischer Qualifizierung sowie Training der Methoden- und Sozialkompetenzen und der Begleitung durch Sozialpädagogen unterstützt die Deutsche Bahn die Jugendlichen zusätzlich in der Erlangung ihrer Ausbildungsreife. Durch ein IHK-/HWK-Zertifikat steigern die Teilnehmer ihre Chance auf eine erfolgreiche Bewerbung.

„Start in den Beruf“ der chemischen Industrie Das Programm ,,Start in den Beruf“ richtet sich an leistungsbereite Jugendliche mit Hauptschulabschluss, die auf Grund noch fehlender fachlicher, persönlicher oder sozialer Kompetenz derzeit keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Seit 1993 bereitet BASF in dieser einjährigen Maßnahme die Jugendlichen mit großem Erfolg auf eine Berufsausbildung vor. Durchschnittlich rund 75 % aller Teilnehmer haben im Anschluss an das Programm einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz innerhalb oder außerhalb der BASF erhalten. Die Programmteilnehmer erlangen die Ausbildungsreife durch Mitarbeit in den Partnerbetrieben. Hinzu kommt der Unterricht in den berufsbildenden Schulen und im BASF-Ausbildungszentrum sowie sozialpädagogische Betreuung.

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Die Nutzung von Bausteinen bietet dabei verschiedene Chancen: So können Jugendlichen, die eine Ausbildung abgebrochen haben, die Kompetenzen, die sie in der Zeit erworben haben, zertifiziert werden. Die Jugendlichen erhöhen damit ihre Chancen auf eine Beschäftigung und haben die Möglichkeit, später an diese Teilqualifikationen anzuknüpfen. Besonders leistungsschwachen Jugendlichen, die zunächst nicht in Ausbildung einmünden können, haben die Möglichkeit, erstmal einzelne Bausteine zu absolvieren – auch hier mit der Chance, direkt oder später weitere Bausteine ggf. bis zum kompletten Berufsabschluss anzuschließen. Damit sind Ausbildungsbausteine auch ein gutes Instrument für die Nachqualifizierung von An- und Ungelernten jungen Menschen, die nicht mehr in eine Ausbildung einsteigen können. Sie können beispielsweise berufsbegleitend einzeln absolviert und zertifiziert werden. Hierfür ist die Zertifizierung informell erworbener Kompetenzen, z. B. im Berufsleben, auszubauen.

dass sie eine kontinuierliche und verlässliche Unterstützung bieten, die in enger Abstimmung mit dem Betrieb gestaltet und am konkreten Bedarf des einzelnen Jugendlichen orientiert ist. So muss sichergestellt werden, dass grundsätzlich ein Träger über die komplette Ausbildungszeit die Unterstützung durchführt und kein vorschneller Abbruch der Förderung erzwungen wird. Zudem müssen die tatsächlichen Probleme den Ausschlag für eine Förderung geben, nicht die oft stark begrenzte Auslegung der Zielgruppe. Auch Berufsschulen müssen stärker auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Jugendlichen reagieren. Sie müssen eine individuelle Förderung anbieten, die Schwächen gezielt abbaut und Stärken aufbaut. Hierzu gehört insbesondere auch die Förderung der deutschen (Fach-) Sprache bei Auszubildenden mit Migrationshintergrund.

Damit auch schwächere Jugendliche in betriebliche Ausbildung integriert und zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden können, dürfen Betriebe mit dem Mehraufwand nicht alleine gelassen werden. Es bedarf daher eines verlässlichen Angebots von ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH). Sie müssen so gestaltet sein,

„Starke Schule. Deutschlands beste Schulen, die zur Ausbildungsreife führen“ – Vorbildliche Kooperation von Schule und Berufsschule Der erste Preis im Jahr 2009 ging an die Kooperative Gesamtschule Neustadt a. R. in Niedersachsen. Sie ist eine neuartige, verbindliche Kooperation mit dem Berufsschulzentrum Neustadt eingegangen. Die (Hauptschul-)Klassen 9 und 10 werden an zwei Wochentagen in der Berufsschule, an drei Tagen in der Gesamtschule unterrichtet. Der Berufsschulunterricht besteht dabei zu zwei Dritteln aus Fachpraxis. Am Ende legen die Schüler den Hauptschulabschluss in der KGS und eine Prüfung in der Berufsschule ab – dies wird als berufliches Grundbildungsjahr anerkannt. Haupt- und Berufsschullehrer kooperieren auf Augenhöhe; Schüler fühlen sich durch die Doppelung anerkannt und sind hoch motiviert, beide Abschlüsse zu schaffen. Die KGS Neustadt konnte dadurch die Zahl der Schulabgänger, die einen Ausbildungsplatz erhalten, von früher 14 % auf heute 67 % steigern. Nach den erheblichen Widerständen zu Beginn ist das „Neustädter Modell“ inzwischen eine bekannte Größe und wird vom Land Niedersachsen als flächendeckendes Angebot geplant.

Schwache Schüler – stark machen

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Kooperation von Schulen und Betrieben stärken

Schwache Schüler: Profil der persönlichen Stärken und Fähigkeiten erstellen

Was hilft schwachen Schülern in die Ausbildung?

Leitfaden Berufsorientierung: Übergang von der Schule in das Berufsleben verbessern

Übergänge erfolgreich gestalten

Was brauchen schwache Schüler?

Jungen – das schwächere Geschlecht?

Schwache Schüler – stark machen

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BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Mitglieder von BUSINESSEUROPE Hausadresse: Haus der Deutschen Wirtschaft Breite StraĂ&#x;e 29, 10178 Berlin Briefadresse: 11054 Berlin T +49 30 2033-1500 F +49 30 2033-1505 bildung@arbeitgeber.de www.arbeitgeber.de Stand: Januar 2010

BDI | Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.


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