Euro-Info Nr. 01/2019

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Nr. 01 | Juni 2019

WAHLEN ZUM EUROPÄISCHEN PARLAMENT

Schwierigere Kompromissfindung in den kommenden fünf Jahren Im Mai 2019 haben die Bürgerinnen und Bürger der 28 EUMitgliedstaaten das Europäische Parlament für die Legislaturperiode 2019–2024 gewählt. Die Europawahl hat ein starkes Signal gesendet: Im Parlament gibt es eine klare Mehrheit für Parteien, die sich zur europäischen Integration bekennen. Insgesamt dürfte die Kompromissfindung aber schwieriger werden. Fortsetzung auf S. 2

INHALTSVERZEICHNIS WAHLEN ZUM EUROPÄISCHEN PARLAMENT . . . . . . . . SOZIALPOLITISCHE BILANZ DER JUNCKER-KOMMISSION  KOORDINIERUNG DER SOZIALEN SICHERHEIT  . . . . . . . „TRANSPARENTE ARBEITSBEDINGUNGEN“-RICHTLINIE   . EU-ARBEITSBEHÖRDE  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VEREINBARKEITSRICHTLINIE  . . . . . . . . . . . . . . . . RATSEMPFEHLUNG ZUM ZUGANG ZUM SOZIALSCHUTZ . . PASSERELLE-INITIATIVE  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BREXIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . EUROPÄISCHES SEMESTER  . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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WAHLEN ZUM EUROPÄISCHEN PARLAMENT

Fortsetzung von S. 1

Ergebnisse und wichtigste Trends Die Europäische Volkspartei (EVP) bleibt die stärkste Fraktion, gefolgt von den Sozialdemokraten (S&D). Die Liberalen (ALDE) und die Grünen haben am stärksten hinzugewonnen. Vielerorts in Europa haben insbesondere die Grünen große Wahlerfolge erzielen können – in Deutschland haben sie die Anzahl ihrer EP-Abgeordneten verdoppelt. In zwei Gründungsmitgliedstaaten – in Frankreich und Italien – sind die Rechtspopulisten stärkste Kraft geworden. Erfreulicherweise lag die Wahlbeteiligung mit europaweit 50,95 Prozent und 61,4 Prozent in Deutschland deutlich höher als bei der letzten Wahl (2014: 42,61 Prozent europaweit und 48,1 Prozent in Deutschland). Das Wahlergebnis zeigt, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die europäische Integration unterstützt: Von insgesamt 751 Sitzen kamen die pro-europäischen Fraktionen laut dem vorläufigen Ergebnis auf 512 Sitze.

Unklare Machverhältnisse – Fraktionsbildung steht noch aus In den nächsten Wochen werden die Fraktionen im Europäischen Parlament gebildet. Obwohl die Rechtspopulisten nach der Wahl mehr Sitze im Europäischen Parlament als je zuvor haben, scheint es wegen vieler Meinungsunterschiede dennoch unwahrscheinlich, dass sie sich auf eine gemeinsame Fraktion einigen können. Auch die Fraktionszugehörigkeit der ungarischen Fidesz-Partei, die derzeit von der EVP-Fraktion suspendiert ist, bleibt abzuwarten. Zudem wird später die Sitzverteilung im Europäischen Parlament noch durch den möglichen Austritt des Vereinigten Königreichs verändert. Einige Fraktionen werden vom drohenden Brexit stärker betroffen sein als andere. Zusätzlich wird ein Teil der 73 Sitze des Vereinigten Königreichs auf unterproportional repräsentierte Mitgliedstaaten verteilt.

Mehrheitsfindung wird schwieriger Beide Volksparteien haben die größten Verluste im Kauf nehmen müssen. Obwohl sich der Zuwachs der rechtspopulistischen Kräfte als weit niedriger als erwartet erwies, wird dies in den kommenden Jahren die Arbeit des Europäischen Parlaments erschweren. Neben dem Rechtsruck hat auch die Zersplitterung des Parteispektrums dazu geführt, dass anders als bisher EVP und S&D zusammengenommen über keine Mehrheit verfügen. Daher wird künftig für alle Entscheidungen im Europäischen Parlament mindestens eine dritte Partei, je nach Konstellation auch eine vierte Partei, benötigt. Die erste Probe der Kompromissfindung wird die Wahl des Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Präsidenten der Europäischen Kommission im Juli sein. Nähere Informationen zu den Wahlergebnissen finden Sie hier:  https://www.election-results.eu/ Noora Närvänen |  n.naervaenen@arbeitgeber.de

SOZIALPOLITISCHE BILANZ DER JUNCKER-KOMMISSION

Quantität ist nicht gleich Qualität Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker war 2014 mit dem sozialpolitischen Anspruch angetreten, der EU zu einem „Social AAA-Rating“ und dem Sozialen Dialog zu neuer Dynamik und Bedeutung zu verhelfen. Leider fällt die Bilanz seiner Amtszeit aber insgesamt deutlich weniger positiv aus. 2


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Intensivierung der Sozialregulierung Die Juncker-Kommission setzt die soziale Dimension der EU mit der Quantität von EU-Sozialregulierung gleich. Zwischen 2014 und 2019 legte sie 27 Initiativen im sozialpolitischen Bereich vor, die insbesondere durch erhebliche bürokratische Mehrbelastungen und Rechtsunsicherheiten für Unternehmen (z.B. die Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen und die Revision der Entsenderichtlinie) sowie eine Überschreitung der von den EU-Verträgen festgelegten sozialpolitischen Kompetenzen (z.B. die Europäische Säule Sozialer Rechte) gekennzeichnet sind. Insgesamt hat die EU-Kommission immer mehr in die sehr unterschiedlich gewachsenen nationalen Systeme der Sozialversicherung und des Arbeitsrechts eingegriffen. Als Ergebnis dieser Maßnahmen drohen massive Dysfunktionalitäten auf dem europäischen Binnenmarkt.

Mangelnder Respekt für den Sozialen Dialog Zudem hat die Juncker-Kommission die Autonomie des Sozialen Dialogs wiederholt konterkariert oder sogar schlichtweg ignoriert. Diese Vorgehensweise steht in völligem Widerspruch zu der am 27. Juni 2016 unterzeichneten quadripartiten Erklärung der Europäischen Sozialpartner, der EU-Kommission und des Rates der EU zum Neustart des Sozialen Dialogs. Diese enthält wichtige Verpflichtungen, die tatsächlich zu einem Neustart in dieser Hinsicht hätten führen können. Die EU-Kommission verpflichtet sich in der Erklärung z.B. dazu, die Sozialpartner auch zu Initiativen mit CC Flickr: DG EMPL sozialpolitischer Bedeutung zu konsultieren, die nicht das Sozialkapitel des AEUV als Rechtsgrundlage haben. Stattdessen offenbarten verschiedene Vorgehensweisen der Juncker-Kommission einen Mangel an Respekt für den sozialen Dialog. So wurde die auf einer Sozialpartnervereinbarung beruhende Elternurlaubsrichtlinie aus dem Jahr 2010 ohne Zustimmung der Arbeitgeberseite durch die neue Vereinbarkeitsrichtlinie ersetzt. Dieses beispiellose Vorgehen schwächt den sozialen Dialog erheblich und entspricht nicht dem Geist der EU-Verträge.

Einen Überblick über die sozialpolitischen Initiativen der Juncker-Kommission finden Sie im Anhang 2 zur Kommissionsmitteilung über „Effizientere Entscheidungsfindung in der Sozialpolitik“. Das Dokument können Sie hier abrufen:  http://bit.ly/2WBH6pl Hanna Schöls |  h.schoels@arbeitgeber.de

KOORDINIERUNG DER SOZIALEN SICHERHEIT

Abschluss der Revision in der aktuellen Legislaturperiode gescheitert Die von der EU-Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament erzielte vorläufige Trilogeinigung zur Revision der Verordnung Nr. 883/2004 wurde im Rat nicht bestätigt und ist schließlich gescheitert. Die Gründe dafür lagen in den problematischen Änderungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich. Das Plenum des Europäischen Parlaments hat am 3


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18. April 2019 beschlossen, das Legislativverfahren auf die nächste Legislaturperiode zu verschieben. Fehlende Regelung zur Indexierung des Kindergeldes im Revisionsvorschlag der EU-Kommission Die EU-Kommission hatte den Vorschlag zur Revision der Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 im Dezember 2016 vorgelegt. Eine Überarbeitung und Modernisierung ist insbesondere notwendig, um die Arbeitnehmerfreizügigkeit als wesentlichen Bestandteil des europäischen Binnenmarkts zu schützen und ihre Akzeptanz in der EU sicherzustellen. Allerdings fehlte im Revisionsvorschlag von Anfang an die von der BDA geforderte Möglichkeit für Mitgliedsstaaten, eine Anpassung des Kindergeldes an die Lebenshaltungskosten im Wohnortstaat des Kindes vorzusehen, obwohl die Staats- und Regierungschefs bereits durch den Beschluss vom 18./19. Februar 2016 anerkannt haben, dass die Höhe des Kindergelds oftmals in einem Missverhältnis zu den Lebenshaltungskosten im Wohnortstaat steht und dies mit dem Freizügigkeitsrecht nicht zu rechtfertigen ist.

Problematische Verschärfungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens Zudem waren problematische Änderungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich vorgesehen, die durch den Bericht des Beschäftigungsausschusses des Europäischen Parlaments und die allgemeine Ausrichtung des Rates noch zusätzlich verschärft wurden. So hat der Beschäftigungsausschuss hinsichtlich der Zuständigkeit für die Zahlung von Arbeitslosengeld an Grenzgänger vorgesehen, dass die betroffene Person die Wahl haben soll, Leistungen bei Arbeitslosigkeit entweder vom Mitgliedstaat der letzten Erwerbstätigkeit oder vom Wohnmitgliedstaat zu beziehen. Das ist sehr kritisch zu bewerten, da durch die Abkehr von dem lange bewährten Grundsatz der Zuständigkeit des Wohnortmitgliedstaats vom Prinzip „Leistung und Vermittlung aus einer Hand“ abgewichen würde. Zudem erhöht diese Wahlmöglichkeit das Missbrauchspotenzial und erlaubt eine „Rosinenpickerei“ seitens der Arbeitsuchenden. Dies kann zu erheblichen Fehlanreizen in der Praxis führen, da der Mitgliedstaat für den Bezug von Arbeitslosenleistungen gewählt wird, der die höchsten Leistungen bietet und die Reintegration in den Arbeitsmarkt außer Acht gelassen wird. Auch der Vorschlag, den Exportanspruch für Arbeitslosengeld auf mindestens sechs Monate zu verlängern, ist problematisch und kontraproduktiv für eine aktive Arbeitsmarktpolitik.

Scheitern der Trilogeinigung trotz positiven Kompromisses zu grenzüberschreitenden Dienstreisen Am 19. März 2019 haben das EU-Parlament, der Rat und die EU-Kommission eine vorläufige Einigung im Dossier erzielt. Darin war insbesondere die vollständige Ausnahme der Dienstreisen von der Pflicht zur Beantragung und Mitführung einer sogenannten A1-Bescheinigung positiv zu bewerten. Jedoch konnte keine qualifizierte Mehrheit im Rat für die Annahme der Trilogeinigung erreicht werden. Sie wurde vom Rat am 11. April 2019 endgültig abgelehnt und ist damit gescheitert. Dies ist auf die erwähnten problematischen Änderungen im arbeitsmarktpolitischen Bereich zurückzuführen, die viel schwerwiegender waren, als die positive Regelung hinsichtlich der A1- Bescheinigung. Im Plenum des Europäischen Parlaments wurde am 18. April 2019 über die Annahme des Berichts des Beschäftigungsausschusses beraten. Da dieser viele problematische Ergänzungen enthielt, hat die BDA gegenüber den deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament dafür geworben, dem Bericht die Zustimmung zu verweigern. Das Plenum hat schließlich beschlossen, das Vorhaben von der Tagesordnung zu nehmen. Damit wurde das weitere Ver4


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fahren auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Auch unabhängig vom Revisionsprozess der Verordnungen setzt sich die BDA dafür ein, dass Dienstreisen von der Pflicht zur Beantragung und Mitführung einer A1-Bescheinigung ausgenommen werden. Eine Klarstellung zumindest im Sinne, dass bei kurzzeitigen und kurzfristigen Dienstreisen die nachträgliche Beantragung einer A 1- Bescheinigung im Fall einer individuellen Kontrolle ausreichend ist, sollte auf Ebene der „Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ sichergestellt werden.

Den Vorschlag der EU-Kommission finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2WqQpDz Den Bericht des Beschäftigungsausschusses des EU-Parlaments finden Sie unter folgendem Link:  http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2018-0386_EN.pdf Die vollständige allgemeine Ausrichtung des Rates finden Sie unter folgendem Link:  http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10295-2018-INIT/en/pdf Die vorläufige Trilogeinigung finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2WqDzoR Dr. Carmen Bârsan |  c.barsan@arbeitgeber.de

„TRANSPARENTE ARBEITSBEDINGUNGEN“-RICHTLINIE (EHEMALS EU-NACHWEISRICHTLINIE)

Trotz Schadensbegrenzung überflüssige und kontraproduktive Regulierungen Am 7. Februar 2019 haben das EU-Parlament, der Rat der EU und die EU-Kommission in interinstitutionellen Verhandlungen (sog. Trilog) eine vorläufige Einigung bezüglich eines Richtlinientextes zur Neufassung der Nachweisrichtlinie erzielt (jetzt: „Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen“). Auch wenn die BDA während des Rechtsetzungsverfahrens wichtige Änderungen am Richtlinienvorschlag erreichen bzw. verhindern konnte, besteht in Deutschland Umsetzungsbedarf durch die neue Richtlinie, deren Regelungen für Arbeitgeber neue bürokratische Belastungen und Rechtsunsicherheit bringen. Rechtsetzungsverfahren zur Neufassung der Nachweisrichtlinie so gut wie abgeschlossen Gut ein Jahr nachdem die EU-Kommission ihren Richtlinienvorschlag über transparente Arbeitsbedingungen im Dezember 2017 vorstellte, haben das EU-Parlament, der Rat und die EU-Kommission im Februar 2019 nun eine vorläufige Trilogeinigung bezüglich des Richtlinientextes erzielt. Dieser Text ist mittlerweile im Plenum des EU-Parlaments angenommen worden und bedarf für eine offizielle Verabschiedung lediglich noch der Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rat. Die Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten beträgt nach Inkrafttreten der Richtlinie drei Jahre.

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Quelle: EU-Kommission (2019): “Factsheet: Towards transparent and predictable working conditions”

Wichtige Korrekturen am Richtlinientext erreicht Die aktuell noch geltende EU-Nachweisrichtlinie aus dem Jahr 1991 verpflichtet den Arbeitgeber dazu, Arbeitnehmer schriftlich über die wesentlichen Punkte des Arbeitsverhältnisses in Kenntnis zu setzen. Mit ihrem vorgelegten Richtlinienvorschlag über transparente Arbeitsbedingungen strebte die EU-Kommission insbesondere an, den bisherigen Inhalt aus der Nachweisrichtlinie zu erweitern, neue Mindeststandards für Arbeitnehmer einzuführen und einen europaweit einheitlichen und sehr weit gefassten Arbeitnehmerbegriff festzuschreiben. Die BDA hat die von Rat und EU-Parlament von Beginn an befürwortete Initiative seit Vorlage des Richtlinienvorschlages sehr kritisch begleitet, denn das Gros der Vorschläge bedeutete bürokratischen Mehraufwand und Rechtsunsicherheit mit zum Teil sogar fehlendem Mehrwert für die Arbeitnehmer. Im Sinne der Schadensbegrenzung haben sich die deutschen Arbeitgeber daher beharrlich für Korrekturen an dem Richtlinienentwurf eingesetzt und es konnten während des Rechtsetzungsverfahrens hier wichtige Änderungen erreicht werden. Unter anderem wurde eine EU-weite Definition des Arbeitnehmerbegriffs abgewendet, und es ist die wichtige Klarstellung erfolgt, dass für Arbeitnehmer, die bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Unternehmen beschäftigt sind, der Arbeitgeber die entsprechenden Dokumente zur Unterrichtung nur auf deren Aufforderung hin bereitstellen muss.

Insgesamt sind neue Regelungen problematisch Das vor dem Abschluss stehende Rechtsetzungsvorhaben enthält im Endresultat der Verhandlungen überflüssige und kontraproduktive Regelungen, die für Arbeitgeber bürokratische Belastungen und Rechtsunsicherheit bringen. Zu den Neuerungen zählen u.a. neue Unterrichtungspflichten (z. B. über formale Erfordernisse bei der Kündigung, Modalitäten für Schichtänderungen), die begründete schriftliche Antwort des Arbeitgebers binnen Monatsfrist auf Ersuchen von Arbeitnehmern um Übergang zu einer Arbeitsform mit „vorhersehbaren und sichereren Arbeitsbedingungen“ und neue Restriktionen beim Kündigungsschutz. Das Ausmaß, mit dem die gesetzlichen nationalen Bestimmungen durch die neuen Anforderungen angepasst werden müssen, wird insbesondere davon abhängen, wie stark die Bundesregierung von den Flexibilitätsspielräumen der Richtlinie Gebrauch machen wird. Die BDA wird sich dafür einsetzen, dass Deutschland diese Spielräume bei der Umsetzung bestmöglich nutzt.

Weiterführende Informationen der EU-Kommission zu dieser Initiative finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2wNWpfe Das BDA-Positionspapier zum Richtlinienvorschlag der EU-Kommission können Sie hier abrufen:  http://bit.ly/2I36I5H 6


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Patricia Schikora |  p.schikora@arbeitgeber.de

EU-ARBEITSBEHÖRDE

Neue Behörde beschlossen, Gefahr teurer Parallelstrukturen bleibt Die Trilogverhandlungen zwischen EU-Parlament, Rat der EU und EU-Kommission zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde wurden am 14. Februar 2019 mit einer vorläufigen Einigung abgeschlossen. Die BDA hatte vor dem Hintergrund der bereits bestehenden EU-Einrichtungen und -Strukturen die Notwendigkeit zur Errichtung einer neuen EU-Behörde seit Veröffentlichung der Initiative infrage gestellt. Da die Arbeitsbehörde nun beschlossen ist, muss es darum gehen, ihr den bestmöglichen Mehrwert abzugewinnen. Hierfür setzt sich die BDA ein. Frage des Sitzes der neuen EU-Behörde noch nicht geklärt Knapp ein Jahr nachdem die EU-Kommission ihren Verordnungsvorschlag zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) am 13. März 2018 vorlegte, wurde die vorläufige Trilogeinigung bezüglich des entsprechenden Verordnungstextes im Februar 2019 zwischen den EU-Institutionen erzielt. Dieser ist mittlerweile im Plenum des EU-Parlaments angenommen worden, für die offizielle Verabschiedung der entsprechenden Verordnung steht nun noch die Zustimmung der Mitgliedstaaten im Rat aus. Es ist nicht auszuschließen, dass die Verabschiedung am 13. Juni 2019 erfolgt, wenn über die Frage des Sitzes der ELA entschieden wird. Die Behörde nimmt ihre Tätigkeit dann zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung auf und soll zu diesem Zeitpunkt über die Kapazitäten zur Ausführung ihres eigenen Haushaltsplans verfügen.

Arbeitsbehörde übernimmt vielschichtige Aufgaben Die ELA wird die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission bei der wirksamen Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts im Bereich der unionsweiten Arbeitskräftemobilität und der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Union unterstützen. Unter anderem soll sie für eine bessere Verfügbarkeit, Qualität und Zugänglichkeit der Informationen zur Arbeitskräftemobilität sorgen, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern und ihren Informationsaustausch beschleunigen (insb. durch den Einsatz von nationalen Verbindungsbeamten eines jeden Mitgliedstaates am Sitz der ELA), konzertierte und gemeinsame Kontrollen vorschlagen können und auf Antrag der Mitgliedstaaten Kontrollen koordinieren und unterstützen, die Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit unterstützen und bei Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten über die Anwendung des einschlägigen Unionsrechts vermitteln. Insgesamt hätten sich die neuen Aufgaben der ELA auch in die bestehenden EU-Einrichtungen und -Strukturen im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik einbinden bzw. organisieren lassen. Es wird zukünftig bei einer Reihe von Einrichtungen darauf geachtet werden müssen, dass die Zusammenarbeit mit der ELA abgestimmt abläuft und nicht zu Überschneidungen bei deren Tätigkeiten führt. Hier zeigt sich deutlich die Gefahr einer neuen teuren Doppel- und Parallelstruktur durch die ELA und ihrem sehr weiten Aufgabenbereich. Positiv hervorzuheben ist, dass der Vorschlag der EU-Kommission zur Mitwirkung der ELA bei grenzüberschreitenden Arbeitsmarktstörungen, etwa bei Umstrukturierungsereignissen in Unternehmen, wie von der BDA gefordert, keinen 7


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Eingang in den finalen Verordnungstext gefunden hat.

BDA setzt sich für klaren Mehrwert durch bessere Informationen für Arbeitgeber ein Die BDA hat das Rechtsetzungsverfahren aktiv begleitet, z. B. durch die Teilnahme an den Konsultationen der EU-Kommission und in der Beratergruppe der EU-Kommission zum Aufbau der ELA. Nun muss es darum gehen, der ELA den bestmöglichen Mehrwert abzugewinnen. Aus Sicht der deutschen und europäischen Arbeitgeber bedeutet dies, dass die ELA einen besonderen Schwerpunkt auf die Bereitstellung verlässlicher Informationen, insbesondere im Bereich der Entsenderegelungen, legen sollte. “I have always said that we need clear, fair and enforceable rules on labour mobility. Today’s agreement on the European Labour Authority is the cherry on the cake of a fair European labour market. It will serve the double mission of helping national authorities fight fraud and abuse and making mobility easy for citizens.” Marianne Thyssen, Kommissarin für Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität im Nachgang der vorläufigen Trilogeinigung vom 14. Februar 2019. Quelle:  http://bit.ly/2KHEuPF

Die BDA-Presseinformation über die Initiative zur Errichtung der ELA finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2Wu0BLF Weiterführende Informationen der EU-Kommission zur ELA finden Sie unter folgendem Link:  https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1414&langId=en Patricia Schikora |  p.schikora@arbeitgeber.de

VEREINBARKEITSRICHTLINIE

Viele problematische Regelungen für Arbeitgeber abgewendet Das Plenum des Europäischen Parlaments hat die Vereinbarkeitsrichtlinie am 4. April 2019 mit großer Mehrheit angenommen. Wenn auch die Zustimmung des Rates der EU erfolgt ist, werden die Mitgliedsstaaten drei Jahre Zeit haben, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen. Zwar konnten in den Verhandlungen deutliche Verbesserungen im Vergleich zum Vorschlag der EU-Kommission erzielt werden. Dennoch bewertet die BDA die Richtlinie kritisch, denn sie ersetzt die Elternurlaubsrichtlinie aus dem Jahr 2010, die auf einer Sozialpartnervereinbarung basiert, ohne Zustimmung der Arbeitgeber. Keine neuen Freistellungsansprüche in Deutschland Durch die neue Richtlinie wird ein zehntägiger Vaterschaftsurlaub, der auf Krankengeldniveau zu vergüten ist, eingeführt. Eine Öffnungsklausel erlaubt Mitgliedsstaaten mit großzügigen Elternzeitregimen wie Deutschland aber hiervon abzuweichen. Die vorgeschriebene Länge der Elternzeit bleibt unverändert bei vier Monaten pro Elternteil. Zwei von diesen müssen nun vergütet werden, wobei die Höhe der Vergütung nicht auf EU-Ebene, sondern von Mitgliedsstaaten und Sozialpartnern bestimmt wird. In Bezug auf den Pflegeurlaub wurde sich auf einen Anspruch von fünf Tagen pro Arbeitnehmer und Jahr geeinigt. Jedoch können Mit8


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gliedsstaaten hiervon abweichen und stattdessen z.B. auf die jeweilige pflegebedürftige Person abstellen, wie es in Deutschland bereits der Fall ist. Es steht den Mitgliedsstaaten frei zu entscheiden, ob dieser Urlaub vergütet wird. Insgesamt wird in Deutschland die Einführung von neuen Freistellungsansprüchen also nicht erforderlich sein. Arbeitnehmer mit Kindern unter acht Jahren und pflegende Angehörige erhalten des Weiteren das Recht, flexible Arbeitsregelungen (wie z.B. Telearbeit oder eine Reduzierung der Arbeitszeit) zu beantragen. Arbeitgeber müssen die Anträge prüfen und beantworten und eine Ablehnung begründen

Verbesserungen im Vergleich zum Kommissionsvorschlag Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag für die Richtlinie viele problematische Regelungen vorgesehen, welche aber verhindert werden konnten. So hatte sie z.B. gefordert, alle von der Richtlinie abgedeckten Urlaubsformen auf Krankengeldniveau zu vergüten. Außerdem sollte das Höchstalter des Kindes, bis zu dem Elternurlaub genommen und flexible Arbeitsregelungen beantragt werden können, von acht auf zwölf Jahre angehoben werden. Entsprechende Vorgaben hätten für Mitgliedsstaaten und Arbeitgeber zu enormen zusätzlichen Belastungen geführt und zudem einen Eingriff in mitgliedsstaatliche Zuständigkeiten dargestellt. Auch problematische Forderungen des Europäischen Parlaments wurden abgewendet, so z.B. der Vorschlag, die möglichen Begründungen für die Ablehnung von Anträgen auf flexible Arbeitsregelungen auf das Vorliegen gravierender Störungen der Betriebsabläufe zu beschränken.

Missachtung des europäischen sozialen Dialogs Die Vereinbarkeitslinie stellt trotz der erzielten Verbesserungen einen gefährlichen Präzedenzfall da: Nie zuvor hat die Kommission eine Sozialpartnervereinbarung eigenmächtig gestrichen, ohne dass beide Sozialpartner zugestimmt hätten. Diese Vorgehensweise stellt den europäischen sozialen Dialog grundsätzlich in Frage.

Den Text der Richtlinie, wie er vom Europäischen Parlament angenommen wurde, finden Sie hier:  http://bit.ly/2KIl25h Hanna Schöls |  h.schoels@arbeitgeber.de

RATSEMPFEHLUNG ZUM ZUGANG ZUM SOZIALSCHUTZ

Aufgrund nationaler Parlamentsvorbehalte Verabschiedung erst nach der Sommerpause Obwohl die Empfehlung ein Instrument ohne rechtsverbindlichen Charakter ist, sieht der Empfehlungsvorschlag die Schaffung eines Überwachungsrahmens für ihre Umsetzung vor, auf dessen Grundlage sich die EU-Kommission offenhält, weitere Vorschläge in diesem Bereich vorzulegen. Es gilt sicherzustellen, dass die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihre Beschäftigungs- und Sozialpolitik und das Subsidiaritätsprinzip effektiv gewahrt werden. Wesentliche Inhalte des Kommissionsvorschlags Am 13. März 2018 hat die EU-Kommission den Entwurf einer Empfehlung des Rates zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbstständige vorgelegt. Diese legt den EU-Staaten nahe, allen Arbeitnehmern sowie Selbstständigen formell den Zugang zu Sozial9


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schutzsystemen zu ermöglichen. Ebenfalls soll eine angemessene tatsächliche Absicherung gewährleistet werden: Beitrags- und Anspruchsregelungen sollen es demnach allen Selbstständigen und Arbeitnehmern ungeachtet ihres Beschäftigungsverhältnisses ermöglichen, Sozialleistungen nicht nur über die gesamte Berufslaufbahn zu beziehen, sondern auch aufzubauen und zu übertragen. Den Mitgliedstaaten wird empfohlen, entsprechende Maßnahmen unter Berücksichtigung der bestehenden nationalen Strukturen und Sozialsysteme zu ergreifen.

Drohender Eingriff in Kompetenzen der Mitgliedsstaaten Die BDA hat sich bereits im Vorfeld dieser Initiative im Rahmen der Sozialpartnerkonsultation beteiligt und anschließend im Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene gemeinsam mit BusinessEurope sowie gegenüber der Bundesregierung eingebracht. Wir haben insbesondere daraufhin hingewirkt, dass die EU-Kommission eine Empfehlung ohne rechtsverbindlichen Charakter anstatt einer Richtlinie initiiert und auf eine EU-weite Arbeitnehmerdefinition verzichtet. Zudem wurde der Wortlaut der Empfehlung entsprechend ihres nichtverbindlichen Charakters angepasst und die Evaluierung der empfohlenen Maßnahmen soll durch bereits bestehende Methoden nämlich das Europäische Semester und die offenen Koordinierungsmethode erfolgen. Nichtdestotrotz läuft die EU-Kommission mit diesem Vorschlag erneut Gefahr, in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten einzugreifen und die durch den AEUV umrissenen Grenzen zwischen der Zuständigkeit der EU und der Mitgliedstaaten zu durchbrechen. Besonders kritisch ist in dieser Hinsicht die Schaffung eines Überwachungsrahmens für die Umsetzung der Empfehlung, welche der Vorschlag vorsieht. Die Kommission soll die Fortschritte bei der Umsetzung überprüfen und dem Rat binnen drei Jahren nach der Veröffentlichung der Empfehlung Bericht erstatten. Auf der Grundlage des Berichts hält sich die EU-Kommission offen, weitere Vorschläge vorzulegen. Die vorgesehenen Überwachungs- und Berichtsverfahren widersprechen dem nicht rechtsverbindlichen Charakter der Empfehlung. Es besteht die Gefahr, dass zukünftige Initiativen der EU-Kommission in diesem Bereich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für ihre Beschäftigungs- und Sozialpolitik eingreifen. Das Subsidiaritätsprinzip darf nicht unter dem Deckmantel von Ergänzungs- und Unterstützungsmaßnahmen seitens der EU ausgehöhlt werden.

Deutsches Gesetz für offizielle Zustimmung im Rat erforderlich Da der Vorschlag auch die Selbständigen betrifft, wurde neben Artikel 153 AEUV auch Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage herangezogen. Der Erlass von Vorschriften gemäß Art. 352 AEUV bedarf in Deutschland der Zustimmung durch ein nach Art. 23 Abs. 1 GG verabschiedetes Gesetz. Den entsprechenden Gesetzesentwurf hat der Bundestag am 11. April 2019 angenommen und dadurch die Grundlage geschaffen, dass der deutsche Vertreter im Rat dem Empfehlungsvorschlag zustimmen darf. Dennoch konnte die formelle Verabschiedung der Ratsempfehlung nicht mehr vor den EU-Wahlen erfolgen, da auch andere Mitgliedstaaten ähnliche Parlamentsvorbehalte geltend gemacht hatten. Obgleich in dem Gesetz darauf hingewiesen wird, dass sich aus der Empfehlung keine gesetzlichen Handlungsverpflichtungen für Deutschland ergeben, hat die BDA in der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass die Empfehlung auch nicht als Tür für weitere Initiativen in diesem Bereich genutzt werden darf und dass die Kompetenz der Mitgliedstaaten in der europäischen Sozialpolitik effektiv beachtet werden muss.

Den Vorschlag der EU-Kommission finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2IbJo5X 10


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Das Positionspapier von BusinessEurope finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2XD0xKZ Die politische Einigung des Rates finden Sie unter folgendem Link:  http://bit.ly/2F2QF5L Die Stellungnahme der BDA zur öffentlichen Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zum Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zum Zugang zum Sozialschutz für Arbeitnehmer und Selbständige  http://bit.ly/2WBBb3t (S. 15) Dr. Carmen Bârsan |  c.barsan@arbeitgeber.de

PASSERELLE-INITIATIVE

Drohende Kompetenzanmaßung durch Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen Am 16. April 2019 hat die Europäische Kommission ihre angekündigte Mitteilung zur Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen in der EU-Sozialpolitik vorgelegt. In dem rechtlich nicht verbindlichen Dokument schlägt sie vor, zunächst im Bereich der Nichtdiskriminierung und bei der Annahme von Empfehlungen (nicht aber von rechtlich verbindlichen Richtlinien) zur sozialen Sicherheit/dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rat der EU überzugehen. Ausstehende Hürden Ziel der Initiative ist laut der Kommission u.a., die Effizienz der Beschlussfassung im Rat zu erhöhen, um aktuellen sozialen Herausforderungen zu begegnen. Damit eine Änderung der Beschlussfassungsmethode tatsächlich in Kraft tritt, müsste das Verfahren nach Art. 48 Abs. 7 EUV angewandt werden. Dieses erfordert einen einstimmigen Beschluss des Europä-

Quelle: EU-Kommission (2019): “Factsheet – How do we improve decision-making in social policy?”

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ischen Rates, die Zustimmung des Europäischen Parlaments und dass innerhalb einer Frist von sechs Monaten kein nationales Parlament in einem der Mitgliedsstaaten Einspruch erhebt.

Unterstützende und ergänzende Rolle der europäischen Sozialpolitik achten Gemäß den EU-Verträgen sind die Kompetenzen der EU im sozialpolitischen Bereich äußerst beschränkt: Aufgabe der EU ist es lediglich, die nationale Sozialpolitik zu unterstützen und zu ergänzen. Dabei muss sie die große Heterogenität nationaler Sozialsysteme respektieren. Deswegen ist eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, durch die Druck hin zu weiterer Harmonisierung ausgeübt würde, in diesem Bereich grundsätzlich abzulehnen. Insofern handelt es sich hierbei keinesfalls, wie von der Kommission behauptet, um eine reine Frage der Effizienz.

Bewusste Aufteilung zwischen einstimmiger Beschlussfassung und Mehrheitsentscheidung respektieren Die technokratische Effizienzdiskurs der Kommission dient als Vorwand für eine Kompetenzanmaßung: Bereits heute fallen die meisten der Regulierungsbereiche im Sozialkapitel des EU-Vertrages unter die qualifizierte Mehrheitsentscheidung. Die Behauptung der Kommission, dass dem Erfordernis der Einstimmigkeit für einige wenige Aspekte der Sozialpolitik, wie für die soziale Sicherheit oder den Kündigungsschutz, keine spezifische Logik zugrunde läge, ist falsch. Diese Aufteilung beruht vielmehr auf einer bewussten Entscheidung und hat ihre Daseinsberechtigung: Sie soll Eingriffe in Kernelemente der nationalen Sozialsysteme verhindern, für die in erster Linie die Mitgliedstaaten verantwortlich sind. Die von der Mehrheitsentscheidung ausgenommenen Bereiche spielen eine wichtige Rolle im nationalen politischen Diskurs und haben weitreichende Auswirkungen auf die Haushalte der Mitgliedsstaaten. Die Verantwortung hierfür muss daher auf nationaler Ebene verbleiben.

Die Mitteilung der Kommission sowie die zugehörigen Anhänge können Sie hier abrufen:  http://bit.ly/2WBH6pl Hanna Schöls |  h.schoels@arbeitgeber.de

BREXIT

Trotz Verschiebung: Ungeregelter Austritt ist nicht vom Tisch Da Premierministerin May wiederholt mit dem Versuch gescheitert ist, die Zustimmung des britischen Unterhauses zu dem mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrag zu erzielen, hat sie die EU um eine Fristverlängerung gebeten. Das Austrittsdatum wurde vom 29. März auf den 31. Oktober 2019 verschoben und die Briten haben dementsprechend an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilgenommen. Die politische Lage im Vereinigten Königreich ist insbesondere nach dem angekündigten Rücktritt der Premierministerin äußerst ungewiss, sodass ein ungeregelter Austritt aus der EU weiterhin nicht ausgeschlossen werden kann. Abkommen bereits dreimal abgelehnt Im November 2018 hatten die Verhandlungsführer der EU und des Vereinigten Königreichs 12


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eine Einigung über ein Austrittsabkommen erzielt. Dieses schützt u.a. die Rechte von Bürgern, die vor dem Austritt Gebrauch von ihrem Freizügigkeitsrecht gemacht haben, sieht eine Übergangsphase vor, während der EU-Recht weitestgehend auf das Vereinigte Königreich anwendbar bleiben würde, und enthält eine Notfalllösung (den sog. Backstop), um eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland zu vermeiden. Gegen letztere gibt es im britischen Unterhaus, insbesondere bei den Brexit-Befürwortern innerhalb der regierenden Konservativen Partei, große Vorbehalte. Das Abkommen wurde daher bereits bei drei Parlamentsabstimmungen abgelehnt. Aufgrund dessen konnte die Ratifizierung bislang nicht abgeschlossen werden und die britische Regierung hat die EU um eine Verschiebung des Austritts ersucht, welche bis zum 31. Oktober 2019 gewährt wurde. Somit hat das Vereinigte Königreich am 23. Mai 2019 Europawahlen abgehalten. Dabei wurden insbesondere die Konservativen abgestraft, sie erhielten lediglich 8.8% der Stimmen. Stärkste Kraft wurde die Brexit-Partei von Nigel Farage mit 30.7%

Politische Situation äußerst ungewiss Nachdem auch in Gesprächen mit der oppositionellen Labour-Partei keine Mehrheit für das Abkommen erzielt werden konnte und ein neuer Vorschlag Mays über die Ausgestaltungen der zukünftigen Beziehungen mit der EU auf große Ablehnung in allen politischen Lagern stieß, ist sie am 7. Juni als Parteichefin der Konservativen zurückgetreten. Premierministerin wird sie übergangsweise bleiben bis ihre Nachfolge geregelt ist. Als aussichtsreichster Kandidat gilt der frühere Außenminister und Brexit-Hardliner Boris Johnson. Sollte er Erfolg haben, bestünde die erhöhte Gefahr, dass es zu einem ungeregelten Austritt kommt. Schließlich hat er sich als extremer Gegner des Abkommens positioniert, dessen Nachverhandlung die EU konsequent abgelehnt hat. Lediglich bei der Ausgestaltung der zukünftigen Beziehungen, deren Rahmenbedingungen bereits in einer politischen Erklärung abgesteckt wurden, die an das Abkommen angePremierministerin Theresa May nach der Ankündigung ihres Rücktritts © Toby Melville/Reuters hängt werden soll, gibt es noch Verhandlungsspielraum.

Vorbereitung auf alle Szenarien weiterhin unerlässlich In Anbetracht dieser Ausgangslage ist eine Vorbereitung auf alle möglichen Brexit-Szenarien, inklusive eines ungeregelten Austritts, weiterhin dringend geboten. In diesem Fall fände das EU-Recht von einem Tag auf den anderen keine Anwendung mehr auf das Vereinigte Königreich, sodass mit chaotischen Folgen zu rechnen wäre. Sowohl die EU-Institutionen als auch die Bundesregierung haben zwar Notfallmaßnahmen verabschiedet, welche geeignet sind die gravierendsten Konsequenzen in einem solchen Fall abzufedern. Dennoch gibt es Bereiche, wie z.B. den grenzübergreifenden Personaleinsatz, die gemeinsame Lösungen mit dem Vereinigten Königreich erfordern. Die BDA hat sich daher stets für einen geregelten Brexit ausgesprochen, um negative Auswirkungen für die Wirtschaft so gering wie möglich zu halten.

Den Brexit-Leitfaden von BDA, BDI und vbw, der Unternehmen Hilfestellung bei der Vorbereitung auf den Brexit bietet, finden Sie hier:  http://bit.ly/2KabYqk Hanna Schöls |  h.schoels@arbeitgeber.de

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EUROPÄISCHES SEMESTER

Ambitioniert in die Zukunft – mehr Mut zu Reformen Die EU-Kommission hat am 5. Juni 2019 im Rahmen des Europäischen Semesters 2019 ihre Entwürfe für die länderspezifischen Empfehlungen veröffentlicht. Sie sind ein zentraler Bestandteil der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU. Die BDA unterstützt die Forderungen der EU-Kommission nach einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Allerdings greift die Kritik der EU-Kommission am deutschen Leistungsbilanzüberschuss erneut zu kurz. Moderne Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen Vor dem Hintergrund der schleppenden Produktivitätsentwicklung betont die EU-Kommission vollkommen zu Recht die Notwendigkeit, die Innovationskraft und das Potenzialwachstum in Deutschland nachhaltig zu stärken. Neben gezielten öffentlichen Investitionen in Bildung, Forschung und Innovation sowie den Aufbau einer leistungsstarken digitalen Infrastruktur, ist vor allem eine konsequente Verbesserung der Rahmenbedingungen für unternehmerische Investitionen erforderlich. Die BDA begrüßt daher ausdrücklich die Forderung der EU-Kommission, die inländischen Privatinvestitionen und das Wachstum durch eine Reform der Unternehmensbesteuerung anzukurbeln. Nicht zuletzt im Hinblick auf die internationale Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschlands ist es zudem höchste Zeit für die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags.

Fachkräftemangel begegnen – Erwerbsbeteiligung stärken Für die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, von Wohlstand und Beschäftigung gilt es zudem, dem voranschreitenden demografischen Wandel und ansteigendem Fachkräftemangel entschieden zu begegnen. Die EU-Kommission setzt sich richtigerweise für die Beseitigung bestehender Fehlanreize zur Aufstockung der Arbeitsstunden sowie eine verstärkte Ausschöpfung des Arbeitsmarktpotenzials ein. Die zu Recht kritisierte hohe Belastung des Faktors Arbeit erfordert dringend eine dauerhafte Begrenzung der Sozialabgaben bei 40 % des Bruttolohns. Die eingeführte doppelte Haltelinie in der gesetzlichen Rentenversicherung stellt hingegen richtigerweise kein nachhaltiges Konzept dar. Vielmehr dürfte sie erhebliche Finanztransfers erforderlich machen und die junge Generation übermäßig belasten. Neben einer weiteren Verbesserung des Angebots an Ganztagesbetreuungsplätzen für Kinder und zusätzlicher Anreize für einen späteren Renteneintritt, ist es darüber hinaus höchste Zeit für ein modernes Arbeitszeitgesetz mit einer Wochen- statt einer Tageshöchstarbeitszeit.

Deutsche Ausfuhren weisen hohen Anteil an ausländischen Vorleistungsgütern auf Die EU-Kommission erkennt bei ihrer erneuten Kritik am deutschen Leistungsbilanzüberschuss zwar an, dass dieser stetig sinkt. Allerdings sollte sie auch – aufgrund des hohen Anteils an Vorleistungsgütern aus dem europäischen Ausland – stärker den bedeutenden Beitrag der deutschen Ausfuhren zum Wirtschaftswachstum in den Partnerländern der EU berücksichtigen.

Wettbewerbsfähigkeit stärken – Wohlstand sichern Die Entwürfe für die länderspezifischen Empfehlungen bauen auf den Nationalen Reformprogrammen auf und dienen als Richtschnur für zukünftige Reformvorhaben. In einem nächsten Schritt müssen sie vom Europäischen Rat und vom Rat für Wirtschaft und Finanzen verab14


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schiedet werden. Die BDA begleitet das Europäische Semester aktiv und setzt sich sowohl gegenüber der Bundesregierung als auch der EU-Kommission für Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ein.

Die Entwürfe für die länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission finden Sie hier:  http://bit.ly/2MEQ7Jy Die BDA-Stellungnahme zum Entwurf des Nationalen Reformprogramms 2019 finden Sie hier:  http://bit.ly/2IuJFzG Hans-Heinrich Baumann |  h.baumann@arbeitgeber.de

BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

Verantwortlich: Renate Hornung-Draus

Mitglied von BUSINESSEUROPE

Redaktion: Hanna Schöls

Hausadresse: Breite Straße 29 | 10178 Berlin Briefadresse: 11054 Berlin

Fotografie: (S.1) https://www.election-results.eu/ (S.3) http://www.euvisions.eu/archive/social-policy-debate/ (S.6) http://bit.ly/2R26DSH (S.11) http://bit.ly/2WBH6pl

T +49 30 2033-1904 F +49 30 2033-1905 europa@arbeitgeber.de www.arbeitgeber.de

Offizielle Stellungnahmen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sind als solche gekennzeichnet. 15


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