Alexander Minor - Ikonen im Spiegel

Page 1

Alexander Minor Ikonen im Spiegel



artmix7 Künstleraustausch in Luxemburg und Saarbrücken 2012 / 2013 Vera Kattler

Chantal Maquet

Alexander Minor • Ikonen im Spiegel

Letizia Romanini


o.T. IchkannmirnichtjedenTageinOhrabschneiden, Spiegelfolie, GrĂśĂ&#x;e variabel, 2011

2


Zwei Monate und 100 Kilometer – was heißt hier Grenze Wohnen und Arbeiten mit artmix

Kunst zu ermöglichen, ist immer nobel. Ihr zu Sichtbarkeit zu verhelfen genauso. Beides ist der Fall beim artmix. Das Setting : Zwei Kunsträume, dazwischen 100 Kilometer und eine Landesgrenze, zwei Monate, ein Katalog, eine Ausstellung, dazu etwas Geld und etwas Publikum. Seit sieben Jahren verbinden sich auf diese Art Ausstellung und Austausch, am Rand zweier Länder. Was bedeutet es, grenzüberschreitend Kunst schaffen bzw. fördern zu wollen ? Statt sich der Vorstellung eines florierenden Import-Export Handels mit Fördergeldern und kreativen Potentialen hinzugeben, halten wir lieber fest : Kunst ist im besten Fall immer grenzüberschreitend. Kunst zu ermöglichen, ist immer nobel. Ihr zu Sichtbarkeit zu verhelfen genauso. Und es gibt es eine gute Busverbindung zwischen Luxemburg und Saarbrücken : Neun Euro, ein Weg. Das Residenz-Programm artmix bietet vier Künstlern eine kurzfristige Produktionsstruktur. In zwei Phasen arbeiten Menschen an zwei Orten auf eine Ausstellung hin. Das Luxemburger Kunsthaus beim Engel ist vier Wochen lang für Besucher geöffnet. Die Künstler anwesend. Was können wir über diese Arbeit, oder anhand von ihr, erfahren ? Was ist ihre Motivation, ihr Anliegen, ihr Ziel, wie die Schritte ? Das Bild improvisierter Ateliers unterscheidet sich deutlich von dem einer Ausstellung, sei es der bevorstehenden Abschlussausstellung im KulturBahnhof Saarbrücken oder sonst einer Gruppenausstellung. Auf den zweiten Blick lässt sich dafür einiges erkennen.

Vier Positionen : viermal Kunst

Das gängige Modell von Gruppenausstellungen hat mit Ähnlichkeit,Verwandtschaft und Vergleichbarkeit zu tun: Kunst von verschiedenen Autoren begegnet uns an einem Ort. In der Gemeinsamkeit erkennen wir, worum es geht. Meist weist uns der Ausstellungstitel unmissverständlich auf den entscheidenden gemeinsamen Aspekt hin. Liegt die Gemeinsamkeit nicht auf der inhaltlichen Ebene, dann ist sie in den Begleitumständen zu finden. In unserem Fall fördert ein schneller Blick Folgendes zu Tage: Vera Kattler, 1965, lebt in Saarbrücken, malt. Hauptmotiv : Tiere und noch mehr Unheimliches. Chantal Maquet, 1982, lebt in Hamburg, malt. Hauptmotive : Brote, Menschen und Bilder. Letizia Romanini, 1980, lebt in Straßburg, installiert. Haupt-motiv : die wertvolle Lücke. Minor, 1981, lebt in Saarbrücken, macht alles. Haupt-motiv : Urinale und die Kunst / Kunst und Urin. Wo bleiben die Gemeinsamkeiten ? Nichts springt ins Auge, weder das Alter noch der Wohnort, nicht das Motiv, noch der Lebensweg, nicht Ansätze, Arbeitsmaterialien, Vorbilder, Ausbildung, Nationalität. Auch der Titel verweigert Rat – artmix7. Also nutzen wir diese Erkenntnislücke, um zurück zu kehren zur Kunst, und den besagten zweiten Blick zu werfen. Aus einem anderen Winkel, mit großen Augen : für die Details, für das Ganze und die Ränder.

3


4


Ikonen im Spiegel Minors Vergangenheit als Maler lässt sich nur am Rande erkennen : Aktuell erzählen noch zwei Werkreihen von der malerischen Auseinandersetzung mit monochromen Flächen und geometrischen Mustern – zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion : Da sind zum Einen die in Originalgröße nachempfundenen Nationalflaggen in Öl, deren klare Farbtrennung der unerbittlichen Führung des Pinsels weichen musste („Die Flaggen“, Öl auf Leinwand, 2012). Die schlicht reproduzierte, genormte Farbsymbolik weicht hier einem, an sich ebenso schlichten Effekt : von Deutschland bleibt, mehr oder weniger voraussehbar, eine braune Fläche mit der Struktur einer Wohnzimmertapete.

Bedeutung anmischen

Die zweite Reihe ist auf Papier : Vorlage der gewissenhaft aquarellierten Krawatten könnte auch das Sortiment des nächsten gehobenen Herrenausstatters sein. Indem der Titel („Sammlung X / Krawatten von Politikern“, Aquarell auf Papier, fortlaufend seit 2011 ) den Begriff der Sammlung betont, verweist er auf zwei konkrete Phänomene : die Sammlung als Ergebnis einer Tätigkeit, die sich Randerscheinungen aus dem Leben greift und zusammenbringt, aber auch : die Sammlung als Resultat von Investitionen und Tauschgeschäften mit geldbasierten und noch flüchtigeren Werten, die Sammlung als elementarer Bestandteil des Kunstsystems. In etwa zwischen diesen Polen spielt sich Minors Arbeit ab : Während das Sammeln – als tatsächliches Verfahren und als Idee – es ihm ermöglicht, das alltägliche, kunstferne Leben zum Arbeitsmaterial zu machen, liefert der Kunstbetrieb und seine eigentümlichen Vereinbarungen den größeren Rahmen. Eine weitere Lektion, die der Begriff der Sammlung uns lehrt : Sammeln heisst addieren. Wenn man Bedeutung, auf die sich alle schon verständigt haben, reproduziert und / oder addiert, passiert wenig, bzw. nichts. Es sei denn – wie bei den Farben der Flaggen – sie wird nicht nur reproduziert, sondern während​dessen vermischt, ausradiert, überführt. Stehen dagegen Nebensächlichkeiten, deren Sinn sich erst noch erschliessen muss, wiederholt im Mittelpunkt, passiert immer etwas – ob mit oder ohne Transferleistung.

Recycling und Urinale

Ein Grundprinzip in Minors Arbeit ist augenscheinlich : das Meiste sieht aus wie Kunst. Mit einiger Unbekümmertheit packt er die Klassiker der Kunstgeschichte aus oder ein. Zitate überschlagen sich, allerhand Bezüge und Dagewesenes wird recycled. Ein Unterschied zur künstlerischen Praxis vieler anderer könnte sein, dass er, mit im Kunstsystem ungewohnter Ehrlichkeit, die Spuren oder Ursprünge

Sammlung Oskar Lafontaine, aus der Serie „Krawatten der Politiker“ 21 x 29,7 cm, Aquarell auf Papier, 2011 5


explizit nicht beseitigt. Unter Einsatz großer Vorbilder und -gänger – von Kippenberger bis Michelangelo – führt Minor das Prinzip des Zitierens an seine Grenzen : Alles könnte Zitat sein, und plötzlich scheint es möglich, in zwei aneinander montierten Pissoirs ( o.T., 2011 ) eine Skulptur von Hans Arp wieder zu erkennen. Das Pissoir ist ein häufiger Protagonist in Minors Arbeit. Auch mal das benutzte : Minor verteilt, in der Arbeit „Urinaleinlagen“ ( fortlaufend seit 2008 ), tatsächlich Urinaleinlagen, an dem für sie vorgesehenen Ort, in der vorgesehenen Weise. Dass ausschliesslich Pissoirs der WC-Anlagen renommierter Kunstinstitutionen hygienisch bestückt werden, ist grundlegend : Die Toilette ist der einzige Raum in solchen Gebäuden / solcher Etablissements, in dem keine Kunst zu erwarten ist. Man muss näher hinsehen, um neben der dezenten Duftnote die hinzugefügte Bedeutungsebene des Hygieneartikels wahrzunehmen – vermutlich offenbaren die blauen Gummieinlagen ihre Message erst bei Benutzung. Dann aber ist der der ‚Betrachter‘ – oder sollte man sagen ‚Benutzer‘ ? – damit konfrontiert, seine Entscheidung schon getroffen zu haben : er hat sich, intuitiv urinierend, bekannt, zu Meese oder Kippenberger, zu Art oder Monopol, zu Künstler, Sammler, Student oder Galerist. Ob der gerichtete Strahl nun einem Like- oder Unlike-Daumen gleichkommt, variiert vielleicht je nach subjektivem Empfinden. Von den gedanklichen Kategorien des Kunstbetriebs, die der Künstler in bisher 953 verteilten Einlagen vorführt, bleibt – jedenfalls metaphorisch betrachtet – nicht viel übrig.

Oberflächen berechnen

Immer wieder geht es um die Hülle und die hochwertig anmutende Oberfläche. Dass das eingesetzte Material dabei tatsächlich oft glänzt und seinen meist geringen Materialwert kaum kaschiert, scheint in diesem Zusammenhang nur konsequent. Industriell gefertigte Materialien finden, oft jenseits ihres Einsatzgebiets,

6


Verwendung : schwarze Stretchfolie und eine Nachbildung aus Bronze liefern Form und Inhalt von ‚Der Kuss‘ ( 2009 ). Ikonen aus russisch orthodoxer Massenproduktion, Gipsabgüsse, Inschriften in Marmor, Plexiglas und Spiegelflächen sind in unterschiedlich intensive Dialoge vertieft. Formal betrachtet betont die Hohlform ihr schieres Ausmass und den von ihr verdrängten Raum. Sie gibt Inhalt vor und täuscht ihn bisweilen an : in einem Fall ist das Hochstapelei, im anderen eine allseits anerkannte Methode. Solange die Sache verhüllt bleibt, liegt die Entscheidung bei uns. Minor spielt mit der Vorstellungskraft seines Publikums – mit unserem Willen, in und unter allem das Menschliche, das Figürliche zu erkennen. Unter Umständen schliesst er damit ein unfreiwilliges Publikum ausserhalb der vereinbarten Kunst-Betrachtungs-Zonen mit ein. Für seine Arbeit „Check-out“ ( fortlaufend seit 2012 ) hinterlässt er auf Reisen eine Instant-Installation im Hotelzimmer. Die oberste Schicht bildet die Bettdecke. Sie türmt sich über einem verborgenen Arrangement von Gegenständen und Mobiliar : Nur im Einzelfall ist das Ganze klar auf den illusionistischen Effekt hin inszeniert und wir erkennen ein oder zwei menschliche Körper – sonst bleibt die Form mindestens irritierend. Aus Sicht der ersten Person, die das Zimmer betritt – das ist die Reinigungkraft – ist das ganze in Szene gesetzt. Das erfordert klassische Bildhauerarbeit : Aufbauen, unterbauen, Volumen handhaben, nachmodellieren, und alles steht und fällt mit der Beleuchtung. Während der Künstler im Atelier im Zweifelsfall Monate oder Jahre an seinem optimalen Arbeitsmodus feilt – Nordlicht ? Neon ? Marmor, Pappmaché, Stahl ? – ist die Materialwahl hier eine Sache von Minuten. Die Ressourcen sind begrenzt : Ein bestimmtes Repertoire an Gegenständen und die geschmackliche / stilistische Klasse des Hotelbetreibers ersetzen die Materialvorlieben des Künstlers. Manchmal arbeiten die Umstände mit aller Kraft gegen ihn und das Werk. Doch dieses Moment gehört zur Kunst wie kein anderes, und ist im Atelier dasselbe wie on the road. Mirjam Bayerdörfer geboren 1984, beendet derzeit ihr Masterstudium „Kuratieren“ an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Die Vorsitzende des Neuen Saarbrücker Kunstvereins lebt und arbeitet in Saarbrücken.

7


check out Nach einem Aufenthalt im Hotel verlasse ich das Hotelzimmer in einem ver채nderten Zustand. Kurz vor dem Auschecken baue ich auf dem Bett, aus vorhandenen Gegenst채nden (Handt체cher, Badem채ntel etc.), eine Installation, fotografiere das Bett und verlasse das Zimmer. Die erste Person, die das Zimmer betritt, ist die Reinigungkraft.

8


9

Hotel Lagrange City, StraĂ&#x;burg, Frankreich, 2012


Hotel Van der Valk, Goes, Niederlande, 2012

10


Hotel SnowWorld, Landgraaf, Niederlande, 2012

11


Hotel Viva, Konstanz, Deutschland, 2012

12


Parkhotel, Oberhausen, Deutschland, 2012

13


Ambassdor Hotel Best Western, Menen, Niederlande, 2012

14


Landgasthof Kirchbichl, Salzburg-Hallwang, Ă–sterreich, 2012

15


Alliance H么tel, L眉ttich, Belgien, 2012

16


Van der Valk Hotel ARA, Zwijndrecht, Niederlande, 2012

17


18


19

Landhaus Kitzhorn Hotel, KitzbĂźhel, Ă–sterreich, 2012


Hotel Tespo Sportpark, Kaarst, Deutschland, 2012

20


Gasthof Hรถlle, Salzburg, ร sterreich, 2012

21


Hotel Melba Best Western, Bastogne, Belgien, 2012

22


Hotel Schweizerhof, Kitzbühel, Österreich, 2012

23


Tempor채re Kunsthalle Berlin, 2009

24


25


26


o.T. zwei zusammengeklebte Urinale, Sanitärkeramik Lacobel, Glas, 80 x 80 x 90 cm, 2011 ( Ausstellungsansicht KWADRAT Berlin )


Der Kuss, Bronze, Strechfolie, 19 ×19 × 22 cm, 2009

28


29

heiliger wird‘s nicht ! sechs russisch-orthodoxe Ikonen ( Massenproduktion ) 65 × 65 cm, 2012


30


A lexander M inor 1981 Ukraine 2008 Hochschule der Bildenden Künste Saar bei Prof. Gabriele Langendorf und Prof. Georg Winter 2011 Kunstakademie Karlsruhe, Gaststudium bei Prof. Corinne Wasmuht und Prof. John Bock A usstellungen 2013 KUBA, Saarbrücken 2012 Badischer Kunstverein, Karlsruhe 2012 Konschthaus beim Engel, Luxemburg 2012 WG-Mannheim 2012 AdBK Karlsruhe 2012 Braunschweig 2011 HFG Karlsruhe 2011 Galerie der HFBK, Hamburg 2011 JungArt Berlin 2011 HBK-Saar, Saarbrücken 2011 KWADRAT-Berlin 2011 AdBK / Karlsruhe 2011 Landtag des Saarlandes, Saarbrücken 2011 Galerie der Burg Giebichenstein, Halle 2011 Völklingen Handwerkergasse HBK-Saar, Saarbrücken 2010 Galerie der HBK-Saar, Saarbrücken 2010 Quartier Eurobahnhof, Saarbrücken 2010 Kunstverein Dillingen 2009 K4 Forum, Saarbrücken 2009 Galerie Besch, Saarbrücken 2009 Galerie tmp, Berlin 2009 Museum Gosz, Saarbrücken 2009 Architekten Kammer, Saarbrücken 2008 Gallery Blütenweiss, Berlin

31

artmix7 (G) Mitgliederausstellung (G) artmix7 (G) Nachtwandel (G) Sommerausstellung 2012 (G) Studienstiftung des dt. Volkes (G) Oh Tannenbaum (G) Das nackte Grau (G) 10 Positionen aus der Klasse Corinne Wasmuht ( Kunstakademie Karlsruhe ) Die alte Münze (G) show must go on (G) Kuratiert von Konstantin Felker und Alexander Minor Das Universum expandiert (G), Das Saarland in Berlin Kuratiert von Shila Khatami und Gabriele Langendorf Sommerausstellung 2011, Karlsruhe (G) Parlamentarische Beobachter (G) 20. Auswahlausstellung Cusanuswerk (G) Rundgang (G) du musst sie essen, bevor sie schlecht werden (G) Kuratiert von Daniel Knorr step in the arena (G) Kuratiert von Alexander Minor und Johannes Lotz Fünf Tage sind keine Woche (G) Prof. G. Langendorf und Malerklasse Die Tour (G), Klasse Prof. Georg Winter 722 (G) Kuratiert von Alexander Minor und Anika Hoff 722 (G) Kuratiert von Alexander Minor und Anika Hoff ding dong (G) Hbk Saar trifft Akademie Mainz Black Box (G) Kuratiert von Alexander Minor und Jan Engels anonymous drawings (G)


Teil 3 von 4 des Begleitkatalogs zur Ausstellung vom 31. Januar bis 17. Februar 2013 im KuBa Saarbrßcken. Cover : Wilhelm Hack Museum, Ludwigshafen, 2010 Layout : Chantal Maquet

Fßr die Initiation von artmix7 mÜchten sich Vera Kattler, Chantal Maquet, Alexander Minor und Letizia Romanini beim Ministère de la Culture, Luxembourg und der Landeshauptstadt Saarbrßcken bedanken.

Ein besonderer Dank gilt den freundlichen Unterstßtzern der Ausstellung, ohne die der Katalog in dieser Form nicht mÜglich gewesen wäre:

Mehr ßber Alexander Minor unter : www.alexanderminor.com




Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.