Chantal Maquet - Look at me! I look at you!

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Chantal Maquet Look at me! I look at you!



artmix7 Künstleraustausch in Luxemburg und Saarbrücken 2012 / 2013 Vera Kattler

Chantal Maquet • Alexander Minor Look at me ! I look at you !

Letizia Romanini



Zwei Monate und 100 Kilometer – was heißt hier Grenze Wohnen und Arbeiten mit artmix

Kunst zu ermöglichen, ist immer nobel. Ihr zu Sichtbarkeit zu verhelfen genauso. Beides ist der Fall beim artmix. Das Setting : Zwei Kunsträume, dazwischen 100 Kilometer und eine Landesgrenze, zwei Monate, ein Katalog, eine Ausstellung, dazu etwas Geld und etwas Publikum. Seit sieben Jahren verbinden sich auf diese Art Ausstellung und Austausch, am Rand zweier Länder. Was bedeutet es, grenzüberschreitend Kunst schaffen bzw. fördern zu wollen ? Statt sich der Vorstellung eines florierenden Import-Export Handels mit Fördergeldern und kreativen Potentialen hinzugeben, halten wir lieber fest : Kunst ist im besten Fall immer grenzüberschreitend. Kunst zu ermöglichen, ist immer nobel. Ihr zu Sichtbarkeit zu verhelfen genauso. Und es gibt es eine gute Busverbindung zwischen Luxemburg und Saarbrücken : Neun Euro, ein Weg. Das Residenz-Programm artmix bietet vier Künstlern eine kurzfristige Produktionsstruktur. In zwei Phasen arbeiten Menschen an zwei Orten auf eine Ausstellung hin. Das Luxemburger Kunsthaus beim Engel ist vier Wochen lang für Besucher geöffnet. Die Künstler anwesend. Was können wir über diese Arbeit, oder anhand von ihr, erfahren ? Was ist ihre Motivation, ihr Anliegen, ihr Ziel, wie die Schritte ? Das Bild improvisierter Ateliers unterscheidet sich deutlich von dem einer Ausstellung, sei es der bevorstehenden Abschlussausstellung im KulturBahnhof Saarbrücken oder sonst einer Gruppenausstellung. Auf den zweiten Blick lässt sich dafür einiges erkennen.

Vier Positionen : viermal Kunst

Das gängige Modell von Gruppenausstellungen hat mit Ähnlichkeit,Verwandtschaft und Vergleichbarkeit zu tun: Kunst von verschiedenen Autoren begegnet uns an einem Ort. In der Gemeinsamkeit erkennen wir, worum es geht. Meist weist uns der Ausstellungstitel unmissverständlich auf den entscheidenden gemeinsamen Aspekt hin. Liegt die Gemeinsamkeit nicht auf der inhaltlichen Ebene, dann ist sie in den Begleitumständen zu finden. In unserem Fall fördert ein schneller Blick Folgendes zu Tage: Vera Kattler, 1965, lebt in Saarbrücken, malt. Hauptmotiv : Tiere und noch mehr Unheimliches. Chantal Maquet, 1982, lebt in Hamburg, malt. Hauptmotive : Brote, Menschen und Bilder. Letizia Romanini, 1980, lebt in Straßburg, installiert. Haupt-motiv : die wertvolle Lücke. Minor, 1981, lebt in Saarbrücken, macht alles. Haupt-motiv : Urinale und die Kunst / Kunst und Urin. Wo bleiben die Gemeinsamkeiten ? Nichts springt ins Auge, weder das Alter noch der Wohnort, nicht das Motiv, noch der Lebensweg, nicht Ansätze, Arbeitsmaterialien, Vorbilder, Ausbildung, Nationalität. Auch der Titel verweigert Rat – artmix7. Also nutzen wir diese Erkenntnislücke, um zurückzukehren zur Kunst, und den besagten zweiten Blick zu werfen. Aus einem anderen Winkel, mit großen Augen : für die Details, für das Ganze und die Ränder.

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Mittlerer Ring, München, 2011, 27 × 34cm, Öl / Hartfaser


Der Mensch als Bild seiner selbst Wie im Bilderbuch : eine echte Staffelei, echte Leinwand, echte Pinselführung, ein echter Kittel. Chantal Maquet malt. Und wie. Fast überall, viel und schnell. Als wäre das ihre Art, auf der Welt zu sein, die Welt zu sehen. Dabei findet ein Teil dieses malerischen Welt-Begreifens wirklich unterwegs statt : Straßenzüge erzählen von einem Zuhause-Gefühl, von verinnerlichten Alltagskulissen, von oft gesehenen Bildern und von verborgenen Ecken in fremden Städten – vom Schanzenviertel führt der Weg über Bayern nach Madrid. Ihr Blick in den Abgrund einer Großbaustelle bleibt genauso an den dort arbeitenden Menschen hängen, wie an vielen anderen Orten : der Küche eines Sternehotels, im OP, im Gerichtssaal, auf dem Münchner Oktoberfest. Live-Malerei nennt Chantal Maquet das, begreift es als Illustration und arbeitet teilweise für Auftraggeber. Speed-Malerei würde ich es nennen, mit allem Respekt : Es gibt keine Vorzeichnung, es gibt Farbe und Malgrund, die virtuose Hand und den geübten Blick. Und einen kleinen Koffer, in dem sich alles verstauen lässt. So entstehen Bilder in und aus einem mitreißendem Produktionsfluss, die ihren rasenden Entstehungsprozess bisweilen unverblümt zeigen : Striche bleiben grob, ein Handgriff ist manchmal nur angedeutet, eine Farbfläche reißt hier ab und läuft da aus. Es wird zum elementaren Bestandteil des Bildes, wenn es in manchem Fall unvollendet bleibt. Von Postkarte bis Professor, von Baustelle bis Brot scheint zu gelten : was Zeit hat, wird mit Zeit gemalt. Was still hält, bekommt Details. Ein derart selbstverständlicher Umgang mit Material und Aufmerksamkeit ist nicht nur verblüffend ökonomisch, pragmatisch und charmant, sondern vor allem im malerischen Ergebnis interessant : Ein Hintergrund verschwindet, ein anderer drängt sich nach vorn, Raum löst sich auf, verliert sich in Flächen, verschmilzt an seinen Rändern mit Menschen in ihrer alltäglichen Beschäftigung. Vorder-, Hinter- und Malgrund setzen ihre Oberflächen gekonnt ein und treten untereinander in einen Dialog. Ein Fokus verlagert sich – Interessen verändern sich mit der Zeit : ob innerhalb der Produktionszeit eines einzelnen Bildes oder im Lauf jahrelanger künstlerischer

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Lohn der Arbeit, 2011. 200 × 130 cm. Öl / Nessel

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Praxis. Unbesorgt, neugierig, aber nicht nachlässig lässt Chantal Maquet zu, dass ihre Malweise sich kontinuierlich entwickelt. Die Spuren dieser Entwicklung dokumentieren langjährige, serielle Arbeiten – seien es die „Frauenbilder“, die sich an historischen Fotografien aus dem Familienkreis orientieren, oder die Reihe „Brot“. Chantal Maquets Konzepte sind nie starre Hüllen, sondern vielmehr Fluchtlinien, an denen sich ein Interesse beschreibt und sich stetig weiter herausbildet ; so liegt der Schwerpunkt bei der Reihe „Brot“ in einem Fall auf der Verpackung : sie wird eigenwillig plastisch, reflektiert und wirft pastose Falten, das bloße Auge dringt kaum zum Inhalt vor. Bei anderen Bildern steht das Brot selbst im Zentrum : Frisch geschnittene Scheiben schmiegen sich aneinander, leicht verschoben, und geben neben der dunklen, rauen Kruste etwas von ihrem weichen Inneren preis. Zusammen hält sie ein nur zu erahnender, feiner Schleier von Plastiktüte. Chantal Maquet malt auch im Atelier. Sie hat sich für ein Medium entschieden, nennt die Malerei ihre Muttersprache und arbeitet ganz in ihrer Materie. Für die Zeit in Luxemburg und Saarbrücken hat sie sich dafür einen Rahmen gesetzt : den Raum zwischen Maler und Porträtiertem. Unter dem Titel „Look at me! I look at you!“ lädt sie Menschen ein, sich eine Stunde lang dem klassischen Wechselspiel einer Porträtsitzung auszusetzen. Dabei geht es natürlich um das entstehende Bild, das sie von ihrem Gegenüber anfertigt. Gleichzeitig interessiert sie jenes Bild, das sie im anderen evoziert – das sich ihr Gegenüber von ihr macht – bzw. machen könnte. Es ist das des Malers vor seinem Modell : mit Kittel und Staffelei, mit Palette und prüfendem Blick. In diesem einstündigen Schauspiel lässt sie all die skurrilen wie theatralen Momente zu, die eine so hochgradig artifizielle Situation mit sich bringt. Das ursprüngliche Konzept sah vor, dass der „Kunde“ die Fernauslöse einer fix installierten Kamera bedienen, und nach Belieben Bilder von der Malerin festhalten würde. Ein Fehlgriff, den Chantal Maquet schnell korrigieren musste: Ihren Modellen stand die reine Anspannung ins Gesicht geschrieben. Sie waren ganz Entscheidung, ganz Beobachter. Seitdem macht die Kamera selbstständig Bilder von der Malerin bei ihrer Arbeit, alle fünf Sekunden. Statt Laie und Profi sind nach dieser Entscheidung wieder zwei Voll-Profis mit der Bildproduktion beschäftigt: die gelernte Illustratorin und die digitale Kamera. Die Konstellation provoziert den Vergleich : Wie automatisiert entstehen die Bilder unter Chantal Maquets Händen ? Ist ihr Blick auch getaktet, voreingestellt ? Fado in Lissabon, April 2011, jeweils 15 × 15 cm, Öl / Malpappe

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9 verpackte Brotscheiben, 2009, 50 × 35 cm, Öl / Hartfaser

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Und wenn, wäre das ein Zeichen von Könnerschaft ? Der Beweis, dass Ölfarbe in ihren Adern fließt, dass das Malen ihr ins Blut übergegangen ist ? Oder ist es das genaue Gegenteil – die mechanische Blutleere des Virtuosen? 200 Jahre nach Erfindung der Kamera können wir die alte Streitfrage nach der Überlegenheit von Fotografie oder Malerei getrost beiseite lassen: Kein Medium ersetzt das andere. Und solange Chantal Maquet es nicht nur schafft, sich selbst, trotz ihrer Virtuosität, beim Kampf um Ähnlichkeit zu überraschen, sondern auch noch in der Lage ist, Momente menschlicher Nähe hervorzubringen, ist die Bedrohung durch die moderne Technologie zu vernachlässigen. Vielmehr steht eine Frage dadurch noch deutlicher und auf mehreren Ebenen im Raum : Was bedeutet es, einen Menschen wirklich ( und nicht nur seine Gesichtszüge ) zu treffen ? Mirjam Bayerdörfer geboren 1984, beendet derzeit ihr Masterstudium „Kuratieren“ an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Die Vorsitzende des Neuen Saarbrücker Kunstvereins lebt und arbeitet in Saarbrücken.

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Chantal Maquet portr채tiert Rafael Springer.

Chantal Maquet portr채tiert Alexander Minor.

http://vimeo.com/57094268

http:// vimeo.com/53524639


Alle Bilder der Serie „Look at me! I look at you!“ sind 24 × 31 cm, Öl auf Leinwand

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Rafael S. Isabelle H. Timo F. Mirjam B.

Ariane H. Alexander R. Simone B. Tom H.

Matthias W. Bettina H. Jochen F. Stefanie L.

Simone B. Roderick D. Vera K. Catherine W.

Annabelle M. Steffi W. Letizia R. Jean-Paul G.

Marlène K. Namaiyo K. Hanna P. Martina W.


Alejandro S. Alisa K. Edmond P. Carmen M.

Mozhgan R. Stefan K. Christina R. Armin R.

Viola L. Alexander M. Françoise A. Marc K.

Yan K. Michaela K.-B. Alexander K. Yvonne K.

Julia R. Shako B. Petra J. Pascale N. A.

Nina Françoise H. Jennifer Z. Pia B.


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C hantal M a q uet 1982 in Luxemburg geboren 2002 -  2006 Ausbildung zur Grafik-Designerin an der Kunstschule Alsterdamm, Hamburg 2006 -  2011 Diplom der Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg A usstellungen 2013 Oldtimer-Tankstelle, Hamburg 2013 KuBa, Saarbrücken 2012 Offspace in Hamburg 2012 CarréRotondes, Luxemburg 2012 Konschthaus beim Engel, Luxemburg 2012 Kjub, Luxemburg 2012 Schungfabrik Tétange, Luxemburg 2012 Offspace in Leipzig 2012 Projektor, Hamburg 2011 CarréRotondes, Luxemburg 2011 Armgartstraße, Hamburg 2011 Frappant e.V., Hamburg 2010 Frappant e.V., Hamburg 2009 CarréRotondes, Luxemburg 2009 Künstlerhaus Lauenburg 2008 Amalie Sieveking Krankenhaus, Hamburg

Happy Motoring mit Aaron Vidal artmix7 (G) Umbruch (G) Salon 2012 (G), Cercle Artistique de Luxembourg artmix7 (G) Mit Thomas Ehgartner Reg’art sur le monde (G) Biennale OFFcourse Institution (G), Betriebsausflug Hamburg-Leipzig Mademoiselle | Frauenbilder (E) Salon 2011 (G), Cercle Artistique de Luxembourg Pentiment (G) Erinnerung Sprich! (G) Rencontrez! (G) XPO E (G) Hochdruck (G) Klinische Studien (G)

P reise und S tipendien 2012 / 2013 artmix7. Künstleraustausch Luxemburg / Saarbrücken 2012 2. Preis bei der 2. Biennale «reg’art sur le monde» Kayl-Tétange, Luxemburg 2011 1. Publikumspreis beim 3. Hansaplatz Kunstpreis, Hamburg 2011 Boesner Pentiment Stipendium für junge Hamburg Künstler W erke in öffentlichen S ammlungen Musée de la Ville de Luxembourg Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden

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Teil 2 von 4 des Begleitkatalogs zur Ausstellung vom 31. Januar bis 17. Februar 2013 im KuBa SaarbrĂźcken. Layout: Chantal Maquet

Fßr die Initiation von artmix mÜchten sich Vera Kattler, Chantal Maquet, Alexander Minor und Letizia Romanini beim Ministère de la Culture, Luxembourg und der Landeshauptstadt Saarbrßcken bedanken.

Ein besonderer Dank gilt den freundlichen Unterstßtzern der Ausstellung, ohne die der Katalog in dieser Form nicht mÜglich gewesen wäre:

Mehr Ăźber Chantal Maquet unter : www.chantal-maquet.com Mehr Ăźber „Look at me! I look at you“ unter : www.facebook.com/LookAtMeILookAtYou




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