agora42 1/2018 WIRTSCHAFT IM WIDERSPRUCH – Vorschau

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Das philosophische Wirtschaftsmagazin

AUSGABE 01/2018

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WIRTSCHAFT IM WIDERSPRUCH

WIRTSCHAFT IM WIDERSPRUCH AUSGABE 01/2018

Das philosophische Wirtschaftsmagazin


INHALT

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—3 EDITORIAL —4 INHALT

TERRAIN Hier werden Begriffe, Theorien und Phänomene vorgestellt, die für unser gesellschaftliches Selbstverständnis grundlegend sind.

—8 DIE AUTOREN —9 Niko Paech

Wohlstand im Widerspruch – Jenseits grüner Wachstumsträume — 13 Dieter Schnaas

Spekulation im Widerspruch — 98 IMPRESSUM

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— 19 Louis Klein

So geht es nicht! – Wirtschaft im Widerspruch

— 24 Tanja Will

Alles ist Widerspruch – Die Vernunft in der Sackgasse — 30 Sebastian Ostritsch

Portrait: Georg Wilhelm Friedrich Hegel – Widerspruch, Geist und Freiheit


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Inhalt

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INTERVIEW

HORIZONT Auf zu neuen Ufern! Wie lässt sich eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen herbeiführen?

— 56 DIE AUTOREN — 57 Christina Breitenbücher

(R)evolution in der Mitarbeiterauswahl — 62 Sven Böttcher — 38 Wachstum im Widerspruch – Oder: Schaffen, was die Welt noch nie gesehen hat

Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker

„Anders!“ ist das neue „Basta!“ — 68 Wolfram Bernhardt

Was ist die Krise und wer sind wir danach?

— 80 VERANTWORTUNG UNTERNEHMEN

Antje von Dewitz im Gespräch mit der Thales-Akademie LAND IN SICHT — 90

Gesellschaft für sozioökonomische Bildung & Wissenschaft — 92

Europe.Manifesto! — 94

Die Vermeidung der Steuervermeidung — 96 GEDANKENSPIELE

von Kai Jannek

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DIE AUTOREN

© Foto: Werner Schuering

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Niko Paech

Dieter Schnaas

Louis Klein

ist außerplanmäßiger Professor. Er lehrt an der Universität Siegen im Studiengang Plurale Ökonomik. Zuletzt von ihm zum Thema erschienen (mit Erhard Eppler): Was Sie da vorhaben, wäre ja eine Revolution … (oekom Verlag, 2016).

ist Chefreporter und Autor der WirtschaftsWoche. Zum Thema von ihm erschienen: Kleine Kulturgeschichte des Geldes (Wilhelm Fink Verlag, 2010).

ist u. a. Dekan der European School of Governance, Vorstandsvorsitzender der Systemic Excellence Group e. G., Herausgeber des Journal of Organisational Transformation and Social Change sowie Mitherausgeber der agora42.

— Seite 13

— Seite 19

© Foto: Janusch Tschech

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— Seite 9

Tanja Will

Sebastian Ostritsch

studierte Soziologie, Ethnologie sowie Wirtschaftsund Sozialgeschichte. Sie ist stellvertretende Chefredakteurin der agora42.

ist Philosoph. Er lehrt und arbeitet an den Universitäten Stuttgart und Tübingen. Neben dem deutschen Idealismus interessiert er sich für die Themen „Existenz“, „Zeit und Ewigkeit“ sowie die Ethik des Computerspiels. 2014 wurde seine Dissertation Hegels Rechtsphilosophie als Metaethik bei Mentis veröffentlicht. Anfang 2018 erscheint sein gemeinsam mit Andreas Luckner verfasstes Buch Existenz bei De Gruyter.

— Seite 24

— Seite 30 8


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Wohlstand im Widerspruch

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Jenseits grüner Wachstumsträume

Text: Niko Paech

Aktuelle Bemühungen, die Gesellschaft nachhaltiger auszurichten, zielen auf eine ökologische Modernisierung. Technischer Fortschritt, so die Hoffnung, könnte die Probleme, die aus der heutigen Form des Wirtschaftens erwachsen, ohne mühevolle Umstellungen und Anspruchsmäßigungen lösen. Diese Ideologie liefert zeitgenössischen Konsumgesellschaften ein Alibi dafür, den Wandel zum Weniger bis auf unbestimmte Zeit aufzuschieben oder gar als unnötig abzulehnen. Bedauerlicherweise sind es ausgerechnet viele der Effizienz-, Cradle-to-cradle-, Energiewende- oder sonstigen „Green-New-Deal“-Innovationen, die den materiellen Raubbau intensivieren, indem sie bislang verschont gebliebene Naturgüter und Landschaften einer „grünen“ Verwertung zuführen. 9


Niko Paech

ches Roulette verantwortbar, das nicht aus Not, sondern allein um der Mehrung eines schon jetzt überbordenden Wohlstandes willen erfolgt? Design – oder Desaster

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Die Fortschrittslogik des grünen Wachstums zerbricht notwendigerweise daran, dass in der Praxis wohl kaum gelingen kann, was sich nicht einmal theoretisch ohne unlösbare Widersprüche darstellen lässt. Wenn eine Entkopplung des BIP von ökologischen Schäden systematisch fehlschlägt, bleibt logischerweise nur die schrittweise Reduktion industriell arbeitsteiliger Versorgungssysteme. Diesen Rückbau sozialverträglich und ökonomisch stabil zu gestalten, liegt im Kern der „Postwachstumsökonomie“ (Paech 2012). Um diese Transformation zu bewerkstelligen, muss eine grundlegende Veränderung in zweierlei Hinsicht erfolgen: erstens eine Dämpfung von Konsum- und Mobilitätsansprüchen (Suffizienz, Entschleunigung, Sesshaftigkeit) und zweitens eine Rückkehr zu kleinräumigen, graduell deindustrialisierten Versorgungsstrukturen (Subsistenz, Regionalökonomie, Restindustrien mit kürzeren Wertschöpfungsketten). Durch die erstgenannte Strategie ließe sich eine Phase der Entrümpelung einläuten. So könnten übervolle Lebensstile von all jenen energiefressenden Komfortkrücken befreit werden, die ohnehin nur geld- und wachstumsabhängig machen. Eine reizüberflutete Konsumsphäre beschwört systematisch Überforderungen herauf, weil sie eine nicht vermehrbare menschliche Ressource aufzehrt, nämlich Aufmerksamkeit. Durch den Abwurf von Wohlstandsballast wäre es wieder möglich, sich stressfrei auf das Wesentliche zu konzentrieren, statt im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung zusehends orientierungslos zu werden.

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Die Subsistenzstrategie (Subsistenz = Selbstversorgung) gründet darauf, einen Kompromiss zwischen industrieller Fremdversorgung und Eigenarbeit zu finden. Wer lediglich 20 Stunden pro Woche dem Gelderwerb nachgeht, könnte als Prosument (= Produzent + Konsument) Subsistenzleistungen erbringen, die das monetäre Einkommen ergänzen. Geeignete Formen einer modernen Selbstversorgung erstrecken sich erstens auf Eigenproduktion (zum Beispiel in Gemeinschaftsgärten), zweitens auf eigenständige Reparatur sowie drittens auf die gemeinschaftliche Nutzung hochwertiger Gebrauchsgüter. Insbesondere die beiden letztgenannten Bereiche ließen sich mit einer intelligenten, merklich verkleinerten Industrie verzahnen. Langlebige, reparable und anpassungsfähige Produktdesigns würden Prosumenten dazu befähigen, mittels handwerklicher Kompetenz, eigenem Zeitinput und sozialer Vernetzung einen halbierten Industrieoutput so zu „veredeln“, dass auf keine Konsumfunktion verzichtet werden müsste. Wer sich beispielsweise mit seinem Nachbarn eine Digitalkamera und einen Rasenmäher teilt, trägt zur Halbierung des Bedarfs dieser Güter bei. Derselbe Effekt ließe sich erzielen, wenn zum Beispiel Textilien, Fahrzeuge, Möbel oder Elektrogeräte achtsam behandelt und die wichtigsten Reparaturen selbst ausgeführt werden würden, sodass sich deren Nutzungsdauer verdoppelt. Dieser Weg ist ohnehin vorgezeichnet, wenn nicht „by design“, das heißt aktiv gestaltet, dann „by desaster“, wenn globalisierte Fremdversorgungssysteme partiell kollabieren, ganz gleich ob infolge fortschreitender Ressourcenverknappungen, Klimafolgen, psychologischer Krisen (Reizüberflutung, Lernunfähigkeit infolge grassierender Aufmerksamkeitsdefizite, Burn-out, Depression) oder absehbarer Zusammenbrüche des Finanzsystems. ■

Dieser Artikel ist eine aktualisierte Version des gleichnamigen Beitrags aus der agora42 WOHLSTAND (02/2013).

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Vom Autor empfohlen: SACH-/FACHBUCH

Ernst Friedrich Schumacher: Small is beautiful. (A Study of) Economics as if People Mattered (Blond & Briggs, 1973)


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Spekulation im Widerspruch — Text: Dieter Schnaas

Wer Spekulation kritisiert, kann sich des Beifalls der Vielen sicher sein: „Spekulation“ ist ein Sammelbegriff für alles Schlechte in der Wirtschaft, für Gier, Hybris, Leichtsinn und Verantwortungslosigkeit. Doch Spekulation ist eben auch der mutige, visionäre Blick nach vorn, ein Antrieb für Innovationen und Entdeckungen – ein Barometer für unsere Erwartungen, Sorgen, Hoffnungen und Perspektiven. Das Problem ist nicht die Spekulation als solche, sondern ihr Missbrauch. 13


Dieter Schnaas

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Die wichtigsten Zahlen Pikettys, von Ungleichheitsforschern wie Branko Milanovic oder auch Anthony Atkinson bestätigt, sind bekannt: zum Beispiel halten die obersten zehn Prozent der Amerikaner 70 Prozent des Kapitals, auf die Mittelschicht (40 Prozent) entfallen 25 Prozent und auf die untere Hälfte aller Amerikaner gerade mal fünf Prozent. Gleichzeitig sind die Gehälter auseinander gedriftet: Während ein Manager 1950 rund 20 Mal so viel verdiente wie der durchschnittliche Angestellte eines Betriebs, strich er 2010 bereits 200 Mal so viel ein. Für Piketty besteht deshalb gar kein Zweifel daran, dass sich die Gewichte zwischen Kapital- und Arbeitseinkommen weiter verschieben werden. Machten Arbeitseinkommen 1970 noch 68 Prozent der Gesamteinkommen aus, so waren es 2010 nur noch 62 Prozent – Tendenz fallend. Und das ist längst noch nicht alles. Denn der Digital-Kapitalismus mit seinen Plattformen führt zu einem The-WinnerTakes-It-All-Effekt, der die Vermögenskonzentration auch innerhalb der „realen Wirtschaftswelt“ verschärft. Seit Anfang des Jahres ist die Marktkapitalisierung der vier größten Techfirmen in den USA (Amazon, Google, Apple, Facebook) um 450 Milliarden Dollar gestiegen – und die der vier größten Techfirmen in China um 400 Milliarden Dollar. Zudem gehen die meisten jüngeren Techfirmen, etwa Uber, nicht mehr an die Börse, sondern sammeln das Geld privater Investoren ein. „Sie existieren gleichsam außerhalb des Kapitalismus und sind keinen Kontrollmechanismen des Marktes unterworfen“, so der Valley-Kritiker Evgeny Morozov. Und weiter: „Wir haben einen Sektor mit ungeheuer viel Kapital und Macht entstehen lassen – und ungeheuer wenig Rechenschaftspflicht.“ Kurzum: Das Zusammenwirken von nebenbörslich, also weitgehend im Geheimen operierenden Finanzunternehmen mit einer oligopolartigen Digitalwirtschaft, deren Geschäftsmodell in der Monopolisierung von Daten liegt, wird die Eigenlogik, Konzentration und Selbstreferenzialität eines Geldes, das zum Zwecke seiner Vermehrung und Anhäufung zirkuliert, verschärfen – auf Kosten eines Geldes, das als soziales Vermögens umläuft.

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Deshalb sollten Finanzprodukte, die keiner versteht, vom Markt verschwinden – und schon aus Transparenzgründen mit einer Mehrwertsteuer bedacht werden. Man wird sicher nicht so weit gehen müssen wie der amerikanische Supreme Court im Jahr 1889, der den Handel mit Futures einschränkte und reine Differenzgeschäfte verbot, um Spekulanten auf Geschäfte mit real intentions zu verpflichten. Aber natürlich lässt sich die Verzigfachung des Derivatgeschäfts zum Beispiel mit Agrarrohstoffen nicht mehr bloß mit dem Hinweis auf einen Bauern rechtfertigen, der mit einem Future den Ertrag seiner Weizenernte gegen die Unbill des Wetters absichert. Auch Spekulation hat ihren Grenznutzen. Für den marktwirtschaftlich agierenden Bauern nimmt er ab, je öfter sein Risiko gestückelt und verbrieft wird. Für den marktfernen Spekulanten, der seine Risiken so lange stückelt und verbrieft, bis er sie zuletzt seiner eigenen Beobachtung entzogen hat, nimmt der Grenznutzen mit jeder weiteren Wette zu. Das sei ihm gegönnt. Aber bitte: Erstens spielt auch im Casino jeder nur mit seinem eigenen Geld – und haftet für seine Verluste. Zweitens ist das Casino seit dem Aufstieg des Digitalkapitalismus kein bloßes Casino mehr, im Gegenteil: Die „Realwirtschaft“ sitzt mit der „Finanzwirtschaft“ am Spieltisch. ■

Vom Autor empfohlen: SACH-/FACHBUCH

Urs Stäheli: Spektakuläre Spekulation (Suhrkamp Verlag, 2007) Claudia Honegger/Sighard Neckel/Chantalö Magnin: Strukturierte Verantwortungslosigkeit (Suhrkamp Verlag, 2010) ROMAN

William Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig (1600) Don DeLillo: Cosmopolis (Kiepenheuer & Witsch, 2003) FILM

The Big Short von Adam McKay (2015) Tulpenfieber von Justin Chadwick (2017)


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So geht es nicht!

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Wirtschaft im Widerspruch

Text: Louis Klein

Es gab einmal ein Bewusstsein vom Primat des Politischen und des Öffentlichen. Es gab ein Wissen darum, dass gesellschaftliche Probleme nur gesellschaftlich gelöst werden können, dass die Balance zwischen Leistungsprinzip und Solidarität aktiv gestaltet werden muss, um zu gelingen. Aber das ist lange her. Das Gerede von Social Entrepreneurship, von Sozialunternehmertum, ist die Bankrotterklärung einer marktgläubigen Gesellschaft. Auf den Markt, den vielgepriesenen, ist kein Verlass. 19


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Alles ist Widerspruch — Die Vernunft in der Sackgasse

Text: Tanja Will

Man könnte die heutige Zeit als Zeitalter der offenen Widersprüche bezeichnen. Gleich wohin man blickt, überall scheinen sich Ideen gegen ihre Schöpfer, Handlungen gegen Absichten und Systeme gegen Menschen zu stellen. Nehmen wir nur die Wirtschaft: Wirtschaft ist nicht das, wofür sie sich hält. Die Überzeugung, dass der persönliche Nutzen des Homo oeconomicus zum Wohle aller sei oder das Versprechen, dass unendliches Wachstum, grenzenloser Fortschritt und weltweiter Wohlstand ermöglicht werden können, stehen heute ganz offensichtlich im Widerspruch zu den tatsächlichen Entwicklungen. Aber warum? 24


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er Grund für die Widersprüche, die wir immer deutlicher erkennen – etwa dass die Wirtschaft auch unwirtschaftlich, die Demokratie auch undemokratisch oder das Recht auch ungerecht ist – liegt in der radikalen Rationalität moderner Gesellschaften, die das Denken und Handeln der Menschen und damit auch all ihre Institutionen prägt. Was ist nun aber mit Rationalität gemeint? Für Max Weber (1864–1920), einen der bedeutendsten Soziologen der Moderne, beginnt die Rationalität im Denken oder Handeln, das an einem Ziel orientiert ist und für die Erreichung dieses Zieles planend und berechnend vorgeht. Damit stellt sie seit jeher den „höchsten und erfolgreichsten Scharfsinn des rechnenden Planens und Erfindens“ (Martin Heidegger) dar. So weit, so gut. Ihre ideologische und gesellschaftliche Macht erhält die Rationalität aber in dem Moment, in dem ihre Begründungen als allgemein verständlich betrachtet werden und in ihnen eine allgemeine Evidenz gesehen wird – wie es am deutlichsten in wissenschaftlichen Beweisführungen der Fall ist. In diesem Moment mischt sich das berechnende Vorgehen mit einem universalen Anspruch – jeder, der auf diese Art vorgehe, werde das Ziel erreichen. Was für ein Versprechen: Das ewige Hin und Her der Argumente, die zahllosen einzelnen Stimmen und Sichtweisen, die Verschiedenheit der Menschen kann endlich aufgehoben werden in einem Konsens – den es nur zu finden gilt. Ein Wettbewerb entbrennt, die ewige Suche nach der einen, idealen Gesellschaftsform, dem idealen Unternehmen, der richtigen Erkenntnis etc. ist gestartet. Die Einigung auf eine allgemein schlüssige Sicht soll gelingen durch das argumentative, begründende Aushandeln von Ansichten, die – so der rationalistische Glaube – im Prinzip von jedem verstanden werden können. So gesehen

ist dem Soziologen Johannes Weiß zufolge „Rationalität als Kommunikabilität“ zu verstehen, indem sie ausschließlich das berücksichtigt, was kommunizierbar ist und damit die Übersetzung von persönlichen Empfindungen, Sichtweisen und Erkenntnissen in die Welt der Argumente und rationalen Beweisführungen vorantreibt. Rationalität ermöglicht also die Verständigung trotz mannigfaltiger Wahrnehmungen und Perspektiven, sie ermöglicht Einigung. Mit diesem Anliegen vergrößert sie gleichzeitig die „Soziabilität ihrer Gegenstände“ (Weiß), indem sie die Kommunikation über Erkenntnisse und Fakten intensiviert – beziehungsweise erst ermöglicht. Sie birgt aber in sich die Gefahr, „daß eines Tages das rechnende Denken als das einzige in Geltung und Übung bliebe“ (Heidegger) und damit menschliche Erfahrungen, die keine allgemeine Bedeutung haben, als persönliche, nicht mitteilbare Erlebnisse aus sämtlichen sozialen Zusammenhängen herausfallen. In diesem Fall würde Rationalität zum Allgemeinen, ja zum totalen Prinzip, dass die einzelnen Perspektiven verdrängt, indem es den fruchtbaren Boden, auf dem sie wachsen, unser Denken verwüstet – zum Rationalismus. Das Problem ist nur: Ohne dieses vielfältige Denken lässt sich kein sinnvoller Konsens mehr herstellen. An diesem Umschlagpunkt befinden wir uns.

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Alles ist Widerspruch


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Portrait

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel — Widerspruch, Geist und Freiheit Text: Sebastian Ostritsch

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Sebastian Ostritsch

„Alle Dinge“, schreibt der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seiner Wissenschaft der Logik (1812–1816), „sind an sich selbst widersprechend“. Dieser Satz ist für die Ohren vieler Philosophen eine Zumutung, wenn nicht gar ein Skandal. Denn in der philosophischen Zunft ist die Ansicht weit verbreitet, Widersprüche könnten in der Realität überhaupt nicht und im Denken auch nur dem Anschein nach bestehen. Es gibt viele Gründe, warum das Urteil über Hegel in der Fachwelt weit auseinandergeht und er nicht nur zu den berühmtesten, sondern auch zu den berüchtigtsten Denkern des Abendlandes gezählt werden muss. Seine äußerst schwer zugängliche und zu Missverständnissen einladende Sprache ist sicherlich einer davon. Vielleicht am meisten zu Hegels kontroversem Status beigetragen hat aber seine Haltung zum Widerspruch, den er scheinbar umstandslos bejahte. Hegel und seine Kritiker: Wer ist hier der Scharlatan?

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Die Liste der philosophischen Gegner, die in Hegels Theorie des Widerspruchs eine Bankrotterklärung des vernünftigen Denkens sahen und sehen, ist lang. Zu den bekanntesten zählen Hegels Zeitgenosse Arthur Schopenhauer (1788–1860) und der Begründer des Kritischen Rationalismus Karl Popper (1902–1994). Schopenhauer, der in höchst amüsanten Beleidigungstiraden Hegel unter anderem als „platten, geistlosen, ekelhaftwiderlichen, unwissenden Scharlatan“ bezeichnet hat, muss allerdings vor allem als persönlicher (statt als sachlicher) Gegner des Gescholtenen gelten. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es dem Pessimisten Schopenhauer, dessen Glück, wie Friedrich Nietzsche einmal bemerkte, gerade im Ausleben seines Zorns bestand, sauer aufgestoßen war, dass Hegel die gefeierte und allseits beachtete Geistesgröße Berlins war, während sich für ihn in der preußischen Hauptstadt kaum jemand interessierte. Aufrichtigerer Natur ist wohl die Motivation der Kritik Poppers. Allerdings trifft sie nicht Hegel, sondern eine Karikatur. Aus Hegels These, dass es reale und gedankliche Widersprüche gibt, wird bei Popper die Unterstellung, dass sich Hegel einer „dialektischen Methode“ bediene, die darin bestünde, widersprüchliche Aussagen – These und Antithese – zugleich für gleichermaßen wahr zu erklären und beide in einer pseudologischen Synthese zu verknüpfen. Mit einer derartigen „Logik“ lasse sich, so Popper, alles begründen, weshalb die Dialektik aus wissenschaftlicher Sicht wertlos sei. Mehr noch, die Dialektik sei gefährlich, denn mit ihr ließe sich, zumindest dem Scheine nach, alles rechtfertigen, etwa auch totalitäre Staatsformen; und genau dies habe Hegel dann auch getan, als er in seiner Rechtsphilosophie (1820) eine gegen Freiheit und Individualität gerichtete Staatsvergottung gepredigt habe, der zufolge das Individuum nichts und der Staat alles sei. Beidem, sowohl Poppers Darstellung der Dialektik als auch seiner gesellschaftsphilosophischen Kritik an Hegel, muss widersprochen werden. Dialektik oder das Denken auf Umwegen

Die Behauptung, der Dialektik ginge es darum, widersprüchliche Aussagen (These und Antithese) für gleichermaßen wahr zu erklären, ist schlicht falsch und lässt sich an Hegels Werken nicht belegen. Überhaupt findet sich die Rede von „These, Antithese und Synthese“ in der Studienausgabe von Hegels Werken genau einmal und zwar an einer Stelle, an der Hegel Immanuel Kant für die Verwendung dieses „geistlosen Schemas der Triplizität“ angreift. Poppers Missverständnisse belegen für Hegel im Besonderen, was allgemein gilt: Selber lesen lohnt sich! Wer selbst liest, merkt schnell, dass es bei Hegel nie darum geht, mit einer vorgefertigten Methoden-Schablone an ein bestimmtes Thema heranzutreten. Im Gegenteil, Hegels „Methode“ ist höchst flexibel und dabei so einfach wie radikal: Es gilt, die innere Logik eines Gedankens bis in seine äußerste Konsequenz hin zu verfolgen und zu betrachten, wohin er führt. Die Hauptaufgabe des Philosophen sieht Hegel dabei darin, die eigenen subjektiven Einfälle und Assoziationen vom Denken fernzuhalten und 32

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Portrait: Georg Wilhelm Friedrich Hegel

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voreilige Schlüsse zu vermeiden. Hält man sich erfolgreich auf diese Weise zurück, dann offenbart sich, dass die Grundbegriffe des Denkens – von „Identität“ bis „Individuum“, von „Sein“ bis „Substanz“ – keine voneinander isolierten, selbstgenügsamen Einheiten sind. Im Gegenteil: Konsequent zu Ende gedacht, schlagen sie gewissermaßen von selbst in etwas anderes – in ihre Negation beziehungsweise ihr Gegenteil – um. Man muss nun gar nicht tief in die hegelsche Philosophie eintauchen, um zu verstehen, welches Phänomen gemeint ist. Es genügt bereits, sich einer alten römischen Spruchweisheit zu erinnern, die uns vor allem durch Cicero bekannt ist: Summum ius, summa iniuria – Das höchste Recht ist zugleich das höchste Unrecht. Wo bis zum Äußersten auf dem juridischen Recht, der positiven Gesetzgebung beharrt wird, ohne den Blick für mögliche Ausnahmen, Härtefälle oder den Gnadenakt zu haben, kann das Recht in Unrecht umschlagen – man denke nur an das sture Rechtsbeharren des Shylock aus Shakespeares Kaufmann von Venedig. Aber Dialektik erschöpft sich nicht darin, solche Umschlagsbewegungen des Denkens zu konstatieren. Es geht ihr vielmehr darum, denkend über solche Widersprüche hinaus zu gelangen. Für die Rede vom „ungerechten Recht“ heißt dies etwa, folgenden Zusammenhang zu erkennen: Die Möglichkeit, dass positives Recht ungerecht sein kann, offenbart, dass Gerechtigkeit ein überpositives Element besitzen muss. Denn nur vom Standpunkt überpositiver Gerechtigkeit aus kann positives Recht selbst wieder als gerecht oder ungerecht bezeichnet werden. Oder anders ausgedrückt: Um wirklich zu begreifen, was Recht eigentlich ist, bedarf es des geistigen Umwegs über den Begriff des Unrechts. Aber nicht nur abstrakte Kategorien wie „das Recht“ bergen einen Widerspruch in sich. Wie das eingangs genannte Zitat bezeugt, sind es nach Hegel alle Dinge, die widersprüchlich sind. Was ist damit gemeint? Betrachten wir zum besseren Verständnis einen beliebigen Gegenstand, beispielsweise einen Fußball. Dieser Fußball kann nun offenbar prinzipiell Träger widersprüchlicher Eigenschaften sein. So kann er sowohl aufgepumpt als auch platt sein. Nun könnte man einwenden, dass er aber ja nie zugleich aufgepumpt und platt sein kann. Aufgepumpt und platt sein kann ein und derselbe Ball nur innerhalb eines Prozesses. Damit verschwindet der Widerspruch aber nicht völlig, sondern wird gewissermaßen nur auf den Prozess ausgelagert. Wenn ein Übergang vom Aufgepumptsein zum Plattsein stattfinden soll, dann muss es einen Umschlagspunkt geben, in dem die widersprüchlichen Eigenschaften in ein und demselben Ball zusammenfallen. Zeitliche Prozesse sind daher nach Hegel als Vermittlungen von Widersprüchen zu begreifen, Widersprüchen, die den Dingen selbst innewohnen. Hegel lehrt also, anders als Popper und andere unterstellten, nicht die Verherrlichung des logischen Widerspruchs, sondern die Vermittlung und Überwindung von Widersprüchen, seien sie geistig-begrifflicher oder realer Natur. 33

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Hegels „Methode“ ist höchst flexibel und dabei so einfach wie radikal: Es gilt, die innere Logik eines Gedankens bis in seine äußerste Konsequenz hin zu verfolgen und zu betrachten, wohin er führt.




Interview

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Wachstum im Widerspruch I N T E R V I E W

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Oder: Schaffen, was die Welt noch nie gesehen hat

Interview mit Ernst Ulrich von Weizsäcker

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Ernst Ulrich von Weizsäcker

Ernst Ulrich von Weizsäcker

Fotos: Janusch Tschech

dierte Physik und Chemie in Hamburg. 1969 promovierte er im Fach Biologie und wurde 1972 Professor für Biologie an der Universität Essen. Von 1975 bis 1980 war er Präsident der Universität/Gesamthochschule Kassel, 1981 bis 1984 Direktor am UNOZentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, 1984 bis 1991 Direktor am Institut für Europäische Umweltpolitik und von 1991 bis 2000 Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Für die SPD zog Weizsäcker 1998 in den Deutschen Bundestag ein, dessen Mitglied er bis 2005 blieb. Von 2000 bis 2002 saß er der Enquete-Kommission Globalisierung vor und von 2002 bis 2005 dem Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Von 2006 bis 2008 folgte ein Aufenthalt in den USA als Dekan der Donald Bren School for Environmental Science and Management (University of California), anschließend ein Aufenthalt in China, wo er als Ko-Vorsitzender der China Council Task Force on Economic Instruments for Energy Efficiency and the Environment tätig war.

Die Veröffentlichung der im Auftrag des Club of Rome erstellten Studie „Die Grenzen des Wachstums“ liegt mittlerweile 45 Jahre zurück. Seitdem hat das Wirtschaftswachstum die ökologischen Probleme in vielerlei Hinsicht verschärft – und tut das mehr denn je. Wie erklären Sie sich, dass der Wachstumskurs trotz immer größerer Widersprüche beibehalten wird?

Zunächst muss man einräumen, dass sich zwei Prognosen des damaligen Berichts als falsch erwiesen haben. Zum einen die Annahme, dass die Steigerung der Industrieproduktion fest an eine steigende Umweltverschmutzung gekoppelt ist. Wenn wir aber heute trotz massiv gestiegener Industrieproduktion Luft und Wasser sehr verbessert haben, liegt das daran, dass sich in der Zwischenzeit die Umweltpolitik etabliert hat, etwa durch die Abwasserabgabenverordnung und die Großfeuerungsanlagenverordnung. Zum anderen haben sich die Prognosen hinsichtlich des Verbrauchs geologischer und fossiler Rohstoffe als falsch herausgestellt. In dem Bericht von 1972 prognostizierte man, dass die Rohstoffvorräte in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts zur Neige gehen würden (siehe die grüne Kurve in Abbildung 1 auf Seite 42). Beispielsweise war die Rede davon, dass es in 60 Jahren kein Kupfer mehr geben würde, was nach heutigem Stand nicht passieren wird. Dass sich diese beiden Prognosen als falsch erwiesen haben, lässt viele Optimisten triumphieren. Insbesondere jene, die den damaligen Bericht als Kritik an ihrem Tun empfanden und nach Chancen suchten, den Club of Rome zu diskreditieren. Dabei sind andere Dinge viel schlimmer geworden, und ein fröhliches „Weiter so“ ist keine Option. Zum Glück hat sich seitdem im öffentlichen Bewusstsein viel getan. Das wird auch dadurch belegt, dass der Ausdruck Anthropozän sich zunehmend etabliert, mit dem die erdgeschichtliche Epoche bezeichnet wird, in welcher der Mensch zum entscheidenden Umwelteinfluss wurde.

2012 wurde er zum Ko-Präsidenten des Club of Rome gewählt, dessen Mitglied er seit 1992 ist. Zuletzt von ihm erschienen: Wir sind dran. Club of Rome: Der große Bericht. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen (Gütersloher Verlagshaus, 2017; zusammen mit Andreas Wijkman und 32 weiteren Mitgliedern des Club of Rome); Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum (Droemer HC, 2010; zusammen mit Karlson Hargroves und Michael Smith).

Wird mit dem Begriff des Anthropozäns zusammengefasst, worauf der Club of Rome aufmerksam machen wollte?

Im Grunde genommen kann man das so sagen. Der niederländische Nobelpreisträger Paul Crutzen bietet eine wissenschaftlich ergiebige Beschreibung des Anthropozäns an. Er bezieht zahlreiche physikalische und soziale Parameter ein und stellt deren Veränderungen in den letzten 250 Jahren dar. Wenn man sich die entsprechenden Schaubilder ansieht, erkennt man, dass sämtliche Kurven, die den menschlichen Naturverbrauch darstellen, seit circa 50 Jahren steil ansteigen (siehe Abbildung 2, Seite 43). Was das Schaubild auch zeigt, ist, dass diese steigenden Verbrauchsraten massive Veränderungen in der Biosphäre und der Atmosphäre verursacht haben. Hinsichtlich der Grundaussage lag der Club of Rome mit seiner Prognose von 1972 also richtig.

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wurde 1939 in Zürich geboren und stu-


DIE AUTOREN

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Christina Sven Breitenbücher Böttcher publiziert seit 1988 unter drei Namen Romane und Sachbücher, nebenher erfindet er Fernsehformate (Beckmann) und schreibt TV-Filme und Serien (Der letzte Bulle). Zuletzt erschien das politische Sachbuch Die ganze Wahrheit über alles (Westend Verlag 2016; mit Mathias Bröckers).

— Seite 57

— Seite 62

© Foto: Janusch Tschech

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ist freiberufliche Dozentin in berufsvorbereitenden Bildungsprojekten mit Schwerpunkt im Bewerbungstraining und in der nachhaltigen Berufsorientierung. Auf ihrer Website www.beyou-bewusstbewerben.de ermutigt sie Menschen, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen.

Wolfram Bernhardt studierte BWL mit dem Schwerpunkt auf Finanzund Kapitalmärkte. Er ist Mitgründer und Mitherausgeber der agora42. — Seite 68

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(R)evolution in der Mitarbeiterauswahl –

Text: Christina Breitenbücher

Wie die Jobsuche zukünftig Menschen ermutigen könnte, das Wirtschaftssystem zu verändern, statt ihm blind zu dienen.

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Interview

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„Anders!“ ist das neue „Basta!“ H O R I Z O N T Text: Sven Böttcher

Alternativlos ist auf unserem eingeschlagenen Weg tatsächlich nur eines, nämlich dass wir in unserem schillernden Gefährt Turbokapitalismus alle zusammen an die Wand fahren. Das „Basta!“ der Hohepriester des Marktes, speziell in Richtung der Jungen, ist eine autoritäre Kriegserklärung, und es wird höchste Zeit, dieses „Schnauze im Schafspelz“ endgültig zu Grabe zu tragen.

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„Anders!“ ist das neue „Basta!“

Flucht nach vorn Auf den ersten Blick aber verwundert die Aggressivität der Hohepriester des Marktes, und man fragt sich, ob es nicht zumindest etwas ehrlicher ginge, indem man den eingeschlagenen Weg statt als „alternativlos“ nicht einfach als den „besten“ bezeichnete – das ließe zwar Raum für Fragen und Diskussionen, aber bei eben diesen hätten die Befürworter und Nutznießer des neoliberalen Weges etliche gute Argumente auf ihrer Seite. Denn tatsächlich wären Eingriffe in das bestehende, perfekt verzahnte System gefährlich, tatsächlich hätte jeder Eingriff in dieses System gravierende Konsequenzen. Wer älter als 50 ist und vom

bestehenden System profitiert, ob nun als Politiker, Journalist, Angestellter, Pensionär oder Festangestellter mit Versorgungsanspruch, wird daher haufenweise gute Gründe finden, den eingeschlagenen Weg fortzuführen, statt riskante Veränderungen vornehmen zu wollen. Für die ganzen „Ü50“, für die Mehrheit, die Mittelalten, aber auch für die nachgewachsenen Kinderlosen und die ganz Alten, Zukunftslosen, für alle aufgeklärt Gott- und Götterlosen, die keine Angst vor postmortaler Verdammnis kennen, ist dieser Weg tatsächlich der beste. Wir, die Zahlreichen, gehen auf Nummer Sicher. Was aber auch bedeutet, in Richtung der bereits Abgehängten, vor allem aber in Richtung der Jüngeren, unausgesprochen: Ihr geht auch sicher, allerdings unter. Ließen nun die Ü50 das selbstständige Denken, die Skepsis, die Diskussion über den von ihnen gewählten Weg auch nur im Ansatz zu, kristallisierte sich eben dies rasch heraus, die Wahrheit läge auf dem Tisch, und das dummerweise genau zwischen jenen, die nur noch wenig Zukunft benötigen – und jenen, denen die Zukunft gehört: zwischen alt und jung. Es stünde die Wahrheit der Alten im Raum: „Ihr seid uns egal. Deshalb haben wir die Flucht nach vorn angetreten, euch iPhones gekauft und eure Gehirne in unseren Schulen zu Stopflebern umtrainiert. Und dem unverbesserlich empathischen Rest von euch haben wir das Denken ganz verboten. Genau deshalb steht unser ,Basta!’ im Raum. Unser ,Schnauze!’.“ Wir verschweigen mit dem „Basta!“ allerdings auch, dass unser eingeschlagener Weg tatsächlich alternativlos, also unweigerlich, zu Tod und Verderben führt – dem unserer Nachfolger. Bei stetig zunehmender Ungleichverteilung allen Besitzes und zunehmender Bevölkerung alljährlich die Ressourcen von derzeit anderthalb bis vier Erden zu verbrauchen, ist kein tragfähiges Konzept, die heute noch Ungehörten werden kurz nach unserem Ableben vor toten Meeren stehen, weitgehend ohne Trinkwasser, im dauerhaften Kriegszustand und vermutlich zeitnah im nuklearen Winter. Läge den Ü50 an den Überlebenschancen der Nachfolgegenerationen, wäre tatsächlich nur eines alternativlos, nämlich das Verlassen des eingeschlagenen Weges – und zwar ganz gleich, auf welche Weise, denn jeder Weg, auch der

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m Anfang war das Wort und das Wort war TINA, Mutter aller Totschlagargumente, geboren aus Maggie Thatcher. TINA, There Is No Alternative, ist seit 2009 in Echo-Dauerschleife auch auf Deutsch als Hirnabschalter im Dauerangebot: alternativlos. Ein „Basta!“ im Schafspelz, Unwort des Jahres 2010 und weiterhin geeignet, die Zuhörerschaft wahlweise in tiefe Depression zu versenken oder so sehr zu verärgern, dass sie am Ende nach jedem noch so absurden Alternativversprechen greift, und sei es einem die Zukunft gleich ganz verweigernden „für Deutschland“. Das „Basta“-Diktum der Hohepriester des alleinigen Gottes Markt ist aber weit mehr als ein polemisches Ärgernis, denn die Verwendung der Scheinrechtfertigung „alternativlos“ verrät eine Gesinnung, die mangels Fantasie und mangels jeden Mutes, Diskussion und Meinungsverschiedenheit auch nur zu dulden, die Flucht nach vorn antritt zum autoritären, totalitären Rede- und Denkverbot. „Alternativlos“, das ist beileibe keine Meinung, keine Ansicht, sondern ein kategorisches „Schnauze!“, ein Befehl zum Kadavergehorsam: Wage es nicht, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, und schweig. Ganz gleich, in welchem konkreten Zusammenhang diese polemische Keule verwendet wird, ob im Kleinen, bei umstrittenen Bahnhofprojekten, oder im Großen, beim fortwährenden Kriegeführen, im Kern steht dieses „alternativlos“ als Wachposten vor dem ersten Gebot unseres Systems: Du sollst keinen Gott haben neben dem Gott des Marktes. Du sollst dir kein Bild machen von einer anderen Welt.

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Interview

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Was ist die Krise und wer sind wir danach? H O R I Z O N T Text: Wolfram Bernhardt

Dieser Artikel basiert auf einem gleichnamigen Vortrag, den ich zusammen mit meinem agora42Mitstreiter Frank Augustin bei der Fachtagung des Instituts der Wirtschaftsprßfer gehalten haben. Wir schilderten dort, warum wir glauben, dass sich unsere Gesellschaft am Ende einer Epoche befindet – und damit auch am Beginn einer neuen.

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Was ist die Krise und wer sind wir danach?

Die Krise ist eine Orientierungskrise. Sie ist also nicht bloß eine Wirtschafts- oder Demokratiekrise, sondern eine Krise, die unser Weltbild betrifft. 1. Die Vernunft ist selbst unvernünftig geworden Unvergessen sind die berühmten Worte Immanuel Kants: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Im Zeitalter der Aufklärung glaubte man daran, durch Vernunft, durch rationales Denken die Welt systematisch verbessern zu können. Und tatsächlich haben sich die Menschen seitdem von Vorurteilen, überholten Vorstellungen und Ideologien befreit. Die neuen Leitbilder waren ein Zuwachs an persönlicher Handlungsfreiheit, Bildung, an Bürgerrechten, allgemeinen Menschenrechten, medizinischen und technischen Fortschritten etc. Schreckliche Erfahrungen wie vor allem die beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts haben diesen Glauben erschüttert, aber nicht zu Fall gebracht. Im Gegenteil: Der Glaube an den Fortschritt boomte, man denke dabei insbesondere an die technischen Entwicklungen (Mondrakete oder Computer).

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mmer klarer tritt zutage, dass wir uns am Ende einer Epoche befinden. Einer Epoche, die getragen war von dem Glauben daran, dass durch technischen Fortschritt (mithin dem Fortschritt der Wissenschaften, der Vernunft) wirtschaftliches Wachstum geschaffen werden kann und dass dieses Wachstum zu steigendem materiellen Wohlstand wie auch zu einem insgesamt freieren, besseren Leben für alle führt. Stichworte: Vormarsch der Demokratien, Rechtsstaatlichkeit, freie Medien etc. Inzwischen treten jedoch die Schattenseiten des technischen Fortschritts und des wirtschaftlichen Wachstums deutlich zutage (Stichworte: Erderwärmung, Umweltzerstörung, Ungleichverteilung, Zunahme psychischer Krankheiten). Zudem ist überhaupt nicht mehr so klar wie früher, was Wohlstand meint. Bedeutete er lange Zeit ein Mehr an materiellen Gütern (und gleichzeitig auch immer bessere Güter), so treten inzwischen andere Faktoren in den Vordergrund: beispielsweise mehr Zeit zu haben, weniger abhängig zu sein, saubere Luft, saubere Böden, sauberes Wasser etc. So kann der erste Teil der Frage „Was ist die Krise und wer sind wir danach?“ ganz einfach beantwortet werden: Die Krise ist eine Orientierungskrise. Sie ist also nicht bloß eine Wirtschafts- oder Demokratiekrise, sondern eine Krise, die unser Weltbild betrifft. Dies wollen wir anhand von sieben Entwicklungen beziehungsweise Phänomenen illustrieren.

Wie sieht es heute aus? ■ Für politische Führer wie Trump, Erdogan oder Putin zählen „vernünftige Argumente“ nicht länger. ■ Fakten sind keine Fakten mehr. Der Glaube an so etwas wie Objektivität geht verloren. Selbst in den Wissenschaften gilt inzwischen: Zu jeder „gut belegten“ These gibt es eine entsprechend gut belegte Gegenthese, zu jeder Studie, die dieses oder jenes „beweist“, findet man eine, die das Gegenteil „beweist“ (Stichworte: postfaktisches Zeitalter, alternative Fakten). ■ Die Überhöhung der Ratio hat zu einer extrem reduzierten Sicht auf die Welt geführt, viele Probleme erst verursacht und Erfüllung und Sinn zugunsten der Erreichung irgendwelcher Key-Performance-Indikatoren aus dem Leben gedrängt. 69


VER ANT WOR TUNG UNTERNEHMEN

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Mittelständische Unternehmer werden zwar als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ besungen, treten aber selten öffentlich in Erscheinung. Im Gespräch mit der ThalesAkademie erzählen sie von Erfolgen und Niederlagen, Erfahrungen und Einsichten.

ANTJE VON DEWITZ UND VAUDE Antje von Dewitz ist Geschäftsführerin des familieneigenen Unternehmens VAUDE Sport GmbH & Co. KG

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in Tettnang am Bodensee. Das von ihrem Vater 1972 gegründete Berg- und Bikesport-Unternehmen produziert Bekleidung, Zelte, Schuhe, Taschen, Schlafund Rucksäcke. Antje von Dewitz studierte Wirtschaftsund Kulturraumstudien in Passau und absolvierte verschiedene Praktika in Medienhäusern und NGOs. An der Universität Hohenheim promovierte sie zum Thema „Leistungsstarke Arbeitsverhältnisse in kleinen und mittelständischen Unternehmen“. 2005 wurde sie Marketingleiterin bei VAUDE und übernahm 2009 die Geschäftsführung. Antje von Dewitz entschied sich, die ökologische und soziale Ausrichtung ins Zentrum der strategischen Gesamtausrichtung von VAUDE zu stellen, um das Unternehmen zum nachhaltigsten Outdoor-Ausrüster Euro-

UND PHILOSOPHIE In der Gesprächsreihe VERANTWORTUNG UNTERNEHMEN kommen mittelständische Unternehmer zu Wort, die mit ihrem Geschäftsmodell und ihrer Art der Mitarbeiterführung den Weg in eine zukunftsfähigere Wirtschaft weisen. Es sind kernige Charakterköpfe und mutige Pioniere mit oft unkonventionellen Ideen und einem ausgeprägten Bewusstsein für unternehmerische Verantwortung. Dieses Mal sprechen Philippe Merz und Lukas Heck von der Thales-Akademie für

Gleichwohl erlebt Antje von Dewitz beim Versuch,

Wirtschaft und Philosophie mit Antje von Dewitz. Die weltanschaulich unabhängige Thales-Akademie bietet Vorträge und Seminare zur Wirtschaftsethik, Unternehmensverantwortung und Ethik der Digitalisierung an. Zudem veranstaltet sie – gemeinsam mit der Universität Freiburg – die berufsbegleitende Weiterbildung „Wirtschaftsethik“. Diese Weiterbildung umfasst das gesamte Spektrum wirtschaftsethischer Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten und schließt mit einem international anerkannten Certificate of Advanced Studies (CAS) ab. In ihren Veranstaltungen schlägt die Thales-Akademie auf lebendige Weise die Brücke zwischen neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und wirtschaftlicher Praxis, um Verantwortungsträger in ihrer eigenständigen Urteilskraft und ethischen Haltung zu stärken.

ökonomische, soziale und ökologische Ziele miteinan-

www.thales-akademie.de

pas zu machen. Mit Erfolg: Seit 2012 ist der Firmenstandort Tettnang, an dem rund 500 Menschen arbeiten, mit allen dort hergestellten Produkten klimaneutral. Der Anteil der umweltfreundlichen Green Shape Produkte wächst stetig. Besonders intensiv befasst sich Antje von Dewitz mit den Themen Unternehmenskultur, Eigenverantwortung und wertschätzende Führung. Knapp 40 Prozent der Führungspositionen sind mit Frauen besetzt. Sowohl das Unternehmen als auch Antje von Dewitz wurden bereits mit zahlreichen Preisen für ihr Engagement ausgezeichnet, etwa mit der Wirtschaftsmedaille Baden-Württembergs oder dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis.

der zu vereinbaren, auch Hürden und Widerstände. Über die Gipfel und Täler der vergangenen Jahre berichtet sie im Gespräch mit der Thales-Akademie.

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DIE THALES-AKADEMIE FÜR WIRTSCHAFT


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„Wir alle müssen Kontrolle abgeben“

„Wir alle müssen Kontrolle abgeben“

Frau von Dewitz, bevor Sie im Jahr 2009 Ihren Vater als Geschäftsführerin bei VAUDE abgelöst haben, hatten Sie in verschiedenen NGOs gearbeitet, in der Hoffnung, damit vieles zum Besseren verändern zu können. Weshalb haben Sie sich dann doch entschlossen, die Nachfolge im Familienunternehmen anzutreten?

Weil ich das Gefühl hatte, hier noch viel mehr bewegen und gestalten zu können. Die Praktika in den NGOs haben mir zwar super gefallen, aber nur hier bei VAUDE hat sich dieses Gefühl des Ankommens in mir ausgebreitet. Ich habe sofort gemerkt, dass das selbstständige Gestalten mir viel mehr liegt, als über etwas zu reden oder politisch etwas bewegen zu wollen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass ich als Unternehmertochter aufgewachsen bin. Aber auch unabhängig davon hat es mich sofort fasziniert, wie viel Verantwortung ich als Unternehmerin habe und dass ich in dieser Rolle gestalten darf und auch gestalten sollte. War diese Erkenntnis zugleich ein Antrieb dafür, VAUDE zu einem Pionierunternehmen für soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu machen?

Ja und nein. Meine zweite Erkenntnis war nämlich, dass sich VAUDE bereits auf den Weg zu einem nachhaltigen Unternehmen gemacht hatte: Es gab schon seit 1994 ein ökologisches Recycling-Netzwerk, das für die damalige Zeit gigantisch war. Und wir waren schon seit 2001 mit unserem Bluesign-Standard

unterwegs. Aber so, wie wir es bis dahin gemacht hatten, war es einfach nicht erfolgreich. Es gab keinen echten Mehrwert für die Natur, die Kunden und schon gar nicht für das Unternehmen. Im Gegenteil, es war nur mit viel Arbeit und Kosten verbunden. An der Stelle habe ich eingehakt und gesagt, dass es so nicht länger funktioniert – zumindest nicht für uns als vergleichsweise kleines Familienunternehmen. Und ich weiß auch nicht, ob es überhaupt funktionieren kann, ein Kerngeschäft zu haben und parallel dazu noch eine Öko-Schiene zu bedienen. Derzeit ist dieser Zwei-Welten-Ansatz allerdings bei vielen Unternehmen noch recht fest verankert …

Aber für uns funktioniert er aus mehreren Gründen nicht. Zum einen, weil wir für einen solchen Weg gar nicht genug Mitarbeiter haben, und zum anderen, weil das Thema Nachhaltigkeit inhaltlich viel zu anspruchsvoll ist. Wenn du es nur halb anpackst oder es getrennt von deinen strategischen Kernfragen abhandelst, siehst du nur noch unüberwindbare Berge, und bei allen macht sich Skepsis oder sogar Zynismus breit, sodass es ständig heißt: „Das geht nicht.“ Bei uns müssen alle das gleiche Ziel verfolgen und den gleichen Weg gehen. Sonst schaffen wir es nicht. In Sachen Nachhaltigkeit heißt das vor allem, dass wir ein Innovationstreiber sein müssen: Wir müssen Produkte entwickeln, die mindestens genauso wasserdicht, atmungsaktiv und schön sind wie die Produkte von konventionellen Herstellern, aber zugleich schadstoffärmer, langlebiger und wiederverwertbarer.

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Antje von Dewitz im Gespräch mit der Thales-Akademie


L AND IN SICHT

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Sie haben das Ruder in die Hand genommen und wollen mit Ihrem Unternehmen oder zivilgesellschaftlichen Projekt ökonomisches und gesellschaftliches Neuland betreten. Stellen Sie Ihr Unternehmen/Projekt bei uns vor: info@agora42.de

GESELLSCHAFT FÜR SOZIOÖKONOMISCHE BILDUNG & WISSENSCHAFT — H O R I Z O N T

Erdkundebücher seien zu marktskeptisch und Globalisierung werde im Schulunterricht zu negativ dargestellt – das behaupten Unternehmensverbände und fordern schon lange ein eigenes Schulfach „Wirtschaft“. Sie erhoffen sich dadurch auch, unternehmensorientiertes Denken inklusive Gründergeist in Deutschland zu stärken. In Nordrhein-Westfalen wird ihr Wunsch womöglich bald in Erfüllung gehen. In BadenWürttemberg unterrichten Lehrkräfte bereits Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS). Das Fach Wirtschaft soll ökonomisches Wissen vermitteln und Kontakte mit Unternehmen ermöglichen. Einen Modellversuch hierzu gab es an Realschulen in NRW bereits von 2010 bis 2014. Das interessante Ergebnis: An den teilnehmenden Schulen hat eine Verdrängung der Fächer Sozialwissenschaften und Politik stattgefunden. Die Gesellschaft für sozioökonomische Bildung & Wissenschaft (GSÖBW) wurde im Oktober 2016 gegründet, um der Entkopplung ökonomischer Fragestellungen von anderen gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen an Schulen und Hochschulen entgegenzutreten. Neben politischen und soziologischen Perspektiven sollte ökonomische Bildung ihrer Meinung nach auch historische, rechtliche, psychologische und geografische Aspekte berücksichtigen. Die Verengung der wirtschaftswissenschaftlichen Lehre auf neoklassische Positionen, die auch an den Universitäten stattfindet, sollte laut GSÖBW durch einen pluralistischen Ansatz ersetzt werden. Mit Besorgnis nimmt die GSÖBW außerdem die wachsende Einflussnahme von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen auf die Lehrinhalte in Schulen wahr. Mittlerweile besteht die GSÖBW aus fast 80 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und hält Kontakte in die USA. Die erste Jahrestagung zu Entwicklungslinien und Perspektiven in der sozioökonomischen Bildung fand im März statt. Themen, die hier behandelt wurden, waren unter anderem die Verdrängung der Normativität in den Wirtschaftswissenschaften, kritische Finanzbildung und inhaltliche Bezüge zur Wirtschaftsethik. Die nächste Jahrestagung zum Thema „Sozioökonomische Bildung im historischen und gesellschaftlichen Kontext“ ist bereits in Planung und wird Ende Februar 2018 stattfinden. Mehr dazu unter soziooekonomie-bildung.eu

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tät. Integration statt Separation der Disziplinen lautet daher aus unserer Sicht die Losung. Wie nehmen Unternehmen Einfluss auf die Bildungspolitik?

Der Tweet einer 17-jährigen Schülerin, die sich darüber beschwerte, dass sie zwar eine Gedichtanalyse in vier Sprachen schreiben könne, von Steuern, Miete und Versicherungen jedoch keine Ahnung habe, fand vor knapp drei Jahren große Beachtung. Ist die Vermittlung von Kenntnissen zu Steuern, Mieten und Versicherungen die Art von sozioökonomischer Bildung, die Sie sich wünschen?

Das ist in der Pauschalität die Bildung, die wir nicht wollen. Es entspräche einer Ökonomisierung der ökonomischen Bildung, der ein rein funktionales Bildungsverständnis zugrunde liegt. Zwar ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler Kenntnisse über Steuerpoli-

Ist es in Zeiten funktional differenzierter Gesellschaften nicht sinnvoll, bestimmtes Wissen disziplinorientiert zu vermitteln, um Schülerinnen und Schüler nicht zu überfordern?

Wir sind davon überzeugt, dass Problem- und Situationsorientierung wichtiger sind als Disziplinorientierung. Lernende nehmen die Lebenswirklichkeit schließlich nicht nach Disziplinen getrennt wahr, sondern in toto. Wir gehen nicht als rein historisch, psychologisch, ökonomisch oder medizinisch denkende Menschen durch den Alltag, sondern haben durchweg ein disziplinübergreifendes Verständnis. Erst wenn wir multi- und transdisziplinär auf die Welt schauen, gewinnen wir ein vollständiges Bild der Reali-

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NACHGEFRAGT BEI TIM ENGARTNER, SPRECHER DES V O R S TA N D S

tik und das Steuersystem erwerben, beispielsweise den Unterschied von Abgaben und Steuern oder die Funktion von Erbschafts- und Vermögenssteuern erkennen. Wie ich eine Steuererklärung mache, dafür gibt es jedoch Steuerberater, Verbraucherzentralen oder Online-Tipps. Welche Aspekte vor dem Unterzeichnen eines Mietvertrags zu beachten sind, lernt man außerschulisch und informell – beispielsweise, wenn man die erste eigene Wohnung bezieht. Detailfragen zum Mietrecht und zu Versicherungspolicen können nicht Gegenstand von Unterricht sein, zumal dieses Wissen schnell veraltet.

Zunächst einmal ist wichtig, dass dies kein Nischen-, sondern ein Massenphänomen ist. Unternehmen und ihre Stiftungen sind hier besonders umtriebig. Das Ausmaß lässt sich schon daran ablesen, dass 16 der 20 umsatzstärksten deutschen Unternehmen eigene Unterrichtsmaterialien produzieren. Einige Unternehmen drängen sogar mit eigenen Lehrkräften in die Schulen. Ein Beispiel hierfür ist die Initiative „My Finance Coach“ der Unternehmen Allianz, McKinsey und der Werbeagentur Grey. Neben Lehrerfortbildungen und Unterrichtsmaterialien stellt diese Initiative Lehrpersonen, die an die Schulen kommen und im regulären Unterricht das Thema Finanzen behandeln. Inhalte werden hier allerdings weder ausgewogen noch sachgerecht dargestellt. In 13 von 16 Bundesländern gibt es Zulassungsverfahren für Schulbücher, in denen Inhalte systematisch geprüft werden. Für externe Anbieter gibt es jedoch kein Prüfverfahren. Das ist eine unhaltbare Ungleichbehandlung, denn in Zeiten chronischer Unterfinanzierung der Schulen ist diese externe Einflussnahme besonders dramatisch. Was unterscheidet Sie vom Netzwerk Plurale Ökonomik?

Im Gegensatz zum Netzwerk für Plurale Ökonomik rekrutieren wir uns aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, also denjenigen, die ihr Studium bereits erfolgreich absolviert haben. Wir haben jedoch mit Christoph Gran jemanden im Vorstand, der auch im Netzwerk Plurale Ökonomik aktiv ist. Wir sind also auf Tuchfühlung und haben im Dezember auch ein gemeinsames Treffen in Bielefeld.

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IMPRE SSUM

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HERAUSGEBER Wolfram Bernhardt, Louis Klein, Richard David Precht, Birger P. Priddat CHEFREDAKTION Frank Augustin Tanja Will (stellv.)

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Geschenk!

BEIRAT Rudi Blind, Wolfgang Kesselring, Matthias Maier, Max Pohl, Jan Tomasic agora42 ist Medienpartner des Weltethos-Instituts und des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik. GESTALTUNG & LAYOUT D M B O – Studio für Gestaltung www.dmbo.de Art Direction Janina Schneider Gestaltung & Cover Janina Schneider

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FOTOGRAFIE /BILDER Editorial Bernhard Kahrmann/ certainmemories.net Interview Bilder S.38-52: Janusch Tschech Schaubilder S. 42-43,47: Copyright: „Gütersloher Verlagshaus“ Artikel S. 55: Dmitri Popov / unsplash.com Verantwortung Unternehmen S.80-89: Janusch Tschech

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Erscheinungsweise 4-mal jährlich – am 29. März 2018 erscheint die nächste Ausgabe der agora42. Ein weiteres großes Thema der Ökonomie – philosophisch reflektiert, relevant für das Leben. ABONNEMENT Aboservice PressUp GmbH Postfach 70 13 11 22013 Hamburg Tel. 040 38 66 66 – 335 Fax: 040 38 66 66 - 299 E-Mail: agora42@pressup.de Jahresabo 36 Euro Das Jahres-Abonnement umfasst vier Ausgaben der agora42 zum Vorzugspreis von 36 Euro (inkl. MwSt. und Versand). Preise gelten nur im Inland. Auslandspreise auf Anfrage. Förderabo 420 Euro agora42 ist eine Plattform für offenes und freies Denken. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge werden sichtbar gemacht, Grundbegriffe der Ökonomie und Philosophie verständlich erläutert und neue Perspektiven aufgezeigt. Wenn wir Sie mit unserer Idee begeistern und Sie unsere Überzeugung teilen, freuen wir uns, Sie als Förderabonnent gewinnen zu können. Für die einmalige Zahlung von 420 Euro erhalten Sie die agora42 ein Leben lang im Abonnement. Erhältlich in den Bahnhofs- und Flughafenbuchhandlungen in Deutschland


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