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Bücher und Zeitungen

Bücher und Zeitungen

Für das Portraitfoto zu Beginn dieses Kapitels posierte Katharina Berkmüller vor dem Fotografen mit einem Buch in der Hand; genauer mit einem Atlas. Zusätzlich liegt auf dem Tisch eine aufgeschlagene Zeitung. Auch wenn diese Aufnahme bei Berkmüllers zu Hause aufgenommen wurde und Katharina in ihrer Stube zeigt; Buch und Zeitung sind bewusst gesetzte Hinweise. Heute würden wir von Inszenierung sprechen. Dies selbst dann, wenn wir bedenken, dass man sich beim sitzenden Lesen nicht bewegt und dies den Belichtungszeiten der damaligen Kameras durchaus entgegenkam.

Weiter vorn sind wir bereits unbeschnittenen Druckbögen begegnet. Es gibt davon im Nachlass Berkmüller mehrere Beispiele. So schildert auf einem weiteren Druckbogen ohne Buchtitel und Verlagsdatum (erhalten sind lediglich die Seiten 17 bis 32) ein gewisser Heinrich Bosshard die Erlebnisse seiner Reise via Liverpool nach Amerika. Akribisch zählt er die geladenen Waren und die zugestiegenen Passagiere auf, welche alle im fernen Amerika auf ein besseres Leben hoffen. «Es sind Familien hier, welche mit gutem Vorsatz in die Welt ziehen, Mittel und Wege suchen ihre Lage zu verbessern.»73

Ein kurzer Blick auf diesen Heinrich Bosshard lohnt sich. Sein Leben steht exemplarisch für die grosse Gruppe von Auswanderern, welche hierzulande im Zuge der Industrialisierung kein Auskommen mehr fand. Heinrich Bosshard (geb. 8. April 1811 in Bolstern bei Kollbrunn; gest. 3. April 1877 in Highland, Illinois, USA) war ein Schweizer Lehrer, Musiker, Dichter, Naturforscher und Landwirt. Sein Weg – meist zu Fuss – führte ihn durch die jungen Staaten New York, Pennsylvania, Ohio, Indiana, Illinois, Iowa, Minnesota und später in den

Druckbogen aus einem Buch von Heinrich Bosshard über seine Erlebnisse als Auswanderer nach Amerika. Seiten 17 – 32. 20.4 x 13.3 cm. Inv.Nr. B510.D11. Ortsmuseum Wängi. Auf Seite 28 beschreibt Bosshard seine Seekrankheit nach einem schweren Sturm. 51

52 Süden nach Florida. Er suchte bewusst den Kontakt zu den Menschen und wurde konfrontiert mit den damals aktuellen Fragen rund um Sklaverei und Rassenausgrenzung. Zudem setzte er sich mit den Problemen der Ureinwohner auseinander und lernte deren politischen und sozialen Nöte kennen. Bosshard berichtete seine Erfahrungen regelmässig in monatlichen Briefen in die Schweiz. Diese wurden zunächst in einer Monatszeitschrift abgedruckt, später gesammelt und unter dem Titel «Anschauungen und Erfahrungen in Nordamerika» als dreibändiges Buchwerk von einem Zürcher Verlag publiziert. Die Berichte von Bosshard – notabene einem Zürcher Oberländer wie Katharina Berkmüller auch – müssen die Berkmüllers so sehr fasziniert haben, dass sie sich irgendwie Buchauszüge beschafften. Auch in den Arbeiterbüchern der Spinnerei und Weberei Wängi aus jener Zeit findet sich hinter zahlreichen Namen der Eintrag «durchgebrannt» oder «verschwunden ohne Nachricht zu hinterlassen». Nach Amerika? Wer weiss!

Schon im Wängener Heft 6 wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Haushalt der Familie Berkmüller Bücher gelesen wurden. Konkret geht es dort um ein Buch «Die Erde und ihre Bewohner», woraus Alphons Berkmüller auch einen Stich «Stierfang in Süd Amerika» kopierte.

Auf welchem Wege Berkmüllers an diese Druckbögen gelangten, ist nicht bekannt. Auf Grund der erhalten gebliebenen Exemplare lässt sich auch kein vollständiges Buch zusammenstellen. Aber es sind konkrete Belege für das breite Interesse der Familie an Lesestoff.

Die beiden Rechnungen der Buchhandlung Ch. Beyel aus Frauenfeld74 belegen, dass die Berkmüllers nicht nur an Literatur, sondern auch an einer wöchentlich erscheinenden Zeitung interessiert waren. Der Umstand, dass die Rechnungen für das «Thurgauer Wochenblatt»75 jeweils auf Ende Dezember ausgestellt wurden, legt sogar nahe, dass während des Jahres die einzelnen Ausgaben gesammelt und Ende Jahr dann in Buchform gebunden wurden. Dies war eine damals übliche Gewohnheit, die es erlaubte, bei Gelegenheit wieder auf einzelne Berichte zurückgreifen zu können.

Wir nehmen an, dass die eine Ausgabe von «Der Wächter»76 wegen des vom Thurgauer Geistlichen Johann Kaspar Mörikofer verfassten Nachrufs auf Landammann Anderwert aufbewahrt wurde. Josef Fridolin Anderwert war Mitglied des Thurgauer Verfassungsrates 1830. Verbürgt ist auch seine Teilnahme an der Tagsatzung zu Schwyz.

Rechnungen der Buchhandlung Ch. Beyel von Frauenfeld für das «Thurgauer Wochenblatt». 1846 und 1847. Inv.Nr. B510.R20.R30. Ortsmuseum Wängi.

Auf Bundesebene war er im Nationalrat und im Bundesgericht tätig. 1876 wurde er in den Bundesrat gewählt und war dort Justizminister. Der Text zeugt von den politischen Auseinandersetzungen zur Zeit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, an deren Ende dann auf eidgenössischer Ebene die Gründung des Bundesstaates und auf kantonaler Ebene eine neue Thurgauer Verfassung resultierten. «Diese Demokraten (gemeint sind u.a. die Glarner und Appenzeller) nehmen alle die Worte Freiheit, Selbstständigkeit, Republik noch in der alten Bedeutung, und sie haben die Kunst nicht erlernt, weiss als schwarz und schwarz als weiss anzusehen, so sehr man sie auch durch Erbauungen des Gegentheils überzeugen möchte.»77 An diesen Prozessen war Alphons Berkmüller interessiert. Da passt sein Engagement in der thurgauischen Männerchorbewegung ganz gut. Doch davon später.

Ebenfalls ganz gut passt da ein weiterer Text, nämlich ein Sonderdruck der Neuen Zürcher Zeitung aus dem Jahre 1849 mit einem Nekrolog für Ludwig Herkules Daverio, einem freisinnigen Reformer aus Zürich.

Zeitung «Der Wächter» vom 18. August 1842 mit einem Nachruf auf Landammann Anderwert. Inv.Nr. B510.D02. Ortsmuseum Wängi. 53

54 Die folgende Passage im abschliessenden Abschnitt vermittelt einen Eindruck über die politische Stimmung der damaligen Zeit: «Es genügt, diese Worte anzuführen, um das edle, fühlende Herz und das pflichtreue schweizerische Gemüth würdig zu bezeichnen, das in Daverio zu dem Chor der ausgezeichneten Männer Zürichs aus den dreissiger Jahren heimgegangen ist. Auch dieser Sohn einer grossen Zeit hat nicht thatlos gelebt, noch die kostbaren Jahre der Kraft, auf die das Vaterland ein Anrecht hat, müssig geträumt.»78

Alphonse Berkmüller fühlte sich offensichtlich in dieser Bewegung aufgehoben. Inwieweit dies auch für seine Frau Katharina zutrifft, bleibt offen.

Vielleicht war sie eher am Anzeigeblatt zum christlichen Volksboten aus dem Jahre 1876 interessiert. Auch davon ist ein Stück

Ausschnitt aus dem Anzeigeblatt zum Christlichen Volksboten. März 1876. 27.3 x 22.5 cm. Inv.Nr. B510.D04. Ortsmuseum Wängi. erhalten geblieben. Dort finden sich eine ganz Reihe von Stellengesuchen oder Ausbildungsangeboten. Ein Thema im Zusammenhang mit der Tochter Louise? Sie ist nun immerhin 39 Jahre alt und wohnt offensichtlich noch zu Hause. Die Mutter stirbt kein halbes Jahr später im Herbst 1876.79

Beispiel einer gebundenen Jahresausgabe der Wochenzeitschrift Gartenlaube. Jahrgang 1877. Inv.Nr. B 71. Ortsmuseum Wängi. Nicht aus dem Nachlass Berkmüller.