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Trost in der Musik

22 Sollt es des Herren Rath gefallen, Dass dort vielleicht nach kurzem Wallen13 Ein dunkles Grab mich hüllte ein; Dann wird uns, habt auch ihrs gefunden Und froh im Glauben überwunden Ein seliges Beisammensein!14

Wir nehmen an, dass Alphons Berkmüller seine Frau beim Umgang mit ihrem Heimweh unterstützt und sie aufgemuntert hat. Allerdings war auch er als ein eingewanderter Bayer hier mindestens in den ersten Jahren heimatlos. Auch ihm fehlten die familiären Bezüge. Seine gesellschaftlichen Beziehungen im Thurgau musste er sich erst mit der Zeit aufbauen. Allerdings ist ihm dies erfolgreich geglückt. Eine Heimat aber konnte er seiner Katharina kaum bieten. Ihre seelische Verankerung blieb dem Zürcher Oberland und ihrer Herkunftsfamilie verhaftet.

Wir schliessen hier das Thema der Vergangenheitssehnsucht ab. Aus dem Heimweh nach dem Zürcher Oberland mit den dort zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten wird mit der Zeit ein Fernweh nach einem treuen Vater, der einen nie verlässt und zu allen Zeiten begleitet. Oder anders gesagt: Das Heimweh nach der Heimat in der Vergangenheit wird mit den Jahren zu einer Sehnsucht nach einer Heimat in der Zukunft.

Trost in der Musik

In einer ergreifenden Liedstrophe gibt Katharina gleichzeitig ihrem Heimweh als auch ihrem Trost in der Musik Ausdruck. Ihre «immerdar treuste Freundin» ist niemand anderer als ihre Gitarre.

Zog mit mir als ich einst musste scheiden Hier in meine neue Heimat ein, Blieb auch hier wie dort in Schmerz und Freuden Immerdar die treuste Freundin mir.15

Im Gitarrenspiel und im Gesang fand Katharina wieder zu sich, wenn das Heimweh sie allzu sehr plagte. Solche Gitarren waren im 19. Jahrhundert verbreitet und in der Volksmusik sehr beliebt. Katharina hatte sie um 1820 von ihrem Bruder Jakob geschenkt erhalten, damit sie ihre Gedichte auch singen konnte. Die Melodien sind entweder verloren gegangen oder wurden gar nie aufgeschrieben.

In seinen Erinnerungen «Sieben mal sieben Jahre aus meinem Leben» schreibt Jakob Stutz: «Auf Kathrinetag [um 1820] beschenkte ich die Schwester mit einer schönen Gitarre, was ihr und allen grosse Freude gewährte. Nun spielten wir in den freien Stunden zusammen, und das verschönte und erheiterte unser Stilleben ungemein, und die Schwester gewann dadurch sehr viel für Geist und Gemüt. Liebe für häusliche Freuden, Sinn für das Schöne in der Natur wurden dadurch geweckt, so dass ihr alles dies in einem weit schönern Gewande erschien als früher.»16

Etwas später ergänzt er dann: «Wir webten [gemeinsames Arbeiten im Webkeller] und dichteten in die Wette, sangen, spielten Gitarre, besuchten unsere Freunde, sie uns und lasen [Christoph von] Schmids liebliche Schriften, waren bei unserem einfachen Leben vergnügt. O, wir hatten’s so schön!»17

Zu dieser Gitarre entwickelte Katharina im Laufe der Zeit eine tiefe, fast schon persönliche Beziehung.

An meine Guitarre Du gewährst mir viele Freuden, Traute Freundin, du! Lispelst mir in manchem Leiden Trost und Labsal zu!

Du erheiterst meine Tage, Weckst mir frohen Sinn, Stimmst so sanft in meine Klage, Wenn ich traurig bin.

Führst den Geist in jene Höhen. Wo man nicht mehr weint; Wo ein liebes Wiedersehen Freunde neu vereint.

Einsam und im Freundschaftskreise Tönt dein Saitenklang; Dir weih’ ich in mancher Weise Meinen Dankgesang!

Du bist’s wert! dich zu besingen Bringt mir Freud’ und Lust; Denn du stimmst zu höhern Dingen Hier schon meine Brust. Ja du schenkst die reinsten Freuden, Traute Freundin ! mir; Scheuchest von mir jedes Leiden; Gott, wie dank’ ich dir!18

Wir können diese Zeilen auch als Hinweis auf eine trotz widriger Umstände glückliche Zeit in der Zürcher Heimat lesen. Umso mehr verstehen wir Katharinas lebenslange Geschwisterbindungen und ihr Heimweh.

Jahrzehnte später reichte Katharina ihre Gitarre ihrer Tochter Louise weiter. Auch diesen Moment hält sie in Gedichtform fest: «Meinem lieben Kinde bei Überreichung meiner Guitarre». Im Text ist dann allerdings – wohl dem Reime geschuldet – von einer Laute die Rede.

Meinem lieben Kinde, bei Überreichung meiner Guitarre Nimm, Luise diese liebe Laute, Die so lange meine Freundin war, Der ich ach wie manches anvertraute, Und es blieb verschwiegen immerdar.

Lass auch dir sie eine Freundin werden, Der du mehr als Menschen anvertraust. Diese wird dir niemals untreu werden Wie wenn du auf Menschensorgen baust.

War ich oft von Wonne sanft durchdrungen, Hebten Freuden höher meine Brust, Hab in ihre Saiten ich gesungen Und sie stimmte froh in meine Lust.

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24 Und wenn mir ein Leid am Herzen nagte Rührt ich ihre Saiten wehmuthsvoll; Dann war mir als ob sie mit mir klagte, Und es tat der Seele innig wohl.

Wenn sich oft durch Dank und Lobgesänge Auf zum Himmel meine Seele sich erhob, Dann erfüllten ihre frommen Klänge noch des schwachen Herzens Dank und Lob.

Auch im Kreise still vertrauter Seelen Teilte sie mit mir der Freundschaft Glück, Wo ich war, sie durfte mir nicht fehlen, Blieb mir auch in trübem Missgeschick.

Zog mit mir als ich einst musste scheiden Hier in meine neue Heimat ein, Blieb auch hier wie dort in Schmerz und Freuden Immerdar die treuste Freundin mir.

Wie so manchmal mussten ihre Saiten Dich als Kindlein trösten und erfreun! Tausendmal dein Wiegenlied begleiten. Lass sie dir nur lieb und teuer sein.

Greife nur recht oft in ihre Saiten, Singe herzlich manches Lied dazu, Tausend Freuden wird sie dir bereiten, Wählest sie zur trauten Freundin du.

Deine Liedchen werd ich gerne hören Und in der Erinnrung selig sein. Nimm sie hin und wirst du fromm sie ehren, Wird es deine Mutter herzlich freun.19

In einem andern Gedicht mit dem Titel «Mutterfreuden» schreibt sie:

Hat es nun all sein Thun vollbracht, (mit «es» ist das Kind gemeint) Wie heiter dann sein Auge lacht. Es holt sein Saitenspiel hervor, Und spillt manch Lied der Mutter vor.20

Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel ihrer musikalischen Seite liefert die noch ledige Katharina Stutz mit der Schilderung ihrer Stimmung beim Hören von Musik. Die vier Strophen sind von hoher dichterischer Qualität. Überzeugend fängt sie darin ihre tief empfundenen Gefühle ein.21

Herr *** am Klavier Was hört mein Ohr für süsse Zaubertöne, Mein Auge füllet sich mit einer Träne! Ich fühl es kaum, dass ich noch sterblich bin!

Wie diese sanften Töne aufwärts schweben, Wie sie des edlen Sängers Geist erheben, Der anmuthsvolle Wohlklang tut es kund.

O Hamonie! Wie froh machst du das Leben. Du Göttliche, vom Himmel uns gegeben, Bei dir wohnt Seelenruh’ und Seligkeit!

Du machst die trüb umwölkte Seele heiter, Und führest uns im Glück und Frieden weiter Hinauf, hinauf zum hohen sel’gen Ziel!22

Das Gedicht stammt aus der ersten Publikation «Dichtungen» im Jahre 1835. Zum Zeitpunkt der Erstausgabe im Jahre 1830 war Katharina 21 Jahre alt.