Ročenka 2004 - 2005

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Romuald Kaczmarek: Kleinpolen – Schlesien – Zips

anderen Quader kniet ein kleiner Franziskanermönch vor einer viel größeren Gestalt, die ihre Hand im Segensgestus ausstreckt. Durch das Tasselpluviale darf man in der Figur den heiligen Krakauer Bischof Stanislaus sehen, der der Patron dieser von dem Krakauer Herzog Boleslaus gestifteten Kirche war. Leider läßt es der schlechte Erhaltungsstand der halbplastischen Bildwerke nur im Zusammenhang mit bauhistorischen Daten5 zur Datierung gewisse Schlüsse zu ziehen. Hinter allen Erwägungen zur stilistischen Provenienz muss man immer ein Fragezeichen setzen. Die frühe franziskanische Ikonographie, die in Nowy Korczyn auftrat, wendet unsere Aufmerksamkeit nach Italien. Die beiden ältesten bildhauerischen Franziskus-Darstellungen dort, eine als Relief in Pistoia, eine als Statue in Siena, sind im Umkreis der Franziskaner entstanden.6 Für unsere Skulpturen ist das Relief in Pistoia von grosserer Bedeutung. [Abb. 2] Ursprünglich war es ein Teil eines um 1270–1280 entstandenen Grabmals, das dem lombardischen Bildhauer Giroldo di Giacomo da Como zugeschrieben wird.7 Für das Schaffen dieses Künstlers ist der Einfluss der Werkstatt von Nicola Pisano charakteristisch, obwohl Giroldo auch eine gewisse Unabhängigkeit bewahrte. Wenn wir die Reliefe des Pistoieser Sarkophags nur als Stilbeispiel des norditalienischen Bildhauers nehmen, welcher doch die Werke des bedeutendsten Künstlers Italiens in der siebten und achten Dekade des 13. Jahrhunderts kannte, so können wir vorsichtig feststellen, dass es in der Gestalt des Franziskus in Pistoia eine Analogie für diesen Heiligen in

1. Hl. Franziskus (?) von Nowy Korczyn. Letzter Viertel des 13. Jhs. Foto: Autor

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Einwirkung der italienischen Kunst, mittelbar oder unmittelbar, war wahrscheinlich auf keinen Fall ungewöhnlich in dieser Region Europas. In der bedeutenden Franziskanerklosterkirche in Nowy Korczyn, die im 3. Viertel des 13. Jahrhunderts unter dem fürstlichen Patronat von Boleslaus dem Schamhaften und seiner Frau Kinga stand, sind drei skulpierte Kalksteinquader erhalten.4 Alle stammen mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem nach Baubefund bezeugten Lettner. Der en face auf einem von diesen Steinen dargestellte Heilige im Ordenstracht mit Buch und Nimbus ist vermutlich der hl. Franziskus. [Abb. 1] Weil die erste bekannte Darstellung des Heiligen im Medium des Hochreliefs in Italien erst nach 1270 entstand, dürfen wir dieses Datum für die untere Grenze der kleinpolnischen Reliefe annehmen. Die stark frontale und starre Silhouette sowie die Art der Präsentation des Attributes sind in Italien den malerischen Darstellungen des Armen aus Assisi verwandt. Auf dem

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immer noch aktuell sein, nicht weniger als die jetzt gezeigten deutschen, weil die italienischen Denkmäler heute auch wesentlich früher datiert werden, z. B. der „paliotto” von Courmayeur um 1220. Vgl. dazu CERVINI, Fulvio – TIGLER, Guido: Dalle Alpi al Levante. La diffusione mediterranea di sculture lignee piemontesi-aostane alla fine del XIII secolo. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 21, 1997, Heft 1-2, S. 24. BIAŁOSKÓRSKA, Krystyna: Tradycjonalizm i jego źródła w architekturze polskiej drugiej połowy XIII i początku XIV wieku. In: Sztuka i ideologia XIV wieku. Hg. Piotr SKUBISZEWSKI. Warszawa 1975, S. 202; Ornamenta Ecclesiae. Sztuka sakralna diecezji kieleckiej. [Ausst. Kat.] Muzeum Narodowe w Kielcach. Hg. Krzysztof MYŚLIŃSKI. Kielce 2000, S. 96. KACZMAREK, Romuald: Sztuki plastyczne. Rzeźba i rzemiosło artystyczne (od. ok. 1280 do ok. 1320 r.). In: Polska około roku 1300. Hg. Wojciech FAŁKOWSKI. Warszawa 2003, S. 218-219. F RAZIK , Józef Tomasz: Kościół i klasztor Franciszkanów w Nowym Korczynie. In: Symbolae Historiae Artium. Studia z historii sztuki Lechowi Kalinowskiemu dedykowane. Warszawa 1986, S. 235-255. MIDDELDORF KOSEGARTEN, Antje: Identifizierung eines Grabmals von Nicola Pisano. Zur Genese des Reliefsarkophags in der Toskana. In: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 22, 1978, H. 2, S. 124f., 130ff.; MIDDELDORF KOSEGARTEN, Antje: Die erste Marmorstatue des heiligen Franziskus. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte XLVI/XLVII, 1993/1994, S. 495-505. MIDDELDORF KOSEGARTEN 1978 (zit. Anm. 6), S. 138f.


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