Ročenka 2004 - 2005

Page 42

Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

Uloža (Kőperény) vor.15 [Abb. 7] Der uns interessierende Tuchteil und die zugreifende Hand des Kindes wurden hier genauso geschnitzt, wie es der Fall in der Madonna-Figur aus Dominikowice ist, d.h. aus einem einzigen Holzstück, was zur Ursache hat, daß die Geste des kleinen Jesus sehr eindeutig wird. Der Künstler, der die Madonna aus Dominikowice geschaffen hat, bediente sich bei der Ausarbeitung der Figurkonzeption der Motive, die für die Schnitzerei der mit der Nowy Sącz -Region benachbarten Zips charakteristisch waren. Dies verbindet ihn mit der Figur der Madonna aus Nowy Sącz, einem stilistisch fortgeschrittenerem Werk, das sich im Rahmen der gleichen Richtung plaziert und dessen Quellen wohl in den Schnitzwerken stecken, die von den Figuren aus Toporec und Ruskinovce repräsentiert werden. Daß diese Schnitzwerke eine große Wirkungskraft ausübten, zeugt – außer der erwähnten Figur aus Richvald – die MadonnaStatue, die sich heute in Hronský Beňadik in der zentralen Slowakei befindet, deren in der örtlichen Tradition gepflegte Zipser Abstammung auch die stilistischen Merkmale beweisen, die sie mit den Figuren aus Ruskinovce und Švábovce verbinden.16 Die Figuren aus Dominikowice und Nowy Sącz sind Beispiele für die nördliche „Abzweigung“ dieser Auswirkungen. Wegen des Mangels an den schriftlichen Überlieferungen ist es jedoch eher unmöglich, die Umstände ihrer Entstehung zu bestimmen. Die Skulpturen befinden sich auf verschiedenen Stufen stilistischer Entwicklung, deswegen ist es auch eher unwahrscheinlich, daß sie in derselben Werkstatt entstanden sind. Die sie trennenden Unterschiede bilden eine Basis zur ungefähren Bestimmung ihrer Entstehungszeit. Die altertümlichen Merkmale der Figur aus Dominikowice verweisen auf frühe Phase dieser Entwicklung. Die Statue aus Nowy Sącz präsentiert eine weitere Entwicklungsetappe, in der die im größeren Masse bewegte und räumlich bearbeitete Figur die Statik der frühen Skulpturen auseinadergerissen hat. Der Faltenwurf wird hier aber nicht zum selbständigen, den Charakter der Skulpturen bestimmenden Faktor, der die bildhauerische Tätigkeit am Ende des Jahrhunderts charakterisierte. Die von Dutkiewicz vorgeschlagene Datierung der Figur aus Neu Sandetz in das dritte Viertel des 14. Jahrhunderts scheint für beide Werke begründet zu sein, nur daß die Madonna aus Dominikowice sich am Anfang dieses Viertels plaziert, nur wenige Jahre jedoch vor der Entstehung der Madonna aus Neu Sandetz.17 Die erwähnten Figuren, die in verschiedener Zeit und unter Anwendung der voneinander ein wenig abweichenden Muster entstanden sind, zeugen von nachhaltiger Wirkung der Zipser Werkstätten auf die Bildhauerei in Kleinpolen im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts. Wahrscheinlich verfügten diese Werkstätten damals über ein großes künstlerisches Potential und boten eine Menge von Lösungen an, die denselben stilistischen Begriffen untergeordnet waren. Dies wird durch die verhältnismäßig spät entstandene und über

die besprochene Zeitperiode hinausreichende Figur der Madonna aus Szaflary bewußt, die sich nicht direkt mit den erwähnten kleinpolnischen Beispielen verbindet, aber gemeinsame Wurzel mit der geographisch entfernten Figur aus Hronský Beňadik aufweist. Die Zips war selbstverständlich keine Wiege der besprochenen Richtung, die sich auf die französische Kunst zurückführen läßt und in die Zips wahrscheinlich über Österreich gekommen ist.18 Dieses Schema der Gewandgestaltung wurde in der österreichischen Bildhauerei zum Beispiel in der Dienstbotenmadonna aus dem Stephansdom in Wien angewendet,19 auf die man sich bei der Besprechung einiger Zipser Figuren berufen hat.20 An die Tätigkeit dieses bildhauerischen Kreises knüpft auch die Skulptur der Muttergottes mit dem Kind aus der Gegend von Neusohl (Banská Bystrica, Besztercebánya) an [Abb. 8],21 die davon zeugt, daß das frührer besprochene kompositorische Schema sich in dieser Region bereits vor der Jahrhunderthälfte etabliert hat. Diese Konzeption wurde schon bald in den Figuren aus Dominikowice und Nowy Sącz wiederholt und bezeugte dadurch die regen Kontakte und die unbeschwerte Kommunikation zwischen den durch das Gebirge getrennten bildhauerischen Kreisen. Der hier in groben Umrissen skizzierte Weg des Durchdringens neuer Impulse bildet ein selbständiges und vielschichtiges Problem als eine der vielen Quellen, die die Anfänge der kleinpolnischen Bildhauerei schöpferisch beeinflußt haben. In den Forschungen, die an den gotischen Skulpturen in Kleinpolen und in Oberungarn durchgeführt wurden, ist diese interessante Problematik nur oberflächlich aufgegriffen worden. Ihre tiefergehende Behandlung wird es erlauben, den Charakter der künstlerischen Beziehungen zwischen den sich nicht nur im geographischen Sinne nahestehenden historischen Regionen besser zu verstehen. Zoltán Gyalókay, Międzynarodowe Centrum Kultury, Kraków 15

SUCKALE, Robert: Madona z Ulože. In: BURAN (Hg.) 2003 (zit. Anm. 3), S. 691. 16 WAGNER 1939 (zit. Anm. 11), Abb. 354; EISLER, János: Faszobrászat. In: MAROSI (Hg.) 1987 (zit. Anm. 9), S. 466-470, Abb. 645. 17 Die hier angegebene Zeitspanne stützt sich auf der von einigen Jahrzehnten anerkannten Datierung der Zipser Bildschnitzerei im 14. Jahrhundert, bei der letztens eine Korrektur vorgeschlagen wurde: Vgl. SUCKALE, Robert: Počiatky gotickej skulptúry. In: BURAN (Hg.) 2003 (Anm. 3), S. 121-127. Die Frage, ob ähnliche Neudatierung kleinpolnischer Skulptur dieser Zeit möglich ist, können erst weitere Forschungen beantworten. 18 RADOCSAY 1967 (zit. Anm. 6), S. 26; TÖRÖK 1984 (zit. Anm. 5), Kat. Nr. 11; EISLER 1987 (zit. Anm. 9), S. 344. 19 SCHWEIGERT, Horst: Dienstbodenmadonna. In: Geschichte der bildenden Kunst in Österreich. Hg. Günter BRUCHER. Bd. 2. Gotik. München – London – New York 2000, S. 326-328. 20 BALOGH, Jolán: Ľ origine du style des sculptures en bois de la Hongrie médiévale. In: Acta Historiae Artium 4, 1957, S. 231253; RADOCSAY 1967 (zit. Anm. 6), S. 37. 21 GLATZ 1995 (zit. Anm. 3), Kat. Nr. / Abb. 3.

41


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.