Ročenka 2004 - 2005

Page 317

G á b o r E n d rő d i : D i e Vor b i l d e r d e r G e r s o n - D a r st e l l u n g a m L e u t s c h a u e r J o h a n n e s a l t ar 13

3. Jean Gerson vor dem Gekreuzigten. Titelholzschnitt von Christianissimi doctoris Joannis de Gerson sermo de passione Domini … Straßburg: Matthias Schürer. 1509. Foto: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

gedacht war, die ihrerseits die von Bureau initiierten Bestrebungen zur Kanonisierung Gersons untermauern sollten.13 Als Epitaph waren hier Bureaus Verse inschriftlich angebracht, und auf den Altar der Kapelle wurde ein Bild Gersons aufgestellt.14 An diesem war der Kanzler, wie Utenheim schreibt „als Albertus Magnus“15 dargestellt, „mit Sonnenstrahlen um den Kopf, jedoch ohne Inful [diadema], in Doktorenkutte [cappa doctoralis] und mit dem Herz in der Linken, sowie die Rechte emporhebend und sagend: Sursum corda“.16 Eine Kopie dieses Bildes erbat und erhielt der Basler Bischof aus Lyon. Dieser Briefwechsel gilt seit dem 17. Jahrhundert als das Hauptzeugnis für die in ihm erwähnte Kapellenstiftung,17 im Vergleich mit seiner Prominenz ist das Unternehmen ja überraschend spärlich belegt.18 Dementsprechend kann es nur ungefähr datiert werden: In der Forschungsliteratur wurde es mehrere Male mit der Elevation des hl. Bonaventura in Zusammenhang gebracht,19 die in Lyon am 14. März 1490 ebenfalls unter königlicher Beteiligung stattfand.20 Dass ein bedeutendes Ereignis der Errichtung der Grabkapelle Gersons,

„frater Laurentius theologus doctor Parisiensis ordinis Carmelitarum … nunc episcopus Sistariensis, regis confessor, per sex quadragesimas et annos plurimos coram regibus et clero et populo Lugduni predicavit, nomenque et virtutum prestantiam dotes et doctrinam olim Ioannis Gerson semper commendavit, et regem Carolum, ut capellam edificaret, suo suasu impulit“ – steht im Brief aus Lyon; De vita … (zit. Anm. 11), foll. A3v f. 14 „Erectum est in ecclesia sancti Pauli Lugdunense, in divi Ioannis Gerson decus et laudem devotum sacellum, ubi super altare eius imago depicta est, magnusque populi concursus pro obtinenda ope divina affluit, et plurimi se adiuvari beati Ioannis Gerson precibus predicant et fatentur“ – so die Lyoner Chorherren; ibidem, fol. A3v. 15 Die Bezeichnung „instar Alberti Magni“ bezieht sich wohl auf die Tracht der Figur, nämlich auf die mit Hermelinpelz gefütterte cappa doctoralis, die auch an dem Leutschauer Bild zu sehen ist und die einen geläufigen, in Deutschland jedoch fremdartigen Bestandteil der Kleidung der Pariser Universitätstheologen darstellt. Dass gerade Albert der Große als Bezugspunkt in der Beschreibung des Lyoner Bildes gewählt wurde, kann auf den – nach einem französischen Stock gedruckten – Titelholzschnitt eines Kölner Aristoteles-Druckes zurückgehen, der ein durchschnittliches französisches Autorporträt als die Darstellung Alberts wiederverwendet: Textus trium librorum de anima Aristotelis cum commentario secundum doctrinam venerabilis domini Alberti Magni. Köln: Heinrich Quentell, 1497 (GW 2348); der Druckstock wurde erstmals in La danse macabre des hommes. Paris: Gillet Couteau – Jean Ménard, 1492 (GW 7951) verwendet, vgl. SCHREIBER, Wilhelm Ludwig: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts / Manuel de l’amateur de la gravure sur bois et sur metal au XVe siècle. Stuttgart – Nendeln 19693, Bd. 10, Nr. 3349. Mit dieser Kutte ist Gerson bereits an der früher Dürer zugeschriebenen Reprise des Titelholzschnittes der Geilerschen Edition dargestellt, die erstmals 1502 im von Wimpfeling betreuten Supplementband erschienen ist und wohl nicht nur eine stilistische Aktualisierung, sondern in mehreren Punkten auch eine ikonographische Korrektion ihres Vorbildes war. Zu diesem Holzschnitt vgl. SCHOCH, Rainer – MENDE, Matthias – SCHERBAUM, Anna: Albrecht Dürer. Das drückgraphische Werk. Bd. 3: Buchillustrationen. München u. a. 2004, Nr. A 36, S. 492f. 16 „Relatum est etiam ad nos quendam doctorem ordinis Carmelitarum, confessorem regis Franciae carmina in laudem Ioannis Gerson edidisse, et ea ad sepulchrum appensa esse … Item quod depingatur imago Ioannis Gerson instar Alberti Magni, cum radiis solaribus in capite, sine tamen diademate, in cappa doctorali, et corde in manu sinistra, quoque dexteram levet, dicens, Sursum corda. De his certificemur et metra nobis rescribantur, atque ipsa imago depingatur“ – De vita … (zit. Anm. 11), foll. A3r f. 17 Vgl. SCHWAB, Johann Baptist: Johannes Gerson. Professor der Theologie und Kanzler der Universität Paris. Würzburg 1858, S. 774; Roberti Gaguini epistole et orationes. Hg. Louis THUASNE. (Bibliothèque littéraire de la Renaissance, 2–3.) Paris 1904, Bd. 2, S. 41 (Anm. 1 zu Nr. 78); JACKSON-HOLZBERG 1981 (zit. Anm. 12), S. 68f. 18 Eine zweite annähernd zeitgenössische Quelle war zumindest 1643 im Archiv des Lyoner Paulusstiftes noch vorhanden. Es geht um eine Bescheinigung über die Messstiftung, die der Lyoner Bürger Laurent Cataigne am Anfang des 16. Jahrhunderts an den Altar der Grabkapelle Gersons machte. Der Inhalt und der Wortlaut des Stiftungsbriefes ist überliefert in VERNEY, Stephanus: Ioannes Charlierus de Gerson in tumulo gloriosus. [Lyon 1643], S. 4f. (mit orthographischen Abweichungen wiederabgedruckt in der angeführten Gerson-Gesamtaus-

316


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.