Ročenka 2004 - 2005

Page 306

Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

2. a-b Speculum humanae salvationes, 23. Kapitel, fol. 25. Kreuzannagelung. Um 1330. München, BSB clm 146. Repro: LUTZ – PERDRIZET 1907

die glorreiche Passion. Ohne dieses Harfengleichnis ist das ca. 900 Jahre später aufkommende Problem von den – zu weit gebohrten Löchern – der Passionsspiele und das Ziehen und Zerren der Glieder Christi mit Seilen auf Passionsretabeln nicht zu verstehen. Dieser grobe Rückgriff auf diese frühen Auffassungen und Auslegungen zeigt schon auf, wie es bei den Exegeten zu dem Vergleich von Kreuztod und Harfe kam. Das Augenmerk auf die Vorgeschichte der Passion ist deshalb von so entscheidender Bedeutung, wie sie unterschwellig immer weiterlebt und wirkt. Und in der Folge die Vorstellungen der Gläubigen von der Passion sowohl in Texten als auch in Bildern weiterentwickelt. Nur so kann man auch wirklich befriedigend die Umformung des Motivs aufzeigen, wie aus der alttestamentlichen Prophezeiung – exsurge me cithera – zuerst das Passionssymbol der Harfe, später die Metapher des „Wie eine Harfe gespannt-seins“ daraus dann die Erweiterung der Passionserzählung und schließlich von den Künstlern der Typus des christus extensus4 dargestellt wird. Jeder Wandel war für sich ein tiefgreifender Schritt, der immanent das Verständnis vom Gekreuzigten veränderte und schließlich zu einem neuen Aspekt in der Christusdarstellung führte.

In der kunsthistorischen Analyse wurde weder dieser Typus bis dato benannt, noch die Stilgenese dieser Formgebung des Gekreuzigten mit der Szene der Kreuzannagelung und dem nötigerweise vorangegangenen Strecken mit Seilen oder der Idee von der Harfe am Kreuz in Verbindung gebracht. Der eindrucksvolle Corpus eines spätgotischen Kruzifixus [Abb. 1] befindet sich seit 1967 im Chor der Stiftskirche von Baden-Baden. Es handelt sich hierbei um das Kreuz des alten Baden-Badener Friedhofs. [Abb. 3] Der Stifter war der Bürger Hans Ulrich Scherer († 7. 7. 1492), der Leibarzt des Markgrafen Karl I.5 Der Entstehungsort für das Kreuz ist wahrscheinlich Straßburg, von dort, so belegen es Quellen, wurde es nach BadenBaden transportiert.6 4

305

Diesen neuen Christustypen möchte ich als christus extensus bezeichnen. Dieser Artikel stellt Ausschnitte meiner 2001 an der Universität Wien erschienenen Magisterarbeit mit dem Titel GEPPERT, Silke: Die Harfe am Kreuz. Studie zu einem Motiv der exegetischen Erweiterung der Passionserzählung und deren Darstellungsformen vor. Ich danke vor allem meinem Betreuer, Prof. Dr. Michael Viktor Schwarz für die inspirierende Begleitung der Arbeit.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.