Ročenka 2004 - 2005

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Kaliopi Chamonikola: Madona z Kremnice a její nizozemské souvislosti

Die Madonna aus Kremnitz und ihre niederländische Beziehungen Zusammenfassung Im Kontext der mittelalterlichen Skulptur in der Slowakei gehört die sog. „Kremnitzer Madonna“ aus der Sammlung der Slowakischen Nationalgalerie in Preßburg (SNG Bratislava) zu den wichtigsten Werken der Spätgotik. In dem die Ausstellung begleitenden Buch ist sie zu einer Gruppe der „rheinisch“ orientierten Arbeiten um die Skulpturen des Hochaltars von St. Elisabeth in Kaschau (Košice), bzw. um das Geburt-Christi-Relief (ebenfalls aus der SNG) angegliedert. Im Mittelpunkt der vorliegenden Abhandlung steht das Motiv des Tuches, mit dem der Körper von Jesuskind unterlegt ist, das von ihm theatralisch mit beiden Händen gehalten wird. Das Kind ist streng frontal dargestellt und sein Körper befindet sich in einer visuell sehr exponierten Stellung. Die Gebärde der Tuchhaltung wird zum dominanten Mittel der Komposition, wobei auch das Verhältnis zwischen dem Kind und dem Tuch betont wird. Durch die Madonna wird dies schließlich dem Publikum präsentiert. Diese spezifische Art der Inszenierung deutet darauf hin, daß es sich um ein Programm handelt, das sehr auffallend suggeriert wird und eine Art „devotionale“ Intention verbirgt. Wenn wir uns an das konstitutive Verhältnis „Kind – Tuch“ konzentrieren, finden wir seine kompositorische sowie ikonographische Modelle in Italien. In den Andachtsbildern des 14. Jhs. begegnet eine ganze Reihe von Darstellungen der Madonnen, welche eine Interaktion des Kindes mit dem Kleid oder dem Mantel Mariens vorführen. Was uns hier aber interessiert, ist das Motiv der Berührung des Schleiers von Muttergottes. Die Verbreiterung dieses Motivs ist in erster Linie mit der Sieneser Malerei verbunden, wo anscheinend auch die Lösung unserer Skulptur ihre Vorstufen sowie nähere Präfigurationen findet. Die ursprüngliche Invention – also das erste Exemplar – läßt sich sogar genau identifizieren, nämlich bei Duccio, der dieses Thema in seiner berühmten Maestá 1308–1311 zum ersten mal formulierte. Unter seinem Einfluß war im Laufe des 14. Jhs. eine relativ große Zahl von Varianten ausgearbeitet, welche diverse Aspekte dieser Darstellung zum Thema wählen. Was ist eigentlich aber genau in den Händen von dem Jesuskind dargestellt? Anscheinend ist es ein weiteres von den Gegenständen der biblischen Schilderung von Geburt Christi nach Lucas – ein Stück vom Stoff, der am häufigsten als pannus oder panniculum – Windel Christi bezeichnet wird. Ein materielles Ausdruck dieses Motivs findet man unter den Reliquien in Santa Maria Maggiore in Rom. Neben diesem Tuch – der Windel – spielt hier eine weitere Assoziation eine wichtige Rolle: vinculum – der Schleier Mariens, überhaupt eine der drei meist verehrten Reliquien in Santa Maria Maggiore. Wie aus dem bereits gesagten ersichtlich ist, die aus den italienischen Trecento-Bildern bekannten inhaltlichen Konnotationen oszillieren zwischen der Geburt und dem Tod: deuten auf den Hochzeitsschleier von Maria, in den diese das Kind umwickelt hat (Pseudo-Bonaventura) hin. Doch gleichzeitig wird das Grabtuch Christi gemeint, das schließlich in der populären Schrift jenes Franziskaners, Meditationes vitae Christi, auch vorkommt. Daß beide diese Motive in Eins verschmolzen wurden, hat gewiß konkrete Ursachen – wenngleich man sie heute nur schwierig entziffern kann. Was die „Kremnitzer Madonna“ anbelangt, ihr Kind spielt mit – im exegetischen Sinne – einem Tuch, das eine symbolische Form – gleichzeitig den Schleier der Muttergottes, die Windel von Jesus sowie das Grabtuch Christi – verkörpern soll. Die „Kremnitzer Madonna“ stellt somit eine von den durch Belting als „redende Bilder“ bezeichneten Darstellungen, deren Bildrhetorik auf neue Bedürfnisse der visuellen Repräsentation reagiert. Die inhaltliche Intention der Darstellung ist etwa mit der des Reliefs von Giovanni Pisano vergleichbar, in dem zwei Engel das Grabtuch haltend den Fronleichnam präsentieren. Auch dieses Werk (ebenfalls ohne Vorstufen) ist nur schwer zu deuten – Belting sieht darin das Thema der Elevation der Hostie und glaubt in seinem ursprünglichen Bestimmungsort (Fuß des Taufbeckens) einen Hinweis auf die kultische Repräsentanz der biblischen Mysterien bei Passion- und Karwoche-Liturgie zu sehen. Ebenfalls ohne ikonographische Vorstufe ist das Bild von Petrus Christus, Madonna im trockenen Busch, eine kleine, um 1465 gemalte Tafel, heute in der Sammlung der Stiftung Thyssen Bornemisza in Madrid. Es ist das einzige Beispiel dieser Ikonographie, die ihre textuelle Quelle beim Esechiel 17:24 hat: das Kind Jesus ist Frucht des Baums und Salvator mundi. Für unseren Zusammenhang ist das Bild hauptsächlich deshalb bedeutend, denn Jesus hält mit seiner Hand ein Zipfel weißes Tuchs vor sich – als ob der Maler einen entfernten Hinweis auf die italienischen Duccesken Darstellungen darin verstecken wollte. Daß aber fehlende Präfigurationen dieses Motivs doch einst existierten, belegt z. B. die Madonna aus dem Nationalmuse-

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