Ročenka 2004 - 2005

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Galéria – Ročenka SNG 2004–2005

wohl die Möglichkeit bot, hier bis zu seinem Tod wieder in Sicherheit leben und arbeiten zu können. Seine Tätigkeit für die ungarischen Königsstädte Kaschau und Preßburg hatte ihn ja vielleicht schon vorher in Kontakt mit dem König gebracht, der große Summen für die dortigen Hauptkirchen ausgab. Allerdings ist es fraglich, ob der Künstler damals überhaupt in Wien oder nicht doch eher in Wiener Neustadt ansässig war, das der ungarischen Belagerung bis 1487 standhielt. In dem erwähnten Straßburger Dokument ist zwar eindeutig von Wien als Sterbeort Kamensetzers die Rede, doch wird man dabei kaum genau zwischen den beiden Residenzstädten unterschieden haben. Gemäß der Verteidigungsordnung des Markgrafen Achilles von Brandenburg für Wiener Neustadt hatte „des Kaisers Steinmetz“ Peter Pusika den Oberbefehl über 32 Steinmetze.52 Man darf daraus schließen, dass auch Kamensetzer als kaiserlicher Bildhauer eine entsprechende militärische Funktion zu übernehmen hatte. Andererseits könnte er durch seine Tätigkeit für Ungarn leicht in den Verdacht der Verschwörung gekommen sein – ein „Delikt“, das etwa dem früheren Wiener Bürgermeister Laurenz Hayden das Leben kostete. Die Vermutung, dass Kamensetzer gewaltsam ums Leben kam, ist daher nicht ganz von der Hand zu weisen. Schließlich wäre es auch noch denkbar, dass der Künstler zur Ausführung seines Preßburger Auftrages dorthin übersiedelt ist, was sich damals durchaus nicht bis Straßburg herumgesprochen haben muss. Auch wenn der Transport des Retabels auf der Donau kaum Schwierigkeiten bot, legt dessen Größe ein solches Vorgehen doch nahe. Wie auch immer: Die 1489 eingeleiteten Friedensverhandlungen, den Tod des Matthias Corvinus, die Rückeroberung der habsburgischen Gebiete durch König Maximilian und den 1491 in Preßburg abgeschlossenen Frieden hat Kamensetzer nicht mehr erlebt.53 All diese Ereignisse sind durchaus mit den von Endrődi veröffentlichten Urkunden über die Entstehung des Preßburger Hochaltars in Einklang zu bringen. Für diesen sind zwar bereits seit 1481 Stiftungen überliefert, doch wurde erst 1492 erlaubt, dort Messe zu lesen, und die Weihe erfolgte nicht vor 1497. Im selben Jahr wurde das in Wien hergestellte Chorgestühl vollendet. Andererseits trägt der Chor in einem Gewölbestern die, offenbar auf die Heirat von König Matthias Corvinus mit Beatrix von Aragon bezogene Jahreszahl 1476. 1483 entstand der Heiligkreuzaltar, und das steinerne Wappen des Kapitels (es handelt sich um jenes mit der Darstellung des hl. Martin) ist mit 1487 datiert.54 Die einst an der Predella des Hochaltars angebrachten Wappen des Königspaars sprechen dafür, dass das Retabel zumindest in seinen geschnitzten Teilen vor dem Tod des Matthias vollendet und aufgestellt war. Der König hatte ja Preßburg besonders gefördert und dort mit der – allerdings nur kurz bestehenden – Academia Istropolitana eine Hochschule eingerichtet, wodurch St. Martin zur Universitätskirche wurde.55 Dementsprechend aufwendig ist auch jenes Grabmal, das Propst Juraj

Schomberg (Georg Peltell von Schönberg, Niederösterreich) 1470 für sich errichten ließ. Einige unübersehbare stilistische Übereinstimmungen zum Grabstein für Bischof Jakob von Sierck sprechen für eine Ausführung durch die Werkstatt Niclaes Gerhaerts.56 Es ist deshalb nahe liegend, dass der kunstsinnige Propst auch dafür sorgte, dass für den neuen Hochaltar ein Straßburger Künstler berufen wurde. Der Tod Schombergs im Jahr 1486 könnte für die Arbeit Kamensetzers, der seinen Auftraggeber nur um ein Jahr überlebte, eine Unterbrechung gebracht haben. Deshalb ist nicht auszuschließen, dass der Altar zunächst unvollendet blieb. Dass dann noch mindestens weitere zehn Jahre bis zur Altarweihe verstrichen, ist aber vielleicht nicht nur durch den Tod des Künstlers, sondern auch durch das überraschende Ableben des Matthias Corvinus im Jahr 1490 und die nachfolgenden Kämpfe um den ungarischen Thron zu erklären. Diese führten in Kaschau zur Beschädigung des Doms und gingen auch an Preßburg kaum spurlos vorüber.57 Andererseits wäre es aber auch vorstellbar, dass Kamensetzer zunächst ein „holzsichtiges“ Retabel lieferte, das erst einige Zeit nach seiner Aufstellung eine traditionelle Fassung erhielt – ähnlich wie in Münnerstadt, wo der berühmte Magdalenenaltar Tilman Riemenschneiders zwölf Jahre nach seiner Vollendung von Veit Stoß gefasst wurde.58 Wie der nicht erhaltene Hoch-

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MAYER 1926 (zit. Anm. 27), S. 389. ACKERL, Isabella: König Mathias Corvinus. Ein Ungar, der in Wien regierte. Wien 1985, S. 77 ff.; ZANETTI, Wolfgang: Der Friedenskaiser. Friedrich III. und seine Zeit 1440–1493. Herford 1985, S. 285 ff.; NIEDERSTÄTTER, Alois: Österreichische Geschichte 1400–1522. Das Jahrhundert der Mitte. An der Wende vom Mittelaltar zur Neuzeit. Wien 1996, S. 353-359; STAUBER, Reinhard: Matthias Corvinus, Österreich und Bayern. Politik und Kultur 1470–1490. In: WURSTER, Herbert W. u. a.: BayernUngarn 1000 Jahre. Aufsätze zur Bayerischen Landesausstellung 2001. Vorträge der Tagung „Bayern und Ungarn im Mittelalter und in der frühen Neuzeit“ in Passau 15. bis 18. Oktober 2000. Passau 2001, S. 163-172. 54 ŽÁRY – BAGIN – RUSINA – TORANOVÁ 1990 (zit. Anm. 4), S. 72, 92; ENDRŐDI 2001 (zit. Anm. 3), S. 9 ff.; ŽÁRY, Juraj: Dóm sv. Martina v Bratislave: architektúra a sochárska výzdoba. In: BURAN (Hg.) 2003 (zit. Anm. 1), S. 234 f. 55 ŽÁRY– BAGIN – RUSINA – TORANOVÁ 1990 (zit. Anm. 4), S. 18, 72. 56 Es ist völlig unverständlich, dass diesers großartige Werk in der bisherigen Literatur zu Gerhaert fast völlig vernachlässigt wurde. – ŽÁRY – BAGIN – RUSINA – TORANOVÁ 1990 (zit. Anm. 4), S. 93, Abb. S. 88; CHAMONIKOLASOVÁ 2003 (zit. Anm. 5), S. 374, Abb. 322; LUXOVÁ, Viera: Memento mori: formy náhrobnej skulptúry. In: BURAN (Hg.) 2003 (zit. Anm. 1), S. 333, Farbabb. 283 a-c und S. 667, Kat. 2.2.9 (mit der älteren Lit.). 57 ZUBKO, Peter: Unser Dom – unser Herz. In: VAŠKO (Hg.) 2000 (zit. Anm. 38), S. 14. 58 Tilman Riemenschneider – Frühe Werke. [Ausst. Kat.] Hg. Bodo BUCZYNSKI – Fritz BUCHENRIEDER – Peter BLOCH. Würzburg – Berlin 1981, S. 115-166, Kat. Nr. 15-25; KROHM, Hartmut (Hg.): Zum Frühwerk Tilman Riemenschneiders. Eine Dokumentation. Berlin 1982, S. 54 f., 66 f., 72-77. 53

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