Ročenka 2004 - 2005

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Katja Ma rg a r et h e M ie th – M a riu s Win ze le r: D as G örlitz e r C or vinus -Wa ppe n von 1488

altar erhielt.58 Olmützer gehört zu jenen Künstlerpersönlichkeiten, deren biografische Stationen – in diesem Fall Olmütz, Zürich, St. Gallen, Konstanz, Breslau und Görlitz – relativ gut aus den Quellen erschlossen wurden, denen aber kaum ein Werk sicher zugewiesen werden kann.59 Einzig die in der Barbarakapelle der ehemaligen Görlitzer Franziskanerkirche erhaltene Beweinungsgruppe von 1492 ist archivalisch für ihn gesichert. Diese aus einem bei Prag gebrochenen Pläner-Werkblock gehauene Skulptur ist trotz der quellenmäßig belegten Überarbeitungen des 16. – 18. Jahrhundert von beachtlicher Qualität. [Abb. 10] Obwohl die Gruppe in manchem Detail vordergründig der historischen Stilrezeption um 1450 verpflichtet scheint, überzeugt die plastische Durchbildung der Figuren, die feinsinnige Oberflächenbehandlung und überraschende Verlebendigung der Gestalten durch geschickte Hinterschneidungen und treffende Darstellung der ineinander verschränkten Bewegungsabläufe. Die andachtsvolle Ruhe des Figurenensembles wird auf den zweiten Blick durch eine momentane Rhythmisierung der Gruppe „gestört“, die das gemeinsame Festhalten des Leichnams Christi, der vom Marienschoß zu gleiten droht, verursacht. Die suggestive Ausdruckskraft dieser BeweinungsPieta` erwächst aus der besonderen ikonografischen Erfindung, deren Ursprünge sowohl im Kontext der großfigurigen Passions- und Osterzyklen als auch in der Tradition des Vesperbildes liegen. Im Vergleich mit den zahlreichen erhaltenen Beweinungs- und Grablegungsgruppen, die hier sinnfällig im Hinblick auf ihren Wiedererkennungswert zitiert werden, fällt die Besonderheit der Bildfindung auf. Auf diesem geistigen Niveau der Komposition ebenso wie dem der bildkünstlerischen Qualität gleicht die Gruppe dem Corvinus-Wappen durchaus. Manche Einzelheit – wie z. B. der altertümlich gegebene Wappenlöwe mit den gebohrten Lockenenden seiner dekorativen Mähnenfrisur – erinnert an entsprechende Haarprachtdetails der Beweinungsgruppe. Da sich aber darüber hinaus nur noch eine Olmützer mit hoher Wahrscheinlichkeit zuzuschreibende trauernde Maria aus Görlitz im Warschauer Nationalmuseum erhalten hat, fällt die stilanalytische Einordnung des Wappenreliefs mit seiner südwestdeutschen Prägung, die mit dem Lebenslauf Olmützers zusammenpasst, schwer und eine Zuschreibung an Hans Olmützer muss, so verlockend sie auch sein mag, Hypothese bleiben.60 Im Zusammenhang mit der außergewöhnlichen Bildkomposition und dem retrospektiven Stileindruck muss die Inschrift an der Beweinungsgruppe erwähnt werden, die den bereits erwähnten so genannten König von Görlitz – Georg Emmerich – als „auctor“ nennt. „Anno dni 1492. Sit pius ille mihi, Quem fles, dulcissima virgo. Aucto(r) e(r)at geo(r)gi(us) emrich.“ Als Urheber und Schöpfer, nicht nur als Auftraggeber, ließ sich damit der damals 70-jährige einflussreichste Bürger von Görlitz bezeichnen. Es liegt nahe, dass er entspre-

chend besonderen Anteil an der Wahl von Thema und Form der ungewöhnlichen Gruppe hatte. Es war übrigens derselbe Jerusalem-Pilger Emmerich, der maßgeblich dazu beitrug, dass zwischen 1481 und 1504 die Anlage des Heiligen Grabes entstand und ihre Verflechtung mit der städtischen Topographie Görlitz zu einem Abbild von Jerusalem machte, dass in dieser Komplexität seinesgleichen sucht.61 Im Jahr der Fertigstellung des Corvinus-Wappens war Emmerich nachweislich Bürgermeister von Görlitz. Wahrscheinlich amtierte er zeitweilig bereits 1487, als er Rats-Schöppe (scabinus) war und als Ältester den Bürgermeister vertrat, so wie er während seiner 36-jährigen Amtszeit im Rat ohnehin meist die Geschäfte führte.62 Es ist deshalb überlegenswert, ob nicht der weit gereiste, hoch gebildete und in Kunstdingen engagierte Georg Emmerich, der zudem mit dem Landvogt Georg von Stein befreundet war, die Gestalt des Corvinus-Wappens gemeinsam mit dem von ihm bevorzugten Bildhauer entwickelt hat. Zusammenfassend möchten wir folgende Ergebnisse festhalten: 1. Im Gegensatz zu dem gänzlich der überzeitlichen Majestätsdarstellung und persönlichen Herrscherikonografie gleichermaßen unterworfenen Bautzener Denkmal des Königs Matthias gibt es für das corvinische Landeswappen in Görlitz keine direkten Vorbilder. 2. Die subtile Huldigungsgeste gegenüber dem Landesherrn gerät hier zur repräsentativen Selbstdarstellung der privilegierten Stadt. 3. Die inhaltliche wie kompositionelle Geschlossenheit dieser außergewöhnlich komplexen Bildfin-

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Das als „Goldene Maria“ legendär in die Görlitzer Geschichte eingegangene Marienretabel der Görlitzer Peterskirche wurde bei einem Brand 1691 vernichtet. Seine Berühmtheit führte noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Verwechslungen mit dem erst im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts entstandenen Marienretabel, das heute in der Barbarakapelle der Dreifaltigkeitskirche zu Görlitz steht. 59 Zu Olmützers Werdegang und Werk: ROTT, Hans: Quellen und Forschungen zur südwestdeutschen und schweizerischen Kunstgeschichte im 15. und 16. Jahrhundert I., Bodenseegebiet. Stuttgart 1933, S. 65, 72, 76, 217-219, 304f.; KRČÁLOVÁ, Jarmila: Příspěvek k poznání díla Hanuše z Olomouce. In: Umění, 1, 1956, S. 1750; BIEHL 1961 (zit. Anm. 32); KACZMAREK, Romuald: Hans von Olmütz – ein offenes Problem. In: TORBUS 2006 (zit. Anm. 1). 60 Mateusz Kapustka postulierte eine Zuschreibung an Olmützer auf der Tagung „Kunst der Jagiellonenzeit in der Oberlausitz“ im Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kunst Ostmitteleuropas in Leipzig 2001. 61 Zum Heiligen Grab: Lausitzer Jerusalem. 500 Jahre Heiliges Grab zu Görlitz. [Ausst. Kat.] Hg. Ines ANDERS – Marius WINZELER. Görlitz 2004; MEINERT, Till: Die Heilig-Grab-Anlage in Görlitz. Architektur und Geschichte eines spätmittelalterlichen Bauensembles. Diss. Berlin. Esens 2004. 62 JECHT 1892 (zit. Anm. 44), S. 24-26.

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