Ich hatte schon immer ziemliches Fernweh. Das konnte ich in der Schulzeit aber nicht ausleben, weil ich den Kompromiss nicht eingehen wollte, ein Jahr zu verlieren. Dann gab es nach der Waldorfschule die Chance, in England die Schule fertig zu machen. Die habe ich genutzt und im Anschluss in Newcastle studiert. marlowski Für welchen Studiengang hast Du Dich entschieden? günther Food Marketing und Management. Das war auch einer der Gründe, warum ich in England geblieben bin, da es ein solches Studium zu dem Zeitpunkt in Deutschland noch nicht gab. Das war eine Mischung aus BWL und Lebensmitteltechnik. marlowski War denn eigentlich klar, dass Du das Unternehmen mal übernehmen wirst? günther Es war mit Sicherheit schon immer der Wunsch meines Vaters, dass eines von uns Geschwistern den Betrieb übernimmt. Meine älteste Schwester ist allerdings Krankenschwester und Hebamme und meine zweite Schwester hat ein anderes Bäckereikonzept aufgebaut. Insofern stand die Frage an, ob ich es möchte oder nicht. Glücklicherweise wurde ich nie dazu gedrängt, habe mich aber schon vom Interessenfeld – Lebensmittel und Wirtschaft – im Studium darauf konzentriert. Und nach dem Studium hat mich mein Vater dann gefragt, ob ich das Geschäft übernehmen will. marlowski Hast Du eigentlich auch noch eine klassische Bäckerlehre gemacht? günther Um nach dem Studium noch mal herauszufinden, ob mich das Thema Bäckerei wirklich interessiert, bin ich nach Estland gegangen und habe dort ein Jahr lang in einer kleinen estnischen Bäckerei gearbeitet. Einfach noch mal Bäckereiluft schnuppern. marlowski Ich vermute, es hat Dich interessiert!? günther Genau. Aber ich habe auch gleichzeitig festgestellt, dass ich noch nicht gut genug backen konnte. (lacht) Auch wenn ich schon von Kindesbeinen an das Thema Backen mitbekommen habe, hatte ich definitiv nicht genug Kompetenz, um hier so einen Betrieb zu führen. Außerdem muss man als Geschäftsführer einfach mal erlebt haben, wie es sich anfühlt nachts in der Backstube zu stehen. Dafür bin ich ins Schwabenländle und habe dort meine Bäckerlehre gemacht. marlowski Du hast also Dein Fernweh in England, Estland und dem weitentlegenen Schwabenländle ausreichend ausgelebt. War der Rückweg nach Kiel für Dich auch schnell beschlossen oder musstest Du Dich überwinden, wieder
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in dieses Städtchen zurückzukehren? günther Nee, gar nicht. Ich habe mich gefreut, wieder zurückzukommen. Ich bin damals zwar gegangen, weil mich diese deutsche Korrektheit irgendwie genervt hat. Aber das habe ich tatsächlich lieben gelernt, als ich unterwegs war. Nach den siebeneinhalb Jahren im Ausland habe ich mich gefreut, dass der Bus hier auch wirklich fährt, wenn er auf dem Plan steht, oder jemand zum Termin erscheint, wenn es vereinbart war. (lacht) marlowski Wie lief es dann weiter, nachdem Du wieder hier angekommen bist? günther Ich habe hier in der Backstube angefangen und dann in Potsdam den Bäckermeister gemacht. Im Anschluss begann die Übergabephase mit meinem Vater. Als es dann konkret wurde und ein offizieller Übergabetermin feststand, habe ich mich noch mal für einen Monat nach Australien abgesetzt. marlowski Und wann war die Übergabe? günther Ich habe offiziell im August 2011 übernommen. marlowski Fiel es Deinem Vater leicht? günther Am Anfang nicht. Wobei er schnell viele von uns Lügen strafen konnte. Fast alle haben gesagt: »Das kriegst du nicht hin, einfach loszulassen.« Aber das ist nicht eingetreten. Inzwischen hat er das ziemlich gut hingekriegt. marlowski Das hieß also nicht permanent: »Junge, mach mal so oder lieber so!«? günther Zu Anfang schon. Ich glaube, das geht auch gar nicht anders. Aber je mehr er sehen konnte, dass gewisse Grundwerte weitergelebt werden und auch nicht alles in die Hose geht, wuchs natürlich auch das Vertrauen. Und ich habe ja auch gemerkt, dass er sich Mühe gegeben hat loszulassen. marlowski Ist denn eigentlich von Deiner Seite aus schon für die nächste Generationenübergabe gesorgt? günther Soweit sind wir noch nicht. Meine Tochter ist 16 Monate alt, dazu hat sie sich noch nicht geäußert. (lacht) marlowski Wenn Du diese Räumlichkeiten hier verlässt, womit gestaltest Du Deine Freizeit? günther Seit 16 Monaten intensiv mit meiner kleinen Familie. Mein Beruf nimmt natürlich einen ganz großen Teil meines Lebens ein. Und das bisschen, was jetzt noch übrig bleibt an Zeit, versuche ich mit Freunden zu verbringen, um mal in einer Männerrunde essen zu gehen. Außerdem interessiere ich mich sehr für Architektur und Tischlerei. Nach und nach versuche ich mir eine kleine Werkstatt im Keller einzurichten, die dazu dient, das
Tischlern noch mal etwas mehr zu lernen. marlowski Wie ist das mal mit einem Besuch beim THW in der Ostseehalle oder bei Holstein? günther Eigentlich gar nicht. Das darf ich als Kieler Unternehmer, glaube ich, gar nicht so laut sagen. (lacht) marlowski Wir können schweigen. (lacht) Nun ist klar, das Unternehmen hält Dich in Kiel, aber was ist es, das Dir privat so gut an Deiner Heimatstadt gefällt? günther Ganz klar das Wasser. Das ist ganz weit vorne. marlowski Das ist auch so in etwa die häufigste Antwort, die wir auf diese Frage bekommen. günther Es ist aber auch einfach das größte Pfund, mit dem Kiel wuchern kann. Ich habe immer schon eine ganz große Wasseraffinität gehabt. Sei es Schwimmen, Surfen, ein bisschen Segeln oder Wellenreiten. marlowski Bist Du denn aktuell immer noch wassersportmäßig unterwegs? günther Immer wenn der Wind irgendwie so steht, dass auch in der Ostsee mal eine Welle läuft, und mein Terminkalender es dann auch noch zulässt, gehe ich Wellenreiten. Das ist allerdings das einzige, was ich zur Zeit noch schaffe. marlowski Und was müsste sich hier in Kiel unbedingt verbessern? günther Natürlich könnte das Stadtbild schöner sein. Ansonsten wünsche ich mir wirtschaftlich mehr Zusammenhalt von Seiten der Kaufmannschaft in der Holstenstraße. Das ist eine der ältesten Einkaufsstraßen – die erste Fußgängerzone – Deutschlands und da Tedi mit TK Maxx aneinanderzureihen, kann es irgendwie nicht sein. Das ist sehr schade. marlowski Verliert dadurch seinen Charakter. günther Ganz genau. marlowski Ist es eigentlich schon vorgekommen, dass Du in ein Brötchen der Konkurrenz gebissen hast und es Dir viel besser als eure geschmeckt hat? günther Viel besser würde ich nicht sagen, aber auch sehr lecker. (lacht) marlowski Wie sehr orientiert man sich denn an der Konkurrenz oder macht ihr euch davon frei und fahrt da eure eigene Schiene? günther Also, wir fahren da schon sehr intensiv unsere eigene Schiene. Leider stellen wir aber immer wieder