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Pro und Contra Lieferkettengesetz

Pro „Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“

Die Bundesregierung stimmt zurzeit Eckpunkte für ein Sorgfaltspflichtengesetz ab, um die Verantwortung von Unternehmen in ihren globalen Lieferketten zu regeln. Es soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.

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Die Lieferketten deutscher Unternehmen reichen in alle Teile der Welt. Unser Wohlstand und die wirtschaftlichen Chancen von Entwicklungsländern hängen davon ab, wie wir diese ausgestalten. Aber viele Unternehmen produzieren unter Bedingungen, die bei uns aus gutem Grund schon längst verboten sind:

Weltweit schuften 75 Millionen Kinder unter schlimmsten ausbeuterischen Bedingungen – in Coltanminen für unsere Handys, auf

Plantagen für unseren Kaffee. 60 Millionen Frauen arbeiten in Textilfabriken 14 Stunden am Tag, zum Teil für nur 20 Cent in der Stunde.

Das ist Ausbeutung pur nach dem Modell des 19. Jahrhunderts. Kinder-, Zwangs- und Sklavenarbeit dürfen nicht länger Grundlage unseres Wirtschaftens sein. Das können und wollen wir mit einem Lieferkettengesetz ändern. Unternehmen tragen globale Verantwortung Was viele nicht wissen: Neben Staaten müssen auch Unternehmen zur Einhaltung dieser grundlegenden Menschenrechtsstandards beitragen. Sie tragen nicht nur für ihre Produkte und Mitarbeiter in Deutschland Verantwortung, sondern auch für die Menschen am Anfang der Kette. Die UN-Prinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte geben diese für alle Unternehmen vor. Im digitalen Zeitalter ist dies absolut möglich: So wie Unternehmen Qualität und Lieferzeiten nachverfolgen, können sie das auch für die Herstellungsbedingungen. Ich habe mit vielen Unternehmen gesprochen. Wer heute noch sagt, das ist zu komplex, der hat sich nicht ausreichend damit beschäftigt.

Freiwilliger Ansatz führt nicht zum Ziel Bei der Einhaltung dieser UN-Prinzipien hat die Bundesregierung viele Jahre auf Freiwilligkeit gesetzt. Jetzt haben wir das durch unabhängige Dienstleister in zwei repräsentativen Befragungen überprüft. Die Ergebnisse sind eindeutig und absolut ernüchternd: Von den größeren deutschen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden wurden 2.250 befragt. Wegen der Coronakrise wurde die Befragung verlängert. 455 haben letztlich teilgenommen. Davon sind nur 17 Prozent Erfüller! Das sind noch weniger als in der ersten Runde 2019. Das zeigt: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel.

Es geht um grundlegende Menschenrechtsstandards, wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit.

Jetzt setzen wir den Koalitionsvertrag um und erarbeiten eine gesetzliche Regelung. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande sind uns hier übrigens voraus. Für unseren Wirtschaftsstandort ist es wichtig, dass „Made in Germany“ nicht nur für gute Qualität steht, sondern auch für Nachhaltigkeit und faire Produktion.

Mit Augenmaß Mit einem Gesetz wollen wir dafür sorgen, dass auch am Anfang unserer Lieferketten grundlegende Menschenrechtsstandards eingehalten werden, wie das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit. Wir gehen nicht über das hinaus, was die Vereinten Nationen und die OECD ohnehin für Unternehmen vorgeben.

Aber eins ist klar: Wir gehen mit Augenmaß vor. Aus vielen persönlichen Gesprächen weiß ich, wie hart die Coronakrise viele Unternehmen trifft. Deswegen gilt das Gesetz ausdrücklich nicht für Handwerksbetriebe und kleine Firmen. Für die größeren Unternehmen schaffen wir Übergangfristen und bieten Beratungen an – über 800 haben wir bereits durchgeführt.

Klar ist: Wenn ein Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nachkommt, hat es bei Schadensfällen nichts zu befürchten. Die Pflichten sind klar definiert, etwa, dass sie die Risiken in ihren Lieferketten analysieren und Vorsorgemaßnahmen treffen.

Klar ist auch: Eine einheitliche Regelung auf europäischer Ebene wird der nächste Schritt sein. Es kann nicht sein, dass andere ohne Rücksicht auf Menschenrechtsstandards produzieren und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Märkte brauchen klare Regeln. Deswegen fordern auch 90 renommierte Unternehmen ein Lieferkettengesetz. Das sehen die Deutschen genauso: In einer aktuellen repräsentativen Umfrage sprechen sich drei von vier für eine gesetzliche Regelung aus.

Gleiche Bedingungen für alle So schaffen wir gleiche Bedingungen – auch für die Vorreiter. Denn sie setzen die Standards längst um. Etwa in unserem Textilbündnis und beim Grünen Knopf, dem staatlichen Textilsiegel. Darunter sind viele Mittelständler und Familienbetriebe wie Trigema, Peter Hahn, Vaude oder Mey, die zeigen: Mindeststandards und zukunftssichere Arbeitsplätze – das passt! Angesichts dieser Fakten sollten Kritiker ihren grundsätzlichen Widerstand überdenken. Ich lade alle ein, konstruktiv an der Vorbereitung einer maßvollen gesetzlichen Grundlage mitzuarbeiten.

Dr. Gerd Müller, MdB (CSU)

Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

mittelstand@bvmw.de

Contra „Das falsche Instrument“

Der deutsche Staat kann nicht die Einhaltung von Produktionsstandards im Ausland gewährleisten, so die FDP-Position. Statt eines Wertschöpfungskettengesetzes sollte deshalb auf Entwicklung und gute Regierungsführung gesetzt werden.

Die Intention, die menschenrechtliche Lage entlang der Lieferund Wertschöpfungsketten zu verbessern, ist löblich. Das gewählte Instrument – ein nationales Lieferkettengesetz – eignet sich jedoch kaum und kommt zum völlig falschen Zeitpunkt. Deutschland verkalkuliert sich, indem es in einer Rezession probiert, durch Auflagen für hiesige Unternehmen Menschenrechte in Drittländern zu wahren.

Ein nationales Lieferkettengesetz würde zum Beispiel bedeuten, dass hiesige Unternehmen die Verpflichtung haben, dass Kaffeebauern des Importlandes faire Löhne bekommen. Das deutsche Unternehmen ist jedoch kein direkter Abnehmer der Waren und hat nur mittelbaren Einfluss auf die Produktion. Wenn ein Lebensmittelgeschäft Kaffeebohnen kauft, so kauft es diese nicht direkt bei der

Die lückenlose Dokumentation von Lieferketten ist zudem praktisch kaum umsetzbar, insbesondere nicht von kleinen und mittleren Unternehmen.

Plantage. Es sind Röstereien, Reedereien, Großhändler, Exporteure, lokale Groß- und Zwischenhändler und Plantagenbetreiber dazwischengeschaltet. Während der Plantagenbetreiber keine Verpflichtung auf nationaler Ebene hat, seine Angestellten, also die Bauern, fair zu entlohnen, muss aber das deutsche Unternehmen über zig Zwischenhändler genau dieses garantieren.

Warum ein Lieferkettengesetz nicht hilft Dass ein Kaffeebauer fair entlohnt werden soll, steht nicht zur Debatte, sondern dass ein deutsches nationales Lieferkettengesetz nicht das richtige Instrument ist, das Ziel zu erreichen. Durch die Verschiebung der Verpflichtungen zur Wahrung von Menschenrechten auf nichtstaatliche Akteure werden Rechtswege für Betroffene verkompliziert, Rechtsunsicherheit für alle Akteure vergrößert und die staatliche Ver antwortung der betroffenen Länder untergraben. Die lückenlose Dokumentation von Lieferketten ist zudem praktisch kaum umsetzbar, insbesondere nicht von kleinen und mittleren Unternehmen. Ein staat licher Zwang zum Nachweis aller Produktionsbedingungen und gar eine persönliche Haftung für alle Vorgänge in der Lieferkette für den Hersteller des Endprodukts ist kontraproduktiv. Es besteht viel eher die Gefahr, dass das Engagement und die Investitionsbereitschaft der deutschen Firmen in Entwicklungs- und Schwellenländern durch ein Lieferkettengesetz, Bürokratie und nicht kalkulierbare strafrechtliche Risiken drastisch gemindert werden. Deshalb ist eine staatlich verord nete Lieferkettendokumentation bis ins letzte Glied für Betriebe abzulehnen. Die Achtung von Menschenrechten wird letztlich nur vom jeweiligen Nationalstaat gewährleistet. Eine Liste von Staaten und Un ternehmen, die Menschenrechte massiv verletzen, würde Unternehmen und Konsumenten als Orientierung nützen.

Und die Lösung? Menschenrechtsverletzungen sind immer zu verurteilen. Um universelle Rechte aber zu wahren, bedarf es keines nationalen Lieferkettengesetzes. Nationalstaaten müssen in die Verantwortung genommen werden, damit soziale und ökologische Standards gefördert werden. Internationale Abkommen müssen durchgesetzt werden, indem bereits bestehende internationale Rechtswege beschritten werden. Auch muss die Entwicklungszusammenarbeit sich verstärkt für gute Regierungsführung einsetzen. Die Staaten müssen motiviert werden, Völkerrecht – also Menschenrechte – in ihre nationalen Gesetze zu integrieren, sodass dem Bauern in seinem Heimatland ein transparenter Rechtsweg offensteht und dortige Verstöße geahndet werden können. Fehlende Rechtstaatlichkeit und das Versagen ausländischer Behörden können nicht durch hiesige Unternehmen kompensiert werden. Es müssen klare Bedingungen für den Handel und die Wahrung der Menschenrechte formuliert werden, es muss einen praktikablen Vollzug geben, Recht durchzusetzen, der weder die wirtschaftliche Existenz von kleinen und mittelständischen Unternehmen bedroht noch das normative Ziel aushöhlt. Die Regelung von Importen muss mit gemeinsamen europäischen Lösungen geschehen. Es ist zu einfach zu denken, dass man mit einem Gesetz oder Siegel eine klare Wegbeschreibung bekommt, was richtig und falsch ist. Die globale Welt ist komplex, und in unserer Freiheit liegt auch die Verantwortung zu hinterfragen, wie gesteckte Ziele wirklich zu erreichen sind.

Dr. Christoph Hoffmann, MdB (FDP)

Entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion

mittelstand@bvmw.de