marlowski Dezember 2016

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WENN DER VATER ...

ENDSTATION,

bitte alle aussteigen!

E

in gemeinsamer Bummel in der Vorweihnachtszeit mit der gesamten Familie durch die Innenstadt gehört nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Es ist voll und man hat immer das Gefühl, dass derjenige, der gerade vor einem geht, die langsamste Schnecke ist oder gerade stirbt. Meine Frau sah, wie mein Gesicht mit jedem Schritt länger wurde. Schließlich hatte sie ein Einsehen: »Geh doch mit Max auf den Weihnachtsmarkt, Melissa und ich holen euch Jungs nachher ab.« Bei dem Wort Weihnachtsmarkt lief mir schon das Wasser im Munde zusammen: lecker Kochwurst im Brötchen, herrlich. Max und ich zogen vergnügt ab. »Willst du auch eine Kochwurst?«, fragte ich Max. »Nein, ich möchte Zuckerwatte und so ein Herz aus Lebkuchen«, entgegnete er. Ja gut, warum eigentlich nicht? Kurz darauf traf ich Rainer, meinen alten Schulfreund, den ich seit Jahren schon nicht mehr gesehen hatte. Unser Wiedersehen mussten wir unbedingt mit einem Punsch begießen. Allerdings war die Wiedersehensfreude so groß, dass wir noch einen und noch einen Punsch bestellten. Doch Max machte sich wieder bemerkbar: »Kann ich gebrannte Mandeln und so einen roten Apfel haben? Und Karussell fahren?“ »Natürlich darfst du das.« Schon konnte ich mich wieder Rainer und der Vergangenheit widmen. Max drehte fröhlich mit Zucker­

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watte verschmiertem Gesicht seine Runden in der Straßenbahn, während Rainer und ich uns immer noch freuten, dass wir uns hier wieder getroffen haben: »Noch einen Punsch, Rainer?« So langsam kamen wir in Stimmung. Max tauchte immer mal wieder auf und ich gab ihm Geld für Schokobrocken, Hamburger Speck und Lakritzstangen. Danach schwang er sich wieder in die Straßenbahn und drehte Runde um Runde.

Nach zwei weiteren Punschrunden mit Rainer, hatte Max auf einmal Hunger auf etwas Herzhaftes. Selbstverständlich durfte der Junge Pommes mit Majo essen, Karussellfahren macht anscheinend hungrig. Rainer und ich punschten uns weiterhin fröhlich zu, bis uns auf einmal der Karussellbremser aus unseren Erinnerungen riss: »Gehört der Kleine zu

euch, der mir gerade die Straßenbahn vollgekotzt hat?« Ich blickte den Mann etwas irritiert an und fragte: „Hat der kleine Racker ein Bäuerchen gemacht?« »Nee, kein Bäuerchen, eine Riesensauerei ist das. Kommen Sie mal mit.« Federnden Schrittes machte ich mich auf den Weg zum Karussell, in dem Max noch saß. Es dauerte ein wenig, bis ich mich auf allen Vieren in die Bahn gezwängt hatte. Max und mein Gesicht waren vis-à-vis, als ich erst einmal durchschnaufen musste. »Oh Papa, du stinkst, mir wird schon wieder schlecht«, warnte er noch und übergab sich mit einem Mal in meine Richtung. Ich schnellte hoch, stieß mir aber fürchterlich den Kopf, erschrak daraufhin und landete im Erbrochenem von Max. Dann hörte ich auch schon die liebliche Stimme meiner Frau: »Bist du nicht ein bisschen groß fürs Karussellfahren? Oh Gott, wie siehst du denn aus?« Ich versuchte mir ein souveränes Lächeln abzuringen, aber meine Frau schüttelte nur den Kopf: »Da lässt man dich mal zwei Stunden allein, du betrinkst dich im Beisein von Max und kotzt dann auch noch das Karussell voll. Hoffentlich sieht uns keiner.« Ich wollte noch zaghaft protestieren, merkte dann aber, dass ich argumentativ dieser Situation nicht gewachsen war. Rainer ging noch fröhlich winkend an uns vorbei, rief »Fahrscheinkontrolle« und meinte, er würde sich nächste Woche mal melden. (mf)


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