Sinfoniekonzert: Volxmusik I Komische Oper Berlin

Page 1

VON MAHLER BIS ANDRIESSEN Volxmusik
SINFONISCHE GESÄNGE

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

»SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

von Rebekka Meyer BIOGRAFIEN In a nutshell L’essentiel Özet bilgi GLOSSAR IMPRESSUM inhalt 5 6 14 20 21 22 23 25

SINFONISCHE GESÄNGE VON

MAHLER BIS ANDRIESSEN

Volxmusik

DIRIGENT

Brandon Keith Brown

SOLISTIN

Wallis Giunta, Mezzosopran

Es spielt das Orchester der Komischen Oper Berlin

PROGRAMM

LOUIS ANDRIESSEN [1939–2021]

Workers Union

GEORGE WALKER [1922–2018]

Lyric for Strings

LUCIANO BERIO [1925–2003]

Folk Songs für Mezzosopran und Orchester

PAUSE

GUSTAV MAHLER [1850–1911]

Sinfonie Nr. 1 D-Dur

Einführungsgespräch 45 min vor Beginn im Foyer #KOBSiKo

FREITAG, 31. MÄRZ 2023, 20 UHR

Das wichtigste in Kürze

Kunstmusik und Volksmusik üben großen Ein uss aufeinander aus. Einerseits sind viele Kunstlieder ins Volksliedgut eingegangen, andererseits haben sich europäische Komponist:innen in vielen Epochen von Volksmusik inspirieren lassen – so auch die vier Komponisten des heutigen Abends.

Luciano Berios Folk Songs von 1964 (bearbeitet 1973) sind eine Sammlung von Volksliedern aus den verschiedensten Ländern. Der italienische Komponist bearbeitete diese in seiner ganz eigenen Weise für Mezzosopran und Orchester, stellt sie so in einen neuen musikalischen und gesellschaftlichen Kontext und lotet damit die komplexe Beziehung zwischen Autorschaft, Authentizität und Geschichtsbewusstsein aus.

Ein klares politisches Ziel verfolgte Louis Andriessen mit seinem Werk Workers Union von 1975. Für frei wählbare, aber laute Instrumente komponiert, spielt das Werk mit strengen Vorgaben einerseits und großer Freiheit andererseits, verlangt von den Spieler:innen aber vor allem absolute Hingabe – ganz wie in der politischen Arbeit.

Sein Jugendwerk Lyric for Strings komponierte der afroamerikanische Komponist George Walker 1946. Er verarbeitete darin den Tod seiner geliebten Großmutter Malvina King, was sich im emotionalen und lyrischen Charakter der Musik niederschlägt. Inzwischen gehört das kurze Stück für reines Streichorchester zum Standardrepertoire US-amerikanischer Orchester – und ist fast schon selbst zu Volksmusik geworden.

Gustav Mahlers 1. Sinfonie entstand Ende des 19. Jahrhunderts und schöpft aus dem Klang der Volksmusik seiner Kindheit sowie aus vielen Kunstliedern, die er selber verfasst hatte. Zwischen Naturlaut und Totenmarsch, Bauerntanz und Kanon scha t der österreichische Komponist so eine vielschichtige musikalische Welt voller Widersprüche und Brüche.

5 DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

»Spontan aus dem Volk entstanden«

Zum Verhältnis von Kunstmusik und Volksmusik bei Luciano Berio, Louis Andriessen, George Walker und Gustav Mahler

Von Kunst und Volk und Volk und Kunst

Was ist eigentlich Volksmusik? Die Frage erscheint auf den ersten Blick einfach und lässt sich gemäß Duden ganz eindeutig beantworten: »im Volk überlieferte und von ihm ausgeübte Musik von nationaler oder landschaftlicher Eigenart«. Bei genauerem Hinschauen entpuppt sich der Fall aber als komplexer. Noch im 18. und 19. Jahrhundert galt der Ursprung im Volk, d. h. eine anonyme Autorschaft, als eine der wichtigsten Grundeigenschaften des Volkslieds. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde jedoch nachgewiesen, dass viele Volkslieder eigentlich komponierte Kunstlieder waren, denen eindeutig Urheber:innen zugewiesen werden konnten und die daraufhin ins Volksliedgut eingegangen sind. Das Verhältnis von Volksmusik und Kunstmusik war also schon immer ein reziprokes, denn Volksmusik übte und übt einen enormen Ein uss auf klassische europäische Musiker:innen und Komponist:innen aus. Sei es einerseits aus musikethnologischem Interesse, wie bei den beiden ungarischen Komponisten Béla Bartók und Zoltán Kodály, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Volksweisen in Ungarn, Rumänien und auf dem Balkan sammelten, transkribierten und wiederum in ihre Kompositionen ein ießen ließen. Sei es andererseits aus den Bestrebungen, neue Erfahrungen zu verarbeiten, so wie Antonín Dvořák seinen Aufenthalt in den USA in seiner berühmten neunten Sinfonie Aus der Neuen Welt in Musik verwandelte. Oder sei es aus nationalpolitischen Gründen, wie die Entstehung der Nationaloper im Kontext der europäischen Bestrebungen zur Errichtung von

6 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

Nationalstaaten im 19. Jahrhundert – man denke etwa an Stanisław Moniuszko in Polen oder Bedřich Smetana in Tschechien und damit auch an das Erwachen eines neuen und selbstständigen Bewusstseins für die regionalen Eigenheiten der Musik. Es ist also ein ganz besonderes Spannungsverhältnis von Komposition (Wer hat das Stück verfasst?) – Interpretation (Wer spielt und in welchem Kontext?) – und Rezeption (Wer hört und in welchem Kontext?), in dem die Volksmusik steht. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise beschäftigen sich auch die vier Komponisten im heutigen Sinfoniekonzert mit diesem Thema.

»Den Schmutz auf unseren Schultern«

Luciano Berio hält es nach der De nition des Dudens und schreibt, »Volksweisen« seien »spontan aus dem Volk entstandene Lieder«. Nichts ist wohl so sehr mit der Volksmusik in der Kunstmusik verknüpft wie die Frage nach Authentizität und Autorschaft. Das wusste der italienische Komponist und damit spielt er auch in seinen Folk Songs. Den Liederzyklus hatte Berio 1964 für seine damalige Ehefrau, die Sängerin und Ausnahmeinterpretin Cathy Berberian (1928–1983) geschrieben. 1973 erweiterte er die kammermusikalische Fassung für Orchester, wie sie auch an der Komischen Oper zu hören sein wird. Der Komponist selbst beschreibt seine Folk Songs als eine »Anthologie von 11 Volksliedern (oder als solche verstandene) verschiedenen Ursprungs (aus den Vereinigten Staaten, Armenien, der Provence, Sizilien, Sardinien u. a.), die ich auf alten Schallplatten und in gedruckten Anthologien entdeckt habe oder die mir Freunde vorgesungen haben.« Kurz darauf notiert er außerdem, dass er zwei der Lieder selbst komponiert habe, sie seien aber »vom Inhalt her Volkslieder«. Damit widerspricht sich Berio allerdings: »Spontan aus dem Volk entstanden« sind diese natürlich nicht – und trotzdem fügen sie sich selbstverständlich und nahtlos in die Auswahl ein.

Luciano Berio: Folk Songs für Mezzosopran und Orchester

Uraufführung:

30.11.1963 in Oakland, Kalifornien

Zum ersten Mal mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin am 15.03.1993

Dirigent: Hans Zender

Dass sich Luciano Berio in den 1960er-Jahren überhaupt der Volksmusik zugewandt hatte, ist erstaunlich genug. Denn obwohl Komponist:innen immer schon mit Volksmusik gearbeitet haben, war dies für die Avantgarde der Nachkriegszeit zunächst undenkbar – Berios gradlinige, auf volksmusikalischen Werken bauende Musik war bei seinen Kompositionskolleg:innen deshalb auch umstritten. Viele Künstler:innen strebten nach 1945 einen radikalen Neuanfang an – eine musikalische »Stunde Null«. Nicht so Berio, der stets auf der Suche danach war, die Vergangenheit mit der Gegenwart zu verknüpfen und sie unter neuen

Voraussetzungen zu untersuchen: »Es besteht kein Zweifel, dass wir stets unsere Vorfahren mit uns

7 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

herumtragen – eine Menge von Erfahrungen, ›den Schmutz auf unseren Schultern‹, wie [der Dichter Eduardo] Sanguineti sagt, und folglich eine virtuelle Sammlung einer Auswahl aus dem fortwährend präsenten Lärm der Geschichte.« Bearbeitungen und Arrangements zu komponieren, bedeutet immer auch eine Re exion der eigenen (musikalischen) Geschichte und Tradition. Ganz bewusst hat Berio bei den Folk Songs keine reine Klavierbegleitung gewählt, sondern vielfältigere Instrumentalklänge: »Ich habe die Lieder allerdings rhythmisch und harmonisch bearbeitet, in gewissem Sinne also neu komponiert. Der Einsatz der Instrumente hat eine ganz bestimmte Funktion. Er soll, ohne den Sinn des Liedes zu zerstören oder zu manipulieren, andeuten und kommentieren, was meinem Emp nden nach jedes einzelne Lied entsprechend seinem kulturellen Hintergrund ursprünglich ausdrücken wollte, etwa den Anlass, zu welchem es gesungen wurde.« Dabei ergänzt er die Lieder auch mit Vor-, Zwischen- und Nachspielen, er führt Metrenwechsel* und neue Tempi ein, di erenziert die Dynamik* aus, gibt neue, sehr präzise Spielanweisungen und lässt auch mal eine Gegenmelodie zur Gesangsstimme entstehen.

Mit dieser erneuten Zusammenführung zweier musikalischer, manchmal scheinbar getrennter Sphären hat Berio seinen Nachfolger:innen eine Vielzahl an kompositorischen Türen aufgestoßen. Entstanden ist dies aus einer – vielleicht auch politischen – Utopie, wie der Komponist 1985 in einem Interview meinte: »Ich habe einen utopischen Traum, wenn ich auch weiß, dass er sich nicht realisieren lässt: Ich möchte gern eine Einheit zwischen Volksmusik und unserer Musik herstellen – einen echten, wahrnehmbaren und verständlichen Weg, der seit langer Zeit bestehendes, volkstümliches Musikmachen, das der täglichen Arbeit so nahesteht, mit unserer Musik verbindet.«

Musikalische Arbeit als politische Arbeit

Den politischen Hintergrund dieser Aussage teilte auch sein Landsmann Luigi Nono, der beispielsweise Fabrikgesänge in seinen Kompositionen verwendete. Ebenso der US-amerikanische Komponist und Pianist Frederic Rzewski, der 1975 als deutliche Reaktion auf Augusto Pinochets Putsch in Chile das wichtigste Lied der chilenischen Protestbewegung El pueblo unido, jamás será vencido in Klaviervariationen vervielfältigte und als Konzertwerk au ühren ließ – und zwar mit der ganz bewusst gesetzten Intention, den Protest der Straße in den bürgerlichen Konzertsaal zu bringen und so ein musikalisches Statement zur US-amerikanischen Politik abzugeben. Auch bei diesem Beispiel zeigen sich indes die verwischten Umstände der Entstehung des Volksliedes. Obwohl es eindeutig einem Komponisten, nämlich Sergio Ortega, zugeschrieben werden kann, ist das Lied derart symbolträchtig in die chilenische Widerstands-Bewegung aufgenommen

8 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«
* Lost in translation? Mehr dazu im Glossar auf S. 23

Workers Union

Komponiert: 1975

Heute zum ersten Mal mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin

worden, dass es bald als ein Lied des Volkes galt. Im gleichen Jahr, 1975, entstand Louis Andriessens Workers Union aus einer vergleichbaren politischen Haltung. Der kürzlich verstorbene niederländische Komponist, der sich in den 1960er- und 70er-Jahren in marxistisch geprägten Kreisen bewegte, hegte großes Interesse an ähnlichen Themen wie Rzewski – darauf deuten beispielsweise seine Oper Reconstructie über Che Guevara oder seine aktionistischen Störaktionen im Concertgebouw* hin. In der »Aktion Nussknacker« etwa unterbrach er zusammen mit Gleichgesinnten und lautem Lärm ein Konzert, um der Forderung nach mehr zeitgenössischer Musik im Konzertsaal Nachdruck zu verleihen. Musikalisch betrachtet wählt Andriessen in Workers Union aber einen ganz anderen Weg als sein Kollege. Nicht die Melodie, sondern die Form und die Vorgaben schöpfen hier aus dem Revolutionär-Politischen. Mit der Untertitelung »symphonic movement for any loud sounding group of instruments« vermied Andriessen die Vorgabe einer bestimmten Instrumentenkombination; bloß laut sollen die Instrumente sein. An der Komischen Oper Berlin sind vor allem Holzbläser und das Schlagwerk zu hören. Laut Spielanweisung soll die Musik außerdem »dissonant*, chromatisch*, aggressiv« klingen. Ganz o ensichtlich scheint Andriessen hier die Menschen aufwecken zu wollen – entweder obwohl oder gerade weil seine Werke nicht nur im Konzertsaal, sondern auch auf politischen Veranstaltungen und an anderen, alternativen Konzertorten zu hören waren. Gemütliches Hin äzen oder gefühlvolles Mitschwelgen ist hier jedenfalls fehl am Platz – fast wie eine Gewehrsalve haut Andriessen dem Publikum die repetitiven Rhythmen um die Ohren. Seine A nität zur Bewegung der amerikanischen Minimal Music* zu Komponisten wie Terry Riley oder Steve Reich, und damit zum Denken in sich wiederholenden Patterns*, kommt hier ganz hörbar zum Tragen. Außerdem zieht er in den Spielanweisungen eine konkrete Parallele zur politischen Arbeit: »Nur in dem Fall, dass jeder Spieler so spielt, als sei sein Part ein essentieller, wird die Au ührung gelingen; ganz wie in der politischen Arbeit.« Und weiter: »Diese Komposition ist eine Kombination von individueller Freiheit und strenger Disziplin: Der Rhythmus ist exakt vorgegeben; die Tonhöhe jedoch wird jedoch auf einer einzigen Notenlinie nur ungefähr de niert. Es ist schwierig, in einem Ensemble zu spielen und im Gleichschritt zu bleiben, so wie man eine politische Aktion organisiert und durchführt.« Eine neue Auslegung des Unisono* sozusagen, und fast schon eine Ode an die harte und gleichförmige physische Arbeit. Was allerdings passieren kann, wenn man stets im Gleichschritt geht und »die Mehrheit jeden Dissidenten zurück in Linie bringt«, wie es Andriessen auf seine Musik bezogen schreibt, das lehrt uns die Geschichte auch.

9 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

George Walker: Lyric for Strings

Komponiert: 1946 (als Streichquartettsatz)

1990 (Neufassung als Lyric for Strings)

Uraufführung:

1946 in Philadelphia, Curtis Institute of Music

Ein Jugendwerk eines afroamerikanischen Komponisten

Musikalisch im totalen Kontrast zu Louis Andriessen – an der Komischen Oper Berlin auch durch die Wahl der Instrumente – steht George Walkers für reines Streichorchester komponiertes Lyric for Strings. Zum Stück inspirierte den afroamerikanischen Komponisten Malvina King, seine Großmutter mütterlicherseits.

In Sklaverei geboren, gelang ihr als junge Frau die Flucht in den Norden der USA und damit in die Freiheit. In Washington, D. C. gründete sie eine große Familie. Schon in jungem Alter erfuhr George Walker durch seine Großmutter vom Leben in Sklaverei. Als Malvina King 1946 starb, ließ der damals erst 24-jährige Komponist seine Emotionen über diesen Verlust in das Werk ein ießen: Das Adagio seines ersten Streichquartetts betitelte er mit »Lament«. Kurz darauf löste er diesen langsamen Satz aus dem Kontext des Streichquartetts heraus und erweiterte ihn für Streichorchester. Musikalisch ist das Werk geprägt von einer Mischung aus Ho nung, Schmerz und Frustration sowie Walkers A nität zu Black Spirituals* und kontrastreichem Kontrapunkt*. Dieses Stück verkörpert die harten Realitäten afroamerikanischer Lebenserfahrung, nicht zuletzt aufgrund ihrer Geschichte als Nachfahren versklavter, unfreiwilliger Einwanderer des Landes. Nach einer Erstausstrahlung im Radio erreichte das Jugendwerk schnell enorme Popularität und ist bis heute fester Bestandteil des sinfonischen Repertoires US-amerikanischer Orchester. Es begleitete Walkers ganzes Leben bis zu seinem Tod im Jahr 2018 – und wurde so fast selbst zu (afro-)amerikanischer Volksmusik … Seine ethnische Zugehörigkeit und Hautfarbe machten Walker in vielerlei Hinsicht zu einem wichtigen Pionier: Er war der erste Afroamerikaner, der das renommierte Curtis Institute of Music in Philadelphia sowohl in den Fächern Klavier als auch Komposition abschloss. Er war das erste feste afroamerikanische Fakultätsmitglied in einer Abteilung des Smith College und gewann 1996 als erster afroamerikanischer Komponist den Pulitzer-Preis für Musik. Sein Bewusstsein, ein Nachkomme von Sklaven zu sein, und seine gelebte Erfahrung als Schwarzer Mann prägten seine Identität als Komponist maßgeblich. Im Jahr 1982 sagte Walker in einem Interview: »Es ist unmöglich, meine Identität als Schwarzer Komponist zu verbergen.« Dasselbe tri t auf den afroamerikanischen Dirigenten Brandon Keith Brown zu. Er ist internationaler Aktivist sowie Träger und Botschafter der afroamerikanischen Musiktradition. Walkers Werk Lyric for Strings ist erstmals an der Komischen Oper Berlin zu hören und damit eine Berliner Erstau ührung. Die Komische Oper Berlin freut sich, dieses wichtige Werk der afroamerikanischen klassischen Musiktradition dem Berliner Publikum präsentieren zu dürfen.

Heute zum ersten Mal mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin

10 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 DDur

Eine Welt aufbauen

Komponiert:

1887/88, Revisionen bis 1899 Uraufführung: 1889 in Budapest (als Symphonische Dichtung)

16.03.1896 in Berlin

Zum ersten Mal mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin am 30.4.1964

Dirigent:

Václav Neumann

Die musikalische Identität ist auch bei Gustav Mahler stark mit dem Klang seiner Heimat verbunden. »In viele meiner Sachen ist die böhmische Musik meiner Kindheitsheimat mit eingegangen«, schrieb der Komponist. Den Großteil seiner Kindheit verbrachte Mahler in Iglau, einer deutschen Sprachinsel im Grenzgebiet von Böhmen und Mähren im heutigen Tschechien, und schon als Vierjähriger habe er über 200 Volkslieder singen können. In vielen Liedern und Sinfonien ist diese früheste Erinnerung, das Volkslied, die Märsche, Ländler und die Tanzmusik seiner Kindheit zu hören. Meistens handelt es sich dabei um ein Komponieren »im Geiste« der Volksmusik, also eine Übernahme von rhythmischen, melodischen und tonalen Besonderheiten. Konkrete Zitate hört man bei ihm selten, denn Mahler ging es nie um eine spezi sche Erforschung und damit wissenschaftliche Erschließung der Volksmusik wie bei Bartók oder um eine nationale Identität wie bei Dvořák. Vielmehr schöpfte er aus einem verinnerlichten musikalischen Fundus.

Vielleicht kommt aus dieser frühen Kindheit auch die A nität des Komponisten zum Lied – neben seinen zehn Sinfonien gehört diese Gattung eindeutig zu seinem Hauptwerk. In seiner ersten Sinfonie sticht dieses Interesse ganz besonders hervor. Zwischen 1884 und 1888 komponiert und bis 1899 stetig revidiert, nimmt sie die Lied-Thematik in jedem Satz auf. Im ersten Satz ist es das Zitat des Liedes »Ging heut’ Morgen übers Feld« aus dem Liederzyklus Lieder eines fahrenden Gesellen, welcher kurz vor der Sinfonie entstand. Es beginnt im Original als heiter-naive Beschreibung einer taufrischen Morgenstimmung und einer funkelnden Welt. Doch wie so oft bei Mahler gibt es auch hier einen Bruch und die Melancholie überwiegt – kein Idyll ohne Trübung. Diese kommt in der Sinfonie interessanterweise dann aber nicht mehr vor; noch davor kehrt Mahler wieder zum Beginn zurück. Verbunden ist das Lied im ersten Satz mit einer orchestralen Naturlautmalerei, die spätestens seit Beethovens »pastoraler*« sechster Sinfonie fester Bestandteil der Sinfonik ist: ein sanftes Erwachen der Natur, erst fein-schillernd, dann immer deutlicher, unterstrichen mit einem Kuckucks-Ruf in den Holzbläsern (eine für die Sinfonie fast leitmotivische Quarte*), einem Jagdlied in fernen Klarinettenfanfaren und feierlichen Hörnern. Mahlers Ziel war es, möglichst überzeugend zu beschreiben, wie das Sonnenlicht »durch die Zweige zittert und schimmert«.

Die Quarte* leitet auch den zweiten Satz ein, aber nicht mehr als Naturton, sondern als Grundlage eines derben Bauerntanzes. Wieder greift Mahler auf früheres, eigenes Liedmaterial zurück, nämlich auf das Lied

11 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

»Hans und Grete«, welches er explizit als Volkslied bezeichnete. Kunstlied und Volkslied greifen hier also dicht ineinander.

Ein Volkslied, das die meisten sofort erkennen dürften, ist »Bruder Jakob«. Mahler setzt es im dritten Satz der Sinfonie allerdings in Moll ein, gibt ihm als Totenmarsch in »Callots Manier« einen langsamen, traurigen Unterton und verwebt es zu guter Letzt mit einer spöttelnden, »sich dreinmischenden ›böhmischen Musikantenkapelle‹«, so Mahler, die sich über den toten Jäger lustig zu machen scheint. Inspiriert zum dritten Satz wurde er von einem damals bekannten parodistischen Bildmotiv, welches zeigt, wie die Tiere des Waldes den Sarg des verstorbenen Jägers geleiten. »Mit Parodie« setzte Mahler nicht ohne Grund als Spielanweisung darüber. Vielleicht ist es aber auch einfach eine Reminiszenz an eine Zeit, in der Leben und Tod, Freud und Leid, Trauermarsch und Totentanz, Leichenmahl und Tanzkapelle viel näher beieinander lagen als heute. Ein Umstand, den der Komponist oft genug am eigenen Leib erfuhr und in seinen ebenfalls bekannten Kindertotenliedern verarbeitete: Von seinen elf Geschwistern starben sechs im Kindesalter, seine eigene Tochter überlebte 1907 die Scharlach-Diphterie nicht. Als Satz, der von seinen starken Widersprüchen lebt, kommt als drittes, liebliches Element wieder eine Volksweise aus seinem Liedgut vor, nämlich eine Passage aus »Die zwei blauen Augen von meinem Schatz«.

Den vierten und großen Finalsatz hatte Mahler in einer früheren Fassung noch mit Dall’Inferno al Paradiso übertitelt und später auch als »ausbrechenden Sturm« bezeichnet. Es ist der Satz, der sich am wenigsten an einen volksmusikalischen Ton anlehnt und der mit seinen zwanzig Minuten sowie dem aufbrausenden Gestus neben lyrisch-romantischen Zwischenteilen nochmals eine völlig neue musikalische Welt erö net. Gleichzeitig spannt das Finale den Bogen über das ganze Werk, indem Mahler musikalische Erinnerungen an den ersten Satz einbaut – es erklingen Reminiszenzen an die rufenden Vögel und den Spaziergang übers Feld – bevor das Ganze schließlich in der triumphalen Apotheose endet.

»Aber Sinfonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen«, beschrieb Mahler. Und diese Welt lebt – das macht auch den spezi schen Mahler-Ton aus – von Gegensätzen und Brüchen, in denen die Kategorien »Volkmusik« und »Kunstmusik« so nahe beieinanderliegen, dass sie kaum mehr zu unterscheiden sind.

12 »SPONTAN AUS DEM VOLK ENTSTANDEN«

»Alle

Volksmusik. Ich habe noch nie ein Pferd ein Lied singen hören.«

15 RUBRIK_GENRE
Musik ist

Brandon Keith Brown

Der junge US-Amerikaner Brandon Keith Brown erlangt zunehmend internationale Aufmerksamkeit. Als Preisträger des internationalen Dirigentenwettbewerbs Sir Georg Solti mit dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt am Main wurde er als »… der absolute Publikumsliebling …« gefeiert.

Von den Wiener Philharmonikern als Stipendiat ausgewählt, war er 2012 Gast bei den Salzburger Festspielen und dirigierte Mitglieder des Orchesters. Darüber hinaus hat Brown mit Orchestern wie dem Konzerthausorchester Berlin, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, der Jenaer Philharmonie, dem Cape Town Philharmonic Orchestra, den Nürnberger Symphonikern, dem Bilkent Symphony Orchestra, dem Detroit Symphony Orchestra sowie dem Danish National Symphony Orchestra bei der Malko International Competition zusammengearbeitet und dirigierte das Tokyo Philharmonic bei der Tokyo Philharmonic Orchestra International Music Competition for Conducting.

Beim Castleton Festival in Virginia war Brown Dirigent unter der Leitung von Lorin Maazel und besuchte die American Academy of Conducting in Aspen unter David Zinman. Im Opernbereich leitete er Au ührungen von Otto Nicolais Die Lustigen Weiber von Windsor, Mozarts Così fan tutte, Puccinis Suor Angelica, assistierte bei Brittens Albert Herring und arbeitete mit Lorin Maazel an Puccinis Il trittico.

Brown kämpft dafür, das Bewusstsein hinsichtlich ethnischer Identität der Gesellschaft durch klassische Musik zu verändern. Seine Schriften und Vorträge über Race und klassische Musik wurden international verö entlicht, unter anderem bei NPR, DIE ZEIT, The Medium, Deutschlandfunk/Kultur, BR-Klassik, in der Oxford University Press und im Berliner Tagesspiegel. Er war Gastprofessor am JFK-Institut der Freien Universität und lehrte unter anderem an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität der Künste in Berlin. Brown ist häu ger Podcast-Gast, Redner und Berater an der Schnittstelle von ethnischer Identität und Musik.

Als Stipendiat absolvierte er ein Studium am Peabody Institute of Music an der Johns Hopkins University. Ursprünglich Geiger, studierte er bei den renommierten Lehrern Roland und Almita Vamos.

14 BIOGRAFIEN

Wallis Giunta

Die irisch-kanadische Mezzosopranisten Wallis Giunta erhielt ihr Diplom an der New Yorker Juilliard School und ist Absolventin des Metropolitan Opera Lindemann Young Artist Development Programms. Im Jahr 2013 erhielt sie zudem den Novick Career Advancement Grant sowie den Sylva Gelber Music Foundation Career Development Award und wurde vom Canada Council for the Arts gefördert.

Zu den Opernhighlights gehören Partien wie María in María de Buenos Aires an der Opéra de Lyon nach einer Reihe von Au ührungen beim Festival »Les Nuits de Fourvière«, Angelina in La Cenerentola an der Opera Montpellier, Rosina in Il barbiere di Siviglia an der Dallas Opera, Tigrane in Radamisto mit dem Philharmonia Baroque Orchestra, Anna 1 in Die Sieben Todsünden an der Opera North, Dodo in Breaking the Waves beim Edinburgh International Festival und dem Adelaide Festival. Es folgten Hausdebüts an der Seattle Opera als Angelina in La Cenerentola und an der Deutschen Oper am Rhein als Bradamante in Alcina, Rollendebüts in der Titelrolle von Carmen, Rosina in Der Barbier von Sevilla und Octavian in Der Rosenkavalier an der Oper Leipzig, Idamante in Idomeneo an der Opera Atelier in Toronto, Flora (La Traviata) mit Placido Domingo am Royal Opera House Muscat, Cherubino (Le nozze di Figaro) beim The Grange Festival, die Titelrolle in Ravels L’enfant et les sortilèges, Dinah in Bernsteins Trouble in Tahiti und Weills Sieben Todsünden mit dem Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und John Axelrod, Mercédès (Carmen) an der Oper Frankfurt, Sesto (La Clemenza di Tito) und Dorabella (Così fan tutte) an der Canadian Opera Company, Olga (The Merry Widow) an der Metropolitan Opera und Paquette in Bernsteins Candide mit den Hamburger Symphonikern unter der Leitung von Sir Je rey Tate.

Zu den jüngsten Höhepunkten ihrer Konzerttätigkeit zählen The Sound of Argentina und ein von der Kritik gefeierter Soloabend bei den BBC Proms in der Cadogan Hall, eine Rückkehr zum Münchner Rundfunkorchester für Mozarts Die Schuldigkeit des Ersten Gebots, und in die Koerner Hall in Toronto für eine Gala zum 100-jährigen Geburtstag von Leonard sowie Mozarts Große Messe mit dem Gewandhausorchester und Beethovens Neunte Sinfonie mit dem National Arts Centre Orchestra in Ottawa.

17
BIOGRAFIEN
20 BIOGRAFIEN

Orchester der Komischen Oper Berlin

Zur Komischen Oper Berlin gehört von Anbeginn das eigene Orchester: Die Erö nung des Hauses 1947 war auch die Geburtsstunde dieses neu gegründeten Klangkörpers, mit dem Walter Felsenstein seine Au assung von Musiktheater verwirklichen wollte.

Von Anfang an pro lierte sich das Orchester durch einen Konzertzyklus. Dirigenten wie Otto Klemperer, Václav Neumann, Robert Hanell und Kurt Masur prägten das Orchester dabei maßgeblich sowohl in Opernproduktionen als auch im Konzertbereich.

Zahlreiche Aufnahmen zeugen von der schon damals erreichten Ausstrahlung des Orchesters, die von späteren Generalmusikdirektoren wie Rolf Reuter, Yakov Kreizberg, Kirill Petrenko und Henrik Nánási noch intensiviert wurde. Viele bedeutende Gastdirigent:innen haben das künstlerische Spektrum erweitert, unter ihnen Rudolf Kempe, Hartmut Haenchen, Rudolf Barschai, Lothar Zagrosek, Fabio Luisi, Neville Marriner, Roger Norrington, Vladimir Jurowski, Simone Young und Dennis Russell Davies. Ein besonderes Gewicht wurde und wird auch der zeitgenössischen Musik beigemessen. So hat das Orchester der Komischen Oper Berlin viele Uraufführungen in Zusammenarbeit mit Komponisten wie Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Giuseppe Manzoni, Siegfried Matthus, Aribert Reimann, Krzysztof Penderecki, Hans Zender und Christian Jost erarbeitet. Auch die Liste international renommierter Gastsolist:innen aus dem In- und Ausland spiegelt die große Bandbreite musikalischer Stile und Genres in der Arbeit des Orchesters: Es sangen, musizierten und rezitierten gemeinsam mit dem Orchester so unterschiedliche Künstler:innen wie Rudolf Buchbinder, Gidon Kremer, Barbara Hendricks, Gabriela Montero, Maria Farantouri, Dominique Horwitz, Lars Vogt, Daniel Hope, Till Brönner und viele andere.

Das Repertoire spiegelt die ganze Vielfalt der Musikgeschichte wider: von Monteverdi über Händel und Mozart, die großen romantischen Komponist:innen des 19. Jahrhunderts bis hin zur frühen Moderne und dem Musikscha en unserer Zeit. In Kammerkonzerten in unterschiedlichsten Formationen setzen sich die Mitglieder des 112 Musiker:innen umfassenden Orchesters zudem für die Kammermusik ein. Einen wichtigen Schwerpunkt legt das Orchester der Komischen Oper Berlin auf Konzerte für Kinder und Jugendliche, die die pädagogische Verantwortung und den Wunsch unterstreichen, neue und junge Publikumsgenerationen für klassische Musik zu begeistern.

Ab der Spielzeit 2023/24 wird der US-amerikanische Dirigent James Ga gan neuer Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin.

19 ORCHESTER

IN A NUTSHELL

Art music and folk music have always had a great in uence on each other. On the one hand, many art songs have become folk songs, and on the other hand, European composers have been inspired by folk music in many eras – including the four composers of this evening.

Luciano Berio’s Folk Songs from 1964 (arranged in 1973) are a collection of folk songs from a number of di erent countries. The Italian composer arranged them in his own unique way for mezzo-soprano and orchestra, thus placing them in a new musical and social context and exploring the complex relationship between authorship, authenticity and historical consciousness.

Louis Andriessen pursues a clearly political goal in his piece Workers Union from 1975. Composed for a range of unspeci ed loud instruments, the work plays with strict speci cations on the one hand, and great freedom on the other, but above all demands absolute devotion from the musicians – just as in political work.

The African-American composer George Walker composed his 1946 work Lyric for Strings during his youth. In it, he dealt with the death of his beloved grandmother Malvina King, which is re ected in the emotional and lyrical nature of the music. Today, the short piece written solely for a string orchestra has become a standard work for US orchestras – and has almost become folk music itself.

Gustav Mahler’s Symphony No. 1, written in several stages at the end of the 19th century, draws from the sound of the folk music of his childhood as well as from many art songs he had previously composed himself. Between the sound of nature and a funeral march, a peasant dance and the canon, the Austrian composer thus creates a multilayered musical world full of contradictions and ruptures.

20 IN A NUTSHELL

La musique populaire et la musique dite savante se sont considérablement in uencé l’une et l’autre : si un grand nombre de chansons du répertoire de la musique savante est entré dans celui de la chanson populaire, beaucoup de compositeurs européens de toutes les époques se sont par ailleurs inspirés de la musique populaire. C’est le cas des quatre compositeurs de cette soirée.

Les Folk Songs composées par Luciano Berio en 1964 (et remaniées en 1973) constituent un recueil de chansons populaires des pays les plus divers. En les réécrivant à sa manière bien particulière pour orchestre et mezzosoprano, le compositeur italien les place dans un contexte musical et social nouveau, explorant la relation complexe entre l’auteurité, l’authenticité et la conscience historique.

Dans Worker’s Union, de 1975, Louis Andriessen poursuit un objectif politique clair. Composée pour trois instruments librement choisis mais retentissants, cette œuvre, qui répond à des prescriptions strictes tout en laissant une grande liberté, requiert cependant de la part des instrumentistes un dévouement absolu – exactement comme dans l’engagement politique.

Lyric for Strings, du compositeur afro-américain George Walker est une œuvre de jeunesse composée en 1946. Elle a pour sujet la mort de sa bienaimée grand-mère Malvina King, ce qui résonne dans le caractère émotionnel et lyrique de la musique. Cette courte pièce pour orchestre à cordes fait aujourd’hui partie des standards des orchestres américains US. Elle est pour ainsi dire devenue un classique de la musique populaire.

La Symphonie n° 1 de Gustav Mahler, créée en plusieurs étapes à la n du 19e siècle, puise dans le registre sonore de la musique populaire de son enfance comme un grand nombre des chansons qu’il avait lui-même composées. Entre les bruits de la nature et la marche funèbre, la danse paysanne et le canon, le compositeur autrichien crée un univers musical complexe plein de contradictions et de dissonances.

L’ESSENTIEL 21 L’ESSENTIEL

ÖZET BILGI

Sanat müziği ve halk müziğinin birbirleri üzerinde büyük bir etkisi vardır. Bir yandan birçok sanat şarkısı halk şarkısı haline gelirken, diğer yandan Avrupalı besteciler birçok çağda halk müziğinden ilham almışlardır – bu akşamki dört besteci de dahil.

Luciano Berio'nun 1964 tarihli Folk Songs'u (1973'te düzenlenmiştir) çeşitli ülkelerden halk şarkılarının bir derlemesidir. İtalyan besteci bunları mezzo-soprano ve orkestra için kendine özgü bir şekilde düzenlemiş, böylece yeni bir müzikal ve sosyal kontekste yerleştirmiş ve yazarlık, özgünlük ve tarihsel bilinç arasındaki karmaşık ilişkiyi incelemiştir.

Louis Andriessen 1975 tarihli Workers Union adlı eserinde açıkça politik bir amaç gütmektedir. Herhangi ancak yüksek sesli enstrümanlar için bestelenen eser, bir yandan katı kurallarla, diğer yandan büyük bir özgürlükle çalar, ancak her şeyden önce tıpkı politik çalışmalarda olduğu gibi oyunculardan mutlak bağlılık bekler.

Afro Amerikalı besteci George Walker, çok sevdiği büyükannesi Malvina King'in ölümünü işlediği gençlik eseri Lyric for Strings'i 1946'da besteledi ve müziğin duygusal ve lirik karakteri de bunu yansıtıyor. Günümüzde, saf yaylı çalgılar orkestrası için yazılmış bu kısa parça ABD orkestraları için standart bir eser haline gelmiş ve neredeyse halk müziğinin ta kendisi olmuştur.

xGustav Mahler'in 19. yüzyılın sonunda kademeli olarak yazdığı 1. senfonisi, kendi yazdığı birçok sanat şarkısının yanı sıra çocukluğunda dinlediği halk müziğinden de yararlanır. Avusturyalı besteci, doğa sesleri ile ölü marşı, köylü dansı ve kanon arasında çelişkiler ve kopuşlarla dolu çok katmanlı bir müzikal dünya yaratır.

ÖZET BILGI
22

CHROMATIK (griech. chroma = Farbe) Tonfolge von Halbtonschritten, die durch Erhöhung oder Erniedrigung der Stammtöne der diatonischen Grundskala entsteht.

CONCERTGEBOUW ist der Name des 1886 errichteten Konzerthauses Amsterdams und wohl das bekannteste Konzerthaus der Niederlande. Das berühmte Concertgebouw Orchester ndet hier seine Hauptwirkungsstätte.

DISSONANZ (lat. dis = unterschiedlich, auseinander und sonare = klingen) bezeichnet in der Musik Zusammenklänge (Intervalle), die nicht als wohlklingend wahrgenommen werden. Beispiele hierfür sind die Intervalle große Septime oder kleine Sekunde. In der westlichen traditionellen Musik (bis zur Entwicklung der Atonalität zu Beginn des 20. Jahrhunderts) werden Dissonanzen als »au ösungsbedürftig« empfunden, d. h. ihnen sollte eine Konsonanz folgen.

DYNAMIK (griech. = Kraft/Stärke) bezeichnet im Allgemeinen das An- und Abschwellen der Lautstärke und kann durch dynamische Angaben wie forte oder piano spezi ziert werden.

KONTRAPUNKT (lat. punctus contra punctum = »Note gegen Note«) ist die wichtigste Kompositionstechnik der Renaissance und des Barock. Der Kontrapunkt umspielt und begleitet das Thema als zweite Stimme. Davon ausgehend bezeichnet der Begri Kontrapunkt auch die Kunst bzw. Technik, Gegenstimmen zu gegebenen Tonfolgen zu er nden, die sowohl einen vertikalen (harmonischen) Zusammenklang ergeben als auch horizontallineare (melodische) Eigenständigkeit aufweisen.

METRUM (griech. = das Maß) bezeichnet das gleichmäßige Wiederkehren eines Schlages und die Anordnung von betonten und unbetonten Zählzeiten.

MINIMAL MUSIC dient als Sammelbegri für verschiedene Stile Neuer Musik, die sich ab den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelten. Ein besonderes Merkmal ist die andauernde Wiederholung kleiner musikalischer Zellen, die sich im Verlauf einer Komposition oftmals verdichten und in Tempo oder Faktur verändern.

23 GLOSSAR
Glossar

PASTORALE (ital. pastore = Hirte) werden Instrumentalstücke bezeichnet, die das Landleben in idyllischer, idealisierter Weise vertonen und dabei an Hirtenlieder angelehnt sind. Charakteristisch sind ein wiegender Rhythmus und durchgängige Melodiebegleitung durch Bordunbässe.

PATTERN (engl. = Muster, lat. patronus = Patron) beschreibt eine immer wiederkehrende harmonische oder rhythmische Struktur.

QUARTE (lat. quarta = die Vierte) bezeichnet ein Intervall, das vier Tonstufen bzw. fünf Halbtonschritte umfasst.

SPIRITUALS (engl. spiritual = geistlich) ist ein Gattungsbegri für geistliche Lieder, die im Zuge der Erweckungsbewegung im 18. und. 19 Jahrhundert in England und Nordamerika enstanden und die sich später in White Spirituals und Black Spirituals di erenzierten.

UNISONO (ital. = Einklang) Beim Unisono singen oder spielen alle Beteiligten eines Klangkörpers gemeinsam dieselbe Melodie, auch in verschiedenen Oktaven.

24 GLOSSAR

IMPRESSUM

Herausgeberin Komische Oper Berlin

Dramaturgie

Behrenstraße 55–57, 10117 Berlin

www.komische-oper-berlin.de

Intendanz Susanne Moser, Philip Bröking

Generalmusikdirektor James Ga gan (ab 2023/24)

Redaktion Johanna Wall

Layoutkonzept www.STUDIO.jetzt Berlin

Gestaltung Hanka Biebl

Druck Druckhaus Sport ieger

Quellen Der Text von Rebekka Meyer ist ein Originalbeitrag für dieses Heft. Übersetzungen von Saskya Jain (englisch), Anne-Marie Geyer (französisch) und Kemal Doğan (türkisch).

Bilder S. 4: Bauerntanz (um 1568), Pieter Bruegel der Ältere

S. 15: Neda Navaee

S. 16: Kathi Robertson

S. 18: Jan Windszus Photography

Redaktionsschluss 23 März 2O23

Änderungen vorbehalten

25 IMPRESSUM

SINFONIEKONZERT MIT »BANG!«

ZU NEUEN UFERN

Fr, 14. Okt 2022

Sinfoniekonzert mit Holly Hyun Choe und Marianna Bednarska

Vorschau

BAROCKE GEZEITEN

EBB’ UND FLUTH

TERMIN

Fr, 9. Dez 2022

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit Nadja Zwiener und Elina Albach

EIN SINFONISCHLITERARISCHER ABEND

JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN

TERMIN

Fr, 11. Nov 2022

Sinfoniekonzert mit Dirk Kaftan und Katharina Marie Schubert

DAS ETWAS ANDERE NEUJAHRSKONZERT!

FRANKENSTEIN!!

TERMIN

So, 1. Ja n 2023

18 Uhr

Sinfoniekonzert mit James Ga gan, Max Hopp und Nadja Mchantaf

SINFONISCHE MODERNE ZWISCHEN NEW YORK

TRANS-

ATLANTIC TERMIN

Fr, 24. Feb 2023

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit James Ga gan und John Chest

SINFONISCHE GESÄNGE VON MAHLER BIS ANDRIESSEN

TERMIN

Fr, 31. März 2023

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit Brandon Keith Brown und Wallis Giunta

SINFONISCHE SHAKESPEAREVERTONUNGEN

»SEIN ODER NICHTSEIN?«

TERMIN

Fr, 21. Apr 2023

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit Erina Yashima

28
20 Uhr
20 Uhr
TERMIN
VOLXMUSIK
VORSCHAU

Gemeinsam für Berlin

... kulturbegeistert.

Deshalb fördern wir Projekte aus Kunst und Kultur und tragen so dazu bei, dass Talente eine Bühne bekommen.

berliner-sparkasse.de/engagement
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.