Sinfoniekonzert: Jeder stirbt für sich allein I Komische Oper Berlin

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jeder Stirbt für sich allein

E I N S I N F O N I S C H-L I T E R A R I S C H E R A B E N D





inhalt DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN

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ÜBER LITERARISCHE UND SINFONISCHE ZEITZEICHEN

von Dr. Irene Lehmann BIOGRAFIEN

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In a nutshell

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L’essentiel en bref

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Kısaca en önemli bilgiler

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GLOSSAR

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IMPRESSUM

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F R E I TA G , 11. N O V E M B E R 2022, 20 U H R

EIN SINFONISCH-LITERARISCHER ABEND

jeder Stirbt für sich allein DIRIGENT

Dirk Kaftan S O L I S T: I N N E N

Katharina Marie Schubert, Sprecherin Gabriel Adorján, Violine Melinda Watzel, Violine


7 PROGRAMM

PROGRAMM Auszüge aus Hans Fal l adas Ro m a n Jed er stirb t für sic h allein M A U R I C I O K A G E L (1931–2 0 0 8) Ma r s ch 4 a us 10 Märsc h e um d en Sieg z u verfe h l e n Vorwort J O H A N N S E B A S T I A N B A C H (1685–17 50) La rg o, ma no n tan to aus Doppel konzert für zwe i Vi o li n en un d Orchester BWV 1043 Der Pl an MAURICIO KAGEL Ma r s ch 1 a us 10 Märsc h e um d en Sieg zu verfeh l e n Die Persickes F R A N Z L E H Á R (18 70–19 48 ) »Li p p en s chweigen« aus der Operette Die lust i g e Wi t w e Die Taufe FRANZ LEHÁR »Ba lls i ren en -Wal zer« aus der Operette Die lus t i g e Wi t w e Der einzige Anhänger MAURICIO KAGEL Ma r s ch 5 a us 10 Märsc h e um d en Sieg zu verfeh l e n Der Doktor JOHANN SEBASTIAN BACH La rg o, ma no n tan to aus Doppel konzert für zwei Vi o li nen und Orchester BWV 1043 Der Nutzen

Einführungsgespräch 45 min vor Beginn

PAV E L H A A S (1899–1944) Si n f o n i e I. Med itativo II. A llegro vivac e e risoluto en ergic o III. Misteriosamen te

im Foyer #KOBSiKo ca. 90 min (keine Pause)



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• Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein entstand 1946 und gilt als das erste Buch eines nicht-emigrierten Autors über Widerstand im Nationalsozialismus. Basierend auf dem Schicksal eines realen Ehepaares, das 1940 bis 1942 in Berlin Postkarten-Flugblätter gegen die NS-Diktatur ausgelegt hatte, erzählt Fallada die fiktionalisierte Geschichte von Otto und Anna Quangel. • Zu den Besonderheiten des Romans gehören zum einen die zeitliche Nähe zu den realen Ereignissen und zum anderen, dass Fallada den Blick nicht nur auf das Widerstands-Ehepaar Quangel wirft, sondern verschiedenste gesellschaftliche Figuren und Charaktere portraitiert. Somit entsteht fast ein panoptisches Bild*, in dem die Geschichte des Gestapo-Kommissars Escherich ebenso vorkommt wie das Schicksal der jüdischen Nachbarin und diverse Nebenstränge um weitere Figuren. • Die heute gelesenen Ausschnitte bilden einen Querschnitt dieser Facetten: Von der Keimzelle des Widerstandes, als sich die Quangels entschließen, Postkarten zu formulieren, über die stramm nationalsozialistisch gesinnte Nachbarsfamilie Persicke, über das zwiespältige Bild des Gestapo-Kommissars Escherichs, bis hin zu den letzten Gesprächen Otto Quangels mit seinem Zellengenossen in Haft. Die Texte werden gerahmt, kommentiert und gegenübergestellt mit Musik von Mauricio Kagel, Johann Sebastian Bach und Franz Lehár. • Die Sinfonie des tschechischen Komponisten Pavel Haas bildet das musikalische Pendant zu Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein: 1940/41 entstanden, bildet sie das Schicksal ihres jüdischen Urhebers in all seinen Facetten, seinem Schmerz und seinem widrigen, alltäglichen Umständen auf musikalische Weise ab. Haas konnte die Sinfonie nicht mehr beenden und wurde im November 1941 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Er starb 1944 in Auschwitz. Seine Musik ist heute zum ersten Mal auf der Bühne der Komischen Oper Berlin zu hören.

* Lost in translation? Mehr dazu im Glossar auf S. 28

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

Das wichtigste in Kürze


JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN

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Jeder stirbt für sich allein Über l i t e rari s c h e u n d s i nfo n i s c h e Zeitze i c h e n von Dr. Irene Lehmann

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eutschland im Nationalsozialismus ist und bleibt eine der vielbeschworenen »dunkelsten Zeiten« der Geschichte. Wie kaum eine andere Zeitspanne fällt es uns bis heute schwer, aller Zeitzeug:innen und historischer Quellen zum Trotz, die Abgründe und die Widersprüchlichkeit jener Jahre gemeinsam in einem Blick wahrnehmen zu können. Zu unfassbar sind die Themen, zu komplex scheinen die Verbrechen und Gräueltaten der NS-Diktatur, die unglaublichen Geschichten des Widerstandes, die Schrecken und Folgen eines mörderischen Krieges und der Alltag inmitten dieser Spannbreite. Mit Ausschnitten aus Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein, mit der Wiederentdeckung der Sinfonie des jüdisch-tschechischen Komponisten Pavel Haas und der Verschränkung von Texten und musikalischen Kommentaren macht der heutige Konzertabend genau diese Bandbreite auf und klanglich erfahrbar. EIN LITERARISCHES ZEITZEICHEN Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein entstand 1946 im ersten Nachkriegsjahr in Berlin und wurde 1947, kurz nach dem Tod des Autors, zunächst in gekürzter Fassung veröffentlicht. 2011 erschien erstmals eine ungekürzte deutsche Neuauflage des Texts und erweckte das Interesse an Falladas Schilderungen von neuem. Bis heute zog der Roman zahlreiche Verfilmungen, Hörspiel- und Bühnenfassungen nach sich. In Jeder stirbt für sich allein untersucht Fallada anhand des fiktionalisierten Ehepaares Anna und Otto Quangel Möglichkeiten und Motive, Widerstand zu leisten. So wenden sich Falladas Protagonist:innen aufgrund ihres an der Front gefallenen Sohnes vom Nationalsozialismus ab und stellen sich nach und nach dem System entgegen. Es gelingt den Quangels, sich unauffällig von ihren Ämtern in nationalsozialistischen Organisationen zurückzuziehen und in belebten Berliner Wohn- und Geschäftshäusern Postkarten auszulegen, die zum Umdenken und zum Widerstand aufrufen.


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MITGEHEN UND DAGEGEN GEHEN Auch die Werke Franz Lehárs finden sich in der Verschränkung mit Falladas Texten wieder. Lehár (1870–1948), eigentlich der »silbernen Operettenära« zugeordnet, hat sich im Nationalsozialismus in einer widersprüchlichen Rolle wiedergefunden: Als Person galt er aus nationalsozialistischer Sicht zunächst als »unzuverlässig«, weil er vor 1933 vor allem mit jüdischen Kollegen und Kolleginnen gearbeitet hatte und mit einer Jüdin verheiratet war, was ihn aus NS-Sicht natürlich angreifbar machte. Eine enge Freundschaft verband ihn mit den Operetten- und Sängerstars Richard Tauber und Fritzi Massary, Franz Lehár die nach der Machergreifung Hitlers Berufsverbot Die lustige Witwe erhielten. Während zahlreiche jüdische KünstUraufführung: 30. Dezember 1905 ler:innen verfemt und verfolgt wurden oder ins Exil flüchten mussten, wurde Lehárs Arbeit nur kurzzeitig boykottiert – und als wichtiger Garant Zum erst en Mal des unterhaltenden Musiktheaters durch Joseph an der Komischen Goebbels wieder auf die Spielpläne gesetzt. So Oper Berlin erfreute sich Die lustige Witwe (1905) weiterhin gespielt am zahlreichen Aufführungen. Adolf Hitler soll Lehárs 12. Januar 1986

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Fallada legt seinen Quangels den historisch verbürgten Fall des Berliner Ehepaares Otto und Elise Hampel zugrunde, das schließlich 1943 für das Auslegen von Postkarten hingerichtet wurde. Doch der Roman ist mehr als die Geschichte eines Widerstandes und ermöglicht Blicke auf ganz unterschiedliche Charaktere: Mitläufer:innen, spitzelnde Nazi-Nachbar:innen, der Gestapo-Kommissar Escherich, finstere SS-Schergen oder auch das Schicksal jüdischer Bekannter. Fallada gelingt dabei ein packender Roman, der von einer enorm klaustrophoben Atmosphäre gekennzeichnet ist, in der das Vertrauen in andere – selbst in den engsten sozialen Beziehungen – unmöglich geworden ist. Jede und jeder werden sich in einem Regime gegenseitig verdächtig, das auf Willkür, Angst und Terror aufgebaut ist. Die heute vorgetragenen Auszüge stellen exemplarisch Facetten des Romans vor: Angefangen von der Keimzelle des Widerstandes, als sich die Quangels dazu entschließen, Postkarten zu formulieren, erstrecken sich die Ausschnitte über die stramm nationalsozialistisch gesinnten Nachbarn Persicke, das zwiespältige Bild des Gestapo-Kommissars Escherichs, bis hin zu den letzten Gesprächen Otto Quangels in Haft. Die Auszüge aus Falladas 700-Seiten-Roman werden im heutigen »sinfonischliterarischen« Abend mit Werken von Johann Sebastian Bach, Franz Lehár und Mauricio Kagel verwoben. Jedes dieser Werke nimmt eine andere Position zu Falladas Text ein. Während Bachs Musik bereits im Text selbst erwähnt wird und etwa für Otto Quangel zum Ende seines Lebens von großer Bedeutung ist, wirken die 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen von 1979 ebenso wie der Text Falladas gezielt abschreckend gegen den Faschismus – obwohl Kagel die Musik erst 30 Jahre später komponierte.


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Musik und explizit dieses Werk verehrt haben. Die Inszenierung am Gärtnerplatztheater in München mit Johannes Heesters als Danilo soll er ganze sieben Mal besucht haben. Wenn nun Musik aus der Lustigen Witwe reibungsvoll menschenverachtenden Feierlichkeiten der Gestapo in Jeder stirbt für sich allein gegenüber gestellt wird, gilt es auch jener Widersprüchlichkeit und Ambivalenz nachzufühlen: Während Lehár 1934 seine Operette Giuditta Mussolini zur Widmung anbot, stürmten in Berlin SA-Gruppen eine Aufführung von Oscar Straus’ Eine Frau, die weiß, was sie will mit Lehárs Freundin Fritzi Massary, die bald darauf emigrierte. Das nach Kriegsende von Lehár selbst kolportierte Bild vom unpolitischen Künstler lässt sich zweifelsfrei nicht aufrechterhalten. Eine andere Funktion erfüllt die Musik des argentinischen Komponisten Mauricio Kagel (1931-2008) im heutigen Konzert. Schon allein durch den zeitlichen Abstand nehmen seine 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen (1979) eine kommentierende Haltung ein – auch wenn sie auf andere (wenn auch verwandte) historische Kontexte zielen. Kagel wuchs in einem äußerst multikulturellen Klima auf: dem Buenos Aires der 1930er-Jahre. In den Jahren zuvor flüchteten zahlreiche emigrierte jüdische und avantgardistische europäische Künstler:innen nach Argentinien. Ab den 1940er-Jahren wurde Argentinien unter Präsident Juan Perón von einer rechtspopulistischen, zunehmend repressiven Politik geprägt. Sie folgte dem bekannten Muster faschistischer Kulturpolitik, in dem die brutale Verfolgung und Ermordung oppositioneller Strömungen mit einem strahlenden Personenkult (vor allem um Ehefrau Evita Perón) überdeckt wurde. Während die konservativen und traditionalistisch ausgerichteten Zweige der Kultur gefördert und zur nationalen Identifikation eingesetzt wurden, verbannte man universalistische Strömungen. Kagel, der zunächst Theater- und Filmemacher war, wandte sich erst spät der Komposition zu, stand aber stets in Kontakt mit der nach Argentinien emigrierten europäischen Avantgarde und entwickelte so aus vielfältigen kulturellen Einflüssen seinen Zugang zu Musik Mauricio Kagel und Musiktheater. Durch ein DAAD-Stipendium 10 Märsche um den gelangte Kagel 1957 nach Köln, wo sich eines der in Sieg zu verfehlen dieser Zeit wenigen europäischen Studios für Komponiert: elektronische Musik befand. Auch nach Ende des 1978/79 Stipendiums blieb er in Europa, äußerte sich aber Uraufführung: 19. November 1979, lange nicht über die bedrückende Situation in Argentinien. Westdeutscher Seine Stücke wurden mit denjenigen Dieter Rundfunk (als Teil Schnebels zu einem enorm wichtigen Impuls für von Der Tribun) heutiges Musiktheater. Bekannt wurden sie als »Instrumentales Theater«, da sie sich mit den Heute zum ersten theatralen und gestischen Aspekten der Musik Mal mit dem Orauseinandersetzen und damit Sehen und Hören, chester der KomiKlang und Geste in eine neue Beziehung bringen. schen Oper Berlin


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» ICH BIN NEUGIERIG, WIE DAS AUSSIEHT« Eine deutlich größere zeitliche Distanz als Kagels Musik zu den Erzählungen aus dem Nationalsozialismus nimmt die Musik Johann Sebastian Bachs (1685–1750) an diesem Abend ein. Auch Bachs Musik hat eine vielfältige Rezeptionsgeschichte im Nationalsozialismus, doch in seiner Gegenüberstellung mit Falladas Roman nimmt der zweite Satz aus dem Doppelkonzert für zwei Violinen weder eine kommentierende, noch eine zeitgeschichtlich reibungsvolle Position ein. In seinen letzten Tagen entdeckt Otto Quangel, angetrieben durch seinen Johann Sebastian Zellengenossen, ein gewisses Interesse an Musik Bach und den »schönen Künsten«. Doch reflektiert Doppelkonzert für Quangel nicht nur seine bisher ausgebliebenen zwei Violinen und Berührungen mit Musik, sondern erkennt in Orchester BWV ihnen auch einen weitaus höheren Wert: »Wenn 1043 ich vor meinem Sterben noch einen Wunsch Komponiert und äußern dürfte, ich möchte Sie mal mit Ihrem Uraufführung: Stöckchen in so einem Symphoniekonzert sehen, wahrscheinlich wie Sie's nennen. Ich bin neugierig, wie das 1730/31 aussieht, und wie es auf mich wirken würde.« Und Zum erst en Mal mit so wird, ganz plastisch und ohne jede intellektuelle dem Orchester der Fallhöhe, das Konzert als Ort der Begegnung und der Wirkung auch ein Thema dieses Abends. Komischen Oper Zugleich schmiegt sich das Largo* aus dem Berlin gespielt am Doppelkonzert an den Beginn der Geschichte des 23. März 1951 Ehepaares Quangel: Wie die beiden einsamen Stimmen in ihrer Wohnung, zwischen Alltag und Einsamkeit, zu einer gemeinsamen Haltung finden, zu einer Stimme, mit der es zu sprechen gilt, so entspinnt sich auch Bachs Konzert zwischen den beiden Violinen. Obwohl es sich um einen langsamen Satz handelt, trägt die Musik keine Schwermut in sich, sondern eine große, erhabene Ernsthaftigkeit. Ganz wie Otto Quangels Zellengenosse Reichhardt ihm am Ende nochmal versichert: »So haben wir alle einzeln handeln müssen, und einzeln sind wir gefangen, und jeder wird für sich allein sterben müssen. Aber darum sind wir doch nicht allein, Quangel, darum sterben wir doch nicht umsonst. Umsonst geschieht nichts in dieser Welt, und da wir gegen die rohe Gewalt für das Recht kämpfen, werden wir am Schluss doch die Sieger sein.«

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Neben diesen ästhetischen Entwicklungen gilt Kagel zudem als jemand, der sehr radikal die Position der Kultur und Musik vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Frage stellt. Seine 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen etwa verkörpern eine eindeutig kritische Haltung gegenüber jeglichem autoritären Ansinnen und karikieren die Klischees traditioneller Marsch-* und Militärmusik.


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VERGESSENE REALITÄTEN Die Musik des jüdischen Komponisten Pavel Haas (1899–1944) schlägt den Bogen der Verzahnung Sinfonie von Hans Falladas fiktionalisierten Texten mit Komponiert: musikalischen Kommentaren hin zu einem 1940/41 vollständig realen Schicksal jener Zeit: Ein KünstUraufführung: ler der tschechischen Avantgarde, der auf dem 16. Mai 1998 in Zenit seines Schaffens ab 1941 im KonzentrationsWeimar lager Theresienstadt interniert war und schlussendlich in Auschwitz-Birkenau ermordet wurde. Heute zum ersten Er gehörte im »Kultur-Vorzeigelager« TheresienMal mit dem Orstadt zu einer Gruppe von Komponist:innen, die chester der Komiweiterarbeiteten und ihre Stücke mit anderen schen Oper Berlin inhaftierten Musiker:innen aufführen konnten. Zu ihnen gehörten neben anderen Gideon Klein, Hans Krása, Siegmund Schul und Viktor Ullmann. Obwohl diese Künstler:innen ihre musikalischen Stile vor ihrer Inhaftierung entwickelt hatten, lässt sich ihre Musik kaum unabhängig von diesem Schicksal denken. Pavel Haas absolvierte seine musikalische Ausbildung bei Jan Kunc und Leoš Janáček. Weitere Bezugspunkte waren Kompositionen von Igor Strawinsky, Darius Milhaud, Arthur Honegger oder Francis Poulenc, die in seiner Heimatstadt Brünn regelmäßig zur Aufführung kamen. Haas’ frühe Stücke sind von einer großen Vielfalt von Genres und Stilen geprägt, die eine ausgesprochene Beweglichkeit und Ausdruckskraft zeigen. Durch seinen Bruder, den Schauspieler und Regisseur Hugo Haas, kam er mit der Theaterwelt in Berührung und schrieb in den 1920er-Jahren Bühnen- und Filmmusiken. So entstand unter anderem Musik zu Karel Čapeks futuristisch-satirischem Stück R.U.R. Die Kontakte zur tschechischen linken Theateravantgarde, zu der Gruppen wie Dada-Theater (Divadlo Dada), Befreites Theater (Osvobozené Divadlo), oder die interdisziplinäre Gruppe Devětsil gehörten, beeinflussten ohne Zweifel Haas’ Ästhetik, sein dramatisches Verständnis und seine Zuneigung zu satirisch-grotesken Momenten, die seine Musik prägen. Im April 1938, wenige Monate vor Eskalation der Sudetenkrise, wurde schließlich Haas erfolgreiche Oper Šarlatán (Der Scharlatan) in Brünn uraufgeführt. Der Protagonist des Stücks, der fahrende Jahrmarkt-Arzt Doktor Pustrpalk, weckt Assoziationen an archetypischen Figuren wie Don Giovanni, Faust oder Don Quixote, nimmt aber auch diktatorische Züge an, die als Kritik an den Nazis gelesen werden könnte. Haas selbst beschreibt die Oper als »musikalische Tragikomödie«, »mit allen Arten von Stimmungen, vom Grotesken bis zum Tragischen« – die damalige Kritik attestierte einen »kühnen harmonischen Stil«. Musikalisch steht Haas’ Komponieren in einer Linie der Avantgarde, die sich einerseits mit volksliedhaften Elementen und andererseits mit neuen harmonischen Strukturen auseinandersetzte, um Alternativen zur Pavel Haas


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MUSIKALISCHE ZEITZEICHEN Pavel Haas Sinfonie entstand 1940 während die Tschechoslowakei unter deutschem Protektorat stand, aber noch vor seiner Deportation nach Theresienstadt. Zwar hat die Sinfonie kein explizites Programm*, doch lassen alle Fakten rund um die Entstehung darauf schließen, dass Haas die Zerrissenheit seiner Zeit vollumfänglich in dieser Musik verarbeitete. In ihrer Schizophrenie und ihrem Versuch, eine verschobene Realität zu beschreiben, sind Falladas Roman und Haas Musik sich ähnlich. Während bei Fallada fast panoptisch Widerstand, Konformität und Gestapo-Verfolgung aufeinandertreffen, finden sich solche Gegensätze und explizite Verweise auf die Situation von Pavel Haas in seiner Partitur. Haas erlebte den Anfang des Jahres 1940 als »schwere, sehr schwere Zeit«. Mit der Besatzung der Tschechoslowakei war ihm klar, dass auch sein persönliches Schicksal davon geprägt sein würde. Möglichkeiten einer Ausreise, etwa als Professor in den Iran auszuwandern, scheiterten. Um seine russische Frau vor einer möglichen Verfolgung zu beschützen – denn anders als Haas war ihre nicht-arische Herkunft nicht öffentlich bekannt und nachweisbar –, trennten sich die beiden im April 1940. Seine Frau konnte so weiterhin als Ärztin arbeiten, Haas aber verlor wie erwartet seine Arbeit, als das jüdische Gymnasium geschlossen wurde. Nachdem Pavel Haas durch den Auszug aus der gemeinsamen Wohnung auch kein Klavier mehr besaß, wurde das Komponieren für ihn immer schwieriger. Seine Sinfonie, als Mahnmal seiner letzten Monate in Freiheit, seiner letzten Momente in einem Alltag unter widrigsten Umständen, sollte unvollendet in Brünn zurückbleiben. Schon wenige Monate zuvor hatte Haas all den Schmerz jener Tage in seine Suite für Oboe und Klavier gegossen, eine Komposition an die die Sinfonie als große Form nahtlos anschließt. In beiden Werken etwa spielt der Sankt-Wenzels-Choral als eines der ältesten geistlichen Lieder Tschechiens eine tiefgehende Rolle: Haas-Biograf Lubomír Peduzzi stellt dazu fest, dass der Heilige Wenzel von Böhmen eine progressiv patriotische Bedeutung

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»wohltemperierten« Harmonik und dem gewohnten tonalen System weiterzuentwickeln. Hierfür wurden nicht nur etwa durch Komponisten wie Béla Bartók musikethnographische Studien vertieft, sondern auch auf alte Kirchentonarten oder die Traditionen der Synagogenmusik zurückgegriffen. Diese zeichnen sich besonders durch ihre mikrotonalen* Strukturen aus, die noch für heutiges zeitgenössisches Komponieren inspirierend sind. Für die musikalische Linie von Haas, die ihn auch mit seinem Lehrer Janáček verbindet, ist außerdem charakteristisch, dass rhythmische Elemente ausgesprochen klar hervorgehoben werden und eine Komplexität oft durch polyrhythmische* Strukturen entsteht. Alle diese Elemente – die schnell wechselnden harmonischen Strukturen, die Polyrhythmik sowie die dramatischen Effekte, die Haas dadurch erzielen konnte – lassen sich an seiner heute erklingenden Sinfonie nachvollziehen.


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zu jener Zeit hatte. Und so taucht sowohl in der Suite als auch im ersten Satz Meditativo seiner Sinfonie die Melodik des Chorals als eine Art Hoffnungsschimmer im klangmalerischen Kampf zwischen Schatten und Licht auf. In der Innigkeit jenes Satzes meint man vor dem Hintergrund des Alltags des jüdischen Komponisten den Rückzug ins private und persönliche fast bildlich herauszuhören. Im zweiten Satz werden durch Trommeln und Piccoloflöten herannahende Soldaten evoziert – die Nähe zu den real einmarschierten deutschen Soldaten ist kaum von der Hand zu weisen. Der militärische Ausdruck wird jedoch dissonant gebrochen, ganz ähnlich wie später Kagel der Marschmusik das »Sieg verfehlen« beibringt. Dennoch ist der Musik eine Bedrohlichkeit kaum abzusprechen. Schließlich ist eine ebenfalls ins Groteske verzerrte parodistische Verballhornung des Horst-Wessel-Lieds, der Parteihymne der NSDAP, zu hören. Bei Haas klingt es fast so, als würde der SA-Trupp singend an der Konzerthaustüre vorbeiziehen. Ein Moment, in dem abstrakte Musik und realistische Höreindrücke des Komponisten auch heute erschreckend nah beieinanderliegen. Erst langsam werden Motive aus Chopins Trauermarsch aufgegriffen, bis schließlich alles erstarrt und zerfließt. Der dritte Satz wurde mit starken Bezügen auf hebräische Motive und den Sankt-Wenzels-Choral als Triumph der Humanität angelegt, ist aber nach Haas’ Deportation nur als rohe Skizze zurückgeblieben. In den 1990er-Jahren wurde die fehlende Instrumentation der Sinfonie durch Zdenĕk Zouhar ergänzt, sowie der Torso des dritten Satzes vervollständigt. Gerade in ihrer Unfertigkeit, ohne den vollendeten »Triumph« als Schlusspunkt, bleibt Haas Sinfonie ein besonderes Zeitzeichen, das musikalisch die dramatischen Umstände ebenso plastisch umreißt wie auch Falladas Roman wenige Jahre später.



BIOGRAFIEN

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Dirk Kaftan Dirk Kaftan ist seit Sommer 2007 Generalmusikdirektor des Beethoven Orchesters Bonn und der Oper Bonn. In der Spielzeit 2022/23 dirigiert er neben zahlreichen Konzerten Kurt Weills Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und Franz Schrekers Oper Der singende Teufel. Im Konzertbereich führt er erfolgreiche Reihen fort und freut sich u. a. auf die musikalischen Gäste Julia Fischer, Sunnyi Melles, Moor Mother, Selina Ott, Daniel Müller-Schott und auf ein Wiedersehen mit Matthias Brandt. Für das Beethoven-Jubiläumsjahr war er Initiator und Motor für eine ganze Reihe von Projekten wie den Beethoven Lounges, Hofkapelle und Beethoven Moves!, die sich mit dem großen Bonner Sohn beschäftigten. Während der CoronaPandemie entwickelte er neue Konzertformate wie Beethoven Pur, in denen die Sinfonien von Ludwig van Beethoven in kammermusikalischer Besetzung aufgeführt werden konnten. Dirk Kaftans Repertoire ist breit und reicht von stürmisch gefeierten Beethoven-Sinfonien bis zu Luigi Nonos Intolleranza 1960, von der Lustigen Witwe bis zu interkulturellen Projekten. Dirk Kaftan ist an großen Häusern gern gesehener Gast, zuletzt u. a. beim Bruckner Orchester Linz, beim Ensemble Modern und mit einem vielbeachteten Tristan und Isolde an der Staatsoper Hannover. Er brachte Produktionen an der Volksoper in Wien und an der Königlichen Oper in Kopenhagen heraus und dirigierte in Berlin und Dresden. Bei den Bregenzer Festspielen leitete er 2016 Miroslav Srnkas Make No Noise und 2021 Nero von Arrigo Boito. Bei aller Freude an der Gastiertätigkeit steht für Dirk Kaftan immer die Arbeit im eigenen Haus im Mittelpunkt, in der Ensemblepflege, aber auch in der Auseinandersetzung mit Chor und Orchester. Diese aus der Kapellmeistertradition erwachsende Berufsauffassung hat ihn seit seinen ersten Stellen begleitet, aber auch bei seiner Tätigkeit als Generalmusikdirektor in Augsburg und Graz. Seine Arbeit wird von Publikum und Kritik gleichermaßen geschätzt. 2019 erschien Beethovens Egmont, die erste CD-Produktion mit dem Beethoven Orchester Bonn, die von der Kritik begeistert aufgenommen und 2020 mit dem OPUS KLASSIK ausgezeichnet wurde. Weitere CDs unter Dirk Kaftans Leitung sind mit den Augsburger Philharmonikern, dem Grazer Philharmonischen Orchester und dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien entstanden.



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Katharina Marie Schubert wuchs in Braunschweig auf und absolvierte 1999 ihr Schauspielstudium am Max Reinhardt Seminar in Wien. Daraufhin folgten Gastengagements am Burgtheater Wien. Von 2001 bis 2008 gehörte sie zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. Von 2012 bis 2014 war sie Ensemblemitglied des Deutschen Theaters Berlin. Neben ihrer Arbeit am Theater ist sie in Film und Fernsehen aktiv und ist u. a. in Friedliche Zeiten von Neele Leana Vollmar, Shoppen von Ralf Westhoff, Ob ihr wollt oder nicht! von Ben Verbong und Mein Leben im Off von Oliver Haffner zu erleben. Für ihre Rolle in Ein Geschenk der Götter wurde sie für den Deutschen Filmpreis nominiert und gewann den bayerischen Fimpreis als beste Darstellerin. Sie arbeitete unter der Regie von Andreas Kriegenburg, Stefan Pucher, Sebastian Nübling, Jossi Wieler, Johan Simons, René Pollesch, Alvis Hermanis und Thomas Ostermeier. Katharina Marie Schubert war Sängerin der Band The Kapulikaupunki Broken Heart Orchestra, einer Formation von Schauspielern der Münchner Kammerspiele, sie spielt Klavier und Akkordeon. 2022 gab sie mit Das Mädchen mit den goldenen Händen ihr vielbeachtetes Debüt als Filmregisseurin.

BIOGRAFIEN

Katharina Marie Schubert


BIOGRAFIEN

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Gabriel Adorján Gabriel Adorján stammt aus einer Münchener Musikerfamilie und erhielt seinen ersten Violinunterricht im Alter von vier Jahren. Er studierte bei Ana Chumachenco, Aaron Rosand sowie Igor Ozim und ist Preisträger vieler internationaler Wettbewerbe, darunter derARD-Wettbewerb und der Paganini-Wettbewerb. Als Solist spielte er u. a. mit den Münchner Symphonikern, dem Berner Symphonieorchester, der Deutschen Staatsphiharmonie RheinlandPfalz und dem Orchester der Komischen Oper Berlin unter Dirigenten wie Kirill Petrenko, Theodor Guschlbauer und Markus Poschner. Gabriel Adorján konzertiert als Mitglied des Zürcher Klaviertrios sowie in verschiedenen anderen kammermusikalischen Besetzungen im In- und Ausland. Als Konzertmeister der Bayerischen Kammerphilharmonie gestaltet er seit vielen Jahren das Augsburger Musikleben mit. Seit 2001 lebt Gabriel Adorján in Berlin, ist 1. Konzertmeister im Orchester der Komischen Oper Berlin und seit 2008 Künstlerischer Leiter des Deutschen Kammerorchesters Berlin. Als gefragter Gast-Konzertmeister spielt er häufig in Orchestern wie dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, der Staatskapelle Dresden und dem Bayerischen Staatsorchester.

Melinda Watzel Melinda Watzel, geboren in Melbourne, begann mit acht Jahren Violine zu spielen. Nachdem sie in Australien zahlreiche Preise gewonnen hatte, studierte sie am Konservatorium Klagenfurt und der Hochschule für Musik und Tanz Köln, wo sie Schülerin von Igor Ozim war. 1995 wurde sie Akademistin der Berliner Philharmoniker. Melinda Watzel ist heute Mitglied mehrerer Kammermusik-Ensembles wie dem Polyphonia Ensemble Berlin, dem Deutschen Kammerorchester Berlin und dem Ensemble Kom. Außerdem spielt sie als Gastviolinistin regelmäßig mit vielen europäischen Spitzenorchestern wie dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin, dem RundfunkSinfonieorchester Berlin und der Staatskapelle Berlin. Seit 2002 ist Melinda Watzel Mitglied des Orchesters der Komischen Oper Berlin. Seit Dezember 2009 ist sie die Stimmführerin der 2. Violinen.


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Zur Komischen Oper Berlin gehört von Anbeginn das eigene Orchester: Die Eröffnung des Hauses 1947 war auch die Geburtsstunde dieses neu gegründeten Klangkörpers, mit dem Walter Felsenstein seine Auffassung von Musiktheater verwirklichen wollte. Von Anfang an profilierte sich das Orchester durch einen Konzertzyklus. Dirigenten wie Otto Klemperer, Václav Neumann, Robert Hanell und Kurt Masur prägten das Orchester dabei maßgeblich sowohl in Opernproduktionen als auch im Konzertbereich. Zahlreiche Aufnahmen zeugen von der schon damals erreichten Ausstrahlung des Orchesters, die von späteren Generalmusikdirektoren wie Rolf Reuter, Yakov Kreizberg, Kirill Petrenko und Henrik Nánási noch intensiviert wurde. Viele bedeutende Gastdirigent:innen haben das künstlerische Spektrum erweitert, unter ihnen Rudolf Kempe, Hartmut Haenchen, Rudolf Barschai, Lothar Zagrosek, Fabio Luisi, Neville Marriner, Roger Norrington, Vladimir Jurowski, Simone Young und Dennis Russell Davies. Ein besonderes Gewicht wurde und wird auch der zeitgenössischen Musik beigemessen. So hat das Orchester der Komischen Oper Berlin viele Uraufführungen in Zusammenarbeit mit Komponisten wie Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Giuseppe Manzoni, Siegfried Matthus, Aribert Reimann, Krzysztof Penderecki, Hans Zender und Christian Jost erarbeitet. Auch die Liste international renommierter Gastsolist:innen aus dem In- und Ausland spiegelt die große Bandbreite musikalischer Stile und Genres in der Arbeit des Orchesters: Es sangen, musizierten und rezitierten gemeinsam mit dem Orchester so unterschiedliche Künstler:innen wie Rudolf Buchbinder, Gidon Kremer, Barbara Hendricks, Gabriela Montero, Maria Farantouri, Dominique Horwitz, Lars Vogt, Daniel Hope, Till Brönner und viele andere. Das Repertoire spiegelt die ganze Vielfalt der Musikgeschichte wider: von Monteverdi über Händel und Mozart, die großen romantischen Komponist:innen des 19. Jahrhunderts bis hin zur frühen Moderne und dem Musikschaffen unserer Zeit. In Kammerkonzerten in unterschiedlichsten Formationen setzen sich die Mitglieder des 112 Musiker:innen umfassenden Orchesters zudem für die Kammermusik ein. Einen wichtigen Schwerpunkt legt das Orchester der Komischen Oper Berlin auf Konzerte für Kinder und Jugendliche, die die pädagogische Verantwortung und den Wunsch unterstreichen, neue und junge Publikumsgenerationen für klassische Musik zu begeistern. Ab der Spielzeit 2023/24 wird der US-amerikanische Dirigent James Gaffigan neuer Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin.

ORCHESTER

Orchester der Komischen Oper Berlin


IN A NUTSHELL

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IN A NUTSHELL • Hans Fallada’s novel Every Man Dies Alone was written in 1946 and is known as the first book by a non-émigré writer about resistance under National Socialism. Based on the fate of a real-life couple who had distributed postcard leaflets against the Nazi dictatorship in Berlin from 1940 to 1942, Fallada tells the fictionalized story of Otto and Anna Quangel. • What makes the novel special is, on the one hand, its temporal proximity to real events and, on the other, the fact that Fallada not only focuses on the Quangels and their resistance efforts, but also portrays a wide variety of social figures and characters. Thus, an almost panoptic canvas is created, which depicts the story of the Gestapo Commissar Escherich as well as the fate of the Jewish neighbor and various subplots around other characters. • The excerpts read today form a cross-section of these facets: from how the idea of resistance germinates when the Quangels decide to compose postcards, to the rigidly Nazi-minded neighboring family Persicke, to the ambivalent image of Gestapo Commissioner Escherich, to the last conversations of Otto Quangel with his cellmate in prison. The music by Mauricio Kagel, Johann Sebastian Bach and Franz Lehár frames, comments on and is juxtaposed with the texts. • The symphony of the Czech composer Pavel Haas forms the musical counterpart to Hans Fallada’s novel Every Man Dies Alone: created in 1940/41, it musically depicts the fate of its Jewish composer in all its facets, its pain and its adverse everyday circumstances. Haas was unable to finish the symphony and was deported to the Theresienstadt concentration camp in November 1941. He died in Auschwitz in 1944. Today’s performance marks the first time that his music is heard on the stage of the Komische Oper Berlin.


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• Le roman de Hans Fallada Jeder stirbt für sich allein, paru en 1946, et édité en français sous le titre Seul dans Berlin, reste considéré jusqu’à ce jour comme le premier livre sur la résistance au national-socialisme d’un auteur non-exilé. Dans sa fiction, basée sur l’histoire vraie d’un couple berlinois qui avait diffusé des cartes postales-tracts contre la dictature nazie entre 1940 et 1942, Fallada raconte l’histoire d’Otto et Anna Quangel. • Les particularités de ce roman sont la proximité temporelle aux événements réels d’une part, de l’autre l’intérêt porté par Fallada non seulement au couple de résistants Quangel, mais à d’autres personnages et caractères sociaux variés, dont il détaille les portraits. Il en résulte une sorte de tableau panoptique où se mêlent l’histoire du commissaire de la Gestapo Escherich, la destinée d’une jeune voisine juive et des récits autour d’autres figures. • Les passages lus aujourd’hui composent un échantillon de ces différentes facettes : depuis la décision des Quangel de rédiger des cartes postales, point de départ de la résistance, en passant par les Persicke, une famille de voisins sympathisants résolus des nazis, et le portrait ambivalent du commissaire de la Gestapo, Escherich, jusqu’aux derniers entretiens d’Otto Quangel avec son compagnon de cellule en prison. Les textes sont encadrés, commentés et confrontés à la musique de Mauricio Kagel, Johann Sébastian Bach et Franz Lehár. • La Symphonie du compositeur tchèque Pavel Haas tient lieu de pendant musical au roman de Hans Fallada Jeder stirbt für sich allein : créée en 1940/41, elle illustre musicalement la destinée de son auteur juif dans tous ses aspects, ses souffrances et ses effroyables conditions de vie. Haas ne put terminer sa symphonie. Déporté au camp de concentration de Theresienstadt en novembre 1941, il décède à Auschwitz en 1944. Sa musique est aujourd’hui jouée pour la première fois sur la scène du Komische Oper Berlin.

L’ E S S E N T I E L E N B R E F

L’ESSENTIEL EN BREF


KISACA EN ÖNEMLI BILGILER

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KISACA EN ÖNEMLI BILGILER • Hans Fallada’nın Jeder stirbt für sich allein (Herkes Tek Başına Ölür) adlı romanı 1946 yılında yazılmıştır ve göçmen olmayan bir yazarın Nasyonal Sosyalizm altındaki direnişi konu alan ilk kitabı olarak kabul edilmektedir. 1940-1942 yılları arasında Berlin’de Nazi diktatörlüğüne karşı kartpostallar dağıtan gerçek hayattaki bir çiftin kaderine dayanan Fallada, Otto ve Anna Quangel’in kurgulanmış hikayesini anlatıyor. • Romanın özellikleri arasında bir yandan gerçek olaylara yakınlığı, diğer yandan da Fallada’nın sadece direnişçi Quangel çiftine odaklanmakla kalmayıp çok çeşitli toplumsal figür ve karakterleri resmetmesi yer alıyor. Böylece neredeyse Gestapo Komiseri Escherich’in hikayesinin yanı sıra Yahudi komşunun ve diğer çeşitli karakterlerin kaderinin de yer aldığı panoptik bir resim yaratılıyor. • Bugün okunan bölümler bu yönlerin bir çapraz kesitini oluşturuyor: Quangel'lerin kartpostallar oluşturmaya karar verdikleri direniş çekirdeğinden, katı Nasyonal Sosyalist komşu aile Persicke’ye, Gestapo Komiseri Escherich’in çelişik imajına ve Otto Quangel’in hapishanedeki hücre arkadaşıyla yaptığı son konuşmalara kadar. Metinler Mauricio Kagel, Johann Sebastian Bach ve Franz Lehár’ın müzikleriyle çerçevelenmiş, yorumlanmış ve yan yana getirilmiştir. • Çek besteci Pavel Haas’ın senfonisi, Hans Fallada’nın Jeder stirbt für sich allein (Herkes Tek Başına Ölür) adlı romanının müzikal karşılığıdır: 1940/41 yıllarında yazılan senfoni, Yahudi yazarının kaderini tüm yönleriyle, acısını ve olumsuz gündelik koşullarını müzikal olarak tasvir eder. Haas senfoniyi bitiremedi ve Kasım 1941’de Theresienstadt toplama kampına sürüldü. 1944’te Auschwitz’de öldü. Müziği bugün ilk kez Komische Oper Berlin sahnesinde sunulacak.


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LARGO (ital. = breit) musikalische Vortragsanweisung, die ein eher ruhiges, »breites« Tempo meint MARSCH (frz. marche, von ital. marciare = hämmernd schreiten) bezeichnet ein Musikstück, dessen Zweck darin besteht, die Bewegung einer größeren Menschenmenge zu begleiten und beim Marschieren zu regeln. MIKROTONAL Kompositionstechnik, die von Tonhöhenabständen (Intervallen) geprägt wird, die kleiner als ein Halbtonabstand (also z. B. f – fis) sind. PANOPTISCH (von griech. pān = »alles« und optikó = »zum Sehen gehörend«) Ein Panopticon ist ein von dem britischen Philosophen Jeremy Bentham stammendes Konzept zum Bau von Gefängnissen und ähnlichen Anstalten, aber auch von Fabriken, das die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen durch einen einzelnen Überwacher ermöglicht. Die Ableitung »Panoptisch« meint daher, dass alles gleichzeitig sichtbar ist. POLYRHYTHMIK (griech. polys = viel) die Gleichzeitigkeit verschiedener gegeneinandergestellter Rhythmen innerhalb eines mehrstimmigen Satzes. Bezeichnet die Überlagerung von verschiedenen Rhythmen, wobei die Rhythmen nicht zwangsläufig einem gemeinsamen Metrum oder einer Taktart folgen müssen. PROGRAMMMUSIK Ein im 19. Jh. entwickeltes Konzept der Instrumentalmusik, bei welchem der Musik Inhalte aus dem außermusikalischen Bereich als »Programme« zugrunde gelegt werden.

GLOSSAR

Glossar


IMPRESSUM

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IMPRESSUM Herausgeberin

Komische Oper Berlin Dramaturgie Behrenstraße 55–57, 10117 Berlin www.komische-oper-berlin.de

Intendanz Generalmusikdirektor

Susanne Moser, Philip Bröking James Gaffigan (ab 2023/24)

Redaktion Layoutkonzept Gestaltung Druck

Maximilian Hagemeyer, Katie Campbell www.STUDIO.jetzt Berlin Hanka Biebl Druckhaus Sportflieger

Quellen

Der Text von Dr. Irene Lehmann ist ein Originalbeitrag für das Heft. Übersetzungen von Saskya Jain (englisch), Monique Rival (französisch) und Kemal Doğan (türkisch).

Bilder

S. 8: Helga Wolfenstein King, Quartett, 1944 S. 17: Felix Nussbaum, Le réfugié, 1939 S. 19: Irène Zandel S. 20: Jeanne Degraa /photoselection Die Inhaber:innen der Bildrechte konnten leider nicht in allen Fällen kontaktiert werden. Wir bitten sie, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.

Redaktionsschluss

3. November 2O22 Änderungen vorbehalten


KONTRAFAGOTT

U N S E R E B E I D E N FA G OT T I S T: I N N E N Y U -T U N G S H I H U N D M A R I O KO P F © J A N W I N D S Z U S P H OTO G R A P H Y

Das Zanken und Zerren um das einzig vorhandene Kontrafagott in unserem Hause hat nun endlich ein Ende gefunden: Dank der großzügigen Unterstützung des Förderkreises der Komischen Oper Berlin konnte ein zusätzliches wunderbares Instrument der Firma Püchner erworben werden. An dieser Stelle gilt allen Spendern unser größter Dank! Wir sind glücklich und dankbar, dass die Firma Püchner uns in sehr kurzer Zeit ein so tolles Kontrafagott liefern konnte! Im heutigen Sinfoniekonzert können Sie, verehrtes Publikum, dieses besondere Instrument erleben!


30 VORSCHAU

Vorschau SINFONIEKONZERT MIT »BANG!«

BAROCKE GEZEITEN

ZU NEUEN UFERN

EBB’ UND FLUTH

TERMIN

TERMIN

Fr, 14. Okt 2022

Fr, 9. Dez 2022

20 Uhr

20 Uhr

SINFONISCHE MODERNE ZWISCHEN NEW YORK

TRANSATL ANTIC TERMIN Fr, 24. Feb 2023

Sinfoniekonzert mit Holly Hyun Choe und Marianna Bednarska

Sinfoniekonzert mit Nadja Zwiener und Elina Albach

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit James Gaffigan und Tom Erik Lie

EIN SINFONISCH-

SINFONISCHE SHAKESPEARE-

LITERARISCHER ABEND

VERTONUNGEN

JEDER STIRBT FÜR SICH AL LEIN

»SEIN ODER NICHTSEIN?«

TERMIN

Fr, 21. Apr 2023

TERMIN Fr, 11. Nov 2022

20 Uhr

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit Erina Yashima

Sinfoniekonzert mit Dirk Kaftan und Katharina Marie Schubert

DAS ETWAS ANDERE NEUJAHRSKONZERT!

FRANKENSTEIN!! TERMIN So, 1. Jan 2023

SINFONISCHE GESÄNGE VON MAHLER BIS ANDRIESSEN

VOL XMUSIK TERMIN

18 Uhr

Sinfoniekonzert mit James Gaffigan, Max Hopp und Nadja Mchantaf

Fr, 31. Mai 2023

20 Uhr

Sinfoniekonzert mit Brandon Keith Brown und Wallis Giunta


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