Sinfoniekonzert 6: Xian Zhang und Sergei Nakariakov I Komische Oper Berlin

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Sinfoniekonzert 6



FR, 18. MÄRZ 2O22, 2O UHR

Sinfoniekonzert 6 Xian Zhang und Sergei Nakariakov DIRIGENTIN: XIAN ZHANG SOLIST: SERGEI NAK ARIAKOV, TROMPETE ES SPIELT DAS ORCHESTER DER KOMISCHEN OPER BERLIN PROGRAMM

Ferdinand Ries (1784 – 1838) Ouvertüre zu Schillers Trauerspiel Die Braut von Messina op. 162 Johann Nepomuk Hummel (1778 – 1837) Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur Allegro con spirito Andante Allegro. Rondò PAUSE

Robert Schumann (1810 – 1856) Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 Frühlingssymphonie Andante un poco maestoso – Allegro molto vivace Larghetto Scherzo. Molto vivace Allegro animato e grazioso EINFÜHRUNG UM 19:15 UHR IM FOYER


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Die Werke in Kürze Ferdinand Ries: Ouvertüre zu Schillers Trauerspiel Die Braut von Messina op. 162

Zwei Brüder, verliebt in ihre (ihnen unbekannte) Schwester: Das kann nur böse enden. Ferdinand Ries kondensierte 1829 die schicksalhaften Verwicklungen in Schillers Tragödie Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder in einer klangsatten Orchesterouvertüre und schuf damit ein »effektvolles Orchesterstück«, wie der Komponist ohne Übertreibung feststellte. In atemloser Abfolge begegnen sich hier düsteres Todesahnen, zartes Liebesglück und blanke Aggression mit fatalen Folgen – schönste Schauerromantik, garantiert ohne Happy End. Johann Nepomuk Hummel: Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur

Als der Trompeter Anton Weidinger Ende des 18. Jahrhunderts die Naturtrompete erstmals mit einer Klappentechnik so aufrüstete, dass sie auch chromatische Töne produzieren konnte, war dies der Beginn eines neuen, glanzvollen Kapitels für die Trompete als Soloinstrument. Im Auftrag von Weidinger komponierte Johann Nepomuk Hummel ein Konzert, das den neuen Ausdrucksmöglichkeiten eine Bühne bot – und die Trompete, die zuvor hauptsächlich auf herrschaftliche Fanfaren abonniert war, aufs Schönste singen lässt. Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 Frühlingssymphonie

In nur vier Tagen skizzierte Robert Schumann im Januar 1841 seine erste Sinfonie. Diese Frühlingssymphonie, die »in feuriger Stunde geboren« wurde, ist nicht nur eine Reverenz an den Frühling mit seiner Aufbruchsstimmung, wenn es »überall zu grüneln anfängt«, so Schumann. In ihrem kraftvollen und lebensbejahenden Überschwang scheint sie auch Ausdruck von Robert und Clara Schumanns Liebesglück zu sein, das – trotz des Widerstands durch Claras Vater – kurz vor der Komposition endlich durch eine Heirat besiegelt worden war.

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Im Bann des Schicksals Zu Ferdinand Ries’ Ouvertüre zu Schillers Trauerspiel Die Braut von Messina op. �6�

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erdinand Ries, der 1784 in Bonn in eine Musikerfamilie geboren wurde, führte ein rastloses Leben, wie es viele seiner Zeitgenossen mit musikalischen Ambitionen taten: München, Wien, später auch Paris, dann wieder Wien, gefolgt von Russland und London waren die prägenden Karrierestationen, bis er gegen Ende seines Lebens in Frankfurt am Main sesshaft wurde. Als junger Mann erhielt er Kompositionsunterricht, zumindest sporadisch, von Johann Georg Albrechtsberger und war mit Ludwig van Beethoven gut bekannt, bei dem er in Wien zeitweilig Klavierstunden nahm. Für Beethoven fungierte Ries auch als eine Art »Sekretär« und fertige für ihn handschriftliche Kopien seiner Noten an, kümmerte sich um die Korrespondenz mit seinen Verlegern und erledigte in Wien Botengänge. Als Ries später die Leitung des Niederrheinischen Musikfestes übernahm, nutzte er dies auch, um sich dort für Beethovens Werke einzusetzen. Diese Musikfeste leitete Ries bis 1837 insgesamt sieben Mal: Sie wurden auch Anlass und Bühne für einige seiner eigenen Kompositionen – wie die opulente Konzertouvertüre, die Ries 1829 zu Friedrich Schillers Trauerspiel Die Braut von Messina oder Ferdinand Ries: Ouvertüre zu Die feindlichen Brüder (1802-03) verfasste. Er selbst chaSchillers Trauerspiel Die Braut von Messina op. 162 rakterisierte sie als ein »effektvolles Orchesterstück« Komponiert: 1829 und übertrieb damit nicht. Als die Ouvertüre am Uraufführung am 30. Mai 1830 30. Mai 1830 in Düsseldorf im Rahmen des Niederin Düsseldorf rheinischen Musikfestes uraufgeführt wurde, war das Heute zum ersten Mal mit dem Publikum so begeistert, dass das Stück am nächsten Orchester der Komischen Oper Tag noch einmal auf das Programm gesetzt wurde. Berlin

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Ries Männermangel in Messina

Schillers komplexe Tragödie spielt im mittelalterlichen Sizilien: Zwei Brüder sind nach dem Tod ihres Vaters zerstritten. In der Hoffnung, die Brüder wieder miteinander zu versöhnen, beschließt ihre Mutter, die Fürstin von Messina, den beiden ihre bis dahin unbekannte Schwester Beatrice vorzustellen. Die Fürstin hatte das Baby nach der Geburt in einem Kloster versteckt, weil ihrem Mann in einem Traum Beatrice als Mörderin ihrer Brüder offenbart worden war und er das Baby daher hatte töten lassen wollen. Die Mutter dagegen hatte im Traum die Vision, dass die Tochter ihre Söhne später in Liebe vereinen würde. Tatsächlich versöhnen sich die Brüder, vermeintlich unabhängig von Beatrice. Denn beide sind milde gestimmt, weil sie sich jeweils in eine unbekannte Fremde verliebt haben – die, so will es natürlich das Tragödienschicksal, Beatrice ist, die auf eigene Faust das Kloster verlassen hatte. Als schließlich nach und nach die ganzen Dimensionen dieser fatalen Verwechslung offenbart werden, ersticht der eine Bruder in Eifersucht zunächst den anderen, danach in Scham und Reue sich selbst. Voilà: Die böse Vision des verstorbenen Vaters hat sich doch noch erfüllt und das Fürstentum in Messina steht ohne männliche Erben vor dem Untergang. Ries machte aus diesem blutigen Sujet ein Klangfarbendrama der »Schauerromantik«, wie sie seit Ende des 18. Jahrhunderts vor allem in Literatur und Kunst zelebriert wurde. Die Faszination am menschlichen Wahnsinn, am Irrationalen und »Bösen«, aber auch eine zartbittere Melancholie und Todessehnsucht flossen in diese Werke ein. Und so wirft sich auch Ries’ oft dunkel schwelende Konzertouvertüre lustvoll in die Extreme, hat keine Scheu vor Pathos und abrupten Gegensätzen und kontrastiert etwa unheilvoll dröhnende Schicksalsfanfaren mit verträumten Arien-Passagen. Ein Rezensent der Musikzeitschrift »Cecilia« beschrieb nach der Uraufführung der Ouvertüre deren Verlauf poetisch mit: »Machtvoll und düster beginnt es, wie Gewitternähe. Aus der Todesahndung steigt eine Liebesstimme himmelan, welche Kampf und Streit bald auf die verworrene Erde zurückreißen. Nach dieser schweren Trübe bricht wiederum ein leichter Morgen des Entschlusses, der Tatkraft an, der jedoch mehr und mehr sich bewölkt, bis am Schlusse grausiger Kampf die Grundfesten der Erde erbeben macht, die Toten sich regen in ihren Grüften, und ein Schreckensruf der Vernichtung, Brudermord und Hass, titanisch den Himmel stürmt.« Das Sujet von Schillers Tragödie hat im Übrigen auch einen Komponisten zur künstlerischen Verarbeitung in einer Ouvertüre inspiriert, bei dem man eine Faszination für diese Art des Grauens wohl weniger erwartet hätte: Robert Schumann verfasste mit seiner Ouvertüre op. 100 im Jahr 1850 seine ganz persönliche Version dieser Horrorgeschichte aus lange vergangenen Zeiten. Anna Vogt 5


Mit Klappen, Glanz und Gloria Zu Johann Nepomuk Hummels Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur

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rfindungen machen erfinderisch: Als der Trompeter Anton Weidinger (1766–1852) Ende des 18. Jahrhunderts die Klappentrompete entwickelte, wurden die Komponisten hellhörig. Denn mit der neuen Technik erschlossen sich für das Trompeten-Repertoire vollkommen neue Möglichkeiten. Schon länger hatte es Versuche gegeben, die Naturtöne der Trompete um chromatische Töne zu erweitern, etwa durch spezielle Stopftechniken. Der Klappenmechanismus von Weidinger sorgte nun dafür, dass durch das Drücken der Klappen und einer damit ausgelösten Veränderung der Luftsäule im Instrument die komplette chromatische Skala möglich wurde. Die Entwicklung war revolutionär, auch wenn Mendelssohn in einem Brief 1831 bemängelte, dass ihm der Klang der Klappentrompeten »wie eine hübsche Frau mit einem Bart oder wie ein Mann mit einem Busen« vorkomme, und schlussfolgert: »Sie hat eben einmal die chromatischen Töne nicht und nun klingt’s wie ein Trompetenkastrat, so matt und unnatürlich.« Diese klanglichen Defizite wurden später durch die Entwicklung der Ventiltrompete behoben, zu der der findige Anton Weidinger ebenfalls Wesentliches beitrug und auf der heute in der Regel musiziert wird. Johann Nepomuk Hummel: Weidinger war nicht nur ein Entdeckergeist, Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur sondern auch ein versierter Geschäftsmann. Um seine Komponiert: 1803 Neuentwicklung der Klappentrompete bekannt zu Uraufführung am machen und ihre neuen technischen Errungenschaften 1. Januar 1804 in Wien ins Rampenlicht zu rücken, vergab er Aufträge an namHeute zum ersten Mal mit dem hafte Komponisten. So entstand bereits 1796 zunächst Orchester der Komischen Oper Joseph Haydns Trompetenkonzert, eine Art Initialwerk Berlin 6


Hummel der modernen Trompetenliteratur. Sieben Jahre später folgte der Auftrag an Johann Nepomuk Hummel für ein Trompetenkonzert, das heute ebenfalls fest zum Repertoire gehört. Hummel war gut vernetzt und sehr anerkannt in Wiener Musikkreisen: Er war ein ehemaliger Klavierschüler von Wolfgang Amadeus Mozart und hatte zudem Kompositionsunterricht bei Johann Georg Albrechtsberger und Antonio Salieri bekommen, und auch mit Beethoven war er eng bekannt. Anfang des 19. Jahrhunderts war Hummel – in der Nachfolge von Joseph Haydn – Konzertmeister und später auch Hofkapellmeister am Hof des Fürsten Esterházy. Im Epizentrum der musikalischen Entwicklungen

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o wirkte Hummel in Wien Anfang des 19. Jahrhunderts in einem kulturellen Epizentrum, in dem die klassische Musik sich an der Schwelle zur Frühromantik vorsichtig neue Freiheiten und Ausdrucksdimensionen eroberte. Wie sehr sein Wirken von dieser inspirierenden und lebhaften musikalischen Umgebung beeinflusst war, erkennt man in einer Reihe von musikalischen Anspielungen, die Hummels erstes und einziges Trompetenkonzert durchziehen: Das Hauptthema des Kopfsatzes scheint mit seinen auffälligen Oktavsprüngen und dem charakteristischen Rhythmus dem Beginn aus Mozarts Haffner-Sinfonie KV 385 nachempfunden. Im langsamen Satz fühlt man sich dagegen an den Mittelsatz aus Mozarts Klavierkonzert C-Dur KV 467 erinnert, und der marschartige Teil, der als ein Couplet das abschließende Rondo ziert, ist ein Zitat aus Luigi Cherubinis Opéra comique Les deux journées (Der Wasserträger), die 1802 im Theater an der Wien und im Kärntnertortheater für Aufsehen gesorgt hatte. Vor allem aber ist Hummels Konzert eine Feier der neuen Ausdrucksdimensionen. Es ist ursprünglich für eine Trompete mit fünf Klappen und Grundton E geschrieben, wird heute aber meist auf der modernen Trompete und in der für diese gängigeren Tonart Es-Dur musiziert. Durch die neue Klappentechnik und die damit verbundene Möglichkeit der Chromatik konnte die Trompete sich als Melodieinstrument beweisen – und dies auch in tiefer Lage. Die typische fanfarenartige Dreiklangsmotivik, die man bis dahin mit der Trompete assoziierte, findet sich zwar auch stellenweise noch in Hummels Konzert, doch wird sie hier kunstvoll mit Trillern und anderen Verzierungen ausgeschmückt und zudem durch ariose Abschnitte der Trompete kontrastiert. So präsentiert sich das Instrument mit einer für damalige Zeiten ungewohnt lyrischen und innigen Seite, insbesondere im langsamen Satz.

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Hummel Die klassische Harmonik wird in diesem Konzert durch alterierte Akkorde, Modulationen und tonartliche Ausweichungen immer wieder lustvoll aus den gewohnten Bahnen geworfen. Zudem befreite sich Hummel von der Strenge der klassischen Themendisposition, wie man sie von Haydn oder Beethoven kennt, und nutzte etwa die Sonatensatzform im ersten Satz nur noch als grobes Schema und nicht als Selbstverpflichtung. Er spickte sein Konzert stattdessen mit immer neuen musikalischen Ideen, die zum Teil nur vorgestellt, nicht aber konsequent verarbeitet werden. Am eindrücklichsten zeigt sich diese neue Freiheit im ersten Satz, wenn die Trompete nach einer ausgedehnten Orchester-Einleitung ein insgesamt 18-taktiges Hauptthema präsentiert, das mit langem Atem die neu gewonnenen Möglichkeiten der Solotrompete feiert. So wurde, nachdem die Trompete ihre erste Blütezeit in der Barockmusik erlebt hatte, wo sie als klingendes Symbol des Göttlichen, aber auch der herrschenden Macht galt, mit Weidingers technischen Entwicklungen und den beiden Trompetenkonzerten von Haydn und Hummel ein neues und nicht minder glanzvolles Kapitel für die Anna Vogt Trompete eingeläutet.

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Hummel

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Aufbruchsstimmung Zu Robert Schumanns Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 Frühlingssymphonie

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ährend in Ferdinand Ries’ Konzertouvertüre die dunklen und destruktiven Kräfte im Zentrum einer romantisierenden Auseinandersetzung stehen, finden in Robert Schumanns Frühlingssymphonie freudvolle Empfindungen und Assoziationen ihren Widerhall. Der Dichter und Philosoph Novalis beschrieb einst sehr treffend ein Grundprinzip der Romantiker: »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.« Wohl kaum einer verkörperte diese Idee so bedingungslos wie Robert Schumann. Der sensible Komponist schöpfte aus der Fülle des Daseins die Inspiration für seine Werke. Er selbst nannte diesen Prozess lieber »Poetisieren« als »Romantisieren« und betonte damit die bedeutende Rolle des schöpferischen Geistes. Wie sehr Welt, Wort und Klang für ihn eins waren, schrieb er Clara in einem Brief im Jahr 1838, drei Jahre vor der Komposition seiner ersten Sinfonie: »Über alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann aber durch die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will.« Und so ist es vielleicht nicht zu spekulativ, wenn man in Schumanns erster Sinfonie nicht nur die Faszination der unbändigen Kraft des Frühlings erkennen mag, sondern auch autobiografische Bezüge: Nach schwerwiegenden Konflikten mit Claras Vater, der gegen eine Heirat war, hatte das Paar im Robert Schumann: Sinfonie Nr. 1 Sommer 1840 eine gemeinsame Wohnung in Leipzig B-Dur op. 38 Frühlingssymphonie Komponiert: 1841 bezogen und die Hochzeit schließlich gerichtlich Uraufführung: erstritten, die im September 1840 gefeiert wurde. Clara 31. März 1841 in Leipzig war bereits schwanger, als Robert ein halbes Jahr später Vom Orchester der Komischen die Frühlingssymphonie wie im Schaffensrausch niederOper Berlin erstmals gespielt am schrieb. Innerhalb von nur vier Tagen skizzierte er das 27. März 1959 Dirigent: Meinhard von Zallinger umfangreiche Werk und vermerkte am 26. Januar 1841 in 10


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Du Geist der Wolke, trüb und feucht, Was hast Du all mein Glück verscheucht, Was rufst Du Tränen ins Gesicht Und Schatten in der Seele Licht? O wende, wende Deinen Lauf Im Tale blüht der Frühling auf! Adolf Böttger, Frühlingsgedicht (Auszug)

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Schumann seinem Haushaltsbuch: »Juchhe! Symphonie fertig!« Die Instrumentierung war nach vier weiteren Wochen abgeschlossen. Lange hatte er sinfonische Pläne mit sich getragen, doch immer wieder gezögert, auch in Anbetracht der schier unmöglichen Aufgabe, nach Beethoven in dieser Königsdisziplin der Kompositionen noch Neues, Wegweisendes zu erschaffen. Nun aber war seine Erste »in feuriger Stunde geboren«, so Schumann. Der Komponist widmete die Sinfonie dem sächsischen König, wohl in der Hoffnung, seine Chancen auf eine Kapellmeisterposition in Dresden zu erhöhen, die er allerdings nie erhalten sollte. Die Uraufführung am 31. März 1841 mit dem Gewandhausorchester dirigierte Schumanns Freund Felix Mendelssohn Bartholdy. Die Sinfonie kam gut an, und Schumann notierte in sein Tagebuch: »Schöner glücklicher Abend«. »… wie es überall zu grüneln anfängt«

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einem Komponistenkollegen Louis Spohr vertraute Schumann später an: »Ich schrieb die Sinfonie, wenn ich sagen darf, in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter mitreißt und in jedem Jahr von neuem überfällt. Schildern, malen wollte ich nicht.« Aber auch wenn Schumann sich mit seiner letzten Bemerkung bewusst von der Idee einer Programmsinfonie distanzierte, so spielte er doch versiert mit einigen außermusikalischen Zutaten. Denn abgesehen vom Titel Frühlingssymphonie, der eine deutliche Hör- bzw. Lesart dieses Werkes vorgibt, und den ursprünglichen Satztiteln »Frühlingsbeginn – Abend – Frohe Gespielen – Voller Frühling«, die Schumann für den Druck allerdings wieder strich, stellte er ihr auch eine Art Motto voran. Es handelt sich dabei um zwei Gedichtzeilen, mit denen der Dichter Adolf Böttger sein »Frühlingsgedicht« enden ließ: »O wende, wende Deinen Lauf, – Im Tale blüht der Frühling auf!« Im Unisono-Rhythmus zu Beginn der Sinfonie sind diese Zeilen nachgebildet und bilden in vielerlei Hinsicht den poetischen und musikalischen Puls dieser Komposition. Für seine erste Sinfonie ließ sich Schumann von seinen großen sinfonischen Vorbildern Beethoven, Schubert und Berlioz inspirieren – und fand letztlich doch seinen ganz eigenen Weg im Schnittbereich von absoluter und programmatischer Musik. Er hatte Schuberts »Große C-Dur-Sinfonie« wenige Jahre zuvor selbst in einem Nachlass in Wien entdeckt und die Uraufführung initiiert, die Mendelssohn 1839 in Leipzig dirigierte. Für den knapp 30-jährigen Schumann war diese Musik ein Erweckungserlebnis, wie er Clara nach einer Probe für die Uraufführung schrieb: »Das sind Menschenstimmen, alle 12


Schumann Instrumente, und geistreich über die Maßen, und diese Instrumentation trotz Beethoven – diese Länge, diese himmlische Länge, wie ein Roman in vier Bänden, länger als die 9te Symphonie. Ich war ganz glücklich […].« Vermutlich hat Schumann aus Schuberts Großer Sinfonie die Idee übernommen, seine Sinfonie mit einem charakteristischen Motto beginnen zu lassen, das im Verlauf des Werkes immer wieder auftaucht. Dieses Frühlings-Motiv mit seinem prägnanten und kraftvollen Rhythmus wird Ausgangspunkt für ein Spiel mit musikalischen Identitäten: Einmal passt es sich dem Kontext an, dann wieder wirft es sich lustvoll und sperrig in rhythmische Widerstände. »Gleich den ersten Trompeteneinsatz«, schrieb Schumann über dieses Motto, »möcht’ ich, dass er wie aus der Höhe klänge, wie ein Ruf zum Erwachen – in das Folgende könnte ich dann hineinlegen, wie es überall zu grüneln anfängt, wohl gar ein Schmetterling aufsteigt, wie nach und nach alles zusammenkommt, was zum Frühling etwa gehört«. Das ruhigere Seitenthema bringt einen Hauch von Melancholie mit sich. Mit einem choralhaften Einschub wird im Epilog die sanfte Atmosphäre des zweiten Satzes schon vorweggenommen, bevor der Kopfsatz in triumphaler Emphase endet. Ein friedliches, weit ausschweifendes Thema bestimmt den lyrischen Duktus dieses anschließenden Larghettos, bevor die Posaunen schließlich – wiederum als Choral – den Übergang zum Scherzo markieren. Dieser dritte Satz lässt die Szenerie eines Volkstanzes entstehen, auch wenn Schumann immer wieder mit synkopischen Wendungen Stolperfallen in den schreitenden Tanz einbaut. Zwei charakterlich sehr unterschiedliche Trios erweitern das Panorama dieser ländlichen Szene um intimere Nebenschauplätze – als ob sich kleine Grüppchen kurzzeitig vom Fest entfernt hätten. Das gut gelaunte Finale schließlich wird von rhythmischer Kraft stetig vorangetrieben. Nur ein kleines, aber kunstvolles Flötensolo lässt die Musik einen Moment innehalten: Hier wird ein Lied ohne Worte angestimmt, wie es ganz ähnlich jedes Jahr aufs Neue die vielen frühlingstrunkenen Vögel Anna Vogt zelebrieren.

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Künstlerbiografien Xian Zhang

Als eine der führenden Dirigentinnen unserer Zeit ist Xian Zhang weltweit mit renommierten Orchestern zu hören. Sie erhielt ihre Ausbildung in Peking am Central Conservatory of Music und gab am Central Opera House dort im Alter von 20 Jahren ihr Debüt. Nach kurzzeitiger Lehrtätigkeit am Konservatorium in Peking zog sie in die USA, wo sie 2002 erstmals am Dirigierpult des New York Philharmonic Orchestra stand. Von 2009 bis 2016 leitete sie das Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi als Chefdirigentin und ist heute Ehrendirigentin desselben Klangkörpers. Derzeit leitet sie als Chefdirigentin das New Jersey Symphony Orchestra und ist Erste Gastdirigentin des BBC National Orchestra & Chorus of Wales sowie des Melbourne Symphony Orchestra. Als Gast konzertierte Xian Zhang mit Orchestern wie dem Royal Philharmonic Orchestra, Netherlands Radio Philharmonic at the Concertgebouw, Orchestre Philharmonique de Radio France, Orchestre National de Lyon, Orchestre Symphonique de Montréal, MDR Sinfonieorchester Leipzig und der Los Angeles Philharmonic. In ihrer Heimat China tritt die Dirigentin regelmäßig mit dem NCPA Orchestra, China Philharmonic und dem Guangzhou Symphony Orchestra auf. Neben dem Konzertsaal ist sie auch im Orchestergraben eine gefragte Künstlerin. So dirigierte sie unter anderem an der Welsh National Opera, Den Norske Opera sowie der English National Opera. Xian Zhang engagiert sich fortlaufend für chinesische Komponist*innen und dirigiert weltweit Werke von Chen Yi, Qigang Chen und anderen. Außerdem spielt die Ausbildung junger Musiker*innen eine wichtige Rolle für die Dirigentin: Von 2010 bis 2015 war sie die künstlerische Leiterin des Nationalen Jugendorchesters der Niederlande und wirkte als Dirigentin des Orchestra Giovanile Italiana und des European Union Youth Orchestra.

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Künstlerbiografien Sergei Nakariakov

Gefeiert als »Paganini an der Trompete« gilt der in Russland geborene Israeli Sergei Nakariakov als Ausnahmemusiker und gehört zu den führenden Trompetenvirtuosen der Gegenwart. Als Kind erhielt er zunächst Klavierunterricht, wandte sich im Alter von neun Jahren aber intensiv dem Trompetenspiel zu. Auf besondere Weise von seinem Vater gefördert – der zahlreiche bekannte Konzerte speziell für Trompete transkribierte und Sergei Nakariakov so den Zugang zu einem breiten Repertoire ermöglichte – erhielt der junge Musiker schnell internationale Aufmerksamkeit. Bereits Anfang der 1990er Jahre debütierte Sergei Nakariakov bei den Salzburger Festspielen, gastierte beim SchleswigHolstein Musik Festival, wo ihm der Prix Davidoff verliehen wurde, und wurde 2002 mit dem »Echo« Klassik-Preis als Instrumentalist des Jahres ausgezeichnet. Seither ist Sergei Nakariakov mit einer breiten Palette an renommierten Dirigent*innen und im Zusammenspiel mit Weltklasse-Solist*innen aufgetreten. Zu den Highlights gehören seine Konzerte mit Vladimir Ashkenazy, Yuri Bashmet, Jiří Bělohlávek, Andrey Boreyko, Christoph Eschenbach, Dmitrij Kitajenko, Emmanuel Krivine, Jesús López Cobos, Sir Neville Marriner, Kent Nagano, Dimitri Sitkovetsky, Saulius Sondeckis, Vladimir Spivakov, Xian Zhang und Jaap van Zweden. Außerdem teilte er die Bühne mit Evgeny Kissin, Tatjana Nikolayeva und Martha Argerich. Eine enge Künstlerfreundschaft verbindet ihn mit dem Jazztrompeter Till Brönner, mit dem er 2013 die erfolgreiche Premiere des Projekts Brönner und Nakariakov beim Schleswig-Holstein Musik Festival feierte. Die Diskographie Sergei Nakariakovs umfasst die berühmtesten Trompetenkonzerte und Solowerke sowie die Bearbeitungen weiterer Instrumentalkonzerte, die er unter anderem mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn sowie dem Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Vladimir Ashkenazy einspielte. Zuletzt erschien das Album Widmung, einer Zusammenarbeit mit der Pianistin Maria Meerovitch auf dem Sergei Nakariakov an Trompete und Flügelhorn zu hören ist. Sergei Nakariakov verpflichtet sich neben dem klassischen Trompetenrepertoire zunehmend auch der zeitgenössischen Trompetenmusik. Eigens für ihn komponierte Jörg Widman das Trompetenkonzert Ad Absurdum, das Sergei Nakariakov 2006 mit dem Münchner Kammerorchester unter der Leitung von Christoph Poppen zur Uraufführung brachte. Ein weiteres Konzert schrieb Peter Ruzicka für den Trompeter, das 2018 unter Leitung des Komponisten und mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seine Weltpremiere feierte.

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Orchester Orchester der Komischen Oper Berlin

Zur Komischen Oper Berlin gehört von Anbeginn das eigene Orchester: Die Eröffnung des Hauses 1947 war auch die Geburtsstunde dieses neu gegründeten Klangkörpers, mit dem Walter Felsenstein seine Auffassung von Musiktheater verwirklichen wollte. Von Anfang an profilierte sich das Orchester durch einen Konzertzyklus. Dirigenten wie Otto Klemperer, Václav Neumann, Robert Hanell und Kurt Masur prägten das Orchester dabei maß­geblich sowohl in Opernproduktionen als auch im Konzertbereich. Zahlreiche Aufnahmen zeugen von der schon damals erreichten Ausstrahlung des Orchesters, die von späteren General­musikdirektoren wie Rolf Reuter, Yakov Kreizberg, Kirill Petrenko und Henrik Nánási noch intensiviert wurde. Viele bedeutende Gastdirigent*innen haben das künstlerische Spektrum erweitert, unter ihnen Rudolf Kempe, Hartmut Haenchen, Rudolf Barschai, Lothar Zagrosek, Fabio Luisi, Sir Neville Marriner, Sir Roger Norrington, Vladimir Jurowski, Simone Young und Dennis Russell Davies. Ein besonderes Gewicht wurde und wird auch der zeitgenössischen Musik beigemessen. So hat das Orchester der Komischen Oper Berlin viele Uraufführungen in Zusammenarbeit mit Komponisten wie Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Giuseppe Manzoni, Siegfried Matthus, Aribert Reimann, Krzysztof Penderecki, Hans Zender und Christian Jost erarbeitet. Auch die Liste international renommierter Gastsolisten aus dem In- und Ausland spiegelt die große Bandbreite musikalischer Stile und Genres in der Arbeit des Orchesters: Es sangen, musizierten und rezitierten gemeinsam mit dem Orchester so unterschiedliche Künstler*innen wie Rudolf Buchbinder, Gidon Kremer, Barbara Hendricks, Gabriela Montero, Maria Farantouri, Dominique Horwitz, Lars Vogt, Daniel Hope, Till Brönner und viele andere. Das Repertoire spiegelt die ganze Vielfalt der Musikgeschichte wider: von Monteverdi über Händel und Mozart, die großen romantischen Komponisten des 19. Jahrhunderts bis hin zur frühen Moderne und dem Musikschaffen unserer Zeit. In Kammerkonzerten in unterschiedlichsten Formationen setzen sich die Mitglieder des 112 Musiker umfassenden Orchesters zudem für die Kammermusik ein. Einen wichtigen Schwerpunkt legt das Orchester der Komischen Oper Berlin auf Konzerte für Kinder und Jugendliche, die die pädagogische Verantwortung und den Wunsch unterstreichen, neue und junge Publikumsgenerationen für klassische Musik zu begeistern. Seit der Spielzeit 2018/19 leitet der Lette Ainārs Rubiķis als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin das Orchester.

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Kolumnentitel

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Glossar C h r o m a t i k (von griech. chroma = Farbe) ist eine Tonfolge von Halbtonschritten, die durch Erhöhung oder Erniedrigung der Stammtöne der diatonischen Grundskala entsteht. C o u p l e t ist ein witzig-satirisches Lied mit mehreren Strophen, die alle im selben markanten Refrain enden, sehr häufig verwendet in der Operette oder dem Vaudeville. D r e i k l a n g ist ein Akkord, der sich aus drei Tönen zusammensetzt. Die einfachste Form eines Dreiklanges ist die Schichtung von zwei Terzen. Die Anordnung der beiden Terzen entscheidet über das Tongeschlecht des Akkords. Ein Dreiklang kann sich auch aus anderen Intervallen zusammensetzten, sodass die verschiedensten Akkorde entstehen können. Ko p f s a t z ist der erste Teil einer mehrteiligen Komposition (Sinfonie, Sonate, Konzert) die überwiegend in Sonatenhauptsatzform steht. Er ist der thematisch reichste Satz und stellt zwei oder mehr musikalische Themen, das Haupt- sowie das Seiten-Thema, vor. Bei mehrsätzigen Werken bildet der Schlusssatz meist das Gegenstück zum Kopfsatz. M o d u l a t i o n (von lat. modulatio = Maß, das Melodische, Rhythmische) bezeichnet in der Musik den sich aufbauenden Übergang von einer Tonart in eine andere Tonart. N a t u r t ö n e sind die Töne, die bei Blasinstrumenten erzeugt werden können ohne, dass ein Ventil oder eine Klappe gedrückt wird. Durch verschiedene Anblasarten können unterschiedliche Töne gespielt werden. Die Gesamtheit dieser Töne wird Naturtonreihe genannt. Wenn ein Ventil oder eine Klappe heruntergedrückt wird, verlängert oder verkürzt sich die Luftsäule und ein, der zuvor gespielten Naturtonreihe nicht angehöriger Ton erklingt. O k t a v s p r u n g bezeichnet einen Sprung aufwärts oder abwärts, der einen Tonumfang von acht Tönen einer Tonleiter umfasst. Die Besonderheit bei einer Oktave besteht darin, dass der Ausgangston derselbe ist wie der Endton, der jedoch acht Töne tiefer oder höher erklingt. Ro n d o ist eine seit dem 17. Jahrhundert bestehende musikalische Form, bei der sich ein gleichbleibender Formteil mit verschiedenen anderen Teilen abwechselt. Ein Rondo kann als eigenständige Komposition oder als Formprinzip eines größeren Werks erklingen. S o n a t e n h a u p t s a t z f o r m (auch Sonatensatz oder Sonatensatzform) ist ein Begriff der musikalischen Formenlehre und bezeichnet seit dem 18. Jahrhundert den Aufbau des meist ersten Satzes einer mehrstimmigen Großkomposition. Auf eine vorangestellte Einleitung folgen Exposition der Themen, Durchführung mit Themenvariation, Reprise als Wiederholung des Beginns und eventuell Coda als Steigerung und Schluss. Die Sonatensatzform wurde der musikalische Regelfall der Wiener Klassik. S y n k o p e ist ein musikalisches Gestaltungsmittel, welches das Betonungsschema eines Taktes aufbricht, indem es eigentlich unbetonte Schläge betont und damit rhythmische Spannung erzeugt. U n i s o n o (ital. = Einklang) beim unisono singen oder spielen alle Beteiligten eines Klangkörpers gemeinsam dieselbe Melodie.

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Herausgeber

Intendant Generalmusikdirektor Geschäftsf. Direktorin Redaktion Layoutkonzept Gestaltung Druck Quellen Texte Bilder Seite 2 Seite 9 Seite 14 Seite 15 Seite 17

Komische Oper Berlin Dramaturgie Behrenstraße 55–57, 10117 Berlin www.komische-oper-berlin.de

Barrie Kosky Ainārs Rubiķis Susanne Moser Katie Campbell State – Design Consultancy Hanka Biebl Druckhaus Sportflieger

Die Texte von Anna Vogt sind Originalbeiträge. Caspar David Friedrich (1774 – 1840): Frau am Fenster, 1818–1822. Öl auf Leinwand, Alte Nationalgalerie Berlin Claude Monet (1840 – 1926): Frühling in Giverny, 1890. Öl auf Leinwand, Clark Art Institute, Massachusetts

Benjamin Ealovega Thierry Cohen Jan Windszus Photography

Die Inhaber der Bildrechte konnten leider nicht in allen Fällen kontaktiert werden. Wir bitten sie, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.

Redaktionsschluss

11. März 2O22 Änderungen vorbehalten


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Komische Oper Berlin

Spielzeit 2O21/22 www.komische-oper-berlin.de


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