Sinfoniekonzert 5: Axel Kober und Daniel Müller-Schott I Komische Oper Berlin

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Sinfoniekonzert 5



FR, 18. FEBRUAR 2O22, 2O UHR

Sinfoniekonzert 5 Axel Kober und Daniel Müller-Schott DIRIGENT: A XEL KOBER SOLIST: DANIEL MÜLLER-SCHOT T, VIOLONCELLO ES SPIELT DAS ORCHESTER DER KOMISCHEN OPER BERLIN. PROGRAMM

Antonín Dvořák (1841-1904) Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 Allegro Adagio, ma non troppo Finale. Allegro moderato PAUSE

Alexander von Zemlinsky (1871-1942) Die Seejungfrau, Fantasie in drei Sätzen nach einem Märchen von Andersen Sehr mäßig bewegt Sehr bewegt, rauschend Sehr gedehnt, mit schmerzvollem Ausdruck EINFÜHRUNG UM 19:15 UHR IM FOYER


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Die Werke in Kürze Antonín Dvořák: Violoncellokonzert h-Moll op. 104

Dvořáks Cellokonzert entstand in den amerikanischen Jahren des Komponisten, in denen er von Heimweh nach seiner böhmischen Heimat geplagt wurde. Das dreisätzige Werk, das seinem Solisten höchste Virtuosität und Gestaltungskraft abverlangt, mutet mit seiner differenzierten Orchesterbehandlung geradezu sinfonisch an und wartet sowohl mit lyrischen Melodien als auch kraftvoller Rhythmik auf.

Alexander von Zemlinsky: Die Seejungfrau

Das von seinem Komponisten als »Fantasie in drei Sätzen« bezeichnete Orchesterwerk Die Seejungfrau basiert auf einem Märchen von Hans Christian Andersen. Doch war Zemlinsky weniger daran gelegen, in den drei Sätzen des Werkes mit kompositorischen Mitteln eine Geschichte nachzuerzählen, als vielmehr sinfonische Stimmungsbilder zu schaffen. Satzübergreifende Themen runden das Werk zu einer bezwingenden musikalischen Einheit ab.

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»Das war so meine Idee …« Zu Antonín Dvořáks Violoncellokonzert op. ���

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wei Jahre Amerika, jeweils acht Monate Arbeit und vier Monate Ferien, wird mir angeboten und dafür jährlich 15.000 Dollar oder über 30.000 Gulden! Soll ich annehmen? Oder soll ich nicht?« Mit diesen knappen, wohl nur spaßeshalber zweifelnden Worten fasste Antonín Dvořák im Juni 1891 eine Offerte zusammen, die ihn gänzlich unvermittelt per Telegramm erreicht hatte: die Leitung des 1885 ins Leben gerufenen National Conservatory of Music of America mit Sitz in New York zu übernehmen. Ein solch prestigereiches, noch dazu außerordentlich großzügig dotiertes Angebot war keines, das Dvořák ausschlagen wollte. So holte er noch im selben Monat bei der Leitung des Prager Konservatoriums die Zusicherung ein, dass man ihm eine zweijährige Beurlaubung von seiner weitaus weniger lukrativen Professur bewilligen würde, sollte er sich auf das amerikanische Abenteuer einlassen. Es schloss sich noch ein gutes Jahr voll zäher schriftlicher Verhandlungen mit dem New Yorker Institut an, in denen um Reisespesen, Verlagsrechte, Konzertverpflichtungen und Nebentätigkeiten des Komponisten gerungen wurde, bevor Dvořák im September 1892 in Begleitung seiner Frau und zwei der insgesamt sechs Kinder – die jüngsten Mitglieder der Familie blieben in der Obhut von Verwandten in Mähren – in Antonín Dvořák die Vereinigten Staaten übersetzte. Dort erwartete Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 Dvořák zunächst eine leidige Überraschung: In Folge Komponiert: eines Choleraausbruchs in Hamburg wurden alle in New 1894/95 in New York York einlaufenden Überseeschiffe vorübergehend unter Uraufführung: 19. März 1896 in London Quarantäne gestellt. Nachdem der Komponist (»alles an Vom Orchester der Komischen Bord war krank, nur ich nicht«) schließlich Fuß auf USOper Berlin zum ersten Mal amerikanischen Boden gesetzt hatte, schilderte er seine gespielt am 28. März 1957 Dirigent: Václav Neumann Ein-drücke mit folgenden Worten:

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Dvořák

»New York ist eine riesige Stadt, […] das Leben auf den Straßen ist vom Morgen an bis zum Abend und fast die ganze Nacht über sehr bunt und lebhaft, und es scheint, dass es uns hier gut gehen wird. Heute wurde ich am Konservatorium eingeführt, wo sich alle Professoren eingefunden hatten. Ich wurde sehr herzlich begrüßt, und dann hielt ich eine Ansprache, natürlich auf Englisch, und alle wunderten sich, wie gut ich ihre Sprache spreche.« Dvořák war Aufenthalte und Erfolge im englischsprachigen Ausland gewohnt: 1884 hatte der Komponist erstmals die Britischen Inseln besucht um Konzerte in London zu dirigieren. Bis 1891 folgten dann sechs weitere Englandreisen, in deren Verlauf Dvořák wahre Triumphe feierte. Die Begeisterung, mit der nun aber die Amerikaner seine Musik aufnahmen, übertraf alle Erwartungen. Nachdem am 21. Oktober 1892 anlässlich der Feierlichkeiten zum 400. Jahrestag der »Entdeckung« Amerikas ein noch in Böhmen komponiertes Te Deum des Komponisten in der New Yorker Carnegie Hall begeisterten Zuspruch gefunden hatte, markierte die am selben Ort vonstattengegangene Uraufführung seiner Neunten Symphonie Aus der Neuen Welt am 16. Dezember 1893 den Höhepunkt von Dvořáks Amerika-Aufenthalt: »Die Zeitungen sagen, noch nie hätte ein Komponist einen solchen Triumph [gehabt]. Ich war in der Loge, die Halle war mit dem besten Publikum von New York besetzt, die Leute applaudierten so viel, dass ich aus der Loge wie ein König!? alla Mascagni in Wien (lachen Sie nicht!) mich bedanken musste«, berichtete der sichtlich stolze Komponist seinem Berliner Verleger Fritz Simrock. Trotz aller musikalischen Erfolge sollte sich Dvořák in der Neuen Welt wider Erwarten doch nicht so recht wohlfühlen. Hatte er die Britischen Inseln nur während der jeweiligen Konzertsaison bereist, so sah er sich in Amerika nun mit einem Fulltime-Job konfrontiert. Und der schien ihm bald schon über den Kopf zu wachsen. Schon im Oktober 1892 berichtete Dvořák über seine gerade erst aufgenommene Lehrtätigkeit am National Conservatory of Music of America: »Ich habe Riesenberge von Noten aller Art vor mir. Wie ich sehe, taugt es nicht viel und ich bin schnell fertig damit. Es gibt hier Talente, doch sie wurden fürchterlich vernachlässigt. Sie können wenig, und vor allem deshalb hat man mich hierher berufen, um ihnen wenigstens, wenn dies möglich ist, den Weg zu weisen. Die Zeitungen in Amerika heißen mich als Retter willkommen, aber die Situation des Nachwuchses lässt mich fast verzweifeln.« Und drei Jahre später schrieb der Komponist: »Montag habe ich in der Schule zu tun – Dienstag habe ich frei – die übrigen Tage bin ich auch mehr oder weniger beschäftigt – kurz, ich kann meiner Arbeit nicht so viel Zeit widmen – und wenn ich wieder könnte –

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Dvořák

habe ich keine Lust – u. s. w. Kurz, das Beste wäre, in Vysoká zu sein – dort lebe ich wieder auf, ruhe aus – und bin glücklich. Wäre ich doch wieder dort!« Schon im Sommer desselben Jahres, den der Komponist wie gewohnt auf seinem Landsitz im böhmischen Vysoká verbrachte, beschloss Dvořák, nicht in die Vereinigten Staaten zurückzukehren und reichte unter dem Vorwand familiärer Verpflichtungen sein Demissionsgesuch ein. Dass das auf Sponsorengelder angewiesene National Conservatory infolge des Börsencrashs im Jahr 1893 zeitweise in Liquiditätsschwierigkeiten geraten war, hat – das geht aus Dvořáks Korrespondenz unmissverständlich hervor – auch zu dieser Entscheidung beigetragen.

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as 1894 in New York entstandene Konzert für Violoncello und Orchester op. 104 (neben einem nicht orchestrierten Jugendwerk aus dem Jahre 1865 der einzige Beitrag des Komponisten zu dieser Gattung) ist die letzte Frucht von Dvořáks kompositorisch nicht eben ertragreichem Amerikaaufenthalt, wurde aber erst 1896 in London uraufgeführt. Wie die Instrumentalkonzerte von Dvořáks Mentor Johannes Brahms zeichnet sich das Werk zuvorderst durch die Einbettung des Soloparts in einen symphonisch geprägten Orchestersatz aus. Bemerkenswert ist außerdem der selbst für einen begnadeten Melodiker wie Dvořák ungewöhnliche Reichtum an unterschiedlichsten thematischen Erfindungen. An dem als Sonatenhauptsatz gestalteten Kopfsatzes könnte sogar der alte Streit um das folkloristische Element in Dvořáks Musik neu entbrennen: Denn während man das erste Thema des Cellokonzerts in einer Komposition wie der Symphonie Aus der Neuen Welt vermutlich als »typisch amerikanisch« identifizieren würde, trägt die rhythmisch prägnante Schlussgruppe unverkennbar böhmische Züge. Die innere Zerrissenheit des Komponisten zwischen Neuer und Alter Welt schlägt sich hier ebenso unüberhörbar nieder wie im langsamen zweiten Satz der Einfluss von Dvořáks Biographie auf seine Musik: In den dramatisch aufbegehrenden Mittelteil flicht Dvořák eine musikalische Referenz an ein 1887 komponiertes Klavierlied ein. Dessen Thema war die Lieblingsmelodie von Dvořáks Jugendliebe und späterer Schwägerin Josefina Kounicová, von deren schwerer, 1895 schließlich zum Tode führender Erkrankung der Komponist während der Arbeit an dem Konzert erfuhr. Bei der Gestaltung des Soloparts im Finale seines Violoncellokonzertes hat Dvořák Anregungen des Widmungsträgers Hanuš Wihan aufgegriffen. Dessen Vorschlag, am Ende des Konzertes eine publikumswirksame, auf seine eigenen spieltechnischen

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Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben. Johannes Brahms über Dvořák

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Dvořák Fertigkeiten zugeschnittene Kadenz einzufügen, lehnte der Komponist jedoch kategorisch ab – was schließlich dazu führte, dass die von Dvořák dirigierte Uraufführung des Werkes nicht Wihan, sondern der englische Cellist Leo Stern übernahm. Die Gründe für Dvořáks kompromisslose künstlerische Haltung werden aus einem Brief des Komponisten an seinen Verleger deutlich: »Ich habe Wihan gleich gesagt [...], dass es unmöglich ist, so ein Stück zuzuflicken. Das Finale schließt allmählich diminuendo – wie ein Hauch – mit Reminiszenzen an den ersten und zweiten Satz – das Solo klingt aus bis zum pp – dann ein Anschwellen – und die letzten Takte übernimmt das Orchester und schließt in stürmischem Tone. Das war so meine Idee und von der kann ich nicht ablassen ...«

Einen schönen Gedanken zu haben, ist nichts besonderes. […] Aber den Gedanken gut auszuführen und etwas Großes aus ihm zu schaffen, das ist das Schwerste, das ist – Kunst. Antonín Dvořák

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Sublimierte Enttäuschungen Zu Alexander von Zemlinskys Die Seejung frau von Mark Schulze Steinen

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s ist eines der bekannteste Märchen aus der Feder von Hans Christian Andersen: Eine Meerjungfrau rettet einen Prinzen vor dem Ertrinken und verliebt sich in ihn. Um ihm auf Erden nah sein zu können, lässt sie sich von der zauberkundigen Meereshexe im Tausch gegen ihre Stimme einen Trank geben, der ihr eine menschliche Gestalt verleiht. Doch der Handel ist tückisch: Sollte der Prinz ihr eines Tages untreu werden, wird sie sterben und zu Schaum auf den Wellen des Meeres werden. Als der Königssohn tatsächlich eine andere Frau heiratet, bitten die Schwestern der Meerjungfrau die Hexe, sie zu retten. Doch das ist nur möglich, wenn der Prinz aus der Hand der Meerjungfrau den Tod findet – eine Tat, zu der sie sich nicht durchringen kann. Mit gebrochenem Herzen stürzt sich die Meerjungfrau ins Meer, zerfällt aber nicht zu Schaum, sondern verwandelt sich durch ein Wunder in einen Luftgeist, dessen Seele der Unsterblichkeit entgegen strebt. In seinem Opus magnum Außenseiter hat der Literaturwissenschaftler Hans Mayer die Geschichte der kleinen Seejungfrau als Versuch des homosexuellen Dichters gedeutet, seine unmögliche Liebe zu einem anderen Mann zu sublimieren und zitierte aus der AndersenBiographie von Signe Toksvig, in der es heißt: »Er selbst war diese Meerjungfrau im Versuch, den geliebten, unerreichbaren sterblichen Prinzen zu gewinnen, obwohl sie in jeder Alexander von Zemlinsky Die Seejungfrau Weise beeinträchtigt war, als Findling, als Sklavin, als Komponiert: 1902/03 Außenseiterin.« Uraufführung: 25. Januar 1905 Ähnliche biographische Hintergründe im Wiener Musikverein in Wien Vom Orchester der Komischen bewogen Alexander von Zemlinsky Anfang des 20. JahrOper Berlin zum ersten Mal hunderts dazu, Andersens Märchen zur Grundlage einer gespielt am 5. Dezember 2002 Komposition zu machen. Im Februar des Jahres 1900 Dirigent: Vladimir Jurowski 10


Zemlinsky hatte der Komponist auf einer Dinnerparty in Wien die acht Jahre jüngere Alma Schindler kennen gelernt, die wenig später Kompositionsunterricht bei ihm nahm. Zwischen Lehrer und Schülerin entwickelte sich eine leidenschaftliche Affäre, deren Verlauf Alma in ihrem Tagebuch festhielt: Bezeichnete sie Zemlinsky anfänglich als einen »der sympathischsten Menschen, den ich kenne«, so wurde sie während der Unterrichtsstunden schon bald von »übergroßer, gespanntester Sinnlichkeit« heimgesucht: »Mein größter Wunsch, dass er sich recht in mir verbrennen möge, wird leider deshalb nie in Erfüllung gehen, weil er mich zu gut kennt.« Keine zwei Wochen später platzte der Knoten und Alma vertraute ihrem Tagebuch an: »Ich nahm seinen Kopf zwischen meine Hände, und wir küssten uns, dass uns die Zähne schmerzten.« Doch die leidenschaftliche Affäre war vor Grausamkeiten nicht gefeit. Nach dem Besuch einer Hochzeit schrieb Alma: »Und ich dachte mir so, wenn ich mit Z[emlinsky] dort am Alter stehen würde – wie lächerlich das doch sein würde. Er so hässlich – so klein, und ich so schön – so groß.« Ende des Jahres 1901 begann Gustav Mahler, der sich in seiner Funktion als Direktor der Wiener Hofoper für die Uraufführung von Zemlinskys Märchenoper Es war einmal … stark gemacht hatte, Alma den Hof zu machen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie Zemlinsky den Laufpass gab. Schon am 23. Dezember 1901 verlobte sich Alma mit Mahler, ein Vierteljahr später gab sie ihm in der Wiener Karlskirche das Ja-Wort. Wenige Tage zuvor hatte Zemlinsky die Arbeit an einem Orchesterwerk nach Andersens Geschichte der kleinen Meerjungfrau begonnen, die er ein Jahr später zum Abschluss brachte. Für den englischen Musikwissenschaftler und Antony Beaumont besteht kein Zweifel daran, dass die Komposition von Die Seejungfrau Teil eines psychologischen Prozesses war, mit dem er die von ihm als traumatisch empfundene Eheschließung von Alma und Mahler verarbeitete. Anfänglich hatte Zemlinsky sein Werk als durchkomponierten Satz mit zwei mal zwei Binnenabschnitten konzipiert. So erläuterte der Komponist seinen ursprünglichen Werkplan in einem Brief an Arnold Schönberg: »I. Teil a: Am Meeresgrund (ganze Exposition) b: das Meerfräulein auf der Menschenwelt, der Sturm, des Prinzen Errettung, II. Theil a: des Meerfr[äuleins] Sehnsucht, bei der Hexe. b: des Prinzen Vermählung, des Meerfr[äuleins] Ende.« Im Verlauf der kompositorischen Arbeit blieben diese vier inhaltlichen Abschnitte dann zwar weitgehend erhalten, wurden von Zemlinsky aber in eine dreisätzige Form gebracht. Auch wenn der Komponist die Seejungfrau in seinen Briefen stets als »sinfonische Dichtung« bezeichnete und am 25. Januar 1905 schließlich als »Fantasie in drei Sätzen« uraufführen ließ, so lässt die zyklische Anlage doch erkennen, dass er dem Werk neben seiner Programmatik auch einen deutlich sinfonischen Charakter verleihen wollte. Für diese Theorie spricht auch die Tatsache, dass sich in Zemlinskys Manuskript zwar 11


Zemlinsky zahlreiche Eintragungen zu dem programmatischen Gehalt verschiedener Themen und Passagen finden, er dem Publikum aber kein schriftliches Programm an die Hand gab. »Nach und nach baute er das programmatische Gerüst ab«, fasst Beaumont zusammen, »und lockerte den Handlungsrahmen zugunsten eines Panoramas der Stimmungen und Farben.« Am engsten ist noch der erste Satz von Zemlinskys Seejungfrau mit Andersens Märchen verknüpft: Zu Beginn beschreibt der Komponist musikalisch seine Vision vom Leben des Wasservolkes am Grunde des Meeres, bevor er das von der Solovioline vorgetragene Thema der Titelheldin des Werkes einführt. Nachdem die Seejungfrau zur Welt der Menschen aufgetaucht ist, schildert der Mittelteil des Satzes, der sich wie eine Durchführung des bis dahin vorgestellten thematisch-motivischen Materials ausnimmt, anschaulich den Schiffbruch des Prinzen. Wenn der Satz seinem musikalischen Höhepunkt zusteuert, erklingt eine besonders lyrische Variante des Themas der Seejungfrau als Zeichen für ihr Liebeserwachen.

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er in leuchtenden Farben schillernde zweite Satz stellt entgegen Zemlinskys ursprünglichem Werkplan nicht den Besuch der Seejungfrau bei der Meereshexe dar, sondern vielmehr den Liebestaumel und die wachsende Sehnsucht der Seejungfrau. Ein feierliches Thema, das auch im dritten Satz anklingt, ist ihrer Vision von der Unsterblichkeit der Seele gewidmet. Zu Beginn des dritten Satzes, in dem mannigfaltige Themen und Motive der beiden vorigen Sätze anklingen, werden wir zunächst Zeugen der ersten unsicheren Schritte der Seejungfrau an Land. Schrittweise steuert die Musik auf einen tragisch anmutenden Höhepunkt hin, um dann mit dem Tod der Seejungfrau allmählich zu verebben. Die Coda greift dann aber noch einmal das Thema der Unsterblichkeit aus dem Mittelsatz auf und bringt das Werk zu einem apotheotischen Abschluss. Nach seiner Uraufführung in einem Konzert des Wiener Konzertverein Orchesters, in dem auch Schönbergs symphonische Dichtung Pelleas und Melisande op. 5 aus der Taufe gehoben wurde, kam es zu Zemlinskys Lebzeiten nur noch zu zwei weiteren Aufführungen der Seejungfrau (1906 in Berlin und 1907 in Prag). Danach zog der Komponist das Werk aus unbekannten Gründen zurück. In späteren Jahren schenkte er das Manuskript des ersten Satzes der befreundeten Dermatologin und Schriftstellerin Marie Pappenheim, die Handschriften der beiden übrigen Sätze nahm Zemlinsky mit ins USamerikanische Exil. Nach seinem Tod im Jahre 1942 hielt die Witwe

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Zemlinsky des Komponisten diese beiden Sätze für Teile einer unvollendeten Symphonie und gab sie in die Obhut der Library of Congress in Washington. Erst in den 1980er Jahren erkannten zwei britische Musikwissenschaftler die musikalischen Zusammenhänge des in Wien verbliebenen ersten Satzes mit den beiden Sätzen aus dem Bestand der amerikanischen Bibliothek; die erste Aufführung des so »wiederentdeckten« Werkes fand 1984 unter der Leitung von Peter Gülke statt. 2013 hat Antony Beaumont dann eine zusätzlich aufgefundene Variante des Mittelsatzes ediert, in welcher auch der Besuch der Seejungfrau bei der furchteinflößenden Meereshexe geschildert wird – eine Entdeckung, die das Werk einerseits stärker an Andersens Märchen anbindet, andererseits dadurch aber auch seine biographischen Hintergründe verschleiert.

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Künstlerbiografien Axel Kober

Seit der Spielzeit 2009/10 ist Axel Kober Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg, wo er in einem breiten Repertoire entscheidende Akzente setzt – von Rameau und Händel über Mozart, Rossini, Bizet, Verdi, Wagner, Puccini, Lehár, Strauss, Britten, Berg und Poulenc bis zur Uraufführung von Jörg Widmanns Gesicht im Spiegel. Zusätzlich ist er seit 2017 Chefdirigent, seit 2019 GMD der Duisburger Philharmoniker. Axel Kober ist seit 2013 regelmäßiger Gast bei den Bayreuther Festspielen, wo er Wiederaufnahmen von Tannhäuser und Der fliegende Holländer leitete. 2021 leitete er hier die Wiederaufnahme von Tannhäuser in der Regie von Tobias Kratzer. Weiter verbindet ihn eine besondere Beziehung zur Wiener Staatsoper, an der er 2016 debütierte. Neben seinem euphorisch aufgenommenen Ring-Zyklus 2019 dirigierte er dort Hänsel und Gretel, Arabella, Mahlers 4. Sinfonie und Tosca, in der Spielzeit 2021/22 ist er u.a. für eine Wiederaufnahme des gesamten Ring des Nibelungen zurück in Wien. Weitere Gastdirigate jüngeren Datums führten Axel Kober an die Deutsche Oper Berlin, die Hamburgische Staatsoper, die Opéra national du Rhin, die Semperoper Dresden und das Opernhaus Zürich, sowie in Konzerten u. a. zu den Düsseldorfer Symphonikern, dem Bruckner Orchester Linz, den Dortmunder Philharmonikern, dem Sinfonieorchester Basel, dem Slovenian Philharmonic Orchestra und dem Orchestre philharmonique de Strasbourg. Aktuelle Höhepunkte an der Deutschen Oper am Rhein sind Neuproduktionen des Ring des Nibelungen, der im Frühling 2021 auf CD veröffentlicht wurde, Wozzeck, Alcina und Der Kaiser von Atlantis, sowie eine Neuerarbeitung von Tristan und Isolde. Nach seinem Dirigierstudium an der Hochschule für Musik Würzburg führten ihn erste Engagements nach Schwerin und Dortmund, bevor Axel Kober erst stellvertretender, dann kommissarischer GMD in Mannheim und Musikalischer Leiter der Oper Leipzig wurde, wo er regelmäßig auch Konzerte des Gewandhausorchesters dirigierte.

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Künstlerbiografien Daniel Müller-Schott

Daniel Müller-Schott zählt zu den weltweit gefragtesten Cellisten und ist auf allen großen internationalen Konzertbühnen zu hören. Seit vielen Jahren begeistert er sein Publikum als Botschafter der klassischen Musik im 21. Jahrhundert. Die New York Times würdigt seine »intensive Expressivität« und beschreibt ihn als »einen furchtlosen Spieler mit überragender Technik«. Daniel Müller-Schott ist gern gesehener Gast bei international bedeutenden Orchestern in Europa, Asien und in den USA. Am Pult stehen dabei herausragende Dirigent*innen wie Christoph Eschenbach, Iván Fischer, Susanna Mälkki, Kirill Petrenko u. a. Eine langjährige Zusammenarbeit verband ihn mit Yakov Kreizberg, Kurt Masur, Lorin Maazel und Sir André Previn. Neben der Aufführung der großen Cellokonzerte hat Daniel Müller-Schott eine große Leidenschaft für die Entdeckung unbekannter Werke und die Erweiterung des Cello-Repertoires, etwa durch eigene Bearbeitungen sowie die Zusammenarbeit mit den Komponisten unserer Zeit. Zum Saisonstart 21/22 gastierte Daniel Müller-Schott gemeinsam mit Filarmonica della Scala und Andrés Orozco-Estrada beim George Enescu Festival in Bukarest und beim Dvořák Festival Prag. Bei seinen Kammermusikkonzerten arbeitet Daniel MüllerSchott u. a. zusammen mit Kit Armstrong, Renaud Capuçon, Julia Fischer, Daniel Hope, Nils Mönkemeyer, William Youn, Anne-Sophie Mutter, Francesco Piemontesi, Lauma und Baiba Skride und mit dem Aris Quartett. Daniel Müller-Schott hat in seiner fünfundzwanzigjährigen Karriere eine umfangreiche, mit internationalen Auszeichnungen bedachte Diskographie vorgelegt. Im Herbst 2021 erschien beim Label ORFEO seine neue CD Four Visions of France: Die französischen Cellokonzerte von Saint-Saëns, Fauré, Honegger und Lalo hat der Cellist hier eingespielt, gemeinsam mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und Alexandre Bloch. Daniel Müller-Schott, studierte bei Walter Nothas, Heinrich Schiff und Steven Isserlis. Er wurde persönlich von Anne-Sophie Mutter gefördert und erhielt u.a. den Aida Stucki Preis sowie ein Jahr privaten Unterricht bei Mstislaw Rostropowitsch. Bereits im Alter von fünfzehn Jahren gewann Daniel Müller-Schott den Ersten Preis beim Internationalen Tschaikowsky Wettbewerb für junge Musiker 1992 in Moskau. Daniel Müller-Schott spielt das »Ex Shapiro« Matteo Goffriller Cello, gefertigt in Venedig 1727. 15


Orchester Orchester der Komischen Oper Berlin

Zur Komischen Oper Berlin gehört von Anbeginn das eigene Orchester: Die Eröffnung des Hauses 1947 war auch die Geburtsstunde dieses neu gegründeten Klangkörpers, mit dem Walter Felsenstein seine Auffassung von Musiktheater verwirklichen wollte. Von Anfang an profilierte sich das Orchester durch einen Konzertzyklus. Dirigenten wie Otto Klemperer, Václav Neumann, Robert Hanell und Kurt Masur prägten das Orchester dabei maß­geblich sowohl in Opernproduktionen als auch im Konzertbereich. Zahlreiche Aufnahmen zeugen von der schon damals erreichten Ausstrahlung des Orchesters, die von späteren General­musikdirektoren wie Rolf Reuter, Yakov Kreizberg, Kirill Petrenko und Henrik Nánási noch intensiviert wurde. Viele bedeutende Gastdirigenten haben das künstlerische Spektrum erweitert, unter ihnen Rudolf Kempe, Hartmut Haenchen, Rudolf Barschai, Lothar Zagrosek, Fabio Luisi, Sir Neville Marriner, Sir Roger Norrington, Vladimir Jurowski, Simone Young und Dennis Russell Davies. Ein besonderes Gewicht wurde und wird auch der zeitgenössischen Musik beigemessen. So hat das Orchester der Komischen Oper Berlin viele Uraufführungen in Zusammenarbeit mit Komponisten wie Benjamin Britten, Hans Werner Henze, Giuseppe Manzoni, Siegfried Matthus, Aribert Reimann, Krzysztof Penderecki, Hans Zender und Christian Jost erarbeitet. Auch die Liste international renommierter Gastsolisten aus dem In- und Ausland spiegelt die große Bandbreite musikalischer Stile und Genres in der Arbeit des Orchesters: Es sangen, musizierten und rezitierten gemeinsam mit dem Orchester so unterschiedliche Künstler*innen wie Rudolf Buchbinder, Gidon Kremer, Barbara Hendricks, Gabriela Montero, Maria Farantouri, Dominique Horwitz, Lars Vogt, Daniel Hope, Till Brönner und viele andere. Das Repertoire spiegelt die ganze Vielfalt der Musikgeschichte wider: von Monteverdi über Händel und Mozart, die großen romantischen Komponisten des 19. Jahrhunderts bis hin zur frühen Moderne und dem Musikschaffen unserer Zeit. In Kammerkonzerten in unterschiedlichsten Formationen setzen sich die Mitglieder des 112 Musiker umfassenden Orchesters zudem für die Kammermusik ein. Einen wichtigen Schwerpunkt legt das Orchester der Komischen Oper Berlin auf Konzerte für Kinder und Jugendliche, die die pädagogische Verantwortung und den Wunsch unterstreichen, neue und junge Publikumsgenerationen für klassische Musik zu begeistern. Seit der Spielzeit 2018/19 leitet der Lette Ainārs Rubiķis als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin das Orchester.

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Kolumnentitel

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Glossar

C o d a (ital. = Schwanz) ist ein Satzteil einer Komposition, der in letzter Steigerung oder allmählichem Abklingen ein Musikstück beschließt und meist zur Grundtonart leitet. D i m i n u e n d o (ital. =verringernd) ist eine musikalische Vortragsbezeichnung, die das allmähliche Leiserwerden innerhalb eines Musikstückes vorschreibt. Fa n t a s i e (von lat. phantasia = Gedanke, Einbildung) werden seit dem 16. Jh. Musikstücke ohne feste Form bezeichnet. Betont wird der emotionale und expressive Ausdruck des musikalischen Einfalls im Sinne einer notierten Improvisation. Seit dem ausgehenden 18. Jh. ist die Fantasie oft ein Instrumentalstück für ein Tasteninstrument, und wurde im 19. Jh. virtuos weiterentwickelt. K a d e n z (lat. cadere = fallen) ist im Instrumentalkonzert eine aus dem Material des Konzerts entwickelte bravouröse Fantasie des Solisten, anfänglich improvisiert, später vom Komponisten oder Virtuosen aufgeschrieben. Der Begriff bezeichnet auch Schlusswendungen sowie in der Harmonielehre zentrale Akkordfolgen einer Tonart. Ko p f s a t z ist der erste Teil einer mehrteiligen Komposition (Sinfonie, Sonate, Konzert) die überwiegend in Sonatenhauptsatzform steht. Er ist der thematisch reichste Satz und stellt zwei, gelegentlich drei oder mehr musikalische Themen, das Haupt- sowie das Seiten-Thema, vor. Bei mehrsätzigen Werken bildet der Schluss-Satz meist das Gegenstück zum Kopfsatz. Beide werden auch Ecksätze genannt. S i n f o n i s c h e D i c h t u n g bezeichnet eine von Franz Liszt begründete Gattung der Programmmusik. Dem meist einsätzigen sinfonischen Werk liegt ein außermusikalisches Sujet zugrunde, welches durch Überschriften oder auch zusätzlichen Texten angedeutet wird. S o n a t e n h a u p t s a t z f o r m (auch Sonatensatz oder Sonatensatzform) Begriff der musikalischen Formenlehre, bezeichnet seit dem 18. Jahrhundert den Aufbau meist des ersten Satzes einer mehrstimmigen Großkompositionen. Auf eine vorangestellte Einleitung folgen Exposition der Themen, Durchführung mit Themenvariation, Reprise als Wiederholung des Beginns und eventuell Koda als Steigerung und Schluss. Die Sonatenform wurde der musikalische Regelfall der Wiener Klassik.

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Herausgeber

Intendant Generalmusikdirektor Geschäftsf. Direktorin Redaktion Layoutkonzept Gestaltung Druck Quellen Texte Bilder Seite 2 Seite 9 Seite 15 Seite 16 Seite 17

Komische Oper Berlin Dramaturgie Behrenstraße 55–57, 10117 Berlin www.komische-oper-berlin.de

Barrie Kosky Ainārs Rubiķis Susanne Moser Maximilian Hagemeyer State – Design Consultancy Hanka Biebl Druckhaus Sportflieger

Die Texte von Mark Schulze Steinen sind Originalbeiträge. Paul Gaugin: Die Welle oder Undine, 1889 Paul Gaugin: Felsen und Meer, 1886

Jan Windszus Photography Enrico Nawrath Uwe Arens

Die Inhaber der Bildrechte konnten leider nicht in allen Fällen kontaktiert werden. Wir bitten sie, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.

Redaktionsschluss

11. Februar 2O22 Änderungen vorbehalten


Vorschau FR, 17. Sep 2021 20 UHR Sinfoniekonzert 1: Tarmo Peltokoski und Iiro Rantala Iiro Rantala – Intro für Piano solo | Wolfgang Amadeus Mozart – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 21 C-Dur KV 467 | Iiro Rantala – Freedom und Anyone with a heart | Jean Sibelius – Lemminkäinen zieht heimwärts op. 22 | Finlandia, Sinfonische Dichtung op. 26 | Iiro Rantala – Tears for Esbjörn und Final Fantasy FR, 8. Okt 2021 20 UHR Sinfoniekonzert 2: Ainārs Rubiķis und Tzimon Barto Claude Debussy – La Cathédrale engloutie | Sergej W. Rachmaninow – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18 | Arthur Honegger – Pastorale d’été | Alexander N. Skrjabin – Le Poème de l’extase op. 54 FR, 12. Nov 2021 20 UHR Sinfoniekonzert 3: Ainārs Rubiķis und Viviane Hagner Sergej S. Prokofjew – Rêves (»Träume«), Sinfonische Dichtung op. 6 | Benjamin Britten – Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 15 | Dmitri D. Schostakowitsch – Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 FR, 28. Jan 2022 20 UHR Sinfoniekonzert 4: Ainārs Rubiķis und Ksenija Sidorova Béla Bartók – Der wunderbare Mandarin op. 19 | Artem Nyzhnyk – Mactoub, Partita Nr. 2 | Pjotr I. Tschaikowski – Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 Pathétique

Gemeinsam für Berlin

FR, 18. Feb 2022 20 UHR Sinfoniekonzert 5: Axel Kober und Daniel Müller-Schott Antonín Dvořák – Konzert für Violoncello und Orchester h-Moll op. 104 | Alexander Zemlinsky – Die Seejungfrau, Fantasie in drei Sätzen nach einem Märchen von Andersen FR, 18. März 2022 20 UHR Sinfoniekonzert 6: Xian Zhang und Sergei Nakariakov Ferdinand Ries – Ouvertüre zu Schillers Trauerspiel Die Braut von Messina op. 162 | Johann Nepomuk Hummel – Konzert für Trompete und Orchester Es-Dur | Robert Schumann – Sinfonie Nr. 1 B-Dur op. 38 Frühlingssymphonie FR, 6. Mai 2022 20 UHR Sinfoniekonzert 7: Joshua Weilerstein und Daniel Hope Bernard Herrmann – Vertigo-Suite | Alfred Schnittke – Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 | Pjotr I. Tschaikowski – Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64

... kulturbegeistert. Deshalb fördern wir Projekte aus Kunst und Kultur und tragen so dazu bei, dass Talente eine Bühne bekommen.

FR, 17. Jun. 2022 20 UHR Sinfoniekonzert 8: Ainārs Rubiķis und Baiba Skride Rodion K. Schtschedrin – Konzert für Orchester Nr. 1 Freche Orchesterscherze | Karol Szymanowski – Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. 35 | Sergej W. Rachmaninow – Sinfonie Nr. 2 e-Moll op. 27

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