Intolleranza 1960 I Programmheft I Komische Oper Berlin

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1960IntolleranzaNonoLuigi

IMPRESSUM

The Plot In a ÖzetKonuL’essentielL’intriguenutshellbilgi 4024181286343638424446

inhalt

DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE

LEBENDIG IST WER WACH BLEIBT! Über Intolleranza 1960 und einen Komponisten mit Haltung von Johanna Wall

ES IST GENUG von Carolin Emcke

DIE KRAFT LIEGT IM »WIR« Ein Gespräch mit Regisseur Marco Štorman und Dirigent Gabriel Feltz

DIE HANDLUNG

1960Intolleranza

Luigi Nono

Uraufführung am 13. April 1961 am Teatro La Fenice in Venedig

Handlung in zwei Teilen [ 1960/61 ] nach einer Idee von Angelo Maria Ripellino Deutsche Übertragung von Alfred Andersch

6 CHARAKTERE Ein DerEinEinEineSeineEmigrantGefährtinFrauAlgerierGefolterterEngelderGeschichte ORCHESTER 3 Flöten 3 Oboen 3 Klarinetten in B (2. und 3. auch Bassklarinette in B) 3 Fagotte 6 Hörner in F 4 Trompeten in C 4 Posaunen 6 SchlagzeugPauken (12 124411243MetallophonMarimbaphonVibraphonGlockenspielSpieler:innen)XylophonGlockenTriangelnverschiedeneBeckenJazz-BeckenTamtamsTamburinskleineTrommeln(ohne Schnarrsaite) 12 Militärtrommeln 4 große PeitscheTrommeln StreicherHarfeCelesta BESETZUNG Besetzung

Handlung

Der Engel der Geschichte, der die Reise des Emigrant beobachtet und begleitet, ö net den Blick ins Hier und Jetzt. Er stellt die Frage, wo Gewalt beginnt, wo sie endet und worin die Würde des Menschen gründet.

Wütend erhebt eine Frau ihre Stimme gegen Krieg, Zerstörung und Tod und beschwört das Wunder der Natur, der Liebe und des Lebens. Der Emigrant erkennt Ho nung in dieser Gefährtin und will den Weg in die Heimat mit ihr gemeinsam weitergehen.

Ein Gastarbeiter, ein Emigrant, erwacht voll Sehnsucht danach, in seine Heimat zurückzukehren: Weg von den Schrecken seines Bergwerks. Die Frau, die ihm die Jahre in der Fremde Trost und Wärme gab, will ihn zum Bleiben bewegen, doch er ist entschlossen zu gehen. Enttäuscht ver ucht sie ihn. Der Emigrant gerät in den Strudel aufgebrachter Massen, wird gepackt, verhaftet und verhört. Während er schier zu Grunde geht, wird der Ruf nach Freiheit in und um ihn lauter.

Aus dem Dunkel erklingen Stimmen, Beschwörungen dessen, was es heißt, lebendig zu sein.

Ein letztes Mal erscheint die Vergangenheit in Gestalt seiner ver ossenen Frau. Der Emigrante und seine Gefährtin lassen beides hinter sich. Es erhebt sich eine Flut aus Bildern, Menschen, Stimmen und Gedanken, die alles auszulöschen droht. Nachdem sie abebbt, bleibt die Ho nung auf die, die nachfolgen.

8HANDLUNG

Er begegnet einem Algerier. In der gleichen Situation gefangen, verstehen sie sich und nden ineinander Kraft.

• Die Urau ührung wurde von organisierten neofaschistischen Gruppen mit gezielten Aktionen torpediert. Laut Berichten seines Schülers Helmut Lachenmann wurde Luigi Nono im Anschluss an die Premiere von den Bühnenarbeitern im Triumpf auf die Schultern gehoben.

Das Wichtigste in Kürze

• Intolleranza 1960 war Luigi Nonos erstes Musiktheaterwerk und entstand auf Einladung des Festivalleiters Mario Labroca als Auftragsarbeit für die Biennale in Venedig 1961.

• Musikalisch bedient sich Nono einer frei gehandhabten Zwölftontechnik in der Tradition von Arnold Schönberg. Darüber hinaus bezieht sich Luigi Nono auf die Komponisten der venezianischen Renaissance, insbesondere Andrea Gabrieli, der im Venedig des 16. Jahrhunderts einer raumgreifenden Mehrchörigkeit zu einer ersten Blüte verhalf.

KÜRZEINWICHTIGSTEDAS10

• Luigi Nono war ein bekennender Kommunist und Anhänger des italienischen Politikers, marxistischen Philosophen, Journalisten und Linguisten Antonio Gramsci, dessen Lehre im Vergleich zum sowjetischen Stalinismus humanistische Züge zeigt.

• Nono nimmt in Intolleranza 1960 Bezug auf gesellschafts- und öko politische Katastrophen seiner Zeit: das Grubenunglück 1956 im belgischen Marcinelle, die Volksdemonstrationen in Italien gegen die neofaschistische Restauration im Juli 1960, den Algerienkrieg und die Brutalität der französischen Paras mit Bezügen auf deutsche SS-Foltermethoden und nationalsozialistische Konzentrationslager sowie die großen Flutkatastrophen im Po-Delta der 1950er Jahre.

• Das Libretto des Ideengebers Angelo Maria Ripellino wurde durch Nono in weiten Teilen überarbeitet und mit Texten von Paul Éluard, Wladimir Majakowski, Henri Alleg, Jean-Paul Sartre, Julius Fučik und Bertolt Brecht ergänzt beziehungsweise ersetzt.

• Für die Urau ührung entschied sich Nono zu einer Zusammenarbeit mit den Lichtkünstlern des Prager Theaters Laterna magica. Die Entwürfe für die Projektionen stammten von dem mit ihm befreundeten abstrakten italienischen Künstler Emilio Vedova.

11DASWICHTIGSTEINKÜRZE

• Regisseur Marco Štorman und Bühnenbildner Márton Ágh nehmen den Gedanken von Nonos Klangideal auf und lassen Bühnen- und Zuschauer raum der Komischen Oper Berlin in einer raumgreifenden Installation zu einer einzigen visuellen und akustischen Welt verschmelzen. Die Kostüme von Sara Schwartz spinnen den Gedanken weiter.

• Der musikalische Leiter Gabriel Feltz dirigiert von einem Dirigierpodium 7,5 m über dem Bühnenboden. Von hier aus erfasst der Klang des Orchesters mit der Wucht von zwölf Schlagwerker:innen und sechs Pauken den gesamten Raum.

• Luigi Nono schwebte in seinen Musiktheaterwerken ein Klangideal vor, bei dem sich die Bedeutung der Worte nicht nur durch ihre Semantik, sondern auch durch ihre klangliche Qualität transportiert. Die Urau ührung von Intolleranza 1960 dirigierte Nonos Freund und Mitstreiter Bruno Maderna.

Lebendig ist wer das Licht erwartet in den Tagen des schwarzen Sturms wer die stilleren Lieder ohne Geschrei und Schüsse wählt sich zum Herbst hinwendet und nicht aufhört zu lieben.

Angelo Maria Ripellino

Lebendig ist wer wach bleibt sich den anderen schenkt das Bessere hingibt niemals Lebendigrechnet.istwer das Leben liebt seine Begräbnisse seine Feste wer Märchen und Mythen auf den ödesten Bergen findet.

12EINLEITUNGSCHOR

Lebendig ist wer wach bleibt

GESPRÄCH

Ein Gespräch mit Regisseur Marco Štorman und Dirigent Gabriel Feltz über die Grenzen des Darstellbaren , die Notwendig keit Räume zu sprenge n und den Sinn eines Sprungbretts

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Die liegtKraftim»Wir«

Die Komische Oper Berlin erö net mit Intolleranza 1960 die erste Spielzeit unter der Intendanz von Susanne Moser und Philip Bröking. Wenn man aktuell den Zuschauerraum betritt, staunt man nicht schlecht … Marco Štorman Zum Spielzeitauftakt erhielten der Bühnenbildner Márton Ágh und ich die Einladung der Theaterleitung, Bühnen- und Zuschauerraum völlig frei zu nutzen. Es waren uns quasi keine Grenzen gesetzt, nur mindestens 800 Zuschauer:innen sollten am Ende Platz nden. Das hat uns dazu animiert, das Verhältnis von Bühne und Zuschauerraum für Intolleranza 1960 ganz neu zu denken. Die Welt von Intolleranza 1960 schien uns eine Welt, die wie eingefroren ist und in der es darum geht, den Weg zurück ins Leben zu nden. So entstand die Idee einer Eiswüste, ein Raum von extremer Sinnlichkeit und Poesie, fast jungfräulich, bei genauer Betrachtung aber ein Ort, an dem kein Leben möglich ist. Utopie und Dystopie zugleich.

Eine raumgreifende Installation, die nicht nur den gesamten Bühnenraum und den Zuschauerraum bis hinauf in die Ränge einnimmt. Auch der Orchestergraben verschwand unter einer Eisscholle … Marco Štorman Das Orchester sollte von vorneherein kein trennendes Element zwischen Bühne und Zuschauerraum sein. Wir waren uns einig, dass es einen Versuch wert ist, das Orchester oben im zweiten Rang zu platzieren, als sei es Himmelsmusik.

Gabriel Feltz Unabhängig von dieser konzeptionellen Idee gibt es ganz praktische Erwägungen für diese Lösung. Die Komische Oper Berlin hat, wie fast alle Opernhäuser, die ich kenne, keinen Orchestergraben, der die von Luigi Nono geforderte Orchesterbesetzung mit zwölf Schlagzeuger:innen plus Pauke, Harfe und Celesta aufnehmen könnte. Bei der Positionierung im

15GESPRÄCH

Es ist inzwischen allerdings leichter geworden, so ein Werk zu probieren. Allein in den letzten 20 Jahren hat sich vom Chorgesang bis hin zur Regie ein selbstverständlicherer Umgang mit diesem und vergleichbaren Werken etabliert. Heute kann man einfach sagen: »Dieses Werk ist einer der großen Klassiker nach 1945 und muss einfach regelmäßig gespielt werden.«

Intolleranza 1960 behandelt so ziemlich alle Missstände der Welt der Gegenwart und dauert dabei gerade einmal 75 Minuten. Wie geht man mit dieser Monumentalität und Dichte um?

Luigi Nono hat seinen Opernerstling seinem Schwiegervater Arnold Schönberg gewidmet, der Nono als Komponist maßgeblich prägte. Bis heute würde man bei Intolleranza 1960 von Neuer Musik sprechen, auch wenn das Werk inzwischen über 60 Jahre alt ist … Marco Štorman Man hört in dieser Musik den Schrei, die Wut, die Ver zwei ung. Nono hat sich nicht nur als kommunistischer sondern auch als antifaschistischer Komponist verstanden und sich dem Pathos des Wohlklangs gänzlich verweigert. Es geht ihm nicht nur im Inhalt sondern auch in der Musik um die Konfrontation mit dem, wovor wir Augen und Ohren nicht verschließen dürfen. Diese Musik ist laut und dissonant. Doch dieser »Lärm« schließt in seinem Nachhall auch das auf, was hinter ihm liegt und wird, je mehr man sich auf ihn einlässt, immer sinnlicher, ligraner, erzählender.

Gabriel Feltz Gute Stücke bleiben frisch, egal wie lang die Urau ührung her ist. Die Musik bleibt in ihrer Kompliziertheit und gleichzeitigen Schönheit, in ihrer Mischung aus starker Zwölftönigkeit und venezianischen A-capellaElementen faszinierend und hat für mich nichts an ihrer ursprünglichen Qualität verloren.

Marco Štorman Es geht in diesem Stück ganz grundsätzlich um politische Umbrüche und die Momente, an denen wir als Individuen gezwungen sind, zu handeln, ob wir wollen oder nicht. Nonos aktionistisches und

Sie hatten selbst die Idee, auf einem Sprungbrett siebeneinhalb Meter über dem Parkett zu dirigieren … Gabriel Feltz Das ist aus der Notwendigkeit geboren. Es geht um den idealen Sichtwinkel, nicht darum, mich da oben als Zampano zu inszenieren. Márton Ágh kann man ins Ruhmesbuch schreiben, dass es funktioniert. Es tut der Gattung Oper gut, den Guckkasten aufzubrechen. Bei der Debatte über die Zukunft der Kulturbetriebe müssen auch wir Kulturscha ende etwas tun, indem wir sagen: »Ja wir wollen auch einen Beitrag leisten, dass dies die Kultur des 21. Jahrhunderts wird und nicht statuarisch im 20. Jahrhunderts verharrt.« Das gilt auch für meinen Hauptbereich: das Orchester.

zweiten Rang machte ich mir weniger Gedanken um das Orchester als um die Kommunikation mit dem Chor, der unten auf Parkettebene spielt. Wir tre en jetzt spezielle Verabredungen für jeden einzelnen Einsatz, die nur für diese Produktion gelten. Ich nde das spannend.

agitatorisches Selbstverständnis als politischer Künstler sehe ich heute allerdings nicht mehr. Ich erlebe vielmehr eine große Ohnmacht vor all diesen Phänomenen und die lähmende Frage: Was soll ich denn jetzt tun? Wie soll ich mich verhalten? Wie Nono, denke ich, dass man nur im »Wir« zu der nötigen Kraft gelangen kann, einen Weg aus der Katastrophe zu nden.

GESPRÄCH16

In Ihrer Inszenierung haben Sie sich gegen klare historische Bezüge entschieden...

Marco Štorman Das stimmt. Ausgangspunkt für unsere Inszenierung ist das Gefühl des Protagonisten des »Zurückkehren-wollens-in-die-Heimat«. Die Haupt gur heißt im italienischen Original »Emigrante«, was fälschlicherweise oft mit »Flüchtling« übersetzt wird. Er läuft aber nicht vor etwas weg, sondern will in die Heimat zurück. Auf seiner Reise muss er eine Welt von Terror und Unterdrückung, Angst und Leiden durchwandern. In seiner Ohnmacht angesichts der herrschenden Verhältnisse und in seinem Suchen nach einem Ausweg sehe ich in ihm auch eine Stellvertreter gur für uns alle. Am Ende seiner Reise steht die Erkenntnis, dass Heimat kein Ort sein muss, sondern ein Gefühl von »Wir«, von Gemeinschaft sein kann. Sie steht für jene Kraft, die uns befähigt, die Welt zu gestalten und zu verändern.

Nichtsdestotrotz bleibt die im Werk behandelte Gewalt von der unmenschlichen Arbeit im Bergbau über brutal niedergeschlagene Demonstrationen bis zu Verhör, Folter und KZ eine inszenatorische Herausforderung … Marco Štorman Das stimmt. Wir sind von Bildern der Gewalt überschwemmt. Im Grunde heißt die Frage: Wie stelle ich Auschwitz dar? Ich glaube, das ist grundsätzlich sehr schwer, und die Gefahr besteht, dass man sich, wenn Gewalt zu sehr eins zu eins dargestellt wird, als Zuschauer:in distanziert und droht zurückzulehnen. Wir haben einen anderen Weg gesucht und das eigentlich äußerliche Geschehen »verinnerlicht«. Es gibt Theorien darüber, dass traumatische Erfahrungen Generationen überdauern, ehe sie verarbeitet sind. Indem wir den Protagonisten nicht in Darstellungen der realen Situationen versetzen, sondern diese zu innerlichen »Traumabildern« werden lassen, scha en wir eine Art »Negativbild«. Ein Sänger, der sich langsam auszieht und seine Kleidung zusammenlegt, weckt in Verbindung mit der Musik und dem Libretto Assoziationen, die stärker sind als ein plakativ inszenierter Todesmarsch. Wenn der Protagonist den Schleier der Frau, die er verlassen hat, um sich schlingt, sich fast erwürgt oder unter einer Haube schier erstickt, mag dies Bilder von Gefangenenlagern in uns hervorrufen. Kleine, einfache Vorgänge genügen, um monströse Bilder in uns entstehen zu lassen. Dabei greift jede:r auf seinen:ihren individuellen, der eigenen Lebensspanne entsprechenden Bilderfundus zurück – und der unterscheidet sich, je nachdem ob man 1924 oder 1994 geboren wurde.

Gabriel Feltz Auf alle Fälle heißt es auf unseren Proben nicht: »Wir gehen zum Lachen in den Keller!« Eine Grundbedingung unserer gemeinsamen Arbeit ist darüber hinaus eine gewisse Demut vor dem Werk. Die verbindet uns alle, die wir daran beteiligt sind. Gerade bei den ernsten Stücken ist es auch wichtig, dass man gerade den Kollektiven das Gefühl gibt: »Genießt es!« Denn es ist eine sehr privilegierte Tätigkeit, die wir ausführen dürfen. Dafür sollten wir dankbar sein.

Klingt nach einer gewichtigen und ernsthaften Aufgabe. Wie sahen die gemeinsamen Proben aus?

Luigi Nono hat sich in seinem Libretto weit vom Entwurf des Ideengebers Angelo Maria Ripellino entfernt und eine Reihe von politischen Texten und agitatorischen Parolen eingefügt. Das Libretto traf nicht nur auf Begeisterung … Gabriel Feltz Mit der Ideologie, die im Stück steckt, gehen wir heute anders um als zur Entstehungszeit. Aber man muss bedenken: 1956 hielt Nikita S. Chruschtschow die erste Rede, in der die Verbrechen der Stalin-Zeit in der Ö entlichkeit thematisiert wurden. Im Entstehungsjahr von Intolleranza 1960 war über Archipel Gulag in der Sowjetunion noch kaum etwas bekannt. Bei 80 Millionen Toten, die auf das Konto von Josef Stalin und seine Helfershelfer:innen gehen, müssen wir uns heute natürlich positionieren. Ich nde es gut, dass wir einen Ansatz gefunden haben, der die universelle Botschaft ins Zentrum stellt und weniger die propagandistische Attacke. Wir machen unabhängig von der Jahreszahl im Titel eine Intolleranza 1960 von heute.

Luigi Nono hat in Intolleranza 1960 auch mehrere Sprechrollen vorgesehen. In Ihrer Inszenierung haben Sie sich für eine einzige zusätzliche Sprecherin entschieden... Marco Štorman Ich habe diese Figur ausgehend von Walter Benjamins Text zum gleichnamigen Bild von Paul Klee »Engel der Geschichte« genannt: Ein Engel, der, fortwährend in die Zukunft gerissen, ohne Unterlass auf die Trümmer der Geschichte starren muss. Ein Engel der immer schon da war und immer da sein wird. Diese Ewigkeit ist Ruhe und Frieden und gleichzeitig Zynismus und erbarmungslose Brutalität. Neben dem einsamen Protagonisten, dem »Emigrante«, wollte ich eine Verkörperung dieser Ewigkeit auf der Bühne haben. Die Schauspielerin Ilse Ritter verkörpert für mich genau diese Wesenhaftigkeit. Sie bringt die Sprache in einer Art zum Klingen, die Nonos Tosen mit großer Filigranität begegnet.

17GESPRÄCH

Marco Štorman Wir sind beide sehr groß in unserer Vision und gleichzeitig sehr praktisch im Miteinander. Das ist etwas außerordentlich wertvolles. Vor allem aber können wir die Dinge mit Humor nehmen.

Anderen ist es schlimmer ergangen als mir, viel schlimmer, andere haben mehr verloren damals. Durch uns. Ich will kein Mitleid. Anderen wurde alles genommen, alles zerstört. Durch uns.

Weg war er nie, der Krieg. Für manche war er immer da. Wie ein Schatten, den man greifen will und nie fasst....ein Schatten, nicht ausserhalb des Körpers, sondern innerhalb, der alles Geschlosseneverdunkelt...Räume

202.TEIL,SZENE1

Es sind Details, in denen sich die Erinnerung sammelt, es kann ein Geräusch sein, wie eine Tür verschlossen wird und kein Entkommen mehr ist, es kann ein Ding sein, ein Stück Sacksto , eine abgebrochene Flasche, die mit Angst und Schrecken verbunden sind, es kann ein Geruch sein, modrig, säuerlich, faulig, es können alltägliche Dinge sein, die ihre Unschuld verloren haben und nie wieder harmlos wirken. Die Gewalt endet nicht, wenn sie endet

…An

konnte ich mein ganzes Leben nicht ertragen...das ist mir lange nicht einmal aufgefallen, dass es ein Muster gab, das sich mir erschrieben hatte: ... Ich muss am Ausgang sitzen, am Rand, eine Tür, ein Fenster, eine Ö nung in der Nähe, am besten sichtbar.

Es ist genug

den Füßen stirbt man zuerst. Wasimmer sonst in die Tasche für die Flucht gehört, das ist das wichtigste. Ohne die richtigen Schuhe kein Überleben. Die Papiere in eine Plastikfolie, ausreichend Schmerzmittel, etwas Warmes, ... das ist gut, aber es kommt aufs Gehen an, auf trockene, unverletzte Füße. Ohne Wunden, ohne Schmerz.... Alle, die einmal auf der Flucht waren, im Lager...wissen das....und vergessen es nie: an den Füßen stirbt man zuerst.

Carolin Emcke 1

Luft. Wenn es keine Luft gibt oder wenn ich nur denke, dass es keine Luft geben könnte, wenn ich nicht raus kann oder wenn ich denke, dass ich nicht raus kommen könnte, kriecht die Beklemmung in mir hoch. Ich reisse Fenster und Türen auf, wo ich kann, lange still sitzen, drinnen, kann ich nicht. Wenn es dann im Winter eiskalt hereinkommt, ist es mir wohler als wenn es keine Luft gibt.

Es heisst gern, Krieg und Hunger kennten die alten Menschen, solche wie ich, denen die Nächte im Keller noch unter der Haut stecken, aber das stimmt nicht, da sind auch alle die Jüngeren, die in anderen Kriegen, vor anderer Gewalt iehen mussten, die vertrieben wurden, versklavt,

Jetzt packe ich wieder eine Tasche. Für alle Fälle. Das sagt man so und meint doch nur den einen Fall, wenn es keinen Schutz mehr gibt.

Schon da müssten wir aufschrecken. Wenn auf einmal Ähnlichkeit als Voraussetzung für Menschenrechte gilt. Schon da müssen wir aufschrecken, wenn Verschiedenheit als Rechtfertigung für Missachtung gilt.

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Was ist das für eine Gleichgültigkeit, was verhindert das Mitleiden, was lähmt denn nur unseren Zorn gegen das Unrecht?

Gewalt wird vorbereitet in der Sprache, in den Bildern, in Gesten, schleichend, langsam, unmerklich werden manche nicht mehr als Menschen gesehen, mit einem Antlitz, mit Würde, mit Recht auf ihre eigene Art zu glauben, ihre eigene Art zu beten, ihre eigene Art zu begehren, mit Recht auf ihre eigene Vorstellung vom Glück...

Wir tun so als wären wir nur Publikum, aber das heisst in Wahrheit, dass wir uns entschieden haben, nichts zu tun.

Wie gleichgültig muss vorher gewesen sein, wer mit Staunen reagiert. Warum braucht es immer erst einen Exzess, warum braucht es immer erst etwas Krasses.

Es gibt keine Voraussetzung dafür, als Mensch geachtet zu werden.

Wie abgestumpft ist es, erst dann innezuhalten, wenn die Gewalt entgrenzt und eskaliert?

Gewalt kündigt sich an. Sie ist nicht einfach da. Gewalt ist nichts Natürliches. Sie bricht nicht plötzlich auf. Sie wird vorbereitet, sie wird ermöglicht durch unzählige kleine Etappen.

Warum werden sie vergessen, wenn wir heute von Erinnerungen an Tod und Zerstörung sprechen? Warum zählen sie nicht?

Und wir können entscheiden, immer, jeden Tag, ob wir mitmachen oder nicht, ob wir die alleinlassen, die verspottet und gedemütigt werden, oder ob wir uns auch gemeint fühlen, wenn wir nicht gemeint sind, ob wir widersprechen - oder ob wir zuschauen.

Mehr brauchen wir nicht zu wissen.

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vergewaltigt, die als nicht zugehörig, als fremd ausgeschlossen wurden. Sie tragen auch Schatten in sich, auch wenn es andere sind, sie schrecken auch auf bei einem falschen Geräusch, sie kennen auch diese Furcht vor dem Schmerz, sie kennen die Trauer....

Über Intolleranza 1960 und einen Komponisten mit Haltung

Lebendig ist wer wach bleibt!

24WERK,KOMPONIST,INSZENIERUNG

LUIGI NONO – KOMPONIST ZWISCHEN VENEDIG, WIEN UND DARMSTADT

I

Luigi Nono wurde am 29. Januar 1924 in Venedig geboren und lebte dort bis zu seinem Tod im Jahre 1990. Er stammte aus einer alteingesessenen venezianischen Familie, sein Vater war Ingenieur, der Großvater, von dem der Komponist seinen Vornamen erhielt, ein bedeutender italienischer Maler. Als Schüler erhielt Luigi Nono Klavierunterricht und wurde später privat von Gian Francesco Malipiero in Komposition unterrichtet. Malipiero machte ihn auch mit der Musik der venezianischen Renaissance bekannt. Ab 1942 studierte Nono Rechtswissenschaften in Padua. Ab 1946 nahm er bei Bruno Maderna, der später die Urau ührung von Intolleranza 1960 dirigieren sollte, weiteren Kompositionsunterricht. Neben der venezianischen Musik des 16. Jahrhunderts war es vor allem die Musik der »Zweiten Wiener Schule« um Arnold Schönberg, die Nono als Komponisten prägte. Näher gebracht hatte ihm diese der deutsche Dirigent Hermann Scherchen, den Nono bei einem Kurs im Rahmen der »Biennale di Venezia« für Musik kennengelernt hatte. Ab 1950 besuchte Nono auch die »Internationalen

ch hatte in der Tat seit Jahren die Möglichkeit einer Bühnenkomposition untersucht: von der praktischen Seite her den Einsatz der Stimme (mehrere Kompositionen für Chor und Solisten), das Verhältnis zwischen Semantik und Phonetik eines Textes, musikalischer Technik und musikalischem Ausdruck, das Schreiben eines Textes (verschiedene Begegnungen mit Schriftstellern und Dichtern, unter ihnen Alfred Andersch und Italo Calvino), und von der theoretischen Seite her durch die kritische und analytische Untersuchung dessen, was im Musiktheater, vor allem in unserem Jahrhundert schon gescha en worden ist. Nirgends scheint mir ein Anfang gemacht worden zu sein: ich glaube, dass Intolleranza 1960 im Theater einen ersten Schritt ins Neuland oder eine unvorhergesehene ›göttliche Inspiration‹ darstellt.«, so Luigi Nono in seinem Aufsatz Einige Genauere Hinweise zu Intolleranza 1960. Wer aber war der Mensch und Künstler, der hier die »ersten Schritte ins Neuland« wagte?

von Johanna Wall

»

GESINNUNG STICHT – ODER: DAS ZERWÜRFNIS I

Trotz der engen Verbindung Luigi Nonos zum Darmstädter Kreis kam es 1959 zum Zerwürfnis. Anlass war Nonos Vortrag Geschichte und Gegenwart in der Musik von heute, den er am 1. September 1959 vor der internationalen haute volée der Neuen Musik hielt. Nono sprach sich darin polemisch gegen die aleatorische Kompositionsschule in der Nachfolge des amerikanischen Komponisten John Cage aus. Ein künstlerischer Ansatz, der maßgebliche Entscheidungen des Kompositionsprozesses an den Zufall delegierte,

25WERK,KOMPONIST,INSZENIERUNG

MUSIK ALS SOZIAL(IS TISCH ) ES BEKENNTN IS

Die Zwölftontechnik, derer sich Nono in seinen Werken bedient, ist nicht nur eine tonkünstlerische sondern auch eine politische Setzung. Anders als in der mit Tonika, Dominante und Subdominante hierarchisch strukturierten tonalen Musik, sind in der Dodekaphonie (von griechisch »dodeka« – zwölf) alle zwölf Halbtöne einer Oktave gleichberechtig aufeinander bezogen. Jeder der zwölf Halbtöne einer Tonleiter hat die gleiche Gewichtung und kommt innerhalb einer Tonabfolge genau einmal vor. Vorreiter und Entwickler dieser Technik war Arnold Schönberg. Nono lernte ihn und dessen Tochter bei der Urau ührung von Schönbergs Moses und Aron 1954 in Hamburg auch persönlich kennen. Das Tre en blieb nicht ohne Folgen. Zwei Jahre später heirateten Nono und Nuria Schönberg.

Weitere zwei Jahre später gelang Nono 1956 mit einer Komposition für Chor, Solisten und Orchester der internationale Durchbruch. Il canto sospeso –»der unterbrochene Gesang« – basiert auf Briefen zum Tode verurteilter antifaschistischer Widerstandskämpfer. Mehrfach nimmt der Komponist in Intolleranza 1960, insbesondere in den Instrumentalstimmen, Bezug auf dieses Werk. Nono begri beide Werke als Dienst am Antifaschismus, künstlerisch blieb er dabei der abstrakten atonalen Musik verp ichtet und richtete sich trotz seiner kommunistischen Überzeugung nie nach den Maximen des sozialistischen Realismus. Dieser forderte in allen Kunstformen, auch der Musik eine größtmögliche »Wirklichkeitsnähe« und gab jeglicher Abstraktion im sogenannten »Formalismus-Vorwurf« eine klare Absage. Politisch geistiger Vater Nonos war der italienische Linguist und marxistische Philosoph Antonio Gramsci. Nono verstand sein Komponieren als künstlerische Übersetzung von Antonio Gramscis marxistischer Lehre. In deren zentralem Konzept der gesellschaftlichen Hegemonie geht letzterer, anders als der Marxismus sowjetischer Prägung, davon aus, dass die Zustimmung der Zivilgesellschaft die Grundvoraussetzung dafür ist, einen politischen und gesellschaftlichen Weg in eine sozialistische Grundordnung zu nden.

Ferienkurse für Neue Musik« in Darmstadt. Neben Pierre Boulez und Karl-Heinz Stockhausen wurde Nono in der Folge zu einem der wichtigsten Vertreter der sogenannten »Darmstädter Schule«, die die Ideen der Zwölftonmusik ab den 1950er Jahren weiterentwickelte.

widersprach Nonos Weltbild im Kern. Die Zufallskompositionen der Aleatorik basierten für ihn auf einer selbstgewählten Verantwortungslosigkeit und das machte ihn wütend: »Es gehört zu viel Mut, zu viel Kraft dazu, die Zeit zu erkennen und sich in ihr zu entscheiden und es ist viel einfacher, den Kopf in den Sand zu stecken, und siehe da: ›Wir sind frei, denn wir sind ohne Willen; wir sind frei, denn wir sind tot; frei wie der Stein […] nein, im Ernst, wir sind frei, denn das erlösende Brett, das wir vor dem Kopf haben, haben wir uns selbst aufgenagelt.‹ « Nono ging Konfrontationen nicht aus dem Weg, aber am nächsten Tag sprach keiner der Tagungsteilnehmer mehr ein Wort mit ihm.

MUSIK ALS ANTIFASCHISTISCHE AKTION

26WERK,KOMPONIST,INSZENIERUNG

Die Musik in Intolleranza 1960 ist über weite Teile brachial, laut, überwältigend. Ein wohliges Einfühlen ist von Luigi Nono auch gar nicht gewünscht. Nono verweigert sich in seiner Musik konsequent dem Pathos aus künstlerischen wie auch aus politischen Gründen. Nach den Erfahrungen des Faschismus, der nicht zuletzt mit den Mitteln der Musik vom Marsch bis zur Operette die emotionale Erregbarkeit des Volkes bediente, statt an dessen Rationalität zu appellieren, standen die Komponist:innen der Nachkriegszeit vielfach ablehnend gegenüber. Dennoch behält Nonos Musik immer auch sinnliche, ligrane Momente, die aufhorchen lassen. Im Orchesterklang von Intolleranza 1960 nimmt man die großen Dynamiken an- und abschwellender, abrupt unterbrochener oder auch wie aus dem Nichts vordringender Klangschichten besonders deutlich wahr. Von einem einzelnen Punkt ausgehend, verdichten sich Einzeltöne zu Linien und sukzessive zu einem Klangband, brechen plötzlich ab und versiegen wiederum in einem einzigen zerbrechlichen Ton. Die Klangmasse wird so als Versammlung der Einzelnen erfahrbar. Jede:r einzelne Musiker:in aus Chor und Orchester sind konstituierendes Element ihres jeweiligen Kollektivs.

EIN BISSCHEN VENEDIG IN DER WIENER SCHULE –DER CHOR

Über seine Vorstellung für die Chorpartie in Intolleranza 1960 schrieb Nono: »Ich wollte eine horizontale, melodische Konstruktion, die sämtliche Register ergreift; ein Schweben von Laut zu Laut, von Silbe zu Silbe: Eine Linie, die manchmal aus der Abfolge von Einzel-Tönen oder Einzel-Tonhöhen entsteht und manchmal sich verdickt zu Klängen«. Diese Behandlung der Chorpartie ist geschult durch die venezianische Chormusik des 16. Jahrhunderts, geprägt von Komponisten wie Andrea und Giovanni Gabrieli. Als Domkapellmeister beschäftigten sich diese mit der Akustik des Markusdoms und schufen am Wendepunkt von Renaissance zu Barock auf die besonderen Verhältnisse des Raums zugeschnittene, mehrchörige Werke. Auch Luigi Nono war von der Akustik des Doms und dessen Komponisten, die seine Vorstellungen eines raumgreifenden Klangerlebnisses vorwegnahmen, fasziniert. Wie

NONO UND DAS THEATER

27WERK,KOMPONIST,INSZENIERUNG

In Intolleranza 1960 bedient er sich besonders der Sekunde, also des Halbtonschritts, der Quarte und des Tritonus, jenem Intervall, der dem Abstand von drei ganzen Tönen entspricht. Er wird auch als »diabolus in musica« (»Teufel in der Musik«) bezeichnet, da er die größte harmonische Distanz zwischen zwei Tönen bezeichnet und in der klassischen tonalen Musik als maximale Reibung wahrgenommen wird. Der Emigrant zeigt seine innere Zerrissenheit durch die genannten drei Intervalle, die von ihm verlassene erste Frau ihren Charakter durch den »teu ischen« Tritonus. Ihrer dunklen Alt-Stimme entgegen steht der leuchtend helle Sopran der Gefährtin, der einzigen Figur im Stück, der eine liedhaft ariose Passage vorbehalten ist. In dieser kurzen Passage am Anfang des zweiten Teils spiegelt sich inhaltlich wie musikalisch die ganze Spannbreite von existenzieller Angst bis zur Honung auf Linderung in der Natur und durch die Liebe. Neben der Begegnung mit der Gefährtin sind es die beiden anderen Figuren, der Gefolterte und der Algerier, die einen möglichen Ausweg aus der eisigen Ho nungslosigkeit des Einzelkämpfers aufzeigen. Das Zauberwort heißt Solidarität.

Für das Erlebnis dieser musikalischen Faktur und um den Wortsinn nicht zu verlieren, ist ausschlaggebend, in welcher Sprache gesungen wird. Wenngleich Nono selbst kein Deutsch sprach, entschied er sich mit Alfred Andersch für einen deutschen Übersetzer, der ihm in seiner künstlerischen Qualität und politischen Gesinnung nahestand.

in der Kirchenmusik der Renaissance arbeitet Nono in seinen Chorstimmen auch mit der Zerlegung des Textes. Ein Wort, dessen erste Silbe im Sopran liegt, wird in der zweiten Silbe im Alt, dann in den Männerstimmen weitergesponnen. Schicht für Schicht baut sich so ein Vokalteppich auf, der den Worten nicht nur in ihrer Semantik, sondern auch in ihrem Klang Bedeutung verleiht.

Luigi Nono nannte sein erstes Musiktheaterwerk nicht Oper, sondern »Azione scenica«, »Szenische Handlung«. Der Emigrant, die Frau, die Gefährtin und der Algerier sind keine psychologisch mehrdimensionalen Figuren sondern verkörpern als einzelne Ideen den »Gang des Geschehens als Erkenntnisprozess« (Jürg Stenzl). Nono sah Intolleranza 1960 als »Ideentheater, das für eine menschliche Lebensbedingung kämpft, ein auf sozialer, struktureller wie auf sprachlicher Ebene völlig engagiertes Theater, direkt verbunden mit unserem Leben.« Nonos Theaterverständnis wurde dabei stark von den Ideen Erwin Piscators beein usst, dessen politisch engagiertes und gleichzeitig technisch avanciertes Konzept bahnbrechend für das Theater

Die Figuren werden von Nono nicht durch ein melodisches Leitmotiv, sondern durch ihre Intervallstruktur charakterisiert. Die Arbeit mit Intervallen ist in Luigi Nonos Komposition für die Solostimmen zentral.

LEITMOTIV MIT SPRUNG – DIE SOLOPARTIEN

KUNST STICHT – ODER: DAS ZERWÜRFNIS II

28WERK,KOMPONIST,INSZENIERUNG

der Weimarer Republik war. Film-, Bild- und Schrift-Projektionen waren neben raumgreifenden Bühnenkonzeptionen Markenzeichen des Piscatorschen Totaltheaters, das er gemeinsam mit dem Bauhaus-Architekten Walter Gropius in den späten 1920er-Jahren in Berlin entwickelte. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil entwickelte Piscator neben und mit Peter Weiss, Rolf Hochhuth und Heinar Kipphardt die neue Form des Erinnerungs- und Dokumentartheaters, einer theatralen Auseinandersetzung und Wiederaufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit. Neben Piscator erhielt Nono wertvolle Impulse durch den Slavisten Angelo Maria Ripellino, den er später bat, das Libretto zu Intolleranza 1960 zu verfassen. Ripellino war Autor des Standartwerks Majakowski und das russische Theater der Avantgarde über das Nono erstmals in die Ideen der russischen Avantgarde eingeführt wurde.

Ripellino nahm Nonos Einladung gerne an und legte ein Libretto vor, das Nono, milde ausgedrückt, enttäuschte. Kurzerhand entschied sich der Komponist dazu, das Libretto bis auf wenige Teile selbst zu schreiben. Er stellte dafür so unterschiedliche Gedichte wie Liberté (Freiheit) des Surrealisten Paul Éluard, Wladimir Majakowsis Linker Marsch und Bertolt Brechts An die Nachgeborenen mit dokumentarischen Textfragmenten unter anderem aus Henri Allegs Tatsachenbericht Die Folter inklusive des Vorworts von Jean-Paul Sartre zusammen. Der Journalist Alleg hatte darin seine Erfahrungen in den Folterkammern der französischen Paras (frz. parachutistes), einem berüchtigten Fallschirmjägerregiment der französischen Fremdenlegion, während des Algerienkriegs festgehalten. Allegs Verö entlichung führte zu großer Bestürzung auch in der französischen Bevölkerung und zur Wiederaufnahme der Gespräche zwischen Algerien und Frankreich. Algerien erlangte seine Unabhängigkeit nach achtjährigem Freiheitskampf erst am 5. Juli 1962, also über ein Jahr nach der Urau ührung von Intolleranza 1960. Weitere historische Ereignisse, die in die Oper ein ießen, wie das Grubenunglück im belgischen Marcinelle, einer Brandkatastrophe bei der 1956 mehr als 250 Menschen, die meisten von ihnen italienische Gastarbeiter, zu Tode kamen oder die Flutkatastrophen in der Po-Ebene der späten 1950er-Jahre werden teilweise nur mit kurzen Sätzen eingebracht. Gemeinsam mit den Parolen unterschiedlicher Aufstände gegen gesellschaftliche Missstände von Anti-Kriegsdemonstrationen über die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung bis zu den Schlachtrufen des Spanischen Bürgerkriegs akkumulieren sich die Zitate in den gerade einmal 75 Minuten der Oper zu einer dokumentarischen Kollage von geradezu apokalyptischem Ausmaß. Ripellino wird im Titel zwar noch als Ideengeber genannt, den menschlichen Bruch mit ihm konnte Nono damit allerdings nicht verhindern.

Luigi Nonos Intolleranza 1960 beschreibt die Konfrontation eines Einzelnen mit allem Komplizierten und Schrecklichen, womit ihn die Welt konfrontiert: Krieg und Unterdrückung, die brutale Durchsetzung von Machtansprüchen, Folter und Massenvernichtung sowie der nale Kollaps der Natur.

EXKURS: DER ENGEL DER GESCHICHTE – ODER: ES IST GENUG.

WAS ZU SAGEN BLEIBT

Der Engel der Geschichte, eine Figur, die Walter Benjamins Aufsatz Über den Begri der Geschichte entlehnt ist und die Nono nicht in seine Partitur geschrieben hat, atmet dennoch den Geist des Werkes. Diese Figur übernimmt in der aktuellen Inszenierung alle von Nono als Sprecherpartien vorgesehenen Werkteile. Dies sind historisch belegte Zitate des tschechischen Widerstandskämpfers Julius Fučik, Jean Paul Sartres und aus den Verhören Henri Allegs. Trotz ihrer historischen Gebundenheit sind sie in ihrer Aussage erschreckend heutig. Am Scheitelpunkt des Werks positionierte Nono eine Szene die er »Einige Absurditäten des heutigen Lebens« betitelte. Bei der Urau ührung wurden tagesaktuelle Zeitungsausschnitte mit zum Teil banalen, zum Teil katastrophalen Inhalten auf die Bühne projiziert. Für die Inszenierung an der Komischen Oper Berlin verfasste die Kriegsberichterstatterin, Publizistin und Autorin Carolin Emcke den Essay Es ist genug, der an dieser Stelle vorgetragen wird.

Dass es sich um konkrete historische Ereignisse handelt, auf die sich Nono bezieht, mindert ihre Allgemeingültigkeit nicht. Im Zentrum steht Einer von vielen, von denen jede:r dieser Eine sein könnte. Einer, der diese Katastrophen in sich trägt, als Erinnerung oder als Erbe, als Prägung und als tiefe Versehrtheit, der es sich zu stellen gilt. Als Einzelner, als Gemeinschaft. Es geht um den Versuch, etwas an sich heranzulassen, worauf man lieber aus der Ferne mit dem Finger zeigen würde, aber der Krieg wird nicht nur »von denen da draußen« geführt, er ndet im eigenen Inneren statt. »Es gibt keine Rezepte, keine Formeln, keine Schemata und keine Handbücher: Es gibt nur Situation, Verantwortung, Probleme, mit denen man sich konkret auseinanderzusetzen hat.«, so Nono. Der Mensch muss die Verantwortung für sich und sein Handeln alleine tragen und nach bestem Wissen und Gewissen den Weg aus der Misere suchen. Sich dabei zu entscheiden, nichts zu tun, ist auch eine Entscheidung. Die persönliche Freiheit der Entscheidung einer höheren Macht – und sei es der Zufall – zu überantworten, ist für Nono allerdings keine Option. Die ersten Worte der Oper Intolleranza 1960 bringen die Forderung auf den Punkt. Es ist einer der wenigen Sätze der aus dem ursprünglichen Libretto von Angelo Maria Ripellino stammt: »Vivere è stare sveglie – Lebendig ist wer wach bleibt!«.

29WERK,KOMPONIST,INSZENIERUNG

desOptimismusdes»PessimismusVerstandes,Willens.«

Antonio Gramsci

Wirklich, ich lebe in nsteren Zeiten! Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn Deutet auf Unemp ndlichkeit hin. Der Lachende Hat die furchtbare Nachricht Nur noch nicht empfangen. Was sind das für Zeiten, wo Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt! Der dort ruhig über die Straße geht Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde Die in Not sind?

An Nachgeborenendie

Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs Und ich empörte mich mit ihnen. So verging meine Zeit Die auf Erden mir gegeben war. Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten

32SCHLUSSCHOR

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen. Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt Bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast! Aber wie kann ich essen und trinken, wenn Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt? Und doch esse und trinke ich. Ich wäre gerne auch weise

Bertolt Brecht 1

In den alten Büchern steht, was weise ist: Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit Ohne Furcht verbringen Auch ohne Gewalt auskommen Böses mit Gutem vergelten Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen Gilt für weise.

Alles das kann ich nicht: Wirklich, ich lebe in nsteren Zeiten!

2

In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung Als da Hunger herrschte.

Auch der Haß gegen die Niedrigkeit Verzerrt die Züge.

Die auf Erden mir gegeben war.

So verging meine Zeit

Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich Kaum zu erreichen.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir ja:

Auch der Zorn über das Unrecht Macht die Stimme heiser. Ach, wir Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit Konnten selber nicht freundlich sein. Ihr aber, wenn es soweit sein wird

Der ihr entronnen seid.

Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unsrer Mit Nachsicht.

So verging meine Zeit

3

Und die Natur sah ich ohne Geduld.

Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden Saßen ohne mich sicherer, das ho te ich.

33SCHLUSSCHOR

Die auf Erden mir gegeben war.

So verging meine Zeit

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut In der wir untergegangen sind WennGedenktihr von unseren Schwächen sprecht Auch der nsteren Zeit

Die Kräfte waren gering. Das Ziel Lag in großer Ferne

Die Sprache verriet mich dem Schlächter

Schlafen legt ich mich unter die Mörder

Der Liebe p egte ich achtlos

Die auf Erden mir gegeben war. Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit

Self-empowered and furious, a woman raises her voice against war and calamity, for the ecstasy of being. The refugee sees hope in her and wants to nd his way home with her by his side.

Wounded and mocked, having nearly succumbed to his ordeal, he meets his rst well-meaning counterpart, an Algerian. Caught in the same situation, they understand and nd strength in each other. A new beginning becomes possible.

Voices resound out of the dark, evocations of what it means to be alive.

On his journey, the refugee gets caught in the maelstrom of angry crowds, is detained and harassed by the shrill voices of elusive torturers. He is brutally interrogated, but he is not aware of any wrongdoing on his part. Pushed to his limits, the cry for freedom grows louder and louder around him.

the plot

One last time, the past appears in the form of the woman left behind. The refugee and his companion turn their backs on her. A nal ood of images, people, voices and thoughts ascends, threatening to erase everything. What remains is the hope for the compassion of those who come after.

The refugee awakens full of longing to return to his homeland. Away from the wretchedness of the mine, where he was mistreated for a long time, but also away from the woman who gave him comfort and warmth all these years in a foreign land. She wants to persuade him to stay, but he is determined to leave. Her sympathy and love turn into hatred and resentment.

The angel of history appears and opens the window into and for the here and now. The angel asks where violence begins, where it ends and what the dignity of man is based on.

36THEPLOT

• In Intolleranza 1960, Nono refers to several sociopolitical and ecopolitical catastrophes of his time: the 1956 mining accident in Marcinelle, Belgium, in which 262 miners died in a re; the people’s demonstration in Italy against the neofascist restoration in July 1960; the Algerian war and the brutality of the French paras, who applied German SS torture methods and Nazi concentration camps; and the great ood disaster in the Po Delta in 1951.

• The word »intolleranza« translates in English as »intolerance«, but in Italian it also means something like »inability to bear something« or simply »unbearable« (from Latin tolerare - to bear, to endure, with the negative pre x in-).

38INANUTSHELL

• The premiere was torpedoed by organized neofascist groups with targeted actions and stink bombs. According to reports by his student Helmut Lachenmann, Luigi Nono was triumphantly lifted onto the shoulders of the stagehands following the premiere.

• Nono revised much of the libretto by Angelo Maria Ripellino, who came up with the idea, and added or replaced sections with writings by Paul Éluard, Vladimir Mayakovsky, Henri Alleg, Jean Paul Sartre, Julius Fučik and Bertolt Brecht.

In a nutshell

• Intolleranza 1960 was Luigi Nono’s rst work of music theater and was commissioned for the Venice Biennale at the invitation of festival director Mario Labroca. Its premiere took place at the Teatro la Fenice there on April 13, 1961.

• Luigi Nono was an avowed communist and follower of the Italian politician, Marxist philosopher, journalist and linguist Antonio Gramsci, whose Marxist teachings were more humanistically oriented than Soviet Stalinism.

• Musical director Gabriel Feltz is conducting from a podium 24 feet above the stage oor. From there, the sound of the orchestra with the force of eleven percussion instruments and a timpani captures the entire space.

• Director Marco Štorman and set designer Márton Ágh take up the idea of Nono's sound vision and merge the stage and auditorium of the Komische Oper Berlin into a single visual and acoustic world. The costumes by Sara Schwartz develop this idea further.

39INANUTSHELL

• In his music theater works, Luigi Nono envisioned a world of spatial sound in which the meaning of words is conveyed not only through their semantics, but also through their sonic quality. The premiere of Intolleranza in 1960 was conducted by Nono's friend and comrade-in-arms Bruno Maderna.

• Musically, Luigi Nono follows a rather free serialism in the tradition of Arnold Schoenberg. In addition to the twelve-tone technique, which was in vogue at the time, Luigi Nono refers to the composers of the Venetian Renaissance, especially Andrea Gabrieli, who contributed to the rst wave of popularity of an expansive polychoral style in church music.

L'Ange de l'Histoire apparaît et permet au regard de s'ouvrir sur l'ici et maintenant. Il demande où commence et où se termine la violence, sur quoi se fonde la dignité humaine.

Le premier être bienveillant à croiser son chemin est un Algérien mutilé et humilié, qui a failli mourir sous la torture. Prisonniers de la même situation, les deux hommes se comprennent et se donnent de la force. Un nouveau départ devient possible.

L’intrigue

Au cours de son voyage, l'émigrant est pris dans le tourbillon d'une foule en colère. Il se fait arrêter et se retrouve à la merci de tortionnaires qui le harcèlent de leurs voix stridentes. Bien que soumis aux pires cruautés, il ne trouve aucune faute à avouer. Alors qu'il arrive au bout de ses forces, des appels à la liberté autour de lui se font entendre.

40L’INTRIGUE

Des voix émergent de l'obscurité et chantent ce que c'est d'être en vie.

L'émigrant est consumé par le désir de retourner dans son pays. Loin de la mine qui l'a longtemps maltraité, loin aussi de la femme qui pendant ses années d'exil lui a prodigué chaleur et réconfort. Elle veut le convaincre de rester, mais il est décidé à partir. Elle qui jadis l'aimait, n'éprouve plus que haine et ressentiment.

Elle vient de recouvrer l'usage de sa force et elle est en colère. Une femme lève la voix contre la guerre et le malheur, auxquels elle oppose l'ivresse d'exister. L'émigrant voit en elle un espoir. Il voudrait lier son destin au sien, qu'elle l'accompagne dans son retour au pays.

Le passé apparaît une dernière fois sous les traits de la femme qu'il a autrefois délaissée. L'émigrant et sa nouvelle compagne la laissent derrière eux. Un ot nal d'images, d'êtres humains, de voix et de pensées s'élève et menace de tout anéantir. Seul demeure l'espoir que les générations à venir sauront comprendre et se montrer indulgentes.

L’essentiel

• La première a été interrompue par des groupes néofascistes qui ont perturbé la représentation et lancé des boules puantes. Helmut Lachenmann, qui était alors élève du compositeur, a rapporté qu'au terme de cette première, les machinistes auraient porté Luigi Nono sur leurs épaules en signe de triomphe.

42L'ESSENTIEL

• Le livret d'Angelo Maria Ripellino a été en grande partie retravaillé par Nono et complété par des textes de Paul Éluard, Vladimir Maïakovski, Henri Alleg, Jean-Paul Sartre, Julius Fučik et Bertold Brecht.

• Luigi Nono se revendiquait communiste ainsi qu'adepte de la pensée de l'homme politique italien, philosophe marxiste, journaliste et linguiste Antonio Gramsci, dont la théorie marxiste avait une orientation plus humaniste que le stalinisme soviétique.

• Le mot »Intolleranza« se traduit en français par »intolérance«. Il désigne en italien l'incapacité à supporter (du latin tolerare - supporter).

• Intolleranza 1960 est la première œuvre lyrique de Luigi Nono. Elle fut créée pour la Biennale de Venise à la demande de son directeur Mario Labroca. Sa première représentation s'est tenue le 13 avril 1961 au Teatro la Fenice.

• Dans Intolleranza 1960, Nono fait référence à plusieurs catastrophes sociales et écopolitiques de son époque : la catastrophe minière de Marcinelle intervenue en 1956 en Belgique, au cours de laquelle 262 mineurs périrent dans un incendie, les manifestations du peuple italien contre la restauration néofasciste en juin 1960, la guerre d'Algérie et la brutalité des parachutistes français qui utilisaient des méthodes de torture comparables à celles des SS ainsi que des structures rappelant les camps de concentration, ou encore la crue extrême du Pô en 1951.

43L'ESSENTIEL

• Sur le plan musical, Luigi Nono s'inspire librement du sérialisme dans la tradition d'Arnold Schönberg. Outre le dodécaphonisme dont il est contemporain, Luigi Nono est in uencé par les compositeurs de la Renaissance vénitienne, en particulier Andrea Gabrieli, qui a développé la polychoralité dans la musique sacrée.

• Dans ses œuvres de théâtre musical, Luigi Nono imaginait un espace sonore dans lequel les mots seraient signi catifs autant par leur sémantique que par leurs consonances. La première représentation d'Intolleranza 1960 a été dirigée par Bruno Maderna, ami et soutien de Nono.

• Le metteur en scène Marco Štorman et le scénographe Márton Ágh repren nent l'idée de l'idéal sonore de Nono et font fusionner la scène et l'espace des spectateurs de l'Opéra comique de Berlin en un seul monde visuel et acoustique. Les costumes de Sara Schwartz poursuivent la même idée.

• Le chef Gabriel Feltz dirige l'orchestre depuis un podium situé à 7,5 mètres au-dessus de la scène. De là, le son de l'orchestre, avec la puissance de onze percussions et d'une timbale, déferle sur toute la salle.

44KONU

KONU

Ancak geçmişi, geride bıraktığı kadının kılığında son bir kez önüne çıkar. Göçmen ve yol arkadaşı kadın onu geride bırakarak yola devam eder. Son olarak resimlerden, insanlardan, seslerden ve düşüncelerden oluşan ve her şeyin sonunu getirecek bir sel yükselir. Ellerinde kalan tek şey, onların peşine takılanların kendilerini bağışlamaları için taşıdıkları umuttur.

Bir kadın kimseye sormadan sözü alarak öfkeyle savaşa ve uğursuzluklara karşı, varoluşun yarattığı aşırı heyecandan yana sesini yükseltir. Göçmen ona bakarak umudun tükenmediğini bilince çıkarır ve onunla birlikte sılaya doğru yola çıkmak ister.

Karanlıktan sesler gelir, canlı olmanın ne anlama geldiğini bilenlerin yakarışlarıdır bu sesler.

Göçmen, dinmek bilmeyen sıla özlemiyle uyanır uykusundan. Bir yanda uzun zamandır ter döktüğü bu madendeki zorlu işten bir an önce kurtulma, diğer yanda gurbette kendisine teselli ve sevgi veren kadını bırakıp gitmek ister. Kadın ise onu kalmaya ikna etmek için uğraşır. Fakat o kararlıdır, mutlaka gidecektir. Kadının gösterdiği sevgi ve teselli, bunun üzerine kin ve kıskançlığa dönüşür.

Öykünün kahramanı olan bir melek görünür ve bulunduğu ortama ve ana farklı bir gözle bakış açısı sunar. Şiddetin nerede başlayıp nerede sona erdiğini, insan onurunun temelinde yatanın ne olduğunu sorar.

Bu yolculuğu boyunca göçmen heyecana kapılmış kitlelerin sarmalına kapılır, ensesinden tutulur ve yakalanamayan işkenceciler tarafından köşeye sıkıştırılır. Vahşi yöntemler altında ifadesi alınsa da herhangi bir suç işlediğine inanmaz. O göz göre göre ölüme doğru ilerlerken, etrafından özgürlük çığlıkları yükselir.

Tükenmiş ve aşağılanmış bir durumda, ölmek üzereyken ilk defa kendisine karşı güzel düşünceler besleyen birisi karşısına çıkar: Onun gibi bir tutsak olan bu kişi bir Cezayirlidir. İyi anlaşırlar ve birbirlerinden güç alırlar. Yeni bir başlangıç yapma fırsatı yakalamıştır.

• »Intolleranza« sözcüğünü Türkçeye »hoşgörüsüzlük« olarak çevirmek mümkün. Ancak İtalyancada aynı zamanda »bir şeye tahammül edememe« veya daha yalın haliyle »dayanılmaz« (Latince tolerare=tahammül etme, dayanma; önüne »in-« şeklindeki olumsuzluk eki geliyor) anlamlarını da taşıyor.

Özet bilgi

BILGIÖZET46

• Luigi Nono komünist olduğunun beyan etmişti ve bir İtalyan politikacı, Marksist lozof, gazeteci ve dilbilimci olan ve Marksizm öğretisi Sovyet Stalinizmine göre daha hümanist bir çizgide bulunan Antonio Gramsci’nin taraftarıydı.

• Prömiyer, örgütlü neofaşist grupların farklı eylemler ve pis koku bombalarıyla gerçekleştirdiği planlı bir şekilde saldırıların hede oldu. Öğrencisi Helmut Lachenmann’ın aktardığı bilgilere göre, sahne emekçileri Luici Nono‘yu prömiyerin ardından omuzlara alarak görkemli bir kutlama gerçekleştirdi.

• Nono Intolleranza 1960‘da döneminin önemli kimi toplumsal ve ekoloji politikaları alanında yaşanan felaketlerine atıf yapıyor: 1956’da Belçika’da Marcinelle’de bir madende çıkan ve 262 işçinin ölümüyle sonuçlanan maden kazası; İtalya’da, neofaşist restorasyona karşı 1956 Temmuzunda gerçekleştirilen kitlesel halk yürüyüşü; Cezayir savaşı ile Fransız paramiliter güçlerin bu savaşta başvurduğu ve adeta Alman SS birliklerinin uyguladığı işkence yöntemleriyle nasyonal sosyalistlerin toplama kamplarını çağrıştıran vahşet; ayrıca 1951 yılında Po Deltası’nda yaşanan büyük sel felaketi.

• Intolleranza 1960 Luigi Nono’nun ilk müzikli tiyatro yapıtı ve Venedik Bienali’nin yöneticisi Mario Labroca’nın görevlendirmesi sonucunda ortaya çıktı. İlk kez Bienal kapsamında Teatro la Fenice isimli tiyatro salonunda 13 Nisan 1961’de sahnelendi.

• Nono, kir babası olarak nitelendirilebilecek Angelo Maria Ripellino’ nun yazdığı libretto üzerinde kapsamlı bir çalışma yaptı. Orijinal metnin önemli bir kısmını Paul Éluard, Wladimir Majakowski, Henri Alleg, Jean Paul Sartre, Julius Fučik ve Bertolt Brecht tarafından kaleme alınmış metinlerle tamamladı veya değiştirdi.

• Müzik yönetmeni Gabriel Feltz, orkestrayı sahne zemininden 7,5 metre yüksekte kurulan bir kürsüden yönetiyor. Orkestra ise, sahip olduğu 11 Schlagwerk perküsyonu ve bir davulun şiddetiyle salonun her noktasını kaplıyor.

47ÖZETBILGI

• Luigi Nono, müzikal açıdan Arnold Schönberg geleneğine uygun tarzda serializmin serbestçe kullanıldığı bir tekniği benimser. Luigi Nono, dönemin çağdaş 12 ton tekniğinin yanı sıra Venedik Rönesansı’nın bestekarlarıyla da bağlantı kurar. Öncelikle de kilise müziği alanında, çevreyi kaplayarak mekânı dolduran çoksesliliğin lizlenmesine önayak olan Andrea Gabrielli’ye atıfta bulunur.

• Luigi Nono müzikli tiyatro yapıtlarında, sözcüklerin anlamının sadece semantik açıdan değil, aksine ses kalitesi açısından da karşı tarafa nakledildiği çevresel ses düzenine (surround) sahip bir dünya hayal eder. Intolleranza 1960 ‘ın prömiyerinde orkestra şe iği görevini, Nono’nun yakın dostu ve mücadele yoldaşı Bruno Maderna üstlendi.

• Rejisör Marco Štorman ve sahne tasarımcısı Márton Ágh, Nono’nun ses ülküsünü benimseyerek, Berlin Komik Operası’nın sahnesiyle izleyici bölümünü oyuna dahil ederek görsel ve akustik olarak bütünleşmiş bir dünya yaratıyor. Sara Schwartz’ın tasarımı olan kostümler, bu kri adeta oya işler gibi bir adım daha ileri taşıyor.

Redaktion

S. 5: Sean Panikkar, Deniz Uzun

48Impressum IMPRESSUM

Herausgeberin

S. 11: Gloria Rehm, Sean Panikkar, Chorsolisten der Komischen Oper Berlin

Umschlag: Sean Panikkar, Chorsolisten der Komischen Oper Berlin, Vocalconsort Berlin

Inszenierung Marco Štorman Bühnenbild Márton Ágh Kostüme Sara Schwartz

Layoutkonzept www.STUDIO.jetzt Berlin

Der Text Es ist genug ist ein Originalbeitrag von Carolin Emcke. Die Handlung stammt von Marius Hemmleb, das Interview und der Artikel sind von Johanna Wall Die Gedichte von Angelo Maria Ripellino und Bertolt Brecht sind dem Libretto entnommen. Übersetzungen von Saskya Jain (englisch), Yasmina Ikkene (französisch) und Mehmet Çallı (türkisch).

Fotos von der Klavierhauptprobe am 15. September 2022

Fotos Barbara Braun

Komische Oper Berlin

S. 43: Sean Panikkar, Gloria Rehm

DramaturgieBehrenstraße 55–57, 10117 www.komische-oper-berlin.deBerlin

S. 16/17: Tom Erik Lie, Sean Panikkar

Gestaltung Hanka Biebl Druck Druckhaus Sport ieger

S. 7: Deniz Uzun, Sean Panikkar, Chorsolisten der Komischen Oper Berlin und Vocalconsort Berlin

Musikalische Leitung Gabriel Feltz

S. 39: Sean Panikkar

S. 20/21: Sean Panikkar, Tijl Faveyts, Chorsolisten der Komischen Oper Berlin und Vocalconsort Berlin

Quellen

S. 35: Ilse Ritter

Intendanz Susanne Moser, Philip Bröking Generalmusikdirektor James Ga gan (ab 2023/24)

Premiere am 23. September 2022

Bilder

S. 32/33: Ilse Ritter, Sean Panikkar

S. 28: Sean Panikkar, Ilse Ritter

Johanna Wall, Marius Hemmleb (Mitarbeit)

Dramaturgie Johanna Wall Chöre David Cavelius Licht Olaf Freese

berliner-sparkasse.de/engagement GemeinsamfürBerlin ...Deshalbkulturbegeistert.fördernwirProjekteausKunstundKulturundtragensodazubei,dassTalenteeineBühnebekommen.

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