Gorny & Mosch Auktionskatalog 235

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ANTIKISIERENDES

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637 Büste des Euripides. 19. Jh. H 47cm. Aus weißem, feinkristallinen Marmor. Porträt eines älteren Mannes mit einem gepflegten, nicht allzu langen Vollbart und Haaren, die in langen Locken auf die Schultern herabfallen. Das Bildnis zeigt Euripides als würdigen Greis. Die spärlichen Haarfransen über der Stirn verdecken das kahle Vorderhaupt; der leicht eingefallene Mund ist ein Hinweis auf Zahnlosigkeit. Der Blick der unter weit vorspringenden Brauen liegenden Augen ist etwas nach unten gerichtet; zusammen mit der entspannten Mimik gibt er dem Bildnis einen nachdenklichen Ausdruck. Ein interessantes Porträt von hervorragender bildhauerischer Qualität! Fragment des Hinterkopfes fehlt, außerdem eine größere Beschädigung an der Büste. 7.500,–

Provenienz: Erworben 1958 von der Nichte des Archäologen und Juweliers M. Augenstein, Frankfurt. Bei Gorny & Mosch 231, 2015, 484. Euripides gilt neben Aischylos und Sophokles als einer der drei großen klassischen Tragödiendichter. Er wurde um 480 v. Chr. in Salamis geboren und verstarb im Jahr 406 v. Chr. im nordgriechischen Pella. Der Athener Politiker Lykurg stiftete um 330 v. Chr. Statuen des Aischylos, Sophokles und des Euripides, die im Dionysos-Theater in Athen aufgestellt wurden, dem Ort, wo

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die Tragödien des berühmten Dichters aufgeführt wurden. Die Originale, die wohl aus Bronze waren, sind heute verloren. In römischer Zeit aber waren sie noch vorhanden und wurden häufig kopiert. Diese Kopien wurden auch in reichen römischen Privathäusern als Zeichen der Gelehrsamkeit ihrer Bewohner aufgestellt. Von Euripides sind aus römischer Zeit zahlreiche Bildnisse in zwei verschiedenen Typenreihen überliefert. Der häufigere Typ, den die Wissenschaft „Typus Farnese“ nennt, ist in mindestens 30 Kopien übermittelt. Er geht vermutlich auf das Standbild im Theater von Athen zurück. Auch unser Exemplar gehört dem „Typus Farnese“ an. Das unmittelbare Vorbild war offenbar die römische Kopie, die sich heute im Vatikan, Sala delle Muse, befindet. Vor allem die Übereinstimmung in Gewanddrapierung, Büstenform und Halsausschnitt belegt die Vorbildhaftigkeit des Stückes im Vatikan. Das gerade dieses Stück gerne als Vorbild für Nachahmungen des 19. Jhs. diente, belegt z.B. die ebenfalls danach kopierte Büste des Euripides im Achilleion, dem Schloss der „Kaiserin Sissi“, auf Korfu. 19th century marble bust of Euripides, one of the three great tragedians of classical Athens, the other two being Aeschylus and Sophocles. The portrait shows an elder dignified and serious looking man with long hair falling on his shoulders and a long beard. The forehead, except some fringes, is almost bold. The eyes are lying in deep holes. The mouth is toothless. A fragment of the back of the head is missing, the bust is partially damaged. An interesting portrait of outstanding quality! A masterpiece of the 19th century!


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