Filmdienst 17 2017

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17. August 2017 | € 5,50 | 70. Jahrgang

FILM DIENST Das Magazin für Kino und Filmkultur

17 2017

www.filmdienst.de

Ute Wieland verfilmte mit »Tigermilch« Stefanie de Velascos Debütroman über den Aufbruch zweier Mädchen in die Erwachsenenwelt. Ein Interview.

GÜNTER ROHRBACH Werkstattgespräch mit einem Pionier des Fernsehens und einem der engagiertesten Begleiter des deutschen Kinofilms

GILLIAN ANDERSON Die Schauspielerin über ihre Rolle als Lady Edwina Mountbatten im Historienmelodram »Der Stern von Indien«

POLA NEGRI Der legendäre Stummfilm-Star blieb zeitlebens eine der großen Kino-Diven - und doch stets auch eine unnahbare Fremde


FILMDIENST 17 | 2017 DIE NEUEN KINOFILME NEU IM KINO ALLE STARTTERMINE

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Ana, mon amour 24.8. Annabelle 2 24.8. Atomic Blonde 24.8. Chavela 17.8. Das ist unser Land! 24.8. Der dunkle Turm 10.8. Einsteins Nichten 24.8. Emoji – Der Film 3.8. Gelobt sei der kleine Betrüger 17.8. Hampstead Park 24.8. Hard & Ugly 24.8. Jab Harry met Sejal 3.8. Parasol – Mallorca im Schatten 24.8. Robert Doisneau – Das Auge von Paris 17.8. Sacco und Vanzetti 24.8. Ein Sack voll Murmeln 17.8. Table 19 17.8. The Promise – Die Erinnerung bleibt 17.8. Tigermilch 17.8. Träum was Schönes – Fai Bei Sogni 17.8. Tulpenfieber 24.8. Western 24.8.

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50 THE PROMISE – DIE ERINNERUNG BLEIBT

36 WESTERN KINOTIPP

38 ANA, MON AMOUR

der katholischen Filmkritik

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TRÄUM WAS SCHÖNES – FAI BEI SOGNI Einfühlsames Drama um die Trauer eines Jungen um seine verstorbene Mutter.

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FERNSEH-TIPPS 56 Arte startet zum 100-jährigen Jubiläum der UFA eine Reihe mit deutschen Filmklassikern. Außerdem zeigt der Sender Bruno Dumonts »Jeannette«, eine Musical-Annäherung an die Kindheit und Jugend von Jeanne d’Arc. 3sat erinnert an den deutschen Terror-Herbst 1977 und sendet Spiel- und Dokumentarfilme zur Frage: Was ist los mit unserer Demokratie?

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46 ROBERT DOISNEAU – DAS AUGE VON PARIS

Fotos: TITEL: Constantin. S. 4–5: Movienet, Capelight, Real Fiction, Splendid, Film Kino Text, Rapid Eye Movies, Tobis, FD-Archiv

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17 | 2017 DIE ARTIKEL INHALT KINO

AKTEURE

FILMKUNST

16 A TOUCH OF ZEN

24 GILLIAN ANDERSON

28 POLA NEGRI

10 GÜNTER ROHRBACH

Der 1928 geborene Produzent hat sich wie kaum ein anderer um die deutsche Film- und Fernsehwelt verdient gemacht. Bis heute treibt er deren Entwicklung als streitbarer Geist voran. Ein Werkstattgespräch als Passage durch Rohrbachs über 60-jähriges Berufsleben. Von Thomas Brandlmeier

16 »A TOUCH OF ZEN«

Fast 50 Jahre nach seiner Entstehung kommt der bahnbrechende Klassiker des Martial-Arts-Films in restaurierter Fassung wieder in die Kinos. Die Wiederbegegnung mit einem Ausnahmewerk. Von Holger Römers

20 VLAD IVANOV

27 E-MAIL AUS HOLLYWOOD

Der Schauspieler ist seit »4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage« eine feste Größe in den gefeierten Filmen des rumänischen Kinos. Auch internationale Produktionen (»Toni Erdmann«, »Snowpiercer«) bereichert er mit außergewöhnlicher Präsenz. Eine Hommage.

Der Regisseur Joss Whedon inszenierte bislang für Disneys Marvel Cinematic Universe, wurde nun aber vom Konkurrenten Warner Bros. für den DC-Comic-Kosmos verpflichtet. Ein Coup, der von neuem Schwung durch den Erfolg von »Wonder Woman« kündet.

Von Marius Nobach

Von Franz Everschor

22 UTE WIELAND

28 POLA NEGRI

Bei »Tigermilch« hat die Regisseurin erstmals seit langem wieder auch das Drehbuch geschrieben. Ein Gespräch über die Kraft von Filmen übers Erwachsenwerden und den Wandel in der Filmrezeption. Von Margret Köhler

24 GILLIAN ANDERSON

Als Lady Mountbatten gerät die US-Schauspielerin im Historiendrama »Der Stern von Indien« in die politischen Trubel am Ende der Kolonialzeit. Ein Gespräch über eine vielschichtige Rolle und eigene Regiepläne. Von Michael Ranze

26 IN MEMORIAM

Die gebürtige Polin (1897–1987) glänzte in deutschen und amerikanischen Stummfilmen als exotische Schönheit und verführerische Femme fatale. Ihr Leinwand-Image prägte auch ihr Privatleben. Ein Loblied auf die Diva, die vor 30 Jahren in Texas starb. Von Stephan Ahrens

32 FOKUS TÜRKEI (X)

Der rigorose Umgang des türkischen Staats mit kritischen Stimmen wirkt sich auch auf die Filmszene aus. Die Festival-Landschaft befindet sich bereits im Niedergang. Beobachtungen zu einem Verfallsprozess. Von Emine Yildirim

Nachrufe auf die französische Filmlegende Jeanne Moreau und die »Abschied von Gestern«-Darstellerin Alexandra Kluge. Von Rolf-Ruediger Hamacher & Ulrich Kriest

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RUBRIKEN EDITORIAL INHALT MAGAZIN DVD-KLASSIK DVD/BLU-RAY TV-TIPPS FILMKLISCHEES VORSCHAU / IMPRESSUM

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beenden die martialischen Kämpfe

Mythisch überhöhte Mönche

Ein Hauch von Zen-Buddhismus:

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Nachdem »A Touch of Zen« 1975 beim Festival in Cannes den »Grand Prix« für herausragende technische Leistungen erhielt, hat dieses Meisterwerk seinerseits prägend gewirkt – die prominenteste Referenz findet sich wohl in Ang Lees »Tiger & Dragon« (2000). Weder vorher noch nachher dürfte es je einen Film gegeben haben, der die Erzählkonventionen des Martial-Arts-Kinos so tollkühn gegen den Strich bürstete, der Action so inbrünstig mit religiöser Spiritualität verband und der dem abstrakten Eindruck des von der frühen Filmavantgarde angestrebten »reinen Kinos« so nahe kam.

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Gewalt von höchster Suggestivkraft – auch heute noch. Ab 17.8. läuft der Film in restaurierter Fassung wieder im Kino.

F

Von Holger Römers

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In der Filmgeschichte gibt es wahrscheinlich nichts, was mit »A Touch of Zen« zu vergleichen wäre. Vordergründig hat man es mit einem typischen SchwertkampfFilm zu tun, das heißt: Ritterliche Helden und korrupte Schurken erhalten ausgiebig Gelegenheit, ihre Meisterschaft im Umgang mit Hieb- und Stichwaffen zu beweisen. Auch andere traditionelle Elemente der so genannten »Wuxia«-Filmgattung kommen zum Einsatz, während Regisseur King Hu zugleich Motive aus seinen beiden vorangegangenen Filmen aufgreift, die Mitte der 1960er-Jahre zur Erneuerung des Genres beigetragen hatten.

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EIN WERK VON UNERHÖRTEM AUFWAND

Der 1932 in Peking geborene King Hu hatte seine Filmkarriere in Hongkong als Kulissenbauer begonnen, bevor er in gut drei Dutzend Filmen

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ZUM

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Im populären Genre des asiatischen Martial-ArtsFilms gibt es eine Zeit vor und eine Zeit nach »A Touch of Zen« (1969) von King Hu. Das schillernde Ausnahmewerk verband aufwändige Ausstattung, Elemente einer fantastischen Gespenstergeschichte und virtuose Schwertkämpfe mit der geistigen Kraft des ZenBuddhismus – und hob so die vertrauten Muster auf eine neue, metaphorische Ebene. Damit ist »A Touch of Zen« auch als Fabel über Sinn und Zweck von

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K I N O S TA R T

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Kino

KINO KING HU & A TOUCH OF ZEN


Sequenz kopfüber aus den Wipfeln

stürzt sich in der Bambushain-

Die schweigsame Kämpferin Yang

ZEN«

ungewöhnlichen Figurenkonstellation und der ebenso unkonventionellen Erzählperspektive liegt. Der Protagonist Gu (Shih Chun) ist ein armer Privatgelehrter und Auftragsschreiber, der sich von seiner verwitweten Mutter ständig einen Mangel an Tatendrang vorwerfen lassen muss. In seinem kleinen Ladenlokal erhält er Besuch von einem geheimnisvollen Fremden namens Ouyang (Tien Peng), der sich neugierig nach Neuankömmlingen im Dorf erkundigt. Später lernt Gu eine neue Nachbarin kennen, die schweigsame Yang (Hsu Feng), die sich unvermittelt auf einem verfallenen Militärgelände einquartiert hat. Die junge Frau entpuppt sich als Meisterin der Kampfkunst – was im »Wuxia«-Kino jener Jahre nicht so unüblich war, wie man denken mag. Ähnlich resolut waren auch schon zentrale weibliche Figuren in »Come Drink With Me« und »Dragon Inn« gezeichnet. Der eigentümliche Reiz der Figur ergibt sich indes aus ihrer Unergründlichkeit. Zwar klären

TOUCH

Aufwand betreiben: Wie Stephen Teo in seiner Monografie über den Film berichtet, wurden auf dem Union-Studiogelände in solider Bauweise Kulissen errichtet, die ein komplettes Dorf nachbildeten. Dann wurden einige der Bauten mit Flammenwerfern, Schmirgelpapier, Essig und Salz traktiert, bis sie den Eindruck verwitterter Ruinen erweckten. In diesen pittoresken Kulissen siedelte Hu die Handlung an, deren Gerüst auf einer Geistergeschichte aus Pu Songlings berühmtem Werk »Seltsame Geschichten aus einem Gelehrtenzimmer«(erstmals publiziert 1679) basierte.

EINE UNERGRÜNDLICHE MEISTERIN DER KAMPFKUNST

Nur langsam erschließen sich die Zusammenhänge der während der Ming-Dynastie angesiedelten Handlung, was nicht zuletzt an der

»A

VON

als Schauspieler auftrat. Nachdem er Erfahrungen als Regieassistent gesammelt hatte, gab er 1965 mit dem Kriegsfilm »Sons of the Good Earth« sein Debüt als Regisseur und Drehbuchautor. Zwar wurde bereits sein zweiter Film »Come Drink With Me« (»Das Schwert der gelben Tigerin«, 1966) ein Kassenhit, doch Hus penible, zeitaufwändige Arbeitsweise sorgte für Streit mit dem Leiter des legendären Shaw Brothers Studios. Also tat sich der Filmemacher mit der taiwanischen Verleihfirma Union Film zusammen, die ins Produktionsgeschäft expandieren wollte. »Dragon Inn« (»Die Herberge zum Drachentor«), das erste Ergebnis dieser Zusammenarbeit, wurde 1967 ebenfalls ein kommerzieller Erfolg, was es Hu erlaubte, in Taiwan sogleich ein weiteres Projekt in Angriff zu nehmen, an dem ein Großteil desselben Teams und derselben Schauspieler mitwirken sollte. Für »A Touch of Zen« (»Ein Hauch von Zen«) ließ der perfektionistische Filmemacher unerhörten

OF

M A RT I A L-A RTS - KLASSIKER

KING

HUS

KING HU & A TOUCH OF ZEN KINO

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Konventionen der Filmmontage

der Schwerkraft – und gegen die

King Hu verstößt gegen die Regeln

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aushecken, um einen Angriff von Yangs Verfolgern abzuwehren. In einer der berühmtesten Szenen des Films sieht man ihn schallend lachen, während er die Erfindungen inspiziert, die in der Nacht zuvor eine blutige Schlacht entschieden haben. Als er jedoch realisiert, welche tödliche Wirkung sein Einfallsreichtum hatte, fährt ihm der Schreck so nachhaltig in die Glieder, dass er sogleich den Verstand zu verlieren scheint.

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einige Rückblenden darüber auf, aus welchen politischen Gründen Yang vor den Schergen des kaiserlichen Geheimdiensts fliehen musste; doch man kann nur spekulieren, warum sie eine kurze sexuelle Beziehung mit Gu ebenso abrupt beendet wie sie sie zuvor – nach einem schicksalsergebenen Blick in die Kamera – initiiert hat. Bis zuletzt lässt sich diese Frau nicht in die Karten schauen, was umso überraschender ist, als sie nominell die Hauptfigur abgibt – der chinesische Originaltitel lautet nämlich sinngemäß »Die heldenhafte junge Frau«. Da Gu kein Kämpfer ist, scheint er als Protagonist eines Martial-ArtsFilms denkbar ungeeignet. Von Yang und ihren heimlichen Verbündeten wird der linkische Bücherwurm brüsk beiseite geschoben, sobald Gefahr im Verzug ist. Als er einmal zwei Streithähnen zu folgen versucht, gerät er prompt ins Stolpern und verliert das Bewusstsein. Weil er sich schon als Kind für Bücher über Kriegsstrategie begeistert hat, kann er immerhin eine List

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SUGGESTIVE SCHNITTFOLGEN MIT KÜHNEN LÜCKEN

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Dass die Erzählperspektive an eine Figur geknüpft ist, die in einer passiven Beobachterrolle verharrt, erklärt wohl, warum King Hu das Publikum zunächst auffallend lange auf Action warten lässt. Doch der lange Vorlauf von mehr als einer Dreiviertelstunde trägt dazu bei, dass die Kampfsequenzen dann

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umso furioser wirken. Im Kontrast mit der mäandernden Gemächlichkeit der Exposition kommt die Rasanz der akrobatischen Action nachdrücklich zur Geltung. Die kühnen Lücken, die die Montage in jenen Sequenzen lässt, verdanken ihre verblüffende Selbstverständlichkeit wiederum dem Umstand, dass Hu von der ersten Minute an mit suggestiven Schnittfolgen arbeitet. Der Film beginnt mit einer Aneinanderreihung symbolträchtiger stummer Einstellungen von Spinnennetzen, die von Impressionen erhabener Landschaft abgelöst werden. Dabei steht die Kamera kaum je still – wie sie auch in den folgenden drei Stunden fast unentwegt schwenkt, zoomt oder fährt, während die einzelnen Einstellungen mitunter im Stakkato-Rhythmus wechseln. David Bordwell, der Positivist der Filmwissenschaften, hat ausgerechnet, dass die durchschnittliche Dauer der Einstellungen in diesem Film nur etwa 4,5 Sekunden beträgt.

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KINO KING HU & A TOUCH OF ZEN


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King Hus Karriere hat sich von diesem Desaster dennoch erholt, nicht zuletzt, weil die integrale Fassung von »A Touch of Zen« vier Jahre später in Cannes gefeiert wurde. Der Filmemacher konnte – je nachdem, wie man abgebrochene Arbeiten und Gemeinschaftswerke mitzählt – noch etwa zehn weitere Spielfilme inszenieren. Bis zu seinem Tod im Jahr 1997 trieb er an seinem zwischenzeitlichen Wohnort in den USA ein Projekt über chinesische Migranten voran, die beim Bau der amerikanischen Eisenbahnen im 19. Jahrhundert rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt waren. Doch nie wieder standen ihm die Möglichkeiten eines Studios zur Verfügung, das den verschwenderischen Überschwang seines Talents großzügig förderte. Entsprechend zog Stephen Teo eine Parallele zum tragischen Karriereverlauf von Orson Welles und meint: »In diesem Sinne ist ›A Touch of Zen‹

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Fotos: Taiwan Film Institute/Rapid Eye Movies

von Hus Martial-Arts-Szenen aus gezielten Verstößen gegen die Konventionen der Filmmontage ergibt. Wer will, kann diese »präzise angepassten Imperfektionen« vor dem heimischen DVD-Player mit regelmäßigem Vor- und Zurückspulen nachvollziehen. Dann versteht man vielleicht irgendwann, was genau Yang tut, als sie sich in der Bambushain-Sequenz kopfüber aus einem Baumwipfel stürzt. Weit schöner aber ist es, sich in einem Kino, in dem die remasterte Fassung dieses Wunderwerks nun wiederaufgeführt wird, einfach der betörenden Wirkung der Sequenz hinzugeben. Einen Augenblick lang nichts mehr denken. Nur noch schauen. Und staunen.

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DAS AUFGEHEN IN EINER SPIRITUELLEN NOTE

der ›Citizen Kane‹ des chinesischen Kinos.« Vor dem Hintergrund des krachenden kommerziellen Scheiterns wirkt die spirituelle Note, auf der der Film schließlich endet, umso gewagter. Man verrät nicht zuviel, wenn man erwähnt, dass dieses einzigartige Werk im Bild eines von gleißenden Sonnenstrahlen umhüllten Buddhas gipfelt, der aus einer offenen Wunde goldenes Blut vergießt und den überlebenden Figuren einen Fingerzeig gibt. Was das zu bedeuten hat, ist offenbar auch für jene Zuschauer schwer zu fassen, die mit buddhistischer Philosophie vertraut sind. Hu unterstreicht die psychedelische Wirkung jedenfalls, indem er nicht nur Positivbelichtungen einstreut – auch lässt er eine Gruppe Mönche, die in entscheidenden Momenten immer wieder in Erscheinung treten, zum letzten Gefecht buchstäblich einschweben. Der Filmemacher war selbst kein Buddhist, hatte im Vorfeld seines Films aber eine Faszination für das Konzept des Zen entwickelt. Aus Anlass der Aufführung in Cannes berichtete er von den Schwierigkeiten, dieses Konzept in eine filmische Form zu übertragen. Zen könne nicht erklärt, sondern nur erfahren werden; alle Versuche, Zen zu analysieren, führten unweigerlich zu Konfusion. Sofern man als naiver Laie die Idee von Zen erfassen kann, wird dabei ein Gemütszustand angestrebt, der den Geist von weltlichen Gedanken leert. Diesem Ziel kommt der Film ironischerweise in seinen Actionszenen am nächsten: Schnelle Schnitte unterstreichen die Akrobatik der Kampfchoreografie, sie haben aber immer wieder auch den Effekt, zu verwirren. Oft genug ist es unmöglich nachzuvollziehen, was genau die Kämpfer gerade treiben. David Bordwell berichtet, wie er einen ganzen Tag in einem Filmarchiv damit zubrachte, das Geheimnis von Hus Kampfszenen zu entschlüsseln. Der Filmwissenschaftler hat akribisch analysiert, dass sich der magische Eindruck

»A TOUCH OF ZEN« (HSIA NU). Taiwan 1969. Regie und Buch: King Hui. 179 Min. FSK: ab 12. (Früherer dt. Titel: »Ein Hauch von Zen«). Der Film startet am 17.8. in den Kinos, zeitgleich mit King Hus Film »Dragon Inn«; beide Filme kommen in aufwändigen 4K-Restaurierungen zum Einsatz, die das Taiwan Film Institute mit Unterstützung des taiwanesischen Kulturministeriums im Filmkopierwerk »L’immagine ritrovata« in Bologna anfertigen ließ.

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Nach anderthalb Stunden Filmdauer folgt dann ein Kampf, der dem Filmemacher so atemberaubend geraten ist, dass seine Produzenten glaubten, diese spektakuläre Sequenz, angesiedelt in einem von Streulicht erfüllten, zauberhaften Bambushain, kurzerhand zum Schlusspunkt eines separaten Spielfilms umfunktionieren zu können. Während King Hu gerade den eigentlichen Schluss in Hongkong drehte, brachten sie gegen seinen Willen die erste Filmhälfte 1970 als Auftakt eines Zweiteilers in die heimischen Kinos. In Taiwan, wo der zweite Teil im Jahr darauf folgte, war »A Touch of Zen« ein riesiger Flop. In Hongkong lief der Film dann 1971 in einer einzigen Langfassung (die gegenüber der heute bekannten Fassung dennoch gekürzt war) – eine läppische Woche lang in lediglich zwei Kinos.

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KING HU & A TOUCH OF ZEN KINO

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AKTEURE VLAD IVANOV »4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage«

Hommage an den außergewöhnlichen rumänischen Schauspieler Vlad Ivanov

SCHLÜSSELFUNKTIONEN

Als Toma die Kirche betritt, ahnt er nicht, was ihm bevorsteht. Die ersten Worte des Priesters Adrian klingen wie bei einer gewöhnlichen Beichte, doch dann wird er unerwartet persönlich. Ob dem kettenrauchenden Studenten bewusst sei, dass er in seinem Leben bereits den Wert eines Neuwagens für Zigaretten vergeudet habe? Pragmatisch reagiert der Geistliche darauf, dass Toma keine Absolution sucht, sondern Beistand in seelischer Not: Rätselhafte Panikattacken seiner Freundin Ana haben den jungen Mann an den Rand der Belastbarkeit geführt. Den Priester hat er zufällig zum Adressat seiner Klage gewählt, doch der ist nun kaum zu bremsen. Seine Empfehlung an das Paar: vollkommene Offenheit und schonungslose Aufarbeitung negativer Erfahrungen, auch wenn es noch so schmerze. »Sonst findet ihr nach der Hochzeit eine Sauerei unterm Teppich!«

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Etwa fünf Minuten dauert diese Szene in »Ana, mon amour«, dem Drama des rumänischen Regisseurs Calin Peter Netzer, doch ihre Schlüsselfunktion ist offenkundig. Anders als der überforderte Toma zweifelt man als Zuschauer nicht daran, dass eine Lösung des Problems nie wieder so nah sein wird. Mehr noch als der Dialog ist es die Ausstrahlung des Priesters, die diesen Moment herausragen lässt: Hochkonzentriert interpretiert ihn sein Darsteller Vlad Ivanov als schnell sprechenden, alle Phrasen vermeidenden Charakter. Insistierend, aber nicht überheblich, verbindlich, aber nie devot – eine weit über den Ein-Szenen-Auftritt hinaus beeindruckende Figur. VERDIENTER PLATZ AUF DER CINEASTISCHEN LANDKARTE Vlad Ivanov ist einer der einprägsamsten Charakterdarsteller des aktuellen Kinos.

Sein Aufstieg hat viel mit seiner Begabung zu tun, auch kurze Filmeinsätze zu Kabinettstücken auszugestalten. »Ana, mon amour« ist das jüngste Beispiel für die Kunst des 1969 im rumänischen Botosani als Angehöriger der russischsprachigen LipowanerMinderheit geborenen Schauspielers, mit geringem äußeren Aufwand höchst vielschichtige Persönlichkeiten zu entfalten. Sein tendenziell sympathischer Priester ist dabei eine Ausnahme, wird Ivanov doch bislang vor allem mit Negativfiguren identifiziert. Maßgeblich dafür ist seine Rolle in Cristian Mungius »4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage«, die den stämmigen Mimen mit dem runden, glänzenden Gesicht, den kleinen, stechenden Augen und der hohen Stirn unvermittelt auf der cineastischen Landkarte platzierte. Als Viarel Bebe, der zu Zeiten des Ceausescu-Regimes illegale Abtreibungen durchführt, erscheint Ivanov

Fotos: Concorde/Mobra Films/X-Verleih

Das vorrangig westlich orientierte Kino übersieht immer wieder herausragende künstlerische Leistungen im osteuropäischen Filmschaffen. Zwar weiß man, dass rumänische Filmemacher wie Calin Peter Netzer und Cristian Mungiu zu den wichtigsten Regisseuren zählen, dass sie aber nicht zuletzt auch von der Qualität eines begnadeten Schauspielers wie Vlad Ivanov zehren, wird übersehen. Ivanov war auch in Maren Ades »Toni Erdmann« zu sehen, aber seine Entdeckung und Würdigung stehen noch aus. Von Marius Nobach


VLAD IVANOV AKTEURE vom ersten Moment an angespannt, als könne er nur mühsam einen Gewaltausbruch zurückhalten. Das Hotelzimmer, das die schwangere Gabita und ihre Freundin Otilia gemietet haben, wird zum Schauplatz eines quälerischen Verhörs, bei dem Bebe seine verängstigten Gegenüber rhetorisch immer weiter in die Enge treibt und ihnen Schuldgefühle einpflanzt: weil sie sich nicht an seine Vorgaben gehalten und damit ihn und auch sich selbst in Gefahr gebracht haben, weil sie in entscheidenden Fragen gelogen haben und viel zu wenig Geld dabei haben. Als »Kompensation« dafür zwingt er beide Frauen zum Sex, bevor er mit wenigen routinierten Handgriffen die Abtreibung durchführt. Und danach aus dem Zimmer und dem Film verschwindet. Es greift zu kurz, diesen Bebe auf konventionelle Schurkenbegriffe einzugrenzen: Vlad Ivanov lässt seine Stimme fast durchgehend auf niedrigem Ton-Pegel verharren, die wachsende Gereiztheit erkennt man vor allem an der gehobenen Augenbraue und der von immer mehr Zornesfalten durchfurchten Stirn. Offen bleibt, ob Bebe mit Berechnung handelt oder »nur« ein nervöser Pendant ist, den die Umstände zu der perfiden Erpressung treiben – ein Kniff, mit dem Regisseur Mungiu die Atmosphäre der Verunsicherung in der kommunistischen Diktatur auf den Zuschauer überträgt. Umso mehr, als Bebe nicht frei von Empathie ist. Im Gegenteil: Wenn er Gabita »Bacalaureat«

»Mutter & Sohn«

zum Abschied viel Glück wünscht, muss das den Frauen hochgradig zynisch erscheinen, gleichwohl ist es in dem Film der einzige freundliche Satz, der aufrichtig klingt. VORSTELLUNGEN VON GEWISSEN UND MORAL Viele seiner Rollen identifizieren Ivanov seitdem mit der rumänischen Gesellschaft am Ende der 1980er-Jahre, ebenso mit den auch im Postkommunismus beibehaltenen Strukturen. Ähnlich wie im westdeutschen Nachkriegsfilm Schauspieler wie Gert Fröbe und Werner Peters musterhaft den gesättigten Wirtschaftswunder-Profiteur mit ungesühnter Nazi-Vergangenheit darstellten, scheint Ivanov allein durch seine Erscheinung schon die verkrusteten Zustände, die unterschwellige Brutalität, den allgemeinen Stillstand auszudrücken. Seine Figuren haben sich in diesem System prächtig eingerichtet und keine Hemmung, das zu zeigen; vortrefflich etwa in Calin Peter Netzers »Mutter & Sohn« (2013), in dem Ivanov ebenfalls nur eine einzige Szene hat. In der aber zieht er alle Register, um die Gefühlskälte der Hauptfigur zu spiegeln und noch zu übertreffen. Die Bemühungen der reichen Cornelia, ihren Sohn Barbu um jeden Preis vor einer Strafe wegen eines tödlichen Autounfalls zu bewahren, kontert der von Ivanov gespielte Unfallzeuge, indem er skrupellos die Bedingungen für seine Aussage offenlegt: Je höher das Bestechungsgeld, umso niedriger wird er Barbus Geschwindigkeit angeben. Wie gut sich andere auch auf die Mechanismen von Drohungen, Manipulation und Bestechung verstehen, in Ivanovs Charakteren finden sie ihren Meister. Und angesichts von Unschuld kennen sie erst recht kein Pardon: In Cristian Mungius »Bacalaureat« (2016) macht er als Polizeikommissar die Ermittlung wegen eines Sexualverbrechens davon abhängig, dass ihm der Vater des Opfers, ein bis dahin unbescholtener Arzt, seinerseits einen »Gefallen« erweist. Die Gewissheit, dass von rumänischen Gesetzesvertretern nicht unbedingt Gerechtigkeit zu erwarten ist, prägt auch Ivanovs Rolle in Corneliu Porumboius »Police, adjective« (2009). Als Polizeichef Anghelache sitzt er unbeweglich hinter seinem Schreibtisch und lässt er sich in einer quälenden 20-Minuten-Szene von den Ermittlungen gegen junge Drogenkonsumenten Bericht erstatten. Als ihm sein

Untergebener Cristi mit Skrupeln kommt, weist er ihn nicht einfach mit einem Befehl in die Schranken, er erteilt ihm eine Lektion in buchstabentreuem Rechtsverständnis, indem er ihn zwingt, dessen Vorstellungen von »Gewissen« oder »Moral« mit den Definitionen im Wörterbuch abzugleichen. Auch hier schleichen sich Irritationsmomente in die Demütigung: Anghelache könnte mit seinem Vorgehen durchaus den Jüngeren zu einem Berufsverständnis führen wollen, das ihm seine Arbeit letztlich erleichtern soll. In einem Interview hat Ivanov bekräftigt, dass er kein Interesse an eindimensionalen Bösewichten habe, sondern jedem Charakter menschliche Züge verleihen wolle. »Gerade das macht sie sogar furchteinflößender. Denn man begreift, dass sie mehr sein könnten, als sie sind, sich aber dagegen entschieden haben«, fasst er sein Verständnis seiner Figuren zusammen. Das bedeute, sich für die Dauer einer Theateraufführung oder eines Filmdrehs völlig auf die Untiefen einer Rolle einzulassen, sich danach aber auch die Zeit zu nehmen, negative Energien abzuwaschen. Diese Arbeitsweise hat Ivanov selbst bei seinen bislang seltenen internationalen Ausflügen beibehalten. In Bong Joon-hos Science-Fiction-Dystopie »Snowpiercer« (2013) verkörpert er mit eindrucksvoller Physis einen stoischen Killer, den selbst Messer und Kugeln nur bedingt aufhalten. Ivanov spricht in diesem Film nur einen einzigen Satz; dafür nutzt er umso stärker seine Mimik, um seine Figur aufzuwerten. Mitunter blitzt in seinem Gesicht ein Ausdruck von Erschöpfung und Entsetzen auf, als könne er sein blutiges Handwerk nicht mehr lange ertragen und halte nur daran fest, weil es für ihn keinen anderen Platz gibt. Man kann auch darin eine Gemeinsamkeit vieler Rollen von Vlad Ivanov sehen: Figuren mit dem sicheren Gefühl dafür, worin ihre Aufgabe in der Gesellschaft besteht und wie sie sich in der jeweiligen Situation zu verhalten haben. Dass sich ihre Absichten, ob gut oder schlecht, nicht immer im gleichen Maße vermitteln, liegt in der Natur der Sache. In »Ana, mon amour« entgeht Toma nicht nur der Wert der erhaltenen Ratschläge; rückblickend wird er die Begegnung mit dem Priester sogar für bedeutungslos halten. Als Zuschauer kann einem das nur wie ein kolossaler Witz vorkommen: Einen Auftritt von Vlad Ivanov zu vergessen, das ist eigentlich unmöglich.

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Western

Valeska Grisebachs faszinierende Meditation über das Fremdsein in der Fremde

In Howard Hawks’ WesternKlassiker »El Dorado« (1966) spielte John Wayne den alternden Revolverhelden Cole Thornton, der als eine Art Wanderarbeiter durch die Lande zieht und sich als »Troubleshooter« anheuern lässt. Dabei ist er so souverän, einen Auftrag, der ihm moralisch nicht behagt, auch schon mal abzulehnen; dann zieht er weiter zur nächsten »Baustelle« und zum nächsten Kräftemessen mit raffgierigen Großgrundbesitzern oder schießwütigen Gaunern – ein Profi, unabhängig, ohne festen Wohnsitz. In Valeska Grisebachs »Western« zieht es den ostdeutschen Meinhard auf eine Auslandsbaustelle in der bulgarischen Provinz, »auf Montage«, wie es heißt. Als Mitglied eines kleinen Trupps von Bauarbeitern bereitet der auf die 50 zugehende, wortkarge Einzelgänger in einem idyllischen Flusstal den Bau eines Wasserkraftwerks mit vor – ein Knochenjob in sommerlicher Hitze, inmitten einer unerschlossenen archaischen Naturlandschaft aus mächtigen Wäldern, hohen Bergen und tiefen Tälern. Gelegentlich trägt Meinhard eine Art Cowboy-Hut, mitunter kniet er

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auf einem hoch gelegenen Felsen und schaut in die Weite, und als er auf ein frei umherziehendes Pferd trifft, schwingt er sich auf dessen Rücken und reitet ins nächste Dorf. Ein Fremder, unabhängig, ohne festen Wohnsitz, und doch getrieben von der tiefen Sehnsucht, endlich einmal irgendwo anzukommen. Bereits in ihrem Film »Sehnsucht« (2006) spiegelte Valeska Grisebach bewundernswert sensibel das Seelenleben ihrer Protagonisten in der Landschaft, um deren versteckte Wünsche, aber auch deren seelische Nöte transparent zu machen. In »Western« arbeitet sie nun erneut mit vielsagenden, kargromantischen Landschaftsbildern, wobei sie sich frappant schlüssig und vielschichtig der Motive und Mythen klassischer Western-Filme bedient, um auf die durch und durch gegenwärtigen Befindlichkeiten ihrer Protagonisten einzugehen. Meinhard, der schweigsame Fremde aus dem fernen Deutschland, der zuvor bereits als Legionär und Soldat im Auslandseinsatz war, wird vom Laiendarsteller Meinhard Neumann gespielt, wie Grisebach grundsätzlich auf die »rustikale«

Authentizität nicht-professioneller Schauspieler setzt. So reiben sich ihre ausgiebigen Western-Chiffren reizvoll an der neorealistischen Grundhaltung der geduldig und betont langsam entwickelten Erzählung. Indem sich Meinhard immer mehr von seinen Arbeitskollegen absondert und die Nähe zu den Dorfbewohnern sucht, entwickeln sich zunehmend Konflikte zwischen den Deutschen und den Bulgaren. Meinhard gerät zwischen die Fronten der Eindringlinge und »Eroberer« auf der einen Seite und den sich überwiegend höflich und gastfreundlich gebenden, ab einem bestimmten Punkt dann aber doch auch sehr verschlossenen Dorfbewohnern auf der anderen. Dabei geht es immer deutlicher um Macht- und Besitzansprüche angesichts knapper Wasservorräte, ebenso um Allianzen und Zweckgemeinschaften viriler Männer in Zeiten allgemeiner ökonomischer Nöte, schließlich aber auch um das kompliziertkomplexe Verhältnis von Männern und Frauen, um Nähe und Begehren, um erzwungene Distanz und das Scheitern von (Fern-)Beziehungen. Auf der Grundlage ihrer ein-

drücklichen poetischen Naturbetrachtungen verschiebt Valeska Grisebach immer wieder betont unspektakulär, leise und quasi subkutan die Fronten zwischen den handelnden Menschen. Die Zusammenhänge ihrer oft schwierigen, gelegentlich kläglich misslingenden, im nächsten Moment dann aber auch wieder erstaunlich gut funktionierenden Kommunikation muss sich der Zuschauer oft eigeninitiativ erschließen, indem er selbst zum mitagierenden und auch mitfühlenden Protagonisten wird. Meistens weiß er dabei mehr als die Personen, die sich in ihrer jeweils fremden Sprache rat- und verständnislos gegenüberstehen und gelegentlich in provozierende Droh- oder Abwehrgebärden verfallen; der Zuschauer aber versteht dank der deutsch untertitelten bulgarischen Passagen zumindest sprachlich beide Seiten, woraus ihm aber nicht unbedingt ein sicherer Vorteil erwächst. Im Gegenteil: Indem er quasi über der rohen Körperlichkeit der Geschehnisse »thront«, lädt sich in seinem Innern eine ständig intensiver werdende (An-)Spannung auf, entsteht aus den ständigen Reibungen eine eigendynamische Energie, die den Film bei all seiner visuellen Klarheit und Einfachheit extrem komplex und vielschichtig macht. Vor allem der introvertierte und nur wenig wortgewandte Meinhard öffnet sich so zunehmend und gibt sein Innenleben preis, sodass man mit jedem seiner Hemdenwechsel und jeder Autofahrt ins Ungewisse immer stärker mit ihm fühlt und schließlich um ihn, seine Gesundheit und sein Seelenheil fürchtet. Am Ende von Howard Hawks’ »El Dorado« wird der Revolverheld Cole Thornton sesshaft. In der vom Verbrechen befreiten Stadt warten auf ihn ein befriedetes soziales Umfeld, gute Freunde und eine schöne Frau, die schon lange still und wacker auf ihn

Fotos S. 36–51: Jeweilige Filmverleihe

KritiKen neue Filme


neue Filme KritiKen gewartet hat. Dies alles bleibt Meinhard am Ende von »Western« auf tief tragische Weise verwehrt. Er bleibt trotz seiner Bemühungen fremd in der Fremde, einer, der nicht ankommt, weder bei seinen eigenen Landsleuten noch bei den bulgarischen Dorfbewohnern, deren Kultur und Stehauf-Mentalität er eigentlich doch so sehr zu schätzen gelernt hat. Mitten in der auf den ersten Blick ausgelassen anmutenden, finalen Tanzszene beim Dorffest hebt er die Arme und tanzt allein, isoliert und ernüchtert angesichts der Grenzen zum Wirklichen, die er nicht hat überschreiten können. Horst Peter Koll

BeWertung Der FiLmKommiSSion

ein wortkarger einzelgänger ende 40 kommt mit einem Trupp deutscher Bauarbeiter in ein entlegenes Gebiet Bulgariens, um ein Wasserkraftwerk zu errichten, knüpft Freundschaften mit den Bewohnern eines nahe gelegenen Dorfs, was zu Annäherungen, aber auch zu Konflikten führt und ihn zwischen die Fronten geraten lässt. ein intensives Drama um die tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit und einem Platz im leben. Souverän verbindet der in grandiosen naturlandschaften schwelgende, eindrucksvoll von laiendarstellern gespielte »Heimatfilm« mythen und Chiffren des Western-Genres mit dem geduldigen neorealistischen Blick auf möglichkeiten und Grenzen menschlichen miteinanders. – Sehenswert ab 16.

Deutschland/Bulgarien/Österreich 2017 regie: Valeska Grisebach Darsteller: meinhard neumann (meinhard), Reinhardt Wetrek (Vincent), Syuleyman Alilov letifov (Adrian), Veneta Frangova (Veneta) Länge: 121 min. | Kinostart: 24.8.2017 Verleih: Piffl | FSK: ab 12; f FD-Kritik: 44 863

einsteins nichten

Bewegende Erinnerungen betagter Zwillingsschwestern Am Horizont grüßen Pinien, auf den weichen Hügeln davor liegt idyllisch ein Friedhof. Zwei ältere Frauen, offensichtlich Zwillinge, tasten sich behutsam durch die Reihen. Viel zu abgeschieden liegt das Grab. Dort angekommen, sackt eine der Schwestern zusammen, beweint und beklagt den Verlust der Familie, die sie einst adoptiert hatte: 1944 ermordeten die Deutschen drei Mitglieder der Einsteins, Mutter Nina und die Töchter Cici und Luce. Ziel der Besatzer war eigentlich Robert Einstein, Freund und Cousin des berühmten jüdischen Physikers. Robert hatte sich in den umbrischen Wäldern verborgen, als die Besatzer seine Villa Focardo stürmten und die Schwestern Mazzetti in einem Raum gefangen setzten, sie zu Ohrenzeugen der Ermordung machten. Lorenza und Paola sind heute an die 90 Jahre alt – für Friedemann Fromms Dokumentarfilm haben sie sich mehr als 70 Jahre nach den Morden noch einmal an den Tatort begeben. Die beiden Damen leben heute in Rom. Zu Bildern von Orangenbäumen und der Spanischen Treppe, auf der Dachterrasse der Mazzettis, schlägt der Regisseur zu Beginn einen leichten Ton an. Langsam lernt man die lebenslustigen Schwestern

kennen. Ihre leibliche Mutter starb bei der Geburt, der Vater konnte sich nicht kümmern. So kamen sie nach Perugia, wo sie als Jugendliche glückliche Zeiten verlebten – bis die Deutschen kamen. Bei der Schilderung der Kriegstage geht der Film aus seiner Form, verlegt sich aufs Reenactment: In verschwommenen, von ausladend grimassierenden Schauspielern nachgestellten Bildern sieht man eine Idylle, bevor von außen die Bedrohung hereinbricht. Zurück im dokumentarischen Jetzt, wanken die Schwestern durch die Villa, von der Konfrontation mit dem Trauma sichtlich betroffen. Zunehmend sucht man Orientierung in dieser Geschichte, doch zu sprunghaft und unsystematisch wird sie erzählt. Hintergründe und Weiterführendes werden angerissen, die semidokumentarische Form unter Verwendung des billig wirkenden Reenactments wird dem Stoff nicht gerecht. Robert Einstein nahm sich ein Jahr nach dem Massaker das Leben. Und: »Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen.« Auch hierüber hätte man gern mehr erfahren. So reicht »Einsteins Nichten« nicht an die großen, persönlichen Filme über Holocaust und NaziVergangenheit heran, etwa an

»Die Wohnung« von Arnon Goldfinger oder »Schnee von Gestern« von Yael Reuveny, um nur zwei Filme jüngeren Datums zu nennen. Sehenswert ist das Zusammenspiel der Schwestern Mazzetti. Eine von ihnen beschreibt die geschwisterliche Symbiose als »Gemmellarità«, was mit »Zwillingsdasein« nur unbeholfen übersetzbar ist. Ohne die jeweils andere hätten sie die Schicksalsschläge nicht überstanden. Auch verständlicher Groll gegen das Land der Mörder der Einsteins bricht sich Bahn: Die Deutschen schämten sich heute, allerdings nicht für die Täter, sondern für jene, die damals Gefühle zeigten – und sich verweigerten. Eine juristische Aufarbeitung der Morde in der Villa Focardo hat es nie gegeben. Aber, davon sind die Schwestern überzeugt: »Es gibt immer ein Auge, das zusieht.« Arne Koltermann

BeWertung Der FiLmKommiSSion

Dokumentarfilm um betagte Zwillingsschwestern in Rom, die als Kinder von Robert einstein, dem Cousin des jüdischen Physikers Albert einstein, adoptiert wurden und mit dessen Familie eine unbeschwerte Zeit verlebten, bis sie Zeuginnen wurden, wie deutsche Soldaten 1944 einsteins Frau und Töchter ermordeten. Die historische Aufarbeitung lebt von der beeindruckenden Präsenz der beiden Protagonistinnen und ihrer innigen Beziehung zueinander, krankt aber deutlich an den Reenactment-Szenen, die die traumatischen ereignisse allzu unbeholfen rekapitulieren. – Ab 14.

Deutschland 2017 regie: Friedemann Fromm Länge: 89 min. | Kinostart: 24.8.2017 Verleih: nFP | FSK: ab 12; f FD-Kritik: 44 864

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neUe FiLme DvD / BLU–rAY / INtErNEt

Atmosphärischer Südstaaten-Blues um einen Berufskiller

Was genau Mac Conway (Logan MarshallGreen) in Vietnam getan hat, erfährt man erst in der letzten Episode. Ungefähr kann man es sich aber auch vorher schon vorstellen: Die Empörung der Demonstranten, die dem aus Fernost heimkehrenden Soldaten und seinem Freund Arthur Solomon am Flughafen entgegenschlägt, lässt an das Massaker von My Lai (1968) denken, nach dem sich die öffentliche Meinung in den USA gegen den Krieg wendete. Mac und Arthur (Jamie Hector) landen 1972 in einer Art Limbus: Zwar haben sie Vietnam hinter sich gelassen und werden in der Heimat für das, was sie dort getan haben, juristisch nicht zur Rechenschaft gezogen, doch in die Zivilgesellschaft in ihrer Heimat Memphis finden sich nicht mehr zurück – wegen des öffentlichen Abscheus, aber auch wegen der eigenen Erinnerungen, die keine Ruhe geben wollen. Einen Job zu finden erweist sich da als nahezu unmöglich. Bis ihnen ein mysteriöser Mann namens »Broker« (Peter Mullan) anbietet, Geld mit dem zu verdienen, was sie in Vietnam gelernt haben: Menschen töten. Mac, der immer noch hofft, mit seiner Frau Joni (Jodi Balfour) zurück in die Normalität zu finden, lehnt zunächst ab,

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doch als Arthur sich auf den »Broker« einlässt, wird auch er ins AuftragskillerGeschäft hineingezogen. Ein Leitmotiv, das sich durch die acht Episoden zieht, ist eine rot-schwarze asiatische Dämonenmaske – eine stimmige Metapher für das, worum es der Serienadaption von Max Allan Collins’ erstem »Quarry«-Roman (1976) geht: Wie hinter einer Maske ein vertrautes menschliches Gesicht verschwindet und zu etwas Unheimlichem wird, verschwindet das normale bürgerliche Leben, in das Mac so gerne zurückkehren würde, hinter etwas Düsterem und Gewalttätigem. Es scheint ihm aus Vietnam gefolgt zu sein – oder war es schon immer da, und er hat es vorher nur nicht gesehen? Die Serie legt das nahe, nicht nur weil sie nach und nach in den kriminellen Sumpf von Memphis führt, sondern auch, weil sie immer wieder auf die ganz normale Brutalität der US-amerikanischen Gesellschaft der Nixon-Ära verweist. Vor allem der Rassismus spielt eine wichtige Rolle: Mehrfach wird die Ermordung Martin Luther Kings (1968) erwähnt, und durch Macs Freund Arthur Solomon sowie dessen Frau und Kinder kommt eine afroamerikanische Familie ins

QUARRY USA 2016 Regie: Greg Yaitanes Darsteller: Logan Marshall-Green, Jodi Balfour, Peter Mullan, Damon Herriman, Nikki Amuka-Bird Länge: ca. 477 Minuten (8 Episoden à ca. 60 Min.) FSK: ab 16 | Anbieter: Warner FD-Kritik: 44 885

Fotos S. 52–55: Jeweilige Anbieter

Quarry – Staffel 1

Spiel, deren Erlebnisse die Diskriminierung im Alltag sichtbar machen. Der zynisch-coole Gestus der Romane ist in der Serie modifiziert, auch durch die Perspektive anderer Figuren, die die der Hauptfigur ergänzen. Vor allem Joni, die nach dem ersten Wiedersehen im Zuge schwerer Konflikte auf Distanz zu Mac geht, dann aber mal mit ihm, mal gegen ihn um die Beziehung kämpft, fungiert als moralischer Gegenpol zum kriminellen Netz, in das Mac hineingezogen wird. Peter Mullan wiederum spielt den »Broker« als mephistophelischen Verführer, der Mac gegenüber freundlich-väterlich auftritt und die emotionalen Knöpfe des Veteranen bestens zu drücken versteht. So gewinnt die Serie ihre Spannung weniger aus der sparsam dosierten Action als aus der Anteilnahme an der zwischen Joni und dem »Broker« hinund hergerissen Hauptfigur; außerdem gibt es einige eindrückliche Nebenfiguren, etwa Macs homosexuellen Killer-Partner Buddy (Damon Harriman), der gern aus dem Geschäft aussteigen würde. Nicht zuletzt überzeugt auch die suggestive Inszenierung der Serie. Der Soundtrack prägt wesentlich die Stimmung dieses Südstaaten-Noir, wobei die Blues- und Memphis-Soul-Songs immer wieder unmittelbar in die Handlung integriert werden, etwa wenn die Figuren in einer Bar einer Band lauschen oder daheim Platten auflegen. Zudem ruht sich Regisseur Greg Yaitanes nicht auf der schauträchtigen Rekonstruktion der 1970er-Jahre durch Ausstattung und Kostüme aus, sucht vielmehr stets nach atmosphärischen oder metaphorischen Mehrwerten, die den Stoff zur beklemmenden Parabel über die Schattenseiten Amerikas machen. Was schon bei der »Taufe« Macs zum Berufskiller anfängt, wenn der »Broker« ihn anheuert und ihm seinen Decknamen verpasst: Quarry, nach dem verlassenen Steinbruch, in dem das Treffen stattfindet – außen hart, innen ausgehöhlt. – Ab 16. Felicitas Kleiner


KRITIKEN FERNSEH-TIPPS

20.15 – 22.20 RTL II Die Hochzeit meines bestens Freundes R: P.J. Hogan RomCom mit Julia Roberts USA 1997 Ab 14 20.15 – 22.15 Servus TV The Door in the Floor R: Tod Williams Drama um die Folgen eines Unfalls USA 2004 Ab 16 20.15 – 21.45 SUPER RTL Feivel, der Mauswanderer R: Don Bluth Kindgerechtes animiertes »Einwanderer-Melodram« USA 1986 Ab 8 22.15 – 00.15 True Grit R: Joel & Ethan Coen Marshal steht Mädchen auf Rachemission bei USA 2010

Servus TV

Ab 14

23.15 – 01.05 One Heute bin ich Samba R: Eric Toledano, Olivier Nakache Dramatische Migranten-Komödie Frankreich 2014 Ab 12 23.30 – 01.00 BR FERNSEHEN Die Farbe des Ozeans R: Maggie Peren Komplexes Flüchtlingsdrama Dt./Spanien 2011 Ab 14 01.15 – 03.00 rbb Fernsehen Flash Gordon R: Mike Hodges Fantasievolles Science-Fiction-Abenteuer Großbritannien 1980 Ab 14 01.20 – 02.15 Kurzschluss – Magazin

arte

»Howl«

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FILMDIENST 17 | 2017

SO

SAMSTAG 19. AUGUST

»True Grit«

19. August, 20.15 – 00.15

Servus TV

Jeff Bridges

In seinen jungen Jahren bot der amerikanische Schauspieler Jeff Bridges in seinen Filmen oft ein Bild strahlenden Optimismus und Tatendrangs. Im Laufe der Zeit konnte er dem Rollentypus des gutaussehenden Sonnyboys jedoch immer mehr Schattierungen verleihen, sodass er sich zu einem der vielseitigsten Darsteller des US-Kinos entwickelte. Seine Bandbreite spiegelt sich auch in seinen beiden Filmen, die Servus TV heute nacheinander zeigt. In »The Door in the Floor« (20.15–22.15) spielt er den Kinderbuchautor Ted Cole, der nach dem Unfalltod seiner Söhne Affären und einem beruflichen Schlendrian verfällt, während Frau und Tochter unter der Trauer zu zerbrechen drohen. Die markanten Stimmungswechsel vom Melodram zur deftigen Burleske bieten Bridges dabei viel Gelegenheit, sein komödiantisches Talent auszuspielen, das auch in »True Grit« (22.15 – 00.15) deutlich zu spüren ist. In dem Remake des Klassikers von 1968 schlüpft Bridges in die Rolle des einäugigen, versoffenen Ex-Marshals, der als Beschützer eines jungen Mädchens gegen eine Banditenbande jedoch noch einmal zu alter Form aufläuft. Ein sehenswert selbstironischer Auftritt in einem eher melancholischen Western, mit dem Bridges achtbar in die Fußstapfen von John Wayne tritt.

19./26. August

zdf_neo

Horror-Nacht

Die Horror-Nächte auf zdf_neo sind mittlerweile eine schöne Tradition, vor allem, weil sie neben bekannten Kinofilmen immer wieder auch unbekannteren Werken eine Plattform bieten. Die aktuelle Ausgabe legt zwar mit dem eher unfreiwillig komischen als gruseligen »Van Helsing« von Stephen Sommers (2004) keinen starken Start hin, hält aber doch einige Genreperlen bereit. Z.B. den britischen Werwolf-Film »Howl« (2015), der mit bescheidenen Mitteln, aber gut konzipierten Figuren überzeugt. Ebenfalls gelungen ist der dänische Zombiefilm »What We Become«, der mit größtmöglichem Realismus in Szene gesetzt ist und sich konsequent von leichter Beklemmung bis zu nackter Todesangst steigert. »Chained« schließlich, der als Erstausstrahlung gezeigt wird, entwirft ein sinisteres klaustrophobisches Szenario rund um den brillant aufspielenden Vincent D’Onofrio als Frauenmörder, der einen kleinen Jungen zu seinem »Erben« heranziehen will. 19.8., 20.15 – 22.10 19.8., 22.10 – 23.25 19.8., 23.25 – 00.50 19.8., 00.50 – 02.25 19.8., 02.25 – 03.45 19.8., 03.45 – 05.00 26.8., 22.00 – 23.30 26.8., 23.30 – 01.05 26.8., 01.05 – 02.35 26.8., 02.35 – 03.50 26.8., 03.50 – 05.10

Van Helsing What We Become (ERSTAUSSTRAHLUNG) Howl – Endstation Vollmond (ERSTAUSSTRAHLUNG) The Descent – Abgrund des Grauens Eden Lake REC Shaun of the Dead Saw Chained (ERSTAUSSTRAHLUNG) The Unborn In Fear

SONNTAG 20. AUGUST

16.40 – 18.15 3sat Katja, die ungekrönte Kaiserin R: Robert Siodmak »Sissi« auf Russisch Frankreich 1959 Ab 14 20.15 – 22.15 Notting Hill R: Roger Michell Londoner Liebesfilm Großbritannien 1999

arte

Ab 12

20.15 – 21.50 Disney Channel Toy Story R: John Lasseter Virtuoser Animationsfilm USA 1995 Sehenswert ab 8 20.15 – 22.25 ProSieben Ender’s Game R: Gavin Hood Beklemmende Science-FictionDystopie USA 2013 Ab 16 20.15 – 22.10 RTL II Walking on Sunshine R: Max Giwa, Dania Pasquini Musical mit Popsongs der 1980er-Jahre GB 2014 Ab 12 20.15 – 22.15 SAT.1 Monsieur Claude und seine Töchter R: Philippe de Chauveron Familienkomödie um MultikultiKonflikte Frankreich 2014 Ab 12 22.25 – 00.30 TELE 5 Hamburger Hill R: John Irvin Drama um Unerbittlichkeit des Kriegs USA 1987 23.35 – 01.13 Das Erste Affären à la Carte R: Danièle Thompson Spitzzüngige Gesellschaftskomödie Fr. 2009 Sehenswert ab 16 00.10 – 01.45 arte Bloody Daughter R: Stéphanie Argerich Nachdenkliches Porträt einer Pianistin Fr./Schweiz 2012 Sehenswert ab 14 00.40 – 02.45 WDR Fernsehen Message to Love – Isle of Wight 1970 R: Murray Lerner Doku über ein legendäres Musikfestival Großbritannien/USA 1995 Ab 14

Fotos S. 56 – 65: Jeweilige Sender.

SA


FERNSEH-TIPPS KRITIKEN

20. August, 23.35 – 01.13

Das Erste

Affären à la Carte

Mit Mitte 20 schrieb die 1942 geborene Danièle Thompson bereits an den Drehbüchern ihres Vaters Gérard Oury mit und hatte damit früh Anteil an einigen der erfolgreichsten Komödien des französischen Kinos wie »Die große Sause« und »Die Abenteuer des Rabbi Jacob«, später steuerte sie schlagfertige Dialoge etwa zu Filmen von Patrice Chéreau (»Die Bartholomäusnacht«) bei. Spitzzüngig sind auch Thompsons eigene Regiearbeiten, die oft im gehobenen Bürgermilieu spielen und auf ein großes Ensemble bekannter Darsteller setzen. So sind in »Affären à la Carte« etwa Karin Viard als Scheidungsanwältin und Dany Boon als ihr seit kurzem arbeitsloser Ehemann zu sehen, die Freunde und Bekannte (u.a. Marina Foïs, Patrick Bruel, Emmanuelle Seigner) zu einem Dinner einladen, was zu einem Abend voller Sticheleien, Streitigkeiten und unangenehmer Wahrheiten führt. Nachdem ihre Anfälligkeit offensichtlich geworden ist, geraten die Beziehungen in den folgenden Monaten weiter unter Druck. Ein unterhaltsames Sittengemälde französischer Großstädter.

20. August, 20.15 – 22.10

Walking on Sunshine

Schöne Menschen, ein traumhaftes Ambiente (Apulien) und populäre Popsongs der 1980erJahre, zu denen die Figuren dem Happy End entgegensingen und -tanzen – die Zutaten des Gute-Laune-Musicals »Walking on Sunshine« sind einfach und die Handlung dazwischen kaum der Rede wert: Eine impulsive junge Britin verliebt sich im Urlaub Hals über Kopf in einen schmucken Italiener; ihre dazustoßende Schwester ist nicht nur über die rasch angesetzte Hochzeit entsetzt, sondern muss in dem zukünftigen Schwager auch ihren Exfreund erkennen. Das gilt es vor der Braut geheim zu halten, während wieder auflodernde Gefühle, eifrige Freundinnen und nervige Nebenbuhler zusätzlich Verwirrung stiften. Das Ergebnis ist gewiss kein Meilenstein des Musicals, aber munter und mit erfrischend unverbrauchten Darstellern und Choreographien inszeniert. Was dem Film des Regie-Duos Max Giwa und Dania Pasquini dabei an inhaltlicher Originalität fehlt, macht er vor allem durch seine überschäumende Lebenslust wett.

3sat

21.8., 22.25 – 23.45 22.8., 20.15 – 21.45 22.8., 22.30 – 23.55 23.8., 22.25 – 23.55 24.8., 22.25 – 00.10

Free Speech Die vierte Gewalt Die Demokratie ist los Spuren des Bösen – Das Verhör Fahrenheit 451

13.35 – 15.45 arte Barbara R: Christian Petzold Liebe und Freiheitsstreben in der DDR Dt. 2011 Sehenswert ab 14 20.15 – 22.10 arte Shakespeare in Love R: John Madden Kongeniale Meta-Liebeskomödie USA/GB 1998 Sehenswert ab 14 20.15 – 21.45 rbb Fernsehen Wir sind die Neuen R: Ralf Westhoff WG-Komödie mit glänzenden Dialogen Dt. 2014 Sehenswert ab 12 22.10 – 00.00 arte If … R: Lindsay Anderson Provokatives Rebellendrama GB 1968 Sehenswert ab 16 22.15 – 00.20 American Hustle R: David O. Russell Dramödie um Trickbetrüger USA 2013

ZDF

Ab 16

23.35 – 01.45 NDR fernsehen Jerry Maguire – Spiel des Lebens R: Cameron Crowe Sportleragent entdeckt Gewissen USA 1996 Ab 14

Demokratie-Dämmerung

Vom 21. bis 26.8. fragt 3sat: Was ist los mit unserer Demokratie? Angesichts des Aufschwungs demokratiefeindlicher Kräfte z.B. in Polen und der Türkei wird einem klar, dass Demokratie Demokraten braucht, die von ihren Mitgestaltungsmöglichkeiten aktiv Gebrauch machen. 3sat versammelt im Rahmen der Themenwoche u.a. Dokumentarfilme, die sich mit verschiedenen Aspekten und Säulen der Demokratie befassen. So läuft z.B. als Erstausstrahlung Tarquin Ramsays Dokumentation »Free Speech«, die sich damit auseinandersetzt, wie es in verschiedenen Staaten um die Meinungs- und Redefreiheit bestellt ist; die Schweizer Doku »Die Demokratie ist los« befasst sich mit Chancen und Grenzen der direkten Demokratie. Außerdem laufen auch Spielfilme wie »Die vierte Gewalt«, in dem es um die Verantwortung der Presse für eine funktionierende Demokratie geht. Und schließlich »Fahrenheit 451«, Truffauts Verfilmung von Orwells Romanklassiker, die warnend davon erzählt, was passiert, wenn man die Demokratie dem Totalitarismus opfert.

MONTAG 21. AUGUST

23.05 – 00.30 mdr Sie tanzte nur einen Sommer R: Arne Mattsson Poetisches Liebesdrama Schweden 1951 Ab 16

»Die Demokratie ist los«

Ab 21. August

RTL II

MO

21. August, 22.10 – 00.00

arte

If …

Schon der Titel des Films von Lindsay Anderson ist ein eindeutiges Menetekel, was die provokante Arbeit des »Free Cinema«-Regisseurs zur Entstehungszeit (1968!) zum Hassobjekt der konservativen britischen Elite machte. Anderson zeigt zunächst den Alltag in einem ganz normalen englischen Jungen-Internat der 1960er-Jahre: Geprägt von erschreckend versteinerten Ritualen und militärischem Drill, die Lehrer ohne Empathie, die jüngeren Schüler von den älteren als Diener und Prügelknaben missbraucht. Drei der Zöglinge kristallisieren sich schließlich als Rebellen heraus, die sich gegen die brutale Unterdrückung zur Wehr setzen und auch von drakonischen Strafen nicht kleinkriegen lassen; am Ende entlädt sich ihr aufgestauter Hass in einer spektakulären Gewalt-Sequenz. Andersons Film fängt außergewöhnlich packend die Frustration unter den Jugendlichen der 1960erJahre ein, die Internatsszenen sind beklemmend realistisch und warnen eindringlich vom Teufelskreis der Gewalt. Abgesehen von seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung beeindruckt »If…« zudem durch seine experimentellen Einschübe: Geschult an den Mitteln von Godard und Richard Lester arbeitet Anderson mit Verfremdungseffekten, etwa dem beständigen Wechsel zwischen Schwarz-weiß und Farbe und surrealistischen Szenen.

FILMDIENST 17 | 2017

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