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Neuer Wien-Pop Oehl und Sophia Blenda

Ari Oehl hätte für seinen Sohn gern eine heile Welt

Jammern auf hohem Niveau

Österreichische Popmusik: Oehl und Sophia Blenda versuchen, der komplizierten Gegenwart in ihren Liedern mit Poesie beizukommen. Das klingt bisweilen düster und traurig, aber auch erhebend schön. Nuscheln ist erlaubt

The Cure sangen 1980: „Boys Don’t Cry“. Doch stimmt der Befund, dass Männer ihre Gefühle nicht offen zeigen können, heute noch? Ari Oehl findet: Ja. Er beginnt sein neues Album deshalb mit einer gesungenen Entschuldigung: „Und es tut mir leid. Es tut mir leid, dass du wegen mir geweint hast.“

So klingt der Prolog zu einer Platte, die von Tod, Krankheit und Abschieden handelt, aber nicht schlechte Laune macht, sondern Trost spenden will. Das Album heißt „Keine Blumen“ und mutet wie eine Umarmung in dem Moment an, in dem man sie gerade besonders nötig hat.

Die Lieder formulieren gleichzeitig poetische Antworten auf die vielen Fragen, die Oehls vierjähriger Sohn an ihn richtet. „Ich kann ihm keine heile Welt anbieten“, sagt der Musiker bedauernd. „Stattdessen bemühe ich mich, ihm zu erklären, warum die Welt schwierig ist und warum Menschen sterben.“

Die Karriere des in Wien lebenden Salzburgers startete 2019 ebenso vielversprechend wie ungewöhnlich. Der deutsche Rapper Casper war im Internet auf das Stück „Keramik“ gestoßen und erklärte es via Social Media zu seinem Song des Jahres. Das Lied zeigte bereits alle Insignien dessen, was die Musik Oehls ausmacht: eigenwillig lyrische Texte zu sanftmütigen elektronischen Beats und eingängigen Melodien.

Herbert Grönemeyer war bereits vorher hellhörig geworden und hatte Oehl für sein Label Grönland Records unter Vertrag genommen. Wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als der Name selbst in Wien kaum jemandem ein Begriff war. Bald ging es mit dem deutschen Superstar auf Tour. So kam es, dass die Band bei ihrem erst dritten Konzert vor 20.000 Menschen auftrat.

Damals war Oehl ein Duo, bestehend aus dem Sänger und Songwriter Ari Oehl und dem aus Island stammenden Multiinstrumentalisten Hjörtur Hjörleifsson. Das Debütalbum „Über Nacht“ erschien 2020. Im Februar 2020 absolvierte man noch eine erste HeadlinerTour durch Deutschland und spielte in Berlin, München und Hamburg vor vollen Häusern. Dann zog die Pandemie den Stecker.

Zum Falter-Interview erscheint der Sänger allein. Heute ist Oehl sein Soloprojekt. In den Lockdowns begann er selbst Musik zu produzieren, und der gemeinsame Kreativprozess mit seinem Kompagnon geriet ins Stocken. Hjörleifsson arbeitet mittlerweile verstärkt fürs Theater. Die Freundschaft ist geblieben, anstatt zusammen Konzerte zu spielen, treffen sich die beiden nun zu Spieleabenden.

Das charakterisiert Ari Oehl gut. Er vertieft sich lieber eine Nacht lang in „Die Siedler von Catan“, als in Clubs zu gehen, ist keine Rampensau, sondern eine zurückgezogen vor sich hin werkelnde Arbeitsbiene. Speziell an seinen Texten, die schon mal Goethe oder Rilke zitieren, feilt er sehr lang.

Der bekennende Morgenmensch ist dann produktiv, wenn der Rest der Welt Ruhe gibt und noch keine Mails eintrudeln. Tagwache ist oft schon um fünf Uhr („Ich kenne Bauern, das ist nicht so früh!“). Vom Bett geht es direkt an den Schreibtisch. Erster Kaffee nicht vor neun. Kreativ gearbeitet wird bis Mittag. So geht das bei ihm jeden Tag.

PORTRÄT: SEBASTIAN FASTHUBER

FOTOS: HERIBERT CORN

Geregelte Abläufe und Rituale sind für Oehl als AspergerAutist wichtig, erklärt er. „Die Notwendigkeit von Struktur führt dazu, dass ich eigentlich nie auf Urlaub fahre, da ich nach drei Tagen meistens Fieber bekomme, was ultramühsam ist, wenn man gerade in Paris ist oder Portugal. Mir fehlen dann sämtliche Alltagsrituale, allen voran mein Computer und das Musikmachen in den ersten Morgenstunden.“

Touren dagegen geht gut. Zumindest dann, wenn es geregelte Tagesabläufe gibt. Am besten bis ins Detail: „Ich muss wissen, wer wann das Auto fährt, wer fürs Tanken verantwortlich ist und wer sich um die Zimmerschlüssel fürs Hotel kümmert. Das mag kontrollfreakmäßig rüberkommen, ist für mich aber außerhalb von zuhause sehr wichtig, um eine innere Ruhe und mein Funktionieren zu gewährleisten.“

Soziale Interaktion sei für ihn extrem fordernd, erzählt Oehl, der seit seiner Kindheit mit Ticks kämpft. Im konzentrierten 1:1Gespräch in einem ruhigen Raum merkt man das gar nicht. Schwierig wird es, wenn in Lokalen im Hintergrund Musik läuft oder rundherum Gespräche stattfinden, die ihn ablenken.

Er versucht, Asperger aber auch positive Seiten abzugewinnen: „Mentale Erschöpfung kenne ich zum Beispiel kaum. Ich bin bei Projekten oft der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht, weil mir das Gefühl für viele Dinge wie etwa Hunger in solchen Momenten fehlt.“

Der Sohn einer Lehrerin und eines Kriminologen hätte, wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, auf die Handelsakademie gehen sollen. „Dass ich ein musisches

Sophia Blenda begreift ihre Musik als Safe Space

Jammern auf hohem Niveau

versuchen, der komplizierten Gegenwart in ihren Liedern mit Poesie beizukommen. Das klingt bisweilen düster und traurig, aber auch erhebend schön. Nuscheln ist erlaubt

Gymnasium mit Literaturzweig besuchen durfte, hat mich gerettet“, sagt er. Dort entdeckt er sein Faible für Literatur.

Seine Lieder beziehen ihren Reiz aus dem Kontrast zwischen der für Popsongs ungewöhnlich hohen Sprache und den sehr lässig federnden Grooves. Wo seine Kunst zur Schwermut neigt, sehnt Oehl sich eigentlich nach Leichtigkeit. Er träumt davon, Songs zu schreiben, „die einem nicht den ganzen Tag nachhängen“. Doch das wäre keine Oehl-Musik mehr.

Seine selbstironische Schmäh-Kurzrezension von „Keine Blumen“ lautet: „Wenn man gemein sein will, jammere ich 13 Lieder lang.“ Nicht ganz falsch, aber das Gejammer klingt verdammt gut.

Die schärfsten Kritiker von Sophia Blenda sind ihre Eltern. Grundsätzlich seien sie schon sehr stolz, sagt die Tochter. Nur: „Sie verstehen nicht, warum meine Musik immer so düster sein muss. Dabei kann düstere Musik heilsam sein. Wenn es einem schlecht geht, kann man in Lieder reingehen und fühlt sich in dem Gefühl nicht mehr allein.“

Sophia Blenda heißt eigentlich Sophie Löw und ist in einem niederösterreichischen Dorf fernab von jeder Subkultur aufgewachsen. Es gab in ihrer Umgebung nicht einmal einen langhaarigen Gitarristen, der ihr Nirvana vorgespielt hätte. Also sang sie im Kirchenchor und imitierte zuhause im Kinderzimmer Stars wie R’n’BStimme Christina Aguilera oder PoppunkSängerin Avril Lavigne.

Dass es mehr als Mainstream gibt, entdeckte sie erst bei ihrem Umzug nach Wien. Dann ging alles sehr schnell, und Blenda avancierte als Sängerin der jungen Postpunk-Band Culk zu einer der spannendsten Stimmen der heimischen Musikszene.

Weil sie früh einen eigenen Stil kultivierte: einen fast schon deklamierenden Sprechgesang mit einer guten Dosis Pathos, aber auch nicht zu viel. Ähnlich wie Oehl sticht ihre Musik durch die eigenwilligen, gern etwas komplexeren Texte heraus. Die erste Culk-Single „Begierde/Scham“ etwa basierte auf Löws Lektüre von Simone de Beauvoirs Roman „Die Mandarins von Paris“. Schnell jubelte auch das deutsche Feuilleton über die Wiener Band.

Nach zwei Alben mit Culk fand die Frontfrau, dass es Zeit für etwas anderes war. Zum einen wollte sie ihrem Instrument, dem Klavier, mehr Raum geben. Und es geht ihr auch darum, sich als Solokünstlerin zu beweisen. Selbst in aufgeklärten Zirkeln sei es keineswegs selbstverständlich, als Musikerin ernst oder überhaupt nur wahrgenommen zu werden, erzählt Löw. „Immer wieder wird angenommen, dass ich als Sängerin die Lieder nicht selbst schreibe. Solche Aussagen kommen zwar nur von einzelnen Leuten, sind deshalb aber nicht weniger störend.“

Das hat sie angestachelt, auf ihrem Soloalbum vom Schreiben bis zu Sounddetails so gut wie alles selbst zu machen. Anfangs hatte Löw nur ein paar Texte, die sie für nicht für die Band geeignet hielt, weil sie näher an ihr als Person waren. Dann entstand immer mehr Material, und schließlich begann sie auch selbst zu produzieren. Die Artworks und die Konzepte zu den Videoclips stammen ebenfalls von ihr. Die Musik bewegt sich im Grenzgebiet zwischen Popsong, Kunstlied und Chanson und ist mit ihrem Fokus auf Klavier, Streicher und Elektronik doch wie aus einem Guss. Sie klingt über weite Strecken schwer, getragen, es gibt aber auch Momente der Katharsis. Löw will nicht runterziehen. Ihre Platte soll einen Safe Space bilden, in den man sich vor Unbill und Ängsten flüchten kann.

Die Texte sind vielschichtig lyrisch, dafür setzt sie gern plakative Titel darüber. „BH“ heißt ein Song, der ausgehend vom Büstenhalter Machtverhältnisse verhandelt. Der Albumtitel „Die neue Heiterkeit“ schießt überhaupt den Vogel ab. Denn heiter klingt die Musik nun wirklich nicht.

Löw meint es jedoch keineswegs ironisch: „Ein wiederkehrendes Thema auf dem Album sind Ängste. Sie sind etwas Konstruiertes, das nur im Kopf ist. Wenn man so will, sind Ängste eine Entscheidung. Ebenso gut kann man sich für Heiterkeit entscheiden.“

Für ihre Generation, die sich oft komplett erschlagen fühle, wäre das eine gute Entscheidung, so Löw. Das heißt nicht, dass alle dauerlächelnd durch die Straßen laufen müssen.

Als sie ihren Gesangsstil entwickelte, traf sie eine andere wichtige Entscheidung: beim Singen zu nuscheln. „Manche Leute stören sich daran“, sagt sie. „Dabei mache ich das absichtlich.“ So klingt die harte deutsche Sprache in ihren Liedern ein wenig geschmeidiger. Löw empfiehlt undeutliche Aussprache auch als Theatralikbremse: „Wenn man mit Pathos arbeitet, stellt sich die Frage, wie man es dosiert. Nuscheln mildert es ab.“ F