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Matthias Dusini Franz Kössler, Martin Staudinger

Wladimir Putin gefällt das

Namhafte ÖVP-Politiker stellen die RusslandSanktionen infrage. Besser könnten sie das Geschäft des Kreml kaum erledigen

Martin Staudinger leitet nach langjähriger Tätigkeit als Außenpolitikjournalist den Falter.Morgen

Zum Thema

Wie gut wirken die Sanktionen gegen Russland? Ein Interview mit dem russischen Ökonomen Sergej Guriev zu dieser Frage lesen Sie auf Seite 17

KOMMENTAR: MARTIN STAUDINGER

Sollte Wladimir Putin – was durchaus anzunehmen ist – in den vergangenen Tagen ansatzweise über die Nachrichtenlage in Österreich informiert worden sein, dürfte er sich bestätigt fühlen: Der Kreml-Chef ist ja davon überzeugt, dass die europäischen Gesellschaften zu schwach und zu verwöhnt sind, um der Bedrohung ihrer Wohlfühlzone auch nur mittelfristig standzuhalten.

Nur sechs Monate hat es seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine und des damit einhergehenden Wirtschaftskriegs gegen Europa gedauert, bis er quasi offiziell eine Bestätigung dafür bekam.

Am Freitag hat der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer, eines der schwereren politischen Gewichte der ÖVP, in aller Öffentlichkeit die RusslandSanktionen der EU infrage gestellt. Man müsse die „Treffsicherheit“ der Maßnahmen überprüfen, sie seien „nicht in Stein gemeißelt“, sagte er der Kleinen Zeitung. Wenig später schloss sich der Tiroler ÖVP-Landeshauptmann in spe, Anton Mattle, dieser Einschätzung an, zuletzt dann auch Wiens ÖVP-Landesparteichef Karl Mahrer.

Klar: WKO-Präsident Harald Mahrer hatte als Interessenvertreter der Wirtschaft bereits vorher Zweifel angemeldet, FPÖ-Chef Herbert Kickl als Rabiatoppositioneller detto. Aber Stelzer, Mattle und Karl Mahrer sind die ersten Spitzenpolitiker einer Regierungspartei, die aus dem allgemeinen Konsens ausscheren.

Das wiegt umso schwerer, als aus dem Kanzleramt zunächst ein Gemurmel kam, das ebenfalls als Sanktionsskepsis ausgelegt werden konnte. Erst am Montag Abend bekräftigte Kanzler Karl Nehammer, dass die Strafmaßnahmen nicht zur Debatte stehen. Im Regierungsviertel hat man trotzdem Bammel davor, dass die FPÖ im Herbst zehntausende Menschen auf die Straße bringen könnte, die nicht einsehen, warum sie für einen Krieg in der Ukraine hohe Strom- und Gasrechnungen zahlen sollen – wenn ihnen von politischer Seite suggeriert wird, es gebe eine einfache Lösung für die Misere: Weg mit den Sanktionen.

Wie sehr diese Hoffnung verbreitet ist, zeigen aktuelle Umfragen, in denen fast 40 Prozent der Befragten die Maßnahmen gegen Russland lieber abschwächen oder ganz aufgeben würden.

Nachzudenken, ob die Strategie, der Aggression Russlands durch finanziellen Druck zu begegnen, greift und welche Kon-

Darüber, wie groß der Druck gegen die Sanktionen wird, entscheidet auch das eigene politische Verhalten

sequenzen sie hat, ist ein Gebot der politischen Verantwortung – und es ist nicht leicht. Wie sehr der Stopp von Technologietransfer, das Einfrieren von Vermögenswerten, der Rückzug westlicher Unternehmen die russische Wirtschaft treffen, lässt sich konkret nicht festmachen. Der Kreml liefert ja längst keine Basisdaten mehr, an denen sich das ablesen ließe.

Anzunehmen, dass die Sanktionen keine schmerzlichen Auswirkungen hätten, heißt aber bloß, auf die Propaganda des Kreml hineinzufallen, der naturgemäß alles unternimmt, um die Wirkung kleinzureden. Dass die EU für Russland als Handelspartner immer mehr wegfällt, lässt sich ebenso wenig wegleugnen wie kompensieren. Pipelines nach China und Indien baut man nicht in ein paar Monaten. Und wer den Frontverlauf in der Ukraine verfolgt, weiß: Putins Truppen haben dort ihr Momentum verloren. Die Angreifer rücken stellenweise zwar vor, aber mit quälender Langsamkeit und unter hohen Verlusten. Ihnen fehlt vorerst die Kraft, ihre Kriegsziele zu erreichen.

Ob – und wenn ja: wann – sich der Kreml aufgrund von Sanktionen gezwungen sieht, in irgendeiner Weise einzulenken? Gute Frage. Fest steht nur, dass das garantiert nicht geschehen wird, wenn Europa jetzt schon einknickt.

Putin ist aktuell im Vorteil. Er hat nicht nur ein repressives System errichtet, das keinen Widerspruch zulässt; er hat via Medienkontrolle auch eine alternative Wirklichkeit geschaffen, in der für Widerspruch gar kein Anlass besteht.

Regierungen in liberalen Demokratien haben glücklicherweise weder die Möglichkeit zum einen noch zum anderen, dafür aber folgerichtig das Problem, ihre Klientel bei Laune zu halten. Darin liegen Verantwortung und Chancen gleichermaßen.

Denn darüber, wie groß der gesellschaftliche Druck gegen die Sanktionen wird, entscheidet nicht zuletzt das politische Geschick. Man kann Führungskompetenz zeigen. Man kann um Verständnis dafür werben, dass Beeinträchtigungen des gewohnten Wohlbefindens zu erwarten sind, wenn es darum geht, einem Aggressor entgegenzutreten, der nicht nur ein unabhängiges Land in unserer Nachbarschaft bedroht, sondern auch die europäische Gemeinschaft, ihre Werte und Freiheiten. Und man kann demonstrieren, dass alles getan wird, um die bevorstehenden Härten für all jene zu lindern, die dazu selbst nicht in der Lage sind.

In Österreich hat es bislang gerade einmal zur Ankündigung gereicht, dass eh bald ein Modell zur Abfederung der hohen Stromkosten präsentiert wird. Stattdessen wird nun begonnen, einen großen Irrtum zu verbreiten, mit dem man sich selbst Druck macht (und auch gleich die EU-Gesamtstrategie unterläuft): dass alles gut wird, wenn man ein bisschen netter zu Putin ist.

Besser kann man das Geschäft des Kreml eigentlich nicht erledigen.

Ausland Die Welt-Kolumne

Rechtsnationalistische Bedrohung aus Italien

FRANZ KÖSSLER

In Italien, einem zentralen Mitgliedsstaat der EU und der Nato im Mittelmeer, droht eine Regierung unter rechtsextremer Führung. Die liberalen Wertvorstellungen, die das Nachkriegseuropa geprägt haben, wie die universellen Rechte und der Schutz von Minderheiten, sind in Gefahr. Europa soll in eine autoritäre und nationalistische Richtung gelenkt werden. Mit Italien, Ungarn und Polen droht ein mächtiger antiliberaler Block zu entstehen. Wenn die derzeitigen Umfragen halten, werden die Fratelli d’Italia, die ihre politischen Wurzeln in der faschistischen Tradition haben, bei den Wahlen im September stärkste Kraft werden, ungefähr gleichauf mit dem sozialdemokratischen PD. Ihrem Wahlbündnis mit der rechtspopulistischen Lega Matteo Salvinis und der konservativen Forza Italia des 85-jährigen Silvio Berlusconi wird eine klare Mehrheit im Parlament prognostiziert, während das zersplitterte linke Bündnis selbst mit der Unterstützung der kleineren Zentrumsparteien in der Minderheit bliebe.

Dann würde Giorgia Meloni, die 45-jährige Leitfigur der Partei, den Anspruch auf die Führung der Regierung stellen. In einem heiklen Moment, in dem die Stabilität Europas durch den russischen Überfall auf die Ukraine, die Energiekrise und die Inflation erschüttert wird. Und fast genau zum 100. Jahrestag des Marschs auf Rom, mit dem Mussolini im Oktober 1922 mithilfe bewaffneter Schlägertrupps die Macht eroberte und den Siegeszug des Faschismus eröffnete.

In Europa wird jetzt darüber diskutiert, wie stark das faschistische Erbe die Politik Melonis bestimmen würde. Die beruhigende Nachricht ist: Eine Wiederholung des Marschs auf Rom wird es nicht geben. Die in der demokratischen Verfassung von 1946 verankerten Kontrollen und Institutionen funktionieren noch, und die Enkel Mussolinis haben ein pragmatischeres Verhältnis zur Demokratie als ihre Vorfahren.

Die Nachfolgepartei der Faschisten wollte die demokratische Verfassung nie anerkennen. Giorgia Melonis Haltung ist schwer zu entziffern. In den 1990er-Jahren distanzierten sich die Erben Mussolinis von dessen Ideologie und schlossen sich Berlu-

Tex Rubinowitz Cartoon der Woche

Zitiert Die Welt der Weltblätter

Von einer Zustimmung wie in Deutschland, wo die Ökopartei in Umfragen bundesweit gerade die 25-Prozent-Marke übersprungen hat, können die österreichischen Grünen nur träumen

CATHRIN KAHLWEIT IN DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG VOM

19. AUGUST

Kommentar Kultur

Touri-Saga: Schriftsteller Felix Mitterers „Piefke“-Abgabe

MATTHIAS DUSINI

Das Drehbuch könnte von Felix Mitterer stammen: Ein Tiroler Autor, bekannt auch als scharfer Kritiker des Fremdenverkehrs, kehrt in seine alpine Heimat zurück und wird dazu aufgefordert, die sogenannte Tourismusabgabe zu zahlen. Mit dem Geld trägt er dazu bei, dass noch mehr Skifahrer auf die Pisten und Mountainbiker auf die Gipfel strömen.

Mitterer ist der Drehbuchautor der 30 Jahre alten legendären TV-Serie „Piefke-Saga“, die die Auswüchse des Tourismus karikiert. Er ist nun selbst Protagonist einer Farce. Als Mitterer 2021 von Niederösterreich nach Schwaz übersiedelte, wurde er von den Behörden dazu aufgefordert, die Tourismusabgabe zu entrichten. Der empörte Autor weigert sich und will wieder weg: „Der Verfasser der ,Piefke-Saga‘ kann keine Tourismusabgabe zahlen.“ Mitterer geht’s nicht um den kleinen Betrag, sondern ums Prinzip.

Der Pflichtbeitrag wurde bereits 1927 eingeführt, um das Geschäft mit den Gästen anzukurbeln. Zahlen müssen ihn indirekt profitierende Betriebe und Selbstständige, zu denen Künstlerinnen und Künstler gehören. Neben der von den Gästen berappten Kurtaxe hilft die Abgabe den örtlichen Tourismusvereinen, Aufgaben zu erledigen, die auch den Einheimischen zugutekommen: etwa Loipen zu präparieren oder Wanderwege anzulegen.

Der Ablauf der Causa bleibt im Genre einer ländlichen Komödie. In der Serie rennt Ober-„Piefke“ KarlFriedrich Sattmann stets zum Bürgermeister, wenn ihm etwas nicht passt. Auch Mitterer sah sich nicht als einfacher Bürger und Steuerzahler, sondern suchte den direkten Kontakt zu Landeshauptmann Günther Platter. Der wiederum verhielt sich wie ein Dorfkaiser und stellte eine gnädige „Tiroler Lösung“ in Aussicht.

In Österreich gibt es einen Kirchenbeitrag, den nur Katholiken und Katholikinnen zahlen müssen. Auch wenn der Tourismus in Tirol eine Art Ersatzreligion ist, sollte es möglich sein, aus der Glaubensgemeinschaft der Hoteliers und Skiliftbesitzer auszutreten. Für all jene selbstständig Denkenden, die die Sprengung von Bergspitzen zur Schaffung neuer Pis-

Der Autor Matthias Dusini wuchs in einem Südtiroler Tourismuszentrum auf

ten und die Einrichtung von Hubschrauberlandeplätzen für betuchte Gäste ablehnen, erscheint die Tourismusabgabe wie ein Hohn.

Die Kultur spielt eine wichtige Rolle bei der Propagierung eines anderen Tourismus. Hätten die zuständigen Politiker und Politikerinnen Mitterers „Piefke-Saga“ vor 30 Jahren ernst genommen, wäre uns die Dystopie Ischgl, nicht erst seit Corona das Symbol für rücksichtslose Raffgier, erspart geblieben.

So kann man nur der Haller Schriftstellerin Barbara Hundegger zustimmen, die – von der Öffentlichkeit unbemerkt – im Oktober 2021 im Rahmen einer Preisverleihung den Vorschlag machte, „dem Tourismus eine Kunstabgabe zu verordnen“.

sconi an, Meloni wurde Ministerin. 2012 aber gründete sie die Fratelli d’Italia und knüpfte wieder an die neofaschistische Vorgängerorganisation an. Deren Symbol, die aus dem Sarg Mussolinis lodernde Flamme, findet sich auch im aktuellen Parteisymbol wieder. Viele ihrer Anhänger zeigen noch immer den faschistischen Gruß. Abgeordnete fordern, den Feiertag zum Sieg über den Faschismus abzuschaffen. Die Partei arbeitet mit militanten rechtsextremen Organisationen zusammen. Der Historiker Aram Mattioli, ein führender Analytiker des Faschismus in Italien, kommt zu dem Schluss, dass ein klarer Bruch mit dem faschistischen Erbe bis heute aussteht.

Melonis Demokratieverständnis nur an ihrem Verhältnis zur Vergangenheit zu messen, greift zu kurz. Zur Beruhigung der EU hat sie eine Video-Erklärung verfasst, in der sie sich in drei Sprachen von Mussolinis Abschaffung der Demokratie und den Rassengesetzen distanziert. Den Faschismus erklärt sie als historisch überholt. Am anstößigen Parteisymbol aber hält sie fest. Sie betont ihr grundsätzliches Bekenntnis zur EU, die sie bisher skeptisch sah, und zur Nato, trotz früherer Sympathien für Putin. Im konservativen britischen Spectator definiert sie sich als Rechtskonservative, ähnlich den britischen Tories oder Trump-Republikanern.

Was sie darunter konkret versteht, hat sie im Juni vor der rechtsextremen spanischen Vox dargelegt: Sie will den Kulturkampf in Europa anführen, gegen die Bedrohung der christlichen Wurzeln durch die säkulare Linke und den radikalen Islam. Die Entscheidung – sagt sie – müsse zwischen natürlicher Familie und LGBTQLobbys fallen, zwischen der Universalität des Kreuzes und der islamistischen Gewalt, zwischen sicheren Grenzen und Massenimmigration. Die Nähe zu Orbáns illiberaler Demokratie und dem Nationalkonservatismus der polnischen PiS ist deutlich zu hören. Sie sind Melonis Partner in ihrer geplanten Umorientierung der EU.

Italien selbst soll in eine Präsidialrepublik umgewandelt werden. Der Staatspräsident, jetzt von einer parlamentarischen Versammlung gewählt, soll direkt vom Volk bestimmt werden. Das wird als direkte Demokratie angepriesen. In Italien wäre es ein Schritt zur Aushöhlung der parlamentarischen Mechanismen, die nach dem Faschismus zum Schutz gegen Autoritarismus in der Verfassung verankert wurden.

So mag Melonis Distanzierung vom historischen Faschismus beruhigend wirken. Ihr aktuelles Programm aber stellt eine akute Gefährdung der liberalen Werte Europas dar.

Parteien-Pluralismus

75 Parteien sind zu den Wahlen am 25. September zugelassen. Fratelli d’Italia, Lega, Forza Italia und vier weitere gehören zum Rechtsbündnis; Partito Democratico und acht weitere zum Linksbündnis; mehrere Kleinstparteien zur Mitte. Der amtierende Ministerpräsident Mario Draghi macht nicht weiter