Rogue Nation #5 - Leseprobe/Extract

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ROGUE NATION

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01/05 Nov 13

Ich stehe auf und gehe in die Küche, lege die Pistole auf den Tisch und setze mich, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Manchmal weiß man, wie die Dinge begonnen habe, aber man weiß nie, wie sie enden. aus DER GERUCH GEBRAUCHTER AUTOS (Seite 3) INTERVIEW

RICH MACHIN from SOULSAVERS SVEN HEUCHERT DAN FANTE JONIS HARTMANN BENEDIKT MARIA KRAMER



DER GERUCH GEBRAUCHTER AUTOS von Sven Heuchert Es ist der Geruch von gebrauchten Autos, der mich an meine Kindheit erinnert. Ich denke nicht oft an diese Zeit, aber wenn, dann ist es, als würde ich wieder auf dem Rücksitz eines alten Ford mit kaputter Heizung sitzen und unseren kondensierenden Atem beobachten. All das inmitten der Ausdünstungen fremder Familien, die sich im Laufe der Jahre tief in die Sitzpolster gefressen haben. Manchmal rochen sie süßsauer, wie ein Gericht vom chinesischen Schnellimbiss um die Ecke. Manchmal alt, so wie die Männer, die sie fuhren. Selten rochen sie neu, wirklich neu, sondern meistens auf eine schäbige, billige Weise neu. Vielleicht ist das die Essenz meiner Kindheit: Immer den Geruch von etwas Fremdem in der Nase. Ich erkenne die Sportwagen der Siebziger, wenn ich sie auf der Straße sehe. Sämtliche Fabrikate, sämtliche Marken. Selbst heute noch. Ihre Silhouetten haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt, denn ich musste sie auf den ersten Blick voneinander unterscheiden können. Mein Vater wollte das so – er wurde schnell ungemütlich, wenn man versagte. Diese Autos waren für ihn nicht nur ein Geschäft, sie waren seine ganze Leidenschaft. Sie verkörperten all das, was er nicht war. Um ein schöner Mann zu sein, dafür hätte er wahrscheinlich seine linke Hand gegeben. So erinnere ich mich an ihn: Wie er Kette rauchend hinter dem Lenkrad sitzt, eine Hand am Steuer, die andere auf dem Schaltknüppel, den Blick geschärft wie ein Raubtier das Beute jagt. Seine raue Stimme, die sämtliche Straßennamen, Hausnummern und Typenbezeichnungen wie Salven aus einem Gewehr klingen ließ. Ich notierte sie für ihn auf dem Notizblock, der auf der Mittelkonsole lag, als sei er ein Heiligtum; mein Vater konnte nicht schreiben. Manchmal hörten wir leise den Fußballübertragungen im Radio zu. Gesprochen wurde nie viel. Manchmal ging er mit mir in eins der jüdischen Restaurants, wo er immer das billigste Gericht auf der Speisekarte für uns beide bestellte. Manchmal fuhren wir in eine Spielhalle, wo er mir abgezähltes Kleingeld für die Automaten überließ, während er mit einem Bier in den Umkleiden für die weiblichen Bediensteten verschwand. Und ich erinnere mich an jenen Tag …

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Es war so heiß, das man die Autos unmöglich in der Garage ausschlachten konnte. Die Luft in dem engen Raum war so stickig, das man sie nicht atmen konnte. Wir bauten sie draußen am verlassenen Ende des alten Industriegebiets auseinander, mein Vater hatte dort extra ein paar Lagerräume in einem halb verfallenen Backsteingebäude angemietet. Ich schraubte gerade am Motor eines italienischen Cabrio, als sie plötzlich neben mir standen und mich anglotzten. Ihre Augen waren Stecknadelköpfe, der Schweiß auf ihren Gesichtern wirkte wie dünne Kunststofffolie. Sie starrten mich einfach schweigend an und bewegten sich nicht. Sie standen da wie Figuren einer Geisterbahn, die man vom Strom genommen hat. Dann endlich hob einer seine Hand und zeigte mit dem Finger auf den Motor. „Was machst du da, Kleiner?“ fragte er mit heiserer Stimme. Ich konnte nicht antworten. Etwas Eiskaltes packte meine Kehle und drückte zu. „Bist du taub, Junge?“ Der Schraubenschlüssel glitt aus meiner Hand und fiel krachend zu Boden. Einen Moment später hörte ich das Stampfen seiner Fußtritte. Mein Vater sah zuerst die drei Typen und danach mich an. Ich antwortete mit einem Achselzucken, und er lächelte kurz und streichelte mir über den Kopf. Auch ich musste lächeln. Ich hatte fast vergessen, wie sich das anfühlte. Dann nahm er die Autobatterie von der Werkbank und schmiss sie einem der Typen mit voller Wucht ins Gesicht. Ich konnte das Nasenbein knacken hören. Sie waren zwar zu dritt, aber sie hatte nie den Hauch einer Chance. Wahrscheinlich waren sie high und wollten nur in Ruhe irgendwo abhängen. Das spielte alles keine Rolle mehr. Ihre Gesichter wurden von meinem alten Herren zu blutigem Matsch geschlagen. Wir wickelten die Leichen in Filzdecken und luden sie auf die Ladefläche. Im Wagen war es heißer als draußen. Mein Vater startete den Motor und rauchte zwei Zigaretten hintereinander. Er rauchte sehr langsam. Dann fuhr er durch zu den Sägewerken. Nach einem kurzen Gespräch mit dem Vorarbeiter konnten wir die Einfahrt passieren und direkt zur großen Säge durchfahren.

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Ihre Glieder waren bereits steif, als wir sie unter der Plane hervorholten. Bevor er sie in den dunklen Schacht warf, sagte mein Vater, ich solle nach oben sehen, in den Himmel, dort, wo Gott wohnt. Und das tat ich. Ich hörte nur die Sägeblätter. Es war der heißeste Sommer meiner Kindheit. Ich nippe an der Flasche. Das Bier schmeckt wie das in einer drittklassigen Absteige, aber es ist kein Vergleich zu dem vergorenen Apfelsaft, den ich in der Boxerbude getrunken habe. Wenn du eingesperrt bist, säufst du alles. Niemanden hat das interessiert, und niemand hat Fragen gestellt. Jeder, selbst der letzte Schließer weiß, dass einem Mann, wenn er eingesperrt ist, nicht mehr viel bleibt, was ihn zum Mann macht. Die paar Stunden in seliger Trunkenheit, die ließen sie uns. Ich stelle das Bier zurück auf den Tisch. Der Geschmack bringt mich immer wieder zu meinem Vater zurück, und es sind keine schönen Erinnerungen. Immer nur die Prügel im Keller, das laute Knallen des Ledergürtels auf meinem Fleisch. Und dann das Stehen. Nackt hinter fauligen Holzlatten. Das in die Dunkelheit starren. Stundenlang, bis du entkräftet in den Dreck fällst. Sein Gesicht ist eingefallen, er ist alt geworden. Ich sehe in seine braunen Augen. Er hat mich nie im Knast besucht. Dreimal habe ich in der Bude Zeit abgesessen, dreimal kam nie irgendetwas. Keine Bombe. Keinen Koffer. Keine Bücher. Nichts. Jedes Mal, wenn ich rausgekommen bin, bin ich zu ihm gelaufen wie ein reumütiger Hund. Nie hat er ein Wort gesagt. Er hat ein Stuhl an den Tisch gestellt, einen Teller, eine Flasche Bier. Hat mit den Schultern gezuckt und keine Fragen gestellt. Wir saßen am Tisch, sahen aus dem Fenster, löffelten Suppe und tranken Bier. Manchmal hörten wir Fußballübertragungen im Radio. Gesprochen wurde nie viel. Ich streichele über seinen Kopf, wie er das damals getan hat, kurz bevor er diese drei Halbstarken erschlug. Das Badewasser ist rot vom Blut. Ich stehe auf und gehe in die Küche, lege die Pistole auf den Tisch und setze mich, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Manchmal weiß man, wie die Dinge begonnen habe, aber man weiß nie, wie sie enden.

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FOR MARK by Dan Fante

Walk with only words and books as your friend Dream the dreams of deviant dead-writer saints who - coming before you - drowned the pain of their purest hearts in vats of gin - like a flailing unloved cat and glue your ass hopeless to the evilest drunken crack whore who'd trade your balls in a New York second for the guy at the end of the bar with the pitted face and a fifty dollar bill Do not be courageous and remember that all men are fools soul-less captives of their own blood-stained necessity and forgive nothing Then maybe one day like me your feet aching and your head still raw from last night's festivities you'll kick over a box or turn a page and find yourself face to face with the blurry eyes of God

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